Scheidung kann tödlich sein

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Juan hatte vorher noch über seine gebrochene Schulter geklagt, die bei jeder Bewegung schmerzte. Er war ein paar Wochen zuvor in der Badewanne ausgerutscht und gestürzt. Doch beim Salsa merkte man davon gar nichts mehr. Ich wünschte ihm, dass die Quittung für die viele Bewegung nicht am nächsten Tag käme – so wie neulich bei mir.

Gut gelaunt verabschiedeten wir uns in den frühen Morgenstunden. Juan bescherte das neue Jahr wenig später noch ein merkwürdiges Erlebnis: ein betrunkener Autofahrer krachte mit überhöhter Geschwindigkeit in sein Haus, nachdem er den Zaun niedergefahren und quer durch die Plantage gepflügt hatte. Außer Sachschäden passierte aber zum Glück nichts.

Das neue Jahr 2011 durften wir noch genau vier Tage lang in Frieden genießen. Dann schwappte eine neue Welle des Wahnsinns aus Deutschland herüber … ausgelöst von wem? Raten Sie mal!

Genau! Diese Frau hatte wieder einmal alle Register gezogen, derer sie habhaft werden konnte. Hatten wir es nicht schon längst gewusst? Kaum wähnte sie sich wegen des Gutachtens auf der sicheren Seite, setzte sie wieder alle verfügbaren Hebel in Bewegung, um Attila zu schaden. Musste sich wieder unbedingt seiner negativen Aufmerksamkeit versichern. Das gelang ihr in exzellenter Weise.

Innerhalb von nur zwei Tagen trafen die vorläufig letzten beiden Prophezeiungen ein, die wir schon vor längerer Zeit zum Besten gegeben hatten, auch beim Anwalt. Es ist so verdammt schwierig, sehenden Auges durch die Gegend zu laufen, wenn die meisten anderen blind für Offensichtliches sind. Egal ob es sich um Gutachter, Richter, Sozialpädagogen oder Angehörige handelt. Diese waren erfahrungsgemäß entweder zu den erforderlichen Denk-Konstrukts nicht fähig oder brachten den Mut nicht auf, die unausweichliche Progression der Vorgänge zu durchbrechen. Der Mensch hat eben vor nichts mehr Angst, als sich auf Unbekanntes einzulassen, oder sich Unausweichlichem zu stellen. Traurig, aber wahr!

Am 5. Januar beschlossen Attila und ich, uns nach der Arbeit im neuen Haus mit einem Abendessen beim Chinesen zu belohnen; Attila hatte so richtig Lust auf knusprige Ente bekommen und die schmeckte mir von jeher auch sehr gut. Wir duschten also und ersetzten die Arbeitsklamotten durch salonfähige Kleidung. Während Attila unter der Dusche weilte, klingelte sein Handy; wir glaubten beide, es handele sich um Attilas Kunden Fritz, der wieder einmal im richtigen Moment ein Problem mit seinem Programm hatte. Aber nein, das wäre ja noch harmlos gewesen! Das Display zeigte Uschis Nummer, und das konnte nur eines bedeuten: Magenschmerzen.

Ich saß fertig angezogen an meinem Schreibtisch und checkte noch meine Mails, während Attila Uschi genervt zurückrief. Die ließ sofort lautstark einen aufgeregten Wortschwall auf Attila einprasseln, so dass mir sofort klar war, dass sie wieder mit einem der Kinder nicht klarkam. Natürlich musste sie ihre Erziehungsunfähigkeit genau an jenem Menschen auslassen, dem sie mit jahrelangen Bemühungen das Sorgerecht weggenommen hatte. Sobald sie nicht weiterwusste, dann war Attila allemal gut genug, für sie die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Dieses Mal ging es um Solveig. Mein Adrenalinspiegel erreichte schwindelnde Höhen, als ich gegen meinen Willen, aufgrund der Lautstärke dieses Telefonates, mitbekam, worum es sich diesmal handelte.

Die liebe Solveig war vor einigen Tagen mit der Polizei nach Hause gebracht worden, weil sie bei einem Ladendiebstahl in einem Bekleidungsgeschäft erwischt worden war. Außerdem habe sie Uschi geschlagen und getreten, Uschi käme körperlich gegen sie nicht mehr an. Solveig verlasse das Haus, wann immer es ihr passe, und sie, Uschi, könne nichts dagegen machen. Die Polizei habe ihr auch gesagt, dass 13-jährige bis 22.00 Uhr draußen sein dürften. Darüber hinaus schwänze Solveig dauernd die Schule, spiele häufig krank und täusche Magenschmerzen vor, die Noten seien entsprechend. Aktuell sei sie gegen Uschis Willen um 19.30 Uhr aus dem Haus gegangen, habe sich nicht aufhalten lassen.

Jetzt hege Uschi Angst, dass sie abhauen werde oder sich mit ihren dubiosen Freunden treffe, denn sie befinde sich in einem schlechten Bekanntenkreis. Ihr kleiner Bruder Marco habe schon geäußert, er wolle bitte ins Nervenkrankenhaus eingeliefert werden, um seine Ruhe zu haben.

Nun gut, mich erstaunte das Ganze nicht im Geringsten! Wer Band 1 und 2 von »Scheidung kann tödlich sein« gelesen hat, dem wird wohl bekannt sein, dass ich den Verdacht eines solchen Werdeganges bei Attilas ältester Tochter längst kommen habe sehen. Einfach weil er vollkommen logisch war. Grenzenlose Erziehung mit viel zu viel Luxus, eine hilflose, erziehungsunfähige Mutter und ein zu weicher, duldsamer Vater, der sie total verzogen hatte. Die ganze Familie hatte jahrelang weit über ihre Verhältnisse gelebt. Was sollte hierbei herauskommen? Besonders, wenn das Luxusleben nun wegen der finanziellen Situation der Eltern nicht mehr möglich war und Solveig weiterhin alles tat, um im Mittelpunkt zu stehen? Wie ihrer Mutter war es ihr dabei egal, ob die Art der Aufmerksamkeit, die sie hierdurch bekam, negativer Art war.

Leider fiel auch Attilas Reaktion aus wie gewohnt. Obwohl wir schon x-mal über die Folgen seines Verhaltens diskutiert hatten, obwohl er genau wusste, wie weh er mir damit tat: wieder war er richtig nett zu Uschi, stieg voll auf ihr Gejammer ein, anstatt ihr einmal deutlich zu sagen, dass sie selbst es war, die maßgeblich an Solveigs Entgleisungen schuld war. Wer hatte sie zum Beispiel in eine verrufene Hauptschule gegen Attilas Willen gesteckt, obwohl stadtbekannt ist, dass dort ein äußerst negatives Umfeld herrscht? Wer wurde denn nicht mit dem pubertierenden Gör fertig, obwohl er, oder vielmehr sie, unbedingt das alleinige Sorgerecht haben wollte?

Aber nein, Attila verhielt sich wie gewohnt! »Oh je, ist das alles schlimm. Ja, scheiße, morgen ist Feiertag. Da sind die Ämter zu. Wenn du morgen nicht mit ihr klarkommen solltest, dann weise sie am besten in die Kinderund Jugendpsychiatrie ein. Ja, und ich kümmere mich um die Sache und rufe gleich am Freitagmorgen das Jugendamt an und versuche, Solveig in einem Heim unterzubekommen. Natürlich, bitte rufe mich nachher nochmal an, ob sie inzwischen heimgekommen ist. Bis später!«

So ungefähr hörte sich das Telefonat an. Mir war derart übel geworden, dass ich weder den Chinesen noch irgendein anderes Essen brauchte. Das konnte doch nicht wahr sein! Anstatt dem Kind endlich seine Grenzen aufzuzeigen, wollten die beiden in schönster Eintracht die 13-jährige lieber in die Psychiatrie einweisen lassen und später ins Heim stecken. Und Uschi, die das alles aktuell verbockte, wurde hierbei auch noch lieb und nett unterstützt. Wütend rannte ich die Treppe hinauf, um mich wieder in die Joggingklamotten zu begeben. Ich wäre sonst ausgerastet.

Als Attila sein Telefonat beendet hatte, meinte er in gespielt fröhlichem Ton: »So, schon erledigt, jetzt können wir Essen gehen«! Ich dachte, ich höre nicht richtig. Glaubte er denn im Ernst, ich würde mit ihm essen gehen, während er nett mit seiner Alten telefonierte, sie noch in ihrem abartigen Treiben unterstützte? Die ihn nicht etwa als treusorgende Mutter anrief, sondern nur ein Ventil brauchte, um ihren Frust abzulassen, während sie ihm, beziehungsweise uns, ansonsten im übertragenen Sinn seit mindestens zwei Jahren immer wieder das Messer zwischen die Rippen rammte?

Seinen Kindern helfen konnte und durfte er sowieso nicht, was also sollte das bringen, außer ihr eben wieder einmal die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie auf diese Weise von ihm erzwingen wollte?

Diesen Sachverhalt versuchte ich ihm geduldig darzulegen. Ich sah mich auch wieder einmal gezwungen, ihn zu fragen, weshalb er zu ihr denn erneut so betont lieb und nett gewesen sei, anstatt ihr endlich einmal zu zeigen, dass sie es sich verscherzt hatte und selber mit den Ergebnissen ihrer Nicht-Erziehung klarkommen musste?

Das wollte er natürlich nicht hören, seine Miene verfinsterte sich sofort. Anschließend brachte er es bei mir ohne weiteres fertig, einen stinkigen, verachtenden Ton anzuschlagen. Und was er zu mir sagte, das gab mir erst einmal wieder den Rest: es handele sich schließlich um seine Frau und um seine Kinder.

Danke, lieber Attila! Dann behalte sie doch, am besten ziehst du dort auch gleich wieder ein, wenn das so ist. Nur, was willst du dann eigentlich mit mir? In dieser Weise äußerte ich mich, denn ich war in diesem Moment ziemlich verletzt und obendrein stinksauer.

Uschi rief selbstverständlich später noch einmal an. Teilte mit, dass Solveig um 20.30 Uhr nach Hause gekommen sei und vergewisserte sich, dass Attila auch wirklich am Freitag die Sozialtanten anrufen und die Sache für sie regeln werde, was dieser ihr zusagte. Wieder im selben Ton.

Hätte ich nicht gewusst, mit wem er da telefonierte, ich hätte angenommen, dass eine gute, alte Freundin angerufen hätte. Die Krönung war dann, dass er Uschi erklärte, dass Solveig nur dann zu uns umziehen könne, wenn sie gelernt habe, sich an Regeln zu halten. Aber das müsse er erst noch mit mir absprechen.

Somit war ich für diesen Tag bedient; ich ging nach oben, um Kartons zu packen und mich damit abzureagieren, danach legte ich mich heulend in die Badewanne. Es war am besten, wenn ich ihn für eine Stunde nicht sah, mich dazu nicht äußern musste. Aufgrund meiner Reaktion war er ebenfalls auf mich sauer oder von mir enttäuscht, was weiß ich. Jedenfalls arbeitete er verbissen am Rechner, so wie er es zur Kompensation stets tat.

Oben überlegte ich, warum er bei dieser ekelhaften Tussi eigentlich so nett war. Musste die ihn erst anschießen, überfahren oder so etwas, bis er es schnallte? Wie hatte er das gemeint, »sie ist meine Frau«? Und vor allem: warum konnte er mit mir verbal Schlitten fahren, wenn er mich doch angeblich liebte und sie nicht mehr? Das war alles höchst unlogisch! Eigentlich musste er doch schließlich über die fast zwei Jahre hinweg gemerkt haben, dass er nichts für seine Kinder tun konnte und durfte, auch wenn das sehr schwer war.

 

Hinzu kam, dass ich Attila schon mehrfach deutlich gesagt hatte, dass ich mit Solveig nie wieder unter einem Dach leben könnte. Das würde garantiert nicht gut gehen und ich hatte bereits hinreichend Erfahrungen gemacht. Das würden meine Nerven keinesfalls packen, denn nach einer kurzen Phase der Euphorie bei Vater und Tochter würde ersterer zweifellos in sein altes Fahrwasser zurückfallen und sich von ihr einwickeln lassen, da war ich mir ziemlich sicher.

Dieses raffinierte Kind wusste genau, wie man ihn manipulieren konnte. Und mich hasste sie wie die Pest. Wenn sie Erziehungsversuche schon bei ihren Eltern nicht duldete, dann bei mir erst recht nicht! Sie würde mühelos Attila gegen mich aufbringen, sobald ich Versuche in diese Richtung unternahm. Wozu ich allerdings auch kein Bedürfnis hatte, warum sollte ausgerechnet ich die Versäumnisse der Eltern ausbügeln? All das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Nachdem ich nach dem Telefonat auch über diesen Punkt mit ihm gesprochen hatte, war mir eines klar: entweder, er würde sich im Notfall, den Uschi soeben provozierte, für seine Tochter entscheiden und in Kauf nehmen, dass ich fortging. Oder aber, er würde es nicht tun und mir lebenslang die Schuld dafür anrechnen, dass sie im Heim saß oder vollends auf die schiefe Bahn geriet. Bei beiden Möglichkeiten würde aber ich die Rechnung dafür bezahlen, dass Solveigs Erziehung noch immer gründlich in die Hose ging, was meine Person doch wohl nicht verschuldet hatte. Irgendwann ging ich wieder runter ins Wohnzimmer, wir mussten uns ja trotzdem mit diesem Problem befassen, das zwischen uns stand. Bravo Uschi, ganze Arbeit geleistet! Vermutlich war auch dieser kleine, nette Nebeneffekt von ihr so mit eingeplant. Denn uns bei unserem neuen Leben zu stören, das war ihr stets ein Bedürfnis. Mit dieser neuen Aktion hatte sie es nicht nur gestört, sondern nahezu zerstört. Wir gerieten uns den gesamten Abend lang in die Haare, machten uns gegenseitig Vorwürfe. Ich ihm, weil er immer wieder auf sie und ihre Machenschaften reagierte, und er mir, weil er meinte, dass ich die Tatsache, dass er mit dem Herzen an seinen Kindern hing, nicht genügend ernst nehme. Zum Schluss ging er mit frostiger Stimmung ins Bett und ich saß wütend und traurig auf der Couch.

Ich brütete eine Zeit lang resigniert vor mich hin, dann fasste ich einen Entschluss. So wie bisher konnte und durfte das nicht weitergehen. Das Strickmuster wiederholte sich bei jedem Anruf und Uschi würde vermutlich noch viele davon absetzen, bei jedem drohenden Problem mit den Kindern. Mein Entschluss war recht folgenschwer, denn ich gab mich geschlagen. Mir ging die Kraft zum Widerstand verloren. Wenn Attila meinte, dann sollte er sich doch mit seiner verkorksten Tochter belasten und seine Beziehung aufs Spiel setzen, ich mochte nicht mehr mit ihm darüber streiten.

Als gangbarster Weg erschien es mir, mich bei Uschi schriftlich dafür einzusetzen, dass sie Solveig zu ihm nach Spanien ziehen lassen solle. Entweder das oder ihn in Ruhe zu lassen, ihn nicht mehr zu belästigen. Ich entwarf ein längeres Schreiben dieses Inhalts und bat sie auch noch, ihren Hass abzulegen und endlich in die Zukunft zu sehen, damit alle Beteiligten endlich wieder etwas führen könnten, das einem normalen Leben gleichkam.

Natürlich gönnte ich ihr den Triumph nicht, auch noch dazu zu schreiben, dass letzteres selbstverständlich für alle Beteiligten außer mir gelte. Denn ich konnte meine Beziehung im Fall von Solveigs Ankunft mutmaßlich vergessen. Attila hatte ich vorhin für diese Wahrscheinlichkeit einen Wert von 95 % genannt, und das war sicher nicht unrealistisch gedacht.

Ich informierte Attila von diesem Brief, hatte den Entwurf auf seinen Rechner gelegt. Bat ihn, das Machwerk am nächsten Morgen durchzulesen und danach zu entscheiden, ob er ihn wirklich absenden wolle, wobei er mir anschließend keine Rechenschaft über die Gründe abzulegen brauche. Mehr könne ich für ihn und seine Tochter nicht mehr tun und ich wolle jetzt von dem ganzen Thema nichts mehr hören, weil ich psychisch nicht mehr belastbar sei. Was absolut den Tatsachen entsprach.

Ich hatte mich schon wieder bei Gedanken ertappt, ob es nicht besser wäre, meinem Leben gleich ein Ende zu bereiten, als langsam und qualvoll seelisch draufzugehen, da sich ja offensichtlich nichts verbesserte, sondern alles immer noch schlimmer wurde. Diese dunkle Wolke namens Uschi würde sich weiterhin nicht verflüchtigen und schließlich würde sie das üble Spiel am Ende gewinnen, weil Attila die Leine, an der er hing, nach wie vor nicht durchtrennte.

An Schlaf brauchte ich gar nicht zu denken, Panikattacken und übler Kummer verhinderten ihn vollständig.

Am Morgen fragte Attila mich dann, ob ich das für IHN getan hätte. Sehr witzig! Nein, vermutlich war ich scharf auf das ganze Szenario und tat es für mich, dachte ich sarkastisch. Was glaubte er eigentlich? Wann immer ich ihn an diesem Tag sah, konnte ich mich nicht mit ihm befassen. Es tat zu weh.

Auf dem Esstisch hatte ich den fertig verpackten Brief liegen sehen. Er beabsichtigte also, ihn tatsächlich abzuschicken. Damit hatte er offensichtlich seine Entscheidung getroffen. Für sie. Wie er das überhaupt machen wollte, einen unerzogenen, verdorbenen und überdies pubertierenden Teenager großzuziehen, während er täglich viele Stunden arbeiten musste, wo er seine Tochter überhaupt unterbringen wollte, wenn unser neues Haus schon jetzt aus allen Nähten platzte – keine Ahnung!

Mehrfach versuchte Attila verzweifelt, mich aufzuheitern, mit mir wieder zu kommunizieren. Aber ich konnte das nicht, hatte auch keine Kraft zum Streiten mehr. Er rückte mit dem Ausdruck einer Email an, die er dem Jugendamt zu schicken gedachte. Nein, die wollte ich auch nicht durchlesen! Später erklärte mir Attila, ich würde seiner Ansicht nach völlig überreagieren und »einen auf depressiv machen«. Sollte er doch denken, was er wollte. Er verstand es scheinbar wirklich nicht, warum es mir so schlecht ging. In der Zwischenzeit telefonierte Attila mit dem Kunden Kurierdienstissimo in Neuenstein, weil er für diese Firma derzeit viel programmierte. Er hatte den Geschäftsführer am Telefon und weil das Gespräch über Skype lief, war es so laut, dass ich es zwangsläufig im ersten Stock mitbekam. Es war dem Anrufer ganz offensichtlich sehr unangenehm, Attila auf ein Schreiben anzusprechen, das er erhalten hatte.

Die Polizei hatte nämlich diese Firma aufgefordert, über Attilas Arbeitsverhältnis und seinen Verdienst Auskunft zu geben. Attila war natürlich klar, dass dies eigentlich nur eines bedeuten konnte: seine liebe Frau hatte ihn wegen Verletzung der Unterhaltspflicht angezeigt, obwohl sie eigentlich sehr genau über seine bereits überprüfte Leistungsunfähigkeit informiert war.

Dieses Miststück nahm hierbei billigend in Kauf, dass er bei seinen Kunden in Misskredit gebracht wurde. Ein Programmierer, gegen den die Polizei ermittelt? Wer traute so jemandem, erteilte ihm weitere Aufträge, verriet ihm Firmeninterna und Kennwörter? Uschi sägte also wieder einmal an dem Ast, auf dem sie selbst saß, wollte Attila die Firma kaputt machen. Oder nahm es billigend in Kauf, obwohl ihr eigentlich klar sein musste, dass Attila dann erst recht keinen Unterhalt würde leisten können: weder an sie noch an die Kinder.

Damit war auch meine letzte Prophezeiung Wahrheit geworden: Uschi fing unverzüglich nach dem Eingang des Gutachtens zur Erziehungsfähigkeit, das mit Hängen und Würgen zu ihren Gunsten ausgegangen war, an, Attila finanziell zu ruinieren. Nach den Kindern, mit denen sie selbst nicht klarkam und die sie auch nicht gernhaben konnte, wollte sie Attila auch noch alles andere nehmen, vor allem sein neues Leben in Spanien.

Gegen Abend sprach ich wieder mit Attila, denn man konnte sich nicht tagelang aus dem Weg gehen. Es war einfach nicht möglich, dazu saßen wir zu eng aufeinander. Er erzählte, dass er meinen Brief an Uschi nicht wegschicken werde; mir war allerdings bewusst, dass der Grund dafür in der Hauptsache Uschis neuer Angriff war, nicht etwa die Rettung meines Seelenlebens. Denn an das Jugendamt hatte er am gleichen Tag geschrieben, dass er mit einer Heimeinweisung Solveigs keinesfalls einverstanden sei, sondern vielmehr wolle, dass sie ihm überlassen werde. Ich hätte mich angeblich einverstanden erklärt, die Verantwortung für die Erziehung mitzutragen.

Eigentlich war es ein Glück, dass ich weder die Kraft noch Lust hatte, neuerliche Diskussionen zu beginnen. Ich nahm es nur noch hin, das war auch schon egal. Er hatte die Formulierung, die in meinem Brief ausschließlich für Uschi gedacht war, so ausgelegt, als sei ich nun plötzlich mit einer Übersiedlung Solveigs einverstanden. Vergessen war meine deutliche Äußerung ihm selbst gegenüber, dass ich mit diesem Mädchen nicht mehr zusammenleben könne und wolle.

Konnte oder wollte er nicht sehen, dass er mich nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit verlor, wenn sie herkam? Und dass ich diesen Teil der Geschichte Uschi nur nicht auf die Nase binden hatte wollen?

Noch einmal versuchte ich ihm aufzuzeigen, was genau an seinem Verhalten mich so sehr verletzt hatte. Nun dachte er zumindest darüber nach und sah ein, dass er Uschi bei mir nicht mehr dauernd als »seine Frau« titulieren und auch noch bauchpinseln durfte. Ich verlangte klare Worte ihr gegenüber und auch, dass er derartige Anrufe nicht mehr entgegennehmen sollte. Diese Hexe musste endlich realisieren, dass er die Leine gekappt hatte, an der sie ihn nach wie vor festzuhalten trachtete. Dass ihre Versuche ins Leere gingen, sie ihn emotional nicht mehr erreichen konnte. Und er – er musste sie loslassen, sonst hatten wir keine Chance. Er schien das einzusehen und ich konnte nur hoffen, dass er sich an diese Vereinbarung halten würde. Sonst hätte ich keine Wahl mehr und würde gehen müssen, wohin auch immer. Meine Lage wäre in diesem Fall alles andere als rosig gewesen, denn auch ich war seit dem Umzug nach Spanien finanziell und darüber hinaus emotional von ihm abhängig.

Am Freitagmorgen rief Uschi schon wieder an und wollte erfahren, ob Attila mit dem Jugendamt gesprochen habe. Er fragte sie, ob sie einverstanden wäre, wenn Solveig zu uns ziehe. »Nein, auf gar keinen Fall«, gab sie ihm zur Auskunft.

Dann sprach er sie geradeheraus auf die Anzeige bei der Polizei an. Uschi gab zu, der Urheber gewesen zu sein. Begründung: nachdem Attila »dauernd in der Gegend herumfliegen« könne, außerdem in Spanien in einem Haus mit Pool lebe, hätte sie doch nachprüfen lassen müssen, ob er leistungsfähig sei.

Sie verstand wohl nach wie vor nicht, dass geschäftliche Flüge zwecks Kundenbesuchs auf einem ganz anderen Blatt standen als private Vergnügungen, die wir uns absolut nicht leisteten. Und dass es hier in Südspanien eigentlich gar keine Häuser ohne Pool gibt, das wusste sie auch nicht. Der Neid auf unser vermeintlich so schönes Leben hatte sie völlig zerfressen. Allerdings hätte man schon mindestens ein Masochist sein müssen, um die derzeitigen Vorgänge wirklich »schön« zu finden!

Was sie auch nicht realisierte, war der Umstand, dass das Gutachten zur Erziehungsfähigkeit für sie nicht wirklich gut ausgefallen war. Sie rieb Attila deshalb unter die Nase, dass er durch dieses Gutachten doch wohl seine Quittung erhalten habe. Entweder sie kapierte den Inhalt wirklich nicht, oder sie schaffte es, diesen vollständig zu ignorieren, erfand ihr Leben in der Fantasie neu und glaubte dann selber daran. Ist bei Alkoholikern nicht selten, man nennt dieses Phänomen im psychologischen Fachjargon »konfabulieren«.

Über mich zog sie natürlich auch wieder her. Ich sei das Letzte, weil ich meine Kinder im Stich gelassen hätte. Nette Formulierung. Vom »Kaukasischen Kreidekreis« hat die selbstverständlich auch noch nichts gehört; jedenfalls wurden meine Kinder nach wie vor nicht in die Psychiatrie eingeliefert, konnten sich mit der Situation zumindest arrangieren, auch weil die Erwachsenen sich nicht auf deren Kosten bekämpften.

Nach diesem Telefonat meinte Attila erleichtert, Uschi werde ihn jetzt wohl nie wieder anrufen. Das tat sie zwar tatsächlich nicht, schickte dafür aber eine giftige Mail voller Anklagen. Dass er seine Tochter im Stich gelassen, ihr nur eine CD mit halbnacktem Mann auf dem Cover gesandt habe.

 

Gott, konnte die wirklich so bescheuert sein? Er ließ es sich nicht gefallen und bat mich, die Erwiderung mit ihm zusammen abzufassen. Damit sie nicht wieder zu harmlos ausfalle, denn ihr richtig, so wie mir, die Meinung zu geigen, das brachte er irgendwie nicht fertig. Schon gar nicht verbal. Über die Gründe hierfür mochte ich gar nicht erst nachdenken. So formulierte ich unter anderem, dass sie ihn in Ruhe lassen solle, denn er sei an ihr und ihrem verkorksten Leben nicht mehr interessiert.

Und ich, ich konnte mein Seelenleben leider nur einigermaßen wieder in Form bringen, indem ich ihn etwas unter Druck setzte. Erstens: ich gab ihm eine Frist von 3 Monaten, während deren Verlauf Nettigkeiten oder Telefonate mit Uschi nicht mehr vorkommen durften. Sonst würde ich ihn verlassen, weil ich annehmen müsste, dass seine Beziehung mit ihr in Wirklichkeit nicht beendet wäre.

Zweitens: sollte Solveig hierherkommen, dann behielte ich mir vor, notfalls ins Büro umzuziehen oder zu gehen, falls die Situation für mich unerträglich würde. Er erklärte sich einverstanden und versprach noch, er werde Solveig in einem solchen Fall aber sowieso zurückschicken und sie nicht hierbehalten.

Nun, wir würden ja sehen!

Wir näherten uns wieder an, trotz allem liebte ich ihn ja total. Allerdings war mir klar, dass die durch Uschi ausgelöste Problematik weitergehen und vermutlich sogar an Schärfe noch zunehmen würde. Attila musste jetzt den Leumund seiner Firma wegen der Anzeige retten und seine Arbeitgeber davon überzeugen, dass er weiterhin als zuverlässig gelten konnte. Er wollte außerdem seinerseits eine Anzeige gegen Uschi einleiten und eine einstweilige Verfügung erwirken, dass sie derartige Rufschädigungen zu unterlassen hatte.

Die Baustelle mit Solveig war auch noch aufgerissen; spätestens zur finalen Sorgerechtsverhandlung, welche vermutlich für unserem nächsten Deutschlandbesuch Ende Februar terminiert werden würde, musste der Richter sich entscheiden. Ob er dem Gutachten folgte und die Kinder bei Uschi ließ, oder ob er eher der Ansicht war, dass die neuesten Ereignisse nach dem Gutachten nun doch die Annahme rechtfertigten, dass sie zur Erziehung absolut nicht geeignet war. Dann wäre noch die Frage ungeklärt, ob er die Kinder in einem solchen Fall trennen und zu Pflegeeltern oder ins Heim stecken würde, oder ob der leibliche Vater dann den Behörden doch als die gangbarere Lösung erschiene. Nachdem dieser sich einem eigenen Gutachten zur Erziehungsfähigkeit gestellt hätte, selbstverständlich.

Wie man es auch dreht und wendet: selbst wenn Attila sich nun Anrufen und Mails von Uschi verweigerte, los wurden wir sie definitiv nicht. Meine Verachtung für ihr Verhalten wuchs ins Unermessliche und ich fragte mich, ob einen Hass tatsächlich dermaßen blind machen konnte, dass man dafür sein Leben opferte, seine Kinder in den Abgrund trieb und nur noch an die Zerstörung dessen dachte, was man selbst nicht (mehr) haben konnte. Nachdem man »es« 12 Jahre lang systematisch vorab schon mal kaputt gemacht hatte.

Am Wochenende arbeiteten wir im Haus, richteten das Badezimmer her und stellten wieder einmal fest, dass viele Dinge erheblich billiger zu kaufen waren als in Deutschland. Ob man hier eine Duschabtrennung oder Handtuchhalter brauchte, alles war gut ein Drittel günstiger im Baumarkt zu haben. Die körperliche Betätigung tat Attila gut, sie lenkte wenigstens vorläufig von seiner ständigen Grübelei ab. Er würde am Montagmorgen schließlich mit dem Anwalt telefonieren müssen, um seine eigene RufRettung in die Wege zu leiten. Diese negative Aufmerksamkeit würde Uschi noch bekommen müssen, es führte leider kein Weg hieran vorbei.

Zunächst dominierte bei Attila die Angriffslust. Er wollte es Uschi zurückzahlen; sie sollte schon sehen, was sie von derartigen Angriffen hatte, wenn die Retourkutsche kam. Er machte so einige Paragraphen im Internet ausfindig, wonach sich Uschi bei Anzeigen mit falscher Grundlage strafbar machte und auch ihren Unterhalt verwirkte. Schließlich wusste sie sehr genau, dass das Gericht Attilas Leistungsfähigkeit wegen der Prozesskostenhilfe längst eruiert hatte und selbst die Staatsoberkasse sich wegen seiner Pleite mit lediglich kleinen Ratenzahlungen zur Rückzahlung der Unterhaltsvorschüsse einverstanden erklärte.

Aus ihrer Zeit als Geschäftsführerin der GmbH war ihr überdies genau bekannt, dass Attila nicht, wie angegeben, bei dieser Firma als Angestellter arbeitete, sondern vielmehr die GmbH seit Jahren für diesen Kunden tätig war. Hätte sie die GmbH als Arbeitnehmer genannt, hätte die Polizei die Anzeige gar nicht entgegengenommen; in einem solchen Fall konnte nämlich nur ein Gericht oder Wirtschaftsprüfer ermitteln, was Attila netto von seinem Umsatz blieb, nicht aber die Polizei. Schließlich ist der Umsatz einer Firma nicht gleich deren Gewinn oder gar das Gehalt des Geschäftsführers.

Als Attila aber am Montagmorgen mit dem Anwalt telefonierte und dieser erst einmal rechtlich überprüfen musste, ob er tatsächlich die entsprechenden Schritte einleiten konnte, sank Attilas Mut wieder ins Bodenlose. Man konnte förmlich zusehen, wie er zum wiederholten Male das Vertrauen ins deutsche Rechtssystem verlor.

Schon kamen bei ihm wieder die alten Ängste hoch, dass Uschi womöglich nicht nur die Anzeige bei der Polizei erstattet, sondern auch den Gerichtsvollzieher reaktiviert haben könnte. Welcher dann vielleicht irgendwann sogar an die spanischen Konten heran könnte, und da lagen Rücklagen für Steuerzahlungen von nicht unerheblicher Höhe, die demnächst fällig wurden. Nicht etwa unser privates Geld, sondern dasjenige für den Staat.

Auch ich hatte an der Sache ganz schön zu kauen. Erstens betraf mich das alles mit, zweitens hatte ich keine Ahnung, wie ich die Vorauszahlung für mein Buch aufbringen sollte. Wobei wir dieses zweite Standbein auf mittelfristige Sicht natürlich dringend gebraucht hätten, mal ganz abgesehen davon, dass ich persönlich auch ein Erfolgserlebnis nötig gehabt hätte. Aber konnte man so was vorfinanzieren, während jeder wegen Unterhalt hinter einem her war, ob nun berechtigt oder nicht? Ich glaube kaum. Was dann unter anderem auch bedeutete, dass ich weiterhin komplett finanziell von Attila abhängig wäre, was mir sowieso ein Problem aufwarf. Ich konnte das einfach nicht akzeptieren!

Bis zum Abend sank Attilas Stimmung auf den Nullpunkt. Jetzt ging es ihm richtig schlecht, Uschi hatte es geschafft. Attila sah das schon richtig: warum konnte es eigentlich sein, dass es jemandem wie ihr offenbar erlaubt war, ausgerechnet uns, die wir arbeiteten und uns auch sonst nichts zuschulden kommen ließen, derart zu schaden? Hatten wir denn keine eigene Existenzberechtigung mehr, nur weil wir in Scheidung lebten? Unsere Ex-Partner wurden doch auch in Frieden gelassen!

Für Uschi kam der Staat mit Hartz IV auf, weil sie nach wie vor keine Lust zum Arbeiten hatte, einen Psychoschaden vortäuschte. Und wir durften nur eines: zahlen. Wobei Attila nun endgültig die Rechnung aus der Zeit seiner Ehe zu begleichen hatte, als er zusammen mit Uschi weit über seine Verhältnisse lebte. Welche natürlich glaubte, das müsse endlos so weiter gehen. Ich denke, sie realisierte gar nicht, dass ich nun die Folgen abbekam, ständig sparen musste. Wegen ihrer Verschwendungssucht, an welcher Attila natürlich auch nicht völlig schuldlos war. Bereitwillig hatte er ihr damals ja immer wieder den »Dispo« erhöht und gebilligt, dass sie uferlos Darlehen aus der Firma zog.