Der Wünscheerfüller

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Anders scheint es mir mit Messern zu sein. Niemals kommt man hinter ihr glattgesichtiges Geheimnis. Es gibt sie in allen Formen und Schliffen und immer spiegeln sie nur das wider, was von ihrer blanken Oberfläche reflektiert wird. Sie geben nichts von sich preis, verharren ohne jede Gefühlsregung, obwohl sie bereits blankgezogen haben und ihre hakennasige, spitze oder geschwungene Schärfe, die jeden Lebensfaden mit geringer Anstrengung zu durchtrennen weiß, entblößt ihre Killerseele. Sie sind furchterregend und ohne Mitleid.

Ich kann mir schon denken, dass Sie diesen philosophischen Exkurs für maßlos übertrieben halten. Mein neuer Deutschlehrer bezeichnet meine weitschweifigen Ausflüge gerne als interessante Miniaturen, die sich jedoch mehr an der Sache orientieren müssten. Ich fragte ihn, ob er Hölderlin den gleichen Rat erteilt hätte. Darauf wurde er unverschämt und bezichtigte mich der Anmaßung. Der Unterschied zwischen mir und Hölderlin sei so gewaltig, dass ich den Namen des Dichterfürsten noch nicht einmal im Munde führen dürfe. Ich hatte jede Menge geistreicher Erwiderungen auf der Zunge und den Messerkoffer unter meinem Schreibtisch. Beide Waffengattungen setzte ich nicht ein und begnügte mich mit der Erkenntnis, dass getroffene Hunde bellen.

Tatsache ist doch, dass ich mich in der Gegenwart von Messern beklommen und merkwürdig schutzlos fühlte und das wollte ich wiedergeben. Sie sollten dankbar sein, dass wir hier einen derartig offenen und vertrauensvollen Dialog führen, der nicht durch unnötigen Spott und Spiegelfechtereien vergiftet werden soll. Aber wenn Sie unbedingt darauf bestehen, dass ich es erwähne. Bitte sehr. Natürlich hatte ich keine Scheu vor Brot- und Gemüsemessern in ihrem Alltagsgebrauch. Ich war vielleicht traumatisiert, aber nicht therapiebedürftig. Um es ganz korrekt auszudrücken – das Sushi-Wasabi Kochmesser mit einseitig geschliffener Klinge, das Solinger Schälmesser mit gebogener Klinge und glatter Wate, die Gemüse-, Brot- und Filiermesser in all ihren Ausführungen machten mir keine Bange. Bei ihnen lag der Gebrauch näher als der Missbrauch. Es waren die martialisch aufgemachten Rambogesellen, die mir Gänsehaut verursachten. Aber genug davon. Überwunden ist überwunden. Und das hatte ich so gründlich getan, wie es nur Phobiker vermögen.

Ich hatte die tödlichen Stähle in meinen Händen gewogen, ihrer verschlagenen Glätte Auge in Auge standgehalten und ihre Formen mit vorsichtigen Fingern liebkost, wie ein Mensch, der zum ersten Mal in seinem Leben eine Schlange in der Hand hält und unversehrt bleibt, weil er sich artgerecht verhält. Es war ein großer Sieg für mich und ein blendendes Geschäft für die Versandhäuser. Man kann sagen, dass ich mit der Zeit ein Kenner wurde, der mit Bedacht seine Auswahl traf und diese in dem Besteckkoffer parkte.

Als ich mit meiner Ausrüstung den Bus verlassen hatte, war die junge Frau mit dem kleinen Jungen verschwunden. Ich hatte nichts anderes erwartet. Genau genommen war es die falsche Zeit für Zivilcourage und zart aufkeimende Gefühle. Es war auch die falsche Zeit für Zeugen. Es war Dienstag und Zeit zu handeln. Ich zog den Schal, den ich um mein halbes Gesicht geschlungen hatte, enger. Die Baseballkappe wollte nicht so recht zu der teuren Lederjacke passen, die mein letztes Geschenk an mich war. Ich platzierte mich neben dem ausladenden Zeitschriftenständer eines Kiosks, dessen verwitterte Holzfassade mit mehreren Lagen Graffiti bedeckt war. Zigarettenstummel und Urinstrahlen hatten die unansehnlichen Schneehaufen mit ihren unverkennbaren Markenzeichen versehen. Ein zäher Nebel, den man fast mit Händen greifen konnte, senkte sich, drohte den Tag auszulöschen und dämpfte die Geräuschkulisse zu einem einförmigen Rauschen. Den ganzen Tag war der Himmel zinngrau gewesen und schien neuen Schnee zu versprechen, der nicht fallen wollte.

Ich holte mir eine neue Fanta. Observationen machen durstig. Fragen Sie mich nicht, warum. In Filmen haben die Detektive entweder Harndrang oder maulen darüber, dass nichts Essbares in der Nähe ist. Allenfalls trinken sie Kaffee aus einem Styroporbecher, obwohl keine Notwendigkeit besteht, sich warm zu halten. Scheinbar sind diese Widersprüche noch niemandem aufgefallen. Ich jedenfalls fror gepflegt vor mich hin und trank eiskalte Fanta, weil sie nur so schmeckt und den Durst löscht. Die roten Lichter des „Palais d’Amour“ strengten sich angesichts des wattigen Nebels an, wenigstens einen Teil ihrer marktschreierischen Werbewirksamkeit in die Umgebung zu tragen. Es war abzusehen, dass sie den Kampf verlieren würden. Ich hob meinen Koffer prüfend an und ließ die Verschlüsse aufschnappen. Alles war an seinem Platz. Ich urinierte hinter die Bude. Außer einem aufsässig schnüffelnden Pudel nahm niemand Notiz von mir. Es war zu kalt und zu neblig, um sich um die schemenhaften Figuren auf der Straße Gedanken zu machen. Die Witterung war perfekt. Perfekt für meine Zwecke.

Mein Metzger hieß übrigens Benedikt, was beweist, dass seine Eltern eine Kirchenkarriere statt einer Metzgerlehre für ihn im Sinn hatten. Benedikt machte auch heute keine Ausnahme von seinem gewohnten Tun. Seitensprung nach dem Kalender also. Wie praktisch, wenn man sein Leben so prächtig im Griff hat. Es mochte das Risiko einer vorzeitigen Entdeckung leicht erhöhen, aber der Nebel, der zäh wie Graupensuppe geworden war, zwang mich ganz nahe zu rücken. Die Menschen tappten wie Zombies umher und es hätte nicht viel gefehlt, dass sie mit den Händen ruderten, um die weißen Schwaden zu zerteilen. Autoabgase krochen über die Gehsteige und suchten vergeblich nach Abzugsmöglichkeiten. Der Wetterbericht hatte von vereinzelten Hochnebelfeldern gesprochen und wieder einmal schamlos danebengelegen.

Trotz aller Aufmerksamkeit hätte ich Benedikt fast verpasst. Sie würden staunen, wie viele vermummte Männer mit bauchigen Taschen bei nebligem Winterwetter unterwegs sind. Sie schlurfen mit gesenkten Köpfen, die sie gegen den Wind stemmen und sehen aus wie gestopfte Fleischwürste mit Hüten, Mützen und Kappen in einigen Rollen dunkler Textilien und festem Schuhwerk. Wenn man wie ich in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs steht, macht das die Sache nicht leichter. Jeder hätte Benedikt sein können, aber zum Glück besuchte nicht jeder das „Palais d’Amour“.

Der Mann machte wirklich keine Umschweife. Er war ein Anhänger der direkten Aktion. Bis auf seine Seitensprünge war er ein Mann meines Geschmacks. Er musste so dicht an mir vorübergegangen sein, dass ich ihn mit Händen hätte greifen können und ging schweren Schrittes die Treppe zum Eingang des Etablissements hinauf wie jemand, der zuhause ist. Ohne zu zögern schlug er den Samtvorhang hinter der ramponierten Holztür zur Seite und wurde verschluckt. Ich hatte mich an eine Litfaßsäule an der Ecke des Hauses angelehnt, als warte ich sehnsüchtig auf die Pendlerin meines Herzens. Ab und an schaute ich auf die Uhr und schlang die Arme um mich, um wenigstens die Illusion menschlicher Wärme zu erzeugen. Ansonsten versuchte ich gelassen und ausdruckslos auszusehen.

Wahrscheinlich denken Sie, dass die Staffage wieder einmal überflüssig war. Sie hätten es wohl anders angefangen und wären im Schutze des Nebels sorgloser aufgetreten. Wer würde wohl auf einen Passanten aufmerksam werden, der sich ein wenig die Beine vertritt? Wer wird schon Argwohn erregen, wenn er nicht alberne Verhaltensweisen zur Tarnung an den Tag legt? Sie müssen noch viel lernen. Das sage ich ganz bewusst, obwohl ich noch jung bin. Es sind die winzigen Fehler, die sich summieren. Weisheit und Entschlossenheit sind vonnöten. Beherzigen Sie meine Worte.

Es war die Aufschrift auf der Stofftasche, die gut gefüllt von seinem Handgelenk baumelte, die meinen Metzger verriet. „Das Fleisch macht’s“ warb die Tasche mit weißen Lettern auf blauem Grund. Für einen Metzger mochte dies ein alltäglicher Satz sein. Für alle anderen war die Werbeaussage gewöhnungsbedürftig. Werbung ist darauf angelegt, Aufmerksamkeit zu erregen, eine Botschaft mit Erinnerungswert zu platzieren und Assoziationen hervorzurufen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mein Vorstellungsvermögen gaukelte mir bei dieser Zeile ein mehr als faustgroßes Stück rohen Fleisches vor, das seine Säfte auf eine Lage Küchenkrepp tropfte. Ich fand diesen Slogan der Fleischwirtschaft unausgegoren und kontraproduktiv. An jenem Abend allerdings war ich dankbar für den Wink mit dem Zaunpfahl. Anscheinend hatte ich mich trotz bester Vorsätze einlullen lassen. Ich will nicht verhehlen, dass ich mich ein wenig über mich selbst ärgerte, während ich mit gerecktem Hals und gesteigerter Aufmerksamkeit verfolgte, ob das Licht im Zimmer 23 angehen würde. So sehr ich auch die Fenster zählte und mich selbst überprüfte. Es konnte kein Zweifel bestehen. Zimmer 23 war bereits erleuchtet. Der Mann konnte beim besten Willen nicht nach oben geflogen sein. Das bedeutete, dass sein Herzenspartner bereits anwesend war. Kaum zu glauben, aber diesen Umstand hatte ich einfach nicht bedacht, weil er bisher noch nicht vorgekommen war.

Ich begab mich ins Schlepptau einer grell geschminkten Dame von den Ausmaßen eines Kleinlasters, deren Turmfrisur das zulässige Höhenmaß des Eingangs zum Palast der Lüste eindeutig überschritt. Sie keuchte die Stufen hoch und präsentierte unter ihrem ausladenden Hintern eine Kraterlandschaft an Orangenhaut. Die roten Netzstrumpfhosen wehrten sich tapfer dagegen, in die Vertiefungen gezogen zu werden. Natürlich hatte sie mich bemerkt. Das war nicht weiter schlimm. Viele Männer betraten die Räume als anonyme Anhängsel der Damen, die mit dem Betreiber das Geschäftliche erledigten, während der Kunde mit abgewandtem Gesicht nach oben schlich. Nicht anders würde es bei mir sein. Der chinesische Schnellimbiss hatte vor kaum zehn Minuten eine heiße Mahlzeit geliefert, die der Inhaber des Hauses in einem Nebenzimmer verzehren würde. Gott sei gelobt für Menschen, die starre Gewohnheiten entwickelten und sich daran hielten.

 

Die fleischgewordene Versuchung vor mir versuchte sich in Konversation. Der Eingangsbereich war die perfekte Kulisse für einen Film noir samt den dazu gehörenden abgestandenen Gerüchen, auf die ich gerne verzichtet hätte. „Na Süßer, hatten wir eine Verabredung?“, nuschelte die Nutte. Wenn sie kein Kaugummi kaute, hatte sie ein gewaltiges Sprachproblem. Die Frage war eher rhetorischer Natur. Sie machte keine Anstalten, sich nach mir umzudrehen. Als erfahrene Liebesdienerin wusste sie, dass Freier scheu wie Rehe sind, bevor sich die Tür zum Zimmer schließt. Alles war eine Frage der Diskretion.

„Hey Süßer, ich nehme mir den Schlüssel zu der 16“, rief sie wesentlich bestimmter in Richtung Nebenzimmer. Der andere Süße antwortete mit einem zustimmenden Brummen und Schlürfgeräuschen. „Du kannst uns gerne besuchen kommen. Uns fällt auch zu dritt etwas Nettes ein, Süßer“, gurrte sie asthmatisch. Ich nahm an, dass ich gemeint war und antwortete mit einem indifferenten Laut. Als sachkundiger Laie in Sachen Prostitution muss ich zugeben, dass meine Mutter um Klassen besser ist. Damit meine ich nicht nur das angenehmere Äußere, sondern vor allem das Anreizvokabular, das abwechslungsreich und lockend in individuell gestalteten Variationen vorgetragen wird. Durch den direkten Vergleich mit dieser lieblos abgenudelten Kirmesnummer stieg sie in meiner Achtung.

Die enge Holzstiege protestierte mit einem Zitteranfall des Geländers, als sich die Nutzerin von 16 nach oben wuchtete. Sechzehn ergab auch die Quersumme sieben und es war gut vorstellbar, dass der weibliche Koloss bei allen denkbaren Spielarten der Liebe den Sieg davontrug. Natürlich war diese Überlegung keine seriöse Anwendung der Numerologie, sondern ein albernes Gedankenspiel. Immerhin half es, die aufsteigende Nervosität im Zaum zu halten. Eine Reihe akkurat ausgerichteter Geldspielautomaten dudelte in der Ecke des engen Raumes. Niemand ließ sich blicken. Das spärliche dunkelbraune Mobiliar wirkte im roten Licht abstoßend und ungesund.

Ich machte mich auf den Weg in den zweiten Stock. Dem Geruch nach zu urteilen, kochte jemand Kohlsuppe auf einem Zimmer. Vielleicht ging es nicht um ein deftiges Essen, sondern um eine mir bisher unbekannte Spezialbehandlung. Ich vermied den Blick in den Korridor des ersten Stockes. Eine Frau schrie. Sie war in Ordnung. Es war kein Hilfeschrei, sondern ein auswendig gelernter Text, den sie mehrfach täglich von sich gab, wenn sie genügend Kunden fand. Der Text lautete: „Weiter, weiter“. Ein Fernseher vom anderen Ende des Flurs antwortete mit einem volkstümlichen Trompetensolo, das plötzlich abbrach. Die Treppenstufen knirschten unter meinen Tritten. Ich schwitzte. Mit einem Knacken erlosch das Licht. Ein Fenster am Ende des Treppenabsatzes wies mir den Weg. Ich tastete mich voran und sah für einen Augenblick hinaus in den milchigen Nebel. Ein Stück Tapete rollte sich von der Wand.

Die 23 war das Eckzimmer direkt neben der grünen Leuchte mit der Aufschrift „Notausgang“.

Sorgfältig komplettierte ich meine Verkleidung und schaute mich noch einmal um. Dann zog ich das Stemmeisen aus der Innentasche der Lederjacke und setzte es an dem altertümlichen Schloss an. Die Hebelwirkung ließ die Tür nach innen schwingen. Das kurze Krachen alarmierte die Gestalt neben der Garderobe. Die Gestalt fuhr herum. Es war der Weihnachtsmann mit offenem Mantel. Von seinem erigierten Glied tropfte Schokosoße. Er starrte mich unter buschigen weißen Augenbrauen verständnislos an.

Dann schoss ich mit dem Taser.

VII.

Ich lege bei allem, was ich tue, die denkbar höchsten Maßstäbe an. Auch bei der Ausrüstung mache ich keine faulen Kompromisse. Der Taser mag ein klobiges und unattraktiv erscheinendes Elektroimpulsgerät sein, aber er hat unbestreitbare Vorteile zu einer echten Schusswaffe oder zu Totschlägern und Elektroschockern aller Art. Er kombiniert das Beste aus zwei Welten. Zum einen kann man seine Pfeile aus sicherer Entfernung abschießen und zum anderen macht er keine hässlichen Löcher, die das Objekt zum Teil oder vollends zerstörten, bevor man die Dinge tun konnte, die man mit ihm vorhatte. Als Bonus kann man betrachten, dass er kaum Geräusche und keinen Schmutz macht, wenn man davon absieht, dass der Getroffene eine vollkommene Muskelverriegelung erfährt und sich möglicherweise beim Nachlassen der Wirkung auf die eine oder andere Weise entleert.

Der Weihnachtsmann war noch nicht im Stadium des Entleerens angekommen. Ganz im Gegenteil. Er krümmte sich in wilden Krämpfen auf dem Boden. Wäre ich nicht so gut vorbereitet gewesen, hätte er sich in den isolierten Hochspannungskabeln verheddert, die von der Tasermündung zu seiner Brust führten. Ich hasste es, wenn meine Sachen beschädigt wurden, auf die ich ansonsten so gut achtgab. Um die Geräuschkulisse aus dumpfem Aufprall und kehligem Stöhnen machte ich mir genauso wenig Sorgen, wie um die Tür, die ich nur mit Schultereinsatz notdürftig im beschädigten Schloss arretieren konnte. Das Haus hatte täglich ganz andere Lärmattacken zu erdulden und es ertrug sie mit stoischem Schweigen. Was mir Sorgen machte, war die zweite Person, die anscheinend im Schock auf dem Bett verharrte, das um die Ecke stehen musste.

Ich war darauf gefasst, jeden Moment von spitzen Schreien durchbohrt zu werden und entschied mich für den Frontalangriff. Mit einem Sprung setzte ich über den sich krümmenden Weihnachtsmann hinweg und rollte mich vorsichtshalber über die Schulter ab, falls ein heimtückischer Angriff von der Bettseite aus drohte. Ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen. Das Einzige, was über mich herfiel, war ein faltiger Lampenschirm, den mein Steilsprung aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Das Bett stand genau dort, wo ich es erwartet hatte und wurde von zwei ungleichen Nachttischen flankiert, die schon bessere Zeiten gesehen hatten. An dem schmucklosen Zweimannbett und seinem Deckenberg war an sich nichts auszusetzen. „An sich“ heißt: Bis auf den menschlichen Belag, der wie ein flach gedrücktes X in seinen Armen lag. Da hatten wir also das Objekt der Begierde, dessentwegen Susi traurig war und ich wie ein mäßig begabter Bodenturner in ein mir unbekanntes Zimmer hechtete.

Die ungewöhnliche Steifheit des Objekts und sein gelegentliches Wimmern ließen als Erklärung nur zu, dass es beim Anblick meiner Erscheinung in eine Art angstvollen Starrezustand verfallen war oder schon transportfähig gefesselt und geknebelt dalag. Langsam auf die Knie gehend, entschied ich mich für die zweite Option. Hände und Füße steckten in derben Ledermanschetten und waren mit Verschlusshaken an den aufragenden Bettpfosten festgezurrt. Ein dienstbarer Geist hatte massive Ösen in die Pfosten hineingetrieben. Es geht nichts über stabile Sonderanfertigungen. Das Objekt war passenderweise nackt und lag auf dem Bauch. Die beiden Turteltauben hatten aus Einfachheitsgründen auf ein vollständiges Rollenspiel verzichtet. Der Kopf des Objekts war tief in die Kissen gedrückt und hatte Mühe, mit angestrengt wirkenden Seitwärtsbewegungen an ausreichend Atemluft zu kommen. Der Kopf stöhnte auch, aber in einer höheren Tonlage und mit länger gezogener Modulation im Vergleich zu seinem Weihnachtsmannliebhaber, dessen vokalreiche Reaktion langsam in ein klagendes Zucken überging, bei dem die Pantomime überwog.

Meine beiden Zimmergenossen hatten den Begriff „Zweimannbett“ wörtlich genommen. Der magere, mit blondem Flaum bedeckte Hintern im Zentrum der Matratze gehörte einem Mann. Über den Rest brauchen wir nicht mehr zu streiten. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und hätte mir fast die Haare gerauft. Vor mir lag kein ausladender Frauenarsch in Apfel- oder Birnenform, sondern ein vorwitziger kleiner Knackarsch unter schmalen Hüften, muskulös und für einen wie mich in etwa so erregend wie ein Harzer Käse auf Graubrot. Das ganze knotige und sehnige Kerlchen samt blonden Igelhaaren im Blow Dry Stil war nicht mein Metzger. Der gute Benedikt musste unter dem langen Bart des Weihnachtsmanns stecken. Ich war bedient und hätte gut und gerne noch eine Fanta gebrauchen können.

Ich weiß, dass es nur ein kurzer Weg ist, mir Schwulenfeindlichkeit vorzuwerfen, aber ich gehöre nicht zu denen, die Schwule verurteilen, nur weil sie anders orientiert sind. Ich gehöre auch nicht zu jener bigotten Gesellschaft, die Schwulen aus religiösen und moralischen Gründen das Existenzrecht abspricht oder zu der Fraktion, die Homosexualität als kurierbare Krankheit ansieht. Nein, so ist es bestimmt nicht. Ich mag sie nur einfach nicht. Basta.

Seit gerade eben spürte ich, dass ich sie noch viel weniger mochte, wenn sie sich mit heißer Schokolade beträufelten, um Gott weiß welche Spielchen zu veranstalten. Der kleine Scheißer auf dem Bett trug eine Schokoladenlandschaft auf dem Pelz, die im Jackson Pollock Stil auf ihn getropft worden war. Woher ich wusste, dass es sich um Schokolade und nicht um Farbe oder Exkremente handelte? Ganz einfach, meine Lieben. Geruchssinn und Geschmackssinn sind in solchen Fällen untrügliche Ratgeber und wenn sich zusätzlich der Sehsinn mit durchschnittlicher Intelligenz paart, zieht man die richtigen Schlüsse. Auf einem der Nachttische war ein Campingkocher in Betrieb, der in einem Topf Schokolade schmolz. Es roch intensiv nach Bitterschokolade, Kirsche und Minze. Die Schokolade war überall. Klebrige Spuren auf dem Boden, den Bettüberwürfen und den Körperöffnungen von Goldlocke, der mit einem rosa Ball geknebelt war, der ihm aus dem Mund quoll. Mit Nieten besetzte Lederbänder waren in seinem Nacken verknüpft und hielten den Ball an seinem Platz. Ich hatte eine solche Vorrichtung noch nicht gesehen und ihr luststeigernder Sinn erschloss sich mir nicht von alleine.

Ich stippte den Finger in den Topf und kostete. Es war köstlich warm und cremig. Eine Geschmacksexplosion von Kakao, intensivem Kirscharoma und minziger Frische. Die Jungs wussten, was gut war. Vom Körper des gefesselten Gespielen hielt ich mich einstweilen fern. Das tat ich nicht, weil ich Berührungsängste hatte, sondern weil der Weihnachtsmann zu zittern aufhörte und zu starren anfing. Wenn ich später noch Zeit und Lust hatte, konnte ich Goldlocke nach Herzenslust abschlecken. Ich bezweifelte aber schon jetzt, dass es dazu kommen würde. Als ich ihn an seinen Haaren hochzog und den Kopf zur Seite drehte, blubberte hinter dem Plastikball ein Satzbrei ins Freie, der in freier Übersetzung für nicht Geknebelte heißen mochte: „Was soll denn das? Wer bist denn du?“. Berechtigte Fragen allemal, das musste man zugestehen. An ihrer Beantwortung war mir nicht gelegen. Ich versuchte vielmehr abzuwägen, wie weit der Kamerad den Ball mit der Zunge verschieben konnte, um einen höllisch lauten Hilferuf zustande zu bringen. Da ich keinen Babysitter dabei hatte, der auf ihn aufpassen konnte und ich mich dringend anderen Aufgaben zu widmen hatte, griff ich mir das nächstbeste als Zusatzknebel geeignete Objekt. Meine Wahl fiel auf ein handliches Plastiknetz voller handelsüblicher Glasmurmeln. Es lag unschuldig neben einem Kopfkissen und wäre vor fünfzig Jahren der Stolz eines jeden Dorfjungen gewesen. Ich vermochte nach allem, was ich gesehen hatte, nicht zu glauben, dass es zufällig an diesem Platz lag. Andererseits konnte ich mir keinen Reim darauf machen, welche Rolle die teilverkleideten und teilgefesselten Jungs in der Schokoladenweihnachtssexorgie den Murmeln zugedacht hatten. So glatt und fest wie diese waren, konnte man sich einige Verwendungsweisen vorstellen. Aber wir wollen das an dieser Stelle nicht vertiefen. Ich machte mir eine mentale Notiz, meine Mutter als neutrale Expertin dazu zu befragen.

Goldlocke ließ sich erstaunlich willig das Murmelpäckchen in den Rachen stopfen. Anscheinend ging er tatsächlich davon aus, dass ich als Überraschungsgast mit zum Spiel gehörte. Leicht angeekelt betrachtete ich die bräunlich verfärbten Speichelfäden auf dem Zeigefinger meines hellen Ziegenlederhandschuhs. Ich wäre besser beraten gewesen, auf eine Latexversion zurückzugreifen, die ich nach dem Stochern in fremden Mundhöhlen entsorgen konnte. Der Zeigefinger meines Lederhandschuhs roch nach Kirschschokolade. Offensichtlich hatten die beiden Schleckermäuler schon eine erste schnelle Runde hinter sich gebracht.

Der Weihnachtsmann lag wie ein gestrandeter Wal auf der Seite. Er war ein schwerer Bursche und ich hatte alle Mühe, ihn auf einen Flechtstuhl zu zerren und seine Handgelenke mit Kabelbindern an die Armlehnen zu fesseln. Aus der Richtung des Bettes kamen so etwas wie Schnarchgeräusche. Es war nicht zu fassen. Erst nahm der Typ den Mund ziemlich voll und dann gelang es ihm in der denkbar aufregendsten Phase dieses Dienstags einzuschlafen. Mir sollte es recht sein.

 

Der Schokoladenpenis des Weihnachtsmannes hatte sich in seine drahtige Schambehaarung verkrümelt. Bei dem Herumgewälze hatte die erschlaffte Hautausstülpung interessante dunkle Tupfer und Schmiergebilde auf dem Laminat hinterlassen. Wenigstens war der vornehme rote Mantel mit dem weißen Pelzbesatz weitgehend unversehrt geblieben. Der Rauschebart hing ein wenig windschief, aber immer noch akzeptabel über das Kinn und die Zipfelmütze saß fest auf der Stirn. Lediglich die Bommel war nach vorne geschlagen und zierte die Nasenspitze des Weihnachtsmannes wie ein großer Furunkel. Die beachtliche Wampe des Mannes und seine momentanen muskulären Probleme drohten den Körper nach vorne zu kippen und mit dem Gesäß über den Stuhlrand gleiten zu lassen. So konnte ich nicht arbeiten. Eine gepflegte Unterhaltung erfordert ein Mindestmaß an Bequemlichkeit und Etikette.

Ich behalf mich mit mehreren Armlängen Vorhangschnur und schlang das Nylon um Körper und Beine, bis ich mit der Sitzposition einverstanden war. Später würde ich einen angemessenen Betrag aus den Geldbörsen von Goldlocke und Schokopenis pflücken und für den Betreiber des Palais zur Beseitigung der entstandenen Schäden hinterlegen. Ich machte mir eine entsprechende mentale Notiz. Ich wollte mir in diesem Punkt nichts nachsagen lassen. Sollten Sie an dieser Stelle das Gefühl haben, dass ich unnötig geizig bin, dann täuschen Sie sich. Ich glaube, dass ich schon mehr als ein Mal bewiesen habe, dass Großzügigkeit zu meinen Charaktermerkmalen gehört. Aber ich bin korrekt. Ich bin immer korrekt. Das soll heißen, dass ich mich an dem Verursacherprinzip orientierte. Wer, so frage ich Sie, hatte die Schweinerei verursacht? Doch eindeutig die beiden schwanzgesteuerten Jungs. Und ich bitte noch eines zu bedenken: Ich war ohne Bezahlung, also völlig pro bono unterwegs und trug sogar meine Auslagen selbst. Ich denke, das rechtfertigt meine Handlungsweise.

Der Metzger war der am dichtesten behaarte Weihnachtsmann, der mir je untergekommen war. Haarbüschel sprießten wie Wolle aus seiner Haut. Es waren wellige, drahtige Borsten, die sich zunehmend grau färbten. Susi schien auf den Typ Affenmensch zu stehen, der auf haarige, schwielige Pranken statt auf einen akademischen Abschluss verweisen kann. Das hatte sie davon. Das Fell und die Muskeln unter dem Fettgewebe gab es eben nur im Doppelpack mit einer ungezügelt animalischen Natur. Wenn man selbst auf der musischen und kulinarischen Seite des Genusses stand, der seine Erfüllung in dem Anhören einer Weihnachtskantate und dem Verfeinern von Krautsalat fand, musste man damit rechnen, dass sich die Triebe des Partners anderweitig befriedigten. Nun, dieses Problem würde einer dauerhaften Lösung nach dem heutigen Dienstag wesentlich näher gekommen sein. Ich war mit dem Arrangement erst einmal zufrieden.

Das mühsame Keuchen und Rasseln seines Atems, die Speichelblasen im Wattebart und die trüben Augen unter den mächtigen schneeweißen Augenbrauen ließen das Ansehen des Weihnachtsmannes in meinen Augen auf einen historischen Tiefstand sinken. Außerdem stank er penetrant vor sich hin, als ob er einen Nebenjob als Duftkerze ausüben würde. Aus dem verklebten Schritt waberte eine Schokoladenwolke und die Achseln mit ihrem zottigen Wildwuchs verströmten ein herb männliches Aroma von Tabak, Hölzern und Zitrusfrüchten. Für das Deo hatten Heerscharen unschuldiger Pflanzen ihr Leben geben müssen und ich war dazu verurteilt, ihretwegen mit einem ständig wiederkehrenden Würgereiz zu kämpfen. Ein wildes Hupkonzert von der Straße kämpfte sich durch den Nebel und erreichte das Zimmer als mehrstimmiges Quäken.

Als vorausschauende Vorsichtsmaßnahme hatte ich mehrere Lagen breites Isolierband über den bärtigen Mund meines verkrampften Freundes geklebt. Das war nicht ganz einfach zu bewältigen, denn die Ausläufer des Bartes hefteten sich begierig an den Klebstoff und machten die Haftwirkung unwirksam. Das Experimentieren mit den Klebestreifen brachte mich in die unmittelbare Nähe des Mundes und der fleischigen Wangen. Vielleicht sind Sie in solchen Dingen abgehärteter oder toleranter. Ich jedenfalls war auf das Äußerste abgestoßen, als ich feststellen musste, dass der Weihnachtsmann blutrot geschminkte Lippen hatte. Ich hatte die beiden mitten in der Verrichtung gestört. Ganz sicher wäre die Schminkerei und Verkleiderei noch weitergegangen. Durchsichtige, duftige Dessous und falsche Wimpern, ausdrucksvolle Lidschatten und Pumps Größe 46. Ich wickelte das Isolierband kurzerhand mehrfach um Kopf und Kapuze, sodass der Weihnachtsmann aussah, als sei er von einem Stümper repariert worden. Ich seufzte tief. Im Bett beschäftigte sich Goldlocke mit einer Art ersticktem Schluckauf. Er schien eine Menge Spaß zu haben, denn er schaukelte hin und her, wie jemand, der den Beginn seiner Behandlung nicht abwarten kann.

Längst hatte ich den Taser wieder betriebsbereit gemacht und längst fixierten mich die eng beieinanderstehenden Augen des Mannes auf dem Stuhl. Ich tat so, als hätte ich nicht bemerkt, dass er seine gesamte Muskelkraft einsetzte, um die Fesseln zu sprengen. Der Stuhl ächzte unter der Zumutung, hielt aber stand. Es ist ein seltsames Gefühl, von den blutunterlaufenen Äuglein eines halb nackten, geschminkten und gefesselten Weihnachtsmannes fixiert zu werden, der im bürgerlichen Leben ein Kopfschlächter ist. Manchmal konnte man sich seine Gesellschaft eben nicht aussuchen. Ich seufzte bei dem Gedanken erneut und beschäftigte mich mit meinen Utensilien. In dem Buch eines chinesischen Kriegsherrn hatte ich gelesen, dass die Nichtbeachtung eines besiegten Feindes eine vielversprechende Strategie ist, diesen kooperationsbereit zu machen.

Was Sie nicht wissen können ist, dass meine Aufmachung ihn ebenso verwirren musste, wie es die Seine bei mir getan hatte. Er sah eine schlaksige Figur in Lederjacke, Schal und Schirmkappe mit dem Gesicht von Nancy Reagan. Nun ja, ich muss gestehen, dass mir nichts Besseres eingefallen war. Kurz vor den Festtagen musste man an Masken nehmen, was von Fasching übrig geblieben war. Der Staubschicht nach zu urteilen, die auf dem dehnbaren Gummigesicht der ehemaligen First Lady der USA Asyl gesucht hatte, war die Maske der Ladenhüter des Jahrhunderts. Beim Anprobieren stellte sich heraus, dass Nancy Reagan meine erste Wahl sein musste. Wenn eine Plattitüde angebracht ist, dann hier, denn die Maske passte im wahrsten Sinne des Wortes wie angegossen. Nancy und ich hatten die gleiche hagere und längliche Gesichtsform. Wir waren beide ehrgeizig und machtbewusst … Sie haben recht. Ich darf es mit den Gemeinsamkeiten nicht zu weit treiben. Nancy Reagan hätte niemals vor Santas Schokopenis gekniet und ihre Messersammlung präsentiert.

Und das war der zweite mögliche Grund, weshalb mich der Weihnachtsmann so gebannt anschaute. Auf meine Maskierung konnte er sich erst einmal keinen Reim machen, aber die Geheimnisse, die ich meinem Koffer entlockte, mussten ihn auf das Höchste beunruhigen. Ich gab mich nicht mit Erklärungen ab, sondern hob meine Schätzchen aus ihrem rosenroten Samtbett. Ich will Ihnen nicht verschweigen, dass es dabei nicht wirklich stilecht vorging. Nachdem ich den Besteckeinsatz entfernt hatte, wollte ich eine Serie elastischer Schlaufen in den Samt einlassen, um die Messer dekorativ zu verwahren. Ich denke, Sie kennen das. Vorsätze sind schnell gebrochen, wenn man vordringlichere Dinge zu erledigen hat, und so blieb die Planung in ihren Urgründen stecken.