Mit Schwert, Leier und Zauberstab

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Mit Schwert, Leier und Zauberstab

Die neugierige Nixe

Es war einmal, vor langer Zeit, da lebte in einem Dorf, an einem Fluss, eine arme Bauersfamilie mit sieben Kindern.

Sie waren so arm, dass ihre vier Töchter und die drei Söhne nicht mal zu Schule gehen konnten, sondern ihren Eltern auf dem Hof helfen mussten.

Eines Tages, die Ernte war noch nicht eingefahren, erschien ein Abgesandter des Königs auf ihrem Hof und forderte sie auf, die fällige Steuer zu begleichen.

„Der König hat die Steuer auf drei Taler festgesetzt“, verkündete der Mann.

„Das kann ich nicht zahlen“, rief der Bauer. „Die Ernte ist noch nicht mal eingebracht. Wie soll ich da die Steuer entrichten?“

„Dann muss ich pfänden“, sagte der Abgesandte ernst. „Habt ihr eine Kuh?“

„Eine alte Kuh“, erklärte der Bauer. „Sie gibt nur wenig Milch.“

„Dann wird sie euch nicht fehlen und dem König einen festlichen Braten abgeben.“

„Nein, nein“, rief nun Margarete, die älteste Tochter des Bauern. „Nicht die alte Trine. Bitte, nehmt etwas anderes.“

„Was habt ihr noch?“, fragte der Abgesandte und blickte Margarete durchdringend an.

„Nur drei Schafe. Aber die geben die Wolle, die wir auf dem Markt verkaufen. Nehmt sie nicht“, bat der Bauer. „Ich bezahle die Schuld, sobald die Ernte in der Scheune ist.“

„Der König will sie jetzt! Überlegt, womit ihr bezahlen könnt, bevor ich gehe. Ihre Majestät will einen genauen Bericht von mir.“

„Herr, wir haben kein Geld, die Schuld heute zu begleichen. Unsere Kuh ist alt und die Schafe mager. Es war kein gutes Jahr für einen Bauern. Sagt dem König, ich bezahle die Steuer, wenn die Felder abgeerntet sind.“

„Das wird er nicht gerne hören. Ihr habt aber eine vorlaute Tochter“, meinte der Abgesandte und musterte Margarete kritisch. „Sie wird eine brauchbare Dienstmagd am Hof des Königs abgeben. Ich komme in einigen Tagen wieder und hole sie ab.“

„Herr, nicht meine Tochter“, rief der Bauer. „Ich brauche jede Hand auf dem Hof!“

„Entweder eure Tochter, oder die Kuh“, sagte der Abgesandte hart. „Überlegt es euch gut, womit ihr bezahlt.“ Damit verließ er den Hof und ließ eine weinende Margarete und verzweifelte Eltern zurück.

„Ich will nicht bei dem König arbeiten“, schniefte Margarte. „Er ist als grausamer Dienstherr bekannt. Bitte, Vater. Hilf mir doch!“

„Das kann ich nicht, Grete. Wir haben Schulden und kein Geld, sie zu bezahlen. Du musst gehen.“ Er tätschelte entschuldigend ihre Schulter.

Selbst ihre Mutter wusste keinen Rat und weinte leise in ihre Schürze.

Margarete fühlte sich einsam und verlassen.

Auch in der Nacht weinte sie, was ihr Bruder Samuel, der neben ihr schlief, hörte.

„Sei nicht traurig“, tröstete er seine Schwester. „Vielleicht wird es nicht so schlimm.“

„Du hast ja keine Ahnung“, heulte Margarete. „Du musst ja auch nicht gehen! Er ist hart, grausam und ungerecht. Viele Geschichten hörte ich, und alle sagten das Gleiche. Nein, bevor ich gehe, ertränke ich mich lieber.“

„Nein, bitte nicht, Grete. Ich finde eine Lösung. Lass mich nur machen.“

„Was willst du tun? Hast du Gold im Fluss gefunden?“

„Nein. Aber ich helfe dir, versprochen.“

„Danke“, sagte Margarete und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Du bist ein Schatz!“

Am anderen Morgen führte Samuel, so wie jeden Tag, die Kuh und die Schafe auf die Weide am Fluss.

Kaum hatte er sich auf seinen Lieblingsplatz am Wasser, einem umgestürzten Baumstamm, gesetzt, tauchte aus dem träge fließenden Bach der Kopf einer Nixe auf.

„Einen wunderschönen Tag“, rief sie und hob grüßend die Hand. „Möchtest du mit mir im Fluss baden?“

„Ich kann nicht schwimmen“, antwortete Samuel, nicht ohne Bedauern, denn es war heiß und er fühlte sich unwohl in der Sonne.

„Das Wasser ist nicht tief. Komm doch rein und ich zeige dir mein Unterwasserreich.“

„Nein, ich muss die Schafe hüten“, lehnte Samuel ab.

„Es ist schön hier“, lockte nun die Nixe. „Viel besser, wie in der Sonne.“

Samuel, dem wirklich warm war, warf einen bedauernden Blick auf die Nixe und das Wasser.

„Nein“, meinte er zögernd. „Ich kann nicht.“

„Schade. Du verpasst etwas“, rief die Nixe lachend und verschwand wieder im Wasser.

Auch am anderen Tag tauchte sie wieder aus dem Fluss auf und lud Samuel ein, mit ihr das Unterwasserreich zu erkunden.

„Ich schenke dir einen Ring, wenn du mir in mein Schloss auf dem Fluss Grund folgst“, sagte sie und zeigte ihm das Schmuckstück.

„Es tut mir leid, ich kann nicht“, lehnte Samuel ab, diesmal aber weniger überzeugend.

„Deine Tiere laufen schon nicht weg“, lockte die Nixe und planschte im Wasser. „Es ist kühl und erfrischend. Komm doch!“

Samuel aber zögerte, denn er nahm das Hüten der Schafe sehr ernst und wollte die Tiere nicht alleine lassen.

„Wirklich schade“, sagte die Nixe lächelnd. „Ich mag dich und möchte dir so viel zeigen.“

Damit tauchte sie wieder unter und Samuel sah sie den restlichen Tag nicht mehr.

Sehr früh am folgenden Tag machte er sich mit den Tieren auf den Weg zur Weide. Er hoffte, dort die Nixe zu treffen und sein Wunsch wurde ihm kurz darauf schon erfüllt.

„Gute Morgen“, rief die Nixe ihm zu. „Kommst du heute zu mir ins Wasser?“

„Ich würde gerne, aber ich kann wirklich nicht schwimmen“, antwortete Samuel. „Wenn ich dir folge, ertrinke ich.“

„Ich schenke dir drei Goldtaler, wenn du mit mir in mein Reich kommst“, meinte die Nixe.

Samuel, der tagelang schon darüber nachdachte, wie er Margarete helfen konnte, fand ihr Angebot sehr verlockend, zögerte aber trotzdem noch.

„Ich kann nicht“, rief er.

„Es wird dir nichts geschehen“, erklärte die Nixe. „Und deinen Tieren auch nicht.“

Samuel dachte nur an Margarete, als er sich schließlich bis auf die Hose entkleidete. „Am Abend muss ich zurück sein“, meinte er. „Sonst wird mein Vater böse.“

„Am Abend bist du zurück“, lächelte die Nixe und streckte die Hand nach ihm aus. „Komm schon.“

Samuel watete ins den Fluss und ergriff die Hand der Nixe. „Ich bin kein Fisch“, sagte er. „Wie soll ich unter Wasser atmen?“

„Küss mich und ich zeige es dir“, meinte die Nixe.

Samuel küsste sie und dann zog ihn die Nixe bis auf den Grund des Flusses, wo große Steine einen Palast bildeten, der hell erleuchtet war und aus dessen Mauern fröhliche Musik erklang.

„Dies ist ein Palast“, sagte die Nixe und Samuel folgte ihr hinein.

Innen wurde ein rauschendes Fest gefeiert und weitere Nixen und Nöks tanzten im Reigen, umschwirrt von Fischen und Seegras.

Auch Samuel wollte tanzen, und reihte sich in die Gruppe ein. Lachend drehte er sich, zu der Musik von Flöten und Trommeln, im Kreis, denn er hatte sich nie so lebendig gefühlt.

Danach gab es Seegrassuppe und Algenauflauf.

Samuel genoss den Aufenthalt bei den Nixen und vergas dabei völlig seine Schafe und auch Margarete.

Bis tief in der Nacht, so schien es ihm, blieb er im Unterwasserschloss, bis die Nixe ihn an der Hand fasste.

„Es ist Zeit“, sagte sie. „Du musst zurück.“

„Ich will nicht“, antwortete Samuel. „Es ist gerade so schön hier.“

„Was ist mit deiner Familie? Sie vermissen dich sicher, wenn du noch bleibst“, gab sie zu bedenken.

„Nur noch eine kurze Weile“, wehrte sich Samuel. „Ein Tanz noch, dann komme ich.“

„Nein. Das geht nicht.“

Zögernd und missmutig ließ er sich von der Nixe zurück ans Ufer bringen. Dort war es bereits tiefe Nacht und von den Schafen nichts zu sehen.

„Deine Taler“, sagte sie. „Du hast sie dir redlich verdient.“

„Danke. Darf ich wieder kommen?“

„Immer, wenn du willst“, sagte die Nixe und warf ihm eine Kusshand zu. Dann verschwand sie im Wasser.

Samuel, der im Gras seine Kleidung suchte, fand nichts als trockene Schafsküttel und einen wackeligen Weidezaun.

„Den muss Vater reparieren“, murmelte er, als er zurück zum Haus ging. „Gleich morgen werde ich es ihm sagen.“

Dort fand er die Tür verschlossen vor, daher zögerte er nicht lange und baute sich sein Nachtlager im Stall bei den Schafen.

 

Da es dunkel war, hörte er nur ihr beruhigendes Kauen und ihre Bewegungen.

„Vater muss sie in den Stall gebracht haben“, überlegte er leise. „Das gibt Ärger!“

Trotzdem schlief er tief und traumlos bis zum Morgen, als ihn ein gellender Schrei weckte.

„Einbrecher, Diebe!“

Verschlafen blinzelte Samuel in das Licht, das durch die Stalltür hereinfiel. Erkennen konnte er die Person nicht.

„Ich bin es doch, Samuel“, rief er.

„Samuel? Der ist tot! Ertrunken im Fluss, vor so vielen Jahren“, antwortete die Frau, die er als Katharina, seine jüngste Schwester erkannte.

„Nein, ich lebe. Und es ist erst Stunden her, als ich im Fluss baden ging“, meinte Samuel.

„Wir fanden seine Kleidung“, flüsterte Katharina rau und mit Tränen in den Augen. „Ihn fanden wir nicht. Das ist jetzt vier Sommer her.“

„Vier Sommer? Nein, ich bin wirklich Samuel. Glaub mir doch!“

„Ich kann nicht? Wo warst du bloß all die Jahre?“

„Unten, im Schloss der Nixe. Sie hat mir drei Goldtaler geschenkt, damit kann Vater seine Steuern bezahlen und Margarte muss nicht ins Schloss des Königs.“

„Margarte ist schon dort“, flüsterte Katharina. „Und es geht ihr nicht gut. Bald bekommt sie ihr erstes Kind, vom König. Der hat sie geschwängert. Heiraten will er sie aber nicht.“

„Das kann nicht sein!“, rief Samuel.

„Es stimmt aber.“

„Ich rette sie“, sagte Samuel. „Mit dem Gold.“

Und die Moral von der Geschicht`: Trau einer Nixe nicht. Erst verspricht sie dir das, dann hält das andere.

Der Schrecken des Mönchs

Es war einmal in einem Land, lange vor unserer Zeit, da lebte in einem Kloster der Mönch Sebastian Heinrich, auch Bruder Sebastian genannt.

Eines Tages, als er wieder mal missmutig den Gang vor der Klausur der Brüder wischte(er hasste diese Arbeit), rief ihn der Klostervorstand, Abt Regios Ambertios, zu sich in sein Büro. Immer noch schlecht gelaunt folgte er dessen Aufforderung.

„Ihr habe mich rufen lassen, Abt“, fragte er beim Eintreten.

„Ja, Sebastian. Komm her und setz dich. Wir müssen reden.“ Der Abt deutete mit der linken Hand auf einen Stuhl, der vor seinem massiven Schreibtisch stand.

„Was habe ich wieder verbrochen“, erkundigte sich Sebastian. Er fand, Angriff sei die beste Verteidigung. Und es war ja nicht das erste Mal, dass einer seiner Brüder ihn beim Abt verpfiff. Meistens wegen unbedeutender Verfehlungen, wie etwa das Zuspätkommen zur Messe oder aber schlecht geputzter Böden. Wer war es diesmal, fragte er sich im Stillen.

„Nichts, mein Sohn“, meinte der Abt milde. „ Es geht um etwas anderes. Setz dich und ich erkläre es dir.“

Umständlich setzte sich Sebastian und wartete gespannt auf eine Erklärung. Der Abt aber ließ sich Zeit, sortierte die Papiere vor sich auf dem Tisch und schien sich seine Worte sorgfältig zu überlegen.

„Ich möchte nicht, dass du das Folgende in den falschen Hals bekommst, Sebastian. Es hat nichts mit deinen Mitbrüdern zu tun, mein Sohn.“ Er legte eine Pause ein. „ Sondern mit der Notwendigkeit, auch die Unwissenden im Osten zu bekehren.“ Er hob den Blick und blickte Sebastian undurchdringlich an. „Verstehst du?“

„Ihr meint…“, begann Sebastian erregt. „ Ihr meint, ich werde das Kloster verlassen?“

„ So in etwa“, antwortete der Abt. „Im fernen Nebelland leben immer noch heidnische Stämme. Ich möchte, dass du dich dort nieder lässt und den Nebelländnern das Wort Gottes bringst.“

„Alleine“, erkundigte sich Sebastian ein wenig unbehaglich. Seit seiner frühen Kindheit war er nie alleine gewesen. Selbst hier gab es immer Mitbrüder, auch wenn diese ihm oft das Leben zur Hölle machten. Aber ganz ohne seine Brüder konnte er sich sein Leben nicht vorstellen.

„Ja, das Kloster hat nicht die nötigen Mittel, mehrere Brüder zu entsenden. Ich hoffe, es ist kein Problem für dich, Sebastian“, fragte ihn der Abt freundlich.

„Nein, Euer Gnaden. Kein Problem“, beeilte sich Sebastian zu sagen. Auch wenn ihm das Alleine schon Sorgen bereitete, war es doch auch die ersehnte Chance dem strengen Leben im Kloster zu entkommen.

„Gut. Dann packe deine Sachen. Ich gebe der Küche und auch dem Stallmeister Bescheid, dich mit Vorräten und einem Pferd zu versorgen. Am Rande der Nebellande wartet ein Gebäude auf dich, das uns der dortige Fürst zur Verfügung stellt. Hier ist die Karte, mein Sohn. Du wirst in zwei Tagen reisen.“ Er reichte Sebastian eine reich bebilderte Karte, die die Umgebung des Klosters darstellte. Weit im Osten waren die Nebellande eingezeichnet, und mit einem roten Kreuz war die Stelle markiert, die das Gebäude bezeichnete. Es lag am Rande des Sumpfs und schien einst eine Burg gewesen zu sein.

„Eine Burg“, fragte Sebastian vorsichtig. „Ist das nicht zu viel Platz für eine Person alleine?“

„Nein, keine Burg. Oder, besser gesagt, nicht mehr ganz. Sieh es dir an, Sebastian. Es wird dir gefallen“, lächelte der Abt milde.

Sebastian schwieg, ganz in die Karte vertieft. Viele Tage würde er unterwegs sein, bevor er wieder ein festes Dach über den Kopf hatte. Und nicht nur das. Feindliche Stämme, die ihm das Leben schwer machen oder ihn töten wollten.

„Ich vertraue dir, Sebastian“, meinte der Abt bestimmt. „ Geh nun und beende deine Arbeit. Und denk daran, zu packen.“

Nachdenklich, teils mit Sorge, teils mit Freude trollte sich Sebastian. So eine Chance gab es nicht sehr oft im Leben. Aber die Chance zu sterben bestand ja auch noch.

Wie so oft, beruhigte er seine Gedanken beim Reinigen der Klosterböden. Und am Ende des Tages, als sie in der Messe saßen, konnte sich Sebastianen über diese Ehre richtig freuen und er dankte seinem Schöpfer aufrichtig dafür.

Zwei Tage später verabschiedete ihn der Abt am Eingang zum Kloster.

„Geh mit Gott, mein Sohn. Und kümmere dich um die Ungläubigen. Denk immer daran, Gott lenkt jeden deiner Schritte.“ Segnend hob der Abt die Hand.

„Danke, Vater. Ich tue mein Möglichstes.“ Demütig neigte er sein Haupt, aber im Herzen rebellierte Sebastian wieder gegen die Regeln des Ordens. Zum Glück, bald bin ich frei und nur mir verpflichtet, dachte er trotzig. Nie wieder soll ein Abt mir sagen, was ich tun oder lassen soll.

Es war ein wolkiger Tag und der Wind fegte eisig über die Felder, als Sebastian gen Osten reiste, immer die Gefahren im Blick, die ihm begegnen konnten. Nachts schlief er in Senken oder unter Bäumen, tagsüber nutzte er die ausgetreten Handelswege, um sicher an sein Ziel zu kommen. Er sah dabei nur wenige Menschen, die ihm freundlich gesinnt waren und ihn in Ruhe ließen.

Tage später erreichte er endlich den Rand der Nebellande und sah den Turm schon von weitem. Groß und alles überragend bewachte er eine Grenze, die es schon lange nicht mehr gab.

„Das ist also die Burg, die hier einmal stand“, murmelte er. „Ob der Turm noch intakt ist? Ich hoffe doch, schließlich bin ich nicht schwindelfrei.“ Kritisch schweifte sein Blick über das Dach und die Mauern. „Gut, ich scheine Glück zu haben.“

Sebastian richtete sich in dem Turm häuslich ein und begann dann seine Missionierung, in dem er den Heiden von der anderen Seite des Flusses Gottesdienste in der verfallenen Kapelle der Burg anbot. Aber seine Bemühungen blieben umsonst, bis auf einen uralten Mann, der sich neugierig den neuen Mönch ansehen wollte, kam kein einziger der Nebelländer.

Wochenlang ging das so, bis auch der alte Mann nicht mehr kann und Sebastian am Sonntag alleine unter freiem Himmel stand und seine Messe las.

„Ich muss sie besuchen“, sagte er sich und sattelte sein Pferd. „Warum kommen sie nicht? Was mache ich falsch?“

Die Furt, die ihn auf die andere Seite führte, war ziemlich ausgetreten und verriet Sebastian, dass seine Nachbarn doch Interesse an seiner Person haben mussten. Oder aber, folgerte er, sie nutzten sie um einfach auf die andere Seite zu kommen.

In dem ersten Dorf, das er aufsuchte, fand er auch den alten Mann. Mitten auf dem Dorfplatz war eine Art Scheiterhaufen aufgeschichtet worden, in dessen Mitte der tote Körper des alten Mannes lag, umgeben von seinen Waffen und winzigen Tonfigürchen, die Odin und seine Götter darstellten.

„Was wollt Ihr in unserem Dorf, Bruder“, erkundigte sich ein Krieger mit grimmigen Gesicht und die Hand am Schwert. „Willst wohl spionieren, was?“

„Nein, Krieger. Ich bin gekommen, um euch das Wort Gottes zu bringen“, antwortete Sebastian freundlich. „Schade, dass der einzige Zuhörer verstorben ist.“ Er deutete mit dem Kopf auf das Feuer, in dem er Körper nun verbrannte.

„Er war mein Vater und ein Narr, was den christlichen Gott angeht“, meinte der Mann. „Jetzt ist er bei Odin und Donar in der Halle der Helden. Sagt eurem Gott, er ist hier nicht erwünscht.“

„Ich verstehe Euren Schmerz, Krieger“, sagte Sebastian. „Aber Gott ist groß und für alle seine Schäfchen da. Er wird ihn lindern und Euren Vater mit ins Paradies nehmen.“

„Geht, bevor ich Euch zweiteile“, zischte der Krieger zornig. „Ihr und Euer Gott könnt dahin zurück gehen wo Ihr herkamt.“

Sebastian beeilte sich, das Dorf so schnell wie möglich zu verlassen. Er ritt weiter und fand auch in allen anderen Dörfern nur Feindseligkeit und Ablehnung. Entmutigt kehrte er in seinen Turm zurück.

„So geht das nicht weiter“, überlegte er. „Ein Mönch ohne Gläubige ist ein toter Mönch. Wie kann ich es schaffen, dass sie in meinen Gottesdienst kommen?“

In der Nacht hatte Sebastian einen Traum. Er träumte von einer Nachtigall in einem Käfig, die ihm den Rat gab, es mit Bierbrauen zu versuchen.

„Bier, hier in dieser Umgebung“, fragte er den Vogel.

„Ja, jeder mag doch Bier. Selbst ich, wenn auch nur wenig“, antwortete die Nachtigall überzeugt.

„Na gut, morgen reise ich in die Stadt, um die Zutaten zu besorgen. Nur, womit bezahle ich“, überlegte der Mönch.

Der Vogel lachte keckernd und gab keine Antwort.

„Du bist mir ein Ratgeber, Vogel“, raunzte er die Nachtigall an. Sie lachte immer weiter, auch als Sebastian längst schon wieder wach war.

Am anderen Tag sammelte er alle seine Ersparnisse zusammen und machte sich auf den Weg in die nächst größere Stadt, Dünnberg. Ein Ort mit fast tausend Seelen, dem Sitz des regierenden Fürsten August Smollberg und Anlaufstelle für die Händler in der Gegend, auch aus den Nebellanden. Sebastian hoffte, sämtliche Zutaten für sein Bier zu erhalten. Schon in dem Kloster, aus dem er kam, brauten sie Bier, wenn er auch immer nur von ferne zusehen durfte. Den Grund dafür kannte Sebastian nicht, machte er sich eigentlich nichts aus den Gebräu, auch wenn es regelmäßig auf den Tisch kam, schließlich galt Wasser als unrein und Bier als ideales Getränk.

Leise summend ritt er über die schlammige Straße, immer auf der Hut vor Banditen. Eine Meile vor der Stadt, er konnte schon ihre spitzen Kirchtürme sehen, traf er auf einen Musiker mit einer Flöte. Dieser hockte am Rand der Straße und erbettelte sich von den Reisenden einige Münzen für sein Spiel.

„Reist Ihr auch in die Stadt“, erkundigte er sich bei dem Barden.

„Ich reise mal hierhin, mal dorthin, Bruder Mönch“, antwortete der Musiker. „Darf ich Euch mit meinem Spiel und einen Becher besten Weins erfreuen, bevor ihr in die Stadt reitet?“

„Warum nicht“, meinte Sebastian freundlich. Schon viel zu lange lebte er alleine und vermisste die Gespräche mit seinen Mitbrüdern.

„Dann steigt ab und lauscht meinem Spiel“, lud ihn der Barde ein. Was Sebastian nur zu gerne annahm.

Mit einem Becher in der Hand lauschte er den sanften Tönen der Flöte, bis er, beseelt vom Wein, kurz darauf einfach einschlief.

Als er erwachte, hatte er heftige Kopfschmerzen und wusste nicht, wo er gerade war. Blinzelnd sah er sich um und erinnerte sich schlagartig wieder an den Barden, die Flöte und den Wein.

Den Barden entdeckte er nirgends, sein Pferd einige Schritte entfernt grasend am Straßenrand. Nur sein Bündel und auch die Geldbörse in seiner Kutte fehlten gänzlich, wie er mit Schrecken feststellte.

Mit, dachte er erschrocken. Der Kerl hat mich eingelullt und dann ausgeraubt. Wie soll ich jetzt die Zutaten für mein Bier bezahlen?

Mühsam und unter Schmerzen rappelte er sich auf. Dabei fiel sein Blick auf einen Gegenstand, der ihm bekannt vorkam. Der Barde hatte seine Flöte verloren. Einsam lag sie einige Schritte entfernt im feuchten Gras.

Singen kann ich, dachte Sebastian. Und im Kloster lehrte man mich auch spielen, die große Orgel. Eine Flöte zu bezwingen dürfte nicht so schwer sein.

 

Versuchsweise setzte er sie an die Lippen und entlockte ihr einige Töne.

Nicht schlecht, aber ausbaufähig, dachte er. Vielleicht kann ich damit in der Stadt die Taler verdienen, die ich für das Bier brauche?

Mit neuer Energie schwang er sich in den Sattel und galoppierte in die nahe Stadt.

Am Stadttor musste er kurz halten, aber die Stadtwachen musterten nur kurz seine schwarze Kutte und winkten ihn dann durch.

Eine gepflasterte Straße führte vom Tor quer durch die Stadt und Sebastian folgte ihrem Verlauf, bis er an den großen Markt in der Mitte des Ortes ankam. Buden waren aufgebaut worden und Händler priesen ihre Waren an. Einheimische und Reisende mischten sich in einem bunten Gemisch aus Stimmen und farbenfrohen Kleidern. Sebastian entdeckte auch einige Leute aus den Nebellanden unter ihnen, die Frauen trugen braune Wollkleider und die wenigen Männer Lederrüstungen und Kettenhemden.

Hier bin ich richtig, überlegte er. Ich werde mein Geld mit Musik verdienen und anschließend meine Waren auf diesem Markt kaufen.

Eine ruhige Ecke war schnell gefunden, das Pferd angebunden und die Flöte gezückt. Mutig stimmte Sebastian ein altes Volkslied ,“ Komm mei` Lieb“, an, und schon bald blieben die ersten Zuhörer stehen, summten oder sangen mit und belohnten ihn mit einigen Münzen. Ermutig spielte Sebastian weiter und die Bürger dieser Stadt waren äußerst spendabel. Münze um Münze landete in seinem Säckel und am Ende des Tages hatte er genug Geld beisammen um sich Verpflegung zu kaufen und einen Platz zum Schlafen in einer Pension.

Früh am anderen Tag wanderte er nochmals zum Marktplatz, um seine Zutaten zu kaufen. Einige Händler hatten bereits ihre Buden geöffnet und boten den wenigen Käufern ihre Waren an. Sebastian hielt sich nicht lange auf, kaufte das was er benötigte und kehrte dann zu seinem Pferd zurück.

Zufrieden mit sich und in Gedanken schon wieder in seinem Turm ritt Sebastian aus der Stadt. Diesmal traf er mehr Reisende auf der Straße, einige warnten ihn vor wilden Horden, die jeden töteten, die vor ihnen nicht davon liefen. Sebastian dankte ihnen, meinte aber, Gott schütze ihn schon vor solchen Banditen.

„Ich bin ein Diener Gottes“, antwortete er den Menschen. „Er schützt mich auf den Wegen, die ich gehe.“

„Dann braucht Ihr auch keine Angst zu haben“, meinte ein rundlicher Händler, der Sebastian angesprochen hatte.

„Nein und danke für die Warnung.“ Entschlossen setzte der Mönch seine Reise fort, er wollte am Abend wieder in seinem Zuhause sein. Es juckte ihn in den Fingern, endlich jenen begehrten Gerstensaft zu brauen, der die barbarischen Nebelländer in seinen Gottesdienst locken sollte.

Gegen Mittag befand er sich wieder alleine auf der Straße, als er am Straßenrand eine ausgebrannte Kutsche entdeckte. Die Rösser, die sie gezogen hatten, waren geflüchtet oder gestohlen worden. Einzig zerfetzte Riemen zeugten davon, dass sie dort angeschirrt waren, als die Kutsche brannte.

Neugierig stieg Sebastian ab und schaute in das Innere der Kutsche. Erschrocken zuckte er dann aber zurück und bekreuzigte sich, denn im Innern befand sich eine verbrannte Leiche. Zu ihren Füßen eine verkohlte Truhe, die die Diebe wegen des Feuers wohl nicht bergen konnten. Vorsichtig zog der Mönch an dem Deckel und die Knochenhände des Toten gaben den Verschluss der Truhe frei. Der Deckel sprang auf und gab den Blick auf einigen Goldschmuck und einige Goldtaler frei.

Tief durchatmend überlegte Sebastian, was er mit dem Inhalt alles würde kaufen können. Brot, Wein und eine neue Taufschale für seine Kirche? Oder eine neue Kutte? Saatgut?

Natürlich fragte er sich auch, wer die Kutsche wohl angezündet haben mochte und weshalb? Sehnsüchtig wägte er ab, ob er nicht einfach das Geschmeide einstecken und so schnell wie möglich davon reiten sollte oder die Kiste zur Stadt schaffen sollte, damit der Besitzer sie zurückbekam.

Immer noch im inneren Kampf mit sich, Gold oder nicht Gold nehmen, überhörte er fast die Gruppe Reiter, die sich im Eiltempo näherten. Erst als sie schon beinahe bei ihm waren, blickte er auf und erstarrte. Es waren die Soldaten der Stadtwache und sie blickten grimmig in seine Richtung.

„Hey da, Mönch! Tretet zur Seite und hebt Eure Hände“, schnauzte ihn der der erste Soldat an, ein großer, muskelbepackter Kerl mit Schnauzbart.

„Ich habe nichts gemacht, Soldat“, antwortete Sebastian. „Wie Ihr seht, ist die Kutsche schon lange ausgebrannt.“

„Das kann jeder sagen. Na los, hoch mit den Händen“, befahl ihm der Soldat und zielte mit dem Schwert auf ihn.

„Schon gut, schon gut“, meinte Sebastian beschwichtigend und hob seine Hände. „Aber ich bin nur ein einfacher Mönch, der das Wort Gottes verkündet.“

„Mag sein, jetzt aber sehe ich nur einen Brandstifter. Rouben, nehmt sein Pferd und passt auf, dass er nicht flüchtet. Ich sehe mir die Kutsche an.“ Geschmeidig stieg er ab und näherte sich dem Gefährt.

Der angesprochene Soldat nickte und bedeutete Sebastian aufzusteigen. „Wenn Ihr flieht, wird es mir ein Vergnügen sein, Euch auf mein Schwert zu spießen“, sagte er deutlich.

Immer noch empört über solche Verdächtigungen, stieg Sebastian auf. Währenddessen hatte der erste Soldat seine Inspektion beendet.

„Da liegt noch eine Leiche in der Kutsche“, meinte er. „Und eine Truhe mit Gold. Kein Wunder, dass Ihr sie angezündet habt. Ihr wolltet das Gold, gebt es zu.“

„Nein, ich war es nicht“, bestritt Sebastian die Vorwürfe. „Ich wollte die Kiste in die Stadt bringen. Ehrlich. Ich bin ein Mann Gottes!“

„Die klauen auch wie die Raben“, merkte der Soldat an. „Thomas und Anton, ihr sichert die Truhe. Gerald, Du sorgst dafür, dass der Tote da drin ordentlich bestattet wird. Ich bringe diesen Verbrecher zum Kommandanten in die Stadt.“

„Ich habe rein gar nichts damit zu tun“, protestierte Sebastian.

„Seid still, oder ich sage dem Kommandanten, Ihr wolltet fliehen und ich musste Euch erschlagen“, zischte der Soldat.

Innerlich aufgewühlt , äußerlich aber stumm, folgte Sebastian den beiden Soldaten, die ihn wieder in die Stadt brachten. Kurz war da der Gedanke zu flüchten, aber ein Blick in die vernarbten, ernsten Gesichter der Soldaten erstickte jeden Fluchtversuch im Keim.

Das Haus der Stadtwache war ein Eckhaus nahe der Stadtmauer und mit einem Kerker ausgestattet. Vor dem Eingang befahl der Soldat Sebastian abzusteigen und ihm ins Innere des Gebäudes zu folgen.

Gleich hinter dem Eingang befand sich die Stube des Kommandanten, Claudius Müller, wie ihn der Soldat Sebastian vorstellte.

„Herr, dieser Mönch“, er warf ihm einen skeptischen Blick zu, als ob er nicht glauben wollte dass Sebastian ein Mönch war. „Er hat vor der Stadt eine Kutsche angezündet und wollte das Gold des Kaufmanns Gernot Trueboldt rauben. Wir haben ihn auf frischer Tat ertappt.“

„Ich war es nicht“, beharrte Sebastian. „Die Kutsche war schon ausgebrannt.“

„Er war gerade dabei, die Truhe zu leeren“, fuhr der Soldat unbeirrt fort.

„War ich nicht“, rief Sebastian aufgebracht. „Ich wollte sie in die Stadt bringen!“

„Wer es glaubt. Ich sage nur, was ich gesehen habe. Und es war definitiv die Kutsche des Kaufmanns, Kommandant“, erklärte der Soldat.

„Ich bin unschuldig“, begann Sebastian erneut, als ihm der Soldat einen festen Knuff in den Rücken verpasste. Um Luft ringend verstummte der Mönch.

„Nun, wie ein Brandstifter sieht er nicht aus“, meinte der Kommandant nachdenklich. „Aber nicht jedem sieht man das an. Bringt ihn in den Kerker, Daniel. Morgen werde ich entscheiden, ob er vor Gericht kommt.“

Erneut wollte Sebastian protestieren als sein Blick auf einen Vogelkäfig in der Ecke der Amtsstube fiel. Eine Nachtigall saß darin und beobachtete die drei Männer mit amüsiertem Blick. Erstaunt fragte sich Sebastian, was der Vogel wohl verstehen mochte und ob es ein Frevel sei, ihr eine Seele zuzusprechen.

„Geht, Mönch“, meinte Claudius Müller ungeduldig. „Wir sehen uns morgen.“

„Ja. Verzeiht“, murmelte Sebastian verwirrt. Die Nachtigall erinnerte ihn an seinen Traum und er überlegte, ob das etwas zu bedeuten hatte.

„Kommt endlich“, raunzte ihn Daniel an. „Zum Kerker geht es hier lang.“ Mit dem Schwert in der Hand brachte er Sebastian in den Keller, wo er ihn in eine Einzelzelle sperrte.

Kaum war der Soldat weg, hörte Sebastian leisen Gesang und schaute neugierig durch die Gitterstäbe vor seiner Türe.

„Wer da“, fragte er.

„Ich bin nur ein armer Wandersmann“, sang die Stimme. „Ein Barde, ein Musiker und zu Unrecht hier.“

„Sagt, spielt Ihr auch Flöte“, erkundigte sich Sebastian.