Das Grimmingtor

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Das Grimmingtor
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Paula Grogger

DAS

GRIMMINGTOR

Roman


ISBN 9783990402641


© 1984 und 2014 by Styria Premium in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien · Graz · Klagenfurt

Alle Rechte vorbehalten

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UMSCHLAGGESTALTUNG:

Bruno Wegscheider

BUCHGESTALTUNG:

Strobl, Satz·Grafik·Design

1. DIGITALE AULAGE:

Zeilenwert GmbH 2014

INHALTSVERZEICHNIS

Cover

Titel

Impressum

Erstes Buch

Alte Chronik

Die Evangelisten

Spaziergang

Wie Abt Gotthard nach Gstatt kam

In der Studi

Die Lehre vom Himmelbett

Der verbotene Dreizipf

Die Wallfahrt bis Maria Grüaberl

Johannes

Das hochnotpeinliche Strafgericht

Der letzte Schutzengel

Zweites Buch

Vier Ähren Traid

Von guten Werken, welche der Vorsicht bedürfen

Advent

Wie Matthäus sein Glück verspielte

Die Kranewetten unter dem Schleier

Der Einaug und der Nepomuk

Von mannigfacher Herzensnot

Der Maitanz

Wie der heilige Nepomuk zum zweitenmal ertrank

Fronleichnam

Das Grimmingtor

Wörterverzeichnis

ERSTES BUCH

ALTE CHRONIK

Mondhell und blank ist der Himmel. Sterngelber Schein liegt auf den Mauern. Die Dächer glänzen im Rauhreif, und leise Spukschatten haben sich hinter die Zäune gelegt. Aus dem Rauchfang des Torbäcken flattert ein dünnes Wölkchen; beim Schneider brennt die Lampe noch. Es ist so ruhig im Dorf, daß ich fühle, wenn der Hahn auf dem Turme knarrt … wenn die vier Pappelbäume sachte … sachte sich regen. Und der Grimming ragt ganz einsam und groß aus dem Saume blauer Föhren. Vom Stierkar herab schneidet sich ein schmales, tiefes Rinnsal ein, und da läuft im Frühjahr viel Gewässer und Sand nach einer Schneemulde nieder, manchmal auch ein schweres Felsstück. Keine Krüppelföhre mag dort leben, kein Christrösel blüht. Kein Mensch getraut sich recht auf die »Jausengruben«. So heißt sie von alters her; denn genau zur selben Tagesstunde, wann der Felszack drei Schattenfinger auf die Grube wirft, nehmen die Holzknechte aus ihrem Buckelsack das Speckbrot und den Kranewittern.

Es graut mir ein wenig in der blassen, silbrigen Mondnacht, weil ich just daran denke … Wo die Steinwand schroff über der Mulde aufsteigt, ist ein Tor. Und selten kann es ein Mensch erschließen, es sei denn während der Prozession am hohen Fronleichnamstag oder, wie andere wissen wollen, bei der Wandlung zu Peter und Paul.

Einmal gab es einen tollen Jäger, der wagte es. Warum … das wird man nimmer erfahren; allein viele meinen, es geschah, weil er die ehrgeachtete Jungfrau Constantia Sorger, verehelichte Stralzin, so unsäglich liebte. Sie war die Tochter des Knappen Johannes Sorger, welcher nachmals Verweser geworden war. Und war bekannt durch einen wunderschönen Wuchs sowie ihre großen dunkelbraunen Augen und das goldwellige Haar. Die Roßknechte horchten im Vorüberfahren auf ihre laute klingende Stimme. Und ihr weitschichtiger Vetter, der Oberverweser Georg Staudacher, ließ sich’s nicht gereuen, jeden Tag zwei Stunden weit in den Walchengraben zu spazieren, nur um sie anzuschauen. Und der Jager, ach! der Jager lernte schreiben ihr zuliebe. Und das war ein Martyrium.

Am St. Barbarafest, als sie sechzehn Jahre alt war, führte sie ihr Vater auf den ersten Tanz. Und da ist der Andreas Grogger, insgemein Stralz, auf sie zugeschritten, hat ihr die Hand gedrückt, daß es bitter schmerzte, und hat gesagt:

Etwa: Ich hab dich gern?

O nein!

»Stanzi«, hat er gesagt, »wann meine Schwester ausheirat’ und meine sechs Brüder ein Handwerk haben, wann das Haus leer ist, wöllen wir zwei Hochzeit halten. Eher gehst mir auf keinen Tanzboden mehr. Verstanden?«

Da wurde das liebe Mädchen zunderrot und entgegnete ihm jähzornig:

»Du hast mit mir nit umzuschaffen!«

Aber nach einer halben Stunde ging sie heimlich nach Hause. Und wenn fürder die Roßknechte mit dem Kupfererz vorbeifuhren, hörte sie zu singen auf. Wenn der Oberverweser zwischen den Schmelzöfen sichtbar wurde, so versteckte sie sich. Nur mit dem Jager diskurierte sie manches Mal, weil dieser weit herumpirschte, bis in die Sölktäler und durch den Paß Stein sogar, und weil er in seiner verbissenen Weise allerhand vom Bräutigam Stralz erzählte, was nicht sehr schön … und vielleicht auch nicht erlogen war. Zuletzt schwor er jedesmal:

»Stanzi, der Teufel soll mich holen, wann’s nit wahr ist.«

Dann sah das Mädchen hoffärtig an ihm fürbei und sprach:

»Ich glaub’s schon.«

»Nimm mich!« bat der Jager.

Hierauf wurde ihr Gesicht aschfahl und hart.

»Nein, sag ich!«

Einstens, es war schon in der Dämmerzeit, da pochte der Bursch an die Haustür.

»Stanzi, mach geschwind auf!«

»Was gibt’s denn?« fragte das Mädchen und brannte zitternd ein Kienlicht beim Herdfeuer an. Der Jager aber war ungeduldig und drückte an die Klinke, bis es krachte und der Türhaken weit davonflog.

»Er heirat’ die Bräumeisterwittib von Gröbming.« Die Jungfrau Constantia Sorger rührte sich nicht. Nicht einmal der Span flackerte.

»Mich ziemt, dir ist nit leid?« hub er zu fragen an.

»Nein.«

»Hast nit reden hören? Zwo Köchinnen sind aufgedungen; eine extra für die Prügelkrapfen und die Schnürlkrapfen. Und zwanzig Ellen Seidenzeug hat er kauft beim Hausierer Gottlieb.«

»So.«

»Mich ziemt, dir ist gar nit leid?«

»Geh weiter!« schaffte sie. »Mir brennt das Mus an, wannst nit bald dein Maul haltst.«

»Tu ’s Licht weg!« bat er weich. »Es züngelt schon um deine Fingernägel.«

Das Mädchen rührte sich noch immer nicht. Da riß ihr der Bursche den Span aus der Hand und zertrat ihn. Nur das rote Herdfeuer leuchtete. Und das Mädchen stund so bläßlich und kalt vor ihm, daß er, sein wildes Geblüt zähmend, gar demütig bettelte:

»Stanzi, gelt, du wirst ihn übers Jahr längst vergessen haben. Und du brauchst statt seiner auch keinen Jager nit nehmen, wann dir ein solcher zu gering ist. Das Stift Admont wird noch heuer einen verlieren. Ich schwör, daß ich zu Martini schon ein Schloßherr bin, reicher als wie der Moar von Kunagrin und der Moar im Steinkeller zusamm. Weißt du … wie?«

»Brauch’s nit zu wissen.«

»Stanzi, drüben in Gstatt werden wir hausen. Ich und du. Was wirst du für eine pieksaubere Schloßfrau sein!«

»Ich glaub, der Vater kommt.«

»Wegen meiner kann er wohl kömmen. Aber du lügst.« Der Jager wußte alsdann schier nichts mehr zu reden. Er suchte in seinen Taschen, zog endlich ein Briefbögerl heraus und reichte es mit abgewandtem Gesicht der Stanzi …»Ich hab den Vers für dich geschrieben, liabs Dirndel du. Nit, daß du etwan glaubst, ich hätt den Schulmeister zahlt.«

Sie las nicht. Sie blickte nur immerzu auf das undeutliche Bild von göldenen Schnörkeln und rotseidenen Blumen, die so kunstvoll auf das Papier gepreßt waren. Sie blickte ganz stumpf und gebrochen.

 

Da küßte der Bursch sie inbrünstig ab.

Die Jungfrau Constantia wehrte sich mit erhobenen Armen, stieß ihn von sich, daß er taumelte, und schlug hinter ihm die Tür zu … Das feuchte Holz gloste auf dem offenen Herd. Und der Rauch drückte sich in die Küche. Denn es blieb immer der Südwind so um Lichtmeß.

Am Fest der heiligen Barbara waren es sechs Jahre gewesen, daß ihr Andreas Stralz das Heiraten geheißen hatte. Barmherzige Mutter Anna und hilfreicher Antoni von Padua! Sie hatte treu gewartet, und im Knappendörfel wie zu Öblarn draußen konnt ihr niemand nichts Übles nachreden. Um Neujahr ist auch der jüngste von seinen sechs Brüdern frei geworden und hat, weit auswandernd, sich in Amerika drüben seßhaft gemacht. Und das Haus ist leer …

Die schöne Jungfrau Constantia schluchzete plötzlich hellauf. Indem sie jedoch das Mus in der Pfanne mit zornigen Stößen zerstampfte, wurde ihr Weinen unhörbar wie auch der schwere Schritt des Herrn Vaters. Er stund auf einmal hinter ihr und fragte mit seiner tonlosen Stimme:

»Was ist’s mit dem Türhaken?«

Sie zuckte die Achseln.

Dann sagte er:

»Ich bin hungrig.«

»Es ist anbrennt.«

Der Knappe wies auf das halb verkohlte Briefchen. Seine Tochter aber schupfte es schnell zur Glut hin, daß es sich also gleich zu einer Flamme einrollte.

»No?«

»Ach nix … ein Zettel …«, murrte sie, » … ein Papierfetzen.«

»Du!« sagte Johannes Sorger rauh. »Du, was hat denn der Lotter draußen? Er lehnt beim Holzzaun und gafft.«

»Er hat mir ein Bussel geben«, sprach sie leise.

»So …?«

»Und ich hab ihn hinausgerennt«, sprach sie laut. »Ansonst wär er wohl noch herinnen.«

Da drehte sich der Knappe jählings um und ging in die Kammer. Als die Stanzi wieder allein war, schlich sie ans Fenster und spähte ein bißchen durch den Fürhangschlitz; denn sie war noch sehr jung und sehr neubegierig.

Richtig! Da lauerte der Jager; die Augen zugekniffen, wachsgelb im Gesicht. Schnitzelte mit einem Weidmesser in der Rinde des Ahornbaumes.

Und am zweiten Tage, nachdem es dusend geworden, stund er wieder dort. Am dritten Tage aber nicht mehr … Es gab einen langen Fasching jenes Jahr. Die blonde Knappentochter hatte sich krank geweint; sonst wäre sie jeden Sonntag bei Predigt und Hochamt gewesen, um es zu hören, wann der Stralz von der Kanzel verkündigt werde. Es bereitete ihr schon eine bitterböse Lust … die Grübelei und das Warten, daß ihr Vater endlich die Botschaft heimbrächte …

Allein es trug sich nichts dergleichen zu. Und sie fühlte sich immer kränker vor Trutz und Liebe und Unruh. Sonst wäre sie gewiß nach Öblarn hinaus und hätte auf dem Tanzboden alle Schuhe zerrissen in den drei Narrennächten bis zum Aschermittwoch. Unglaublich viel sinnierte sie in der beschaulichen Fastenzeit.

Am Schmerzhaften Freitag, welchen Datums ihr Vater Hutmann geworden ist, stund sie vom Marodenbett urblitzlich auf und sagte, sie wäre jetzt wieder gesund. Sie scheuerte das kleine Haus von oben bis unten, rieb das Geschirr mit Zinnheu und Sand, damit es blank wie ein Augapfel spiegle, und begoß die welken Fuchsien am Fensterbrett, die ihr Vater vergessen hatte. Dies alles geschah mit völlig totem Herzen nur ihm zulieb, weil sie sich insgeheim schuldig fühlte. Denn am Ostermontag wollte die Stanzi dem guten Menschen einreden, daß ihre Frau Goden in Pürgg sie geladen hab. In Wirklichkeit aber wollte sie auswandern … weit, weit fort. Wohin, das wußte sie selbst noch nicht.

Heftigen Gemütes, wie sie war, entschloß sich die Stanzi schon zu Palmare. Die gelben Schwefelkrusten rauchten. Der Dunst stieg. Feinstes Grün wagte sich aus dem Almboden. Pestwurz und Buschwindröschen wuchsen den Bach entlang und die dunkelgelben Sterne des Lattich.

»Ein warmes Frühjahr«, seufzte die Jungfrau Constantia, indes sie die kleinen Fensterflügel zögernd aufschlug. Dann machte sie sich zur Abreise fertig und sprach gar schüchtern und verzagt:

»Pfüat Gott, Herr Vater, hiaz muaß ich gehen.«

Er war ganz arglos. Dadurch wurde sie noch trauriger, und während sie mit den Fingern in den Weihbrunn tupfte, überwältigte sie eine trostlose Reue. Ihre herben Mundwinkel zuckten, ihre braunen Augen wurden heiß und blind. Allein sie ließ solches nicht merken und ging mit großen Schritten.

Wohin? … wohin?

Ein einziger Gedanke surrte in ihrem Kopf wie ein schweres Rad immer rundherum:

Wann doch der Weg zwischen Öblarn und dem Knappendörfel niemals ein Ende nähm!

In den Angern erwachte sie ein wenig aus ihrer Stumpfheit. Bergleute torkelten an ihr vorbei, und im Wirtshaus klang eine Harfe. Da mußte sie wehmütig denken, daß mit einem Tanz all ihr Herzeleid begonnen habe. Und sie eilte … eilte. In einem rehledernen Säckchen am Halse klimperten fünf Taler. Sie waren ihr Griesengeld. Die goldlichen Zöpfe sanken auf den Spenser herab, der Kopf schmerzte. Bis ins Mark war sie müd. Und als sie ein Fuhrwerk hörte, kam ihr der Wunsch: Wann ich doch hinfallet und nichts mehr wüsset von mir. Der Mensch, der kommt, möchte mich wohl aufklauben und zu meinem Vater bringen. Ich bräucht alsdann nit selber gehn und wär doch daheim.

Sie fiel aber nicht hin. Das Leben war auch nach der Krankheit wunderbar stark in ihr. Das Fuhrwerk befand sich schon nahe, und nun erkannte sie, daß der Stralz darin saß. Sie wurde zunderrot im ganzen Gesicht und schritt mit einem Male kerzengrad.

»Grüß dich!« sagte er.

Sie dankte ihm nicht.

»Wohin denn?« fragte er, das Roß anhaltend.

Sie ging weiter. Da sprang er vom Wagen.

»Stanzi, bleib doch stehen ein bissel!«

»Was hast gesagt?«

»Du tuast mir alles zufleiß.«

»Wüßt nit … warum.«

»Hast im Sinn auf Öblarn?«

»Weiter.«

»Auf den Mitterberg?«

»Das kümmert dich nix.«

»Das kümmert mich wohl«, sagte der große blonde Mensch ohne Erregung.

Da antwortete sie schon weniger trutzig:

»Nach Pürgg hab ich im Sinn.«

»So weit? Es kostet dich grad ein Wörtel. Soll ich umdrahn?« Sie schwieg.

»Ich führ dich mit meinem Wagerl. Willst?«

»Kunnt mir einfallen.«

Andreas Stralz war mit einem Satz wieder auf dem Wagen, schnalzte und sprengte davon. Das Mädchen tat einen schwachen Seufzer und wußte lange nicht, ob ihr zum Lachen oder zum Weinen sei. Sie wanderte talaus mit ihrem Wanderpack. Und weilen sie schon beim Schrabachkreuz war, galoppierte der Stralz so wild und rasselnd hinterher, als wäre ihm das Roß durchgegangen. Schier keine Zeit hatte sie auszuweichen.

»Wart!« schrie er befehlend und riß am Leitseil, daß der Hengst sich bäumte. Dann sagte er ruhig: »Ich hab mir’s überlegt.«

Erst jetzt schaute ihn das Mädchen ordentlich an und bemerkte, daß er sich sauber ausstaffiert hatte mit einem neuen Hut und einer Joppe von schönem, lichtgrauem Perlloden. Die Hosen waren unter den Knien mit langen propern Lederbändlein zugebunden. Die Modelstrümpf waren blau wie der Enzian.

»Zu meinem Halter wöllt ich in die Starzen«, sagte er.

Da lächelte sie fein.

» … und auf dem Rückweg bei euch zusprechen …«

»Wir ziehen unser Kitzel selber auf«, erwiderte sie gar unschuldig, wußte jedoch ganz gut, daß ihm darum nicht zu tun war.

»Ach geh, bin ich ein Viehhandler, daß du so redst?«

»Nein, das bist nit.«

»Was nachher?«

»Halt mich nit auf! Hab nit Zeit.«

Es glänzte was wie Glimmerschiefer in seinem linken Auge. Am rechten nämlich war er blind. Sich neigend und ihre Hand innig umfassend, sprach er mit seltsamer Gleichmütigkeit:

»Steig auf! Oder fürchtst dich?«

Das Mädchen gehorchte. Langsam und still fuhren die zwei durch den Walchengraben. Grüne Wellchen und grüne Fische hüpften im Bach. Von den Holzriesen schossen spritzend die Wässerlein. In den Baumwipfeln verrieselte das Himmelsgold wie ein Segen. Und die Blüten des Lattichs flimmerten beidseiten des Weges und sahen aus, als wären sie in lauer Nacht zur Erde getropft, just für den Stralzen und die schöne Jungfrau Constantia. Er hatte die Zügel straff gepackt und gab fürsorglich auf das Pferd Obacht, denn die Straße war schmal und holprig. Lieblich verschüchtert saß sie neben ihm. Das Griesengeld klingelte unter dem Sonntagsspenser. Oder klingelte das Herz? Wie wünschte es doch, daß der Weg zwischen Öblarn und dem Knappendörfel niemals, gar niemals ein Ende nähme.

Von der ersten Bauernkeusche an ging das Steirerwägelchen ruhiger. Das Pferd fand sich von selbst zurecht. Da drückte der Stralz wiederum ihre Hand.

»Wann du von Pürgg heimkommst, gehen wir zum Pfarrer«, sagte er, sonst nichts.

Sie nickte. Alsdann sahen sie von weitem den Kirchturm aus dem überzarten Blust der vielen knospenden Obstbäume ragend. Neben dem Wasserwehr hockte der Kurschmied Sebastian Zedler, item ihr Bruder von der seligen Mutter her, welche zweimal verheiratet gewesen war. Der zwinkerte den Brautleuten zu, ohne sich ansonsten zu rühren, sintemal bei seinem Fischzeug ein Mordstrumm Forelle angebissen hatte. Auch eine Schar Kinder trafen sie, welche jenseits der Enns Seidelbast sowie Palmbuschen und Schneeglöckchen gepflückt hatten. Diesseits der Brücke, dicht vor seinem Hof und Wurzgarten, lud er sie ab, nahm ein Sträußel Buchsbaum vom Hut und reichte ihr’s.

»Nit einmal ein Nagerl hab ich, daß ich dir’s schenken kunnt!«

Das Mädchen roch lange daran, obgleich es nicht geduftet hat, und sagte:

»Will’s in ein Geschirrl stecken, daß es weiterwachst.« Wirklich wanderte sie desselben Tages zu ihrer Goden nach Pürgg. Und als die drei Wochen fürüber waren, hielten sie Hochzeit. Eine zweite Köchin hatte der Stralz gedingt, extra wegen der Prügelkrapfen und der Schnürlkrapfen. Und der Kurschmied Zedler hatte auf der Walchenbrücke eine Maut hergerichtet, daß die Brautleut sauber zahlen mußten, sobald sie, verbunden durch das Ehesakrament, alsdann heimwöllten. Kaleschen, Kutschen und Leiterwagen fuhren auf, mit Bändern und Blumen hochgeschmückt. Spielleut mit Flöte, Klarinette, Trompete, Flügelhorn, Geige, Baßgeige und Bratsche marschierten hinter dem Hochzeitlader. Und aus der Höhe vergossen alle vier Glocken ihren Wellenschwang.

Die Jungfrau Constantia Sorger war so schön und glückselig, daß die alten Mütter im Dorfe gerührt vor sich hinschluchzten. Und daß die ledigen Dirndeln, welche auch ein Ringel erwünschten, dicht bei ihr vorüberstreiften und nach abergläubischer Sitte den Buckel am seidenen Brautkleid wetzten … Und daß die Musikanten es hienach im ganzen Ennstal erzählten, wie die blonde Knappentochter wär dahingerauscht in faltigem Taft, welcher vom dunklen Violett in den braunen Ton verwitterten Kupfers schillerte. Ein Halstuch mit böhmischen Perlen habe sie getragen und nach dem Brauttanz eine golddurchwirkte Drahthaube, von runden Myrten und Rosmarin weiß-grün gekränzet. Bewundernswert sei auch das Muster auf ihren schneeweiß gestrickten Ärmeln und Strümpfen gewest, am allerliebsten aber das wehende Fürtuch von der Farbe blasser Herbstzeitlosen.

Die Hochzeit der Constantia Sorger, verehelichte Stralzin, dauerte drei Tage. Und als diese verflossen waren, betraf sie auch die Freude, daß der Graf Johann Gottlieb Stampfer, zwar nicht in Person, wohl aber durch das Bergamt, den Vater Johannes Sorger zum Hüttenschreiber ernannte, mit viereinhalb Gulden Wochenlohn und der Anwartschaft auf den Verweserposten. Er übersiedelte alsbald von seiner vereinsamten Keusche in das Werksgebäude heraus, und Frau Constantia erblickte in diesem Umstand Gottes weise und gnädige Absicht, denn schon im zweiten Monat ihrer Ehe brach eine große Heimsuchung über die Gegend, namentlich über die Walchen, herein. Item, es hatte von den Tauern allen Schnee zu einem erschrecklichen Hochwasser zusammengeschwemmt, wie es seit Menschengedenken nicht geschehen war. Heftige Wasserstürze verheerten Schacht und Gruben, vornehmlich das Dreifaltigkeitslager und den Thaddäus-Unterbau. Der Bach riß alle Brücken mit. Baumstämme schwammen von den Angern heraus wie Halme.

Und eine Sandmure schob sich durch das enge Quertal und bedrohte das Dorf mit einem Schaden, welchen weder Mensch noch Vieh hätte angleichen können.

Die gottesfürchtigen Leute, soweit sie katholisch waren, nahmen ihre Zuflucht zum heiligen Johannes von Nepomuk und zimmerten augenblicks ein Bildstöckel, damit er sie vor weiterer Not und Fährnis behüte. Die junge Stralzin steckte überdies jeden Abend dem Patron eine Kerze an, der ebendort wachte, wo der Weg zwischen dem Bachbett und ihrem Wurzgarten zum Berghammer führt. Sooft sie auch hinaustrat, gar alleweil lauerte der liebtolle Jager unter dem Brückenschluf des Tenns … und fluchte … und lockte.

 

Sie tat, als höre sie nichts, betete schnell ein Vaterunser für seine arme Seele.

Am Abend vor Fronleichnam, als bereits die Straßen und Höfe gekehrt und die schmächtigen Birken vor den Häusern eingesteckt waren, als der Bäckenhansei auf seinem Waldhorn viel andächtig das »Tantum ergo« übte, sah sie ihn zum letzten Male. Er stand hinter der Rosenstaude des heiligen Nepomuk, hatte die Händ um einen Zaunpfahl gepreßt und war so bleich und stumm wie ein Martyrer in Todespein. Nicht ein Atemhub entrann seinen Lippen.

Die junge Frau bemerkte solches Leid gar wohl. Lange fing ihr der Schwamm kein Feuer; als sie mit dem Zündstein anschlug, so bebte sie in Unruh. Denn es geschieht, daß der Mensch, wechselnden Stimmungen unterworfen, manchmal die Leidenschaft und Begier eines andern voll Abscheu von sich stößt, manchmal aber zufolge der eigenen Sehnsucht begreift.

Schier versonnen tat sie die aufgerafften Schürzenzipf voneinander, und ein Schopf bunter Feldblumen fiel raschelnd auf die Betbank. Die alten Buschen, die schon seit etlichen Tagen mit einem leisen, traurigen Geruch hierselbst welkten, streute sie in den Bach. Und aus den Krügen, Hönigtiegeln und geschliffenen Kaffeebechern wusch sie den grünen Pflanzenschleim.

Wie Frau Constantia das zweitemal von der Uferstiege zurück gegen die Holzfigur des verschwiegenen Beichtvaters kam, den der böhmische Wenzel ertränkt hat, lag hierorts ein unbeschreiblich schönes Gesträuß blutroten Almrausches. Sogleich erriet sie, wer es gebracht hatte, und meinte kindlich, er wäre, vom lieben Gott erleuchtet, seiner sündhaften Liebe Herr geworden.

Weit gefehlt! Er hatte sich etwas Unheimliches in den Kopf gesetzt. Aber sie wußte es nicht, trat zu ihm und sprach ihn zum erstenmal seit Lichtmeß freundschaftlich an.

»Jager, geh heim!« sagte sie. »Morgen ist Feiertag. Da tragen sie das hochwürdigste Sakrament fürbei. Drum muß ich anheut den Patron zieren mit Buketten und Kranzgewind.«

Er rührte sich nicht.

Und Frau Constantia verrichtete ihre Arbeit weiter. Sie legte zart die blassen Sumpfvergißmeinnicht in einen Zinnteller und drückte nassen Moorsand auf die Stengel. Sie wässerte die violetten Glocken, die weißen Maßliebchen und die blauen Schwertlilien ein. Und nachdem sie damit fertig geworden war, zog sie ein Knäuel Leinengarn aus dem Kittelsack, schnitt Rosmarin, Flieder, Buchs und derlei Gezweig im Garten und band beim Schein der Kerzen einen runden Kranz. Ab und zu jedoch spähte sie neugierig nach dem Jager. Es war schon sehr dusend. Kaum ein Schatten hob sich vom Rasen ab. Die Sterne hingen draußen in der Sommernacht. Gleich verwehten Funken taumelten Johanniskäfer ins hohe Gras. Die Straße war leer. Narzissen, Almrausch und Rose dufteten. Und aus dem zerbrochenen Dachfenster des Bäckenhansei rann wie eine Himmelswelle das Tantum ergo.

Da fühlte Constantia Stralzin sich tief im Herzen erbaut. Die Schönheit der lieben Welt mit ihren Sternen, Blüten und Tierlein überrieselte sie. Die sanfte Musik glich einem Wiegenlied. So stand sie eine Weil in lauterer Seligkeit, mit der starken, schweigenden Lust der Erde verwebt, und konnte niemandem feind sein, auch dem armen, verrückten Jager nicht. Und sie sprach gegen den Rosenstock:

»Wia lau der Abend ist …«

Der Bursch gab keine Antwort.

Da machte sie einen Schritt auf ihn zu, bog die Dornranke beiseite und sagte scheu:

»So liabla … wia alles blühet …«

»Mir ist nichts liabla, seit mir der Stralz ins Gäu ist kömmen«, trutzte er verbissen.

Sein Elend machte sie verzagt. Beinahe schuldbewußt, konnte sie sich ihres Glückes plötzlich nicht mehr freuen.

»Uns is halt nit aufgesetzt gewesen«, tröstete sie ihn bekümmert.

Er legte sich solche Rede anders zurecht und lachte heiß.

»Stanzi, es ist nie zu spat. Brauchst nur mit mir gehen. Oh, das wär mir das Schönst.«

»Um Gottes willen, sei still, du Lotter«, stieß sie hart heraus, aber nimmer so herrisch wie sonst.

Ein Knecht stapfte vom Stall gegen die Brücke. Es war indes über beiden die Nacht vergossen. Sie hielten den Hauch an und mieden jegliches Wort. Endlich sagte der Jager zitternd: »Warum hast mich hiaz verleugnet? … Warum tust so heimlich? … Hättest ihm angeschafft, daß er mich hintan jagt von deinem Gartel wie einen fremden Hund!«

»Glaubst, ich fürcht mich?« entgegnete sie unsicher.

»Was verschonst mich alsdann?« höhnte er unterdrückt und, nicht mehr fühlend, was er tat, langte er in den Rosendorn, riß, rupfte und fetzte daran, bis Constantia Stralzin ihm endlich die zermalmten Zweige wegnahm und sagte:

»Schind dich nit aso!«

Da war’s um ihn geschehen. Er schlug die Arme um ihren Leib und küßte sie. Und sie erduldete es ohne Abwehr. Empfing seine Lieb wie einen Föhnsturm und wie ein Feuer. Und erlosch darin. Niemand weiß, wie lange sie stund, an sein Herz geschmieget, und wie oft sie ihm ihren warmen Mund geschenkt hat. Rose, Narzisse und Almrausch dufteten fein und schwer. Die Fünklein flogen. Die Kerze brannte zuckend herab. Und der hölzerne Beichtvater verweilte auf seinem Blumenaltar, schloß die Lippen schmal zusammen und schaute nicht durch das Fensterchen.

Frau Constantia konnte wie im Traume sich nicht finden noch fassen. Manchmal hob sie ein wenig die Lider. Und wußte nur, daß sie eine solche Stunde niemals erlebt hatte, denn ihr Eheliebster war anders geartet. Schließlich sagte sie müde:

»Laß mich gehen.«

Er gab nicht nach, drückte ihren Kopf sachte an seine rauhe Lodenjoppe und fragte:

»Weißt es jetzund, wie gern ich dich hab?«

Wiederum hörten sie jemands Gang …

Er hatte die Stirn auf ihrem goldwelligen Haar. Und kosete sie. Bald nachdem der Schritt verklungen, wispelte er heiser:

»Ich bin hinter dem Stralzen dreingepirscht … Das Maul voll Schaum und den Finger auf dem Büchsenhahn … Aber die Kugel hat gefehlt, und die Pratzen ist bockstarr geworden, die wöllt an seine Gurgel fahren. So viel unsinnig ist mein Haß.«

»Jager …«, mahnte sie leise und flehentlich.

Er gab nicht nach.

»Stanzi, aber hiaz bist mir sicher. Und mit seinem kalten Einaug soll er nachgluren, wann ich dich in meiner silbernen Kutschen auf Gstatt führ. Die Liab gerat auch so … ohne Pfaff und Segen.«

»Jager!«

Doch er hielt sie fest.

»Morgen auf die Nacht kauf ich das Schloß.«

»Mein Gott …«, stöhnte sie.

»Und am Samstag klopf ich. Machst mir auf?«

»Na!«

»Noch alleweil nit …?« fragte er mit einem verrückten Lacher.

»O du … weil ich dich hab gebusselt und gehalst … bin ich gewiß, du wirst noch mein eigen.«

In der Finsternis irgendwo … rief Andreas Stralz ihren Namen. Da wimmerte sie:

»Jager, laß mich gehen, sonst schrei ich.«

»Geh nur«, sagte er zähe. »Anheut magst mir wohl entrinnen.«

Dann packte er sie nochmal mit seiner ganzen Kraft. »Ich hab es geschwuren, und kostet’s mich Leben und Seligkeit«, redete er mit knirschendem Gebiß, »ich hab es geschwuren, dein erstes Kind gehört mein!«

»Nit!« keuchte sie auf und taumelte aus seinen Armen nach dem Hofe.

Er aber tat, wozu seine unheimliche Begier ihn lockte. Er bestieg noch in der geweihten Nacht von St. Martin aus den Grimming.

Und drei Burschen, welche das Abenteuer lockte, gaben ihm das Geleit … Im Lärchenwald schrie am lichten Morgen dreimal der Kauz. Und solches war absonderlich. Im Föhrenwald lief ihnen ein Gamskitzlein voraus, das hatte einen Blattschuß und brach doch nicht zusammen. Als jedoch vom Tal, unsäglich fern und fein, der Klang der großen Glocke heraufwehte, war das weidwunde Kitz jählings verschwunden. Von nun an mochte keiner mehr spaßieren, und jedem war heimlich bang.

Immer schneller stiegen sie bis ins Knieholz. Das breit gefingerte Laub der weißen Nieswurz blieb tief unter ihnen. Noch eine verdorrte Zwergkiefer fanden sie. Dann war der Boden nackt …

Wieder ein Laut, als schlüge eine Glocke. Da schaute der Jüngste zurück und bemerkte mit scharfem Auge den langen Zug von Betern. Gleich einem nickenden Blumenstern erschien ihm jede Fahne und der brokatene Himmel wie ein Rosenblatt. Dieser Anblick bewegte ihn so gnädig, daß er eiligst umkehrte.

Der Jager stieß einen Juchzer aus, daß es von den Wänden widergellte. Es klang abscheulich.

Und als sie tausend Schritte höher waren, brach ein lockerer Stein vom Felskamin und kugelte in Gestalt eines Totenkopfes schaurig tosend bei den Mannsbildern vorüber. Da machte der zweite gegen alle Gewohnheit ein Kreuzzeichen und schlich davon. Der dritte nur ging mit dem Jager bis zum Tore.

Es war in Wirklichkeit nicht geheuer …

Spät am Abend erst kam er leichenblaß und gehetzt ins Dorf. Und als sie ihn fragten, spähte er im Verschnaufen nach jeder Seite, wischte sich zitternd über das Gesicht und sprach:

»Es ist wahr! Weit offen stund das steinerne Grimmingtor. Und Pracht und Prunk gab es zu sehen, wie sich keiner von euch einbilden mag. Gold, Silber und Demantbrocken. Wer weiß was noch für Raritäten. Glaubet mir, mit der Schatztruhen, so zunächst in der Höhlen gewesen ist, mit der allein kunnt ich Herzog von Steiermark werden …«

»Und der Jager …?« haben sie gefragt.

»Erschröcket nit!« stammelte der Bursch. »Der Jager ist halt hineingegangen. Und sintemal die Zeit dahinstreicht, will ich ihn rufen … Es verschlagt mir die Red … Und dann … höre ich von weit her einen krachenden Böllerschuß …

Das letzte Evangel, denk ich bei mir selber.

Im nämlichen Augenblick ächzet was … staubet was … fliegt der Schotter von der Wand, und für meiner ist das Steintor zugefallen …«

Ob die Geschichte wahr ist?

Muhme Maria hat mir erzählt. Ich meine diejenige, welche ist nach Jaffa und Jerusalem gereist. Der Mond, über den Goldputz der Haube, über zerbröckelten Rosmarin und seidene Brauttracht rieselnd … der Mond hat mir erzählt. Und die alte Schäferuhr im Glasgehäuse hat eine liebe Stimme, wenn es dusend geworden ist.

Vielleicht ist es wahr?

Vielleicht auch, daß ich mich verhört habe, denn ich bin ganz gewiß kein Sonntagskind …