Liebe liegt in der Luft

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Liebe liegt in der Luft

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Liebe liegt in der Luft

Als wäre alles so einfach

„Was ist Leichtigkeit?“ , fragte sich Sabine immer wieder, als sie auf dem Weg nach Hause war.

Am Morgen hatte eine Teamsitzung stattgefunden, in dem auch das Thema Flüchtlinge zur Sprache kam.

Wie sollte man mit diese Krise umgehen? Wie die Menschen behandeln, die alles aufgegeben oder verloren hatten? Und ihre Heimat verließen, um ganz normal leben zu können?

Ihr Teamchef hatte gemeint, mit Leichtigkeit wäre alles besser. „Leichtigkeit?“, hatte sie gefragt. Was meinte er damit? Doch eine Antwort blieb er ihr schuldig.

„Denken Sie darüber nach und finden eine Lösung“, war sein Schlusswort. Als ob das so einfach wäre. Wenn schon die Regierung kein Rezept dafür hatte, wie sollten sie die Krise bewältigen?

Sabine war müde, der Tag hatte schon wieder viel zu lange gedauert. Seit den frühen Morgenstunden war sie auf den Beinen, und nun war es wieder dunkel, fast schon Nacht.

In ihrer Wohnung war es genauso düster und von ihrer Tochter Marie nichts zu sehen.

Sabine legte ihre Einkäufe in die Küche und gönnte sich eine heiße Dusche. Das tat gut, nach dem Tag. Nicht mehr denken, keine Lösungen mehr suchen. Nur abschalten und genießen.

Dann sah sie nach ihrer Tochter, die schon friedlich schlief.

„Tschuldigung“, flüsterte Sabine. Doch Marie rührte sich nicht. Warum musste sie auch immer ein schlechtes Gewissen haben. Marie war sechszehn, fast schon erwachsen und würde bald ihren eigenen Weg gehen. Ein Umstand, den Sabine immer zu verdrängen suchte. Sie war doch noch immer ihr Baby, ihre Kleine? Wo waren die Jahre geblieben?

„Du wirst gefühlsduselig“, dachte sie und schaltete zur Ablenkung den Fernseher ein.

Keine gute Idee, schon wieder Bilder von flüchtenden Menschen, Hunger, Elend , Not und Krieg.

Leichtigkeit, dachte sie bitter. Wo war die in meinem Alltag?

Am anderen Tag fuhr sie wieder früh morgens zu ihrer Arbeit ins Büro. Doch in Gedanken war sie ganz woanders, nicht nur im Büro sondern auch bei ihren eigenen Problemen. Als sie die Spur von rechts nach links wechseln wollte, übersah sie den schwarzen Audi, der viel zu schnell herangeprescht kam. Der Knall war fürchterlich, Sabine wurde nach vorne gegen das Lenkrad geschleudert und es wurde ihr schwarz vor Augen. Als sie wieder wach wurde, konnte sie sich nicht bewegen. Ein Mann hatte die Scheibe eingeschlagen und rüttelte an ihrer Schulter.

„Sind Sie OK?“, fragte er sie immer wieder.

„Was ist den passiert?“

„Sie hatten einen Unfall. Sind Sie OK?“

„ Ich…. ich weiß nicht?“, stotterte sie. Sabine konnte ihre Beine nicht bewegen. Etwas Feuchtes lief ihr in die Augen. Als sie es wegwischen wollte, sah sie, dass es Blut war, ihr eigenes Blut.

„Ganz ruhig. Wir holen Sie da raus.“ Erst jetzt bemerkte sie die Rettungskräfte, die sich einen Zugang zur Fahrerkabine schnitten. Ein älterer Mann sprach die ganze Zeit mit ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Sabine dachte an ihr Meeting und das sie den Chef anrufen musste. Doch sie kam nicht an ihr Handy.

„Das regelt sich alles“, antwortete der Mann auf Sabines Fragen. „Erst einmal müssen Sie ins Krankenhaus. Dann sehen wir weiter.“

Als man sie aus dem Auto zog, wurde ihr wieder schwarz vor Augen und sie nahm ihren Transport ins Krankenhaus nur schemenhaft war. Erst in der Notaufnahme wurde sie wieder wacher und konnte den Fragen des Arztes antworten.

„Sie haben Brüche. Trümmerbruch im rechten Bein. Und einige Schnittwunden. Wir operieren sie gleich.“

An die Zeit vor der OP konnte sie sich später nur vage erinnern. Ihre Erinnerung setzte erst wieder am anderen Morgen ein, als sie eine aufgelöste Marie im Krankenzimmer besuchte.

„Was machst du, Mummy? Sie haben gesagt, du hattest einen Unfall und das der andere Fahrer viel zu schnell unterwegs war. Ich habe mir Sorgen gemacht, als sie mich in der Frühe aus dem Bett geklingelt haben.“

„Ich erinnere mich nicht. Aber es wird alles gut, Marie. Mach dir keine Sorgen.“

Du bist die Einzige, die ich noch habe. Was soll ich machen, wenn du nicht mehr da bist?“

„Ich lebe doch. Und in ein oder zwei Wochen bin ich wieder zuhause.“

Doch es dauerte vier Wochen, bis man sie aus dem Krankenhaus entließ. Immer wieder verzögerten Komplikationen ihre Entlassung.

Weitere Wochen verbrachte sie daheim. Zeit genug, um über ihr Leben nachzudenken. Was wollte sie? Wie sollte es weiter gehen? Was wurde aus ihrem Job?

Am Anschluss plante sie ihren Urlaub, den sie wegen ihrem Unfall nicht nehmen konnte. Einen Tag verbrachte sie im Büro, bis es dann am Montag in die Berge ging. Marie maulte, Berge waren so nicht ihr Ding. Sabine hatte aber von einem Resort gehört, in dem kein Auto fuhr und wo sie hoffte, wieder zu sich selbst zu finden. Mal nicht in Hektik durch die Stadt laufen, sondern Ruhe und Natur tanken. Die Umgebung erkunden, den Gedanken ihren Lauf lassen.

Von Lana ging es mit der Seilbahn ging es 1500 Meter hoch. Wälder und Wiesen prägten das Bild dieser Region.

Nach dem Einchecken beschloss Sabine, die Umgebung zu erkunden, während Marie demonstrativ in ihrem Zimmer blieb. Ihr Handy und Fernsehen waren ihr wichtiger, als die Natur.

Doch das sollte sich in den folgenden zwei Wochen ändern. Denn es wurde ihr langweilig und sie lernte Joe kennen, eine jungen Briten in ihrem Alter, der mit seinen Vater hier den Urlaub verbrachte. Sie ließ sich anstecken von seiner Begeisterung für die Berge und erzählte ihrer Mutter von den Touren, die sie machten.

Sabine, die noch nicht so fit war, erkundete die nahe und ferne Umgebung. Sie entdeckte Seen und auch eine einsame Kirche. Schon lange war sie nicht mehr in einer gewesen. Die Zeit und die Lust hatten einfach gefehlt. Hier aber setzte sie sich nach ihre Wanderung auf eine der Bänke im Innern und ließ die Ruhe auf sich wirken. Sie fragte sich, wohin ihr Weg wohl gehen mochte in nächster Zeit. Sollte sie in dem Job weiter arbeiten? Oder aber was ganz anderes machen? In ihrer Jugend hatte sie oft und gerne gemalt. Ein Hobby, das in den vergangenen Jahren seit Maries Geburt einfach zu kurz gekommen war. Hier konnte sie es wieder ausleben.

„Oh, that is great“, hörte sie am Abend Joes Vater Tom Smith sagen, als er sie auf der Terrasse mit ihrer Leinwand überraschte.

„Danke. Thanks.“ Sabine war berührt.

„Sie mussen nicht englisch sprechen. Ich speak Deutsch. Net so gut.“ Tom bemühte sich, sich verständlich zu machen.

„Wo haben sie das gelernt?“

„Ich arbeite bei deutschem Unternehmen. Sie malen gut. Sind sie Malerin?“

„Nein, ich organisiere die Aufnahme von Flüchtlingen. Das hier ist nur Hobby.“

Ick male auch. In meiner Freizeit. Perhaps, wir sollten zusammen malen gehen. Wie wäre es? Dann sind Sie nicht so alleine.“

„Warum nicht. Was macht ihr Sohn ohne Sie?“

„Der geht mit Marie. Nettes Mädel. Ihre Tochter. Die haben sich einer Führung angeschlossen. So, i was alone. In the next day.“

Sabine verbrachte die nächsten Tage mit Tom, den sie immer besser leiden konnte. Sie stellte fest, dass sie sich verliebt hatte. Auch Tom zeigte Sabine seine Zuneigung. Gemeinsam verbrachten sie schöne Stunden zu zweit. Nach dem Urlaub beschlossen sie, in Kontakt zu bleiben und sich zu besuchen. Was auch Marie freute, sah sie doch Joe wieder, in den sie sich verliebt hatte.

Begegnung mit einem Fremden

„Das schreibt man so. B.R.O.T. Brot. Ganz einfach, “ erklärte Mark Salim, als dieser mit ihm in der Wohnstube die deutsche Sprache übte.

„Was das, “ Salim deutete auf eine andere Karte, die sie für die Erklärung deutscher Begriffe nutzten. „ Ich verstehen nicht.“

„Das ist ein Apfel. A.P.F.E.L. Habt ihr in Syrien keine Äpfel?“

„Achel? Right?“ Salim schaute Mark fragend an.

„Nein. Es heißt Apfel. Obst, you know?“

„Afel? I don`t know? Was heißen das?“ Salim bemühte sich die Worte auszusprechen, wie Mark es tat, aber die deutsche Sprache verursachte immer wieder Knoten in seiner Zunge.

„Apfel. In English, it means apple. Dieses runde Obst mit dem säuerlichen Geschmack.“ Mark war leicht genervt, wie konnte man das Wort nicht verstehen.

„Ok, very well. Ich verstehen. Apfel.“ Salim sah Mark Anerkennung heischend an, dieser nickte lächelnd.

„Gut. Apfel. Ich denke, das wäre genug für heute. Machen wir morgen weiter. Ich muss noch zum Training.“ Seit Salim vor vier Wochen in seinem Leben und bei seiner Familie aufgetaucht war, hatte Mark die Mannschaft ziemlich vernachlässigt. Die anderen fragten schon, ob er überhaupt noch daran interessiert war, zu spielen.

„Trai…? Ich nix verstehen?“ Salim versuchte das Wort nachzusprechen, welches Mark so schnell daher gesagt hatte, aber die Bedeutung verschloss sich ihm. Noch immer war ihm in diesem Land und auf diesem Planeten einiges fremd, besonders die Hobbys der Erdenbewohner wirkten auf ihn archaisch und roh. Es war so verdammt schwer, Neues zu lernen und sich auf andere Kulturen einzulassen.

„Ja, Training“, riss ihn Mark aus seinen Gedanken. „ Spielt man bei euch kein Fußball? Ich glaube in Syrien gibt es auch eine Fußballmannschaft. Football, you know?“

„Ah, yes. Football. Ich spielen, in Heimat. Nix gut. Aber ich mögen, “ erklärte Salim Mark, in Gedanken bei dem Handbuch, welches er vor seiner Reise von Zyrna studiert hatte. Zum Glück ahnte Mark nichts von seinen Gedanken, Aliens waren hier auf der Erde nicht gut angesehen.

 

„Dann komm doch mit. Hast du Klamotten? Sportkleidung? Nicht? Ok, du hast fast dieselbe Größe wie ich, ich leihe dir was.“ Mark verstaute die Karten und ging hinauf auf sein Zimmer. Dass er Salim seine Sachen angeboten hatte, versetzte ihn in Hochstimmung. Seit Salim bei ihnen eingezogen war, fühlte er sich zu dem gutaussehenden Syrer hingezogen. Aber bisher war diese Zuneigung recht einseitig und Mark war sich nicht sicher, wie der gläubige Salim seine Gefühle aufnehmen würde. In muslimischen Ländern war doch einiges anders und in den Gesprächen, die sie führten hatte Salim immer wieder angedeutet, das von ihm erwartet wurde eine Frau zu heiraten und Kinder zu bekommen. Homosexuelle waren dort Außenseiter, die nichts anders verdient hatten als zu sterben, wenn sie ihre Neigungen lebten. Mark wollte Salim nicht verletzen, konnte aber seine Gefühle nur schlecht verbergen.

Verdammt, irgendwann muss ich mit ihm darüber reden, einfach so. Er ist heiß, verdammt heiß. Und ich wünschte, er würde genauso fühlen wie ich.

„Hier sind die Sachen.“ Mark breitete Trikot, Hose und Schuhe auf dem Küchentisch aus. „ Die müssten dir passen, du bist ja nur ein klein wenig größer wie ich. Wenn du willst, probiere sie an. Ich packe meine Sachen und dann treffen wir uns vor der Tür.“

„Was?“ Salim hatte bei Marks Redefeuerwerk nicht alles mitbekommen. „ Du erklären.“

„Sorry. We meet at the door.“ Draußen hupte es.

„Ah, yes. Du spielen?“

„Fußball. Jetzt gleich, “ erklärte Mark und flitze in sein Zimmer, um seine Sachen zu holen. Draußen wartete bereits sein Vater im Auto auf ihn, erneut hupend.

Im Vereinsheim wurde Salim neugierig, aber freundlich aufgenommen.

„Ich habe ihn zum Probetraining mitgebracht. Bisher hat er noch keinen Asylantrag stellen dürfen, aber ich hoffe, man lässt ihn bleiben. Seine ganze Familie ist in Syrien umgekommen, “ erklärte Mark dem Trainer, Randolf Jung.

„Warum nicht. Zieht euch um und dann ab auf den Platz.“

Salim gefiel diese Sportart, die viel mit Kameradschaft und Teamgeist zu tun hatte. Die Hobbys der Erdenbewohner waren doch nicht so primitiv, wie man auf Zyrna dachte. Wenn er wieder zurück war, konnte er einiges richtig stellen.

„Seit wann bist du in Deutschland“, fragte ihn ein Sportkamerad, als sie sich nach dem Spiel in der Umkleide umzogen.

„Er ist seit vier Wochen hier“, antwortete Mark. „ Salim spricht noch nicht gut Deutsch.“

„What dös he mean?“ Salim sah Mark fragend an.

„ Er wollte wissen, wie lange du hier bist, “ versuchte ihm Mark auf Deutsch zu erklären, aber Salim sah ihn nur fragend an.

„How long are you in Germany, “ übersetze Mark ins Englische.

„Ah, yes. Four weeks.“ Salim hielt vier Finger hoch. „ Ich kommen aus Türkei. Mit Boot. Boot nix gut. Gerettet in Not. Menschen sterben auf Meer. Ich hatten Glück. Weg lang. Gefahr. Nun hier. Hoffen, ich bleiben.“

„Dann herzlich willkommen. Kommt ihr nächste Woche auch?“

„Ja, auf jeden Fall.“ Mark nickte und sah Salim an, was dieser mit einem Lächeln quittierte.

„Play Football. It`s good, “ Salim grinste Mark an.

„Woher kannst du Englisch,“ fragte ein anderer Fußballer, den ihm Mark als Kevin vorgestellt hatte.

„In Syrien ich lernen. Schule. TV, “ versuchte Salim ihm zu erklären. Fragend sah er Mark an, der nickte.

„Englisch ist Weltsprache“, grinste Kevin und verschwand mit dem Handtuch um die Hüften in der Dusche.

Auch so eine Sache, die Salim nicht ganz verstand. Die Flüchtlinge, die er auf seiner Reise getroffen hatte, waren in Bezug auf Nacktheit eher zurück haltend, selbst die Männer. Hier in Deutschland gab es überall nackte Haut, auch im Fernsehen. Salim selber hatte keine Probleme damit, doch als verkleideter Syrer durfte er das natürlich nicht zeigen. Auch nicht, das ihn Nacktheit im Allgemeinen ganz kribbelig machte. Marks Blicke hatte er schon richtig gedeutet, fühlte sich auch geschmeichelt, aber in seiner Verkleidung war eine derartige Liaison nicht hilfreich. Es konnte seine Tarnung aufdecken.

„Morgen Abend Party“, erzählte ihm Mark auf der Rückfahrt nach Hause. „ Danach ist Sonntag, da können wir ausschlafen. Es gibt Grillwurst und Bier. Wenn du kein Bier magst, dann Cola oder so. Meine Mutter will ein syrisches Gericht kochen, extra für dich.“

„Party?“ Salim ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, gehört hatte er es schon und auch in seinem Sprachführer für die Erde gelesen.

„Ja, als Willkommen für dich. Nachbarn kommen und auch einige aus meiner Schule. Wenn du besser Deutsch kannst, kommst du in meine Klasse. Kannst deinen Abschluss nachholen. Du hast ja gesagt, du hast keinen durch den Ausbruch des Krieges.“

„Ich freuen“, strahlte Salim. „ Familie?“

„Ja, Familie. Vielleicht kommen auch Flüchtlinge aus dem Heim. Kennst du da wen?“

„Nein. Alle fremd. Ich aus Süden, andere aus Aleppo. Nix Freunde.“

„Egal. Genießen wir die Feier.“ Mark nickte energisch. „ Das wird sicher super geil.“

Schon am nächsten Morgen schleppte sein Vater Kisten mit Getränken ins Haus. Salim hatte sich angeboten, ihm zu helfen und verfolgte mit Staunen den Strom der Nachbarn, die Platten mit Salaten und Fleisch in die Küche brachten. Offenbar wurde diese Party etwas größer, als Mark angedeutet hatte.

Gegen Mittag rauchte es im Garten schon verdächtig. Zwei Grills waren angezündet worden und Marks Vater kontrollierte die Hitze der Kohle und den Bräunungsgrad des Fleischs.

Schon eine Stunde später drängelten sich in dem kleinen Garten die Menschen. Salim staunte, wer alles zu der Party gekommen war. Er lernte eine Menge neuer Leute kennen, auch einige Flüchtlinge aus dem Heim, die den Weg in den Garten gefunden hatten. Neben diversen Köstlichkeiten vom Grill und Salaten gab es auch Alkohol, den auch Salim probierte. Eine neue Erfahrung, erregend und anregend.

Gegen Abend fand er sich mit Mark und anderen Gästen in der Lounge Ecke im hinteren Teil des Gartens wieder. Es wurde geredet und getrunken.

„Hätte nie gedacht, dass so viele kommen würden“, nuschelte Mark, beduselt vom Alkohol.

„ Das ist Party“, fragte Salim.

„ Das ist Party“, nickte Mark. „ Geht aber noch anders. Ohne Eltern gäbe es auch Crack oder so. Was zu rauchen wäre gut.“

„Rauchen?“

„Ja, ähnlich wie Alkohol. Nur geiler. Du fühlst dich hinterher so, wie nach gutem Sex. Ich kann es besser nicht erklären.“

„Ok. Machen Party mit Rauchen?“

„Warum nicht. Aber meine Eltern müssen weg sein. Die würden das nicht dulden.“

„Warum nicht?“

Mark zuckte mit der Schulter. „Eltern eben. Alles was Spaß macht ist verboten.“

„Eltern nett. Sie vielleicht verstehen?“ Salim nippte an seinem Bierglas.

„Ich glaube nicht. Egal. Im August fliegen sie nach Malta. Die Gelegenheit.“

Als es dunkel wurde, leerte sich der Garten allmählich. Salim und Mark, beide ziemlich angetrunken, wankten weit nach Mitternacht hinauf in ihre Zimmer.

„Kannst noch bleiben“, lallte Mark und hielt Salim fest. „ Ist so einsam hier.“

„Ich schlafen“, nuschelte Salim, während Mark schwer in seinen Armen hing.

Unversehens fand er sich mit Mark in dessen Bett wieder, als er ihn aufs Bett legen wollte. Salim machte es nichts aus, auch als sich Mark eng an ihn kuschelte. Während der blonde Deutsche sofort tief und fest schlief, machte sich Salim so seine eigenen Gedanken. Er versuchte auch die Auswirkungen des Alkohols abzuschütteln, die ihn träge und müde machten. Noch immer glaubte er Watte im Kopf zu haben, die ihn keinen klaren Gedanken fassen ließen.

Hätte ich ablehnen sollen, als Mark mir Bier anbot, fragte er sich. Die Erdbewohner, mit denen ich in dieses Land kam, hätten sicher nein gesagt und auf ihre Religion verwiesen. Aber auch einige von ihnen sah ich im Lager trinken. Es scheint hier ein globales Phänomen zu sein oder Problem. Verdammt, was steht dazu in meinem Handbuch?

Als er sich aus Marks Armen winden wollte, um Bett und Zimmer zu verlassen, murmelte sein Freund irgendwas und hielt ihn nur noch fester. Salim glaubte „ Ich liebe dich“ zu verstehen, war sich aber nicht sicher.

Habe ich zu viel von mir verraten, fragte er sich erneut. An die vergangenen Stunden konnte er sich nur vage erinnern. War da ein Wort, das ihn als das verriet, was er war? Ein Außerirdischer? Salim schüttelte den Kopf und versuchte sich erneut zu befreien. Vergeblich.

Das Mark Gefühle für ihn hegte, hatte er schon mitbekommen. Bisher war sein Freund aber vorsichtig gewesen, da er Salim nicht einschätzen konnte und seine Gefühle nicht verletzen wollte. Er hatte mal erwähnt, er sei schwul oder homosexuell. Wieder ein Wort der Erdbewohner, das Salim nachschlagen wollte.

Morgen früh, oder sobald sich Mark umdrehte, schleiche ich mich in mein Zimmer, dachte Salim, bevor ihm dann doch seine Augen zufielen.

Am anderen Morgen hatte er Kopfschmerzen, als er die Augen öffnete. Und übel war ihm auch.

Mark lag neben ihm wie ein Embryo zusammen gerollt und schnarchte lautstark. Vorsichtig und schwankend, Salim wurde schwindelig als er sich aufsetzte, verließ er Marks Bett und tapste zum Bad, wo er sich übergab.

Verdammter Alkohol, das nächste Mal überlege ich mir, ob und was ich trinke, fluchte Salim und schwankte zurück in sein Zimmer. Dort schlief er bis zum Mittag.

„Geht es wieder“, fragte Marks Mutter, als Salim auf der Suche nach etwas zu essen in die Küche kam.

„Kopf schmerzt“, antwortete Salim und zog eine Grimasse, die stechende Schmerzen auslöste.

„Das kommt davon. Ich habe Kopfschmerztabletten. Hier.“ Sie drückte ihm die Packung in die Hand. „Außerdem viel trinken und etwas essen. Wie wäre es mit Gurken oder Rollmöpsen?“

Salim schüttelte sich, nach saurem Fisch war ihm so gar nicht.

Kurz darauf tauchte auch Mark in der Küche auf, konnte aber Salim nicht ins Gesicht sehen und drückte sich auch vor einem Gespräch. Trotz Kopfweh amüsierte das Salim. Konnte sein Freund nicht zu seinen Gefühlen stehen oder nahm er noch immer Rücksicht?

Erst am Abend, als sie zusammen im Garten saßen, entschuldigte sich Mark für die vergangene Nacht. „Es tut mir leid“, erklärte er. „ Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich hoffe, du nimmst es nicht zu persönlich?“

„Why? Nix passiert. Ich nicht böse, “ versuchte ihn Salim zu beruhigen.

„Ich mag dich, Salim. Sehr sogar. Aber es war dumm von mir, die Situation auszunutzen. Ich hoffe, du verzeihst mir?“

„ To forgot. I forgot this night. Ist ok. Ich mag dich. Du nicht verletzt meine Gefühle. Alkohol. -Ich denken so, Vater denken anders. Er sagen, du Frau. Du Kinder. Wenn anders, dann nix Sohn. Ich kriegen Ärger. Aber ich anders. Nur nicht leben so. Verstehen?“ Was konnte Salim Mark sonst sagen? Er hatte keine Probleme mit anderer Sexualität, aber das durfte er nicht so äußern. Noch immer war er hier als Syrer.

„ ch verstehe. Es ist nur schade, du bist ein super Typ. Und ich wünschte, es würde mehr daraus.“ Mark seufzte.

„Ist gut. Irgendwann du verstehen. Bleiben Freunde?“ Salim streckte Mark die Hand hin.

„Freunde.“

„Dann gut“, lächelte Salim. Er dachte an seinen Planeten, ZX3 auch Zyrna genannt, auf dem vieles fortschrittlicher war. Auch die Sexualität seiner Bewohner, jeder durfte lieben wen er wollte, es gab keine Beschränkungen. Irgendwann würde er wieder zurück reisen, dann wollte er Mark einen Brief hinterlassen und ihm erklären, was er wirklich empfand und wer er war. Mark würde ihn schon verstehen, da war sich Salim sicher. Nur heute würde er schweigen und den Abend genießen.

Comeback

Der Mann auf der Terrasse der karibischen Villa knallte mit Schwung die Tageszeitung auf den Tisch, dass der Kaffee in seiner Tasse gefährlich hin und her schwappte.

„ Was denken die sich dabei? Eigentlich hatte ich gedacht, hier meine Ruhe vor ihnen zu haben. Aber das war ein Trugschluss. Nicht mal die Treppe herunterfallen kann man, ohne das die darüber schreiben.“ Er streckte sein Gipsbein aus und griff nach der Tasse.

„ Du vergisst, dass du betrunken warst, als du den Adler machtest“, bemerkte sein Gast, ein Mann mittleren Alters, der mit ihm am Tisch saß.

„ Adler? Eher Falke, “ grummelte der erste Mann und trank einen Schluck.

 

„ So oder so, damit lebst du schon viele Jahre lang, Hans. Lass das Saufen und du machst keine Schlagzeile mehr.“

„ Die sind aber gut fürs Geschäft“, brummte Hans gereizt und stellte den Kaffee wieder auf den Tisch. Nachdenklich überflog er die Schlagzeilen und blieb bei einer spektakulären hängen.

„ Die Nachricht hier unten ist viel interessanter. Reisebus kracht in Kleinwagen. Kannst du dir vorstellen, dass ich in dem Wagen gesessen haben könnte? Erst vorgestern war ich dieser Disko in der Nähe. Wenn ich nicht diesen Unfall gehabt hätte, wer weiß was dann passiert wäre?“ Hans verriet seinem Bekannten nichts von den Alpträumen, die er seit einigen Tagen hatte. Immer die gleiche Szene: Er saß in seinem Geländewagen und plötzlich kam ihm auf der Straße dieser Bus entgegen. So sehr er sich bemühte, er konnte ihm einfach nicht ausweichen. Kurz, bevor er mit seinem Wagen in den Bus kollidierte, wachte er immer schweißgebadet auf. Selbst jetzt war das Bild sehr präsent, und ließ sich nicht vertreiben.

„Drei Zeilen, mehr nicht. Du und dein Treppensturz, ihr seid halt interessanter.“ Sein Bekannter Stefan lachte.

„Ich weiß noch nicht, ob ich die Geburtstagsparty geben werde. Mit Gips auf der Bühne ist net so toll. Auch wenn meine Freunde kommen und die Mutter, natürlich.“

„Spielen musst du ja nicht. Auch wenn es das Highlight des Abends wäre. Absagen wäre aber auch nicht klug. Es ist gute Werbung für deine nächste Platte.“

„Ob ich die so ausbringe, wie sie ist, weiß ich nicht. Ich bin net zufrieden mit ihr. Und die Plattenfirma auch nicht. Im März fliege ich heim, dann werde ich mit denen reden.“ Hans rückte unbehaglich auf seinem Stuhl umher. Die neue Platte war ein Thema, das er lieber ausließ. Zu viele Jahre waren seit der letzten vergangen. Konnte er an sie noch anknüpfen?

„Ich muss los, Hans. Der Meyer wartet auf mich. Wir sehen uns.“ Sein Bekannter verabschiedete sich mit Handschlag und verließ die Villa.

Hans humpelte aus der Sonne ins Haus und versuchte seine Freundin zu erreichen. Aber in Wien ging niemand ans Telefon.

Immer, wenn man sie braucht, sind sie nicht da, dachte er genervt. Verdammtes Weib. Macht mir erst schöne Augen und verpisst sich dann. Wenn ich wieder in Europa bin, muss ich mit ihr reden. Mist, ich will nicht alleine sein. Was mache ich hier nur, so lädiert wie ich bin?

Die nächsten Tage versuchte er, seine Geburtagsparty zu planen und rief alle möglichen Leute an. Die meisten seiner Freunde hatten schon zugesagt. Aber so viele enge Freunde hatte er ja nicht. Restaurant und Bühne waren gemietet und die Hotelzimmer reserviert.

Die Feier sollte sein Comeback einläuten und Werbung werden für die nächste LP, die Anfang März in den Handel kommen sollte. Auch wenn er nicht so recht wusste, ob er nicht doch alles anders machen sollte. Irgendwie war er mit dem Ergebnis nicht zufrieden.

Der Tag der Feier rückte näher und Menschenmassen tummelten sich auf dem Gelände des Ressorts, in dem auch seine Villa lag. Auch seine Mutter war angekommen, vom Flughafen abgeholt von einem Bekannten, da Hans ja nicht fahren konnte, was ihn mächtig wurmte. Aber es war nichts zu machen, das Bein war und blieb gebrochen.

„ Du machst Sachen, Bub“, seine Mutter schüttelte nur den Kopf. „ Denkst du nicht, es wird Zeit mit dem Saufen aufzuhören? Das nächste Mal brichst du dir die Ohren.“

„ Ich weiß, Mamsch. Aber ich schaff es einfach net. Können wir nicht von was anderem reden?“ Alkohol war ein weiteres Thema, über das Hans nicht gerne sprach. Vor allem nicht mit seiner Mutter.

„ Du brauchst eine Frau, Bub. Eine resolute und bodenständige. So wie die, die du letztes Jahr vergrault hast. Was macht sie eigentlich?“

„ Ich weiß es nicht, habe schon eine Weile nicht mit ihr gesprochen. Es dürfte ihr auch nicht gefallen, das ich jemand anderes kennengelernt habe.“ Hans verschwieg ihr das letzte Telefonat, das er mit ihr geführt hatte. Seit eine andere Frau in sein Leben getreten war, dachte er nicht mehr sehr oft an sie.

„ Und wo ist die?“ Seine Mutter ließ nicht locker.

„ In Wien, wo sonst.“ Um dem Verhör zu entkommen, stand er auf und humpelte nach draußen zum Pool.

„ Du solltest vorsichtiger sein, Hans. Mit dem Bruch ist nicht zu Spaßen.“

„ Ich fahre ja nicht mal mehr Auto. Aber bewegen muss ich mich, hat der Arzt gesagt. Sonst heilt es nicht richtig.“

„ Seit wann tust du, was der Arzt sagt?“ Seine Mutter brachte ihm sein Mineralwasser nach draußen. „ Brauchst du noch was?“

„ Nein. Geh nur zu deinen Bekannten ins Hotel, wenn du willst. Ich komme schon zurecht.“

Drei Wochen verbrachte seine Mutter mit ihm hier in der Karibik. Sie half ihm auch, seine Geburtstagsfeier vorzubereiten.

Sie wurde ein riesiger Erfolg, so wie er sich das gewünscht hatte.

Anfang März flog er dann zurück nach Europa, um mit seiner Plattenfirma die Modalitäten seiner neuen Platte zu besprechen, die in diesem Monat in die Läden kommen sollte. Immer noch unzufrieden und unsicher, ob sie ein Erfolg werden würde. Und auch die Firma hatte einiges auszusetzen, aber sie sagten, es wäre nun der richtige Zeitpunkt um einen neuen Start zu wagen, nach dem ja die erste Singleauskopplung ein Flop geworden war.

Nach dem Gespräch in dem Büro brauchte Hans frische Luft und so beschloss er hinunter an den Rhein zu fahren und ein wenig zu laufen. Sein Bruch heilte erstaunlich gut. Bald würden sie den Gips schon abnehmen, dann könnte er auch wieder Sport machen.

Auf der Promenade am Rheinufer war es ziemlich ruhig, und nur wenige Menschen um diese Zeit unterwegs.

Hans blickte mit gerümpfter Nase in den bleigrauen Himmel. Kein Wunder, bei dem Wetter, dachte er genervt. Seit seiner Ankunft regnete es und es würde auch wohl noch regnen, wenn er Deutschland wieder verlassen hatte.

Er war so in Gedanken versunken, dass er die Frau auf dem Fahrrad gar nicht bemerkte, bis kurz vor ihm die Bremsen quietschten.

„ Verdammt, können Sie nicht aufpassen“, fauchte Hans erschrocken sein Gegenüber an und blickte in tiefwasserblaue Augen.

„ Es tut mir leid, ich habe geklingelt, aber anscheinend haben Sie es nicht mitbekommen.“ Die Frau war vom Sattel gerutscht und rieb sich das Knie, dass sie sich am Lenker gestoßen hatte. „ Wo hatten Sie nur ihre Augen?“

„ Sind Sie verletzt“, Hans deutete auf ihr Bein und beantwortete ihre Frage nicht.

„ Nicht schlimm, nur ein Kratzer. Und Sie?“ Die Frau musterte ihn skeptisch.

„ Mir geht es gut. Verdammtes Mistwetter heute. Eigentlich sollte man bei diesem Wetter besser zu Hause bleiben.“ Der Mann überlegte, ob er die Frau auf einen Kaffee einladen sollte, als Wiedergutmachung sozusagen.

„ Wenn man das könnte. Leider musste ich arbeiten, sonst wäre ich nicht unterwegs.- Sie sind nicht von hier, oder?“ Die Frau war nun gänzlich abgestiegen und musterte kritisch ihren Vorderreifen.

„ Klug erkannt. Ich komme aus Österreich. Und Sie? Leben Sie hier?“ Die Frau gefiel ihm immer besser, denn bisher hatte sie ihn nicht erkannt.

„ Zurzeit lebe ich hier. Ich bin wie die Zugvögel, die der Arbeit nachreisen. Wir sollten uns ein trocknes Plätzchen suchen, sonst werde ich noch zum Fisch, “ meinte die Frau lachend und deutete auf die Tropfen, die immer dicker wurden.

„ Ich halte Sie auf? Tut mir leid, wenn Sie keine Zeit haben, will ich Sie nicht länger stören.“

Doch kein Kaffee in netter Gesellschaft? Die Frau machte es ihm nicht leicht.

„ Was halten Sie von einem Kaffee? Es ist zwar nicht meine Zeit, aber jetzt brauche ich was Warmes auf den Schrecken. Das Café dort soll ganz gut sein, sagte man mir.“ Sie deutete auf ein Caféhaus, dessen Garten noch im Winterschlaf lag. Im Innern aber lockten Licht und Wärme die ersten Gäste, die sich bei dem Wetter auf die Promenade verirrt hatten.

„ Sie waren dort noch nie“, fragte Hans erstaunt.

„ Nein, ich gehe eher selten Kaffeetrinken. Keine Zeit. Und Sie? Als Österreicher müssten Sie Stammgast in diversen Cafés sein.“

„ Sagt man das? Ich bin überall Stammgast, nicht nur in Cafés, “ murmelte Hans bitter. Und lauter: „ Kommen Sie. Wenn ich hier stehen bleibe, wasche ich noch aus.- Ich bin übrigens der Hans. Wie heißen Sie?“