Anekdoten frommer Chaoten

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Anekdoten frommer Chaoten
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Titel

ADRIAN PIASS & JEFF LUCAS

ANEKDOTEN frommer Chaoten

ADRIAN PIASS & JEFF LUCAS

ANEKDOTEN frommer Chaoten

Aus den Englischen von Christian Rendel


Copyright

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 9783865064455

© der deutschsprachigen Ausgabe

2011 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Originaltitel: Seriously Funny

First published in 2010 by Authentic Media, Great Britain.

Copyright © 2010 by Adrian Plass and Jeff Lucas.

Umschlaggestaltung: Brendow Verlag, Moers. Satz:

www.brendow-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Copyright

EINLEITUNG: ADRIAN

EINLEITUNG: JEFF

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

Anmerkungen

EINLEITUNG: ADRIAN

Als Jeff und ich uns trafen, um über die Veröffentlichung unseres Briefwechsels zu sprechen, entdeckten wir eine gemeinsame Angst. Kurz gesagt ist es folgende: Mag ja sein, dass die Wahrheit uns frei macht, aber sie könnte auch leicht dazu führen, dass wir als Häretiker verbrannt werden – in rein metaphorischem Sinne, wie ich eilends hinzufüge. Die Sache mit Briefen zwischen Freunden ist die, dass es dabei keine Regeln gibt – außer denen, auf die die Schreiber sich geeinigt haben. Wir haben ausgelotet, was wir denken und fühlen und glauben und nicht glauben, auf eine Weise, die vielleicht in ein Erbauungsbuch nicht so recht passt. Aber manchmal muss man sich eben mit der Machete durch den Wald dieser unwegsamen, wunderbaren Welt hindurchschlagen, um den Weg zu finden, den man besser gleich von Anfang an eingeschlagen hätte. Für mich (und ich glaube, für uns beide) war dieser mühselige, arboreale Prozess sehr hilfreich, wenn auch manchmal ziemlich bedrückend. Ich habe irgendwo schon einmal die Bemerkung eines amerikanischen Schriftstellers erwähnt, der meinte, Schreiben sei ganz leicht; man müsse sich nur an die Schreibmaschine setzen und eine Ader öffnen. Das ist bei mir, Gott sei Dank, nicht immer so, aber der schmerzhafte Prozess, durch den die eine oder andere dieser aus dem Herzen kommenden Botschaften endlich zutage traten, lässt sich kaum besser beschreiben.

Trotz alledem werden die Leser in diesem Buch vergeblich nach dramatisch bizarren Häresien suchen. Wir sprechen uns hier nicht dafür aus, Menschenopfer als Standardaktivität bei Gemeindefreizeiten einzuführen, und wir plädieren auch nicht für mehr Toleranz gegenüber denen, die ihre Persönlichkeit gerne durch das Medium des gegenseitigen Massakrierens ausdrücken möchten. Stattdessen werden die Leser Spuren eines geistlich exzentrischen Ringens darum finden, den klaren Verstand, den Humor, die Barmherzigkeit und den kreativen Einfallsreichtum eines Gottes zu verstehen, der häufig aufs Katastrophalste als engstirnig, schlichtsinnig, humorlos und, um ehrlich zu sein, als langweilig missverstanden wird.

Ich habe über Jeffs Briefe eine Menge gelacht, nicht zuletzt, weil sie Schilderungen einiger hochnotpeinlicher Momente enthalten. Ebenso wichtig ist, dass ich ein wenig über sie geweint und viel aus ihnen gelernt habe. Wie könnte ich das auch nicht, wenn ich darin immer wieder einen Mut machenden Blick auf das traurige, aber lächelnde Gesicht Jesu erhaschen konnte?

Kommen Sie und gesellen Sie sich zu uns. Lauschen ist erlaubt. Sie sind uns sehr willkommen.

EINLEITUNG: JEFF

Es war eine geflüsterte Idee beim Abendessen. Adrian und ich besuchten gerade eine christliche Veranstaltung, die so unsäglich langweilig war, dass es uns vorkam, als wäre der Abend als Therapie für Leute gedacht, die an chronischer Schlaflosigkeit leiden. Unsere Blicke schweiften durch den Raum über die halb geschlossenen Augen und herabsackenden Schultern des Publikums, das sich verzweifelt bemühte, gegen den Schlaf anzukämpfen. Der betäubend eintönige Vortrag schien dazu angetan, die Telefonzentrale des Seelsorgenotrufs zum Absturz zu bringen. Da kam uns beiden der Gedanke, es könnte nützlich sein, uns einmal zu unterhalten. Doch damit war eine doppelte Schwierigkeit verbunden. Erstens sind wir beide ständig auf Achse, sodass wir fürchteten, unsere nächste Begegnung im Fleische (ich zögere, diesen Ausdruck zu verwenden, weil ich mir dabei immer vorkomme wie ein Nudist) könnte durchaus eines unserer Begräbnisse sein. Und dann würde unsere Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, an sehr enge Grenzen stoßen, da ja einer von uns beiden in einer Fichtenholzkiste liegen würde. (Macht mir meine lieber aus Eiche. Fichte ist so was von aus den Achtzigern.)

Das andere Problem ist: Wenn Christen sich zu laut unterhalten, besonders über heikle Glaubensfragen, dann gibt es so eine Sorte selbst ernannter Gedankenpolizisten, die gleich mit Blinklicht und plärrender Sirene zur Stelle sind, um die unglückliche geschwätzige Seele zu verhaften, unter Häresieanklage zu stellen und an Ort und Stelle in Flammen zu setzen. Den Geruch von brennendem Fleisch fand ich noch nie sonderlich verlockend, besonders, wenn es mein eigenes ist. Diese Befürchtung wirkt sich demzufolge etwas dämpfend auf jedes Gespräch aus. Leider bedeutet das, dass viele von uns in ihren eigenen Köpfen gefangen sitzen, eingemauert mit schwierigen Ängsten, Zweifeln und Theorien, ohne die Möglichkeit zu haben, sie zusammen mit allen anderen an die frische Luft und ins Licht der Sonne zu bringen. Das kann ein ziemlich klaustrophobisches Gefühl werden, und nach einer Weile fangen die Mauern im Kopf an, immer mehr zusammenzurücken und einem den Glauben zu einem schrumpfenden kleinen Paket zusammenzuquetschen. Wenn das zu lange so geht, fängt man irgendwann an, sich in Fantasien über einen groß angelegten Fluchtplan aus der Sekte zu ergehen. Wenn die Kirche sich in so etwas wie das Kriegsgefangenenlager Colditz verwandelt und das Wachpersonal mit Maschinenpistolen bewaffnet ist und Fischaufkleber an den gepanzerten Truppentransportern hat, wird es Zeit, einen Tunnel zu graben.

So fassten Adrian und ich den Plan, einen Briefwechsel zu führen. Das bringt natürlich seine eigenen Risiken mit sich, da er ein so brillanter Schriftsteller ist und ich zwar möchte, dass er gut dasteht – aber wenn er so gut dastünde, dass ich daneben wie ein Dorfdepp aussähe, wäre mir das auch nicht recht. Es gab Momente, in denen ich mir angesichts seiner Kunstfertigkeit mit Worten wie ein Bauer vorkam, aber das macht mir nichts aus. Ich kenne Adrian seit Jahren als einen warmherzigen, freundlichen, frustrierten, fröhlichen, traurigen, hoffnungsvollen Kerl, und dieser Austausch hat Spaß gemacht, war heilsam und ging ohne jeden Anflug von Druck vonstatten. Wir hatten die Möglichkeit, unsere Wäsche zu lüften, aber wir mussten sie hinterher nicht gleich säuberlich plätten und mit rasiermesserscharfen Bügelfalten versehen.

 

Nun also willkommen bei unserem Plausch. Schön, dass Sie sich einen Stuhl genommen haben.

EINS

Lieber Jeff,

in mir ist eine Erinnerung hochgekommen. Es geht um etwas, was mir vor zwanzig Jahren passiert ist, und ich möchte die Geschichte jemandem erzählen. Ich glaube, Du wirst es vielleicht verstehen. Du bist ja immer auf die Wahrheit aus, obwohl Du Christ bist. Außerdem möchte ich Dir von einer faszinierenden Begegnung erzählen, die ich erst vor ein paar Wochen mit einem christlichen Vortragsredner hatte, der behauptete, seinen Glauben verloren zu haben. In gewisser Hinsicht gehören die beiden Geschichten zusammen. Jedenfalls denke ich das.Vielleicht siehst Du es anders. Ich fange mit der Erinnerung an.

Neben dem neuen Supermarkt in unserem Städtchen befindet sich eine Kneipe namens »The Bandolier«, ein anheimelnd windschiefes Haus in Familienbesitz, das wohl aus der spätviktorianischen Zeit stammt. Während der letzten beiden Jahrzehnte ist im Innern eine Menge verändert worden, aber vor zwanzig Jahren gab es dort drei Schankräume. Zwischen der Saloon Bar, in englischen Wirtshäusern traditionell eine etwas elegantere, weniger turbulente Umgebung, und der Public Bar lag als Übergang oder vielleicht auch Pufferzone ein kleiner Verkaufsraum für Wein und Spirituosen, in dem ein teddybärförmiger Mann mit schütterem Haar tätig war, der jede Transaktion mit den unerklärlichen Worten »’n Schönen auch, Chef« abschloss. Die deutlich weniger elegante Public Bar war der Ort, wo man Darts, Billard und Domino spielen konnte. In diesem Teil der Kneipe konnte es bisweilen ziemlich laut und krakeelig zugehen, wenn auch meist auf eine gutmütige Art und Weise. Der dritte Schankraum, auf den es in meiner Geschichte vor allem ankommt, wurde »Snug« genannt. Er war klein, behaglich und im Allgemeinen sehr ruhig. Ein gemütlicher Ohrensessel von einem Raum und ein vorzügliches Außer-Haus-Wohnzimmer für Leute wie mich, die gern in einer Ecke sitzen und sich eines guten Buches und eines Glases Harveys Bitter erfreuen – eines süffigen Biers, gebraut von sterblichen Menschen, doch erdacht und erschaffen von Gott selbst.

Dort ließ ich es mir also an einem frühen Abend im Oktober wohl sein. Ich saß an einem kleinen Tisch in der Ecke und genoss die heilsame Kraft der Ruhe, die Qualität des Biers, die scharfe Frische der Jahreszeit und die meisterhafte Konstruktion von G. K. Chestertons Die Ehre des Israel Gow , meiner Lieblings-Pater-Brown-Geschichte.

Die einzigen anderen Gäste in der Bar waren zwei ziemlich schmuddelige ältere Männer (ganz im Gegensatz zu mir, der ich ein schmuddeliger Mann mittleren Alters war). Was das Bier anging, war ich damals ein Nipper und Genießer, doch diese beiden tranken für England. Sie waren leidenschaftliche Schlucker und Exer, und je mehr von dem goldenen Nass sie sich in die Hälse schütteten, desto heftiger stritten sie miteinander. Es wurde immer schlimmer, immer lauter, immer zusammenhangloser. Fäuste krachten auf Tische, Stühle ratschten über die Dielen, bis sich schließlich die anheimelnd bierige Atmosphäre vor Flüchen und Schimpfwörtern blau färbte und die beiden Streithähne sich auf ihre nicht mehr ganz standsicheren Beine erhoben, um ihre Meinungsverschiedenheit auf höherer Ebene weiter auszutragen.

Das gab dem Wirt sein Stichwort.

Dieser Zeitgenosse von eindrucksvoller Leibes- und Autoritätsfülle betrieb die Kneipe seit vielen Jahren. Tom war zu allen seinen Gästen freundlich und zuvorkommend, aber schlechtes Benehmen duldete er nicht. Wer Ärger machte, flog raus. So einfach war das. Er und ich hatten uns hin und wieder ein wenig unterhalten. Zu dieser Zeit unseres Lebens traten Bridget und ich (übrigens, liebe Grüße von uns beiden an Kay) fast jeden Abend spät in einer Fernsehsendung namens Join the Company auf. Ausgestrahlt im Süden Englands vor den Zeiten des Rund-um-die-Uhr-Fernsehens, war dies der letzte Programmpunkt vor dem kleinen, in die Ferne entschwindenden weißen Punkt, an den sich heute kaum noch jemand erinnert. Darin ging es um eine Gruppe von vier oder fünf Leuten, zumeist Christen, die um einen Tisch saßen und sich über Liebe, Tod, Sex, Krieg, Finanzen, Trauerfälle und andere Fragen unterhielten, die sich leicht in einem Zeitraum von nicht mehr als zehn Minuten besprechen lassen.Weil die Sendung erst so spät lief, bestand unser Publikum größtenteils aus Leuten, die an Schlaflosigkeit litten, aus Taxifahrern, Leuten, die gerade noch Snooker geschaut hatten und noch nicht dazu gekommen waren, ihren Fernseher auszuschalten, belustigten Studenten, Polizisten, Nachtwächtern, Leuten mit Depressionen und natürlich aus Kneipenwirten. Ich wusste, dass der Wirt des »Bandolier« sich diese mehr oder weniger christliche Sendung schon recht häufig angesehen haben musste, denn er hatte mich schon hin und wieder auf meine Mitwirkung dabei angesprochen.

Mit Getöse kam Tom ins Snug gestampft. Eine finstere Miene lag auf seinen großflächigen Gesichtszügen.

»He, ihr beiden!«, donnerte er. »In meiner Kneipe wird nicht geflucht! Raus! Aber dalli!«

Dann stieß er zu meinem unaussprechlichen Entsetzen seine schinkengroße Hand in meine Richtung und gab, wie um seinem Vorgehen den letzten Rest an Rechtfertigung zu verleihen, die folgenden erschütternd unvergesslichen Worte von sich:

»Da sitzt ein frommer Herr in der Ecke. Raus!«

Mit einer solchen Urgewalt war nicht zu feilschen. Nach einer kurzen Dick-und-Doof-Szene, die sich noch in der Tür abspielte, schlurften die Missetäter hinaus in die frische Herbstluft, ohne ihre gegenseitigen Beschimpfungen zu unterbrechen. Daraufhin kehrte Tom, nachdem er die Beendigung der Affäre mit einem nachdrücklichen Nicken und einem Schlag beider Handflächen auf den Tresen besiegelt hatte, zu seinen Pflichten in der Public Bar zurück. Ich blieb in trostloser Einsamkeit zurück. Mein Band mit Kurzgeschichten lag ungelesen da. Von meinem großen Glas Harvey’s hatte ich noch nicht einmal genippt.

Ich war also ein frommer Herr, der in der Ecke saß. Dass Leute aus der Kneipe geworfen wurden, weil sie fluchten, lag teilweise an mir. Zweifellos hätte Tom genau das Gleiche getan, wenn ich gar nicht da gewesen wäre, aber ich spürte, wie mir die Wangen rot anliefen bei dem bloßen Gedanken, meine »Frömmigkeit« tauge lediglich als negative Motivation für Heiden, ihre Zunge im Zaum zu halten. So viel zum Thema herausforderndes Christsein, was? Die beiden alten Kerle, die mehr getrunken hatten, als gut für sie war, waren in die Finsternis hinausgeworfen worden, während ich mit meinem Bier und meinem Buch im warmen Snug bleiben durfte. Ich weiß noch, wie ich einmal einen Witz über einen irischen Christen gemacht hatte, der Bibeln aus China heraus schmuggelte und darüber staunte, dass die Grenzwachen sie wie durch ein Wunder nie zu bemerken schienen, aber im »Bandolier« war mir sozusagen dasselbe passiert. Das Leben des Evangeliums wurde auf den Kopf gestellt. Jesus geht in die Kneipe, und die Stammgäste fliegen im hohen Bogen hinaus. Ach je …

Die Sache ist die, Jeff. Mag sein, dass ich da auf ein bestimmtes Ereignis überreagiert habe, aber an diesem Tag wurde so eine Art Keim in meinen Verstand oder meinen Geist gesetzt. Es war der Keim der Entscheidung, dass ich weder in einem metaphorischen noch in sonst irgendeinem wesentlichen Sinn als frommer Herr in der Ecke enden würde. In der Kirche gibt es reichlich genug davon, ohne dass ich das Problem auch noch größer mache. Ich hoffe, wir werden noch in so mancher Kneipe zusammensitzen, Du und ich. Aber lass uns dann nicht fromm sein. Lass uns lediglich genauso gentlemanlike sein wie Jesus, und lass uns so viele Leute wie möglich zu uns in die Ecke einladen. Was meinst Du?

Und nun die zweite Geschichte, die noch nicht so lange zurückliegt.

Eines Tages rief mich ein Mann an. Ich war ihm noch nie begegnet und konnte mit seinem Namen nichts anfangen, aber er erzählte mir, er sei einige Jahre lang als christlicher Vortragsredner und Evangelist unterwegs gewesen, nachdem er sich vom Islam zum christlichen Glauben bekehrt hatte.

»Die Sache ist die«, sagte er. »Ich habe meinen Glauben verloren. Ich glaube das ganze Zeug einfach nicht mehr. Gott ist nicht gleich hinter der nächsten Ecke. Er greift nicht in unser Leben ein, und alles, was ich den Leuten jahrelang erzählt habe, war nur ein Haufen Unsinn. Ich dachte mir, dass wir beide uns vielleicht mal treffen und darüber reden könnten, was mit mir passiert ist.«

Ich stimmte ein wenig nervös zu, und so trafen wir uns in einem kleinen Café in der Nähe der Brighton Lanes, wo man hervorragend essen und Kaffee trinken kann. Mein neuer Freund (ich werde ihn Ted nennen) erzählte mir alles noch einmal, was er mir schon am Telefon erzählt hatte, und dann noch eine Menge mehr. Es hörte sich ziemlich nachdrücklich und endgültig an, wie er davon sprach, er habe sogar den Glauben an die Existenz Gottes völlig verloren. Die ganze Zeit über schrie ich, wie es in solchen Situationen meine Art ist, innerlich zu Gott und bat ihn, mir irgendetwas Dynamisches und Nützliches zu geben, was ich dem Mann sagen konnte.

Keine Antwort! Wo ist Gott, wenn man ihn braucht? Also beschränkte ich mich darauf, zu nicken und mitfühlend vor mich hin zu murmeln und mit der Zunge zu schnalzen und all das zu tun, was man in solchen Situationen eben tut, anstatt sich vernünftig zu benehmen. Nachdem mit Teds Erklärungen und meinen schwachsinnigen Soundeffekten etwa eine Stunde vergangen war, ging mein Gegenüber nahtlos zu den Gelegenheiten über, bei denen er sich Gott wirklich nahe gefühlt hatte, und erzählte mir, wie viel ihm diese Momente bedeutet hatten. Leicht verwirrt über seinen abrupten Richtungswechsel konnte ich auch jetzt außer dem erwähnten Gemurmel und Geschnalze wenig zum Gespräch beitragen, obwohl ich hinzufügen muss, dass ich hier und da ein recht ausdrucksstarkes Nicken einbaute.

Als wir uns ein wenig später trennten, sagte Ted: »Ich möchte dir danken für das, was du mir heute Morgen gesagt hast. Es war mir wirklich eine große Hilfe.«

Einen Moment lang starrte ich ihn an und versuchte, wie jemand auszusehen, der gerade etwas Profundes gesagt hat. Ich bezweifle, dass es mir gelungen ist.

»Ah«, erwiderte ich, »das ist gut. Gut! Das ist – das ist wirklich gut.«

Später dann, im Zug nach Polegate, fragte ich mich, was mit Ted eigentlich los gewesen war.Wäre ich eine bestimmte Sorte Christ, so würde ich Dir jetzt sagen, Gott habe mir diese Frage beantwortet.Vielleicht hat er es getan. Ich weiß es nicht. Doch woher sie auch gekommen sein mag, Jeff, die Antwort auf meine Frage war, dass Ted seinen Glauben überhaupt nicht verloren hatte. Er hatte alles andere verloren, nur nicht seinen Glauben.

Damit meine ich, dass er seinen Glauben an den Gott verloren hatte, der hinter unserer Schulter steht wie eine Art göttlicher Butler, der nur darauf wartet, sich um jede Kleinigkeit zu kümmern, an der es uns mangeln oder gebrechen mag, und häufig entlassen wird, wenn etwas wirklich drastisch schiefgeht oder er nicht servieren kann, was wir uns wünschen. An jenen Gott, der sich um alle feinen Details unserer Hypotheken kümmert, aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund nie etwas gegen unsere unablässige, scheuklappenbewehrte Habgier einwendet. An den müden, langweiligen, verwässerten, westlichen Gott, der beim Supermarkt einen Parkplatz für Mrs. Blenkinsop von der Überfließend Lebendigen Glaubensgemeinde der Letzten Offenbarung frei hält, aber ein verhungerndes Kind auf den Straßen der Slums von Bangladesh nicht vor dem Tod bewahren kann. Und warum nicht? Weil es nicht genug Christen gibt, die bereit sind, sich selbst oder ihr Geld oder ihre Zeit da einzusetzen, wo er sehnlichst denen, die ihn am meisten brauchen, mit seiner Liebe begegnen möchte.

Aslan ist auf dem Weg, sagt man. Ist er das? Ist er wirklich auf dem Weg? Verbringt er etwa seine meiste Zeit damit, auf Supermarktparkplätzen herumzustehen und bei jedem Auto, das keinen Fischaufkleber auf der Heckklappe hat, »Grrrrh!« zu machen? Du weißt, was das ist, stimmt’s, Jeff? Das ist der Deal-or-No-Deal-Gott. Der Gott, der ein bisschen so aussieht wie ein älter gewordener Guido Cantz und über einer Welt präsidiert, in der Zufälle, wenn sie geschehen, als erstaunlich und bedeutsam betrachtet, und wenn sie nicht geschehen, geflissentlich ignoriert werden.

 

Ted war mit der eigentlichen Substanz seines Glaubens konfrontiert worden. Ich glaube, er muss sich, wie wir alle hin und wieder, der Tatsache stellen, dass echter Glaube nicht nur wegen, sondern auch trotz allem überlebt. Mag sein, dass wir heulen und toben, aber dem müssen wir ins Gesicht sehen. Petrus musste sich bei Jesus auch dieser Tatsache stellen. Es zerriss ihn fast in Stücke. Wie schwer ist es doch, unsere kindischen und falschen Vorstellungen von Gott hinter uns zu lassen und dahin zu kommen, wo wir ein kindliches Bewusstsein genießen oder fürchten oder damit ringen, das Bewusstsein, dass es unsere Aufgabe ist, an ihn zu glauben und ihn zu lieben und ihn – wage ich es auszusprechen? – zu preisen, egal, was passiert oder nicht passiert. Das ist schwer, nicht wahr? Unglaublich schwer. Vielleicht bist Du ja schon so weit. Ich noch nicht.

So, das waren meine beiden Geschichten, Jeff. Und jetzt habe ich eine Frage an Dich. Wenn wir beiden Herren in eine Ecke gedrängt und gezwungen würden, absolut ehrlich zu sein, was unsere Frömmigkeit anbelangt, was für eine Wahrheit würde dabei zum Vorschein kommen? Und würde sie uns wohl frei machen? Vielleicht schon, glaube ich. Ich hoffe es.Wir könnten es zumindest einmal versuchen, oder? Du bist dran.

Liebe Grüße, Adrian