Himmel und Hölle

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VII. Was in dem Dorfe Haramont von 1810 bis 1814 weiter geschah

Von diesem Augenblick an stand der Ruf des Husaren in dem Dorfe fest: den Frauen galt er als das Muster der Eleganz und guten Sitten, den Männern dagegen als der widerwärtigste, unausstehlichste Mensch, der ihnen noch vorgekommen.

Nur Mariechen und Ehrlich machten eine Ausnahme. Der ersteren war er vollkommen gleichgültig, der letztere beklagte ihn. Er war ganz und gar der Meinung des Dey von Algier, welcher einmal einem prächtigen Balle beiwohnte und, als der Herr vom Hause dabei gleich dem geringsten seiner Gäste tanzte, diesen Hausherrn zu sich rufen ließ, um ihn mit gutmütiger Neugierde zu fragen:

»Da Sie so reich sind, Herr, wie Sie zu sein scheinen, warum machen Sie sich die Mühe selbst zu tanzen?«

Aber der gewöhnliche französische Contretanz genügte Bastian bald nicht mehr. Alle französischen Soldaten hatten in Deutschland eine große Vorliebe für den Walzer erlangt und Bastian führte den Walzer unter den Mädchen von Haramont ein.

Um dies zu können, machte er sich zum Tanzmeister, zum Walzertanzmeister, aber wohl verstanden nur für die Mädchen.

Die Folge davon war, dass die Bursche, denen Bastian nicht die geringste Anweisung gab, wie man sich in drei Tempos um sich selbst drehen müsse, bei dem Walzer Bastian ganz freies Feld ließen, und dieser wie ein orientalischer Pascha nur zu winken brauchte, ohne einen Nebenbuhler zu fürchten zu haben.

Die Bursche wollten wohl Einwendungen machen, aber Bastian wendete bei dem ersten Murren sich um, drehte den Schnurrbart wie einen Korkzieher, fragte so artig wie es nur die Husaren verstehen: »was beliebt?« und alles war still.

Und nicht bloß als Tänzer hatte Bastian die Bewunderung aller Haramonterinnen sich erworben, sondern auch als Reiter. Er saß zu Pferd wie ein Gardehusar d. h. mit seltener Vollkommenheit und da er die Pferde des Nachbars Mathieu pflegte, so ritt er dieselben auch, ja er machte ohne Sattel Spazierritte in der Umgegend und zwar so, dass er hin und her durch, das ganze Dorf reiten musste.

Merkwürdig war es aber, dass ihm, obgleich alle Schönen ihn vorzogen, obgleich Katharina ihn besser aufnahm als alle andern, ja gegen ihn von ihren Ansprüchen wegen des Heiratens merklich nachzulassen schien, alles dies gleichgültig blieb, solange er nicht erkannte, dass Marie ihn ansah.

Je störrischer das Pferd war, dass er ritt, umso eifriger drängte er es nach dem Häuschen der Frau Marie hin, damit Mariechen seine Kraft und Gewandtheit im Bändigen der Tiere zu Gesicht bekomme.

Bisweilen ging sein Wunsch wenigstens zur Hälfte in Erfüllung; Mariechen blickte aus Neugierde hin und Ehrlich, der ihn auch ansah, weil er den Blicken Mariechens folgte, fragte sich stets, warum doch der Husar, statt die Spornen und das Gebiss zum Bändigen des störrigen Pferdes anzuwenden, die so einfache Hilfe des Wortes nicht brauche, des Wortes, des Zuredens, womit er, Ehrlich, die verstocktesten Tiere in wenigen Augenblicken zu allem brachte.

Bastian seinerseits liebte den Ehrlich gar nicht, vielleicht weil er ahnte, dass derselbe große Liebe zu Mariechen im Herzen trage, und dass diese die innigste Zuneigung für Ehrlich empfinde: er liebte ihn nicht, sage ich, denn bis zum Hasse ging sein Mangel an Neigung nicht. Ehrlich war so sanft, so gutmütig, so harmlos, dass Niemand ihn hasste, aber er missfiel dem Husaren, wie und irgendetwas missfällt, das uns auf dem Wege aufstößt, ein Hindernis, das uns hemmt.

Auch ließ Bastian keine Gelegenheit vorbeigehen, Ehrlich zu verspotten, namentlich die Engelssanftmut desselben, die sich dem Husaren als Feigheit darstellte. Dann war Ehrlich auch kein Tänzer, kein Reiter, kein Fechter, während Bastian als solcher sich auszeichnete. Er verspottete deshalb Ehrlich nicht nur um das, was er war, sondern auch um das, was er nicht war.

Dass Ehrlich alle diese Spöttereien mit unveränderlicher Ruhe anhörte, versteht sich von selbst.

Aber es kam eines Tages ein Vorfall, der Bastian nachdenklich machte.

Da er in der ganzen Umgegend für einen großen Pferdebändiger galt, so ließen ihn die Pächter und Gutsbesitzer holen, welche unfügsame Füllen oder störrige Pferde hatten und Bastian wusste die Widerspenstigsten gewöhnlich in ganz kurzer Zeit durchaus gehorsam und demütig zu machen.

Eines Tages hatte man Bastian ersucht ein Pferd zu reiten, das ein Pächter in der Gegend, Herr Destournelles; gekauft hatte. Es war Sonntag und Bastian, der aus Stolz seine überlegene Reitkunst allgemein zeigen wollte, wählte zur Reitbahn den großen Platz im Dorfe und zwar zu der Zeit als die Leute aus der Kirche kamen.

In dem Augenblicke, als die ersten Mädchen, die welche sich am eifrigsten nach dem Sonnenlichte der Freiheit und dem Plaudern sehnen, in der Kirchentür erschienen, stellte sich seinerseits Bastian mit dem wilden Pferde ein.

Das Pferd hatte von dem Pächter bis zum Platze vor der Kirche, eine halbe Stunde Weges, eine ganze Stunde zugebracht, weil es der Reiter zurückgehalten hatte, der weder zu früh, noch zu spät, sondern eben zur rechten Zeit kommen wollte.

Das Pferd war in Folge davon von Schaum bedeckt, hatte mit Blut unterlaufene Augen und blies glühend heißen Atem aus den Nüstern.

Auf dem Platze begannen dann die Übungen.

Der Sieg schien sich anfänglich für den Reiter zu erklären; als aber das Pferd die Türstufen vor der Kirche und die Fenster derselben wie die Logen eines Theaters von Zuschauern besetzt sah, fing es an, entweder weil es instinktmäßig die Würde fühlte, von welcher Buffon spricht, oder weil es alle Schmach, die ihm Bastian seit einer Stunde angetan, nur ertragen hatte, um sich um so glänzender zu rächen, kurz es fing an allerlei Seitensprünge zu machen, auszuschlagen und sich zu bäumen, dass Bastian, ein so guter Reiter er auch war, aus dem Sattel gehoben und zehn Schritte weit hin auf den Boden geschleudert wurde.

Sobald das Pferd seinen Reiters sich entledigt hatte, drehte es sich um und schlug im Galopp den Rückweg nach seinem Stalle ein.

Dieser Sturz des Reiters gab allen jungen Burschen gar viel zu lachen, da sie den Husaren nicht leiden konnten, der sie in allem ausstach, verdrängte und verhöhnte; als sie indes sahen, dass Bastian, statt schnell aufzuspringen, wie man es bei einer solchen Gelegenheit meist thut, unbeweglich da liegen blieb, wo er aufgefallen war, meinten sie, er sei wohl mit dem Kopfe aufgeschlagen und habe das Bewusstsein verloren, und eilten ihn zu Hilfe.

Sie irrten sich auch nicht. Bastian war zwar nicht ohnmächtig, aber betäubt.

Man hob ihn auf, goss ihm ein Glas Branntwein ein und blies ihm in das Gesicht, so dass Bastian die Augen und den Mund gleichzeitig aufriss; die Augen, um sie wild umher zu rollen und das Pferd zu suchen, den Mund, um zu fluchen und zu schwören, bei welcher Gelegenheit denn die Bauern von Haramont erfuhren, um wie viel reicher die Lagersprache als die Dorfsprache ist.

Mit einem Male standen seine Augen still und sein Mund schloss sich, als hätte er den Kopf der Meduse vor sich gesehen. Es war etwas noch Schlimmeres.

Ehrlich nämlich brachte das Pferd zurück. Er saß auf dem Tiere, das so sanft und fromm geworden war wie der friedliche Esel, auf welchem unser Herr seinen königlichen Einzug in Jerusalem hielt. Da er nun auch einen grünen Zweig in der Hand hielt, welcher an den Palmenzweig erinnerte, da seine Füße neben den Steigbügeln herabhingen, da sein Blick wohlwollend, sein Lächeln sanft war und Alle bei Seite traten, um ihm Platz zu machen, so glich er dem göttlichen Muster so weit als ein armer Sterblicher einem Gott gleichen kann.

Bastian seinerseits glaubte einen Augenblick zu träumen; er rieb sich die Augen, sprach einige unverständliche Worte und sah diese ruhige lebende Wirklichkeit an sich herankommen als wäre sie eine entsetzliche gespenstige Erscheinung.

»Herr Husar,« sagte Ehrlich ganz gelassen, »ich war auf dem Wege nach Longpré, sah Ihr Pferd davon laufen und glaubte, Sie würden besorgt sein. Deswegen habe ich es mitgebracht.«

Alle lachten, nur Bastian nicht. Ehrlich aber sah die Leute verwundert an und begriff nicht, warum sie lachten.

Er wurde rot, stieg von dem Pferde herunter, übers gab den Zügel dem Husaren und stellte sich, die Hand auf den Kopf seines großen Hundes gestützt, einige Schritte hinter Mariechen, die mit ihrer Mutter zuletzt aus der Kirche gekommen war und von dem, was geschehen, nichts wusste.

Bastian vergaß dem Ehrlich zu danken, denn er wollte so schnell als möglich die Scharte wieder auswetzen und schwang sich von neuem auf das Pferd. Der Teufel, den das Pferd eine Viertelstunde vorher im Leibe gehabt hatte, schien durch Ehrlich vollständig ausgetrieben worden zu sein. Es gehorchte seinem Reiter, ohne sich auch nur einen falschen Tritt zu erlauben und Bastian brachte es dem Herrn Degtournelles ganz gezähmt zurück. Wie sich von selbst versteht, erzählte er nicht alle Einzelheiten, wie er es dahin gebracht hatte. Aber er selbst konnte sich auch nicht erklären, was Ehrlich wohl getan habe, um ein Pferd zu bändigen, das ihn, Bastian, aus dem Sattel gebracht und da er zu stolz war, um Ehrlich nach dem Geheimnisse zu fragen, da Ehrlich, wenn er gefragt worden wäre, nicht gewusst haben würde was er antworten sollte, so blieb die Ursache der offen daliegenden Folge im Dunkel.

Es trat noch etwas ein, zum großen Nachteile Bastians, der dem blöden Ehrlich fluchte.

Außer mit Tanzen, Fechten und Reiten beschäftigte sich Bastian auch mit der Jagd. Ehe er Soldat geworden, war er einer der geschicktesten Wilddiebe gewesen; nach seiner Rückkehr jagte er wegen seines Ehrenkreuzes, das damals sehr hoch geachtet war, so ziemlich überall wo es ihm beliebte, auf den Feldern von Haramont, von Longpré und Largny.

 

Im Anfange zeigte sich eine Schwierigkeit; da er den Daumen und den Mittelfinger der rechten Hand verloren hatte, so konnte er das Gewehr nicht handhaben; aber Bastian lernte bald links schießen. Erst fehlte er Alles, nach dem er schoss, dann fehlte er mit drei Vierteilen, darauf mit der Hälfte seiner Schüsse und endlich schoss er links so gut wie früher rechts, d. h. er wurde wieder einer der besten Schützen in der ganzen Umgegend.

Am liebsten jagte er im Sumpf, weil es da am meisten zu schießen gab. Dieser Sumpf war der von Wuala, eine viertel Stunde von Haramont und von Longpré.

Da wohnte ein zweiter berühmter Schütze, der Müller mit der bösen Zunge, welcher sich den Witz von dem Gänseei über die schöne Katharina erlaubt hatte. Bastian kannte diesen Witz, statt darüber sich aber zu ärgern, hatte er mehr als einmal darüber gelacht und zwar mit dem, von welchem er ausgegangen war, woraus sich abnehmen ließ, dass er für seine Person der schönen Katharina die Feder nicht reichen werde, auf welche sie so ungeduldig zu warten schien.

Der Müller und Bastian waren also die besten Freunde von der Welt und sobald die Jagd anging, jagten sie wöchentlich an drei oder vier Tagen, bald miteinander, bald allein.

Eines Tages als Bastian allein in dem Rohr eines sehr großen Teiches jagte, der sich von Norden nach Süden in dem Thale hinzieht und an dem ein Damm hinläuft, an welchem eine Mühle angelegt worden ist, flog eine Becassine vor ihm auf, die er mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit schoss.

Die Becassine fiel, aber sie fiel in den Teich.

Nun kennt man die Abneigung eines jeden Jägers, etwas, das er geschossen hat, im Stiche zu lassen. Diese Abneigung war bei dem eitlen Bastian vielleicht noch größer als bei irgendeinem andern und so nahm er sich denn vor seine Becassine zu bekommen, es möge kosten was es wolle.

Er legte darum sein Gewehr hin, um seine beiden Hände brauchen zu können und fing an, auf dem weichen nachgebenden Boden am Teiche vorsichtig vorzugehen.

Als er nicht weiter konnte, war er noch immer acht bis zehn Fuß von der Becassine entfernt.

Bastian, der ein so guter Jäger, so guter Reiter, so guter Fechter und Tänzer war, hatte eine schwache Seite, — er konnte nicht schwimmen. Mit dem Schwimmen war es also nichts, was er unbedingt versucht haben würde, wenn er es nur einiger Maßen verstanden hätte, um seine Beute zu erlangen.

In diesem Augenblicke hätte er gewiss irgendeine andere seiner Fertigkeiten für die Schwimmfertigkeit hingegeben.

Die Becassine musste trotz dem herbeigeschafft werden.

Zum Glück hat der Teich von Wuala keine Strömung, so dass der Vogel an Ort und. Stelle liegen blieb.

Bastian sah sich um und erblickte eine Weide; zu dieser ging er, brach von ihr den längsten Zweig ab und kehrte damit an das äußerste Ende seines beweglichen Vorgebirges zurück.

Hier setzte er der Länge seines Armes die Länge der Weidenrute hinzu und erreichte so beinahe die Becassine. Er erreichte sie sogar wirklich. Nur war das Ende der Rute so biegsam, dass er den Vogel damit nicht an sich ziehen konnte.

Er musste durch ein Wunder von Balancieren, durch Sich-Vorbeugen noch sechs oder acht Zoll weiter zu reichen suchen.

Bastian bog, krümmte sich, beschrieb einen Halbkreis, er strengte sich so sehr an, dass der Kopf das Übergewicht erhielt und Bastian mit dem Kopfe voraus ins Wasser fiel. Die Folgen dieses Falles sah er sofort ein und ermaß sie. Es war zehn gegen eine zu wetten, dass er da ertrinke. Deshalb stieß er denn, so kurz auch die Zeit dazu ihm zugemessen war, einen Not- und Hilfeschrei aus, den die Lage, in welcher er sich befand, allerdings sehr kläglich machte.

Zum Glück ging aber Ehrlich, der von Vauriennes kam, mit seinem treuen Bernhard auf dem Teichdamme hin; er hörte den Schrei und eilte fort nach der Stelle bin, von welcher derselbe gekommen zu sein schien.

Es war ihm in dem Geröhricht bereits ein Weg gebahnt und so gelangte er bald an das Ende des Vorgebirges, von dem aus der Husar ins Wasser gefallen war.

Er sah eine große Bewegung in dem durch Schlamm getrübten Wasser. Dann streckten sich an derselben Stelle ein Paar Hände heraus, die krampfhaft in der Luft umhergriffen.

Mehr bedurfte es nicht; er erkannte, dass Jemand dem Ertrinken nahe sei und ohne zu wissen, wer der Gefährdete sei, winkte er Bernhard, der in den Teich sprang und in dem Wasser verschwand.

Fünf Sekunden darauf erschien er wieder, hielt Bastian am Kragen gepackt und schwamm mit ihm nach dem Ufer, wo Ehrlich ihn empfing und halbtot herauszog.

Da erst erkannten die Beiden einander, Ehrlich mit geheuchelter Freude, dass er Bastian aus so großer Gefahr befreit, Bastian mit einiger Scham, von Ehrlich einen so wichtigen Dienst erhalten zu haben.

Da indes Bastian am Ende doch ein braver Bursch war und er an der Furcht das Leben zu verlieren die Größe des Wunsches ermessen hatte dasselbe zu behalten, so dankte er vor Allem Ehrlich aus Herzensgrunde; da aber auch Bernhard sehr viel zu seiner Rettung beigetragen hatte und er noch lieber einem Hunde Dank schuldig war als einem Menschen, suchte er es so einzurichten, dass das größte Verdienst dem Bernhard zufalle.

So oft Bastian den Hund traf, streichelte er ihn mit übertriebener oder doch erheuchelter Dankbarkeit, in welcher etwas von Undank gegen Ehrlich lag.

Ehrlich aber bemerkte dies nicht, was für jedes andere minder christliche Herz tief schmerzlich gewesen sein würde, und so oft das Gespräch auf jenen für Bastian höchst unangenehmen Vorfall kam, sagte derselbe mit gemachter Heiterkeit:

»Ja, wahrhaftig, ich war schon weit hinunter und ohne den Bernhard hätten mich jetzt wahrscheinlich die Hechte des Vaters Charpentier bereits verzehrt, nicht wahr, Ehrlich?«

Und Ehrlich antwortete einfach:

»Ja, Bernhard ist ein guter Hund.«

Die Lage, die Monate, die Jahre vergingen unter diesen einfachen Vorfällen, die mit Ausnahme des eben Erzählten einander so ähnlich sahen, dass ein Tag das Spiegelbild des andern war,

Die letzten Lage des Monats Oktober 1813 waren herangekommen und um die Mitte eines dieser Lage hatte Vater Kleine, als er von einem Besuche von seinem Felde zurückkam, Frau Marie, Mariechen, den kleinen Peter, Madelaine, Ehrlich und Bernhard in der Tür des Häuschens rechts beisammen gefunden und in der bereits früher angegebenen Ordnung Mutter, Kind und Hund in das Häuschen links mit sich genommen.

An diesem Abend begannen die Spinnstubenzusammenkünfte. Früh hatte Ehrlich auf dem Rückwege von dem Milchverkaufe in der Stadt mit Mariechen aus dem Walde einen ganzen Sack voll Kastanien mitgebracht. Diese Maronen sollten nebst einigen Flaschen Apfelweines bei dem Dorf-Raout die Stelle des Abendessens und der Erfrischungen vertreten.

Die Zusammenkunft fand in einem großen Keller statt, in welchen jedes Mädchen ihr Spinnzeug mitbrachte. Eine an der Decke hängende Lampe beleuchtete alle diese frischen Gesichter mit flackerndem Lichte; man konnte allerdings nicht wohl dabei sehen, aber zum Spinnen braucht man auch kein Gas; in dem Halbdunkel ging der Arbeit nichts ab, aber die Liebelei gewann viel.

Wie man sich wohl denken kann, machte Bastian von dem Augenblicke an, in welchem die jungen Burschen eintreten durften, den Hauptschmuck der Gesellschaft aus. Er ersann für die Sonntagabende eine Menge Spiele, die freilich nicht alle das Glück hatten angenommen zu werden. Einige derselben erschienen dem Prüfungsrate der Mütter oder selbst den verständigsten Mädchen etwas zu husarenhaft.

Wie alle Mädchen des Dorfes besuchte auch Mariechen diese Spinnstube; das Mädchen, welches in dem Alter Mariechens aus dem Kreise der Andern hätte wegbleiben wollen, würde sich in unangenehmer Weise bemerklich gemacht, würde Verachtung gegen die Andern ausgedrückt haben.

Aber Mariechen sang selten Lieder, tanzte selten mit und spielte ebenso selten die Spiele mit. Sie blieb gewöhnlich in einer Ecke sitzen, in der sie so wenig Raum als möglich einzunehmen suchte und in der Ecke gegenüber lag ober stand dann immer Ehrlich mit Bernhard und sah das liebliche Gesichtchen des Mädchens nicht bloß mit den Augen, sondern mit dem ganzen Herzen an.

Gewöhnlich machte man den Platz streitig, nicht dem Ehrlich, denn wenn Jemand diesen hätte kränken wollen, welchen das ganze Dorf lieb hatte, würden sich alle wie ein Mann gegen den Beleidiger erhoben haben, nicht dem Ehrlich, also, wohl aber dem Hunde Bernhard, der als solcher an dem Gesange, dem Tanz und den Spielen nur sehr geringes Interesse nahm, dagegen auf viel Platz Anspruch machte und somit der Gesellschaft hinderlich war.

Der Abend ließ sich gut an. Das Weiter draußen war kalt, düster, stürmisch und so hörten die jungen Leute in dem warmgebeizten Keller mit allem Behagen den Wind in den Bäumen rauschen und pfeifen, von denen er die vergilbten Blätter abriss und in der Luft umherstreute, so dass sie aussahen wie ein Flug von Nachtvögeln.

Ein jedes hatte seinen vorjährigen Platz wieder eingenommen. Diejenigen Mädchen, welche wie Mariechen nur zusehen wollten — es waren deren aber nur noch zwei oder drei — hatten glücklicher Weise das Spinnrad mitgebracht und spannen.

Diese Abendgesellschaften begannen stets mit Liedern, die nicht selten in ihrer naiven Weise ziemlich leichtfertig waren, aber man weiß, es ja, die Züchtigkeit der Mädchen auf dem Lande ist nicht so schreckhaft als die der Stadtmädchen und das, was den letzteren die Schamröte ins Gesicht treiben würde, erregt bei den ersteren meist nur ein helles Herzliches Lacher.

Es wurde gelost, welche das erste Lied singen sollte; da man aber wusste, dass Marie nie tätigen Anteil an der Unterhaltung nahm, ließ man sie natürlich auch nicht mit das Loos ziehen.

Alle Namen wurden in einen Hut getan und diesen Hut hielt man Ehrlich hin, dem Blödsinnigen, der hineingriff und den Namen der Katharina herausholte.

Alle hörten die Katherina sehr gern singen, denn sie kannte nicht nur die schönsten Lieder, sondern sang dieselben auch mit einem Ausdrucke, den sie im Theater in Paris gelernt haben sollte, wohin sie ihre Herrin begleitet hatte, die ja so gütig gegen sie gewesen war.

Katharina ließ sich denn auch nicht lange bitten. Sie rief neun ihrer Freundinnen zu sich; die zehn Mädchen fassten einander an der Hand; jede erhielt den Namen, welcher ihr in dem Reigen zukam; sie wiegten die Arme auf und ab, drehten sich langsam im Kreise und die wohlklingende Stimme Katharinens begann das nachstehende Liebchen mit reizender Melodie, die wir leider nicht auch mitteilen können:

Wir waren zehn Mädchen auf einem Plan

Und jede konnt nehmen wohl einen Mann.

Es war Christine

und die Carline,

Es waren Susanne und Martha,

Ah! Ah!

Kathrinchen auch und Katharine,

Es war dabei die Lison,

Die Gräfin von Montbazon,

Es war da Madelaine,

Wie auch noch die du Maine.

Der Königssohn zu uns gekommen ist,

Der hat uns gar freundlich gewinkt, gegrüßt,

Gegrüßt Christine,

Gegrüßt Carline,

Gegrüßt auch Susanne und Martha,

Ah! Ah!'

Kathrinchen auch und Katharine,

Gegrüßt hat er die Lison,

Die Gräfin von Montbazon,

Gegrüßt die Madelaine,

Geküßt nur die du Maine.

Und wie er so freundlich den Hut geschwenkt,

Da hat er auch jeder 'n Ring geschenkt,

Einen Christinen,

Einen Carlinen,

'n Ring der Susanne und Martha,

Ah! Ah!

Kathrinchen auch und Katharinen,

’n Ring gab er der Lison,

Der Gräfin von Montbazon,

Einen der Madelaine,

Demanten der du Maine.

Er schenkte die Ringe und lud dann fein

Zum Essen uns Alle im Schlosse ein.

Birn' für Christine,

Birn' für Carline,

Wie auch für Susanne und Martha,

Ah! Ah!

Kathrinchen auch und Katharine,

Nur Birnen für die Lison,

Die Gräfin von Montbazon.

Und für die Madelaine,

Pfirsich für die du Maine.

Und als wir gegessen, wie sich's gebührt,

 

Da hat er uns alle zum Schlafen geführt,

Auf Stroh Christine,

Auf Stroh Carline,

Auf Stroh die Susanne und Martha,

Ah! Ah!

Kathrinchen auch und Katharine,

Auf Stroh führt er die Lison,

Die Gräfin von Montbazon,

Auf Stroh die Madelaine,

Ins Bettchen die du Maine.

Zum Schlafen? Hat jede von uns gedacht,

Er hat aber alle davon gejagt,

Fort mit Christine,

Fort mit Carline,

Fort mit der Susanne und Martha,

Ah! Ah!

Kathrinchen auch und Katharine,

Fort jagt er auch die Lison,

Die Gräfin von Montbazon,

Fort, fort die Madelaine,

Behielt nur die du Maine.

Der Rundgesang gefiel den jungen Burschen und Mädchen ganz außerordentlich, viel weniger dem Bernhard, der, gleichsam als wolle er gegen die Leichtfertigkeit der beiden legten Strophen protestieren, den Kopf empor richtete, besorgt nach der Tür hinsah und ein lang gedehnte Geheul ausstieß.

Wie sich von selbst versteht, wurde diese Art Protestation von der heitern Gesellschaft sehr übel aufgenommen, die dem Hunde Schweigen gebot und einmütig ein zweites Lied verlangt.

Man legte also zum zweiten Male die Namen aller Anwesenden in einen Hut, in welchen Ehrlich griff, auf den das Geheul Bernharde einen ganz besonderen Eindruck gemacht zu haben schien.

Er zog diesmal den Namen Bastian heraus.

Bastian scheute sich nun nicht im mindesten ein Lied zu singen; er kannte sehr viele aufwendig, freilich ganz eigentümliche und selbst die Mädchen, welche nicht so leicht durch ein Lied zu erschrecken waren, sahen mit einiger Ängstlichkeit dem entgegen, welches der Husar singen werde.

»Ich soll also ein Lied singen?« sagte dieser, indem er sich den Schnurrbart strich.

»Ja,« fielen die Mädchen ein, »aber ein schönes, nicht wahr?«

»Wie so ein schönes?« fragte Bastian. »Ich kenne nur schöne.«

Es lief ein ungläubiges Lächeln durch die Gesellschaft und gleich darauf stimmte Bastian, um die Anwesenden zu beruhigen, laut das Lied an:

Im Felde die Husaren stehn,

Schnetterdeng!

Im Felde die Husaren stehn,

Schnetterdeng!

Husar, Husar, Du armer Mann,

Hast ja nur einen Stiefel an!

Schnetterdeng!

Aber in diesem Augenblicke brach die Opposition aus, die sich gleich nach den ersten Versen kundgegeben hatte.

»Ach, Herr Bastian,« baten die Mädchen mit gefalteten Händen. »ein anderes!«

»Warum ein anderes?«

»Ach ja, ein anderes. Wir bitten schön.«

»Warum denn aber ein anderes?« fragte Bastian.

»Weil wir das schon kennen,« sagten die jungen Bursche; »Du hast es uns schon zehnmal vorgesungen.«

Bastian drehte sich stirnrunzelnd zu ihnen um und antwortete:

»Wenn es mir nun aber beliebt, Euch das Lied nochmals zu singen?«

»Das steht Dir frei, Bastian, uns steht es aber auch frei fortzugehen, um es nicht zu hören.«

Einige stellten sich als wollten sie wirklich gehen.

Bernhard schien der Ansicht derer zu sein, welche protestierten, denn er hob zum zweitenmale den Kopf empor und er heulte nochmals, aber noch länger und schauerlicher als das erste mal.

Alle überlief es eiskalt.

»Mein Gott,« sagte Mariechen, »stirbt denn jemand in der Nähe?«