Freiheit 

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Aus der Reihe: Themen der Theologie #7
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|43|3. Kontexte von Freiheit in den Briefen des Paulus

Mit der Entfaltung des Evangeliums in der missionarischen Verkündigung und in den Briefen an die ersten christlichen Gemeinden betrat Paulus zeitgeschichtlich einen Raum, der durch intensive Freiheitsdiskussionen und -theorien bestimmt war und in dem innerhalb der stoischen Philosophie die Freiheit in die Mitte jeglichen Denkens gestellt worden war. Vollenweider (vgl. Vollenweider 1989: 23–104) orientiert sich in seiner umfassenden Darstellung des Freiheitsverständnisses in der Stoa an der berühmten Rede Epiktets über die Freiheit (Epiktet, Dissertationes IV,1), in der das dominierende Weltbild der hellenistischen Antike zu greifen sei (vgl. Vollenweider 1989: 25). Verbindungslinien zu Paulus fallen sofort ins Auge, wenn etwa von der Freiheit als Gabe Gottes, der Gottessohnschaft des Freien, der Freiheit des Sklaven und der Relation des Freien zum Gesetz gesprochen wird. Das Kennzeichen des stoischen Freiheitsbegriffs ist gerade nicht die willkürliche Realisierung individueller Wünsche (»wie ich will«), sondern im Gegensatz dazu die völlige Unabhängigkeit des Einzelnen von allen Begierden, eine Freiheit von Zwang und äußeren Einflüssen, die einhergeht mit der Einfügung in Gottes Weltordnung. Vollenweider formuliert als ein Ergebnis seiner Untersuchung die These: »Die wirkungsgeschichtliche Schicksalsgemeinschaft von griechischer und christlicher Freiheit hat einen unverkennbaren genetischen Hintergrund: Die paulinische Freiheitsbotschaft verdankt sich historisch gesehen primär dem griechischen Freiheitsgedanken« (ebd. 397). Im Folgenden wird daher bei der Rekonstruktion und Darstellung des paulinischen Freiheitsverständnisses sorgsam darauf zu achten sein, in welchem Verhältnis seine Aussagen zum griechischen Freiheitsgedanken stehen.

Der stoische Weise realisiert die Freiheit, wenn er die Unabhängigkeit von Zwängen und Begierden gewinnt und sich einordnet in die über ihn verfügten Gegebenheiten. Paulus jedoch rekurriert nie auf Freiheitskonzeptionen, die ursprünglich mit der menschlichen Natur verknüpft sind. Seinem Freiheitsverständnis liegt ein Befreiungsgeschehen zugrunde, das mit Jesus Christus verbunden wird und in ihm gründet (vgl. Betz 1994: 116,119). In |44|diesem Befreiungsgeschehen vollzieht sich ein Übergang von der »Knechtschaft« (δουλεία) zur »Freiheit« (ἐλευθερία). Diese Knechtschaft wiederum wird in Verbindung gebracht mit der Sünde, dem Gesetz und der Vergänglichkeit, mit dämonisierten Mächten, ja sie wird in Röm 5,12–21 mit der Schöpfungsgeschichte verknüpft, und dies zeugt insgesamt nicht von einem optimistischen Weltbild (vgl. Betz 1994: 118). Der Gebrauch des Verbs ἐλευθεροῦν (»befreien«) und des Substantivs ἀπελεύθερος (»der Freigelassene«) hat im Blick auf dieses Befreiungsgeschehen einen programmatischen Charakter (vgl. Schnelle 2003: 624). Erstmals in Gal 5,1 und geradezu in formelhafter Verdichtung schreibt Paulus: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit.« Dieser Freiheit steht das Joch der Knechtschaft gegenüber, das die galatischen Christen in diesem Befreiungsgeschehen abgelegt haben. Röm 6,18.22 spricht im Blick auf die Christen von einer Befreiung von der Sünde und Röm 8,2 von einer Befreiung von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Röm 8,21 weitet das Befreiungsgeschehen sogar auf die gesamte Schöpfung aus, die von der »Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes« befreit worden ist. Auch in dem Adjektiv ἀπελεύθερος (»frei«) in 1Kor 7,22 kommt dieses Befreiungsgeschehen zum Ausdruck, da der Sklave als ein Freigelassener des Herrn angesprochen wird. Allerdings fällt bei fast allen angeführten Belegen auf, dass sie diese Freiheit in der Paradoxie einer neuen Bindung nennen, die in einer Knechtschaft zur Gerechtigkeit (vgl. Röm 6,18) oder für Gott (vgl. Röm 6,22), für Christus (vgl. 1Kor 7,22) oder für die Liebe (vgl. Gal 5,13) besteht. Es gehört folglich zur Struktur des paulinischen Freiheitsverständnisses, das Befreiungsgeschehen in paradoxaler Weise mit einer neuen Knechtschaft zu verbinden, so dass der ἐλεύθερος gleichzeitig wieder ein δοῦλος Χριστοῦ (»Sklave Christi«) ist (vgl. 1Kor 7,22).

Dieses Befreiungsgeschehen wurzelt in dem sieghaften Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu, dessen Ertrag als Erlösung, Befreiung oder Loskauf in der Taufe übereignet wird. Einerseits spricht Paulus von einer Befreiung von den als unheilvollen Mächten vorgestellten Gegebenheiten Tod, Sünde und Gesetz (vgl. Röm 5–7), andererseits aber eröffnet diese Befreiung eine neue Gemeinschaft, die kategorial von der Vergangenheit geschieden ist und als neue |45|Schöpfung vorgestellt wird (vgl. 2Kor 5,17; Gal 6,15). Kennzeichen der Neuheit ist u.a., dass in dieser Christusgemeinschaft der soziale Gegensatz von Freien und Sklaven aufgehoben ist (vgl. Gal 3,28; 1Kor 7,22; 12,13).

3.1. Die Korintherbriefe: Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit

In den Briefen an die Gemeinde in Korinth integriert Paulus erstmals und möglicherweise angeregt durch die Vorkommnisse und Bewegungen innerhalb der Gemeinde die Freiheitsthematik in seine Ausführungen. Die Entdifferenzierungsformel in 1Kor 7,19; Gal 3,28; 5,6; 6,15 (vgl. Vollenweider 1997: 503), die ein emanzipatorisches Denken für Sklaven gegenüber Freien, Frauen gegenüber Männern und Heiden gegenüber Juden anregen konnte, stellte die Frage nach der sozialen Wirklichkeit dieser neu gewonnenen Freiheit in Christus. Ein Reflex dieser Diskussion spiegelt sich auch in dem zweimal zitierten Schlagwort »alles ist (mir) erlaubt«, das von Paulus sogleich mit dem Zusatz, »aber nicht alles dient zum Guten« kommentiert wird (1Kor 6,12; 10,23). Es ist vom Kontext beider Stellen her nicht deutlich, auf welche Verhaltensweisen in Korinth dieses Schlagwort appliziert wurde. Jedenfalls war es eine Übertreibung der älteren Forschung, von diesem Schlagwort aus die korinthischen Christinnen und Christen zu Libertinisten im Sinne des griechischen »Tun, wie ich will« oder zu Gnostikern mit absolut weltlicher Indifferenz zu erklären. Wohl aber stellte sich von der Entdifferenzierungsformel her die Frage, welche Auswirkungen die Freiheit etwa für die christlichen Sklaven innerhalb der Gemeinde haben konnte und wie sie auf bestehende Normen im sozialen Zusammenleben (vgl. 1Kor 10,29) wirkte.

In 1Kor 7 bespricht Paulus das Verhältnis bestehender Lebensformen (Ehe, Ehelosigkeit, Witwenschaft, Mischehe, Jungfräulichkeit) zur Berufung oder zur Christwerdung (vgl. 1Kor 7,17) und er scheint hierbei zumindest teilweise auf Anfragen aus Korinth einzugehen (vgl. 1Kor 7,1a). Die Grundlinie dieses Abschnitts und der Argumentation des Paulus liegt in der wiederholt vorgetragenen Aufforderung, in dem gegenwärtigen sozialen und persönlichen |46|Stand zu bleiben (μένειν/»bleiben in«, vgl. 1Kor 7,8.11.20.24.40). Sie soll nicht nur in Korinth, sondern in allen Gemeinden gelten (vgl. 1Kor 7,17b). Freilich sind die sozialen Gegebenheiten nicht absolut festgeschrieben, denn die individuelle Ausrichtung (vgl. 1Kor 7,7), das Triebleben des Einzelnen (vgl. 1Kor 7,9) oder auch der Wille zur Ehescheidung (vgl. 1Kor 7,15) werden berücksichtigt. In diesen Abschnitt ist eine Stellungnahme zu dem denkbaren Fall eingeflochten, dass ein Christ gewordener Sklave die Freilassung erhalten kann (vgl. 1Kor 7,21–23). Soll er sie ergreifen oder ausschlagen? Μᾶλλον χρῆσαι (»nutze es umso mehr«) – rät Paulus, und das bezieht sich wohl auf die Freiheit und nicht auf den Verbleib in der Sklaverei. In diesem Fall ist die durchaus denkbare Ausnahmesituation der Sklavenfreilassung konstruiert. Sollte sie sich ergeben, so darf der Sklave diese Freiheit ergreifen. Es wäre schwer vorstellbar, dass Paulus selbst unter diesen beschriebenen Voraussetzungen zum Bleiben im Sklavenstand auffordern würde. Gleichwohl gilt grundsätzlich die Anweisung, dass der zur christlichen Gemeinde gehörige Sklave sich aus seinem sozialen Stand nichts machen soll, sondern ihn akzeptieren darf (vgl. 1Kor 7,21a). Zur Begründung der hier gebotenen Optionen führt Paulus die Paradoxie an, dass der im Herrn berufene Sklave ein Freigelassener des Herrn ist gleichwie der als Freier Berufene ein Sklave Christi (vgl. 1Kor 7,22). Freiheit besteht und realisiert sich demnach erst in der Bindung an Christus. Für beide Stände – den Freien und den Sklaven – gilt, dass das Erlösungswerk Christi als ein Loskauf oder ein Befreiungsgeschehen interpretiert wird, das ein Verhältnis der Knechtschaft beendet (vgl. 1Kor 7,23). Diese Unabhängigkeit und Freiheit, die zugleich die neue Bindung an Christus impliziert, ist folglich höher zu bewerten als das emanzipatorische Ideal der faktischen, durch Standesänderung erwirkten Freiheit.

Noch deutlicher als in diesen Ausführungen zur Sklavenfrage bewegt sich Paulus im Blick auf sein eigenes Apostolat in 1Kor 9 in einem hellenistischen Verständnis von Freiheit. Er ist möglicherweise durch seinen freiwilligen Verzicht auf das Essen von Götzenopferfleisch (vgl. 1Kor 8,13) angeregt, zu diesem Thema, das er in 1Kor 8,1–13 begonnen hat und in 1Kor 10,1–11,1 fortführt, eine exkursartige Bestimmung seiner eigenen apostolischen Freiheit darzulegen.|47| Diese soll freilich der korinthischen Gemeinde für ihren Umgang miteinander als Vorbild dienen (vgl. 1Kor 11,1), insofern sich im Verzicht auf bestimmte Speisen eine Rücksichtnahme auf das Gewissen anderer Gemeindeglieder bekundet. Ausgangspunkt der Darlegungen ist der an sich ungewöhnliche und ihn von anderen Aposteln unterscheidende Verzicht des Paulus auf den apostolischen Unterhalt durch die Gemeinden und auf weitere Rechte (vgl. 1Kor 9,15; vgl. dazu 1Thess 2,9; 2Kor 11,7–10; Phil 4,10–20). Dies geschah, so legt 1Kor 9,19 dar, in einer freiwilligen Entscheidung und in der Absicht, auf diese Weise missionarisch erfolgreicher zu sein. Nur der Freie kann sich aus eigener Entscheidung in eine Bindung begeben (vgl. 1Kor 9,19). Paulus versteht seine Wirksamkeit grundsätzlich aus einer Bindung an Christus heraus, die er sogar als ἀνάγκη (»Zwang«) anspricht (vgl. 1Kor 9,16). Im Rahmen dieser Bindung bewegt sich die Freiheit zum Verzicht auf Unterhalt. Ausgehend von einer differenzierten Entfaltung der apostolischen Freiheit als einer Bindung an Christus wird die den Darlegungen einleitend vorangestellte Frage »Bin ich nicht frei (oder: ein Freier)?« (1Kor 9,1) beantwortet.

 

In der Beschreibung dieser Freiheit bewegt Paulus sich mehrfach in großer Nähe zu hellenistischen Freiheitskonzeptionen (vgl. Vollenweider 1989: 199–220). Kennzeichen des wahren Philosophen ist in sokratischer Tradition die finanzielle Unabhängigkeit. Xenophon schreibt über Sokrates: »Wer aber Wert auf den Umgang mit ihm legte, von dem nahm er kein Geld. Dadurch glaubte er unabhängiger zu sein. Er nannte Männer, die aus ihrer Lehrtätigkeit ein Geldgeschäft machten, Verkäufer der Freiheit ihrer Person« (Xenophon, Memorabilia I 2,5–7; vgl. außerdem zur Sache auch Seneca, Ad Lucilium Epistulae Morales 108,36). Auch der Verweis auf die ἀνάγκη (vgl. 1Kor 9,16) entstammt der Diskussionslage hellenistischer Freiheitskonzeptionen, denn Zwang und Unfreiheit stellen klassischerweise den Gegensatz schlechthin zur Freiheit dar. Die Interpretation dieses Begriffs in positiver Weise als Bindung an Christus verleiht dem apostolischen Dienst eine Freiheit gerade in der ἀνάγκη. Freiheit und Zwang werden dabei nicht synonym gedacht, wohl aber realisiert sich die Freiheit in der Knechtschaft Christi. Diese Freiheit wird schließlich in einer solch engen Bindung|48| an Christus als ἔννομος Χριστοῦ (»im Gesetz Christi sein«) beschrieben, dass die notwendige Folge eine Relativierung des bestehenden, faktischen νόμος (»Gesetzes«) ist (vgl. 1Kor 9,20f.). Da Paulus in seinem missionarischen Verhalten eine Anpassung an das Gegenüber, seien es Juden, seien es Heiden, praktiziert, etabliert er hiermit ein unumkehrbares Gefälle vom Evangelium zum Gesetz (vgl. Vollenweider 1989: 215).

Die Verknüpfung von Freiheit mit dem Geist des κύριος (»Herr«) bietet Paulus in einer Gnome in 2Kor 3,17b in einem Kontext (2Kor 2,14–4,6), in dem er eine Apologie seines Apostolats entfaltet. Gegenüber Gegnern, die ihm mangelndes Pneumatikertum vorhalten und ihrerseits auf Empfehlungsbriefe zurückgreifen (vgl. 2Kor 3,1), arbeitet Paulus die Antithetik von einerseits Steintafeln und tötendem Buchstaben, andererseits aber lebendig machendem Geist und Freiheit aus. Hierbei greift er auf Ex 34,29–35 zurück, einen Text, der eventuell für die Gegner leitend war und durch sie in die Diskussion eingebracht wurde, der aber daneben bereits in der jüdischen Auslegung intensiv bedacht worden war. Möglicherweise hatte schon sie die Gesetzestafeln oder das Gesetz mit Freiheit verbunden. Darauf deutet die rabbinische Auslegung von Ex 32,16 hin, in der das Studium der Gesetzestafeln mit Freiheit verknüpft worden ist (vgl. mAv 6,2). Demgegenüber orientiert sich die Auslegung des Paulus zunächst an der Decke, die Mose auf sein Angesicht legt, wenn er mit dem Volk spricht. Diesem Brauch unterstellt Paulus zunächst eine Irreführung – das Volk soll das Verblassen des Glanzes auf Moses Angesicht nicht bemerken –; sodann verbindet er ihn mit einer mehrfachen Verstockung Israels, denn diese Decke liegt auf der Verlesung der Schriften des alten Bundes und auf den Herzen der Israeliten. Erst in der Bekehrung zum Herrn, die hier für Mose gedacht wird (vgl. 2Kor 3,16), wird diese Decke entfernt und ein freier Zugang zum κύριος ermöglicht. War in der jüdischen Überlieferung ein himmlischer Aufstieg Moses beschrieben und – paradigmatisch für das Volk – als möglich dargestellt, so erklärt die Auslegung des Paulus demgegenüber die Bindung des Mose an die Gesetzestafeln als todbringend, um ausschließlich in der Hinwendung zu Christus durch die Vermittlung seines Geistes die Erlangung von Freiheit anzusagen.

|49|Vollenweider legt seiner Auslegung dieses Abschnitts die Prämisse zugrunde, dass Paulus in den Korintherbriefen das Verhältnis der Freiheit zur Vergangenheit aufarbeitet und in diesem Text das theologische Problem des Gesetzes thematisiert (vgl. Vollenweider 1989: 269). Zumindest aber erhebe sich die akute Frage nach dem christlichen Umgang mit dem Gesetz (vgl. ebd. 284). Darauf deuten die mosaischen steinernen Gesetzestafeln (vgl. 2Kor 3,7), der Buchstabe (vgl. 2Kor 3,6) und die Nähe zu Röm 7f. hin, insofern auch in diesem Text die verurteilende und tötende Funktion des Gesetzes angesprochen ist. Demgegenüber lehnt Jones (vgl. Jones 1987: 61–67; ihm folgend Schnelle 2003: 273) jeglichen Bezug auf das Gesetz ab. Es gehe ausschließlich darum, die Freiheit als παρρησία (»Offenheit«) (vgl. 2Kor 3,12) zu qualifizieren. Hierbei legt Jones Wert auf den Nachweis, dass ἐλευθερία (»Freiheit«) und παρρησία (»Offenheit«) im hellenistischen Sprachgebrauch in großer Nähe zueinander stehen, ja oftmals auch synonym gebraucht werden (vgl. Jones 1987: 61–67). Eine Eingrenzung dieser Freiheit als Freiheit gegenüber dem Gesetz wäre eine unangemessene Einengung. Die Gesetzesfrage wird in der Tat in 2Kor 3 nicht explizit angesprochen. Es scheint Paulus eher um die Verstockung Israels zu gehen, die mit Mose und der Lektüre der Tora gegeben ist, auch wenn Mose innerhalb der jüdischen Tradition – von Paulus partiell zugestanden (vgl. 2Kor 3,9–11) – als Mystagoge des himmlischen Aufstiegs galt. Die Bindung an Mose führt, so die radikale These des Textes, nicht zur Freiheit, sondern zur Verurteilung und zum Tod.

3.2. Der Galaterbrief: Die Freiheit in Christus und die Sklaverei unter dem Gesetz

Die Freiheitsthematik wird im Galaterbrief in der narratio (»im erzählenden Teil«) des Schreibens eingeführt, indem Paulus seinen Bericht über den zurückliegenden Apostelkonvent unter einen fundamentalen Gegensatz stellt: Er nimmt für sich und sein Auftreten auf dem Konvent eine Freiheit in Anspruch, die er in Christus Jesus hat, und grenzt sie scharf von dem Versuch einer namentlich nicht genannten Partei ab, deren Ansinnen er als Versklavung bewertet (vgl. Gal 2,4). Konkret geht es in seinem Bericht um die Frage, |50|die zunächst auf dem Konvent (vgl. Apg 15,1; Gal 2,3) und jetzt auch in Galatien aufkam, ob Heidenchristen beschnitten werden (vgl. Gal 5,1–6; 6,12f.) und ob sie weitere kultische Gebote (vgl. Gal 4,10) halten müssen. Paulus, der Apostel der Heiden, hatte in seiner Mission und in Übereinstimmung mit Grundsätzen der Gemeinde Antiochias Heidenchristen von den Identitätsmerkmalen jüdischer Existenz, zumal im paganen Raum, entbunden. Er hatte damit zur Durchsetzung und Legitimität eines Heidenchristentums neben einem Judenchristentum beigetragen. Mag es auch nach den Berichten über den Apostelkonvent so scheinen (vgl. Gal 2,1–10; Apg 15,1–35), als habe man hier eine Anerkenntnis, zumindest aber einen Kompromiss oder Ausgleich zwischen beiden Varianten gefunden, so zeigt die Entwicklung in den heidenchristlichen Gemeinden, dass Anfragen, Maßnahmen, ja scharfer Antipaulinismus seitens des Judenchristentums ab jetzt die Mission des Paulus begleiten. Das in der narratio erwähnte Selbstverständnis, nämlich die Freiheit, die Paulus in Christus hat, wird im argumentativen Abschnitt des Briefes aufgenommen und ab Gal 4,21 kämpferisch, bisweilen polemisch entfaltet.

Natürlich richtet sich der Blick schnell auf die beiden Thesen in Gal 5,1 und 13, die wie bereits vor Abfassung des Briefes formulierte Lehraussagen erscheinen. Einerseits: »Zur Freiheit hat uns Christus befreit« (Gal 5,1). Das Substantiv Freiheit und das Verb befreien rahmen das Objekt »uns« und das Subjekt »Christus«. Wie aber und wo und wann hat Christus uns – Paulus denkt hierbei an die christlichen Gemeinden – befreit? Wovon hat er sie befreit? Ist der Gegenbegriff der Freiheit notwendig derjenige der Gefangenschaft? Andererseits: »Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen« (Gal 5,13). In beiden Worten erscheint die Freiheit als ein absolutes Gut, erwirkt von Christus, übereignet in der Berufung, aber auch als die Folge eines Befreiungsgeschehens. Die Freiheit, die Paulus in Christus hat (vgl. Gal 2,4), zu der Christus befreit hat (vgl. Gal 5,1), zu der Gott berufen hat (vgl. Gal 5,13), erscheint weiter und fundamentaler, als dass sie ausschließlich auf die Freiheit vom Gesetz einzuengen wäre (vgl. Dautzenberg 2001: 75). Diese Freiheit kann wieder verloren werden, wenn Versklavung diese Freiheit einengt (vgl. Gal 2,4) oder wenn die heidenchristlichen Gemeinden in Galatien|51| erneut (!) unter ein Joch der Sklaverei gepresst werden (vgl. Gal 5,1b).

Da die galatischen Gemeinden zuvor nicht unter dem Joch des mosaischen Gesetzes standen, empfiehlt es sich aus dieser Einsicht, aber auch aus anderen Gründen heraus nicht, den Freiheitsbegriff und die Freiheitspredigt des Galaterbriefs ausschließlich als Freiheit vom Gesetz zu verstehen (vgl. Jones 1992: 858). Natürlich appliziert Paulus Freiheit auf die Forderung, den Heidenchristen ein Leben unter der Tora aufzuerlegen (vgl. Gal 5,2–4). Aber er warnt gleichfalls vor einem entgrenzten Freiheitsverständnis, das sich in seiner Lebensausrichtung jeglicher Normen entledigt und die Freiheit als Deckmantel für die σάρξ (»das Fleisch«) (vgl. Gal 5,13) oder das Böse gebraucht (so 1Petr 2,16 in großer Nähe zur Position des Paulus). Als Freie oder als Befreite sollen die Christen Sklaven sein, nämlich in Liebe einander dienen (vgl. Gal 5,14 und in ähnlichem Kontext auch 1Petr 2,17; vgl. bereits zuvor 1Kor 10,29). Damit hält Paulus auch für die Heidenchristen eine schmale Bindung an die Tora aufrecht, da das Liebesgebot explizit als Teil der Tora zitiert wird (vgl. Gal 5,14). Er folgt damit einem differenzierten Modell. Frei sind die Heidenchristen von dem Fluch des Gesetzes (vgl. Gal 3,13), der in der verurteilenden Funktion des Gesetzes bestand. Frei sind die galatischen Christen von der Tora, sofern sie mittels der Beschneidung in den Abrahambund als den Beschneidungsbund eingegliedert werden sollen. Die neue Schöpfung in Christus hat die Differenz von beschnitten und unbeschnitten aufgehoben (vgl. Gal 6,15). In einer allegorisierend-typologischen Interpretation werden in Gal 4,21–31 die galatischen Christen als die wahren, die eigentlichen Abrahamskinder angesprochen. Allerdings sind sie Kinder der Freien und Kinder der Verheißung, während Israel und die judenchristlichen Missionare demgegenüber im Sinaibund Kinder der Sklavin und Kinder der Knechtschaft bleiben.