Himmel und Hölle

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Himmel und Hölle
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Table of Contents

Teil 1 Erste Abteilung. Gott. Der blöde Ehrlich.

I. Die beiden Häuschen

II. Das Häuschen zur Linken

III. Vater Klein und sein Feld

IV. Es wird darin gesagt, wer und was Frau Marie ist, Mariechen, Peter, Ehrlich und Bernhard, auch ein paar Worte von der schwarzen Kuh

V. Bernhard und Peter vervollständigen die Familien, der erstere die des Vaters Kleine, der andere die der Frau Marie und wie diese Witwe wird

VI. Was von 1810 bis 1814 in dem Dorfe Haramont geschah

VII. Was in dem Dorfe Haramont von 1810 bis 1814 weiter geschah

VIII. Was in dem Dorfe Haramont von 1810 bis 1814 weiter geschah

IX. Was von 1810 bis 1914 in Europa vorging

X. Die Blutsteuer

XI. Die Losziehung

XII. Diejenigen, welche den Vater Kleine und Bastian falsch beurteilt haben, werden von ihrem Irrtum zurückkommen

Teil 2

XII. Diejenigen, welche den Vater Kleine und Bastian falsch beurteilt haben, werden von ihrem Irrtum zurückkommen. (Fortsetzung)

XIII. Was Vater Kleine in Villers-Cotterêts zu tun hatte

XIV. Was Bastian in Soissons zu tun hatte

XV. Aufklärung

XVI. Der abgeschnittene Finger

XVII. Die Untersuchung

Zweite Abteilung. Die Verbündeten in Frankreich.

I. Was vom 10. November 1813 bis zum 6. April 1814 in Frankreich geschah

II. Der Brief Ehrlichs

III. Der Brief Mariechens

IV. Was Ehrlich, widerfuhr, als er den Kaiser zum dritten Male sah

V. Der Passierschein

VI. Die Reise

VII. Worin dargetan wird, dass manchmal fünfzehn Schritte schwieriger sind als fünfzehn Stunden Weges

Teil 3

VIII. Wie Mariechen endlich die so schwierigen fünfzehn Schritte tun konnte

IX. Der Blindensaal

X. Die Frau des Oberarztes

XI. Die Wallfahrt

XII. Ehrlichs Traum

XIII. Hoffnung

XIV. Entmutigung

XV. Noch ein Arzt

XVI. Hoffnung

XVII. Der Himmel verdüstert sich

XVIII. Alle verzweifeln, nur Ehrlich nicht

XIX. Der Stempelbogen

XX. Etwas, an das der Advokat in Soissons nicht gedacht hatte

Verordnung

XXI. Der Mann des Schicksals

Alexandre Dumas

Himmel und Hölle

Impressum

Texte: © Copyright by Alexandre Dumas

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Übersetzer: © Copyrigh by Dr. August Diezmann

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Teil 1
Erste Abteilung. Gott. Der blöde Ehrlich.
I. Die beiden Häuschen

An der Grenze des Departements Aisne, westlich von der kleinen Stadt Villers-Cotterêts, am Saume jenes herrlichen Waldes, der zwanzig Quadratstunden bedeckt, und die schönsten Buchen wie die gewaltigsten Eichen in ganz Frankreich enthält, liegt das Dörfchen Haramont wie ein Nest in Moos und Laub, von dem aus ein sanft abhängender Weg nach dem Schloss des Fossés führt, in welchem ich die zwei ersten Jahre meiner Kindheit verbrachte.

Je weiter man im Leben vorschreitet, und sich von der Wiege entfernt, um sich dem Grabe zu nähern, umso stärker und unzerreißbarer scheinen die unsichtbaren Fäden zu werden, die den Menschen an den Ort seiner Geburt binden. Das Herz, der Geist, der Verstand, das ganze Wesen sträubt sich gegen das Gespenst, welche man die Zeit nennt, und das uns mit immer kräftigerer Hand und immer fühlbarer unaufhörlich vorwärts treibt, als wenn unser Leben einen Abhang hinunter ginge und, den Gesetzen der Schwere zu Folge, gegen das Ende hin um vieles rascher als im Anfange. Da wendet man sich weinend rückwärts, und klammert sich an alles an, was man auf dem Wege finden kann. Da aber Alles, was man ergreift, ebenfalls abwärts getrieben wird, so fühlt man, dass jeder Widerstand nutzlos und vergeblich ist, man breitet die Arme aus nach den entfernten Gegenständen, die am Morgen-Horizont glänzen, wie am entgegengesetzten im letzten Flammenglühen der untergehenden Sonne bisweilen die Mauern eines Häuschens leuchten, oder die Fenster eines stolzen Schlosses brennen.

Das Menschenleben zerfällt in zwei ganz geschiedene Teile: die ersten fünf und dreißig Jahre sind für die Hoffnung, die anderen für die Erinnerung.

Dann erscheint eine andere Luftspiegelung in der Wüste, die man durchwandert hat, und in welcher die Oasen immer seltener werden; die Gegenstände nämlich, welche dass körperliche Auge im Anfange des Weges erblickte, als man noch mit stolz erhobenem Haupte und mit offenen Armen der Göttin Hoffnung nacheilte, — die Gegenstände, welche man überhaupt am Wege ließ, die man als zu unbedeutend gering achtete, wohl gar verachtete, erscheinen von dem Augenblicke an, da man die Scheidelinie überschritt, nicht mehr durch die Hoffnung, sondern durch die Erinnerung lebt, aber noch immer weiter schreitet, weil man im Leben weiter muss, wenn auch mit gesenktem Haupte und schlaff herabhängenden Armen, — jene Gegenstände also erscheinen allmählich von neuem im Leben der Seele, und da die Seele, die Himmelstochter, sie ganz anders würdigt als sie der Stolz würdigte, ein Erdensohn, so wird ihr Dunkel Licht, ihre Unbedeutendheit Größe, und man liebt, was man verachtete, man bewundert, was man verschmähte.

Aus diesem Grunde kehre auch ich bisweilen, statt immer vorwärts zu geben, wenn ich neue Menschen und neue seltsame Ereignisse suche, in Gedanken auf jenen vielbetretenen Pfad meiner Jugend zurück, wo ich die Spuren meiner kleinen Füße, meiner kleinen Schritte neben den geliebten Fußstapfen meiner Mutter finde, von dem Tage an, an welchem meine Augen sich öffneten, biss zu jenem, an welchem die ihrigen sich schlossen, und ich traurig, allein und verlassen zurückblieb, wie der junge Tobias, als der Engel gen Himmel gestiegen war, der ihn bis an jenen wunderbaren Fluss geführt hatte, dessen Namen Moses uns zu sagen vergessen hat.

Heute nun will ich Euch sagen, was ich im Beginne jenes Pfades sehe, etwas jenseits des Dorfes Haramont, am ersten Abhange, über den der Weg immer abwärts nach dem Schlösschen des Fossés führt.

Zwei Häuschen sind es, die neben dem Wege stehen, nur durch diesen Weg getrennt sind, einander mit Tür und Fenster ansehen, im goldenen Sonnenstrahle einander anlächeln, das eine mit einem Weinstock umkränzt, das andere ganz mit Epheu umkleidet, der das Dach wie mit einem Mantel umhüllt, und dann die Wand bedeckt, wie ein grünes Kleid.

Zwei Familien bewohnten diese Häuser.

Eine dieser Familien bestand aus einem siebzigjährigen Manne, einer Frau von acht und dreißig Jahren, seiner Schwiegertochter und einem sechzehnjährigen Burschen, seinem Enkel. Vervollständigt wurde sie durch einen großen Hund von der Race der St. Bernhards-Hunde, durch einen Esel und einen Ochsen.

 

Sie bewohnte das Haus an der linken Seite des Weges. Die andere Familie, an Personen eben so zahlreich, an Tieren weniger, bestand aus einer Mutter, deren Tochter und Sohn. Die Mutter war sechs und dreißig, die Tochter sechzehn, der Sohn fünf Jahre alt.

Eine einzelne Kuh, die im Stalle vor einer nur mit frischem Grase gefüllten Raufe stand, antwortete mit ausgestrecktem Hals blökend ihrem Nachbar, dem Ochsen, so oft es diesem gefiel sich brüllend nach ihrem Befinden zu erkundigen.

Vielleicht wundert sich der Leser, besonders wenn er ein Städter ist, und das patriarchalische Landleben nicht selbst mitgelebt hat, dass ich einen Hund, einen Esel, einen Ochsen, eine Kuh als Glieder einer christlichen Familie mit aufführe. Da antworte ich: Freund, Sie sind zu streng gegen die Niedrigen der Schöpfung; ich weiß wohl, dass der Segen der Kirche sie nicht erreicht; dass sie als Heiden und Unreine außerhalb des christlichen Gesetzes stehen; dass der Gott-Mensch, der für die Menschen gestorben ist, für sie nicht gestorben ist; aber erinnern Sie sich, dass der Orient den Glauben hegt, das Tier sei eine schlafende oder verzauberte Seele; erinnern Sie sich, wie nach dem Glauben Indiens, jener ernsten, majestätischen Mutter unseres streitsüchtigen Abendlandes, die Poesie dem ersten Dichter offenbart worden ist: er sah gedankenvoll zwei Tauben fliegen, er bewunderte die Anmut ihres Fluges und die Schnelligkeit ihrer Liebesverfolgung, — mit einem Male fliegt ein Pfeil von einer versteckten Hand, pfeift durch die Luft und trifft eine der Tauben; da vergießt er Tränen des Mitleides, sein Wehklagen, das sich nach dem Schlagen seines Herzens, misst, erhält eine rhythmische Bewegung, die Poesie entsteht, und seit diesem Tage fliegen die Verse, melodische Tauben, Paarweise über die ganze Erde. — Denken Sie an Virgil, den zarten, tiefsinnigen Dichter, und hören Sie ihn, wenn er den Bürgerkrieg beweint, welcher die väterlichen Felder entvölkert, wenn er die Hirten beklagt, die ihre lieblichen Wiesen verlassen müssen; — hat er in seinem so viel Unglück umfangenden Mitleiden nicht auch eine Träne für die großen langgehörnten weißen Rinder, deren verschwundene Geschlechter Italien befruchtet haben? Hören Sie ihn, wenn er die Schmerzen des Dichtere Gallus, seines Freundes, beklagt, — zeigt er ihm nicht hinter den Göttern, die er herbei führt um ihn zu trösten, auch seine Schafe, die traurig blöckend um ihn her stehen, und ruft er nicht aus in der melodischen Sprache, um derentwillen er der Schwan von Mantua genannt worden ist: »die demütigen Schafe achten Dich nicht gering, verschmähe Du sie auch nicht, göttlicher Dichter!«

Gehen Sie dann aus dem Altertum in das Mittelalter über, und erinnern Sie sich der reizenden Sage von der Genoveva von Brabant. Die Gattin wird auf die Anklage eines Verräters durch den Gatten verstoßen zugleich mit dem Kinde, das in Schuld geboren sein soll; eine Hirschkuh leiht ihre Höhle der Mutter, und gibt ihre Milch dem Kinde; da8 Tier vergisst, dass es durch den Stolz des Menschen aus der großen Menschenfamilie ausgestoßen worden ist, und nimmt die Familie auf. Eine schuldlose Hirschkuh rettet die schuldlose Mutter mit dem schuldlosen Kinde.

Die Hilfe kommt von dem Niedrigen, die Rettung von dem Kleinen. Denken Sie an jenes Manuskript, das uns lehrt, wie wir die flüchtigen Bienen zurück zu rufen haben, und sagen Sie mir, ob jemals eine führendere, sanftere Bitte an ein verständiges Wesen gerichtet worden ist, als dies Gebet an die Königin des kleinen geflügelten Reiches: »Ich beschwöre Dich, Mutter der Bienen, bei Gott, dem Könige des Himmels und bei dem Erlöser der Erde, Gottes Sohne, ich beschwöre Dich nicht hinweg zu fliegen, und so schnell als möglich zu deinem Baum zurückzukommen; dort wirst Du Dich mit deinen Kindern und Gefährten zusammentun, dort werdet ihr ein von mir bereitetes gutes Gefäß finden, und im Namen des Herrn arbeiten.«

Der Landmann denkt nicht wie Sie Städter. Die Tiere haben in der Familie des Bauern ihren Platz unmittelbar nach dem Jüngstgebornen der Familie, wie in den adeligen sächsischen Häusern die weitläufigen Verwandten unten am Tische. In der Bretagne haben sie heute noch ihren Teil an der Freude wie an der Trauer der Familien: bei der Freude bekränzt man sie mit Blumen, bei der Trauer ums hüllt man sie schwarz.

Betrachten Sie doch das kluge Aussehen Einiger, das sanfte, träumerische Anderer; erkennen Sie nicht, dass ein großes Geheimnis zwischen ihnen und dem Herrn besteht, ein Geheimnis, das das Altertum vielleicht an dem Tage erkannte, als Homer die Fabel von der Circe schrieb? Will nicht der Rabe mit dem melancholischen Gekrächze, der drei Jahrhunderte lebt, d. h. vier Menschenalter, durch diese Stimme von der Vergangenheit sprechen, die traurig und dunkel war wie sein Gefieder? Hat und die Schwalbe, die aus dem Süden kommt, von den großen Wüsten nichts zu verkünden, in welche der Fuß des Menschen nicht zu dringen vermag, und die ihr Flug durchmaß? Wissen der Adler, der in der Sonne fliegt, und die Eule, die im Dunkeln steht, nicht besser als wir, was geschieht, der erste in der Welt des Tages, die zweite in der Welt der Nacht? Könnte endlich der große Stier, welcher unter dem Eichbaume das blass grüne Gras abweidet, so lange sinnend da stehen und klagend jammern, wenn ihm nicht ein Gedanke durch den Kopf ginge, wenn er nicht vielleicht gegen Gott sich über die Undankbarkeit des Menschen beklagte, seines älteren Bruders, der ihn verkennt?

Betrachten Sie einmal neben einander ein junges Tier und ein kleines Kind, hören Sie auf die unartikulierten Laute, die sie bei ihren Spielen und Liebkosungen wechseln, und Sie werden zu glauben versucht werden, das Tier versuche die Sprache des Kindes, das Kind die Sprache des Tieres zu reden. Welche Sprache sie aber auch reden mögen, sie verstehen einander sicherlich, und sie tauschen jene Urgedanken aus, welche vielleicht mehr Wahrheiten über Gott ausdrücken, als Plato und Bossuet jemals ausgesprochen haben.

Nun aber kehren wir zu den beiden Häuschen zurück, und versuchen unsere Leser mit den guten Landleuten bekannt zu machen, die darinnen wohnen.

II. Das Häuschen zur Linken

Das Häuschen zur Linken, das von dem Weinstocke umkränzt war, und von dem siebzigjährigen Alten, der acht und dreißig jährigen Frau und dem sechzehnjährigen Burschen bewohnt wurde, auf dessen Haustürschwelle ein großer Hund der Länge nach ausgestreckt lag, und mit den Augen in der Sonne blinzelte, in dessen Stalle ein Esel schrie und ein Oche brüllte, war im unbeschränkten Besitze des siebzigjährigen Alten, des Schwiegervaters der Frau, des Großvaters des Burschen.

Dieser Alte, welcher keineswegs die Hauptperson in unserer Geschichte ist, hieß Anton Manscourt, da er aber seiner Zeit der zweite Sohn der Familie gewesen, so hatte er von dem Augenblicke an, da er 1740 zur Welt gekommen bis zu dem, in welchem wir ihn finden, um das Jahr 1810, den Namen der Kleine oder der Jüngere geführt, mit dem Unterschiede, dass man ihn von da an, als er sich verheiratete und selbst einen Sohn bekam, nicht mehr kurzweg den Kleinen, sondern Klein-Vater nannte.

Wenige Personen in dem Dorfe erinnerten sich seines eigentlichen Namens, und da er selbst ihn fast vergessen hatte, so war die natürliche Folge, dass man seine Schwiegertochter Frau Kleine und den jungen Burschen dem kleinen Kleinen nannte.

Wenn von dem Letzteren die Rede sein wird, werden wir angeben, wie dieser Name, nach der in den Dörfern bestehenden Sitte, wiederum in einen andern umgewandelt worden war, den man indes nicht wie bei dem Großvater von der Stellung in der Familie, sondern von der niedrigen Stelle hergenommen hatte, die er der Meinung der Bauern nach in der geistigen Ordnung der Natur einnahm.

Vater Kleine war ein echter Bauer, schlau und pfiffig an der Oberfläche, wie es einem Nachbar der Picardie ziemt, ehrlich, brav und treu im Grande, wie es einem Sohn des alten Gebietes gebührt, das man Ile de Francs heißt. Vielleicht wird es Manchem nicht ganz leicht diese Schlauheit und Pfiffigkeit mit der Treue, Ehrlichkeit und Redlichkeit in Einklang zu bringen; sie mögen daran denken, dass ein Schleier ein Gesicht verhüllen und dasselbe doch jedem Blicke sichtbar lassen kann und werden durch diesen Vergleich ein richtiges Bild von dem erhalten, was wir sagen wollen.

Als Sohn und Enkel von Bauern hatte Vater Kleine in der Person seiner Vorfahren alle Umgestaltungen und Revolutionen des Landes durchgemacht, auf dem er geboren worden oder vielmehr gewachsen war. Im Jahre 1792 war dieses Land, dieser Boden frei geworden und er mit ihm. Dann war er als Tagelöhner in den Dienst des Pächters getreten, welcher als Besitzer des Gutes Longpré den Mönchen folgte, den früheren Besitzern des Klosters dieses Namens.

Durch Arbeit und Sparsamkeit hatte er sich eine kleine Summe von zwölfhundert Francs gesammelt und mit derselben 1798 zwei Morgen Feld gekauft. Deshalb hatte man denn auch in dem Dorfe gesagt, Klein-Vater habe einen Schatz versteckt gehabt — mit Recht. Dieser Schatz aber, den er von Gott selbst empfangen, war Arbeit und Mäßigkeit. In dem Herzen des französischen Bauers hat ein Gedanke tiefe Wurzel geschlagen, der Gedanke: seinen Teil, wie klein er auch sein möge, von Frankreichs Erde zu besitzen, ein Stückchen des Vaterlandes sein zu nennen, wäre es auch eben nur groß genug die Wiege seine Kindes darauf zu stellen oder das Grab seines Vaters da zu graben, nicht ein Mietling zu sein, den die Laune heute annimmt und der Zorn morgen fortschickt; weder Sklave, noch Leibeigener, noch Leibeigener, sondern frei zu sein — ein großes, herrliches Wort, welches das Herz dessen erweitert, der es ausgesprochen hat, dass den Menschen moralischer, besser macht.

Vater Kleine kaufte also um 1798 zwei Morgen Feld für die zwölfhundert Francs, die er in den ersten dreißig Jahren seines Lebens erspart hatte. Vom besten Boden freilich waren die Felder nicht, denn der beste bedeckte sich regelmäßig jedes Jahr mit goldenem Weizen ober grünem Klee, während das von ihm erkaufte Feld, das am Abhange eines Berges lag, reich mit Steinen übersäet war und nur Disteln trug.

Aber nun begann der Kampf der Menschenarbeit mit der Bodenunfruchtbarkeit. Von vier Uhr des Morgens bis sechs Uhr des Abende sah man den Vater Kleine gebückt auf diesem Felde, wie er die Disteln ausraufte und die Steine auflas, die er nicht auf die Felder der Nachbarn zu werfen wagte, da sie ja einmal auch die seinigen werden konnten, werden sollten.

Die Leser erinnern sich der schönen Sage von der Undine, von der Anziehung des Wassers für den Fischer, der durch den klaren Spiegel hindurch das blonde Köpfchen einer Nymphe sieht, die ihm zulächelt und ihm die Arme entgegen breitet. Der Zauber wird mächtiger und mächtiger; auch der Fischer: lächelt und breitet die Arme aus; die Undine kommt näher und näher an die Oberfläche des Sees, ihr blaues Auge bedeckt nur noch ein Schleier so durchsichtig wie Gaze, — ihr blondes Haar schwimmt auf dem Wasser, ihre Korallenlippe atmet bereits die Luft ein, — halb seufzend, halb küssend taucht der Unvorsichtige hinein und glaubt die Nymphe an sich zu ziehen, aber sie zieht ihn auf ihr Bett von Wassergras, in ihre Muschelgrotte, aus der er nie wieder herauskommt, um seine alte Mutter zu sehen, die betet und sein Kind, das weint.

Ach, der Bodenzauber wirkt auf den Bauer noch weit mächtiger als der Wasserzauber auf den Fischer. Das Land, das der Bauer kauft; ist rund, er muss den andern Teil kaufen, um es vierseitig zu machen; ist es endlich das geworden, so muss er noch ein Stück kaufen, um es rund zu machen Ach gar Mancher erliegt diesem Ehrgeize; er kauft und um kaufen zu können, leiht er zu sechs, acht, zehn Prozent auf das unselige Feld, das nur zwei Prozent einbringt. Da beginnt denn der Kampf zwischen dem Wucher und der Arbeit und der Wucher, eine hässliche Hexe mit langen krummen Nägeln an den Fingern, zieht gar oft genug den Bauer, nicht auf ein Bett von Gras und Muscheln, sondern auf das Lager der Armut und der Not, in das Grab des Armen.

Zum Glück war Vater Kleine dazu zu klug, denn sein Spruch; lautete: Sammle, aber Borge nicht.

Als die Disteln und die Steine beseitigt waren, als die Bestellungszeit kam, nahmen er und seine Schwiegertochter einen Spaten und Frühstück und Mittagsbrot in einem Korbe mit sich Frühstück und Mittagsbrot von Brot, Käse und Obst. Die Quelle, die den Durst löschen sollte, sprudelte an der Seite des Berges rein und frisch hervor und schlängelte sich herab wie einer der seltenen Herbstfäden, die am Grase hängen bleiben. Warum etwas Anderes? Wenn man Sonntage mittags eine halbe Flasche zu Dreien trank, so reichte das hin, um die Erinnerung an den Geschmack des Weines die ganze Woche zu erhalten.

 

Die Säzeit war die Ruhezeit für die arme Madelaine, die Schwiegertochter des Alten; sie konnte zu ihrem Kinde zurückkehren, das sie während der Arbeit bei der Nachbarin gegenüber gelassen hatte. Die Arbeit ermüdete sie sehr, aber sie wagte nicht zu klagen; die Arme besaß ja nichts als ihre Frömmigkeit und ihre Geduld und da der Schwiegervater sie und ihr Kind ernährte, so musste sie wohl das Brot für sie Beide verdienen. Bei dem Säen aber konnte sie nicht helfen; Vater Kleine tat das selbst und was er selbst verrichten konnte, tat er.

Darauf musste das Feld geeggt werden. Klein-Vater verstand von Allem etwas, wie jeder rechte fleißige Bauer, also auch von der Wagnerarbeit. Er kaufte Holz, machte eine Egge und als sie abends fertig geworden war, sagte er zu seiner Schwiegertochter, am andern Tage musste geeggt werden, damit das ausgesäte Getreide unter die Erde komme.

Das war eine noch beschwerlichere Arbeit als das Graben; sie mussten sich wie Ackerstiere an die Egge anspannen, die durch einen großen Stein noch beschwert war. Für Vater Kleine war das eine Kleinigkeit, aber für die Kräfte Madelainens zu viel. Ein Nachbar, der mit einem Esel und einem Ochsen eggte, erbarmte sich ihrer und eggte ihr Feld unentgeltlich mit.

»Ich danke, Mathieu,« sagte Klein-Vater; »Du hast der armen Madelaine einen großen Gefallen getan.«

»Nicht Ursache,« antwortete der gefällige Nachbar; »aber wenn Ihr einen Rat von mir annehmen wollt, kauft Euch für das nächste Jahr einen Esel. Seht, der meinige da macht sich ganz gut. Ich habe eine kleine Erbschaft getan und werde mir noch einen Ochsen kaufen; da lasse ich Euch den Esel gern ab.«

Vater Kleine schüttelte den Kopf und antwortete:

»Das geht über meine Mittel.«

Dann drehte er sich aber zu Madelainen um, die ganz blass aussah und ihn betrübt betrachtete. Er seufzte.

»Es geht über die Mittel?« wiederholte Mathieu lächelnd. »Es ist also nicht wahr, dass Ihr einen Schatz vergraben habt?«

»Ach,« antwortete Vater Kleine, »wenn ich einen Schatz vergraben hätte, würde ich denn meine Schwiegertochter, die Witwe meines Wilhelm, an eine Egge spannen?«

»Freilich,« meinte Mathieu, der wohl einsah, dass er die bittere Wahrheit gehört hatte; es ist wahr und Ihr sollt meinen Esel wohlfeil haben.«

Vater Kleine sah den Grauen an; er war ein schöner Esel mit glänzendem Fell, langen geraden Ohren und einem prächtigen schwarzen Streifen auf dem Rüden hin. Er wagte endlich nach dem Preise zu fragen.

Nachbar Mathieu sah, was in den Fragenden Gedankten vorging und beruhigte ihn mit den Worten:

»Er ist nicht teuer und Ihr werdet keine solche Gelegenheit wiederfinden. Ich lasse Euch meinen Grauen für sechzig Francs, die Ihr mir in drei Jahren bezahlen könnt, zwanzig Francs jedes zu Martini. Das ist doch halb geschenkt, nicht wahr?«

Es war wahr und Vater Kleine hatte also nicht den Mut, wenn auch die Lust zu handeln. Er sah Madelainen an, welche die Augen abwendete, da sie ihren Schwiegervater zu einer solchen Ausgabe nicht veranlassen wollte.

»Wir wollen sehen,« sagte er.

»So seht zu,« antwortete Nachbar Mathieu. »Für Jeden kostet er achtzig, Euch lasse ich ihn für sechzig und ich verkaufe ihn nicht ohne es Euch zu melden.«

»Ich danke.«

»Ihr seid ja auch brave Leute und verdient's, dass der liebe Gott Euch segnet. Also wenn Ihr wollt, gehört der Graue Euch!«

Darauf schwang sich Mathieu auf seinen Esel und kehrte nach seinem Hause zurück, wohin der Ochs ihm folgte, der wusste, dass frisches Gras seiner im Stalle warte.

Vater Kleine hatte geantwortet; wir wollen sehen, nicht weil er nicht eingesehen, welchen Vorteil ihm ein solcher Handel bringe, sondern weil er den Esel erst bei der nächsten Bestellung brauchte und ihn bis dahin nicht nutzlos füttern wollte. Auch musste noch etwas anderes getan werden, ehe er den Grauen kaufen konnte, er musste einen Stall bauen und wie er eine Egge gefertigt hatte, so machte er nun den Maurer und baute einen Stall. Zum Glück gab es noch Platz hinter dem Hause und Steine auf dem Felde, er brauchte also nur einige Scheffel Kalk zu kaufen.

Ohne einem Menschen etwas zu sagen, ging Vater Kleine an die Arbeit. Freilich musste der Stall den Grauen sofort teurer machen. Zwar war Nachbar Mathieu ein braver Mann, aber so brav ein Mensch auch ist, der Teufel führt ihn des Tages mindestens siebenmal in Versuchung.

Merkwürdiger Weise baute er den Stall so groß, dass zwei Tiere darin Platz hätten finden können, aber er tat es gewiss nur in Folge eines geheimen Gedankens. Ein Gespann von einem Ochsen und einem Esel war die äußerste Grenze seiner Wünsche.

Am Tage nach der Vollendung des Stalles glaubte er einen Esel in demselben schreien zu hören. Er stand erstaunt auf, um nachzusehen.

Der Graue befand sich wirklich in seiner neuen Behausung und fraß von einem Bündel frischen Grases.

Klein-Vater fragte sich hinter dem Ohre und ging wieder in das Haus. Da traf er den Nachbar Mathieu, der unterdes eingetreten war, auf ihn wartete und ihn grüßte.

»Hast Du denn den Hans zu mir gebracht?« fragte Vater Klein.

»Nun freilich,« antwortete der Nachbar.

»Ich habe ihn ja nicht verlangt.«

»Das ist freilich wahr, aber ich sah doch, dass Ihr den Stall bautet und da dachte ich so bei mir: Klein-Vater scheint doch dein Grauchen kaufen zu wollen. Weil ich vorgestern einen zweiten Ochsen gekauft und in dem Stalle keinen Platz für drei Stück Vieh habe, sagte ich zu mir selber: jetzt ist die rechte Zeit, den Grauen unterzubringen, und so führte ich ihn in euren Stall.«

»Bei dem Preise bist Du geblieben?« fragte Vater Kleine mit einiger Besorgnis.

»Ein ehrlicher Mann hält sein Wort, und ich habe also von Euch sechzig Francs zu fordern, zwanzig nächste Martini, zwanzig übers Jahr und so fort.«

Vater Kleine dachte einen Augenblick nach und man sah es ihm recht leicht an, dass er sich mit einem großen Gedanken trug. Nach einigen Sekunden hatte er seinen Entschluss gefasst und er fragte:

»Etwas ließest Du doch wohl ab, wenn der Esel bar bezahlt würde?«

»Spaßvogel,« antwortete der Nachbar; »ich wusste es doch, dass Ihr einen Schatz irgendwo vergraben habt.«

»Davon reden wir nicht; ich frage bloß und Du hast mir eine Antwort darauf zu geben. Würdest Du etwas nachlassen oder nicht?«

»Sechs Francs lasse ich ab und bezahle eine Flasche Wein.«

»Ein Nachlass von zehn Francs ohne Wein wäre mir lieber,«

»Ah so!« antwortete der Nachbar Mathieu lachend, »ich habe ganz vergessen, dass Ihr ein Wassertrinker seid.«

»Der Wein bekommt mir nicht.«

»Nun, so gebt fünfzig Francs,« fuhr der Nachbar fort, »und da ich kein Geizhals bin wie Ihr, bezahle ich doch noch eine Flasche.«

»Gut. Ich komme zu Dir und bringe Dir das Geld.«

»Da,« meinte der Nachbar, »damit ich nicht sehe, wo Ihr es versteckt habt. Vater Kleine, Ihr seid ein Pfiffikus.«

Der Nachbar war aber auch ein Pfiffikus, denn er hatte recht geraten. Vater Kleine leugnete zwar, dass er aus diesem Grunde nicht auf der Stelle zahle, aber seine Beteuerungen überzeugten den Nachbar nicht, der Kopfschüttelnd fortging und vor sich hin brummte: »er ist ein alter Pfiffikus.«

Kaum hatte er sich aus dem Hause entfernt, so machte Vater Kleine die Tür zu, horchte auf der ersten Treppenstufe, ob Madelaine, die oben war, nicht etwa gerade herunter kommen wolle, schlich dann an sein Bett, sah sich ängstlich um und nahm aus einem Verstecke in der Wand ein eisernes Kästchen, das er mit einem Schlüsselchen öffnete, welches an einem Riemchen im Knopfloche seiner Lederbeinkleider hing. Dann hob er leise mit einer Hand den Deckel auf, als fürchte er, die fünfzehn Louisdor, welche darin lagen, könnten Flügel erhalten haben und fortfliegen wollen, griff mit dem Daumen und Zeigefinger der andern Hand hinein, nahm zwei schöne Louisd'or heraus, schloß das Kästchen wieder zu, stellte es an seinen Ort, vervollständigte die fünfzig Francs mit dem fehlenden einzelnen Gelde, dass er theils aus einem Leberbeutelchen nahm, theils aus allen Taschen zusammen suchte und betrachtete dabei mehrmals seine beiden armen Goldstücke, die ihren Herrn wechseln sollten, mit tiefem Seufzer. Endlich ging er hinaus, um das Geld fortzutragen, schritt aber an dem Stalle vorbei, um sich für das Opfer, das er brachte, an dem Anblicke des Grauen wenigstens in etwa zu trösten.