Freiheit 

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Aus der Reihe: Themen der Theologie #7
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Freiheit 
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Martin Laube

Freiheit

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG


Inhaltsverzeichnis

 EinführungFreiheit als Thema der Theologie1. Freiheit als Signatur von Christentum und Moderne2. Zur Debattenlage um Begriff und Wirklichkeit der Freiheit3. Überblick über die Beiträge des BandesQuellen- und Literaturverzeichnis

 Altes TestamentZwischen Befreiung und Autonomie. Freiheitsvorstellungen im Alten Testament1. Sprachlicher Befund2. Soziale Freiheit3. Exodus und Befreiung4. Politische und religiöse Freiheit5. Willens- und Entscheidungsfreiheit6. Determination und FreiheitQuellen- und Literaturverzeichnis

 Neues Testament»Zur Freiheit hat uns Christus befreit«. Neutestamentliche Perspektiven1. Der neutestamentliche Befund2. Zur Forschungsgeschichte3. Kontexte von Freiheit in den Briefen des Paulus4. Das Johannesevangelium: Die Wahrheit wird euch frei machen5. Der Jakobusbrief: Das Gesetz der FreiheitQuellen- und Literaturverzeichnis

 KirchengeschichteFreiheit zum Glauben oder Freiheit des Glaubens – Freiheit der Kirche oder Freiheit des Christen. Historische Perspektiven1. Antike Grundlagen2. Frühes Christentum3. Augustin4. Die westliche katholische Kirche5. Die Reformation und ihre Wirkungen6. Kontroverse EntfaltungenQuellen- und Literaturverzeichnis

 Systematische TheologieDie Dialektik der Freiheit. Systematisch-theologische Perspektiven1. Der Freiheitsbegriff im Protestantismus2. Die christentumsgeschichtliche Dimension: Die Wahrnehmung der Folgen von Freiheit3. Die dogmatische Dimension: Die Deutung der Dialektik von Freiheit4. Die ethische Dimension: Die Verantwortung für die Wirklichkeit von Freiheit5. Zur Aktualität des christlichen FreiheitsverständnissesQuellen- und Literaturverzeichnis

 Praktische TheologieDas Pathos der Freiheit. Praktisch-theologische Perspektiven1. Freiheit als Randthema der Praktischen Theologie2. Freiheit als Grundthema der Praktischen TheologieQuellen- und Literaturverzeichnis

 Praktische PhilosophieDas Rätsel der Freiheit. Der Freiheitsbegriff in der Praktischen Philosophie1. Freiheit – ein fremdbeeinflusster Positivbegriff2. Ansatz beim alltäglichen Sprachgebrauch3. Der Gattungsbegriff der Freiheit4. Implikationen des Gattungsbegriffs5. Freiheit und Determinismus als Problem6. Unzureichende Lösungsversuche7. Indeterministisch spezifizierte Freiheitsbegriffe8. Die konsequent deterministische Position und ihre ProblemeQuellen- und Literaturverzeichnis

 Politische Philosophie»Freiheit« in der sozialen und politischen Philosophie1. Negative und positive Freiheit2. Libertäre Positionen: Freiheit als negative Freiheit3. Liberale Positionen: Freiheit und Gleichheit4. Republikanische Positionen: Freiheit als die Freiheit von Unterdrückung5. Die feministische Kritik: Freiheit für alle Personen6. Freiheit und Autonomie: Das freie Subjekt7. Politische Freiheit in der pluralistischen GesellschaftQuellen- und Literaturverzeichnis

 ZusammenschauTendenzen und Motive im Verständnis der Freiheit1. Befreiung zur Freiheit2. Endlichkeit der Freiheit3. Ambivalenz der FreiheitQuellen- und Literaturverzeichnis

  Autoren

  Personenregister

  Sachregister

|1|Einführung

Martin Laube

Freiheit als Thema der Theologie
1. Freiheit als Signatur von Christentum und Moderne

»Freiheit ist unser und der Gottheit Höchstes« (Schelling, Urfassung der Philosophie der Offenbarung 79) – in diesem emphatischen Leitspruch aus der Feder des idealistischen Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling bündelt sich das Selbstverständnis der modernen Welt und Gesellschaft. Die Freiheit des Einzelnen, sein Recht zur individuellen Gestaltung des eigenen Lebens, gilt ihr als stolze Errungenschaft und höchster Wert gleichermaßen. In der politischen Arena wird um die angemessene Verwirklichung dieser Freiheit gestritten: Jede demokratische Partei schreibt sich den entschlossenen Einsatz für sie auf die Fahnen – sei es durch Maßnahmen zu ihrer rechtlichen Sicherung, sei es durch Schaffung der notwendigen sozial-ökonomischen Grundlagen, um sie für alle zugänglich zu machen. Nicht nur die aktuellen ethischen Debatten stehen im Bann des Ideals individueller Autonomie und Selbstbestimmung; jeder Einzelne nimmt geradezu selbstverständlich für sich in Anspruch, sein Leben selbst führen und gestalten zu können. Das schließt die Übernahme ethischer Werthaltungen und Bindungen nicht aus, wohl aber müssen diese als Ausdruck von statt als Widerspruch zu eigenen Einstellungen und Entscheidungen verstanden werden können. Ob schließlich im Feuilleton, in der Werbung oder auf dem Boulevard – die gleichsam ubiquitäre Imaginierung und Inszenierung der Freiheit im Großen und der Freiheiten im Kleinen prägt den kulturellen Lebensstil der Bürger, Kunden und Konsumenten. Über alle Unterschiede und Gräben |2|hinweg findet die westliche Moderne im Symbol der Freiheit ihr charakteristisches Identitätsmerkmal. Dazu gehört nicht zuletzt die Deutung der eigenen Geschichte als religiöse, politische und soziale Freiheitsgeschichte: »Nur im Westen«, so nimmt der Soziologe Orlando Patterson die Losung Schellings auf, »stieg das Wort zu den kostbarsten Ausdrücken der ganzen Sprache auf, vergleichbar allenfalls noch mit dem Namen Gottes« (Patterson 2005: 168).

Der religiöse Oberton ist dabei alles andere als zufällig. Denn so sehr die Moderne als Zeitalter der Freiheit gilt, so sehr versteht sich nun zugleich das Christentum als Religion der Freiheit. Bereits im Alten Testament nimmt das Freiheitsmotiv eine zentrale Stellung ein. Die Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten bildet das Grunddatum der Geschichte Israels. Im Spiegel der Erinnerung an diese Rettungstat erscheint Israel als das von Jahwe erwählte und zur Freiheit berufene Gottesvolk. Das Neue Testament führt diese Linie fort. Hier ist es vor allem Paulus, der das in Christus vollbrachte Heil als ein Befreiungsgeschehen beschreibt: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Gal 5,1). Der Glaube versetzt den Menschen aus der Knechtschaft des Gesetzes in die Freiheit der Kinder Gottes (vgl. Röm 8,21); er erhält darin Anteil an der von Christus erwirkten Befreiung von den Mächten der Sünde und des Todes.

Die paulinische Hochschätzung der Freiheit übt nicht nur auf die altkirchliche Theologie einen maßgeblichen Einfluss aus; mit dem abendländischen Siegeszug des Christentums findet sie zudem Eingang in die institutionellen Fundamente der mittelalterlichen Kultur und Gesellschaft. Die Reformation markiert sodann eine neue Epoche in der Geschichte des christlichen Freiheitsgedankens. Sie erklärt die libertas christiana – die in Gott begründete Freiheit eines Christenmenschen – zum zentralen Kennzeichen des christlichen Glaubens. Dabei schreibt sie dieser Freiheit zugleich einen kritisch-emanzipativen Richtungssinn ein. »Der Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan« (Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen 239) – in diese berühmte Doppelthese bündelt Martin Luther das Leitmotiv christlicher Freiheit, im Glauben allen irdischen, auch kirchlichen Autoritäten enthoben und dadurch zu selbständig |3|verantworteter Wahrnehmung des Christlichen im Dienst am Nächsten befreit zu sein. Die reformatorische Entdeckung, dass Religion und Freiheit elementar zusammengehören, prägt in der Folge das Selbstverständnis des Protestantismus auf seinem Weg in die Moderne. Dabei kann der Siegeszug des neuzeitlichen Autonomiegedankens ebenso nachdrücklich als Verwirklichung der christlichen Freiheit gefeiert wie umgekehrt als deren heillose Verkehrung gebrandmarkt werden. Über alle solchen Differenzen und Spaltungen hinweg ist es jedoch die gemeinsame Berufung auf die libertas christiana, welche das entscheidende Identitätsmerkmal des protestantischen Christentums ausmacht.

2. Zur Debattenlage um Begriff und Wirklichkeit der Freiheit

Doch so unbestritten der Freiheitsbegriff im Mittelpunkt von Moderne und Christentum steht, so umstritten ist zugleich, was daraus folgt – und was überhaupt jeweils unter Freiheit soll verstanden werden können. Auch wenn der Ruf nach Freiheit eine geradezu unwiderstehliche Faszinationskraft ausübt, bieten die zahlreichen und weitverzweigten Debatten um Begriff und Wirklichkeit der Freiheit ein irritierend unübersichtliches Bild.

 

Davon zeugt zum Ersten die schillernde und nur schwer greifbare Vieldeutigkeit des Freiheitsbegriffs selbst: Ob Unabhängigkeit, Spontaneität, Emanzipation oder Selbstbestimmung – er führt eine ganze Palette von Synonymen mit sich, die auf seine inhaltliche Mehrdimensionalität verweisen und zugleich je unterschiedliche Akzente setzen. So hat er seine geschichtlichen Wurzeln im politisch-sozialen Bereich. Erwachsen aus der elementaren Erfahrung von Unfreiheit und Unterdrückung, bezeichnet Freiheit zunächst die Unabhängigkeit von äußerem Zwang und das Recht zur individuellen Selbstbestimmung, das zugleich eine mögliche Beteiligung an der politischen Willensbildung einschließt. In diesem Sinne ist frei, wer tatsächlich tun kann, was er tun will. Die subjektiv-praktische Dimension des Freiheitsbegriffs verlagert den Blick demgegenüber nach innen. Nun geht es nicht mehr um die äußere, institutionell geordnete und rechtlich gesicherte Ebene der |4|Handlungsfreiheit, sondern um die innere, nur dem Selbstverhältnis zugängliche Ebene der Willensfreiheit. In Frage steht nicht mehr das Können, sondern vielmehr das Wollen: Frei ist, wer tatsächlich tun will, was er tun kann. Entsprechend wird Freiheit hier als Fähigkeit zur praktischen Selbstbestimmung gefasst. Sie kann ihren Niederschlag in einer inneren Unabhängigkeit gegenüber äußeren Ansprüchen und Zwängen finden. Vor allem aber wird sie überall dort sichtbar, wo sich der Einzelne als verantwortlicher Urheber seines Tuns begreift – und mithin zurechnet, aus freiem Willen und eigenem Entschluss heraus gehandelt zu haben. Die Frage nach dem Grund solcher Freiheit leitet schließlich zur transzendentalen Dimension des Freiheitsbegriffs über. Hier geht es darum, ob und in welcher Weise es des Rückgangs auf einen absoluten Grund bedarf, um die freie Willensentscheidung eines Menschen von deterministischem Zwang und zufälliger Willkür gleichermaßen unterscheiden zu können.

Erschwerend kommt zweitens hinzu, dass die Freiheit von einer elementaren Grundspannung durchzogen ist. Sie steht in der Gefahr permanenter Selbstverfehlung; im Zuge ihrer Verwirklichung kehrt sie sich gleichsam gegen sich selbst. So kann von Freiheit nur dort die Rede sein, wo ein Spektrum alternativer Handlungsoptionen offensteht. Zugleich gewinnt sie erst dann Gestalt, wenn eine dieser Optionen ergriffen und damit die anfängliche Auswahlmöglichkeit faktisch widerrufen wird. Anders formuliert: Freiheit setzt Alternativen voraus, realisiert sich aber gerade durch den Ausschluss von Alternativen. Das mag zunächst trivial erscheinen, verweist jedoch auf eine grundlegende Ambivalenz: Offenkundig trägt die Freiheit den Keim in sich, jederzeit in Unfreiheit umschlagen zu können. Der Ruf nach Verwirklichung und das Risiko der Verfehlung liegen eng beieinander. In der Unterscheidung von positiver und negativer Freiheit findet diese Ambivalenz ihren sichtbaren Ausdruck: Während sich die negative Freiheit von auf die bloße Abwesenheit äußerer und innerer Zwänge beschränkt – und insofern völlig inhaltsleer bleibt –, umfasst die positive Freiheit zu die Fähigkeit zur Umsetzung bestimmter Ziele und Interessen. Was dabei zunächst wie zwei einander ergänzende Aspekte des Freiheitsbegriffs erscheint – dort die Möglichkeit, hier die Wirklichkeit von Freiheit –, erweist sich |5|bei genauerem Hinsehen als gegenläufiges Spannungsverhältnis. Die negative Freiheit bezeichnet einen Schutzraum, an dem äußere Herrschaftsansprüche ihre Grenzen finden; demgegenüber hebt die positive Freiheit darauf ab, eigene Wünsche und Entscheidungen auch durchsetzen zu können. Anders formuliert: Im einen Fall geht es um kritische Machtbeschränkung, im anderen Fall um souveräne Machtausübung. Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass beide Seiten nicht voneinander getrennt werden können. So sehr jede Freiheit ein negatives Rückzugsmoment einschließt, so wenig ist umgekehrt eine Freiheit denkbar, die gänzlich ohne positive Gestaltungsmöglichkeiten auskäme. Damit gehört die fragile Balance zwischen Machtausübung und Machtbeschränkung zum Begriff der Freiheit selbst hinzu: Jeder Anspruch auf Realisierung von Freiheit gefährdet zugleich, was er zu schützen vorgibt.

Zur Unübersichtlichkeit der gegenwärtigen Diskussionslage trägt drittens die Disparatheit der vielerorts ausgetragenen Freiheitsdebatten bei. Nicht nur in der Theologie, Philosophie und Soziologie, sondern auch in den Literatur-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften werden intensive Auseinandersetzungen über das Verständnis von Freiheit geführt. Doch zum einen laufen diese Auseinandersetzungen nahezu berührungslos nebeneinander her: Bei der gegenwärtig abklingenden Kontroverse um die Willensfreiheit handelt es sich – aller öffentlichen Aufmerksamkeit zum Trotz – um einen klar umgrenzten fachphilosophischen Diskurs, der nicht einmal innerhalb der eigenen Disziplin anschlussfähig vernetzt ist. Im Gegenzug wird etwa die wirtschaftswissenschaftliche Frage nach dem systematischen Stellenwert der individuellen Wahl- und Handlungsfreiheit in der ökonomischen Theoriebildung ohne Rekurs auf entsprechende Diskussionen in benachbarten Fächern bearbeitet. Zum anderen scheint die einzige Gemeinsamkeit jener weitgefächerten Freiheitsdebatten darin zu bestehen, dass in ihnen höchst unterschiedliche, wenn nicht gar gegenläufige Interessenlagen und Zielsetzungen aufeinanderstoßen. Darin gelangt nicht zuletzt die notorische Unbestimmtheit des Freiheitsbegriffs zu sichtbarem Ausdruck. So ist ein erster Strang auf die Realisierung und Verwirklichung von Freiheit ausgerichtet. Nicht nur in der politischen Philosophie, sondern vor allem in der Ethik finden sich zahlreiche |6|Ansätze, welche auf die konsequente Ermöglichung und Durchsetzung individueller Freiheitsrechte gestimmt sind. Diesem Ruf nach einem Mehr an Freiheit treten im Gegenzug allerdings Positionen entgegen, die gerade ein Zuviel statt Zuwenig an Freiheit beklagen. Sie verweisen auf die problematischen Nebenwirkungen der Freiheit, welche sich individuell als Überforderung und gesellschaftlich als Desintegration äußerten. Die Agenda lautet hier auf Disziplinierung statt Realisierung der Freiheit. In diesem Sinne verschiebt sich etwa in der politischen Philosophie die Balance der französischen Trias von liberté, égalité und fraternité auffällig zugunsten der letzten beiden Glieder; die Sozialphilosophie betont die Angewiesenheit der Freiheit auf die fortdauernde Präsenz eines normativ-moralischen Hintergrundrahmens; und in der Rechtswissenschaft kreist die Grundrechtsdiskussion verstärkt um die Frage, ob angesichts der fortschreitenden Pluralisierung des gesellschaftlichen Lebens die Schutzbereiche der Freiheitsrechte nicht enger gezogen werden müssen. Ein dritter Strang nimmt hingegen den Begriff der Freiheit selbst in den Blick und arbeitet sich – nach dem Scheitern aller idealistischen Begründungsversuche – an der Einsicht in ihre paradoxe Fragilität ab: Sie ist sich selbst bleibend entzogen und hat doch die eigene Grundlosigkeit im aktuellen Vollzug immer schon überwunden – mit der Pointe freilich, dass sowohl die Bestimmungen, die sie aus sich entlässt, als auch die Bestimmungen, unter die sie sich stellt, nur durch den kontingenten Freiheitsvollzug selbst stabilisiert werden. Vor allem in der Theologie und Philosophie, aber auch in den Literaturwissenschaften gilt das Interesse so dem oszillierenden Ineinander von Freiheit und Ordnung, Kreativität und Form.

Schließlich fällt viertens eine eigentümliche Ambivalenz des gesellschaftlichen Freiheitsbewusstseins ins Auge. Auf der einen Seite gilt die Freiheit als höchste Errungenschaft und zentraler Leitwert der westlichen Moderne. In der eigenen Lebensführung wird sie geradezu selbstverständlich vorausgesetzt und in Anspruch genommen. Der Ruf nach gesellschaftlicher Realisierung von Freiheit prägt das weite Feld der politischen Auseinandersetzungen und Debatten. Auf der anderen Seite wird diese allgemeine Hochschätzung der Freiheit zugleich eigentümlich konterkariert. So mehren sich die Stimmen, welche die modernen Freiheitsräume des Einzelnen|7| zunehmend als Belastung empfinden. Der massive Zuwachs an Handlungs- und Wahlmöglichkeiten verschärft die Nötigung, Entscheidungen treffen und Verzicht üben zu müssen. In der Folge schlägt die Freiheit nahezu ins Gegenteil um: Statt von Zwang und Last zu befreien, erscheint sie selbst als Zwang und Last. Daneben tritt der auffällige Umstand, dass im Rücken der politischen Freiheitsrhetorik ein naturalistisch-deterministisches Weltbild an Boden gewinnt, welches dem Menschen das Vermögen zu einer solchen Freiheit gerade bestreitet. Exemplarisch dafür stehen die Ambitionen der Hirnforschung, die menschliche Willensfreiheit als bloße Illusion zu entlarven. In diesen Zusammenhang gehören aber auch die zahlreichen Versuche, menschliche Entscheidungen auf entwicklungsbiologische, tiefenpsychologische oder genetische Faktoren und Determinanten zurückzuführen. Zugespitzt formuliert: »Das emanzipatorische freiheitsfördernde Interesse der Moderne wird durch ihre destruktiven Tendenzen konterkariert, die den Freiheitsgewinn des homo politicus im gleichen Zug durch die überaus skeptische Einschätzung seiner anthropologischen Möglichkeiten paralysieren. […] Der Begriff ›Freiheit‹ wird zum Schlüsselwort einer verbreiteten Einstellung, die lautstark etwas fordert, wozu sie dem Menschen insgeheim die Fähigkeit abspricht« (Schockenhoff 2007: 21–23).

Die skizzierte Vieldeutigkeit des Freiheitsbegriffs, seine innere Dialektik und die äußere Disparatheit der Beschäftigung mit ihm machen nun zum einen verständlich, warum es auch in der Theologie kein geschlossenes Lehrstück zum Thema ›Freiheit‹ gibt. Sie ist vielmehr ortlos und omnipräsent zugleich. Das neuzeitliche Selbstverständnis des Protestantismus als ›Religion der Freiheit‹ bringt es zwar mit sich, dass nahezu alle theologischen Debatten und Problemzusammenhänge auf hintergründig wirksame freiheitstheoretische Implikationen und Bezüge hin aufgeschlüsselt werden können. Eben deshalb entzieht sich die Freiheit aber zugleich allen Versuchen ihrer thematischen Disziplinierung. Es gibt keinen festumrissenen Lehrbestand, der als Rahmen genutzt werden könnte, um die vielfältigen theologischen Traditionslinien und Debattenstränge übersichtlich zu ordnen und auf die gegenwärtige, ihrerseits komplexe Diskussionslage zu beziehen.

|8|Zum anderen schlägt sich darin der Umstand nieder, dass die Grundfrage nach dem Verhältnis des christlichen Freiheitsgedankens zum spezifisch neuzeitlichen Spektrum des Freiheitsbegriffs bisher keine allgemein geteilte Antwort gefunden hat. Lässt sich hier ein – wie spannungsvoll auch immer gelagerter – Zusammenhang aufweisen, oder stehen beide in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander? Die Frage ist keineswegs nur von geschichtlichem Interesse; mit ihr steht zugleich die Selbstverortung des Christentums im Horizont der eigenen Gegenwart zur Debatte. Findet die christliche Freiheit in der neuzeitlichen Autonomie ihre legitime Realisierungsgestalt, so dass die Moderne insgesamt als eine weitere Etappe innerhalb der Geschichte des Christentums begriffen werden kann? Oder verdankt sich die Durchsetzung des Autonomieideals gerade dem erklärten Widerspruch gegen die christliche Tradition und Überlieferung, so dass Moderne und Christentum einander mit wechselseitigen Überbietungsansprüchen gegenüberstehen? Mit der ungeklärten Debattenlage hängt schließlich noch ein letzter Punkt zusammen: Auch die Frage nach dem charakteristischen Profil oder spezifischen ›Mehrwert‹ des christlichen Freiheitsverständnisses setzt eine Verhältnisbestimmung zum neuzeitlich-modernen Freiheitsbegriff voraus. So wird man wohl von der Vorstellung Abstand nehmen müssen, dass dem Christentum als solchem ein höheres Wissen im Umgang mit der Freiheit eignet. Dazu haben sich die verschiedenen Traditionslinien zu sehr ineinander verwoben. Dennoch wird zu überlegen sein, ob ein besonderer Vorzug des christlichen Freiheitsverständnisses vielleicht darin liegen könnte, aus dem Bewusstsein um die Spannungen und Abgründe der Freiheit zugleich die Kraft für ihre lebendige Gestaltung zu schöpfen. Anders formuliert: Die christliche Freiheit erschließt eine Wirklichkeit von Freiheit, die allem Nachdenken über deren Möglichkeit uneinholbar vorausliegt.