Scheidung kann tödlich sein

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Scheidung kann tödlich sein
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Scheidung kann tödlich sein

Impressum

Liebe Leser, ein Hinweis vorab

Einleitung

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Epilog

Danksagungen

Anhang

Andrea Ross

Scheidung kann tödlich sein

Band III

XOXO Verlag

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-040-8

E-Book-ISBN: 978-3-96752-540-3

Copyright (2019) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter

Buchsatz: Alfons Th. Seeboth

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Rechtlicher Hinweis:

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten rund um diesen Roman sind, abgesehen freilich von real existierenden Ortschaften, frei erfunden. Dasselbe gilt bezüglich der beschriebenen Vorgänge bei Behörden sowie anderen Institutionen oder Firmen. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen sowie deren Vereinigungen sind von der Autorin nicht beabsichtigt und wären daher rein zufällig. Selbstverständlich gilt letzteres nicht für ›Öffentliche Personen‹ aus der Politik.

Liebe Leser, ein Hinweis vorab

Dieser Roman greift ein sensibles Thema unserer Zeit auf und hinterlässt die wohl berechtigte Frage, ob die Rechtsprechung in Familiensachen im Deutschland unserer Tage in ihrer Form noch aktuell sein kann. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht beabsichtigt, können wegen der Vielzahl so oder ähnlich ablaufender Fälle jedoch neben autobiografischen Teilen dieses Werks wohl nicht vermieden werden, wobei auch in diesen Teilen alle Namen geändert wurden.

Als Schauplatz der Handlung habe ich meine wirkliche Heimatstadt gewählt, doch hätte der Roman auch an jedem anderen Ort spielen können. Es ist nicht meine Absicht, diese Stadt zu verunglimpfen, aber ein wenig Satire wird sie sicherlich verkraften können.

Die Romanfiguren sind stellvertretend für bestimmte Persönlichkeitstypen zu sehen. Irgendeine Verletzung von Persönlichkeitsrechten kann somit nicht eintreten.

Ich bedanke mich bei Freunden und Bekannten, die mir mit zahlreichen Fallschilderungen Anregungen zu diesem Buch gegeben haben.

Ihre Autorin

Einleitung

»Stell dir vor, du lernst Deinen Traumpartner kennen. Der jedoch steht inmitten des Scherbenhaufens seiner bisherigen Familie. Es hilft nichts – du musst mit ihm durch das Scheidungsverfahren und die Jahre danach, wenn du mit ihm zusammen sein willst. Also nimmst du das Unangenehme auf dich.

Dennoch wird dir schnell eines bewusst: Die andere Familie, die an ihm haftet, wird ihn niemals in Frieden leben lassen – schon gar nicht mit dir.«

Andrea Ross

Ich habe das Buch »Scheidung kann tödlich sein« in zwei Bänden veröffentlichen lassen und darin auf fast 1.000 Seiten beschrieben, wie Neid und Hass eine Trennung endlos hinausziehen und alle Beteiligten nahezu in den Wahnsinn treiben können. Selbstverständlich mit geänderten Namen und in verfälschter Version. In diesen Bänden ist so detailliert wie möglich dargestellt, wie die neue Lebensgefährtin – meine Wenigkeit – ständig mit diesem erbarmungslosen Krieg konfrontiert wird und sich nur geringe Hoffnungen auf eine harmonische neue Zukunft mit dem männlichen Scheidungsopfer machen kann. Auch um andere Trennungswillige zu warnen, bloß nicht ähnliche Fehler zu begehen. Nachdem der belastende Wahnsinn nach diesen beiden dicken, bereits veröffentlichen, Büchern entgegen meiner Hoffnung leider noch immer keinen Abschluss fand – ganz im Gegenteil – schrieb ich auch noch den Ihnen hier vorliegenden Band 3.

Es sind wieder über 400 Seiten zusammengekommen. Nach der Beschreibung dieser neuerlichen seelischen Quälereien beschloss ich, es endlich gut sein zu lassen. Irgendwie meinen persönlichen Frieden mit den leider vor sich hin schwelenden Bränden auf dem Schlachtfeld der Beziehungskisten zu schließen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. In der Gegenwart zu leben, nach vorne zu sehen und eine neue Zukunft mit meinem geliebten Lebensgefährten einzurichten.

Aber wird mir das irgendwann gelingen? Bis heute weiß ich das nicht sicher zu sagen, denn noch immer ist mein Lebensgefährte in der Aufarbeitung seiner Vergangenheit gefangen, hat in jeder Hinsicht die Folgen zu tragen. Diese bittere Wahrheit veranlasste mich zu dem eingangs getätigten Zitat.

Sollten Sie, lieber Leser oder liebe Leserin, Interesse an den diesem Band vorangegangenen Ereignissen haben, können Sie die Zusammenfassung hiervon im Anhang lesen. Detaillierter ist die Geschichte selbstverständlich in den beiden Bänden von »Scheidung kann tödlich sein« niedergeschrieben, welche ich Ihnen zur Abschreckung hiermit wärmstens empfehle.

Kapitel I

Entsorgt

Als Attila das Gutachten zur Erziehungsfähigkeit über seine Exfrau in den Händen hielt, war seine erste emotionale Reaktion darauf, den Kontakt zu den Kindern vollständig abzubrechen, damit das belastende Gezerre um deren Gunst endlich aufhöre; außerdem: wenn die Gutachterin schon die Kinder bei ihrer, ohne fremde Hilfe nicht erziehungsfähigen, Mutter sehen wollte, was konnte er dann noch ausrichten? Wenn Kontakte den Kindern eher schadeten als nutzten, weil die Eltern zu gegensätzlich waren und der Krieg zwischen beiden unvermindert tobte?

Die Gutachterin hatte unter anderem geäußert, Attila übertreibe bei seinen Schilderungen und Reaktionen, indem er das Ganze als »Rosenkrieg« bezeichne, sich wegen seines Ehedramas sogar schon das Leben nehmen wollte und dies nun heute relativ emotionslos als logische Folge der unerträglichen Situation hinstellte. Fragte sich bloß, wie sie sowas eigentlich beurteilen wollte, mit den wenigen Fakten, die ihr vorlagen.

Vielleicht hätte die gute Frau einmal die Bände 1 und 2 dieser Geschichte lesen sollen, welche nur die Zeit nach der Trennung beschreiben. Hätte man die Ereignisse während des Zusammenlebens auch noch niedergeschrieben ... oh je! Doch das Lesen meiner Aufzeichnungen hätte, wie sie Attila gegenüber bemerkte, den zeitlichen Rahmen dieses Gutachtens gesprengt. Natürlich, solche Denkweisen kannten wir schon zur Genüge. Machen wir es uns doch lieber einfach, wen interessiert schon Attilas Blickwinkel!

Das wirklich Schlimme an diesem Gutachten zur Erziehungsfähigkeit war, dass es im Grunde weitgehend zutreffende Darstellungen enthielt, sieht man von der meines Erachtens entgleisten Schlussfolgerung einmal ab. Ich hatte längst ebenfalls schon den Verdacht für mich erhärtet, die Kinder seien einfach kaum erzogen, hätten nie Grenzen kennengelernt und versuchten deshalb, die Eltern gegeneinander auszuspielen. Was auch noch recht einfach gelang, weil die beiden sich ja meist nicht einig waren und ihnen neue Munition gegen den Partner häufig gerade recht kam. Während der Ehe genauso wie heute.

Dass die Schreianfälle Ronjas und das extreme, theatralische Zicken Solveigs ausschließlich im häuslichen Umfeld auftauchten, verwunderte vor diesem Hintergrund überhaupt nicht. Es wurde schließlich wunschgemäß darauf reagiert, und das auf beiden Seiten. Dass die Kinder von den Eltern gelernt haben, durch Geschrei das zu erreichen, was sie beabsichtigten, ist auch nicht erstaunlich. Die Eltern haben herrlichste Ehekräche vor den Augen und Ohren der Kinder hingelegt. Wer dabei am lautesten schreit oder das meiste Geschirr zerschlägt, gewinnt.

Das sind die nachteiligen Folgen, wenn man versucht, eine Ehe wider besseres Wissen über Jahre irgendwie hinzuschleppen, obwohl sich die einstige Liebe längst in Hass verkehrt hat. Wenigstens jeweils bis zur nächsten, kurzzeitigen Versöhnung.

Uschi und Attila haben bis heute eine stark emotional aufgeladene Beziehung, auch das hat die Gutachterin richtig erkannt. Genau dieser Umstand ist es, der mir oft so zu schaffen macht. Wer kann sich schon auf eine neue Liebe, eine neue Beziehung samt neuem Leben konzentrieren, so lange er die alte sorgsam aufrechterhält?

Genau das tat er jedoch und wenn es bloß war, um seinen Krieg gegen sie zu gewinnen. War sich dessen aber selbst nicht vollumfänglich bewusst; auch nicht, welche Folgen dies für mich und sein neues Leben nach sich zog. Konnte etwa keiner von den beiden ohne den anderen existieren, ohne hierbei extreme Emotionen, gleich welche Art, wachzurufen?

 

Wobei ... wenn ich an das Telefonat zwischen Attila und Uschi in der Nacht der stressigen Serverumstellung vor einigen Wochen dachte, war ich mir wieder einmal nicht ganz sicher, ob wirklich

nur noch Hass übrig sein konnte. An diesem Tag war Attila zu allen anderen Menschen kurz angebunden und muffelig gewesen, weil er arbeitstechnisch sehr angespannt war. Einzig mit Uschi sprach er am Telefon nicht nur nett, sondern sogar einfühlsam und für meinen Geschmack übertrieben freundlich, einschließlich der fast schon liebevollen Verabschiedung. Und das war beileibe nicht das erste Mal gewesen, dass mir so etwas auffiel. Er hatte es an diesem Abend damit erklärt, dass er Informationen über die Kinder aus ihr heraushorchen wollte und daher so auffallend nett gewesen sei, weil sie ansonsten bestimmt sofort aufgelegt hätte.

Doch er vergaß hierbei, dass ich nicht nur die Worte gehört, sondern auch seine Mimik gesehen hatte. Aus dieser kann man oft mehr herauslesen als aus bloßen Worten. Genau wie aus der Tatsache, dass er Uschi nach wie vor gegenüber Jedermann als »seine Frau« titulierte, was mir immer wieder einen herben Stich in die Herzgegend versetzte.

Die Gutachterin glaubte an eine emotionale Abhängigkeit Uschis, Attila betreffend. Auch sie konnte ihn nicht loslassen. Sicher, ich wusste aus eigener Erfahrung, dass einen Attila derart faszinieren konnte, ob man sich nun über ihn ärgerte oder ihn liebte. Nur: wenn diese Feststellung zutraf, dann bedeutete das, dass Uschi weiterhin alles unternehmen würde, um ihn an sich zu erinnern oder gar an sich zu binden. Völlig unabhängig davon, ob die beiden geschieden wären oder nicht. »Schöne« Zukunftsaussichten für mich, zweifellos!

Vermutlich litt auch Solveig an dieser »emotionalen Abhängigkeit«, denn sie war ja einst seine Lieblingstochter gewesen, wurde behandelt wie eine Königin, wie eine Erwachsene. Als sie mich als Konkurrenz bei Papa bekam – jedenfalls muss es für sie wohl so ausgesehen haben – wollte sie keine Sekunde der Aufmerksamkeit ihres Vaters an mich abtreten und zickte daher eifersüchtig, was das Zeug hielt. Bis hin zum völligen Bruch mit Papa.

Danach trieb sie im Grunde dasselbe Spielchen wie ihre Mutter, um Papa aus der Reserve zu locken. Der neueste Clou: bei einer Gutachterin zu äußern, man gehe lieber in Fremdunterbringung, als bei Mutter oder Vater wohnen zu wollen, wobei diese Gutachterin seltsamerweise auch noch voll darauf einstieg. Andernfalls, so drohte Solveig, werde sie vor lauter Frust gleich Selbstmord begehen. Solche Ankündigungen hatte sie schon, taktisch geschickt, mehrfach angebracht.

Anstatt das Mädel darauf hinzuweisen, dass Erpressung nicht geduldet werde, dachte man beim Jugendamt tatsächlich darüber nach, ob man ihrem Wunsch nach Fremdunterbringung stattgeben sollte. Im Grunde überließ man eine so weitreichende Entscheidung dem mittlerweile 13-jährigen Kind selbst.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich vielleicht altmodisch klinge: dem Mädchen hätte rechtzeitig einmal der Hintern versohlt gehört. Die wusste nämlich anscheinend gar nicht, dass sie noch lange ein Kind mit eingeschränkter Entscheidungsgewalt bleiben wird. Auch von den Institutionen wurde ihr dies offensichtlich nicht vor Augen geführt.

Somit würden wir für lange Zeit wohl weder Uschi vom Hals bekommen noch vor Solveigs oder Ronjas Launen sicher sein. Wie sollte ich damit umgehen? Zumal Attila alles liegen und stehen ließ, wenn von dieser Seite etwas kam.

Und dann die Schlussfolgerung des Gutachtens! Uschi sei zwar eigentlich nicht erziehungsfähig, trinke viel zu viel Alkohol und nehme überdies Psychopharmaka ein, aber die Kinder sollten dennoch bei ihr belassen werden. Sofern sie sich weiterhin der Hilfe von außen bedienen würde. Unter anderem, damit die Kinder beim Vater keine neue Sprache lernen und sich in kein neues Umfeld eingewöhnen müssten. Außerdem hätten alle Kinder so und so geäußert, bei der Mutter bleiben zu wollen.

Man wollte sie somit mit Hängen und Würgen bei der Mutter lassen, selbst wenn dies bedeutete, dass weiterhin mit Psychiatrieaufenthalten, der Erziehungsbeistandschaft und womöglich sogar mit notwendiger Fremdunterbringung zu rechnen war. Bis alle drei Kinder 18 Jahre alt wären. Auch für den Fall, dass Uschi, wie bisher, null einsichtig ob ihres Verhaltens und dessen Folgen sein würde. Kein Wort fiel davon, wie überhaupt sichergestellt werden sollte, dass Uschi sich rechtzeitig adäquate Hilfe holte, wenn sie mit den Kindern nicht klarkam. Nach den bisherigen Erfahrungen geschah das alle paar Tage.

Wenn ich mir vorstelle, meine Mutter hätte früher ein Heer von Erziehungsbeiständen und Psychiatern beschäftigt, nur um mir Herr zu werden ... welche Kinder sind schon komplett harmlos? Der Unterschied dabei ist nur: wir hatten einen gewissen anerzogenen Respekt, und wenn es nur derjenige vor den Folgen unserer Handlungen war. Die notwendige Frusttoleranz, die man im Leben nun einmal benötigt, wurde uns auf jeden Fall beigebracht. Die Grenzen waren fest abgesteckt und wer sie übertrat, der tat das mit voller Absicht und wusste, worauf er sich einließ.

Immer wieder aufs Neue.

1973 – Der schwarze Schaukelstuhl-Freitag

Ich liebe die Freitage. Wenn ich aus der Schule komme, vertilge ich immer mein Mittagessen, kümmere mich kurz um die Hausaufgaben und dann, ja dann winkt die große Freiheit. Nicht nur wegen des Wochenendes. Am Freitagnachmittag erledigen meine Eltern stets den Großeinkauf der Familie und sind nur allzu froh, wenn ich gelangweilt anmerke, dass ich nicht unbedingt mitgehen möchte und sogar, wenn es denn sein muss, auf den kleinen Bruder aufpassen werde. Sie sind wohl glücklich, dass ihnen keine nervigen Kinder an der Kasse beharrlich Süßigkeiten herauspressen wollen. So hat jeder etwas von diesen Freitagen: die Eltern ihre Ruhe, und wir Kinder Zeit für Sachen, die unsere Alten besser nicht mitbekommen sollten. Herrlich!

So auch heute. Kaum hat meine Mutter nach den üblichen Ermahnungen die Türe hinter sich zugezogen, erwachen meine Lebensgeister. An genau diesem Freitag werde ich versuchen, die Experimente von früher zu wiederholen, deren Ergebnis mir damals sehr zugesagt hatte.

Mein Bruder nannte ein Schaukelpferd sein Eigen, was ich ihm ziemlich neidete. So was hatte man mir früher nicht gekauft, aber das war ja wieder typisch. Immer nur er! Daher verfiel ich irgendwann auf die wahnwitzige Idee, ihm das Schaukeln darauf madig zu machen. Ich setzte mich neben dem selig schaukelnden Bruder auf den Fußboden und machte abfällige Bemerkungen über das Pferdchen, dass dieses langweilige Schaukeln ja wohl überhaupt keinen Spaß machen könne. Es sei denn, man versuche sich an einem tollkühnen Überschlag!

Peter reagierte auf meine blöden Bemerkungen erst einmal überhaupt nicht. Da musste ich wohl Stufe zwei meines Planes einleiten: man halte die Kufen hinten fest, bis Peter seine Wut kriegt und versucht, durch körperliche Anstrengungen das Pferdchen wieder frei zu schaukeln. Und dabei möglichst der blöden Schwester die Finger unter den Kufen einzuklemmen. Danach müsste man die Kufen nur noch plötzlich loslassen, und voilà ... Mein Brüderlein war sehr schnell jähzornig zu bekommen, diese Eigenschaft hatte er wohl von Mama geerbt. Tatsächlich saß er mit vor Anstrengung hochrotem Kopf zu Pferde und ackerte mit all seiner kindlichen Kraft, um den Holz-Gaul aus meinem hinterhältigen Einfluss zu befreien. Schon das sah urkomisch aus, ich lachte schadenfroh in mich hinein. Dann war es soweit, ich schenkte schlagartig dem Pferd seine Freiheit. Und dem Peter ein wahres Jahrmarktserlebnis, denn er überschlug sich tatsächlich,

landete danach unsanft auf seinem Dickschädel.

Die Folge war damals eine leichte Gehirnerschütterung für Peter, der von meiner Mutter ausgiebig beweint wurde, sowie ein geröteter Hintern bei mir. Der Teppichklopfer hatte ganz schön was aushalten müssen. Als ich tränenüberströmt in meinem Zimmer lag, wobei ich es tunlichst vermied, mich auf den Rücken zu drehen, wurde mir klar, welchen Fehler mein Plan gehabt hatte: die Eltern waren zu Hause gewesen. Ich hatte keine Zeit mehr gefunden, den Peter zu bestechen, damit die Unfallursache geheim blieb. Das würde mir nicht noch einmal passieren!

Aber heute, zwei Jahre später, liegen die Dinge anders. Der Peter interessiert sich nun zwar nicht mehr für Schaukelpferde, dafür aber für den schwarzen Schaukelstuhl meiner Eltern, den sie sich kürzlich angeschafft haben. Der ist so eine Art Heiligtum, der ganz persönliche Luxus meines Vaters. Daher hat man uns auch unter Androhung übelster Strafen untersagt, damit allzu wild zu schaukeln. Ich habe die Kufen-Konstruktion genau analysiert, auch dieser Stuhl dürfte an irgendeinem Punkt zum Überschlag gelangen. Spitze! Der unbedarfte Peter schnallt bestimmt nicht, was ich vorhabe. Der ist noch klein und dämlich.

Ich setze mich in den Stuhl, fange an zu schaukeln. Bemerke beiläufig, wie herrlich das doch sei, erst recht, wenn man das Tempo etwas erhöhe. Demonstriere es auch gleich, während ich nebenbei erfreut registriere, dass tatsächlich der Moment, an dem die Kufen den Schwung nicht mehr abfangen können, nicht mehr weit sein kann.

Peter lässt nun seine Bauklötze links liegen, will natürlich auch schaukeln. Er möchte überhaupt immer alles, was ich habe oder kann. Erst einmal erkläre ich ihm triumphierend, dass er noch ein Baby sei und mit diesem Höllenstuhl überhaupt nicht umgehen könne. Das sei viel zu gefährlich. Erwartungsgemäß will Peter jetzt erst recht, koste es, was es wolle. Als er schon kurz vor einem kapitalen Wutanfall steht, spiele ich die großzügige, nette Schwester: bitte sehr, versuche es ruhig. Aber so schnell wie ich kannste eh nicht. Woraufhin Peter natürlich alles Menschenmögliche daransetzt, aus dem Stuhl ein Fluggerät zu machen.

In froher Erwartung sitze ich, gelangweilt wirkend, auf der Couch. Jetzt gleich ... KNACK!!! Ach, Du Schande! Was ist jetzt passiert? Der Stuhl verlangsamt sein Tempo; anstatt wie geplant durch die Luft zu fliegen, klettert mein Bruder beunruhigt vom Schleudersitz, völlig unbeschädigt. Und kniet sich wie ich auf den Boden, um die Ursache für das Geräusch zu eruieren.

Ich werde blass. Offensichtlich hat sich Peter mit dem Stuhl auf eines seiner Bauklötzchen geschaukelt. Dieses geriet unter die linke Kufe und bewirkte, dass diese komplett brach. Eine hässliche, hellere Abbruchstelle leuchtet nun als ständige Mahnung an der Frontseite des schwarzen Schaukelstuhls, der nun auch nicht mehr richtig stabil aussieht.

»Andrea, ganz ruhig! Kühlen Kopf bewahren und überlegen«, spreche ich mir selber Mut zu. Der Peter sinniert indes, ob man die Kufe nicht einfach wieder mit Kaugummi anpappen könnte, denn auch ihm ist bewusst, dass dies nach Ärger riecht. Und zum Zeitpunkt des Unfalles war schließlich er auf dem Stuhl gesessen, daran gibt es nichts zu rütteln.

Nein, die Kaugummi-Methode verwerfe ich wegen zu geringer Haltbarkeit des Materials! Aber ich erinnere mich, dass mein Vater irgendwo im »Kämmerle«, so heißt unsere Rumpelkammer, eine Tube Holzleim aufbewahrt. Den hat er vor meinen Augen schon einmal benutzt, als wir aus Kastanien und Streichhölzern Tierchen gebastelt haben. Fieberhaft suche ich den Leim, denn nun drängt langsam die Zeit. Was tun, wenn jetzt vorne jemand die Haustüre aufsperrt und die Bescherung sieht? Nicht auszudenken, mein Hintern schmerzt schon beim bloßen Gedanken daran. Mein Bruder hat längst die Nerven verloren, wimmert nur monoton vor sich hin. Ich glaube, der denkt ebenfalls bereits an sein Hinterteil.

Da, endlich! Das ist der gesuchte Holzleim, ein Glück. Ich will schon wieder in Panik geraten, als sich die weißliche Paste nicht herausdrücken lässt, denn die Tube ist vorne mit alten Leimresten verhärtet. Mit einem Nagel bohre ich eine neue Öffnung, versuche es erneut. Ein Glück, jetzt funktioniert‘s! Mit fliegenden Fingern und Kloß im Hals streiche ich die Bruchstelle ein, klebe das Kufen-Stück zurück an den Stuhl.

Aber Peter, der bisher noch gar nichts zu unserer Rettung beigetragen hat, bemerkt nur verzweifelt: »Das sieht man aber! Der Leim ist ja weiß, und nicht schwarz.« Verdammt! So ungern ich es zugebe: der Kerl hat leider Recht.

Wenigstens bin ich ein erfinderischer Mensch. Ich hole meinen schwarzen, wasserfesten Filzstift und umrande die weiße Nahtstelle, bis sie wirklich fast nicht mehr auffällt. Allerdings ist mir klar, dass der Leim noch lange nicht abgebunden haben wird, sich der Stuhl also nicht benutzen lässt. Mit Entsetzen nehmen wir wahr, dass soeben die Stimmen unserer Eltern, die sich im Treppenhaus unterhalten, immer näherkommen. Oh Gott, hoffentlich brauchen die jetzt ewig, um die Taschen auszupacken! Vielleicht ist der Leim ja dann inzwischen fest.

 

Mein Brüderlein und ich versuchen, total unschuldig auszusehen. Peter spielt hingebungsvoll mit seinen Bauklötzchen und ich übertreibe es richtig: ich lese in einem Schulbuch. Damit ich es mir vor die Nase halten kann, denn mein schlechtes Gewissen scheint mir mit Leuchtbuchstaben auf der Stirn eingemeißelt zu sein. Manchmal beschlich mich schon der Eindruck, meine Mutter könne Gedanken lesen. Vor allem die Schlechten. Daher verstecke ich mich lieber hinter einem Gegenstand, da ist im Notfall sogar ein Schulbuch recht. Und dies ist ein Notfall, eindeutig! Mama bedenkt mich mit einem erstaunten Seitenblick; denn, dass ich freiwillig lerne, das ist doch recht unwahrscheinlich. Aber sie sagt nichts.

Wir sind ausgesprochen froh darüber, dass unsere Eltern erst einmal gar keine Zeit haben, an Schaukelstuhlaktionen zu denken. Zunächst muss das Abendessen gekocht werden, dann wird das Geschirr gespült. Aber danach wird es eng! Mit einem tiefen Seufzer lässt sich meine Mutter auf die Couch plumpsen; jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis auch Papa mit seinem Buch auftaucht, den maroden Stuhl ansteuert. Peter hat es gut, denn der muss jetzt ins Bett. Ich hingegen gerate ins Schwitzen, muss nun mit aller Gewalt verhindern, dass jemand seinen Feierabend auf dem Schaukelstuhl verbringen möchte. Einmal tut mir der Bauch weh und jemand muss mir den dringend mit einer Wärmflasche versehen. Dann tauche ich mit meinem Mathebuch auf, kapiere irgendwelche Hausaufgaben nicht (das zumindest ist die Wahrheit). Als mein Vater sich gerade hinsetzen will, brauche ich ausgerechnet in diesem Moment seine Buntstifte, die er bewacht wie ein Zerberus, und die er daher aus dem obersten Fach des Schrankes selber holen muss.

Uff, habe ich ein Glück! Meine Eltern wollen unbedingt einen Spielfilm im Fernsehen angucken, da bin ich aus dem Schneider. Den Fernseher sieht man nämlich am besten vom Sofa aus. Für heute kann ich beruhigt ins Bett gehen, denn ich kenne meine Eltern. Die steuern nach dem Film garantiert schnurstracks das Schlafzimmer an. Und über Nacht kann der Leim prima aushärten.

Es klappt! Als mein Vater am nächsten Abend schaukelt, knabbern mein Bruder und ich uns vor Nervosität sämtliche Fingernägel ab. Aber unsere Bedenken zerstreuen sich in Wohlgefallen, die Kufe hält und keiner hat was bemerkt. Wahrscheinlich gerät man auf diesen maroden Kufen-Bereich nur, wenn man extrem schaukelt, stelle ich fest. Das tun Erwachsene nicht. Anfangs haben wir allabendlich immer noch Angst, wenn sich jemand in den Schaukelstuhl setzt, aber nach einigen Tagen denken wir selber nicht mehr an unsere Untat.

Bis zu jenem Tag, einige Wochen später. Da nämlich kommt mein Vater mit säuerlichem Gesicht in die Küche, die abgebrochene Kufe in der Hand. Als ich das sehe, gefriert mir fast das Blut in den Adern und ich mache mich darauf gefasst, ein umfassendes Geständnis ablegen zu müssen. Doch da beschwert sich mein Vater bei Mama: »Also, bei Möbel-Mertel kaufen wir nichts mehr. Das sind Betrüger, sieh dir das an! Diese Kufe war garantiert schon abgebrochen, als wir den Schaukelstuhl kauften. Man sieht ja noch deutlich den Holzleim, wo sie ihn repariert haben. So eine Schweinerei! Aber wenn wir hingehen und Ersatz verlangen, würden sie eh nur behaupten, das sei nicht wahr. Schweinebande, elendige!!!«

Meine Eltern sind beide eher abgeneigt, beim Möbelhaus eine Szene zu machen. So wird der Schaukelstuhl noch einmal geklebt und sich nur noch sehr, sehr vorsichtig daraufgesetzt. Peter und ich sind selig – unsere empfindliche Sitzfläche ist erst einmal gerettet!

Bis zum nächsten Streich …

*

Das Gutachten war noch nicht verdaut, da drohte uns schon das nächste Ungemach in Form des leider notwendigen Deutschlandbesuches. Attila hatte zwischenzeitlich einen Termin mit seinem Anwalt vereinbart, um Stellung zu dem Gutachten zu nehmen. Er konnte nicht ohne weiteres akzeptieren, dass Uschi ohne jede Kontrolle vor sich hin wursteln und die Kinder vollends dabei verderben durfte, und das auch noch mit gerichtlicher Billigung. Wenn er selbst schon nicht als Erzieher seiner Kinder fungieren durfte, aus welchen Gründen auch immer, dann sollte wenigstens das Jugendamt die Entscheidungen über so wichtige Dinge wie Schulwahl, Vermögen, Klinikaufenthalte oder Fremdunterbringung treffen und nicht Uschi.

Außerdem hatte er sich mittlerweile doch nicht zu einem selbstauferlegten Kontaktverbot zu den Kindern durchringen können. Ich hatte durchaus Verständnis dafür, weil Attila im Internet viel über das »Parental Alien Syndrom«, kurz PAS, gelesen hatte. Das dafür sorgt, dass ein »abgelegter« Elternteil mit den Jahren zu einem Fremden wird und die Kinder hierdurch einen psychischen Schaden davontragen. Denn Schäden dieser Art hatten seine Kinder wahrlich schon genug zu verarbeiten.

Je näher der Abfahrttermin rückte, desto mehr Bedenken bekamen wir wegen der ständig chaotischen Straßenverhältnisse in Deutschland; mit dem Auto dorthin zu fahren, würde gefährlich werden. Stellenweise ging seit Wochen dort wegen Schnee und Eis gar nichts mehr, und ich mochte mir nicht vorstellen, wie unsere Sommerreifen hierauf reagieren würden. Also buchten wir im letzten Moment doch die günstigsten Flüge, die wir bekommen konnten; auch wenn das bedeutete, dass wir viele Stunden unterwegs sein mussten, denn die Route der Billig-Airline führte über einen Zwischenstopp in Palma de Mallorca. Der Leihwagen in Deutschland wäre dann wenigstens Winterreifen versehen und verfügte über eine Vollkaskoversicherung. Diese Kosten musste die überschuldete Firma aufbringen, denn Attila fuhr ja auch zu einer Besprechung bei Kurierdienstissimo in Neuenstein.

Über alledem lag unser zweisames Privatleben weiterhin fast vollkommen brach. Arbeiten, essen, schlafen. Das war's! War es denn ein Wunder, wenn ich Entzugserscheinungen bekam? Das ist, als wenn ein Alkoholiker neben einer Flasche Schnaps schlafen müsste, diese aber nicht öffnen dürfte.

Vor dem Abflug fragte Attila noch bei Uschi an, ob er die Kinder am Sonntag um 11 Uhr abholen könne; zurück kam per Email die Antwort, dass er sie treffen könne, aber schon um 9.30 Uhr. Eine weitere Nachfrage, wie sie denn »Treffen« meine, erbrachte keine Reaktion von ihr. Sie trieb also wieder ihr dämliches Spielchen. Was prima funktionierte, denn Attila war bereits sehr nervös, da bis zum Abflugtermin keinerlei Antwort von ihr mehr kam. Die immer wieder beliebte Operation »Vergissmeinnicht«.

Die Maschine der Airline startete mit einer halben Stunde Verspätung und wir waren schon echt gespannt, ob sie in BerlinTegel überhaupt würde landen können. Denn viele Flughäfen waren an den Tagen zuvor immer wieder gesperrt gewesen, zum Teil, weil das Enteisungsmittel für die Landebahnen fehlte. Welch ein exzellentes Organisationstalent! Der Winter kam im Dezember vermutlich wieder einmal völlig unerwartet.

Bei der Zwischenlandung in Palma de Mallorca fummelte Attila gleich sein Notebook aus dem Handgepäck, um nachzusehen, ob Uschi sich inzwischen vielleicht doch zu einer Antwort hatte hinreißen lassen. Aber nein, hatte sie nicht! Die Spannung musste doch aufrechterhalten werden. Sehr unterhaltsam, diese Frau.

Nicht nur sie. Im Flieger nach Berlin befand sich, zwei Sitzreihen weiter vorne, eine russische Familie, welche den gesamten Flug über für Ärger sorgte. Die zwei Männer hatten schon verbotenerweise Alkohol mit an Bord gebracht, diesen konsumiert und dann andauernd bei der Stewardess Nachschub bestellt. Aufgrund der Airline-Regeln durfte diese dann jedoch, weil die beiden »Herren« und die dazugehörige Frau schon betrunken waren, nichts mehr ausschenken. Das wiederum konnten die Russen nicht akzeptieren und so quälten sie absichtlich die Stewardessen, indem sie alle fünf Minuten etwas anderes haben wollten und auch noch die 11-jährige Tochter anstifteten, für sich KleinkindSpielzeug zu bestellen und ähnlichen Blödsinn.

Bis der Chefstewardess irgendwann der Kragen platzte, sie dem penetranten Wortführer der Russen erklärte, dass sie vorhin den Flugkapitän verständigt habe und dieser den nächsten Flughafen auf seine Kosten ansteuern werde, um die Familie abzusetzen. Dort werde sie dann von der Polizei erwartet, sofern er jetzt nicht sofort aufhöre. Trotzdem gingen die Belästigungen weiter, nun wurde eben ständig Wasser statt Alkohol bestellt. Pure Schikane! Ich musste die Stewardessen echt bewundern, dass sie trotzdem freundlich blieben. Vermutlich hätte ich diesem Kerl eine reingehauen, wäre ich die Flugbegleiterin gewesen.