In die unbegrenzte Weite

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Don Juan

Es ist der Festtag nun erschienen

Geschmücket ist die ganze Stadt.

Und die Balkone alle grünen,

In Blumen blüht der Fürstin Pfad.

Da kommt sie, schön in Gold und Seide

Im königlichen Prunkgeschmeide

An ihres neu Vermählten Seite.

Erstaunet siehet sie die Menge

Und preiset ihre Schönheit hoch!

Doch Einer, Einer im Gedränge

Fühlt tiefer ihre Schönheit noch.

Er mögt in ihrem Blick vergehen

Da er sie einmal erst gesehen,

Und fühlt im Herzen tiefe Wehen.

Sein Blick folgt ihr zum Hochzeitstanze

Durch all der Tänzer bunte Reihn,

Er stirbet bald in ihrem Glanze

Lebt auf im milden Augenschein.

So wird er seines Schauens Beute,

Und seiner Augen süße Weide

Bringt bald dem Herzen bittres Leide.

So hat er Monde sich verzehret,

In seines eignen Herzens Gluth;

Hat Töne seinem Schmerz verwehret,

Gestählt in der Entsagung Muth;

Dann könnt er vohr’gen Muth verachten

Und leben nur im tiefen Schmachten,

Die Anmuthsvolle zu betrachten.

Mit Philipp war, an heil’ger Stätte,

Am Tag den Seelen fromm geweiht,

Sein Hof versammelt zu Gebete

Das Seelen aus der Qual befreit;

Da flehen Juans heisse Blicke:

Daß sie ihn einmal nur beglücke!

Erzwingen will ers vom Geschicke.

Sie senkt das Haupt mit stillem Sinnen

Und hebt es dann zum Himmel auf;

Da flammt in ihm ein kühn Beginnen,

Er steigt voll Muth zum Altar auf.

Laut will er seinen Schmerz ihr nennen,

Und seines Herzens heißes Brennen,

In heil’ger Gegenwart bekennen.

Laut spricht er: Priester! lasset schweigen

Für Todte die Gebete all.

Für mich laßt heisse Bitten steigen;

Denn größer ist der Liebe Quaal,

Von der ich wehn’ger kann genesen,

Als jene unglücksel’gen Wesen

Zur Quaal des Feuers auserlesen.

Und staunend siehet ihn die Menge

So schön verklärt in Liebesmuth.

„Wo ist, im festlichen Gepränge?“

Denkt Manche still, „die solche Gluth

Und solches Wort jetzt hat gemeinet?“

Sie ist’s, die heimlich Thränen weinet,

Die Juans heisse Liebe meynet.


War’s Mitleid, ist es Lieb’ gewesen,

Was diese Thränen ihr erpreßt?

Vom Gram kann Liebe nicht genesen,

Wenn Zweifelmuth sie nicht verläßt.

Er kann sich Friede nicht erjagen;

Denn nimmer darf’s die Lippe wagen,

Der Liebe Schmerz ihr mehr zu klagen.

Nur einen Tag will er erblicken

Der trüb ihm nicht vorüber flieht,

Nur eine Stunde voll Entzücken

Wo süße Liebe ihm erblüht,

Nur einen Tag der Nacht erwecken,

Es mag ihn dann, mit ihren Schrecken

Auf ewig, Todesnacht bedecken.

Es liebt die Königin die Bühne,

Erschien oft selbst im bunten Spiel.

Daß er dem kleinsten Wunsche diene

Ist jetzt nur seines Lebens Ziel.

Er läßt ihr ein Theater bauen,

Dort will, die reizendste der Frauen,

Er noch in neuer Anmuth schauen.

Der Hof sich einst im Spiel vereinet,

Die Königin in Schäfertracht,

Mit holder Anmuth nun erscheinet

Den Blumenkranz in Lockennacht.

Und Juans Seele sieht verwegen,

Mit ungestümem wildem Regen,

Dem kommenden Moment entgegen.

Er winkt, und Flamm und Dampf erfüllen,

Entsetzlich jetzt das Schauspielhaus;

Der Liebe Glück will er verhüllen

In Dampf und Nacht und Schreck und Graus;

Er jauchzet, daß es ihm gelungen,

Des Schicksals Macht hat er bezwungen

Der Liebe süssen Lohn errungen.

Gekommen ist die schöne Stunde;

Er trägt sie durch des Feuers Wuth,

Raubt manchen Kuß dem schönen Munde,

Weckt ihres Busens tiefste Gluth.

Möcht sterben jetzt in ihren Armen,

Möcht alles geben! ihr, verarmen

Zu anderm Leben nie erwarmen.

Die eilenden Minuten fliehen

Er merket die Gefahren nicht,

Und fühlt nur ihre Wange glühen;

Doch sie, sie träumet länger nicht,

Sie reißt sich von ihm los mit Beben,

Er sieht sie durch die Hallen schweben.

Verhaucht ist der Minute Leben.


Mit sehnsuchtsvollem, krankem Herzen

Eilt Juan durch die Hallen hin.

In Wonne Gram und süße Schmerzen

Versinket ganz sein irrer Sinn,

Er wirft sich auf sein Lager nieder,

Und holde Träume zeigen wieder

Ihm ihr geliebtes, holdes Bild.

Die Sonne steiget auf und nieder;

Doch Abend bleibt’s in seiner Brust.

Es sank der Tag ihm, kehrt nicht wieder,

Und sie, nur sie ist ihm bewußt,

Und ewig, ewig ist gefangen

Sein Geist im quälenden Verlangen

Sie, wachend träumend, anzuschaun.

Und da er wacht aus seinem Schlummer

Ist’s ihm, als stieg’ er aus der Gruft,

So fremd und tod; und aller Kummer

Der mit ihm schlief erwacht und ruft:

O weine! sie ist dir verlohren

Die deine Liebe hat erkohren

Ein Abgrund trennet sie und dich!

Er rafft sich auf mit trüber Seele

Und eilt des Schlosses Gärten zu;

Da sieht er, bei der Mondeshelle,

Ein Mädchen auf ihn eilen zu.

Sie reicht ein Blatt ihm und verschwindet,

Eh er zu fragen Worte findet,

Er bricht die Siegel auf und liest:

„Entfliehe! wenn dies Blatt gelesen

Du hast, und rette so dich mir.

Mir ist, als sey ich einst gewesen,

Die Gegenwart erstirbt in mir,

Und lebend ist nur jene Stunde,

Sie spricht mir mit so süßem Munde,

Von dir, von dir, und stets von dir.“

Er liest das Blatt mit leisem Beben

Und liebt’s, und drückt es an sein Herz.

Gewaltsam theilet sich sein Leben,

In große Wonne – tiefen Schmerz.

Solt er die Theuerste nun meiden?

Kann sie dies Trauern ihm bereiten!

Soll er sie nimmer wieder sehn?

Er geht nun, wie sie ihm geboten;

Da trifft ein Mörderdolch die Brust.

Doch steigt er freudig zu den Todten,

Denn der Erinn’rung süße Lust,

Ruft ihm herauf die schönste Stunde,

Er hänget noch an ihrem Munde;

Entschlummert sanft in ihrem Arm.

Die Manen 4

Ein Fragment

Schüler: Weiser Meister! ich war gestern in den Katakomben der Könige von Schweden. Tags zuvor hatte ich die Geschichte Gustav Adolphs gelesen, und ich nahte mich seinem Sarge mit einem äusserst sonderbaren und schmerzlichen Gefühl, sein Leben und seine Thaten gingen vor meinem Geiste vorüber, ich sah zugleich sein Leben und seinen Tod, seine große Thätigkeit und seine tiefe Ruhe in der er schon dem zweiten Jahrhundert entgegen schlummert. Ich rief mir die dunkle grausenvolle Zeit zurück in welcher er gelebt hat, und mein Gemüth glich einer Gruft, aus welcher die Schatten der Vergangenheit bleich und schwankend herauf steigen. Ich weinte um seinen Tod mit heissen Thränen, als sey er heute erst gefallen. Dahin! Verlohren! Vergangen! sagte ich mir selbst, sind das alle Früchte eines großen Lebens? Diese Gedanken, diese Gefühle überwältigten mich, ich mußte die Gruft verlassen, ich suchte Zerstreuung, ich suchte andere Schmerzen, aber der unterirdische trübe Geist verfolgt mich allenthalben, ich kann diese Wehmuth nicht los werden, sie legt sich wie ein Trauerflohr über meine Gegenwart; dies Zeitalter däucht mir schaal und leer, ein sehnsuchtsvoller Schmerz zieht mich gewaltig in die Vergangenheit. Dahin! Vergangen! ruft mein Geist. O möchte ich mit vergangen seyn! und diese schlechte Zeit nicht gesehen haben, in der die Vorwelt vergeht, an der ihre Größe verlohren ist.

Lehrer: Verlohren junger Mensch? Es ist nichts verlohren, und in keiner Rücksicht; nur unser Auge vermag die lange unendliche Kette von der Ursache zu allen Folgen nicht zu übersehen. Aber wenn du auch dieses nicht bedenken willst, so kannst du doch das nicht verlohren und dahin nennen, was dich selbst so stark bewegt, und so mächtig auf dich wirkt. Schon lange kenne ich dich, und mich däucht, dein eignes Schicksal und die Gegenwart haben dich kaum so heftig bewegt, als das Andenken dieses großen Königs. Lebt er nicht jetzt noch in dir! oder nennst du nur Leben, was im Fleisch und in dem Sichtbaren fortlebt? und ist dir das dahin und verlohren, was noch in Gedanken wirkt, und da ist?

 

Schüler: Wenn dies ein Leben ist, so ist es doch nicht mehr, als ein bleiches Schattenleben; dann ist die Erinnerung des Gewesenen, Wirklichen, mehr, als ihre bleiche Schatten dieser Wirklichkeit!

Lehrer: Die positive Gegenwart ist der kleinste und flüchtigste Punkt; indem du die Gegenwart gewahr wirst, ist sie schon vorüber, das Bewußtseyn des Genusses liegt immer in der Erinnerung. Das Vergangene kann in diesem Sinn nur betrachtet werden, ob es nun längst oder so eben vergangen, gleichviel.

Schüler: Es ist wahr. So lebt und wirkt aber ein großer Mensch nicht nach seiner Weise in mir fort, sondern nach meiner, nach der Art wie ich ihn aufnehme, wie ich mich und ob ich mich seiner erinnern will.

Lehrer: Freilich lebt er nur fort in dir, in sofern du Sinn für ihn hast, in sofern deine Anlage dich fähig macht ihn zu empfangen in deinem Innern, in sofern du etwas mit ihm Homogenes hast, das Fremdartige in dir tritt mit ihm in keine Verbindung, und er kann nicht auf es wirken; und nur mit dieser Einschränkung wirken alle Dinge. Das, wofür du keinen Sinn hast, geht für dich verlohren, wie die Farbenwelt dem Blinden.

Schüler: Hieraus folgt, daß nichts ganz verlohren geht, daß die Ursachen in ihren Folgen fortwirken, (oder wie du dich ausdrückst, fortleben), daß sie aber nur auf dasjenige wirken können, das Empfänglichkeit, oder Sinn für sie hat.

Meister: Ganz recht.

Schüler: Gut! die Welt und die Vernunft möge genug haben an diesem nicht verlohren seyn, an dieser Art fort zu leben, aber mir ist es nicht genug; eine tiefe Sehnsucht führt mich zurück in den Schoos der Vergangenheit, ich mögte in einer unmittelbaren Verbindung mit den Manen der großen Vorzeit stehn.

Lehrer: Hälst du es denn für möglich?

Schüler: Ich hielt es für unmöglich, als noch kein Wunsch mich dahin zog, ja, ich hätte noch vor Kurzem jede Frage der Art für thöricht gehalten, heute wünsche ich schon, eine Verbindung mit der Geisterwelt möchte möglich seyn, ja mir dünkt, ich sey geneigt sie glaublich zu finden.

Lehrer: Mir däucht die Manen Gustav Adolphs haben deinem innern Auge zu einer glücklichen Geburt verholfen, und du scheinst mir reif, meine Meynung über diese Gegenstände zu vernehmen. So gewiß alle harmonische Dinge in einer gewissen Verbindung stehen, sie mag nun sichtbar oder unsichtbar seyn, so gewiß stehen auch wir in einer Verbindung mit dem Theil der Geisterwelt der mit uns harmonieret; ein ähnlicher oder gleicher Gedanke in verschiedenen Köpfen, auch wenn sie nie von einander wußten, ist im geistigen Sinne schon eine Verbindung. Der Tod eines Menschen der in einer solchen Verbindung mit mir stehet, hebt diese Verbindung nicht auf. Der Tod ist ein chemischer Prozeß, eine Scheidung der Kräfte, aber kein Vernichter, er zerreißt das Band zwischen mir und ähnlichen Seelen nicht, das Fortschreiten des Einen und das Zurückbleiben des Andern aber kann wohl diese Gemeinschaft aufheben, wie ein Mensch, der in allem Vortrefflichen fortgeschritten ist, mit seinem unwissenden und roh gebliebenen Jugendfreund nicht mehr harmonieren wird. Du wirst das Gesagte leicht ganz allgemein, und ganz aufs Besondere anwenden können?

Schüler: Vollkommen! du sagst Harmonie der Kräfte ist Verbindung, der Tod hebt diese Verbindung nicht auf, indem er nur scheidet nicht vernichtet.

Lehrer: Ich fügte noch hinzu: das Aufheben dessen, was eigentlich diese Harmonie ausmachte (z. B. Veränderung der Ansichten und Meynungen, wenn die Harmonie gerade darin bestand) müßte auch nothwendig diese Verbindung aufheben.

Schüler: Ich hab’ es nicht aus der Acht gelassen.

Lehrer: Gut. Eine Verbindung mit Verstorbenen kann also statt haben, in so fern sie nicht aufgehört haben, mit uns zu harmonieren?

Schüler: Zugegeben.

Lehrer: Es kommt nur darauf an, diese Verbindung gewahr zu werden. Blos geistige Kräfte können unsern äussern Sinnen nicht offenbar werden; sie wirken nicht durch unsere Augen und Ohren auf uns, sondern durch das Organ, durch das allein eine Verbindung mit ihnen möglich ist, durch den innern Sinn, auf ihn wirken sie unmittelbar. Dieser innere Sinn, das tiefste und feinste Seelenorgan, ist bei fast allen Menschen gänzlich unentwickelt und nur dem Keim nach da; das Geräusch der Welt, das Getreibe der Geschäfte, die Gewohnheit nur auf der Oberfläche, und nur die Oberfläche zu betrachten, lassen es zu keiner Ausbildung, zu keinem deutlichen Bewußtseyn kommen, und so wird es nicht allgemein anerkannt, und was sich hier und da zu allen Zeiten in ihm offenbahret hat, hat immer so viele Zweifler und Schmäher gefunden; und bis jetzt ist sein Empfangen und Wirken in äußerst seltnen Menschen die seltenste Individualität. – Ich bin weit davon entfernt, so manchen lächerlichen Geistererscheinungen und Gesichten das Wort zu reden; aber ich kann es mir deutlich denken, daß der innere Sinn zu einem Grade afficirt werden kann, nach welchem die Erscheinung des Innern vor das körperliche Auge treten kann, wie gewöhnlich umgekehrt, die äussere Erscheinung vor das Auge des Geistes tritt. So brauche ich nicht alles Wunderbare, durch Betrug oder Täuschung der Sinnen zu erklären. Doch ich erinnere mich, man nennt in der Sprache der Welt diese Entwicklung des innern Sinns, überspannte Einbildung.

Wem also der innere Sinn, das Auge des Geistes, aufgegangen ist, der sieht dem Andern unsichtbare mit ihm verbundene Dinge. Aus diesem innern Sinn sind die Religionen hervorgegangen, und so manche Apokalipsen der alten und neuen Zeit. Aus dieser Fähigkeit des innern Sinnes, Verbindungen, die andern Menschen (deren Geistesauge verschlossen ist) unsichtbar sind, wahrzunehmen, entsteht die Prophezeihung, denn sie ist nichts anders als die Gabe, die Verbindung der Gegenwart und Vergangenheit mit der Zukunft, den nothwendigen Zusammenhang der Ursachen und Wirkungen zu sehen. Prophezeihung ist Sinn für die Zukunft. Man kann die Wahrsagerkunst nicht erlernen, der Sinn für sie ist Geheimnißvoll, er entwikkelt sich auf eine geheimnißvolle Art; er offenbahrt sich oft nur wie ein schneller Blitz der dann von dunkler Nacht wieder begraben wird. Man kann Geister nicht durch Beschwörungen rufen, aber sie können sich dem Geiste offenbahren, das Empfängliche kann sie empfangen, dem innern Sinn können sie erscheinen.

Der Lehrer schwieg, und sein Zuhörer verließ ihn. Mancherlei Gedanken bewegten sein Inneres, und seine ganze Seele strebte sich das Gehörte zum Eigenthum zu machen.

Wunsch

Ja Quitos Hand, hat meine Hand berühret

Und freundlich zu den Lippen sie geführet,

An meinem Busen hat sein Haupt geruht.

Da fühlt ich tief ein liebend fromm Ergeben.

Mußt ich dich überleben, schönes Leben?

Noch Zukunft haben, da du keine hast?

Im Zeitenstrome wirst du mir erbleichen,

Stürb ich mit dir, wie bei der Sonne Neigen

Die Farben all’ in dunkler Nacht vergehn.

Der Adept

Ein Weiser, der schon viel erforschet,

Doch nie des Forschens müde war,

Gelangte einst zum Indier Lande,

Nach manchem langen Wandrungsjahr.

Die Priester dieses Landes rühmen

Sich viel geheimer Wissenschaft,

Sie wissen Seyn und Schein zu trennen,

Und kennen aller Dinge Kraft.

Zum Schüler läßt sich Valus weihen,

Verbindet sich durch einen Eid,

Geheimnißvoll, zu diesem Orden,

Wie es der Priester ihm gebeut.

Wie eitel all sein vorig Wissen;

Das siehet bald schon Valus ein,

Kannt’ er doch nie der Dinge Seele

Begnügt’ an Namen sich und Schein.

Eins sieht er nun in jeder Summe,

Sieht den Naturgeist immer neu

Und immer alt in ew’gem Wandel

Wie er in allen Formen sey.

Jetzt kann er die Natur belauschen,

Er kann ihr tiefstes Wirken schaun,

Weiß, wie die Stoffe sich vermählen

Und wie die Erden sich erbaun.

Jetzt giebt man ihm die dritte Weihe,

Ein Vorzug wen’ger Weisen nur;

Denn sie, die alles sonst durchschauten

Beherrschen jetzo die Natur.

Nachdem er dreimal so geweihet,

Hat er den großen Schritt gethan,

Der seines Lebens lange Reise

Geschieden von der Menschheit Bahn.

Viel Zeiten gehn an ihm vorüber,

Er siehet die Geschlechter fliehn,

Und bleibt allein in allem Wandel,

Indes die Dinge kommen, ziehn.

Nachdem er oft den Kreis gesehen

Den immer die Natur gemacht,

Ergreiffen Schauder seine Seele,

Denn Alles kehrt wie Tag und Nacht.

Der Neuheit Reiz ist ihm verlohren,

Er kennet was die Erde trägt.

Er findet sich allein auf Erden,

Die Menschen sind nicht sein Geschlecht.

Geleert hat er des Lebens Becher

Und lebet immer, immer fort.

Er kann dem Meere nicht entsteigen

Und hat gelandet doch im Port.

Weh’ dem! ruft er: der auf dem Gipfel

Des Daseyns also stille steht.

Nicht Ew’ges kann der Mensch ertragen,

Und wohl ihm, wenn er auch vergeht.

Ein apokaliptisches Fragment

1. Ich stand auf einem hohen Fels im Mittelmeer, und vor mir war der Ost, und hinter mir der West, und der Wind ruhte auf der See.

2. Da sank die Sonne, und kaum war sie verhüllt im Niedergang, so stieg im Aufgang das Morgenroth wieder empor, und Morgen, Mittag, Abend und Nacht, jagten sich, in schwindelnder Eile, um den Bogen des Himmels.

3. Erstaunt sah ich sie sich drehen in wilden Kreisen; mein Puls floh nicht schneller, meine Gedanken bewegten sich nicht rascher, und die Zeit in mir gieng den gewohnten Gang, indes sie ausser mir, sich nach neuem Gesetz bewegte.

4. Ich wollte mich hinstürzen in das Morgenroth, oder mich tauchen in die Schatten der Nacht, um mit in ihre Eile gezogen zu werden, und nicht so langsam zu leben; da ich sie aber immer betrachtete, ward ich sehr müde und entschlief.

5. Da sah ich ein weites Meer vor mir, das von keinem Ufer umgeben war, weder im Ost noch Süd noch West, noch Nord: kein Windstoß bewegte die Wellen, aber die unermeßliche See bewegte sich doch in ihren Tiefen, wie von innern Gährungen bewegt.

6. Und mancherlei Gestalten stiegen herauf, aus dem Schoos des tiefen Meeres, und Nebel stiegen empor und wurden Wolken, und die Wolken senkten sich, und berührten in zuckenden Blitzen die gebährenden Wogen.

7. Und immer mannichfaltigere Gestalten entstiegen der Tiefe, aber mich ergriffen Schwindel und eine sonderbare Bangigkeit, meine Gedanken wurden hie hin und dort hin getrieben, wie eine Fackel vom Sturmwind, bis meine Erinnerung erlosch.

8. Da ich aber wieder erwachte, und von mir zu wissen anfieng, wußte ich nicht, wie lange ich geschlafen hatte, ob es Jahrhunderte oder Minuten waren; denn ob ich gleich dumpfe und verworrene Träume gehabt hatte, so war mir doch nichts begegnet, was mich an die Zeit erinnert hätte.

9. Aber es war ein dunkles Gefühl in mir, als habe ich geruht im Schoose dieses Meeres und sey ihm entstiegen, wie die andern Gestalten. Und ich schien mir ein Tropfen Thau, und bewegte mich lustig hin und wieder in der Luft, und freute mich, daß die Sonne sich in mir spiegle, und die Sterne mich beschauten.

10. Ich ließ mich von den Lüften in raschen Zügen dahin tragen, ich gesellte mich zum Abendroth, und zu des Regenbogens siebenfarbigen Tropfen, ich reihte mich mit meinen Gespielen um den Mond wenn er sich bergen wollte, und begleitete seine Bahn.

11. Die Vergangenheit war mir dahin! ich gehörte nur der Gegenwart. Aber eine Sehnsucht war in mir, die ihren Gegenstand nicht kannte, ich suchte immer, aber jedes Gefundene war nicht das Gesuchte, und sehnend trieb ich mich umher im Unendlichen.

12. Einst ward ich gewahr, daß alle die Wesen, die aus dem Meere gestiegen waren, wieder zu ihm zurückkehrten, und sich in wechselnden Formen wieder erzeugten. Mich befremdete diese Erscheinung; denn ich hatte von keinem Ende gewußt. Da dachte ich, meine Sehnsucht sey auch, zurück zu kehren, zu der Quelle des Lebens.

 

13. Und da ich dies dachte, und fast lebendiger fühlte, als all mein Bewußtseyn, ward plötzlich mein Gemüth wie mit betäubenden Nebeln umgeben. Aber sie schwanden bald, ich schien mir nicht mehr ich, und doch mehr als sonst ich, meine Gränzen konnte ich nicht mehr finden, mein Bewußtseyn hatte sie überschritten, es war größer, anders, und doch fühlte ich mich in ihm.

14. Erlöset war ich von den engen Schranken meines Wesens, und kein einzler Tropfen mehr, ich war allem wiedergegeben, und alles gehörte mir an, ich dachte, ich fühlte, wogte im Meer, glänzte in der Sonne, kreiste mit den Sternen; ich fühlte mich in allem, und genos alles in mir.

15. Drum, wer Ohren hat zu hören, der höre! Es ist nicht zwei, nicht drei, nicht tausende, es ist Eins und alles; es ist nicht Körper und Geist geschieden, daß das eine der Zeit, das andere der Ewigkeit angehöre, es ist Eins, gehört sich selbst, und ist Zeit und Ewigkeit zugleich, und sichtbar, und unsichtbar, bleibend im Wandel, ein unendliches Leben.