Selbstbestimmt und effizient lernen

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Selbstbestimmt

und effizient lernen

Wie die Neurowissenschaften

uns dabei helfen können

Autorin: Magdalena Kuntermann


Verlag: FQL Publishing, München

Buch: ISBN 978-3-947104-81-9

eBook: ISBN 978-3-947104-82-6

Buchreihe: GEHIRN-WISSEN KOMPAKT

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Grafiken ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Herausgebers gestattet. In diesem Buch werden u.U. eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen.

Autorin


Magdalena Kuntermann

Gehirn-gerechtes Lernen und Lehren ist seit Jahrzehnten ihr Metier. Früher als Gymnasiallehrerin (Chemie und Physik), heute als Referentin und Coach in Aus- und Weiterbildung.

Sie ist Autorin der Bücher „Lern-Werkzeug, Lernen mit Begeisterung“ und „Erfolgreich lernen, entspannt lehren“, entwickelt Lernspiele und Lern-Werkzeuge.

Als Master of Cognitive Neuroscience (aon) sorgt sie in ihrer Arbeit mit Lehrenden dafür, dass Erkenntnisse der kognitiven Neurowissenschaften im alltäglichen Lernen Anwendung finden.

Dieses Büchlein wendet sich an Lernende und Lehrende. Sie werden in sechs Schritten durch den Lernprozess begleitet und erfahren, wie man eigenverantwortlich und selbstbestimmt lernt und sein geistiges Potenzial dabei entfalten kann, wie und warum es funktioniert.

Lehrende finden hier das neurowissenschaftliche Hintergrundwissen gehirn-gerechter Vorgehensweisen und können damit anderen helfen, autonom zu lernen und selbst gehirn-gerecht lehren.

Über dieses Buch

Effizient lernen heißt nicht, in dieser ohnehin sehr hektischen Zeit noch mehr in noch kürzeren Zeitintervallen hineinzupacken. Das Büchlein zeigt vielmehr, wie man die zur Verfügung stehende Zeit unter Berücksichtigung neurowissenschaftlicher Erkenntnisse optimal nutzen kann, um seine lebensumspannende Bildungsbiografie selbst zu gestalten.

In diesem Büchlein erfahren wir, wie Lernen funktioniert und was sich in unserem Gehirn dabei verändert. Welche Rolle spielt unsere Aufmerksamkeit? Können wir sie lenken? Wie wichtig ist ein gutes Arbeitsgedächtnis? Wie können wir uns und andere motivieren? Geht das überhaupt? Wodurch unterscheiden sich jüngere von älteren Gehirnen?

Das Buch führt in 6 Schritten durch den Lernprozess, ein Leitfaden, der dem Lernenden hilft, auf dem Weg zu bleiben. Alle Vorgehensweisen sind neurowissenschaftlich belegt, von der Zielformulierung über die Planung und Durchführung bis hin zur Zusammenfassung und Prozessreflexion. Mit gehirn-gerechten Lern-Werkzeugen lassen sich die üblichen Lernhindernisse auf dem Weg zum Ziel überwinden. Wer autonom aus einer gut bestückten Lern-Werkzeug-Kiste wählen kann und versteht, was dabei in unserem Dachstübchen passiert, wird gerne bis ins hohe Alter lernen und sich dabei selbstwirksam erleben.

Vorwort

Es ist mir ein Herzensanliegen, gehirn-gerechte Arbeitsweisen unter die Menschen zu bringen. Wir lernen vom ersten Atemzug an. Nein, schon vorher. Lernen bestimmt unser Leben bis ins hohe Alter. Dennoch ist es uns gelungen, diesen Begriff negativ zu besetzen.

Wir wissen alle, dass wir um lebenslanges Lernen nicht herumkommen. Wir wollen lernen, denn wir haben ja noch etwas vor in unserem Leben. Leider sind die hehren Ziele, die wir uns setzen, in einem anderen Gehirnteil verortet als unser Motivations- und Belohnungssystem, die weitgehend unbewusst und im hier und jetzt arbeiten. Deshalb verliert die Aussicht auf eine Urkunde in einigen Jahren oft gegen den Kinobesuch heute.

Wenn wir aber wissen, wie unsere Denkzentrale arbeitet, können wir Abhilfe schaffen und gleichzeitig Regisseur und Akteur unserer eigenen Bildungsbiografie sein. Wir können unabhängig von vorgegebenen Mustern unseren Lernprozess selbst gestalten, unseren eigenen Bedürfnissen entsprechend. Personalisiertes Lernen. Das älter werdende Gehirn kann die nachlassenden kognitiven Fähigkeiten durch effizientere Vorgehensweisen (zumindest teilweise) kompensieren.

Der Zugang zum Wissen dieser Welt war noch nie so einfach wie heute. Gehirn-gerecht kann sich jeder dieses Wissen selbstbestimmt erschließen. Ein Leben lang. Diesen Weg aufzuzeigen, darum geht es mir.

Magdalena Kuntermann

Hürth, im November 2020

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was passiert im Kopf beim Lernen?

2.1 Impulsweiterleitung im Gehirn

2.2 Konsolidieren oder Lernen im Schlaf

2.3 Aufmerksamkeit

2.4 Arbeitsgedächtnis

2.5 Organisation des Gedächtnisses

2.6 Neuroplastizität

2.7 Motivation

3. Den Lernprozess strukturieren

3.1 Das Ziel

3.1.1 Brauchen wir ein Ziel?

3.1.2 Die Art der Zielsetzung

3.1.3 Die Zielformulierung

3.1.4 Die Zielformulierung für kleine Lerneinheiten

3.1.5 Anwendung in der Praxis

3.2 Fragen

3.2.1 Was bewirkt Neugierde in unserem Gehirn?

3.2.2 Was wissen Sie (weiß ich) bereits zu diesem Thema?

3.2.3 Was möchten Sie (möchte ich) zu diesem Thema gerne wissen?

3.3 Planen

3.4 Handeln

3.5 Zusammenfassung

3.6 Bewertung

4. Lern-Werkzeuge

4.1 Was sind Lern-Werkzeuge und wofür brauchen wir sie?

4.2 Das Arbeitsgedächtnis unterstützen

4.2.1 Akronyme

4.2.2 Akrostycha

4.2.3 Allgemeine Eselsbrücken

4.2.4 Kategoriesieren

4.3. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte - 4.3.1 Die Macht der Bilder

4.3.2 Radiale Strukturen

4.3.3 Wortbilder

4.3.4 ... und andere Bilder

4.4. Ordnung im Kopf

4.5 Handelndes Lernen

4.6 Was man sonst noch tun kann

5. Resümee

6. Abbildungsverzeichnis

7. Abkürzungsverzeichnis

8. Literaturverzeichnis

9. Fußnotenverzeichnis

1. Einleitung

Am Übergang zur Wissensgesellschaft ist lebenslanges Lernen ein aktuelles Thema. Das Wissen der Welt wächst rasant. Immer mehr wirtschaftliche Prozesse erfordern in steigendem Maße neue Qualifikationen und Kompetenzen, Flexibilität, Kreativität, Eigenverantwortung, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit. Kurzum wirtschaftlich nutzbares Wissen ist eine wertvolle Ressource. Dieses Mehr an Wissen und Können soll natürlich einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht zuteilwerden. Dazu bedarf es eines selektiven und effizienten Umgangs mit der sogenannten „Informationsflut“. Das macht lebenslanges Lernen notwendig.

 

Immer mehr Menschen nehmen die Entwicklung ihres geistigen Potentials und ihrer Persönlichkeit selbst in die Hand und beschließen, eigenständig ihren lebensumspannenden Lernprozess zu planen und ihre individuelle Bildungsbiographie selbst zu gestalten.

In der Schule sind Curricula und Didaktik weitgehend vorgeschrieben, was unweigerlich dazu führt, dass man in der Schule nicht selbständig lernen lernt. Lebenslanges Lernen heißt aber nicht, wie bisher nur lebenslang. Das macht kein Mensch freiwillig. Hinzu kommt, dass die Begriffe Lernen und Schule häufig negativ besetzt sind.

Die Menschen haben die Notwendigkeit lebenslangen Lernens erkannt, sie wollen lernen. Da sie das meist freiwillig aus eigener Initiative machen, fehlt es ihnen auch nicht an Motivation. Sie haben aber nirgends gelernt, wie man sich hirngerecht selbst Wissen erschließen kann, wie man nachhaltig und effizient lernt, so dass man Beruf, Alltag und Weiterbildung unter einen Hut bringen kann, ohne dabei krank zu werden.

Bei den ersten Schwierigkeiten geben Menschen sehr schnell auf, aus mangelnder Frustrationstoleranz, aus mangelnder Stressverarbeitungskompetenz, aus mangelnder Selbstmotivation und ähnlichen Gründen. Sie wissen nicht, wie sie die vorhandenen Hürden überwinden können.

Um diese beschriebenen Probleme zu lösen, benötigen Lernende ein großes Ziel, das für die nötige Motivation sorgt. Außerdem ist ein Leitfaden notwendig, eine Art Navigationshilfe durch den Lernprozess, so dass selbstbestimmtes, autonomes Lernen möglich ist, das Ziel aber nicht aus den Augen verloren wird. Des Weiteren bedarf es gehirn-gerechter Lernhilfen, um die kleineren Hürden auf dem Weg zum Ziel zu überwinden, Lern-Werkzeuge, die wie ein Katalysator wirken, der die notwendige Aktivierungsenergie herabsetzt.

Diese Arbeit zeigt, was im Gehirn beim Lernen1 passiert und wie diese Erkenntnisse beim Planen des Lernprozesses bedacht werden können.

Es wird ein Leitfaden vorgestellt, der in sechs Schritten durch den Lernprozess führt, und untersucht, inwieweit neurowissenschaftliche Erkenntnisse darin ihren Niederschlag finden.

Des Weiteren wird exemplarisch gezeigt, ob und wie Lern-Werkzeuge aus neurowissenschaftlicher Sicht den lebenslangen Lernprozess als gehirn-gerechte Lernhilfen unterstützen.

Die zentrale Frage bleibt, ob der vorgeschlagene Weg durch den Lernprozess unter zu Hilfenahme gehirn-gerechter Lern-Werkzeuge den erwachsenen Menschen befähigt, selbstbe-stimmt, effizient und nachhaltig zu lernen.

2. Was passiert im Kopf beim Lernen?

In der Erwachsenenbildung geht es im Wesentlichen um die Vermittlung und den Erwerb von Wissen und Fertigkeiten. Man kann davon ausgehen, dass die Persönlichkeit Erwachsener weitgehend gefestigt und Persönlichkeitsentwicklung somit nicht das Hauptziel ist. Dennoch besuchen nicht wenige Erwachsenen oft gerade deshalb Weiterbildungsmaßnahmen und Ausbildungen, weil sie etwas in ihrem Leben und damit auch sich selbst verändern möchten. Wenn sie dabei nicht ausschließlich autodidaktisch vorgehen, ist die Vorbildfunktion von Trainern, Coaches und anderen Lehrpersonen nicht zu unterschätzen und schon gar nicht der Einfluss, den man durch die Wahl der Inhalte der Veranstaltungen auf die Haltung der Teilnehmer nimmt.

Lernen ist ein Prozess. Als solcher erfordert er Zeit. Wenn es bei lebenslangem, selbstbestimmten Lernen um effizientes Lernen geht, bedeutet das daher nicht, in möglichst kurzer Zeit möglichst große Wissensmengen zu verschlingen, sondern den zur Verfügung stehenden Zeitraum optimal zu nutzen, so dass Lernen möglich ist, mit einem guten Gefühl einhergeht und das Ergebnis nachhaltig ist. Wiewohl Lernen für die meisten Erwachsenen nicht die Hauptbeschäftigung ist.

Vereinfacht gesehen, besteht Lernen aus Wahrnehmen (sensorischem Input), Einspeichern (Codieren oder auch Encodieren genannt) und Erinnern (Abrufen) und bei jedem dieser drei Schritte ist Optimierung eventuell möglich, vielleicht unter Zuhilfenahme neurowissenschaftlicher Erkenntnisse.

2.1 Impulsweiterleitung im Gehirn

Wahrnehmen kann mit allen Sinnen geschehen: Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten (Fühlen), aufeinanderfolgend oder gleichzeitig. In der Regel nehmen wir Informationen über mehrere Sinneskanäle gleichzeitig auf. Eine solche Informationsverarbeitung ist ein sehr komplexer Vorgang, daher betrachten wir an dieser Stelle das Ganze komplexitätsreduziert an der Reizweiterleitung über ein einziges Sinnesorgan.

Folgen wir z. B. einem (nur) visuellen Reiz:

Dieser Hund in Abb. 1 taucht in unserem Sehfeld auf, die von ihm ausgehenden Photonen erreichen das Auge, die Retina und wenn hier an den entsprechenden Rezeptoren ein Aktionspotential ausgelöst wird, gelangt dieser Nervenimpuls durch den Sehnerv über den Thalamus an die Amygdala, einem wichtigen für die emotionale Bewertung von Reizen zuständigen Teil des limbischen Systems. Das limbische System ist ein sehr komplexes Netzwerk von zum Teil recht unterschiedlichen Zentren, welches das gesamte Gehirn durchzieht. Hier werden die Beschreibungen auf die für diese Arbeit notwendigen Informationen beschränkt.


Abb. 1: Weg eines visuellen Reizes in den ersten 100 ms

(in Anlehnung an: MÜLLER, M. (2017) S. 54)

Die basolaterale Kerngruppe der Amygdala ist eine wesentliche Eingangsstruktur für Informationen emotionaler Reize. Sie projiziert unter anderem in die zentrale Amygdala und den Cortex. Die Projektionen in den Cortex sind die Grundlage für das spätere Bewusstwerden der Gefühle2.

Über die Verbindung zum zentralen Kern der Amygdala werden in Hirnstammzentren autonome Reaktionen auf den eingegangenen Reiz eingeleitet, wie z. B. veränderte Herzschlagfrequenz, veränderter Blutdruck oder auch andere direkte Reaktionen des Körpers: schweißnasse Hände, Kloß im Hals, heiß oder kalt im Genick, Korsett um den Brustkorb, schnelle motorische Reaktionen wie Fuß auf das Bremspedal u.Ä.

Die Amygdala reguliert nicht nur Gefühle und körperliche Antworten darauf, sondern vermittelt ihre emotionalen Einflüsse auf die Aufmerksamkeit (etwas später) und Wahrnehmung. Diese eingegangene Information wird innerhalb von weniger als 100 ms durch Vergleichen mit bereits abgespeicherten Erlebnissen emotional bewertet. Ist dieses neue Ereignis von Bedeutung, wird auch dieser Sachverhalt hier abgespeichert.

In der gleichen Zeit gelangt der Impuls des visuellen Reizes vom Thalamus auch zum visuellen Cortex und auch von hier wird ein grobes Abbild mit dem gleichen Zweck der emotionalen Bewertung zur Amygdala weitergeleitet. Das alles passiert nicht bewusst in den ersten 100 ms.

Wie Abb. 2 zeigt, werden die Sinnesareale (hier visueller Cortex) aktiviert und das Bild wird aufgebaut. Auf einer etwas schnelleren ventralen Bahn (Was-Bahn) entsteht sukzessiv das Bild, das Objekt, immer noch unbewusst, und entlang einer dorsalen Bahn (Wo-Bahn) wird dieses verortet.


Abb. 2: Sensorische Verarbeitung in den ersten 100 ms

(in Anlehnung an: MÜLLER, M. (2017) S. 54)

In dieser nichtbewussten Phase der sensorischen Verarbeitung von Sinnesreizen werden diese nach Bekanntheit und Wichtigkeit bewertet. Je neuer und wichtiger ein Ereignis eingestuft wird, umso intensiver wird es in der bewussten Phase der Aufmerksamkeit verarbeitet.

Erst nach ca. 300 ms wird das Bild mit den im Temporallappen vorhandenen Netzwerken abgeglichen (Abb. 3). Im Frontallappen wird das Bild kurzfristig aufrechterhalten (Kurzzeitgedächtnis).


Abb. 3: Bewusstsein nach ca. 300 ms

(in Anlehnung an: MÜLLER, M. (2017) S. 54)

Das ist ein energieintensiver Schritt, hoher Sauerstoffverbrauch und viel Zucker für den Hirnbetrieb-Stoffwechsel, die Speicherkapazität ist gering, daher wird nur ein Ausschnitt aus unserem Sehfeld aufmerksam betrachtet (siehe dazu auch 2.3. Aufmerksamkeit und 2.4. Arbeitsgedächtnis).

Diese bisher nur visuelle Räpresentation wird mit Hilfe im Temporallappen gespeicherter Netzwerke sprachlich kodiert

(Abb. 4).


Abb. 4: Sprachliche Codierung nach ca. 500 ms

(in Anlehnung an: MÜLLER, M. (2017) S. 55)

Neuronale Schleifen zwischen dem Frontallappen und dem auditiven Cortex halten die Wörter anschließend präsent, nur einige – des hohen Energieaufwandes und der geringen Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses wegen. Ein intaktes Kurzzeitgedächtnis bzw. das Aufrechterhalten sensorischer oder mentaler Inhalte im Bewusstsein ist Vorraussetzung für Lernen.

Wie wir bereits gesehen haben, hält das Arbeitsgedächtnis das eingegangene Bild durch Feuern der entsprechenden Neurone nur kurzfristig im Cortex aufrecht. Um das Ereignis aber längerfristig abzuspreichern, werden neue Verbindungen zwischen bisher unverknüpften Bereichen sowohl innerhalb als auch zwischen den visuellen und semantischen Netzwerken angelegt. Die Neuverknüpfung erfolgt zunächst vorübergehend über den Hippocampus (Abb.5).


Abb. 5: Beginn der Konsolidierung

(in Anlehnung an: MÜLLER, M. (2017) S. 55)

Werden die über den Hippocampus verknüpften Neurone häufig gleichzeitig aktiviert, bilden sich im Cortex direkte Verbindungen aus. Die Erinnerung ist kosnsolidiert, das heißt, im Langzeitgedächtnis gespeichert (Abb. 6). Diese Überführung der Inhalte aus dem Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis wird auch als intermediäres Gedächtnis (Zwischengedächtnis) bezeichnet und beginnt seine Arbeit bereits einige Sekunden nach dem Bewusstwerden der Lerninhalte.


Abb. 6: Konsolidieren bis zum Lebensende

(in Anlehnung an: MÜLLER, M. (2017) S. 55)

Man nimmt an, dass diese Überführung vorwiegend während des Schlafes geschieht (siehe 2.2. Konsolidieren oder Lernen im Schlaf), während das wache Gehirn vor allem für die Encodierung der Lerninhalte zuständig ist. Der Hippocampus ist demzufolge für die mittel- und langfristige Einspeicherung und den Abruf neuer Erinnerungen nötig.

Es gibt eine Cortex-Hippocampus-Schleife: Der Hippocampus erhält Informationen aus allen Teilen des Cortex, die mit Wahrnehmen und kognitiven Leistungen zu tun haben, verarbeitet diese innerhalb der hippocampalen Strukturen und sendet das Ergebnis wieder in die entsprechenden Cortex-Areale zurück. Forschungen haben gezeigt, dass während der Gedächtnisbildung, während des Lernens, synchronisierte Aktivierung vieler Neurone auftritt. Dadurch erfolgt die Festigung der Plastizität innerhalb der Synapsen durch Proteinsynthese und morphologische Veränderung.4

Im Hippocampus enden auch Eingänge aus vielen anderen Zentren, darunter aus der Amygdala und dem Nucleus accumbens, die emotional-modulierend auf den Hippocampus einwirken. Die emotionale Einfärbung der Geschehnisse ist bedeutsam für ihre Verankerung im Langzeitgedächtnis, da sie die Konsolidierung verstärkt.5

Wenn es sich bei der Wahrnehmung um einen akustischen Reiz handelt, sind es lediglich Schallwellen, die unser Ohr erreichen. Das sind Luftdruckunterschiede, die in unserem Innenohr in Nervenimpulse umgewandelt werden, aus welchen das Gehirn Sprache, Musik, Geräusche oder Lärm macht. Auch hier werden diese im Bruchteil einer Sekunde analysiert, im Falle von Sprache als solche erkannt und mit Inhalten des Sprachgedächtnisses verglichen. Vorhandene Inhalte, die am besten passen, werden aktiviert und in den folgenden Bedeutungskontext eingebunden. Wenn das für das Verständnis der Sprache notwendige Vorwissen im Gehirn des Hörers vorhanden ist, geht diese Bedeutungskonstruktion relativ schnell. Je mehr unbekannte Wörter oder aber unbekannte, komplexe Sachverhalte der Sprecher verwendet, umso schwieriger und langwieriger ist die Bedeutungskonstruktion durch den Hörer. Bei multisensorischem Input wirkt alles gleichzeitig auf unser Gehirn ein und dieses hat dementsprechend viel zu tun.6

 

Unser Langzeitgedächtnis ist dynamisch, das heißt, es wir durch neue Erlebnisse und Erfahrungen ständig umgeschrieben, umstrukturiert und bei jedem Erinnern unter den neuen emotionalen Einflüssen eingespeichert. Diese Konsolidierung findet im hippocampalen Gedächtnissystem statt. Daran sind Hippocampus, die parahippocampale Rinde und der cerebrale Cortex beteiligt. Das Nagerexperiment von Maviel und Mitar-beiter (2004)7 deutet darauf hin, dass die neuronale Aktivität zu Beginn des Lernprozesses im Hippocampus hoch und im Isocortex niedrig ist und später (bei den Nagern waren es 30 Tage) werden die Plastizitätsprozesse im Isocortex wichtiger und im Hippocampus abgeschwächt. Demnach wird der Hippocampus als der Organisator des Langzeitgedächtnisses betrachtet aber nicht als der Speicherort.

Das Langzeitgedächtnis arbeitet modular. Es gibt die verschiedenen sensorischen Module und darin Teilmodule z. B. für Objekte, Farben, Gesichter usw. Diese weisen ihrerseits wieder Untermodule auf, das Gesichtermodul z. B. für Augen, Nasen, usw.8

Jeder Stimulus durchwandert demnach eine Reihe von Verarbeitungsebenen, angefangen mit der ersten unbewussten Wahrnehmung bis hin zur rationalen Bewertung und jede dieser Ebenen verfügt über eine bestimmte Gedächtnisart: emotionales Gedächtnis, Kurzzeitgedächtnis, Arbeitsgedächtnis, episodisches Gedächtnis, autobiografisches Gedächtnis u. A. (siehe 2.5. Organisation des Gedächtnisses). An dieses Ereignis werden wir uns auch später noch erinnern, wenn es einen gewissen Neuigkeitswert besitzt, wenn es anders ist als das, was wir bisher abgespeichert haben.

Die aus der Wahrnehmung gefolgte Impulsweiterleitung und Informationsverarbeitung geschieht sowohl nichtbewusst als auch bewusst (nichtbewusst zuerst) und wir nehmen ein neues Ereignis auf der Grundlage der Erfahrungen wahr, die wir schon gemacht und abgespeichert haben. Das führt dazu, dass das gleiche Ereignis von jedem anders wahrgenommen wird und dass ein und dieselbe Person das gleiche Ereignis zu verschiedenen Zeitpunkten auch unterschiedlich wahrnehmen wird.

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