Scheidung kann tödlich sein

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Am Donnerstag war ich längere Zeit mit Attila unterwegs, um einzukaufen und ähnliches, hatte zudem einiges im Haushalt zu erledigen. So ließ ich für diesen Tag die Anzeigentour ausfallen und begann lieber damit, schon mal den Teil 2 für meinen Roman zu beginnen. Auch in Bezug auf die Autorentätigkeit hatte ich neue Tiefschläge zu verkraften, denn ich war im Internet auf Gerichtsurteile gestoßen, die das Thema »Persönlichkeitsrechte bei Biografien« behandelten. Mein Scheidungsdrama strotzte nur so von Personenbeschreibungen, auch wenn die Namen von allen Personen, die als Vorlage gedient hatten, von mir geändert worden waren.

Die Rechtsprechung hierzu war ziemlich widersprüchlich. Für manche Gerichte genügte es, das Ganze als »Roman« zu kennzeichnen und darauf hinzuweisen, dass die beschriebenen Personen stellvertretend für eine bestimmte Art von Menschen und deren Persönlichkeit zu werten sind, nicht als reale Person. Also ein »fiktiver Anteil« musste hinter der Geschichte zu vermuten oder tatsächlich vorhanden sein. Andere wiederum sahen das enger und verurteilten Autoren schon, sobald sich nur irgendwer in der Geschichte wiederzuerkennen glaubte.

Somit war mein schriftlich festgehaltenes Lebensdrama samt Hinzudichtungen nicht nur inhaltlich ein wahres Pulverfass, sondern auch aus diesen Gründen gefährlich, es zu veröffentlichen. Die demokratische Presseund Meinungsfreiheit konnte ich hinter solchen Lehrsätzen jedenfalls nicht mehr erkennen, wenn man nicht einmal ohne Namensnennung bloße Sachverhalte beschreiben konnte, ohne Ärger zu bekommen. Es gab viele Uschis dort draußen, viele Stadtverwaltungen und viele andere merkwürdige Leute. Durfte man all das nicht mehr beschreiben?

Uschis Fehlverhalten wurde gemeinhin geduldet, meine Ausführungen darüber hingegen vermutlich nicht. Und mir war klar: selbst, wenn ich ein eventuell gegen mich eingeleitetes Verfahren im Endeffekt gewinnen würde, es wäre schon wieder eine neue Baustelle, auf der wir uns zur Wehr setzen müssten.

Außerdem fiele das Ganze auf Attila zurück, könnte den Fortgang seines Scheidungsverfahrens negativ beeinflussen. Daher musste ich wohl meinen Ehrgeiz hintenanstellen und abwarten, wie es weitergehen würde, das Manuskript überarbeiten. Wieder war ich ausgebremst, konnte mit meinen nun fast drei Bänden kein Geld verdienen, obwohl diese echt gut gelungen waren. Zu Band 1 hatte ich ja schon ein Vertragsangebot in Händen, dazu ein sehr positives Gutachten. Es war zum Auswachsen.

Aufgrund dieser Erkenntnis war nun klar, dass ich unbedingt den komplett fiktiven Roman »Himmel noch mal!« als Erstes auf den Buchmarkt bringen musste. Somit schrieb ich noch weitere Verlage an, um denen mein Manuskript anzubieten. Mit demselben frustrierenden Ergebnis wie schon zuvor bei anderen Vertretern dieser Zunft. Vorsichtig fragte ich inzwischen erst einmal an, ob die Verlagspolitik derzeit überhaupt eine Veröffentlichung zuließe, bevor ich Dutzende von Manuskriptauszügen und Exposés auf grundsätzlich nicht interessierte Unternehmen losließ. Von manchen kam gar keine Antwort, von anderen wiederum derart verachtend formulierte Mails, dass man sich als Autor schon wie ein Störer des heiligen Verlagsfriedens vorkam, der Ungehöriges forderte: ein paar Minuten Aufmerksamkeit.

Was dachten diese Herrschaften eigentlich, wer ihnen die Existenz sicherte? Manche waren an Überheblichkeit kaum zu überbieten, schickten einfach automatisierte Antworten, welche frech konstatierten, dass man sich mit meiner Mail gar nicht erst befassen werde. Dass man als Autor noch nicht einmal eine Mitteilung in Form einer Absage bekomme, wenn ungefragt eingesendetes Material nicht veröffentlicht werden könne.

Das war in meinen Augen der Gipfel der Unhöflichkeit und hatte sicherlich mit Literatur-Kultur nichts mehr zu tun, nur mit eiskaltem Geschäftsgebaren. Arme Medienlandschaft. Solchen Verlagen wünschte ich echt eine saftige Unternehmenspleite an den Hals, und da war ich garantiert nicht die Einzige.

So musste ich nun schon wieder abwarten… abwarten … abwarten …, ob jemand meinen Roman annehmen würde. Sonst … ich mochte gar nicht darüber nachdenken! Zusammen mit der Angst vor Attilas Verhandlung ergab diese Situation wieder Stoff für Depressionen, gegen die ich mich verzweifelt zur Wehr setzte. Da meine Fingernägel allerdings schon wieder bis zum Anschlag heruntergekaut waren und ich unter Schlafstörungen litt, konnte es nicht mehr lange dauern, bis ich diesen Kampf verlieren würde. Falls sich nicht ganz schnell etwas änderte.

Ein ganz klein wenig tat sich am Freitag. Wenigstens drei der neu angeschriebenen Verlage wollten mein Manuskript prüfen, waren sogar einverstanden, dass ich es ihnen per Mail übermittelte. Neues Spiel, neues Glück. Hoffentlich!

Am Samstag mussten wir bei strahlendem Sonnenschein die allerletzten Tätigkeiten im Haus in Los Leandros durchführen, um das Haus geputzt und ordentlich zurückgeben zu können. Nach drei Stunden waren wir fertig; wieder so ein Meilenstein, ein Abschnitt unseres Lebens war damit abgeschlossen. Attila kam somit rechtzeitig vor 17 Uhr nach Orihuela Costa zurück, um wieder einmal auf Ronjas Mails zu warten. Die jedoch, wie schon in den letzten Wochen, erst einmal nicht eintrafen. Wieder schrieb sie viel später, wieder war sie kurz angebunden. Attila fiel auch auf, dass sie recht nüchtern schrieb, nicht wie früher mit Herzchen und Smileys garniert.

Der Sonntag war dazu geeignet, zwischendurch einmal aufzutanken. Strahlender Sonnenschein und 21 Grad lockten uns nach draußen, wieder ging es in Richtung Strand. Dieses Mal wanderten wir durch andere Siedlungen, wieder sahen wir vollkommen andere Baustile und Gärten. Drunten an der Strandpromenade angekommen, gingen wir an jenem Tag nach links und waren ehrlich erstaunt, als wir die vielen kleinen, jeweils durch Felsen voneinander getrennten Strände entdeckten.

Diese Strände, die wie kleine Buchten aussahen, warteten mit glasklarem Wasser auf und waren zu dieser Jahreszeit menschenleer. Wie im Paradies. An diesem Tag gelang es sogar, die negativen Gedanken an Deutschland, Uschi oder gewisse Verlage etwas beiseite zu schieben. Leider litt Attila jedoch an Schmerzen in der Herzgegend, was er mir allerdings erst am Abend verriet.

Montags ging ich wieder mit meinen Sal News hausieren, dieses Mal mit einigem Erfolg. Sogar einen festen Termin zum Vertragsabschluss konnte ich für den kommenden Donnerstag festmachen. Marco schrieb Attila an diesem Tag, aber auch er war eher einsilbig.

Der Oberhammer jedoch traf Attila am Dienstag. Sein Anwalt hatte endlich Einsicht in die Strafakte nehmen können, in welcher sich Uschis Anzeige wegen seines angeblichen Unterhaltsbetrugs befand. Attila hatte ja mit einigem gerechnet, aber die Darstellungen zogen ihm dann doch fast die Schuhe aus. Diese Frau stellte Behauptungen auf, die nicht nur vom blauen Himmel herunter gelogen, sondern mit voller Absicht so gewählt waren, dass die Polizisten gar nicht anders konnten, als der Sache nachzugehen.

Haarsträubende Dinge standen da zu lesen. Attila hätte ihr in ihrer Zeit als Geschäftsführerin »geraten«, 160.000 Euro aus der Firma zu ziehen; anschließend hätte er das Geld komplett selber verbraucht (klar, vermutlich war es deshalb komplett auf ihr Privatkonto geflossen). Er habe sich extra nach Spanien »abgesetzt«, um seiner Unterhaltspflicht zu entkommen. Außerdem habe er einfach profitable Firmen geschlossen, obwohl diese finanziell sehr gut dagestanden seien. Attila habe den Kindern Fotos von seinem »großen Wohnhaus« geschickt, mit diesem angegeben und ihnen versprochen, dass sie dort Urlaub machen dürften.

Witzig, unser 80 qm-Häuschen als »großes Haus« zu bezeichnen, obwohl es auch noch unsere Büros beherbergte. Ich konnte mir aber schon denken, wie diese Äußerung zustande gekommen war. Attila hatte den Kindern nämlich einmal Fotos von hiesigen Villen geschickt, um zu zeigen, wie schön es hier sei. Das waren allerdings nicht unsere Häuser … die Kinder werden dann wohl ihrer Mutter erklärt haben, auf dem Bild seien Häuser von dort drauf, wo Papa wohne. Was ihrer Mutter gerade recht kam.

Damit nicht genug. Attila sei ein Mitinhaber von »KurierNetz«, von der Software »Trans-M« und vermutlich von diversen weiteren Firmen, verfüge über ein sehr hohes monatliches Einkommen. Da Bilanzen in Deutschland für jedermann einsehbar sind, beauftragte sie sogar eine Steuerkanzlei mit einer Art von »Gutachten« über Attilas Firmen. Natürlich wusste diese Kanzlei beispielsweise nicht, dass die Gesellschafterkonten total überzogen waren. Wie auch? Uschi litt ja unter absichtlichem Gedächtnisschwund, somit konnten diese und andere Gegebenheiten in der Beurteilung nicht berücksichtigt werden.

Es war zum Kotzen! Wieder Gegenstellungnahme, wieder immenser Zeitverlust. Ständig befand er sich in Verteidigungshaltung, obwohl er nichts Falsches getan hatte. Außer natürlich, dieses dämliche Weibsstück 1997 zu heiraten.

Nachträglich erklärte sich so auch, weshalb meine Tante Thea sich im letzten Jahr ihres Lebens Attila gegenüber so abweisend verhalten hatte. Mit Sicherheit hatte diese das von Uschi bei der Anwaltskanzlei angeforderte Gutachten über seine Firmen bezahlen dürfen, und Uschi zeigte ihr hernach die darin angegebenen Beträge, welche die immensen Verbindlichkeiten der Firma überhaupt nicht berücksichtigt hatten. So hatte sie wohl davon ausgehen müssen, dass Attila tatsächlich all sein Geld an Uschi vorbeischmuggelte und ihr böswillig vorenthielt.

Am Mittwoch, den 16. Februar wollte ich eigentlich meinen ersten Vertrag für Sal News abschließen; leider scheiterte ich trotz der Tatsache, dass ich einen Termin vereinbart hatte, am engen Zeitplan des Managers. Ich musste mich notgedrungen bereit erklären, am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen.

 

Was blieb mir anderes übrig? Ich beschloss dann, wenigstens bei den netten Engländern der Oasis-Bar noch einmal vorbeizuschauen. Und siehe da, man wollte eine Anzeige. Aber die Chefin sei leider erst am Montag wieder im Haus, erklärte man mir. Also musste ich auch dort noch ein drittes Mal vorsprechen. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.

Als ich zurück nach Hause kam, hatte Attila schon wieder einen Schriftsatz der gegnerischen Anwältin auf dem Schreibtisch liegen. Dieser enthielt eine Aufstellung über Uschis Kosten, die sie für ein Jahr aufgelistet hatte und welche exorbitant hoch waren für eine Hartz-IV-Empfängerin. Allein schon die Kosten für das Auto, das sie eigentlich gar nicht brauchte, waren doppelt so hoch wie die unseren angesetzt – obwohl es sich dabei um ein baugleiches Fahrzeug handelte und auch unseres finanziert war.

Was sehr zu Buche schlug, waren natürlich die Hortkosten für alle drei Kinder, die dort auch Essen bekamen. Diese Kosten wiederum hätte sie komplett einsparen können, wenn sie sich selbst am Nachmittag um die Kinder gekümmert hätte.

Außerdem – was mussten Attila eigentlich die Kosten seiner Ex kümmern, was ging ihn das an? Den tatsächlich notwendigen Bedarf beglich die ARGE, was darüber hinaus ging, war eben Luxus. Uschi arbeitete nicht, sie gab einfach dauerhaft zu viel Geld aus, schob die Kinder ab und erwartete dann noch, dass irgendwer die Kosten ausglich. Hoffentlich merkte der Richter das nun endlich auch einmal.

Interessierte es irgendjemanden, welche Ausgaben Attila hatte? Wie er überhaupt von seinem Geld lebte, von dem ihm nicht einmal ein Betrag unterhalb der derzeitigen deutschen Pfändungsfreigrenze blieb, obwohl er jeden Tag mindestens 10 bis 12 Stunden arbeitete? Nein! Hoffentlich, hoffentlich würde die Hauptverhandlung endlich einmal klare Verhältnisse schaffen.

Wie ich es mir schon gedacht hatte, lagen dem Schriftsatz auch ein paar Atteste einer gewissen Frau Dr. Geisser bei, welche Uschi bescheinigen sollten, dass sie wegen dieser Scheidung unter einer »Belastungsreaktion« leide, somit nicht arbeiten könne. Die familiäre Situation habe sich verschärft.

Auch da stellte sich mir die wohl berechtigte Frage, weshalb man Attila ständig ohne Weiteres die volle Arbeitsbelastung zumuten konnte, obwohl auch er bereits erhebliche psychische und mittlerweile sogar körperliche Schäden davontrug. Er war nach dortiger Ansicht voll arbeitsfähig, sollte schön brav zahlen und auch noch jeden Cent, den er selbst ausgab, rechtfertigen. Falls der Richter das auch so sah, dann ade, du lieber Rechtsstaat.

Wie weit es mit Recht und Gesetz, mit Anstand und Ehre in Deutschland schon gekommen war, lebten uns einmal mehr die Politiker vor. Da ertappte man den Verteidigungsminister, weite Teile seiner Doktorarbeit einfach abgeschrieben zu haben. Erst leugnete er notorisch, dann gab er zwar Fehler zu, nachdem man sie ihm zweifelsfrei nachgewiesen hatte, weigerte sich aber, zurückzutreten.

Jeder Schüler wäre da von der Schule geflogen, hätte man ihm solch ein eklatantes Betrugsvergehen nachgewiesen. Der adelige Herr Minister aber tat, als sei so etwas ein durch Stress entstandenes Kavaliersdelikt, es habe mit seinem sonstigen Charakter nichts zu tun. Und die Bundeskanzlerin stärkte ihm auch noch den Rücken. Der Doktortitel wurde ihm von der Uni aberkannt, was er mit trotziger Arroganz zur Kenntnis nahm. Deutschland, deine glänzenden Vorbilder.

Attilas Anwalt reagierte auf die Schriftstücke der Gegenseite angemessen. Erstens schickte er dem Strafgericht eine gut formulierte Erwiderung gegen die Strafanzeige und kehrte diese gleich gegen Uschi; mit der Begründung, sie habe absichtlich Falschangaben gemacht, was absolut zutreffend war. Die Angaben in der gesamten Anzeige waren erstunken und erlogen. Ging man von gängiger Rechtsprechung aus, hätte Uschi jedenfalls ihren Ehegattenunterhalt wegen der vorsätzlichen Falschangaben verwirkt. Da war ich gespannt, das ließ hoffen.

Zweitens gab er Attilas 12-seitige Erläuterungen zur finanziellen Situation der Firma, sowie die der Privatperson Attila Szábo ans Familiengericht weiter. Sollten die Justizbeamten die Angaben glauben oder lieber einen für den Steuerzahler kostspieligen Wirtschaftsprüfer beauftragen, Attila war es mittlerweile einerlei. Wenn der Richter unbedingt meinte, so konnte er auch die Firmenpleite in Kauf nehmen. Wozu hatte man noch eine spanische S. L. zum Arbeiten parat?

Nach zahllosen E-Mails und sonstiger Verlagskorrespondenz stand am Tage vor der Abreise nun endlich fest, dass ich mein Buch »Himmel noch mal!« bei einem kleinen Verlag aus Gelnhausen veröffentlichen würde. Dieser Verlag bot mir faire Konditionen und erschien mir nach dem Bauchgefühl als passendster Vertragspartner. Mit der netten Lektorin jagte ich schon seit Wochen nette Mails hin und her.

So konnte ich während der Deutschlandfahrt, die keiner von uns antreten mochte, wenigstens meine Unterlagen dorthin bringen oder sie von Deutschland aus absenden; die spanische Post verlangte immense Summen für dicke Briefe. Damit wenigstens eine Sache in die Wege geleitet wäre, die wichtig für unsere Zukunft werden könnte.

Ich freute mich sehr darauf, mein hart erkämpftes Werk demnächst in Händen halten zu dürfen. Gleichzeitig litt ich unter Magenschmerzen, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, was mir in Deutschland sonst noch so blühte. Die Natur tat es jedenfalls nicht, Schnee und Eisregen waren angesagt.

Ansonsten ging zumindest in Spanien so einiges neue Wege. Im Fitness-Studio, bei dem ich eine Anzeige für Sal News an Land gezogen hatte, bot man uns die Möglichkeit an, in einen durchdachten Strukturvertrieb für alltägliche Gebrauchsprodukte einzusteigen. Außerdem eröffnete man mir, dass ich nach meiner Rückkehr aus Deutschland eine kostenlose Kosmetikbehandlung erhielte, meine Erfahrungen hinterher in einem Artikel für die Zeitung festhalten solle. Aber gerne doch, solche Zusagen fielen mir natürlich nicht schwer.

Ebenfalls nur kurze Zeit vor der Abreise erfuhr Attila durch die Anwaltskanzlei, dass am Vortag der Verhandlung alle drei Kinder vom Richter ohne Begleitperson persönlich gehört werden sollen; Attila hatte ja bemängelt, dass die Kinder nie adäquat befragt worden seien, bei wem sie wohnen wollten oder wie es ihnen ginge. Allerdings hatte ich den Eindruck, als ob dieses Zugeständnis ihn nicht wirklich freute. Entweder, weil er für sich selbst das Thema »Kinder« gedanklich schon ein wenig auf Abstand gebracht hatte und nun wider Willen daran erinnert wurde, oder weil er sich denken konnte, dass die Kinder vor dem Termin wieder durch Mama geimpft wären und dieser hernach auch Rechenschaft über ihre getätigten Äußerungen ablegen würden müssen.

Welches Kind getraut sich in einer derartigen Situation, seine wirklichen, vielleicht Mama-kritischen Gedanken preiszugeben?

Am Abend vor der Abreise installierte Attila eine Webcam im Büro unseres Hauses, die uns in der Ferne beruhigende Bilder von unserem intakten Arbeitsplatz zeigen sollte. Unsere norwegische Nachbarin hatte während eines Gesprächs vor einigen Tagen ziemliche Bedenken wegen eines möglichen Einbruchs wachgerufen, nachdem diese Siedlung in der Vergangenheit wiederholt heimgesucht worden war. Ihr hatte man vor ein paar Jahren den gesamten wertvollen Schmuck gestohlen und den kleinen Hund getreten. Fast wären sie und ihr Mann deswegen entmutigt für immer nach Norwegen zurückgekehrt.

Da nicht gerade wenige technische Geräte in unserem Büro installiert waren, wollten wir einfach mehr Sicherheit haben und von Deutschland aus, wenn nötig, die Polizei anrufen können. Zumal das Bürofenster hinter einer Mauer lag, die Einbrechern besten Sichtschutz bieten konnte.

In Spanien gab es merkwürdige Regelungen, die eher Outlaws schützten als deren Opfer. So war es zum Beispiel strengstens verboten, auf einer Mauer Glasscherben, Metallspitzen oder gar Stacheldraht anzubringen. Wegen einer Verletzungsgefahr. Ich konnte es mir lebhaft vorstellen: ein fieser Einbrecher dringt des Nachts ein, man schlägt ihm die Bratpfanne über den Schädel und wird noch wegen Körperverletzung angezeigt. Soll man ihn stattdessen höflich bitten, freundlichst ohne Diebesgut das Haus zu verlassen? Keine Ahnung. Einbruch galt hier eben mehr als sportliche Betätigung denn als Verbrechen.

Am Freitagmorgen standen die Koffer und Taschen zur Abfahrt bereit, wir tranken einen letzten Kaffee und »wollten« aufbrechen. Doch ähnlich wie unmittelbar vor der letzten Deutschlandfahrt kamen genau im falschen Augenblick Probleme auf Attila zu. Dieses Mal in Form von sogenannten Gateway-Timeouts, welche die Kurier-Netz-Seite lahmlegten und diese für die Kunden minutenlang unerreichbar machten. Wegen der vielen Rundmails legte gewissermaßen der Mailserver den Webserver lahm, dessen Kapazität wurde überschritten.

Attila arbeitete verbissen, wurde nervös und auch ich wurde stinksauer. Warum musste sich darum wieder ausgerechnet Attila kümmern, wo Fritz doch genau wusste, dass wir genau genommen schon unterwegs waren? Warum beauftragte Attila nicht Michl, sich an diesem Tag vor den Rechner zu setzen und jeweils die Engpässe zu beheben? Es konnte doch nicht sein, dass Attila der einzige Mensch auf der Welt war, der diese Arbeit an genau diesem Vormittag zu verrichten vermochte. Nebenbei nervte Fritz noch mit weiteren To Do’s, so als hätten diese nicht locker Zeit bis übermorgen gehabt.

Attila beauftragte dann doch Michl, aber der feierte an diesem Tag Geburtstag und brauchte eine Zeit lang, bis er zur Verfügung stand. Außerdem: verantwortlich, dem Kunden gegenüber, war nun einmal leider allein Attila und dieser Kunde war erfahrungsgemäß verdammt ungeduldig.

So fuhren wir mit zwei Stunden Verspätung und obendrein mit übler Laune von Orihuela Costa weg, ich am Steuer und Attila mit dem Rechner auf dem Schoß; für ihn folgte ein ganz normaler Arbeitstag, nur eben nicht am Schreibtisch, sondern im Auto. In Höhe der Stadt Valencia schwächelte die Batterie des Net-Books, den Rest der Reise hätte sie nicht überstanden. Da Attila aber weiterhin ständig erreichbar bleiben musste, blieb nichts anderes übrig, als einen Transformator zu besorgen, den man am Zigarettenanzünder des Wagens anschließen konnte. Auch das noch!

Zunächst musste ich mich durch den Stadtverkehr dieser nicht eben kleinen spanischen Stadt quälen. Verkehrsführungen wie diese hier hatte ich noch nirgendwo erlebt. Da gab es Kreisverkehre, auf die in jeder Richtung sechs Spuren zuführten. Im Kreisel selbst jedoch waren keinerlei Linien mehr markiert, dafür standen zahlreiche Ampeln herum, die zumeist gelb blinkten. Manche jedoch zeigten Rot oder Grün. Jeder fuhr kreuz und quer, wie es ihm passte, in einer riesigen, ungeordneten Blechkolonne.

Ich schwitzte Blut und Wasser, während ich versuchte, es den Einwohnern gleichzutun und einfach aus der vierten Spur quer über den Platz zwischen anderen Fahrzeugen hindurch eine Ausfahrt hinaus zu kommen, ohne dabei eine rote Ampel zu missachten oder die anderen Fahrzeuge zu rammen.

Was taten Ampeln eigentlich mitten im Kreisverkehr? Der Sinn des Ganzen wollte sich mir beim besten Willen nicht erschließen. Attila war eher amüsiert über meine Nervosität und meinte, es werde mir schon keiner absichtlich in die Seite fahren. Sehr witzig, Herr Szábo! Seine zur Schau gestellte Ruhe brachte mich vollends auf die Palme. Ich fühlte mich überfordert.

Am Stadtrand, als wir schon wieder auf der Autobahn entlangfuhren, entdeckte Attila schließlich das Werbeschild eines bekannten Elektrogroßmarktes. In letzter Sekunde signalisierte er mir, ich solle rechts abfahren, er brauche unbedingt den Trafo. Nun gut! Ich scherte in letzter Sekunde scharf auf die Ausfahrspur ein und parkte kurze Zeit später unter Mandarinenbäumen, um mit Attila auf die Suche nach dem Gerät zu gehen. Es war gar nicht so einfach, das Gesuchte in diesem riesigen, mehrstöckigen Markt zu finden. Doch schließlich hatten wir Erfolg und Attila stöpselte sein Net-Book im Auto glücklich ein.

Glücklich war er jedoch nicht sehr lange. Plötzlich gab das NetBook den Geist auf und ließ sich nicht wieder hochfahren, obwohl Attila haargenau die Spannung am Regler eingestellt hatte, die auf dem Gerät als passend vermerkt war. Entnervt holte er das große Notebook aus dem Kofferraum und hoffte, dass dieses nicht auch noch den Dienst versagen würde. Aber zum Glück konnte er damit arbeiten, es wurde ordnungsgemäß aufgeladen. Ich atmete auf, denn ich kannte Attila. Wenn die Technik streikte, so nahte stets ein Tobsuchtsanfall.

Bei Barcelona übernahm Attila das Steuer, da es mittlerweile dunkelte und ich leider mit Nachtblindheit geschlagen bin. Inzwischen lief alles ruhig auf dem Rechner, seit einiger Zeit waren keine Timeouts mehr verzeichnet worden. So aßen wir an einer Tankstelle zu Abend, um anschließend die Nacht über durchzufahren. Ich döste halbtot vor mich hin, denn mir war klar, dass mein nächster Einsatz am Morgen unvermeidlich war.

 

In der Morgendämmerung erreichten wir Luxemburg und stellten erstaunt fest, dass dieses Land anscheinend keine Auswirkungen der Aufstände in Libyen zu spüren bekam, ebenso wenig wie Spanien. Seltsamerweise blieben hier wie dort die Benzinpreise stabil, während Deutschland und Frankreich ihre immensen Erhöhungen mit dem Aufstand gegen Oberst Gaddafi begründeten, der angeblich die Öllieferungen gefährdete und die Preise in die Höhe trieb.

Gleichzeitig stellten wir fest, dass der Hunsrück in dichten Nebel gehüllt war, so dass man keine 50 Meter weit sehen konnte. Das blieb so, bis wir in Hahn ankamen, wo wir den Honda S 2000 abholen wollten. In völlig übermüdetem Zustand war es doppelt hart, so konzentriert fahren zu müssen.

Ohne größere Pause ging es mit zwei Fahrzeugen weiter in Richtung Bayreuth. Beide waren wir vollkommen erledigt, doch was blieb uns anderes übrig? Der S 2000 musste am Montag zum Händler gebracht werden, damit das Fahrzeug verkauft werden konnte. Die GmbH durfte diese Kosten nicht mehr länger tragen, sonst wäre ihre Abwicklung schon hierdurch gefährdet gewesen. Stellenweise konnte ich nicht mehr, bekam einen Tunnelblick und gurkte nur langsam hinter Lastwagen her, weil ich zum Überholen längst nicht mehr die nötige Konzentration aufbrachte. Attila war zäher und wunderte sich über mein Fahrverhalten, musste stellenweise auf mich warten. Aber mir war schon alles egal, ich

wollte nur noch in ein Bett oder tot umfallen.

War ich froh, als wir endlich am Nachmittag Bayreuth erreichten und ich aus dem Auto klettern durfte! Es herrschte sogar sonniges Wetter, wenn auch bei Minustemperaturen.

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