In die unbegrenzte Weite

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KAROLINE VON GÜNDERRODE

wurde 1780 in Karlsruhe geboren und früh in ein Frankfurter Stift gegeben, wo sie sich intensiv mit Philosophie und Mythologie, Religion, Geschichte und Literatur beschäftigte. Unter dem Pseudonym »Tian« veröffentlichte sie mit 24 Jahren ihr erstes Buch mit dem Titel Gedichte und Phantasien, das selbst bei dem Dichterfürsten Goethe auf Interesse stieß. Die »Sappho der Romantik« verarbeitete in ihrer Poesie auf unkonventionelle Art große Themen wie Freiheit und Liebe sowie Gedanken zu Gefangenschaft und Tod. Als sich ihre große Liebe, der Heidelberger Philologe Georg Friedrich Creuzer, 1806 von ihr trennte, setzte Karoline ihrem Leben mit nur 26 Jahren durch einen Dolchstoß am Flussufer in Winkel am Rhein ein Ende.

DER HERAUSGEBER

Hans-Joachim Simm, Dr. phil., geboren 1946, lebt als freier Publizist bei Frankfurt am Main. Er war bis 2009 Leiter des Insel Verlags, des Verlags der Weltreligionen und der Buchreihe »edition unseld«. Er gab zahlreiche Werkausgaben deutscher Dichter und Schriftsteller und Anthologien heraus.

Zum Buch

»… heut hab ich die Günderrode gesehen, es war ein Geschenk von Gott.«Bettina von Arnim

Karoline von Günderrodes literarisches Werk – Lyrik, Dramen, Prosa und Briefe – erfuhr erst spät die angemessene Wertschätzung. Intelligent und gebildet, in Kontakt mit den maßgeblichen Vertretern der Romantik, Hölderlin und Novalis nahestehend, hat sie sich in ihrem Werk philosophischen, mythologischen und psychologischen Fragen gewidmet, in Gedichten und Phantasien, Studien und Skizzen.

Die Tragik ihres kurzen, von eigener Hand beendeten Lebens schwebt über Karoline von Günderrodes Werk und spiegelt sich in der Schwermut, die ihrer Poesie innewohnt. Ein Großteil ihrer Dichtung beschäftigt sich intensiv mit dem Verlust eines geliebten Menschen, dem Gefangensein in einem fremden Leben und den Verlockungen eines selbst herbeigeführten Todes. Auch in ihren Briefen findet sich die Todessehnsucht wieder sowie der Unmut darüber, dass ihr gesellschaftliches Umfeld ihre Interessen nicht teilt. Da die Günderrode sich, gerade in ihren Briefen, kühn mit philosophischen und wissenschaftlichen Fragen auseinandersetzt, bricht sie mit dem zu ihrer Zeit vorherrschenden Frauenbild, das die Entfaltung ihres melancholisch-wissbegierigen Gemüts nicht zuließ. Dieser von Hans-Joachim Simm herausgegebene Band enthält Gedichte, Prosa, Fragmente und Briefe einer jungen Frau, die ihrer Zeit in vielem voraus war. Briefe von Zeitgenossen, in denen sie sich zu Karoline von Günderrode äußern, runden die Sammlung ab.

»Ihre Gedichte lebten aus der Zeit uns aus einer beschwingten, sehr individuellen Melancholie. Sinn und Form sind flüchtig. Der Gedanke eilt weit voraus und verflüchtet.«Wolfgang Koeppen

Karoline von Günderrode

In die unbegrenzte Weite

Karoline von Günderrode

In die unbegrenzte Weite

Gedichte, Prosa, Briefe

Herausgegeben von Hans-Joachim Simm


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014

Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014

Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH

Bildnachweis: tr3gi/fotolia.com eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0428-8

www.marixverlag.de

INHALT

DEM SCHÖNEN WERD’ ICH IMMER ANGEHÖREN

Gedichte und Phantasien

Wandel und Treue

Timur

Don Juan

Die Manen

Wunsch

Der Adept

Ein apokaliptisches Fragment

Der Trauernde und die Elfen

Die Bande der Liebe

Des Wandrers Niederfahrt

Mahomets Traum in der Wüste

Liebe

Ariadne auf Naxos

Der Franke in Egypten

ES HAT EIN KUSS MIR LEBEN EINGEHAUCHT

Poetische Fragmente

Piedro

Die Pilger

Der Kuß im Traume,

VERLOHREN IST WEN LIEBE NICHT BEGLÜCKET

Melete

Zueignung

Adonis Tod

1.

2.

3. Adonis Todtenfeyer

Gebet an den Schuzheiligen

Die Malabarischen Witwen

Die Einzige

Die eine Klage

Aegypten

Der Nil

Eine persische Erzählung

Der Caucasus

Überall Liebe

Der Gefangene und der Sänger

Briefe zweier Freunde

An Eusebio

An Eusebio

Fragmente aus Eusebio’s Antwort

An Eusebio

EINSTENS LEBT ICH SÜSSES LEBEN

Gedichte aus dem Nachlaß

Vorzeit, und neue Zeit

Verschiedene Offenbahrungen des Göttlichen

Liebe und Schönheit

Tendenz des Künstlers

Der Dom zu Cölln

Die Töne

Hochroth

Wie Thau auch glänzt

Einstens lebt ich süßes Leben

Der Knabe und das Vergismeinnicht

Des Knaben Morgengruß

Der Luftschiffer

Novalis deinem heilgen Seherblikken

 

Einer nur u einer dienen

Das Fest des Maien

Herrlicher Sänger

Wild verwirrt sind mir die Sine

Weihet kein Prister den Schwur

Wo erfrag ich den Freund

Seh ich das, Spatroth, o Freund

Liebst du das Dunkel

ES IST EINE UNENDLICHE KRAFT, EIN EWIGES LEBEN

Prosa

Geschichte eines Braminen

DIE VORTREFLICHKEIT IST EIN GANZES

Prosa aus dem Nachlaß

Der Traum

Die Vortreflichkeit ist ein Ganzes

ein Traum

Die Nachtigall

Das Reich der Töne

Die Musik

Die Musik für mich

Träume

Jdee der Erde

OFT UND VERGEBENS HABE ICH MICH MIR SELBST WIDERSETZT

Briefe

Friedrich Carl von Savigny an Leonhard und Friedrich Creuzer

Karoline von Günderrode an Karoline von Barkhaus

Friedrich von Leonhardi an Leonhard Creuzer

Friedrich Carl von Savigny an Leonhard Creuzer

Karoline von Günderrode an Gunda Brentano

Karoline von Günderrode an Gunda Brentano

Karoline von Günderrode an Gunda Brentano

Clemens Brentano an Friedrich Carl von Savigny

Clemens Brentano an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Clemens Brentano

Clemens Brentano an Gunda Brentano

Friedrich Carl von Savigny an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Friedrich Carl von Savigny an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Friedrich Carl von Savigny an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Bettine Brentano an Karoline von Günderrode

Clemens Brentano an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Clemens Brentano

Clemens Brentano an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Clemens Brentano an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Clemens Brentano

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Tagebucheintrag Karl Philipp Kaysers

Friedrich Creuzer an Leonhard Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Clemens Brentano an Sophie Mereau

Friedrich Creuzer an Lisette Nees von Esenbeck

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich und Sophie Creuzer an Karoline von Günderrode

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Carl Daub

Friedrich Creuzer an Susanne von Heyden

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Karoline von Günderrode an Carl Daub

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Karoline von Günderrode an Carl Daub

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Carl von Savigny

Karoline von Günderrode an Sophie Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Friedrich Creuzer an Karoline von Günderrode

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Friedrich Heinrich Schwarz an Leonhard Creuzer

Carl Daub an Susanne von Heyden

Karoline von Günderrode an Lisette Nees von Esenbeck

Susanne von Heyden an Carl Daub

Susanne von Heyden an Carl Daub

Karoline von Günderrode an Friedrich Creuzer

Susanne von Heyden an Hektor von Günderrode

Clemens Brentano an Achim von Arnim

Friedrich Creuzer an Leonhard Creuzer

Friedrich Creuzer an Leonhard Creuzer

Zu dieser Ausgabe

Alphabetisches Verzeichnis der Gedichtüberschriften und -anfänge

DEM SCHÖNEN WERD’ ICH IMMER
ANGEHÖREN
Gedichte und Phantasien
Wandel und Treue

Violetta

Ja, du bist treulos! laß mich von dir eilen;

Gleich Fäden kannst du die Empfindung theilen.1

Wen liebst du denn? und wem gehörst du an?

Narziß

Es hat Natur mich also lieben lehren:

Dem Schönen werd’ ich immer angehören

Und nimmer weich ich von der Schönheit Bahn.

Violetta

So ist dein Lieben, wie dein Leben, wandern!

Von einem Schönen eilest du zum Andern,

Berauschest dich in seinem Taumelkelch,

Bis Neues schöner dir entgegen winket –

Narziß

In höh’rem Reiz Betrachtung dann versinket

Wie Bienenlippen in der Blume Kelch.

Violetta

Und traurig wird die Blume dann vergehen

Muß sie sich so von dir verlassen sehen!

Narziß

O Nein! es hat die Sonne sie geküßt.

Die Sonne sank, und Abendnebel thauen.

Kann sie die Strahlende nicht mehr erschauen,

Wird ihre Nacht durch Sternenschein versüßt.

 

Sah sie den Tag nicht oft im Ost verglühen?

Sah sie die Nacht nicht thränend still entfliehen?

Und Tag und Nacht sind schöner doch als ich.

Doch flieht ein Tag, ein Andrer kehret wieder;

Stirbt eine Nacht, sinkt eine Neue nieder,

Denn Tröstung gab Natur in jedem Schönen sich.

Violetta

Was ist denn Liebe, hat sie kein Bestehen?

Narziß

Die Liebe will nur wandlen, nicht vergehen;

Betrachten will sie alles Trefliche.

Hat sie dies Licht in einem Bild erkennet,

Eilt sie zu Andern, wo es schöner brennet,

Erjagen will sie das Vortrefliche.

Violetta

So will ich deine Lieb’ als Gast empfangen;

Da sie entfliehet wie ein satt Verlangen,

Vergönnt mein Herz Ihr keine Heimath mehr.

Narziß

O sieh den Frühling! gleicht er nicht der Liebe?

Er lächelt wonnig, freundlich, und das trübe

Gewölk des Winters, niemand schaut es mehr!

Er ist nicht Gast, er herrscht in allen Dingen,

Er küßt sie Alle, und ein neues Ringen

Und Regen wird in allen Wesen wach.

Und dennoch reißt er sich aus Tellus2 Armen

Auch andre Zonen soll sein Hauch erwarmen

Auch Andern bringt er neuen, schönen Tag.

Violetta

Hast du die heil’ge Treue nie gekennet?

Narziß

Mir ist nicht Treue was ihr also nennet,

Mir ist nicht treulos was euch treulos ist! –

Wer den Moment des höchsten Lebens theilet;

Vergessend nicht, in Liebe selig weilet;

Beurtheilt noch, und noch berechnet, mißt;

Den nenn’ ich treulos, ihm ist nicht zu trauen

Sein kalt Bewußtseyn wird dich klar durchschauen

Und deines Selbstvergessens Richter seyn.

Doch ich bin treu! Erfüllt vom Gegenstande

Dem ich mich gebe in der Liebe Bande

Wird Alles, wird mein ganzes Wesen seyn.

Violetta

Giebt’s keine Liebe denn die dich bezwinge?

Narziß

Ich liebe Menschen nicht, und nicht die Dinge,

Ihr Schönes nur, und bin mir so getreu,

Ja Untreu’ an mir selbst wär andre Treue,

Bereitete mir Unmuth, Zwist und Reue,

Mir bleibt nur so die Neigung immer frei.

Die Harmonie der inneren Gestalten

Zerstören nie die ordnenden Gewalten

Die für Verderbniß nur die Noth erfand. –

Drum laß mich, wie mich der Moment gebohren.

In ew’gen Kreisen drehen sich die Horen;

Die Sterne wandeln ohne festen Stand,

Der Bach enteilt der Quelle, kehrt nicht wieder

Der Strom des Lebens woget auf und nieder

Und reisset mich in seinen Wirbeln fort.

Sieh alles Leben! es ist kein Bestehen,

Es ist ein ew’ges Wandern, Kommen, Gehen,

Lebend’ger Wandel! buntes, reges Streben!

O Strom! in dich ergießt sich all mein Leben!

Dir stürz ich zu! vergesse Land und Port!

Timur 3

Ermar hatte das Geschlecht von Parimor vom Thron gestoßen, Parimor selber, sein Weib und seine Freunde waren gefallen unter dem Schwerte des Ueberwinders, nur Timur sein einziger Sohn fiel lebend in Ermars Hände. Ungern unterwarf sich das Land dem Sieger, der die Burg des unglücklichen Parimor an der Nordküste der Insel bezog; und die höchste Gewalt mit seinem Bruder, dem wilden Konnar theilte.

Keiner von allen Freunden des gestürzten Königshauses wußte wo Timur sey, und ob er lebe? nur die Prophetin wußte es, die verschwiegne Seherin, die in einer Höhle am Eingang der Erde wohnte, sie sah die kommenden Schicksale, die Tiefen der menschlichen Brust, und des unglücklichen Timurs Ketten. Einsam lebte die Prophetin und verrichtete geheimnißvolle Werke, und von allen Sterblichen wußte nur Thia, die schöne Tochter von Ermar, ihre Wohnung. Die Seherin liebte das Mädchen, sie lehrte sie mancherlei Geheimnisse, und enthüllte ihr oft die Begebenheiten der Zukunft.

Einst sprach die Prophetin zu der Tochter von Ermar: Mädchen! fürchte das Geschick deines Vaters, seine Unthat hat den Geist der Rache erweckt; sieh hierher! Und sie zeigte dem erschrocknen Mädchen in einem Spiegel ein tiefes Gefängniß der Burg, und in dem Gefängniß lag auf moderndem Stroh, ein Jüngling mit brennenden Augen, und dichten braunen Locken; Thia konnte ihre Augen nicht sättigen an dem Anblik des Gefangnen; aber die Seherin sprach: dies ist der König dieses Landes, er schmachtet in Ketten, und dein Vater trägt die Krone die ihm gebührt.

Gedankenvoll eilte Thia zurück zu der väterlichen Burg, und suchte allenthalben nach einer Thüre die zu Timurs Kerker führen möchte. Im Nord war die Burg von rauhen Felsen umgeben, die bis zum Meere hinabreichten, in diesen Felsen entdeckte Thia zwischen Gesträusch und Nesseln versteckt, ein Gitter, das eine dunkle Tiefe verschloß; dies Gitter hatte sie in dem Zauberspiegel gesehen; und jeden Morgen ehe die Bewohner des Schlosses erwachten, und jeden Abend wenn die milde Dämmerung die Thaten der Liebe in ihre Schleyer verbarg, gieng sie dahin, setzte sich trauernd neben das Gitter, und seufzte: Timur! Timur! und ihr war als kämen liebe unsichtbare Arme aus dem Gitter herauf und hielten sie umschlungen, daß sie die Stelle nicht verlassen konnte, und es nicht achtete daß der rauhe Nachtwind sie umwehte, und der Thau des Himmels sie benetzte.

Zwei Jahre hatte Timur in dem Kerker geschmachtet, schon waren der Rache wilde Gedanken bleich und ohnmächtig geworden, und die Träume von Erlösung und Befreiung waren verträumt; schon glaubte er sich von allen Menschen vergessen, als ihm däuchte, er höre mit süßer Stimme seinen Namen flüstern, und jeden Morgen und jeden Abend hörte er dieselbe Stimme: Timur! Timur! rufen, und wenn er auf seinem Lager schlummerte, däuchte ihm, ein Engel mit glänzenden Locken und rosigten Wangen beuge sich über ihn her, drücke leise Küsse auf seine Lippen und seufze: Timur! Aber wenn er erwachte, vergingen die rosigten Wangen in Kerkernacht, die hellen Locken erbleichten, die Küsse verglühten, doch die süße Stimme flüsterte fort; und er wußte nicht, ob der Traum wirklich, oder das wirklich Scheinende, Traum sey.

Tage und Wochen waren so vergangen, als das Mädchen zu Ermar sprach: „Vater! der Mund der Prophetin verkündet dir Unheil und Verderben, wegen des Sohnes von Parimor, der unschuldig in deinen Ketten schmachtet, deine Ungerechtigkeit wird den Geist der Rache erwecken, fürchte ihn! Timurs Kraft ist gefesselt, erwiderte Ermar: wo ist der Arm der sich der Rache leihe? Fürchte, sprach Thia, die Zukunft und der Seherin untrügliche Worte; ich habe Timur gesehen, ich liebe ihn, gieb ihm die Freiheit, gieb ihn mir, feßle ihn durch ein heiliges Band an dich, oder fürchte auch deine Tochter. Aber Ermar blieb unerbittlich bis sich die einzige Tochter ihm zu Füßen warf, und ihm schwur den Geliebten zu seinem treuen Sohne und Freund zu machen, oder ihn zu verrathen, wenn er undankbar sey, und ihm den Dolch mitten in seinen Umarmungen in die Brust zu stoßen.

Timur lag in schweren Träumen, der Geist seines Vaters erschien ihm in blutige Grabtücher gehüllt, und sprach, räche mich! die Zeit ist gekommen. Timur erwachte, aber immer hörte er noch die Worte, die Zeit ist gekommen! er dachte noch darüber nach, als das Gitter sich öffnete; ein Krieger trat herein und hies ihn folgen. Schweigend, voll seltsamer Empfindungen gieng Timur hinter seinem Führer her. Jetzt waren sie auf den Felsen angekommen, der Krieger entfernte sich, und Ermar kam dem Jüngling entgegen. Die Zeit ist gekommen, räche mich, flüsterte eine Stimme in Timurs Seele: eine unsichtbare Gewalt trieb ihn; ehe Ermar noch gesprochen hatte, ergriff ihn der Jüngling, und schleuderte ihn die Felsen hinab, daß sein Blut hinunter rauchte bis zur See.

Die Bewohner des Schlosses versammelten sich, sie erkannten den Sohn ihrer Könige, und nannten ihn freudig Herr, und Gebieter. Als es aber Nacht wurde, trat Thia zu ihm, und sprach: „Ich habe dich geliebt, ich habe an der Thüre deines Kerkers gewacht, und deinen Namen der Nacht, und den Sternen vertraut; deine Freiheit ist mein Werk, aber du hast meinen Vater ermordet, du hast die schwere Blutschuld auf meine Seele gewälzt, darum hinweg von dir!“

Und das Mädchen gieng, und kehrte nicht wieder. Da ward der König sehr traurig, die lärmende Jagd erfreute ihn nicht, und nicht der Becher, einsam stand er auf seinem Felsen, und sahe, und vernahm nichts als die Schrecken des nahenden Winters. Der Himmel war mit schweren Wolken bedeckt, eisigte Regen fielen herab, der Nordwind zerwühlte den Wald und trieb die falben Blätter in wilden Wirblen umher, die Brandung brauste an der Küste, und der krächzende Rabe unterredete sich mit dem Wiederhall. Monde vergingen so, und immer fielen kalte Regen und Schnee und der Himmel blieb dunkel wie die Seele von Timur; da versammelten sich die Freunde um ihn und sprachen: es ist nicht gut o König! daß du so einsam trauerst, komm! laß uns Thaten thun; Konnar herrscht noch jenseits der Berge mit eisernem Zepter über das Volk, komm! erobere dein Erbe, überwinde die Verräther! Der Jüngling gehorchte, er riß sich empor aus seinen Träumereien und stürtzte sich in das Gewühl der Schlachten zu Thaten und Ruhm.

Ungewiß schwankte das Glück zwischen Konnar und Timur, Timur war tapfer, Konnar fest und klug. Eine Schlacht entschied für Konnar, Timur mußte sich zurückziehen in die Gebürge. Der Tag verfloß im Getümmel der Gefechte, in Angriff und Vertheidigung, aber wenn die Nacht herniedersank, und den Kriegsgott in Schlummer einlullte, versammelten sich die Gefährten um Timur, und in den Schlüchten einsamer Gebürge, in der Nacht dichter Wälder, wo der spähende Feind sie nicht ahndete, errichteten sie ein lustiges Zelt, hundert Fackeln erleuchteten die Wildniß, der Freudenbecher gieng umher, eine süße Musik erscholl begleitet von den Stimmen braunlockigter Mädchen, und Timur schwelgte in Ruhm und Lust und Liebe, und seine Gefährten jauchzten in wilden Freuden.

Einst aber, da Timur allein war auf seinem Lager, und der Schlummer ihn floh, däuchte ihm er höre das Geräusch leiser Tritte, und da er noch lauschte, fühlte er sich plötzlich umschlungen von zarten Armen, und heiße sehnsuchtsvolle Küsse bedeckten seine Lippen; als er aber Morgens erwachte war sein Lager verlassen. Drei Nächte hatte schon die unbekannte Geliebte des Königs Lager besucht, als sie aber zum viertenmale kam, schloß er sie in seine Arme und schwur sie nicht zu lassen, bis sie sich ihm entdeckt habe, damit er seinen Thron und seine Hoheit mit ihr theilen könne. „Laß mich nur noch diesmal ungekannt von dir“ sprach das Mädchen, „wenn die Nacht wiederkehrt und die Sterne wieder glänzen, wird ein schwarzes Roß vor dir stehen, dem vertraue dich, es wird dich dahin tragen, wo dir alles offenbar wird.“ Der König ließ das Mädchen von sich gehen. Da es aber Nacht wurde fand er das Roß; ein sonderbarer Schauer durchlief sein Gebein, aber er schwang sich auf des Thieres Rücken, und es trug ihn durch unbekannte verworrne Pfade, durch Klüfte und Wälder, und blieb stehen vor einem prächtigen erleuchteten Pallast. Die Thore öffneten sich, zwei Knaben traten heraus, hielten ihm den Zügel und führten ihn in einen Saal. Eine milde Dämmerung herrschte, denn nur ein Halbmond über einem Becken in das sich duftendes balsamisches Wasser stürzte erleuchtete das Zimmer mit wechselndem Schimmer, bald glänzte der Mond in dunklem Purpur, dann in blassem Rosenroth, dann wieder blau wie der Bogen des Himmels, dann endlich wie der grüne Schmelz der Wiesen.

Staunend sah Timur eine Weile dem wechselnden Farbenspiel zu; da that sich die Thüre auf und viel schöne Mädchen kamen herein in allerlei fremden und sonderbaren Trachten; ein Blumenkranz wand sich um die blonden Haare der Einen, ein zierlich weißes Kleid umfloß sie. Eine Andere hauchte Arabiens Balsam, des Morgenlands köstlicher Thau umgab in glänzenden Reihen die dunklen Locken, und Gold gewürkt in persische Seide verhüllte die runden üppigen Glieder. Eine dritte in leichtem Silberflohr glich der Luft ätherischen Schönen; und das Holdeste aller Zonen schien versammelt um den Jüngling. Plötzlich glänzte das Wasser wie die Sonne und goß breite Lichtströme durch den Saal; eine Musik, wie Orgeltöne, ließ sich hören, eine liebliche Stimme begleitete die rauschenden Harmonien und schwebte über ihnen, wie eine leichte Frühlingsluft schwebt über dem brausenden Meer, aber die Töne wurden stärker und stärker, und verschlangen die Stimme in Wogen von Wohllaut. Die Mädchen umgaben den Jüngling, sprachen ihm freundlich zu, und jede sandte ihm heiße Blicke, als sey jede die Geliebte der Nacht gewesen. Forschend betrachtete sie der König, jede dünkte ihm hold und lieblich, aber sein Herz bewegte sich zu Keiner, sie ist nicht hier die ich suche, sprach seine innerste Seele.

Jetzt rauschten zwei Flügelthüren auf, ein prächtiger Saal zeigte sich von vielen Fackeln erleuchtet, die von den Marmorwänden wiederstrahlten; in der Mitte stand eine Tafel. Man setzte sich, der Wein perlte im Gold, die Mädchen nippten mit Rosenlippen an den Bechern, und reichten sie dann dem König; aber Timurs Seele war traurig, er senkte den Blick, und all die Herrlichkeit, und all die Schönheit gieng verlohren an ihm. Da er aber die Augen aufschlug sah er eine Gestalt an der Ecke des Saals ihn gegenüber, an eine Säule gelehnt stehen, sie war ganz schwarz und dicht verhüllt, und blieb immer unbeweglich. Timur betrachtete sie lange und oft, eine tiefe Sehnsucht zog ihn zu ihr; das Maal däuchte ihm unendlich lange, und es ward ihm erst wohl, als man sich erhob.

Die Mädchen verließen den Saal, aber jede sandte ihm noch einladende Blicke, er folgte Keiner, und sah sich endlich allein mit der schwarzen Gestalt, die Fackeln erloschen, nur ein einziges bleiches Licht durchdämmerte den Saal. Die schwarze Gestalt nahte sich ihm, und sprach: „Folge mir!“ er gehorchte; und sie führte ihn durch seltsame unterirrdische Gänge, auf einen Fels. Der Mond glänzte eben im vollen Lichte, und Timur erkannte schaudernd den Fels und das Meer in welches er Ermar hinabgeschleudert hatte. Seine Führerin schlug den Schleier zurück. Es war Thia. Geist meines Vaters! rief sie, laß dich dieses Opfer entsühnen. Sie schlang ihren Arm um den König, und stürzte sich mit ihm die Felsen hinunter, daß ihr Blut sich mischte, und hinab rauchte zur wogenden See.