Max Weber

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[2][3]Volker Kruse, Uwe Barrelmeyer

Max Weber

Eine Einführung

UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/Lucius · München

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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2012

Satz und Layout: Claudia Wild, Konstanz

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Einbandmotiv: Max Weber (1864–1920) Soziologe, 01.07.1900, © ullstein bild, Berlin

Lektorat: Verena Artz, Bonn

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz

Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98

www.uvk.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

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UTB-Band Nr. 3637

EPUB-ISBN 978-3-8463-3637-3

[5]Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Max Weber und seine Zeit – Leben und Werk

1.1 Lebenslauf

1.2 Max Weber und seine Zeit

1.2.1 Die Gründung des Deutschen Reichs

1.2.2 Demokratisierung von Staat und Gesellschaft

1.2.3 Agrargesellschaft oder kapitalistische Industriegesellschaft

1.2.4 Kapitalismus, Sozialismus und soziale Frage

1.2.5 Weltkrieg, Friedensschlüsse, Revolutionen

1.2.6 Die »Kulturkrise« um die Jahrhundertwende

1.3 Das wissenschaftliche Werk Max Webers – Ein Überblick

1.3.1 Rechtsgeschichtliche Studien

1.3.2 Empirische Untersuchungen für den Verein für Sozialpolitik

1.3.3 Methodologische Arbeiten

1.3.4 Religionssoziologische Arbeiten

1.3.5 Wirtschaft und Gesellschaft

1.3.6 Beiträge zur politischen Publizistik

2. Max Webers Konzept einer historischen Sozialwissenschaft

2.1 Methodenstreit in den deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften des späten 19. Jahrhunderts

2.2 Max Webers Stellung im Methodenstreit

2.3 Wissenschaft und Werturteil

2.4 Gesetzeswissenschaft und Wirklichkeitswissenschaft

2.5 Historische Erklärung und kulturwissenschaftlich vergleichende Kausalurteile

2.6 Begriffe und Idealtypen

2.7 Zusammenfassung

3. Moderner Kapitalismus und protestantische Ethik

3.1 Der moderne Kapitalismus als Schicksal

3.2 Max Webers kapitalismustheoretische Fragestellung und These

[6]3.3 Kapitalistischer und traditionalistischer Geist

3.4 Die religiösen Wurzeln des kapitalistischen Geistes

3.5 Zur Kritik an Webers Protestantismusthese

3.6 Wirtschaftsethik der Weltreligionen – Vom modernen Kapitalismus zum okzidentalen Rationalismus

4. Verstehende Soziologie

4.1 Webers Weg zu einer Verstehenden Soziologie

4.2 Verstehen als Handlungserklärung – Grundkategorien der Verstehenden Soziologie

4.3 Erklärendes Verstehen in den Sozialwissenschaften

5. Soziologische Grundbegriffe – Wirtschaft und Gesellschaft

5.1 Handeln

5.2 Soziales Handeln

5.3 Soziale Beziehung

5.4 Macht und Herrschaft – Typen legitimer Herrschaft

5.5 Klasse und Stand

5.6 Rasse, Ethnie und Nation

6. Okzidentaler Rationalismus – Webers Diagnose der Moderne

6.1 Okzidentaler Rationalismus

6.2 Differenzierung der Wertsphären

6.3 Bürokratisierung

6.4 Moderner Staat, Berufspolitik und plebiszitäre Führerdemokratie

6.5 Der Mensch in der modernen Welt

7. Zur wissenschaftlichen Rezeption Max Webers

7.1 Zur Interpretation Max Webers im Wandel der Zeit

7.2 Max Weber als Bezugsrahmen soziologischer Theoriebildung

7.3 Was bleibt von Max Weber?

Literaturverzeichnis

 

[7]Vorwort

Max Weber (1864–1920) gilt heute weltweit als einer der größten Sozialwissenschaftler der Moderne, und die Resonanz von Person und Werk nimmt eher noch zu. Seine Begriffe und Ideen sind im Fach allgegenwärtig, in der empirischen Forschung wie in der Theorie. Großtheoretiker wie Alfred Schütz, Talcott Parsons, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas und Pierre Bourdieu haben sich mit seinem Werk auseinandergesetzt und dieses für ihre eigenen Ansätze fruchtbar gemacht. Weber ist eine Figur, der man in den Sozialwissenschaften in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder begegnet, oft ohne dass sein Name genannt wird.

Aber ist der Weber, der uns begegnet, auch der »wirkliche« Weber? Entspricht die Art und Weise, wie wir Weber in den Sozialwissenschaften erfahren, auch dem wissenschaftlichen Selbstverständnis des Heidelberger Gelehrten? Bei den erwähnten Großtheoretikern ist beispielhaft zu beobachten, dass einzelne Bestandteile aus dem Werk Webers herausgelöst und in ihr eigenes Erkenntnisprogramm überführt werden. Selbst bei denjenigen, die sich affirmativ auf Weber beziehen, verschwimmen manchmal Weber-Interpretation und eigene Theoriebildung.

Ist diese verbreitete, ja gängige Praxis zu beanstanden? Gewiss nicht. Wenn Weber in den Sozialwissenschaften selektiv aufgenommen und in einen ihm fremden Erkenntniskontext versetzt wird, so ist das wissenschaftlich legitim und grundsätzlich nützlich. Aber wir sollten klar unterscheiden zwischen einer Weber-Rezeption, die einzelne Teile gezielt herausgreift, um sie in einen anderen Erkenntniskontext zu stellen, und einer, sagen wir »authentischen«, Weber-Rezeption, welche versucht, Webers eigenes Erkenntnisprogramm zu erschließen und sein wissenschaftliches Werk aus seinen eigenen Axiomen und Erkenntnisgrundlagen heraus zu verstehen. Beide Zugangsweisen sind gleichermaßen legitim. Den letztgenannten Ansatz verfolgt der vorliegende Band.

Wie Weber selbst Sozialwissenschaft betreiben wollte, das hat er verschiedentlich klar und unmissverständlich beschrieben – nicht zuletzt zur eigenen Selbstverständigung – und dafür stehen Begriffe wie historische Sozialwissenschaft, Wirklichkeitswissenschaft, Kulturwissenschaft und Verstehende Soziologie. So wurde es auch in der Weber-Literatur analysiert, z. B. von Friedrich Tenbruck und Johannes Weiß. Dieser »wirkliche« Weber unterscheidet sich im Ansatz grundsätzlich von anderen Großtheoretikern. Es ging Weber nicht um eine fachuniversale Theorie oder eine allgemeine Theorie sozialen Wandels, sondern er wollte die Eigenart der Gegenwart in ihrem »So-und-nicht-anders-Gewordensein« erfassen. Allgemeine Theorie ist nicht Zweck, sondern Mittel für die historisch-zeitdiagnostische Analyse. Für Weber ist eine Selbstverständlichkeit, was heute in der soziologischen Theorie eher als Rarität dasteht: die Verbindung von Theorie und Geschichte. Theoriebildung und historische Beobachtung gehören für ihn untrennbar zusammen. Von seinen eigenen [8]Erkenntnisinteressen her gesehen ist Weber vielleicht eher Außenseiter der heutigen Sozialwissenschaften.

Wie auch immer, für Studierende sozialwissenschaftlicher Fächer führt an Weber kein Weg vorbei. Doch der Zugang zu seinem Werk gestaltet sich zunehmend schwierig. Weber war ein Kind des Deutschen Reichs und seiner Wissenschaftskultur – eine Welt, die längst untergegangen ist. Zweck dieses Bandes ist es, in Webers sozialwissenschaftliches Denken einzuführen und es aus seinem historischen Kontext heraus verständlich zu machen. Er wendet sich an Studierende der Sozial- und Geschichtswissenschaften sowie andere Interessierte, die über wenig oder keine Vorkenntnisse zu Weber verfügen. Es ist Anliegen dieses Bandes, das wissenschaftliche Werk Webers aus seinen eigenen, selbst beschriebenen Erkenntnisgrundlagen für Anfänger verständlich zu machen. Als Einführungsbuch behandelt er die Texte und Themen, die im Studium hauptsächlich behandelt werden: die Protestantische Ethik, Verstehende Soziologie, soziologische Grundbegriffe sowie die religionssoziologisch grundierte Theorie des okzidentalen Rationalismus. Am Anfang steht ein Überblick über Leben, Zeit und Werk. Es folgt ein Kapitel über die erwähnten Erkenntnisgrundlagen, die aus unserer Sicht für ein »authentisches« Verständnis Webers unabdingbar sind. Ein knapper Überblick zur wechselvollen Weber-Rezeptionsgeschichte beschließt den Band.

Die Abhandlung bewegt sich auf zwei Darstellungsebenen. Die erste bildet der Haupttext, der kontinuierlich geschrieben und aus sich selbst verständlich sein soll. Bei der Darlegung von Webers methodologischen Konzepten und Begriffen wird mit Beispielen gearbeitet, um komplexe und abstrakte Inhalte anschaulich und verständlich zu machen. Aktuelle Bezüge mögen verdeutlichen, dass man Webers Denkkategorien und Begriffe auch auf heutige gesellschaftliche Wirklichkeit anwenden kann. Als zweite Darstellungsebene finden sich ad hoc eingestreute Kästen. Sie beinhalten Begriffsklärungen, Zusammenfassungen, Erläuterungen zu Personen und Institutionen und nicht zuletzt Textauszüge von Weber und seinen Interpreten. Sie sollen das Verständnis erleichtern und zu weiterführendem Lesen anregen. Eben dies zu fördern ist der Sinn dieses Bandes, denn Webers Werk ist für jeden Sozialwissenschaftler – vom Großtheoretiker bis zum Studierenden – eine lehrreiche und herausfordernde Lektüre, ob unter »authentischen« oder »nichtauthentischen« Erkenntnisgesichtspunkten.

Uwe Barrelmeyer hat die Kapitel 1.3, 2.5, 3.6 und 4 verfasst, die anderen stammen von Volker Kruse. Alle Kapitel wurden gemeinsam diskutiert und überarbeitet. Einzelne Kästen und Textpassagen wurden aus dem Band Geschichte der Soziologie (UVK 2008) von Volker Kruse übernommen. Da die Max Weber-Gesamtausgabe zum Zeitpunkt der Fertigstellung noch nicht vollständig erschienen war, zitieren wir Weber aus den von Marianne Weber und Johannes Winckelmann herausgegebenen Textbänden (siehe Literaturverzeichnis). Sie entsprechen im Gegensatz zur Max Weber-Gesamtausgabe nicht heutigen Maßstäben historisch-kritischer Edition, sind aber leicht zugänglich und erschwinglich. So weit die Bände der aktuellen neuen Gesamtausgabe [9]erschienen sind, werden sie zusätzlich zu den traditionellen Textausgaben zitiert. Weil zu den Grundbegriffen bzw. zu Wirtschaft und Gesellschaft verschiedene Ausgaben kursieren, haben wir im betreffenden Kapitel 5 dieses Bandes neben den Seiten der Winckelmann-Ausgabe (5. Aufl.) die Paragraphen aufgeführt.

Verena Artz hat als Lektorin diesen Band mit viel Verständnis und konstruktiver Kritik betreut und mit dankenswerter Hartnäckigkeit auf einer leserfreundlichen Darstellung insistiert. Sonja Rothländer von der UVK Verlagsgesellschaft hat mit ihrem Langmut das Erscheinen dieses Bandes überhaupt erst möglich gemacht. Marita Gelbe-Kruse und Helga Volkening lasen Korrektur und halfen uns mit Verbesserungsvorschlägen. Ihnen allen sagen wir unseren herzlichen Dank.

Bielefeld, im Januar 2012

[10][11]1. Max Weber und seine Zeit – Leben und Werk

1.1 Lebenslauf


1.2 Max Weber und seine Zeit

1.3 Das wissenschaftliche Werk Max Webers – Ein Überblick

1.1 Lebenslauf

Max Weber wird 1864 in Erfurt geboren. Die Mutter, Helene Fallenstein-Weber, entstammt einer ursprünglich hugenottischen Familie. Sie ist christlich-karitativ orientiert und entwickelt einen ausgeprägten Sinn für soziale Probleme. Der Vater, Max Weber sen., wächst in einer westfälischen Industriellen- und Kaufmannsfamilie auf, schlägt aber eine politische Laufbahn ein. Er wird besoldeter Stadtrat, zunächst in Erfurt. Ab 1869 ist er Stadtrat in Berlin. Über viele Jahre vertritt er zudem die Nationalliberale Partei als Abgeordneter im Preußischen Landtag (1868–1882, 1884–1897) und im Deutschen Reichstag (1872–1884). Im Elternhaus von Max Weber in Berlin-Charlottenburg verkehren die Größen der Nationalliberalen Partei wie Rudolf von Bennigsen und Johannes von Miquel, aber auch führende Historiker wie Theodor Mommsen, Heinrich von Sybel und Heinrich von Treitschke.

Max Weber nimmt 1882 ein Studium in Heidelberg (Rechtswissenschaft, Nationalökonomie, Geschichtswissenschaft, Philosophie) auf. Nach zwischenzeitlichem Militärdienst wechselt er 1884 an die Universität Berlin. 1889 promoviert er über die Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten. 1892 schließt er seine Habilitation über das Thema Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht ab. Max Weber beginnt also zunächst als Rechtshistoriker und der juristische Einfluss bleibt in seiner akkuraten, ja geradezu peniblen Definition wissenschaftlicher Begriffe sichtbar. Er wird in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen und ist kurzzeitig Anwalt am Berliner Kammergericht.

1894 erlangt Weber eine Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg. Seine wissenschaftlichen Interessen haben sich inzwischen in Richtung Nationalökonomie verlagert. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts sind die Fächergrenzen nicht so strikt gezogen und Weber hat in seiner Promotions- und Habilitationsarbeit auch wirtschaftswissenschaftlich relevante Fragen behandelt.

1893 heiratet Max Weber die 21-jährige Marianne Schnitger. Sie entwickelt sich zu einer in wissenschaftlichen Angelegenheiten kongenialen Partnerin und veröffentlicht 1926 eine Biographie über den verstorbenen Ehegatten. Die Ehe bleibt kinderlos. Marianne Weber avanciert zu einer bedeutenden Frauenrechtlerin. Sie bekleidet von 1919 bis 1923 das Amt der ersten Vorsitzenden des Bundes Deutscher Frauenvereine [12]und wird als Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei in die badische Nationalversammlung gewählt. Sie veröffentlicht mehrere Bücher zu frauenpolitischen Fragen (vgl. Meurer 2010).

1896 erhält Max Weber einen Ruf auf den Heidelberger Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften; er wird bis über seinen Tod hinaus das akademische Milieu der Neckarstadt mitprägen. Doch 1898 fällt er in eine tiefe Krise, die vier Jahre andauert und sein Leben danach beeinträchtigt. Zwischen 1898 und 1902 vermag er kaum wissenschaftlich zu arbeiten. Er gibt schließlich 1903 seine Professur krankheitsbedingt auf und führt die Existenz eines Privatgelehrten, der von Vermögen und Erbschaften lebt. Sein Haus oberhalb des Neckars wird in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sonntags regelmäßig zum Treffpunkt Heidelberger Intellektueller.

In der Heidelberger Zeit verfasst Weber, von Lehr- und Prüfungsverpflichtungen befreit, seine bedeutendsten Werke, so Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Weber wird 1904 Mitherausgeber des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, [13]das sich rasch zur wichtigsten sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift des deutschsprachigen Raums entwickelt. Er übernimmt zudem die Herausgeberschaft des wichtigen Sammelwerks Grundriss der Sozialökonomik, für das er auch einige Beiträge verfasst. Nach Webers Tod stellt seine Witwe diese Beiträge mit anderen Manuskripten zu dem Band Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, der lange Zeit als Hauptwerk Max Webers gilt.

Biografische Daten zu Max Weber


1864Max Weber wird als ältestes von acht Kindern des späteren nationalliberalen Reichstags- und Landtagsabgeordneten Max Weber sen. (1836–97) und seiner Frau Helene (1844–1919) geboren.
1882–1886Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte, Nationalökonomie und Philosophie in Heidelberg und Berlin
1889Promotion
1892Habilitation
1894Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Universität Freiburg
1896Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, Universität Heidelberg
1898–1902Krankheit und Arbeitsunfähigkeit; längere Aufenthalte in Italien, in der Schweiz und auf Korsika
1902–1914Privatgelehrter in Heidelberg; 1903 krankheitsbedingte Aufgabe der Professur
1904Übernahme der Redaktion des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, gemeinsam mit Edgar Jaffé und Werner Sombart
1909Übernahme der Redaktion des Sammelwerks Grundriss der Sozialökonomik
1914–1915Disziplinaroffizier der Reservelazarettkommission in Heidelberg
1918Lehrstuhl für Nationalökonomie, Universität Wien
1919Lehrstuhl für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie, Universität München
1920Weber stirbt am 14. Juni an einer Lungenentzündung

1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Weber wird Disziplinaroffizier bei der Reservelazarettkommission in Heidelberg, wo er bis Ende 1915 mehrere Lazarette einrichtet und kommandiert. Danach scheidet er aus dem aktiven Dienst aus. 1918 lehrt Weber in Wien, 1919 übernimmt er den Lehrstuhl für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an der Universität München. Am 14. Juni 1920 stirbt er an den Folgen einer Lungenentzündung.

 

1.2 Max Weber und seine Zeit

In die Lebenszeit Max Webers fallen wichtige politische, ökonomische und soziale Entwicklungen und Ereignisse, die seine Biografie und sein wissenschaftliches Werk beeinflussen.

 1871 wird das Deutsche Reich gegründet.

 Im frühen 20. Jahrhundert führen Demokratisierungsbestrebungen in vielen europäischen Staaten zu schweren politischen Konflikten.

 In Deutschland erfolgt der Übergang von der vorindustriellen Agrargesellschaft zur kapitalistischen Industriegesellschaft.

 Die kapitalistische Industrialisierung erzeugt ein wachsendes Proletariat. In diesem Zusammenhang entsteht die »soziale Frage«, welche die materielle Not der Arbeiter, ihre harten Arbeitsbedingungen, die ungenügende Absicherung gegen Krankheit, Invalidität, Alter und Tod betrifft.

 Von 1914 bis 1918 tobt der Erste Weltkrieg, der mit der Niederlage des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten endet und in die Novemberrevolution mündet.

 Im späten 19. Jahrhundert treten verstärkt modernitätskritische und lebensphilosophische Strömungen auf.

1.2.1 Die Gründung des Deutschen Reichs

1870 kommt es zum Deutsch-Französischen Krieg, der mit einer Niederlage Frankreichs endet. Noch während des Krieges wird in Versailles am 18. Januar 1871 das Deutsche Reich gegründet und der preußische König Wilhelm zum deutschen Kaiser proklamiert. Die Begeisterung im liberalen deutschen Bürgertum kennt keine Grenzen und der preußische Ministerpräsident und neue Reichskanzler Otto v. Bismarck, [14]der Architekt der Einigungspolitik, wird zur Kultfigur. Ein starker deutscher Nationalismus prägt die Kultur des Kaiserreichs.

Davon ist auch Max Weber ergriffen. Dies wird exemplarisch deutlich in seiner Rede Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik, die er zum Antritt seiner Freiburger Professur im Jahr 1895 hält. Darin problematisiert er die zunehmende »Polonisierung« der preußischen Randprovinzen im Osten und fordert, die deutschen Grenzen für Polen zu schließen und deutsche Bauern zwecks Germanisierung im deutschen Osten anzusiedeln. Er fordert, die Volkswirtschaftslehre in den Dienst nationaler Machtpolitik zu stellen und die Wirtschaftspolitik an den Interessen des deutschen Nationalstaats auszurichten. »Nicht Frieden und Menschenglück haben wir unseren Nachfahren mit auf den Weg zu geben, sondern den ewigen Kampf um die Erhaltung und Emporzüchtung unserer nationalen Art.« (GPS, S. 14) Daran könnten auch internationale Wirtschaftsformen nichts ändern: »So ist auch die volkswirtschaftliche Gemeinschaft nur eine andere Form des Ringens der Nationen miteinander […].« (GPS, S. 14)

Das sind starke nationalistische Töne, wie sie in dieser Zeit im deutschen Bürgertum durchaus gängig sind. Entsprechend unterstützt Weber grundsätzlich die imperiale Machtpolitik des Deutschen Reichs, quasi als geschichtliche Konsequenz der Reichsgründung. Gleichwohl bleibt er in kritischer Distanz zur Regierungspolitik und zu Kaiser Wilhelm II. und er steht auch der »Beweihräucherung« von Reichsgründer Bismarck kritisch gegenüber.

Max Weber über Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik

«[…] die Machtinteressen der Nation sind, wo sie in Frage gestellt sind, die letzten und entscheidenden Interessen, in deren Dienst ihre Wirtschaftspolitik sich zu stellen hat, die Wissenschaft von der Volkswirtschaftspolitik ist eine politische Wissenschaft. Sie ist eine Dienerin, nicht der Tagespolitik der jeweils herrschenden Machthaber und Klassen, sondern der dauernden machtpolitischen Interessen der Nation.« (Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik, 1895, in: GPS, S. 14)

1.2.2 Demokratisierung von Staat und Gesellschaft

Die Verfassung des neu gegründeten Deutschen Reichs von 1871 führt das allgemeine gleiche Wahlrecht (für Männer) ein, aber die Befugnisse des Parlaments sind beschränkt. Es steht keineswegs im Zentrum des politischen Systems, wie es in einer modernen Staatsverfassung sein sollte. Vielmehr kann der Kaiser nach Gutdünken den Reichskanzler und die Minister ernennen. Außerdem sind bestimmte Bereiche, [15]insbesondere das Militärwesen, dem Zugriff des Reichstags entzogen. Immerhin jedoch besitzt dieser ein Budgetrecht, darf also über den Haushalt mitentscheiden.

Aber auch sonst in Europa schreitet in den 1870er Jahren der Prozess der Demokratisierung wenig voran. Zwar gibt es in den west- und mitteleuropäischen Staaten Parlamente, aber ihre Kompetenzen sind ebenfalls beschränkt und sie müssen diese mit aristokratisch besetzten Ersten Kammern teilen. Nach wie vor dominieren in Europa die traditionellen Eliten: Adel, Militär, Kirche, Ministerialbürokratie, unterstützt von einem Teil des Großbürgertums.

Doch das ändert sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. In den west- und nordeuropäischen Ländern werden die Ersten Kammern entmachtet, die Macht des Königs wird auf repräsentative Funktionen beschränkt, die Privilegien von Adel und Militär werden reduziert, das allgemeine und gleiche Wahlrecht wird eingeführt (Frauen noch ausgenommen). Sogar das zaristische Russland, das rückständigste Staatswesen des Kontinents, erhält nach der Revolution von 1905 eine Verfassung, wenn auch mit minimalen Rechten für das Parlament. Die politischen Reformen gehen einher mit sozialpolitischen Reformen, getragen von der reformistischen Arbeiterschaft und dem liberalen Bürgertum.

In Deutschland geht es mit politischen Reformen jedoch nicht recht voran, was Weber bedauert. Nach wie vor behalten Kaiser, Adel und Militär die Führung in der Gesellschaft. Der Adel hat jedoch aus Webers Sicht jegliche konstruktive Funktion verloren und ist herabgesunken zu einer Interessengemeinschaft, die um größtmögliche Subventionen für die Landwirtschaft kämpft und den Weg zu einer modernen kapitalistischen Gesellschaft blockiert. Große Teile des Bürgertums versuchen Werte und Lebensstil des Adels nachzuahmen, anstatt selbstbewusst und entschlossen die Führung in der Gesellschaft zu übernehmen. Die revolutionäre Arbeiterschaft träumt von einem sozialistischen Staat, anstatt im Bündnis mit reformbereiten Teilen des Bürgertums energisch politische und gesellschaftliche Reformen voranzutreiben. Unter diesen Umständen hält sich Webers politisches Engagement in Grenzen. Er befürwortet eine Modernisierung des politischen Systems nach westlichem Muster – nicht, weil Demokratie ihm als Wert viel bedeutet, sondern weil er in ihr die Voraussetzung für ein leistungsfähiges System sieht, das in der Lage ist, die imperialen Interessen des Deutschen Reichs zu verfolgen.

Max Weber über sich selbst

»Ich bin ein Mitglied der bürgerlichen Klassen, fühle mich als solches und bin erzogen in ihren Anschauungen und Idealen.« (Der Nationalstaat und die Volkerwirtschaftspolitik, 1895, in: GPS, S. 20)

[16]1.2.3 Agrargesellschaft oder kapitalistische Industriegesellschaft

1776 erfindet James Watt die Dampfmaschine. Sie löst in Großbritannien die industrielle Revolution aus, die bald darauf auf Kontinentaleuropa übergreift. 1798 wird die erste Dampfmaschine in Deutschland installiert. In den 1830er und 1840er Jahren breitet sich das kapitalistische Fabriksystem – Produktion mit Lohnarbeitern unter Einsatz von Dampfmaschinen – in der Rheinprovinz, in Berlin und in Sachsen aus. Ab etwa 1850 verbreitet es sich über das ganze Land. Die Historiker datieren heute die Zeit zwischen 1850 und 1914 als Übergangsphase zwischen Agrar- und Industriegesellschaft. Für die Zeitgenossen ist das nicht unbedingt so deutlich. Noch um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sind weite Teile Deutschlands vom Industriesystem wenig erfasst, insbesondere die Gebiete östlich der Elbe bleiben agrarisch geprägt. Es gibt also einen gewerblich-industriellen Westen und einen agrarischen und feudal-paternalistischen Osten. Um 1900 wird in Deutschland noch eine ernsthafte Diskussion darüber geführt, ob Deutschland ein Industrie- oder Agrarland sei bzw. sein solle.

Webers Position in dieser Frage ist eindeutig. Die Industrialisierung, und zwar unter einem kapitalistischen Produktionsregime, ist unaufhaltbar. Anlässlich seiner Untersuchung über die ostelbischen Landarbeiter Anfang der 1890er Jahre (vgl. Kap. 1.3) erkennt er, dass der Kapitalismus die entscheidende Kraft auch des sozialen Wandels im agrarischen Ostelbien ist. Weber will daher 1904, als er die Redaktion des Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik mit übernimmt, den modernen Kapitalismus zum zentralen Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften machen.

Max Weber über den Agrarkapitalismus

»Überall aber finden wir eine gemeinschaftliche Erscheinung als Ergebnis der Situation: wo nicht auf die Dauer Zerschlagung in Kleinbetriebe oder Verödung als Weiderevier eintreten soll, da besteht die Notwendigkeit umfassender Steigerung der Kapitalintensität und eines Wirtschaftens unter kaufmännischen Gesichtspunkten, wie sie der traditionelle Grundherr im Osten nicht kannte. Mit anderen Worten: an die Stelle der Grundaristokratie tritt – mit oder ohne Personenwechsel – mit Notwendigkeit eine landwirtschaftliche Unternehmerklasse, die sich in ihren sozialen Charakterzügen von den gewerblichen Unternehmern prinzipiell nicht unterscheidet.« (Entwicklungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter, 1894, in: GASW, S. 476 f.)

[17]1.2.4 Kapitalismus, Sozialismus und soziale Frage

Im März 1871 erheben sich die Pariser Arbeiter und vertreiben den Stadtmagistrat. Sie richten eine eigene Verwaltung ein, ein sozialistisches Regime. Zwar schlagen französische Regierungstruppen den Aufstand nach einigen Wochen blutig nieder, aber die Pariser Kommune, wie man sie nennt, wird von den Herrschenden aufmerksam registriert – als Menetekel eines möglichen zukünftigen politischen und gesellschaftlichen Umsturzes.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wächst in Deutschland und Europa die Arbeiterschaft rasch an. Die Lebensverhältnisse sind schwierig, ja erbärmlich, die Löhne so niedrig, dass Kinder- und Frauenarbeit an der Tagesordnung sind. Die Wohnverhältnisse in den schnell errichteten Arbeitervierteln der entstehenden Großstädte sind trostlos und ungesund. Es entsteht, wie die Pariser Kommune angezeigt hat, eine revolutionär gestimmte Arbeiterbewegung; die Arbeiterparteien, z. B. die Sozialdemokratie in Deutschland, gewinnen rasch Mitglieder und Wähler. Unter diesen Bedingungen macht man sich in den Regierungen und im wohlhabenden Bürgertum Gedanken, wie man einer möglichen gesellschaftlichen Umwälzung durch das Proletariat entgegenwirken könne. Als geeignetes Mittel erscheinen in Deutschland – neben politischer Repression – sozialpolitische Reformen. 1872 gründet Gustav Schmoller (1838–1917), der führende Nationalökonom im Deutschen Reich, den Verein für Sozialpolitik, in dem Wissenschaftler, hohe Beamte und Politiker zusammentreffen. Ziel des Vereins ist, gegen den heftigen Widerstand im liberalen Bürgertum soziale Reformen durchzusetzen. Um eine zielgenaue Politik betreiben zu können, lässt er Untersuchungen zur Lage einzelner sozialer Gruppen durchführen.