Ein Herz für Tiere und für Menschen die Tiere mögen

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I.
Als die Tiere in den Himmel kletterten

Märchen, Fabeln und Mythen aus aller Welt

Auch wenn du einen Hahn einsperrst,

geht die Sonne trotzdem auf.

(Irisches Sprichwort)

Als die Spinne einen Faden an den Wolken befestigte

Vor langer, langer Zeit, da fühlten sich die Tiere sehr einsam, denn sie hatten noch keine Frauen. Oft standen sie am Waldrand beisammen und hielten Rat, wie sie dies ändern könnten. Nach langer Debatte hin und her sagte der Hase: »Ich habe gehört, dass es droben über den Wolken viele Frauen gibt. Warum holen wir uns nicht einige herunter? – Schön wär’s, aber wie? lautete die allgemeine Rückfrage. Da meldete sich die Spinne; sie wüsste Rat: »Ich werde einen starken Faden spinnen und diesen an einer Wolke verankern. Dann könnt ihr daran hinaufklettern und euch Frauen vom Himmel holen!«

Damit waren alle einverstanden – und sofort machte sich die Spinne ans Werk; immer höher hinauf spann sie ihren Faden. Bald war sie ganz aus den Augen der anderen Tiere verschwunden. Da erklärte der als besonders schlau bekannte Hase, nun sei alles bereit, der Aufstiege könne beginnen. Allen voran packte der Elefant nach dem Faden, unmittelbar gefolgt vom Büffel, Löwen, Affen und den vielen anderen Tieren, die sich nach einer Gefährtin sehnten. Schließlich erreichten sie das himmlische Land, hoch über den Wolken. Und die Suche nach der jeweils passenden Frau ging schnell voran; jeder nach seinem Geschmack. Die Brautpreise wurden von allen korrekt bezahlt – nur ein Tier weigerte sich, dies zu tun: der Hase. Er hatte sich zwar auch eine schöne junge Frau ausgesucht, aber er weigerte sich, dafür zu zahlen. Stattdessen kroch er hinter die Hütte seiner künftigen Schwiegermutter, griff nach einem Topf Getreide und hielt Mahlzeit. Er aß so viel, dass nur noch ein kleiner schäbiger Rest übrig blieb. Anschließend nahm er, listig wie immer, noch rasch ein paar Körnchen aus dem Topf und zerrieb sie im Pelz der Spinne. Als die Schwiegermutter den fast leeren Topf entdeckte, schrie sie nach dem Dieb. Da flüsterte ihr der hintertriebene Hase ins Ohr: »Lass doch die Pelze aller Tiere untersuchen – und du wirst staunen, wo sich der Dieb versteckt hält!?« Der Vorschlag wurde akzeptiert und Hase und Häsin beauftragt, die Untersuchung durchzuführen.

Als sie daraufhin zuerst die Spinne überprüften, fanden sie den Mehlstaub in ihrem Pelz – und damit wurde sie des Diebstahls überführt. Die Spinne wehrte sich empört, aber niemand glaubte ihr. Da schrie sie noch lauter: »Das ist euer Dank dafür, dass ich euch beim Aufstieg geholfen habe! Das werdet ihr büßen; jetzt könnt ihr selber gucken, wie ihr wieder hinunter kommt!« Schnell ergriff sie den Spinnfaden, kletterte hinunter und rollte den Faden hinter sich auf.

Nun ergriff die Tiere arge Ratlosigkeit. Ihre Strick-Leiter war und blieb verschwunden. Was tun? Da sagte der Affe: »Ich will mein Glück versuchen – mit einem kühnen Sprung«, sprach es, nahm einen kurzen Anlauf und hüpfte hinunter. Er fiel auf einen steinharten Felsen und war sofort tot. Die anderen Tiere, die ihm gefolgt waren, erlitten das gleiche Schicksal. Zuletzt waren nur noch Elefant und Hase übrig. Als der Elefant zum Sprung ansetzte, hüpfte der Hase auf seinen breiten Rücken und klammerte sich an den riesigen Elefantenohren fest. Auch der Dickhäuter fiel in den Tod – nur der Hase überlebte den Sprung. Seitdem hat kein Tier mehr versucht, ungefragt in den Himmel zu klettern.

(Aus Zentralafrika, zuerst veröffentlicht in: Adalbert Ludwig Balling,

»Sie standen am Ufer der Zeit«, Mariannhill Würzburg, 1981)

Wie sich die Tiere des Waldes mit dem Himmel wieder aussöhnten

Vor vielen Jahren war der Himmel so verärgert über die Tiere des Waldes, dass er ihnen keinen Regen mehr schickte. Das Gras verdorrte, der Boden wurde hart und härter, selbst die größeren Flüsse versiegten bis auf ein paar Wasserlöcher. Menschen und Tiere litten schrecklichen Durst. Eine schlimme Hungersnot kam über das ganze Land – und sogar große Bäume begannen vorzeitig die Blätter fallen zu lassen und starben ab.

Zu alledem drohte der Himmel mit noch schlimmeren Strafen, falls die Tiere nicht bald Frieden schlössen. Da rief der Löwe eine Generalversammlung aller Tiere ein: »Willkommen, Freunde!« hob er mit königlicher Miene an. »Ich denke, ihr wisst, warum ich euch gebeten habe, hierher zu kommen. Für jene wenigen, die es nicht ahnen, kurz Folgendes: Wir wollen hier und heute darüber beraten, wie wir den Himmel wieder besänftigen können, dass er uns Regen sendet. Bitte, macht Vorschläge, ich bin ganz Ohr!«


Zuerst meldete sich die Schildkröte; langsam und bedächtig krabbelte sie auf einen nahen Ameisenhaufen, räusperte sich ein paar Mal und begann so: »Mein Vorschlag, Freunde, ist sehr einfach: Wir schicken einen Abgesandten mit einem imposanten Geschenk zum Himmel und versprechen, unseren Streit beizulegen.« – Ein weiser Vorschlag, sagten die anderen Tiere; nur, wer übernimmt diese heikle Aufgabe? Wer überbringt die Botschaft in den Himmel hinauf? – Nach langem hin und her Überlegen wurde der Falke beauftragt, und es wurde ihm überlassen, selber ein passendes Geschenk auszusuchen. Als einzige war das Huhn dagegen; es gackerte vehement dagegen. Inzwischen waren Gewitterwolken aufgezogen, und die meisten Tiere wurden unruhig. Das Schaf schlich sich heimlich davon. Andere Tiere folgten.

So blieb dem Löwen nichts anderes übrig, als eine neue Generalversammlung einzuberufen.Während noch die Stimmen ausgezählt wurden, gab es einen gewaltigen Donnerschlag, und alle Anwesenden duckten sich und rannten heimwärts. Bald herrschte Totenstille auf dem Versammlungsplatz, nur der Wind strich leise über die schattigen Bäume und Sträucher.

Das Problem für den Falken begann mit dem Suchen eines passenden Geschenkes für den Himmel – und wie er es nach oben transportieren könnte? Da entdeckte er eine Fledermaus, kopfunter an einem Ast hängen. Wäre sie vielleicht etwas Passendes? Nein! Der Falke erinnerte sich daran, dass Fledermäuse Erzfeindinnen des Himmels sind; darum hingen sie ja beim Schlafen kopfunter, um ja nicht gen Himmel schauen zu müssen. Mit einer Fledermaus würde er also den Himmel wohl kaum versöhnen können.

Nach einiger Zeit erblickte der Falke unten auf der Wiese ein kleines, putziges Lämmchen. Und dieses unschuldige Tier gefiel ihm so sehr, dass er hinunterstieß und mit einem raschen Griff das Tier-Baby an sich riss und sofort wieder in die Lüfte entkam, das zitternde Lämmchen fest zwischen seinen scharfen Krallen.

Der Empfang im Himmel war frostig. Nachdem der Falke ehrfürchtig gegrüßt hatte, nannte er den Zweck seines Kommens und trug die Bitte um Entschuldigung der Tiere des Waldes vor. In ihrem Namen bot er das Lämmchen als Versöhnungsgeschenk an. Der Chef des Himmels schwieg lange und anhaltend, ehe er nach einer schier peinlichen Pause sagte: »Ich danke dir, mein Freund, für deine Worte und für dein Geschenk, aber bevor ich es annehme, musst du mir sagen, was das Mutterschaf gesagt und getan hat, um sein Kind wieder aus deinen Fängen zu befreien.«

Diese Art von Frage hatte der Falke ganz und gar nicht erwartet. – Das Mutterschaf, so begann er stotternd, habe weder etwas gesagt noch getan! – Als der Chef des Himmels das hörte, wurde er unwillig und rief voller Zorn: »Geh! Ich verzichte auf dein Geschenk, das dich nichts gekostet hat. Nähme ich es an, so würden mich zeitlebens die traurigen und vorwurfsvollen Augen des Mutterschafes verfolgen!«

Enttäuscht und niedergeschlagen kehrte der Falke zur Erde zurück und übergab das Lamm wieder seiner Mutter. Entmutigt grübelte er lange nach, suchte nach einer anderen Lösung, und sann gar auf Rache. Am Ende entschloss er sich, dem Himmel ein Hühnerküken zu bringen. Er kreiste über dem Hühnerhof und wartete auf einen günstigen Augenblick. Sobald die Glucke den Raubvogel erblickte, lockte sie ihre Küken zu sich, aber schon zu spät; der Falke hatte bereits eines der erst vor wenigen Tagen Geschlüpften in seinen Krallen. Der verbissene Angriff der Henne blieb ohne Erfolg.

Bei seiner Ankunft über den Wolken bot der Falke seine neue Versöhnungsgabe voller Demutsgesten und Bücklingen dem Chef des Himmels an – und hatte diesmal mehr Glück. Seine Mühen wurden anerkannt, und der Falke trat seinen Heimflug zur Erde an mit dem Versprechen, sobald wie er unten ankomme, werde es regnen. Er hatte seinen Horst noch nicht ganz erreicht, da begann es auch schon in Strömen zu regnen. Später musste er noch an den guten Rat des Himmelskönigs denken: »Wisse, flinker Chef der Lüfte, Erfolg kostet Mühe, setzt Leidensbereitschaft voraus – und: Nimm nie etwas für dich in Anspruch, für das du dich nicht hast plagen müssen!«

(Mythen aus Simbabwe: Adalbert Ludwig Balling, »Sie standen am Ufer der Zeit«, Verlag Mariannhill Würzburg, 1981)

Zur Zeit der großen Hungersnot

Vor langer, langer Zeit, als es noch keine Menschen auf dieser Erde gab, herrschten Frieden, Eintracht und Freundschaft unter allen Tieren. Alle – Vögel, Kriechtiere und Vierfüßler – regierten gemeinsam das Land. Und weil niemand den anderen unterdrückte oder übervorteilte, waren alle zufrieden. Das älteste und weiseste Tier war eine Riesenschlange, eine uralte Python. Niemand kannte ihr genaues Alter; aber ihr waren alle Namen der Tiere, Bäume, Sträucher, Gräser und Früchte sehr geläufig. Sie wusste auch, welche Früchte essbar waren und welche nicht. Ihren mächtigen Körper hatte sie gewöhnlich in vielen Windungen um einen Busch gewickelt. So brauchte sie ihren Stammplatz nur selten zu verlassen, denn sie lebte meistens von den vielen roten und weißen Beeren, die das Jahr über an den buschigen Ästen ihres Wohn-Baumes wuchsen und reiften.

 

Eines Tagen verursachte eine schreckliche Trockenheit eine landweite Hungersnot. Die Früchte fielen vorzeitig und unreif von den Bäumen, das Gras verdorrte und wurde strohhart. Im gesamten Land gab es nur noch einen Baum, der grüne Blätter trug und köstliche Früchte reifen ließ. Das war der Baum der Pythonschlange. Da sie groß und mächtig war, wagte keines der anderen Tiere, sie darum zu bitten, diese Früchte mit ihnen zu teilen.

Die Hungersnot wurde aber immer schlimmer; es starben viele ältere Leute, aber auch Kinder und Jugendliche sowie viele Tiere. Und die Hungersnot und das Elend breiteten sich noch weiter aus; da beschlossen die Tiere, einen Boten zur großen Schlange zu schicken und sie zu bitten, ihre Früchte mit ihnen zu teilen. Die flinke Ratte wurde zur Botschafterin bestimmt: »Bitte, erlauchte Freundin aller Tiere, gib uns bitte die Erlaubnis, unseren Hunger von deinen Früchten zu stillen, sonst sterben wir allesamt!« Die Schlange hörte freundlich zu, hatte Mitleid und antwortete: »Alle Tiere sind herzlich eingeladen von meinen Früchten zu essen, aber nur, wenn du dir meine Adresse so lange merken kannst, bis du es allen mitgeteilt hast. Dies ist meine Adresse: Mein Heim ist der Qunube-Baum!«

Die flotte Ratte eilte voller Freude zurück zur Versammlung der Tiere, aber, o weh, dort musste sie feststellen, dass sie den Namen des Baumes, wo die Python wohnte, vergessen hatte. Unterwegs hatte sie den Namen mit dem Klicks-Laut mehrmals wiederholt: Qunube, Qunube! Aber jetzt war er weg; sie hatte ihn glatt vergessen. Die Tiere waren darüber sehr erbost und jagten sie davon mit den Worten: »Nur einem Schwachkopf kann das passieren! Hau ab!«

Jetzt entsandten sie die Ziege. Die Python zischte unwillig, als sie hörte, was geschehen war: »Was für Dummköpfe, diese Ratten; Qunube ist der Name meines Baums, hast du verstanden!?« – Die Ziege bedankte sich und eilte davon, immer wieder »Qunube, Qunube« murmelnd. Eine Zeitlang ging alles gut, doch dann erblickte das ausgehungerte Tier ein paar grüne Blätter, lief hin und verzehrte sie. Und schon erging es ihr wie der Ratte; auch sie hatte den Namen des Schlangenbaums vergessen, und wurde ebenfalls von den anderen Tieren ausgeschimpft.

Nun wandten sie sich an ihren König, den Löwen höchstpersönlich: »Großer Herr, bitte, erweise uns diesen Dienst und rette uns vom Hungertod! Dein Hirn ist größer als das aller anderen Tiere …« – Da blieb dem Löwen nichts anderes übrig, und er beeilte sich. Von der Python wurde er königlich begrüßt: »Majestät, Sie höchstpersönlich!? Welche Ehre Sie mir antun!« Während sie noch dem Löwen huldigte, pflückte sie ein paar saftige Früchte von ihrem Baum, sodass dem Löwen das Wasser im Mund zusammenlief. »Qunube, Qunube!« heißt der Baum, zischelte die Schlange mit spöttischem Unterton; »merk dir das!« Beschämt bedankte sich der Löwe und machte sich auf den Heimweg. Schläfrig und müde vom langen Marsch schlummerte er ein, und als er wieder erwachte, konnte auch er sich nicht mehr an den exotischen Namen des Baumes erinnern. Traurig und mit eingezogenem Schwanz schlich er weiter zum Versammlungsort der Tiere. Die brauchten ihn erst gar nicht zu fragen, sie sahen es ihm an, dass auch er den Namen vergessen hatte, doch niemand wagte es, ihn zu tadeln.

Stumm und traurig schauten alle auf den Boden und dachten bei sich: »Nun ist alles aus. Wir müssen verhungern, weil niemand von uns fähig ist, sich den Namen des Wunderbaums der Python zu merken …

Schließlich brach Fuda, die Schildkröte, die bisher noch kein Wort gesagt hatte, das Schweigen und sagte »Verzeiht mir, Freunde, aber so schnell dürfen wir nicht aufgeben. Ich bin bereit, mein Glück zu probieren. Gewiss, meine Beine sind kurz und der Hunger quält mich noch viel mehr als euch, denn ich kann manches Essen nicht erreichen, das ihr, weil ihr größer seid, noch erreichen könnt …« Die Tiere waren baff erstaunt; sie hielten die Schildkröte für naiv und unbeholfen. Wie sollte sie etwas erreichen, Was selbst für den Löwen zu schwierig war!? Nach langem, schier tödlichem Schweigen ließen sie die Schildkröte doch zur Python gehen. Die Schlange verlor diesmal ihre Geduld völlig: »Sssss… Sssss … Sssss! Was seid ihr doch alle für Dummköpfe! Hat also auch euer König, der Löwe, den Namen vergessen?! Bei so wenig Verstand solltet ihr eigentlich alle Hungers sterben; ihr habt nichts anderes verdient. Nicht einmal Qunube könnt ihr euch merken«, und dann, direkt zur Schildkröte gewandt, fuhr sie fort: »Verschwinde aus meinem Blickfeld, geh heim und sage es den andern!«


Fuda hatte zwar einen kleinen Kopf, aber sie konnte sehr schnell denken. Auf dem ganzen Heimweg wiederholte sie, meist kichernd: »Qunube, heißt er, Qunube – und immerfort sang sie immer lauter kichernd: »Qunube, Qunube, Qunube!« Und sie gönnte sich keine halbe Minute Ruhe, sondern wiederholte eins ums andere Mal: »Qunube, Qunube, Qunube…«

Erstaunt hörten die anderen Tiere schon von weitem die Schildkröte singen – und wussten sofort, dass die als langsam und träg verschriene Schildkröte sich den Namen des Wunderbaums gemerkt hatte. Gerne wären sofort alle auf einmal zur Python gerannt, aber der Löwe bat sie zu warten, bis die schnellfüßige Antilope die langsame Schildkröte auf den Rücken genommen hatte und damit davonlief. Die Schlange war noch immer verärgert, als die beiden ankamen; sie ließ beide Tiere lange warten, ehe sie sagte: »Fuda hat euch das Leben gerettet, deshalb soll sie sich auch als erste an meinen Früchten laben dürfen.«

Inzwischen hatten sich alle Tiere um den Früchtebaum versammelt. Der Elefant hob die Schildkröte in die obersten Äste, wo sie sich nach Herzenslust sattessen konnte. So wurden die Früchte des Schlangenbaums schon bald bekannt als »Nahrung für alle Tiere«.

Die Python tauchte in einen tiefen See und ward fortan nie mehr zu sehen. Kurze Zeit später fiel reichlich Regen. Das blieb so für lange Zeit. Doch als nach vielen Jahrzehnten die ersten Menschen ins Land kamen, begannen sie Fleisch zu essen; sie töteten viele Tiere. Und schon bald fingen auch einige Tiere an, ihre früheren Freunde zu verzehren…

Sogar ein Teil der Vögel und Kriechtiere folgten dem schlechten Beispiel der Menschen.

So kam große Furcht auf voreinander in aller Welt, bei Menschen und Tieren. Und keiner traute mehr dem anderen…

(Aus: Adalbert L. Balling, »Sie standen am Ufer der Zeit«, Verlag Mariannhill Würzburg, 1981)

II.
Tier-Mythen- und Legenden aus alten und neueren Zeiten

Menschen und Tiere waren Freunde, schon im Paradies;

doch die Schlange hatte sich vom Bösen benützen lassen,

um Adam und Eva zu überlisten.

Noah wurde von Gott gebeten,

je ein Pärchen aller Arten mit in die Arche zu nehmen,

um sie zu retten vor der Großen Flut.

Wie kam der Kreuzschnabel zu seinem Namen?

Nach alter, volkstümlicher Deutung war der Kreuzschnabel einst darum bemüht, die Nägel aus den Gliedern des gekreuzigten Herrn auf Golgatha zu entfernen; er wollte ihn von den Schmerzen befreien. Das war sehr anstrengend für den Vogel; er verbog sich dabei den Schnabel. Da segnete ihn der Herr vom Kreuz herab.

Weil nun aber dieser Vogel nicht in allen Regionen zuhause ist, dichtete man diese Deutung in anderen Gegenden auf das Rotkehlchen um: Beim Versuch, den Heiland am Kreuz zu befreien, fiel dem Vogel ein Blutstropfen auf die Kehle; diesen Namen trägt er seitdem als Ehrenzeichen. (ALB)

Der Paradiesvogel hoch über den Dächern

Eine Legende, deren Herkunftsland man nicht mehr genau nachweisen kann, besagt: Das Paradies käme dann wieder samt all seinen Freuden und Wonnen, wenn ein ganz seltener Vogel mit sehr bunten Federn am Himmel erscheine. Erst schwebe er über den Dächern, um sich schließlich auf einem hohen Baum niederzulassen.

Genauso kam es denn auch. Erst schwebte er über den Dächern der Stadt, dann ließ er sich in der Krone eines hohen Baumes nieder. Die Männer der Stadt rannten zusammen und berieten, was zu tun sei. Sie freuten sich über das Erscheinen des Vogels. Einer von ihnen machte den Vorschlag, mittels einer Menschen-Leiter den Glück und Freude bringenden Vogel zu ergreifen und ein für alle Mal festzuhalten. So kletterte denn einer über den anderen nach oben, doch kaum hatte der letzte und jüngste sich nach oben gearbeitet, da versagten dem untersten die Kräfte; er konnte nicht länger die schwere Last aushalten. Und so purzelten alle anderen, einer nach dem anderen, wieder nach unten. Der bunte Vogel aber, den sie seitdem den Paradiesvogel nannten, flog davon und ward nie mehr gesehen. (ALB)

Bravo, du kleine, clevere Ameise!

In Ostafrika erzählen die jungen Mütter gerne ihren Kindern folgende Parabel: Da saß eines Tages ein Vogel hoch oben auf einem Baum in seinem Nest und brütete seine Eier aus. Doch plötzlich, o Schreck!, tauchte unter ihm eine riesige Boa auf; sie kroch langsam auf sein Nest zu. Was sollte er bloß tun? Gewiss, er könnte noch rechtzeitig davonfliegen, aber dann wären die Eier mit ihren Küken dahin; denn die Schlange hätte sie in Sekundenschnelle verzehrt.

Da kam ein Pavian vorbei, erkannte die Gefahr für den Vogel und riet ihm: »Nur keine Bange! Das kriegen wir schon hin! Ich werfe, ganz einfach, ein paar spitze Steine nach diesem hässlichen Kriechtier…« – »Nein, bitte nicht«, schrie der Vogel; »du könntest am Ende gar noch meine Eier treffen. Das würde ebenfalls den Tod meiner Küken bedeuten.«

In diesem Moment streckte ein gigantischer Elefant seinen Rüssel zum Baum hinauf, erkannte die prekäre Lage des Vogels und versuchte, ihn zu trösten: »Weine nicht, kleiner Vogel, ich werde den Baum entwurzeln und so die Boa vertreiben.« – »Um Himmels willen; halt ein!« kreischte der Vogel von oben herab, und dachte bei sich: Wirklich, der benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen! – Unterdessen kam die Boa immer näher, und der Vogel war schon willens, sein Nest dem gierigen Räuber zu überlassen. Da kam ihm eine fixe Idee: Er bat eine der vorbeihuschenden Ameisen, ihm beizustehen. Das winzige Tierchen rief sofort tausend und mehr Kolleginnen herbei – und gemeinsam attackierten sie die Boa, sodass schon nach wenigen Minuten von der mächtigen Schlange nicht mehr viel übrig blieb…

Und was wollten die schwarzen Mütter ihren Kleinen damit sagen: Manchmal sei die List der Kleinen erfolgreicher als die Kraft der Mächtigen. (ALB)

Ein Dankeschön an die Gänse

»Fuchs, du hast die Gans gestohlen; gib sie wieder her; sonst wird dich der Jäger holen mit dem Schießgewehr.« – So haben wir Kinder gesungen. Füchse waren für uns eine Realität. Im Winter, wenn hoher Schnee lag, wagten sie sich bis ans Dorf, manchmal bis in die Hühnerhöfe und Gänseställe.

Weil wir Füchse aber immer schon als kluge Tiere kannten, und weil dies auch in zahlreichen Märchen und Fabeln vermittelt wurde, haben wir sie auch bewundert, wenngleich wir ihre Jagdschläue nicht immer guthießen, vor allem dann nicht, wenn es um unser Geflügel ging.

Das war auch ein Grund, warum wir bisweilen in den schneereichen Wintermonaten Fuchsfallen aufstellten. Dabei ging es uns natürlich um ihre schönen und warmen Winterpelze. Damals, vor bzw. während und kurz nach dem 2.Weltkrieg, trugen die Frauen noch gerne Fuchs- und Iltispelze …

Nun aber las ich vor kurzem in einer Agenturmeldung von einem münsterländischen Fuchs, der sich durch einen Kaninchenbau in ein Gänsegehege gegraben hatte. Er suchte eine saftige Beute, vielleicht für seine Jungen. Aber da hatte Meister Reineke seinen Plan ohne die Gänse gemacht: Die brütenden Großvögel stürzten sich voller Rage auf den Eindringling, und in der so entstandenen Aufregung fand der Fuchs das Loch nicht mehr rechtzeitig und erlitt einen Herzinfarkt, wie ein herbeigerufener Tierarzt später diagnostizierte.

Landwirt Ludger, Eigentümer des Gänsestalls, versicherte den herbei geeilten Journalisten, ausnahmsweise käme in diesem Jahr keine seiner Gänse als Braten auf den Tisch; er schenke allen ein Gnadenjahr – aus Dankbarkeit für ihren Mut und ihren Einsatz … (ALB)

 

Schopenhauers Stachelschweine

Kein Geringerer als der Philosoph Arthur Schopenhauer hat die folgende Fabel aufgeschrieben und kommentiert. Sie handelt von einer kleinen Herde Stachelschweinen, die an einem eisigen Wintermorgen schrecklich froren. Da meinte eines der älteren Tiere: »Lasst uns doch enger aneinander schmiegen! Dann können wir uns doch gegenseitig wärmen!« – Gesagt, getan. Doch sehr schnell spürten sie, wie sie sich gegenseitig ihre spitzen Stachel in den Leib rammten. Das tat ihnen sehr weh. Also rannten sie eiligst wieder auseinander. Das Bedürfnis

jedoch, sich vor der Kälte zu schützen, brachte sie schon bald erneut zusammen. Und abermals rannten sie auseinander, weil sie ihre gegenseitigen Stacheln spürten … – Das wiederholten sie noch einige Male. Dann hatten sie, von zwei Übeln hin- und hergerissen, herausgefunden, dass sie sich im mittleren Abstand voneinander sehr wohl wärmten, ohne sich mit ihren Stacheln zu verletzen.

Schopenhauer zog daraus die Lehre: Unter solchen Umständen bedeutet Höflichkeit den jeweils richtigen Abstand voneinander herauszufinden!

Der Bauer, der in den Weihnachtstagen heimlich seine Stalltiere belauschte

Mir war’s, als ob ich aus bergumschlossener dunkler Tiefe in weite Höhen gehoben würde. Nicht nur eine neue Welt sah ich, fast dürfte gesagt werden, dass mir auch eine andere Sonne aufging, welche mir die ganze Umgebung in einem anderen Licht erscheinen ließ. Die Tiere, die Flüsse, die Berge, der Wald belebten sich und sprachen mit dem Knaben, der überall Wesen seiner wunderbaren Märchen sah, als deren Held er sich so gerne dachte.

Jetzt waren unsere Kühe nicht mehr nur Werkzeuge. Ihren ernsten großen Augen glaubte ich’s anzusehen, dass sie reden und viel Geheimnisvolles,Wichtiges offenbaren könnten, sobald sie möchten oder eine höhere Macht, die sie aus irgend einem selbstsüchtigen Grund zum Stummsein bannte, gebrochen wäre. Hatte doch mein Alter (Vater) mir erzählt, wie in der heiligen Nacht von zwölf bis ein Uhr die Kühe sich über die Zukunft zu unterhalten pflegen. Ein Bauer, der sie vom Heuboden aus belauschte, hörte statt der erwarteten Geheimnisse über die Zukunft nur Klagen über sich selbst und die Freude einiger Kühe darüber, dass der Bauer noch vor Ablauf der angebrochenen Woche unter dem Kreuz auf dem Friedhof ruhen werde. Dann hätten sie – die Tiere des Stalles – endlich Ruhe und würden nicht länger geschlagen. – Als der Lauscher auf dem Heuboden das hörte, wurde er wütend, verfehlte beim Hinabsteigen im dunklen Stadel vom Heuboden eine Sprosse der Holzleiter, brach sich das Genick und starb noch in derselben Nacht.

(Von Franz Michael Felder, Bauer in Vorarlberg (1839–1869)

Der Rabbi und die Mäusebrut

Viele Jahre lang hatte ein Rabbi schreckliche Schmerzen; kein Arzt konnte ihm Linderung verschaffen. Eines Tages beobachtete er seine Magd, die ihm schon seit Jahrzehnten gute Dienste getan hatte, wie sie sich anschickte, ein Nest mit jungen Mäusen über die Türschwelle zu tragen. Er rief ihr nach: »He, du, was hast du denn mit den Mäusen vor? Weißt du nicht, dass sie auch leben wollen?« – Die Magd schüttelte den Kopf: »Aber es sind doch Mäuse; zwar noch klein, aber wenn sie mal größer sind, werden sie uns alles wegfressen. Also muss ich sie jetzt aus dem Haus entfernen, ehe sie uns lästig werden und uns aller zernagen.« – Der Rabbi blieb anderer Meinung; in der Schrift stehe, so fuhr er fort, seine Dienstmagd aufzuklären, dass sich Gottes Erbarmen über alle Werke erstrecke und dass auch Tiere unter seiner Barmherzigkeit stünden. – Und er wies seine Dienerin an, die Mäusebrut wieder ins Haus zurückzubringen.

Im Himmel, so schließt diese Erzählung aus dem Jiddischen, sprach man jetzt ein Wort des Erbarmens: Weil der Rabbi Mitleid hatte mit den jungen Mäusen, sollte auch er Erbarmen finden – und von Stund an hatte er keine Schmerzen mehr!

Das Baby und die Haus-Unke

Es war einmal ein kleines Kind, dem gab seine Mutter jeden Mittag ein Schüsselchen mit Milch und Weckbrocken – und die Kleine setzte sich damit regelmäßig hinaus in den Hinterhof. Kaum hatte das Baby zu essen begonnen, da verließ die Hausunke ihre Mauerritze und senkte ihr Köpfchen in die Milch. Das Kind hatte seine helle Freude daran, und wenn die Unke mal nicht rechtzeitig erschien, dann begann die Kleine unruhig zu werden und zu singen:

Unke, Unke, komm geschwind,

komm herbei, du kleines Ding!

Sollst dein Bröckchen gerne haben

und an der Milch dich köstlich laben.

Da kam die Unke herbei und ließ es sich gut schmecken. Sie zeigte sich auch dankbar, denn sie brachte dem Kind aus ihrem heimlichen Schatz allerlei schöne Dinge mit: Glitzernde Edelsteine, edle Perlen und goldene Spielsachen. Die Unke trank aber immer nur Milch und ließ die Weißbrotbrocken unangetastet in der Schüssel liegen. Als die Unke das wiederholte, wurde das Kind unwillig und schlug der Unke mit dem Löffelchen auf den Kopf und sagte: »Liebe Unke, du musst auch von den Brocken essen, sonst schimpft meine Mutti. Die Mutter beobachte und hörte alles durchs Küchenfenster, ergriff ein Holzscheit, rannte schnell in den Hof und erschlug die Unke.

Von dieser Zeit an änderte sich das Verhalten des Kindes; solange die Unke mit ihm gegessen hatte, hatte es rote Backen, jetzt aber magerte es ab und wurde zusehends bleich und bleicher. Und schon bald fing nachts der Totenvogel an zu schreien, und das Rotkehlchen sammelte dürre Zweige und Blätter für den Totenkranz; wenige Tage später lag das Kind auf der Bahre…

(Nach einem Märchen der Gebrüder Grimm)

Die Blüte, die wir nicht zertreten,

wird uns beschenken mit ihrem Duft;

der Vogel, dessen Nest wir schützen,

wird uns belohnen mit seinem Gesang.

REINHOLD SCHNEIDER

Der moderne Weg zur Hasen-Kommune

Eines Tages erkannten die Bewohner des Hasendorfes, dass die Arbeitsamen unter ihnen mit schweren Büscheln frischer Blätter, süßduftender Pflanzen und leckeren Früchten aus dem Busch zurückkehrten, während andere, die Faulen und Bequemen, mit leeren Händen dastanden. Das machte denen, die fair und nobel zu denken pflegten, arge Kopfschmerzen. Deshalb fassten sie auf dem nächsten Hasenkongress folgende Resolution: »Niemand soll künftig im Busch nur für sich selbst nach Nahrung suchen, sondern stets für die ganze Gemeinschaft, die Kommune aller Hasen: Was immer der Einzelne findet, trägt er nach Hause und bringt es zur vereinbarten Zeit auf den Marktplatz. Dann kommen alle Bewohner des Hasendorf zusammen und die Verteilung beginnt: Erst kommen die werdenden Mütter und die Kinder dran; dann alle andern.«

Nachdem alle Hasenfamilien zugestimmt hatten, ging man an die Arbeit. Die Esswaren wurden auf dem großen Marktplatz ausgelegt; und es klappte alles recht gut – keiner ging leer aus, keiner nahm mehr, als er unbedingt brauchte. Und alle gaben zu, dass dies ein guter und gerechter Weg sei zum allgemeinen Frieden im Dorf. Und alle waren zufrieden und glücklich, bis eines Tages ein paar städtische Snobs erschienen, abgeschleckte Vornehmtuer, die den Dörflern weismachen wollten, sie seien schrecklich altmodisch. Modern sei heute die These: Allen gehöre alles. Ihr altmodisches Denken gehöre inzwischen der Vergangenheit an. – Allmählich wurden die Dorfhasen unsicher und baten die Städter um ihren Rat.

Da ergriff der Anführer der städtischen Hasen das Wort und schrie laut und deutlich: »Freunde, Genossen, bald wird alles anders; es wird keine Armen mehr unter uns geben, denn es kommt die Zeit der Volkshasen. Alles für das Volk! Alles mit dem Volk! Und niemals ohne das Volk. Da klatschten alle Beifall – und überließen den städtischen Hasen ihre ganze Habe, auch ihre Vorräte und Früchte, die sie schon geerntet hatten. Bei ihrem Abschied versprachen die beiden Hasen-Snobs aus der Nachbarstadt, dem obersten Chef des Hasenrates in der Stadt die Treue der Dorfhasen zu übermitteln; der werde ihre Loyalität niemals vergessen. Dann riefen sie: »Hoch lebe die neue Zeit! Hoch lebe der Hasen-Rat! Hoch lebe die demokratische Republik aller Hasen weltweit!« – Bald schon fuhren die ersten schweren Laster vor, um die Nahrungsmittel der Dorfhasen zu verladen und in die Stadt zu bringen.

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