Buch lesen: «Hochschulrecht im Freistaat Bayern», Seite 6

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d) Die Entwicklung der bayerischen Universitäten in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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Im Jahr 1985 erfolgte die erste größere Überarbeitung des HRG, die nach dem Regierungswechsel von 1982 vor allem von der Ernüchterung über den Misserfolg der 1976 umgesetzten Reformbemühungen geprägt war.[136] Dabei wurde zunächst die Gesamthochschule als Regelform gestrichen, eine Entwicklung, die Bayern bereits mit der Umbenennung der Bamberger und Eichstätter Gesamthochschulen in Universitäten vorweggenommen hatte. Außerdem wurden die Möglichkeiten zur Einwerbung von Drittmitteln erweitert, um der Universität alternative Finanzierungsquellen zu erschließen. Darüber hinaus brachte die Novellierung die Gleichstellungsforderung, die in Bayern mit der Einführung der Frauenbeauftragten aufgegriffen wurde. Das Genehmigungserfordernis für Studienordnungen fiel, auch wenn die Skepsis über die neue Freiheitsgewährung in mehreren relativierenden Vorschriften ihren Ausdruck fand. Im Zulassungsrecht wurden Auswahlgespräche als mögliches Zulassungskriterium eingeführt. Die 1988 erfolgte Umsetzung des Rahmenrechts durch den Freistaat[137] orientierte sich am bundesrechtlich zwingend vorgegebenen Änderungsbedarf. Das Studienzulassungsrecht bildet weiterhin einen Brennpunkt der juristischen Auseinandersetzungen im Hochschulbereich. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich unter anderem mit der Frage der Erschwerung des Zweitstudiums zu befassen[138] und kam zu dem Ergebnis, dass diese in der Form des Art. 58 Abs. 5 BayHSchG mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot und dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit vereinbar sei, da sie einen verhältnismäßigen Eingriff zum Zwecke der Entlastung der Universität von Langzeitstudenten bilde.

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Das wissenschaftliche Personalrecht, seit 1978 niedergelegt im Hochschullehrergesetz,[139] wurde wie auch das BayHSchG erst 1989 an das veränderte HRG angepasst.[140] Dabei erfolgte vor allem eine Aufwertung des Wissenschaftlichen Assistenten und ein Wegfall der C-2-Professuren an Universitäten.

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In diese Zeit fiel auch eine weitere Universitätsneugründung, nämlich der als Einrichtung bereits seit 1973 bestehenden und 1981 vom Freistaat anerkannten Hochschule der Bundeswehr in München. Sie wurde 1985 zur Universität in der Form der Gesamthochschule, an der seit 2001 durch eine Änderung des BayHSchG auch zivile Studenten ausgebildet werden. Außerdem erkannte der Freistaat mehrere nichtstaatliche Hochschulen an.[141]

e) Die organisationsrechtliche Reformära um die Jahrhundertwende und die (Ent-)Fesselung des Reformgesetzgebers durch die Verfassungsgerichte

aa) Änderungen des HRG (1998/2002) und Reföderalisierung

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Im August 1998 hat die CDU/CSU/FDP-Koalition im Bund eine erneute, umfassende und alsbald in das bayerische Hochschulrecht umgesetzte[142] Reform des Hochschulrahmengesetzes beschlossen, die vor allem auf eine Rücknahme der bundesrechtlichen Regelungsdichte, insbesondere im Organisationsrecht, gerichtet war.[143] Durch das Reformgesetz gelangte auch erstmals unter der Zielvorgabe einer stärkeren Leistungsorientierung der Universitäten die verpflichtende Evaluation von Forschung und Lehre in das Hochschulrahmenrecht,[144] ebenso die probeweise Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen.[145] Insgesamt wurde den Ländern ein deutlich weiterer Spielraum zur Gestaltung ihres Hochschulrechts eröffnet, der in der Folgezeit zu einer erheblich gestiegenen Formenvielfalt führte.

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Im Jahre 2002 erfolgte eine weitere grundlegende (fünfte) Änderung des HRG,[146] deren Herzstück die Einführung einer so genannten Juniorprofessur mit dem Ziel der Ablösung der Habilitation bildete. Ein insbesondere vom Freistaat Bayern gestellter Normenkontrollantrag führte indes vor dem Bundesverfassungsgericht zum Erfolg und damit zur Nichtigkeit des aufgrund seiner Undifferenziertheit und Unkenntnis gewachsener wissenschaftlicher Fächerkulturen verfehlten Änderungsgesetzes.[147] Das Bundesverfassungsgericht konnte hierbei auf die in seiner Altenpflege-Entscheidung[148] entwickelten Grundsätze rekurrieren. Den ohnehin strengen Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG, die diese Bestimmung durch die Verfassungsreform 1994 erhalten hatte und die durch den einengenden Charakter der Rahmengesetzgebung nach Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG (a.F.) noch an Schärfe gewannen, konnte die von der Bundesregierung nicht belastbar begründete HRG-Novelle nicht Stand halten. Damit beförderte das Bundesverfassungsgericht eine Reföderalisierung des Hochschulrechts, die, wiederum auch auf bayerische Initiative, durch die Entscheidung des Gerichts zum bundesrechtlichen Verbot der Studiengebühren und der flächendeckenden Einführung der sog. verfassten Studierendenschaft[149] bestätigt wurde.[150]

bb) Die landesgesetzlichen Hochschulorganisationsreformen

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Insgesamt begann für das deutsche Hochschulrecht mit der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert eine Phase des Umbruchs im Zeichen gewährleistungsstaatlicher Konzepte und des Neuen Steuerungsmodells (New Public Management)[151]. In der Folge kam es zu einer fortschreitenden Ökonomisierung und Umgestaltung der Hochschulorganisation, namentlich durch deutliche Stärkung der Leitungsorgane (Hierarchisierung) nach dem Vorbild von Wirtschaftsunternehmen („Vorstand“, „Aufsichtsrat“),[152] die oft mit Forderungen nach einer wirtschaftlicheren Arbeitsweise (Effizienz, Zielvereinbarungen, Controlling, etc.) und der Umsetzung gesamtstaatlicher Sparziele verknüpft war. Dabei stand vor allem die Einführung von Hochschulräten in der Kritik.[153]

cc) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum LHG Brandenburg

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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[154] zum Brandenburgischen Hochschulgesetz in der Fassung von 1999/2004[155] hat den in diese Richtung gehenden gesetzgeberischen Reformen aus bundesverfassungsrechtlicher Sicht sehr weit gehende Spielräume eröffnet und die Maßstäbe des Demokratieprinzips sowie vor allem der Garantie akademischer Selbstverwaltung auf bedenklich weitgehende Weise zurückgenommen (Leitbild der von konstitutionellen Bindungen nahezu befreiten und insoweit „entfesselten“ Hochschule[156]).

dd) Popularklage gegen Teile der bayerischen Hochschulorganisationsreform

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Das BayHSchG 2006[157] nahm mit dem zentralen Steuerungsinstrument der Zielvereinbarung (Art. 15 BayHSchG), der Hochschulentwicklungsplanung (Art. 14 BayHSchG), vor allem aber mit dem Ziel einer Hierarchisierung (Stärkung der Hochschulleitung) und einer Flexibilisierung der Finanzplanung die Empfehlungen der Expertenkommission „Wissenschaftsland Bayern 2020“ (sog. Mittelstraß-Kommission) vom März 2005 auf. Es sah außerdem die Einführung von Studiengebühren (Art. 71 BayHSchG a.F.)[158] und die – in anderen Bundesländern teils bereits vollzogene – rechtliche Verselbstständigung der Universitätsklinika vor. Die Hochschulräte wurden neu konzipiert und umfassen seitdem auch die gewählten Mitglieder des Senats (Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayHSchG). Schließlich gab eine Öffnungsklausel den Hochschulen, die bereits durch ihre Grundordnung mit Abweichungen vom gesetzlichen Grundtypus experimentieren können, die Möglichkeit zur Erprobung neuer Konzepte in eigener Regie nach Maßgabe einer Rechtsverordnung (Art. 106 Abs. 2 BayHSchG).[159]

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Verfassungsrechtliche Streitpunkte bildeten dabei vornehmlich die Wahl der Hochschulleitung durch den Hochschulrat (Art. 21 Abs. 1 S. 1, Art. 26 Abs. 1 S. 1 BayHSchG) sowie die Übertragung der Kompetenz, Berufungsvorschläge aufzustellen, auf den Präsidenten der Hochschule (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 11 BayHSchG i.V.m. Art. 18 Abs. 5 S. 1 bis 3 BayHSchPG). Als verfassungsrechtlich prekär stellt es sich insbesondere dar, dass der Hochschulrat zwar mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet wurde, jedoch nur unzureichend legitimiert ist, da er lediglich hälftig (damals: 8 von 16 Mitglieder [heute: 10 von 20, eigentlich 11 von 20, jedoch hat die Frauenbeauftragte kein Stimmrecht]) mit Vertretern der Hochschule besetzt ist, davon (nur) 5 Hochschullehrer neben drei Vertretern der unterschiedlichen Gruppen (Art. 26 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 S. 1 BayHSchG). Die rechtswissenschaftlichen Fakultäten der bayerischen Universitäten haben daher im Dezember 2006 Popularklage (Art. 98 S. 4 BV) gegen die genannten Neuregelungen erhoben.[160] Der BayVerfGH hat die Popularklage jedoch als unbegründet abgewiesen und sich hierbei vor allem auf die Betonung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zurückgezogen[161] und erklärt, der Gesetzgeber sei bei seiner Ermessensbetätigung weder an bestehende noch an überkommene Organisationsmodelle gebunden, sondern vielmehr berechtigt, das Hochschulrecht heutigen gesellschaftlichen und wissenschafts-soziologischen Gegebenheiten anzupassen. Insbesondere die Etablierung eines hälftig extern besetzten Hochschulrates sei zulässig; in diesem müssten die Hochschullehrer keine strukturelle Mehrheit haben, da die Zuständigkeiten des Gremiums (Art. 26 Abs. 5 BayHSchG) keine unmittelbare Relevanz für die Forschungs- und Lehrfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers hätten. Der BayVerfGH hat aber in den Gründen seiner Entscheidung immerhin vorsichtig zu erkennen gegeben, dass die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers mit der bayerischen Hochschulorganisationsreform 2006 weitgehend ausgeschöpft wurden, was mit dazu beigetragen haben dürfte, eine – von Teilen der bayerischen Hochschulpolitik befürwortete – noch „progressivere“ Reformgesetzgebung seitdem auszubremsen.[162] Verfassungsrechtsdogmatisch enttäuscht das Urteil jedoch in weiten Teilen und erweist sich auf erstaunliche Weise unitarisch (nahezu „blinde“ Anlehnung an das „BbgHG-Urteil“ des BVerfG[163]) und kraftlos.[164] Der BayVerfGH hat es dagegen insbesondere versäumt, die traditionsbeladene institutionelle Selbstverwaltungsgarantie des Art. 138 Abs. 2 BV mit Leben zu erfüllen. Stattdessen zog er es – kaum im Sinne der Mütter und Väter der Bayerischen Verfassung sowie einer überzeugenden systematischen Auslegung (die den Selbststand jeder Norm zu wahren hat) – vor, Art. 138 Abs. 2 BV interpretatorisch zu einem bloßen Abbild der objektiv-rechtlichen Dimension der Wissenschaftsfreiheit (Art. 108 BV) ohne eigenständigen Aussagegehalt herabzustufen.

ee) Trendwende: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Hamburgischen Hochschulgesetz, zur Medizinischen Hochschule Hannover und zur Akkreditierung

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Die Beschlüsse des BVerfG „Hamburgisches Hochschulgesetz“ von 2010[165] sowie „Medizinische Hochschule Hannover“ von 2014[166] markierten sodann eine gewisse, durch das BVerwG bereits vorbereitete,[167] vom BayVerfGH bislang indes noch nicht nachvollzogene, Kehrtwende der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Hochschulorganisationsgesetzgebung der Länder, die die weitgehende „Entfesselung“ des Hochschulgesetzgebers (Dekonstitutionalisierung) beendete und im Schrifttum daher mit Recht auf Zustimmung stieß.[168] Das BVerfG stellte fest, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verlange im organisationsrechtlichen Bereich, „dass die Träger der Wissenschaftsfreiheit durch ihre Vertreter in Hochschulorganen Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit abwehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit in die Universität einbringen können. Der Gesetzgeber muss daher ein hinreichendes Niveau der Partizipation der Grundrechtsträger gewährleisten.“[169] Konkretisierend heißt es sodann: „Das Gesamtgefüge der Hochschulverfassung kann insbesondere dann verfassungswidrig sein, wenn dem Leitungsorgan substantielle personelle und sachliche Entscheidungsbefugnisse im wissenschaftsrelevanten Bereich zugewiesen werden, dem mit Hochschullehrern besetzten Vertretungsgremium im Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch keine maßgeblichen Mitwirkungs- und Kontrollrechte verbleiben.“[170] Für den vorerst letzten, die Wissenschaftsfreiheit revitalisierenden jurisdiktionellen „Paukenschlag“ sorgte der Akkreditierungs-Beschluss des BVerfG vom 17. Februar 2016,[171] der nicht nur die Akkreditierung von Studiengängen nach dem bisherigen nordrhein-westfälischen Landesrecht (sog. Programmakkreditierung) für unvereinbar mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG erklärte (und in seinen tragenden Gründen dabei auch auf die System- und institutionelle Akkreditierung anwendbar ist[172]), sondern auch wiederum mit grundsätzlichen Ausführungen zum Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aufwartete. Letzteres „steht zwar Vorgaben zur Qualitätssicherung von Studienangeboten grundsätzlich nicht entgegen. Wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung darf der Gesetzgeber jedoch nicht weitgehend anderen Akteuren überlassen, sondern muss sie unter Beachtung der Eigenrationalität der Wissenschaft selbst treffen.“[173] Auf Länderebene setzte zuletzt der VerfGBW[174] die neuere Linie des BVerfG einer verschärften verfassungsgerichtlichen Kontrolle des Hochschulgesetzgebers konsequent fort und kehrte mit Blick auf Art. 20 Abs. 1 LVBW zu den Grundsätzen zurück, die das BVerfG in den 1970er entwickelt hatte, indem der VerfGHBW das Erfordernis hinreichend effektiver Mitwirkungsrechte des Senats bei Bestellung und Abberufung der (mit starkem Kompetenzübergewicht ausgestatteten) Hochschulleitung[175] herausstellte und vor diesem Hintergrund die insoweit defizitäre Regelung gem. § 18 Abs. 1–3, Abs. 5 S. 1–4 BWLHG für verfassungswidrig erklärte.

f) Die Reföderalisierung des Hochschulrechts durch die Föderalismusreform I (2006) und ihre praktisch geringen Effekte

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Die bayerische Hochschulpolitik wird – ebenso wie die Hochschulpolitik der anderen deutschen Länder – auch maßgeblich determiniert durch die Vorgaben des Grundgesetzes im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen. Auswirkungen auf die Hochschulpolitik hatte insoweit vor allem die Föderalismusreform I (2006)[176]. Sie hat die Materien „Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse“ in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bunds überführt (Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG) und diese von der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG ausgenommen; zugleich hat sie den Ländern jedoch das Recht zur Abweichungsgesetzgebung eingeräumt (Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 GG)[177]. Die bisherige Rahmengesetzgebung (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1a GG a.F.) wurde im Gegenzug gestrichen. Ferner wurde die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau in Art. 91a Nr. 1 GG gestrichen und an ihre Stelle traten umfangreichere Fördermöglichkeiten nach Art. 91b Abs. 1 GG; zudem ist der Bund seit der Föderalismusreform I auch in die internationale Evaluation des gesamten Bildungswesens eingebunden (Art. 91b Abs. 2 GG)[178].

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Die Reform verfehlte jedoch (zumindest bislang) die mit ihr intendierte pro-föderalistische, vielfaltsstärkende Wirkung im Hochschulbereich. Der übermächtige politische Druck, bundesweit einheitliche Lebensverhältnisse[179] herzustellen, hat eine effektive Reföderalisierung weitgehend verhindert.[180] Überdies verfügen überhaupt nur sehr wenige Landeshochschulgesetzgeber über die Kapazitäten und den politischen Willen, von den ihnen neu eingeräumten Kompetenzen auf eine den „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ im Bereich der Hochschulen[181] tatsächlich fördernde Weise Gebrauch zu machen. Alles dies zusammen genommen hat in der Rechtswissenschaft zu dem ernüchternden, aber wohl realistischen Zwischenfazit geführt: „Der Bund ist heute auch im Bereich der Bildungspolitik stärker denn je und die erhoffte Pluralisierung gibt es im Ergebnis nicht einmal im Hochschulorganisationsrecht.“[182]

g) Jüngste Entwicklungen in der bayerischen Hochschulpolitik und -gesetzgebung

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In den Jahren nach der grundlegenden Organisationsrechtsreform von 2006 beschränkte sich die bayerische Hochschulpolitik und -gesetzgebung weitgehend auf ergänzende oder korrigierende einzelproblembezogene Steuerungsmaßnahmen oder Nachsteuerungen sowie die Bewältigung von konkreten, eher punktuellen Einzelfragen, die sich in der Folge oder als Folge der Reform von 2006 stellten, ohne dabei allerdings eine vergleichbare grundsätzliche Dimension zu haben.[183] In diesem Zusammenhang erfuhr insbesondere das BayHSchG mehrere Änderungen.[184] Mit Gesetz vom 7. Juli 2009[185] wurde ein Modellversuch bezüglich der Übertragung des Professorenberufungsrechts auf die Hochschulen gestartet (der, soweit ersichtlich, bislang grundsätzlich erfolgreich verlaufen ist) und der Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte eingeführt. Mit Gesetz vom 23. Februar 2011[186] wurde u.a. die Möglichkeit, Studiengänge berufsbegleitend durchzuführen, geschaffen, die Lissabon-Konvention (über die erleichterte Anrechnung von im In- und Ausland erworbenen Qualifikationen) umgesetzt, die Anrechenbarkeit von außerhochschulischen Leistungen auf ein Hochschulstudium geregelt, die Möglichkeit zur Einführung sog. Modulstudien und Zusatzstudien geschaffen und die kooperative Promotion zwischen Universitäten und Fachhochschulen vorgesehen. Mit Gesetz vom 9. Juli 2012[187] wurde die Zusammensetzung des Senats und des Hochschulrates geändert. Mit Gesetz vom 7. Mai 2013[188] wurden die Studiengebühren wieder abgeschafft und gleichzeitig mit Einfügung von Art. 5a BayHSchG den Hochschulen Mittel zum Ausgleich in Höhe von 189 Mio. Euro jährlich bereitgestellt, die zweckgebunden sind und über deren Verwendung paritätisch mit den Studierenden zu entscheiden ist.

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Die Wissenschaftsjuristinnen und -juristen bemühten sich in den letzten Jahren insbesondere um erste – auch rechtsvergleichende[189] – Zwischenbilanzen hinsichtlich der praktischen Bewährung der neuen universitären Leitungsstrukturen,[190] „entdeckten“ traditionsreiche Themen wie die Lehrfreiheit,[191] die Stellung von Hochschullehrern der Theologie[192] oder Altersgrenzen (in concreto: für Studierende an Kunsthochschulen[193]) neu, stimmten einen (verfrühten) „Nachruf auf das Hochschulrahmengesetz“ an[194] oder beschäftigten sich (weiter) mit „Dauerbrennern“ wie der W-Besoldung,[195] der „Evaluitis“[196], der Exzellenz-Initiative,[197] der Hochschul-Medizin,[198] dem Hochschulerfindungsrecht,[199] der Rechtsstellung von Fachhochschullehrern[200] oder Umsetzung und Wirkungen der Bologna-Reform in den hiervon betroffenen Studiengängen[201] (zu denen die deutsche Juristenausbildung – erfreulicherweise – nicht gehört).[202]

1. Kapitel Grundlagen › I. Die Geschichte der Bayerischen Hochschulen › 9. Ausblick

9. Ausblick

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Auch zukünftig sehen sich die bayerischen Hochschulen und der bayerische Hochschulgesetzgeber „zwischen föderalem Kartell und internationalem Wettbewerb“[203], sprich hineingestellt in eine sich weiterhin dynamisch und tendenziell unitarisierend entwickelnde deutsche Hochschullandschaft insgesamt sowie in die Prozesse der Ökonomisierung einerseits sowie der Europäisierung[204] und Internationalisierung andererseits.[205] Die unter den Leitideen der Wettbewerbsfähigkeit, Standortsicherung, Internationalisierung und Ökonomisierung eingeleitete Entwicklung wird sich fortsetzen, auch wenn sich ihre Geschwindigkeit mittlerweile spürbar abgeschwächt hat. Die Grenzen der Machtkonzentration bei den Hochschulleitungen[206] treten immer offensichtlicher zutage. Auch leerformelhafte „Newspeak“-Begriffe wie Governance,[207] Output-Orientierung und Management-Universität[208] können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kollegialorgane und die körperschaftlichen Strukturen, in denen unverändert das Höchstmaß an akademisch-pluralistischem, intrinsisch motiviertem Sachverstand gebündelt ist, auf Dauer nicht mehr in der bisherigen Weise entmachtet werden können, soll nicht die Qualität und der Ruf der „deutschen Universität“ im Sinne eines international anerkannten Gütesiegels, das gerade im Geiste von Kollegialprinzip[209] und Autonomie[210] (Freiheit) über lange Zeiträume gewachsen ist, (noch mehr) Schaden nehmen.[211]