Dein Reich komme

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Jürgen Kroth

Dein Reich komme

Studien zu einer politischen Theologie sakramentaler Theorie und Praxis

Studien

zur Theologie und Praxis

der Seelsorge

102

Herausgegeben von Erich Garhammer und Hans Hobelsberger in Verbindung mit Martina Blasberg-Kuhnke und Johann Pock

Jürgen Kroth

Dein Reich komme

Studien zu einer politischen Theologie sakramentaler Theorie und Praxis

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2018

© 2018 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Gestaltung: Hain-Team (www.hain-team.de)

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

ISBN

978-3-429-04429-9

978-3-429-04950-8 (PDF)

978-3-429-06370-2 (ePub)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung und praktisch-theologische Grundlegung

Teil I: Diagnosen

1. Innenansichten der pastoralen Praxis im Allgemeinen

1.1 Binnenbezogenheit

1.2 Betreuungsperspektive

1.3 Kirchlichkeit und Verkirchlichung

2. Soziologische und zeitdiagnostische Außenbetrachtungen

2.1 Die Deutung der Zeichen der Zeit als Aufgabe für der Theologie

2.2 Kolonialisierung der Lebenswelt, Individualisierung, Atomisierung

2.3 Die Herausforderung unbegrenzter Pluralität

2.4 Ortlosigkeit als theologisches Problem

3. Theologisches Grundperspektiven bestehender pastoralen Praxis

3.1 Aktivierungs-, Beteiligungs- und Mitgliederorientierung

3.2 Territorialprinzip

3.3 Milieuprinzip

3.4 Seelsorge als Sorge um das Heil des Einzelnen

3.5 Communio vs. Kommunikation

4. Religion ohne Gott - Religion als Kritik der neuen Religion

Exkurs: Postsäkularität - Religion - Christentum

Teil II: Differenzierungen

5. Reich Gottes als Schlüsselbegriff aller kirchlichen Praxis

5.1 Reich Gottes in synoptischer Perspektive

5.1.1 Ökonomie

5.1.2 Politik

5.1.3 Ideologie

5.2 Die apokalyptische Dimension des Reiches Gottes

5.3 Systematische Annäherungen

6. Verhältnisbestimmung: Welt - Reich Gottes

6.1 Karl Rahners Beitrag zu einer Theologie der Welt

6.2 Zu einer politischen Theologie der Welt

6.3 Die eschatologische Grundstruktur der Theologie

7. Sakramente als Antizipation und politische Theologie

7.1 Das Sakramentenverständnis in der Tradition der Kirche

7.2 Reflexionen auf die bestehende Sakramentenpraxis

7.3 Heil in einer unheilen Welt

7.4 Befreiung - Erlösung - Rettung

7.5 Grundlegungen politisch-theologischer Sakramentenpraxis

7.6 Die produktive Kraft des Erinnerns und Ezählens

Teil III: Dimensionen

8. Initiation: Einweisung in das Reich Gottes

9. Taufe: Aufnahme in die Reich-Gottes-Hoffnung

9.1 biblische Annäherungen

9.2 Systematische Aspekte zur Taufe

9.3 Taufpraxis

9.4 Taufpastoral

9.5 Leitperspektiven heutiger Taufpastoral

9.5.1 Aufnahme in die Kirche

9.5.2 Segen für das Kind

9.5.3 Familienpastorale Orientierung der Taufpastoral

9.5.4 Kinder- oder Erwachsenentaufe?

9.5.5 Katechumenat

9.5.6 Plädoyer für eine narrative Struktur der Taufpastoral

9.6 Fragile Präsenz des Heils

10. Eucharistie: Anamnese und Prolepse der Basileia

10.1 Theologische Kontroversen um das Verständnis der Eucharistier

10.2 Konfrontationen mit einer zeitgenössischen Problematik

10.3 Theologische Kategorien zeitgemäßer Eucharistiepastoral

10.4 Einweisung in die Praxis der Nachfolge und Solidarität

10.5 Überblick über die aktuelle Eucharistiepastoral

10.6 Eucharistiepraktische Neuansätze

10.7 Fragile Präsenz eucharistischer Vergegenwärtigung

11. Firmung: Mitarbeit am Reich Gottes

11.1 Handlungsorientierte Firmpastoral

11.1.1 Systematische Annäherungen

11.1.2 Biblische Annäherung

11.1.3 Kurze Zwischenreflexion

11.1.4 Konsequenzen für die Firmpastoral

 

11.2 Gesellschaftstheoretische Reflexionen

11.3 Pädagogische Perspektiven

11.4 Gegenwärtiger Stand der Firmkatechetik

11.5 Sensibilisierung für die Fragilität gelungenen Lebens

12. Zum Schluss

Literaturverzeichnis

Vorwort

Der Anlass für die vorliegende Arbeit liegt in einem Forschungsseminar vor ein paar Jahren, das die Sakramentenpastoral zum Gegenstand hatte. Weniger aufgrund fester Erkenntnisse als aufgrund einer Intuition wurden sakramentenkatechetische und –pastorale Positionen hinsichtlich ihrer Reich-Gottes-Verwiesenheit untersucht. Das Ergebnis war für alle Beteiligten ernüchternd. Es wurde sehr deutlich, dass dieser Aspekt eine genauere Untersuchung erfordert. Natürlich verdankt sich eine solche vielfältiger Unterstützung, Beratung, Kritik und Inspiration.

Allen voran sei Prof. Dr. Heinz-Günther Schöttler gedankt, der sehr unkonventionell und spontan seine Bereitschaft erklärte, dieses Projekt als Habilitation zu betreuen, ohne in den Entstehungsprozess von Anfang an eingebunden zu sein. Für seine freundlichen, kollegialen, vor allem aber auch kritischen Rückfragen danke ich ihm sehr. Ihm zugleich danke ich Prof. DDr. Norbert Mette von ganzem Herzen. Er war es – ganz sicher, ohne sich dessen bewusst zu sein –, der mich dazu ermutigte, die Arbeit zu beginnen und die Überlegungen zu konzentrieren. Die Untersuchung lebt von vielen seiner Überlegungen, auch dort, wo sich dies nicht im Zitat oder Literaturverweis manifestiert. Auch Prof. Dr. Erwin Dirscherl sei von Herzen gedankt, der sich zur Mitarbeit am Fachmentorat für diese Habilitation bereit erklärte und dessen kritische und zugleich konstruktive Rückfragen vor allem die schwierige Stellung dieser Studie zwischen den Stühlen der Praktischen Theologie einerseits und der Systematischen Theologie andererseits abzusichern beitrug. Weiterhin gilt mein Dank auch Prof. Dr. Johannes Först, der vor allem die Frage nach der Prüfung der Hypothesen weit über deren theoretische Explikation hin wach hielt. Prof. Dr. mult. Josef Wohlmuth danke ich für die Erstellung eines Gutachtens ebenso wie Prof. DDr. Thomas Schärtl-Trendel.

Viele Überlegungen wurden auch im sog. Kamingespräch der Pallottiner an Haus Wasserburg kritisch besprochen und geprüft. Jutta Lehnert, Edeltraud Groß, JProf. P. Dr. Alban Rüttenauer SAC, P. Alexander Diensberg SAC, Guido Groß und P. Jörg A. Gattwinkel SAC wissen – so hoffe ich jedenfalls –, wie dankbar ich ihnen dafür bin.

Für die unglaublich anstrengende Arbeit einer in mehrfacher Hinsicht kritischen Lektüre danke ich Josef Schifferings und vor allem Bertil Langenohl von ganzem Herzen; für ihre Hilfestellung, theologische Begleitung und freundschaftliche Verbundenheit ebenso.

Überaus dankbar bin ich für die Freundschaft und das inspirierend kritische Denken vor allem von drei Menschen, die meinen Weg in die Theologie begleitet und gestaltet haben: Prof. Dr. Luise Schottroff, meiner wunderbaren Lehrerin in der Lektüre biblischer Texte, Prof. Dr. mult. Johann Baptist Metz, dessen Denken selbst noch im hohen Alter nichts an Frische und Überraschung eingebüßt hat und Dr. Tiemo Rainer Peters OP, der mehr als jeder andere mich und seinen gesamten Schülerinnen- und Schülerkreis auf liebenswerte Art gezwungen hat, bei der Sache der Theologie zu bleiben.

Dem Bistum Trier, allen voran Bischof Dr. Stephan Ackermann, danke ich für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses.

Niemals fertig geworden wäre diese Untersuchung ohne Melanie. Sie hat einen größeren Anteil an dem Endprodukt, als sie überhaupt nur einschätzen kann. Überaus großen Anteil aber haben auch Tiemo und Luise durch ihre bloße Existenz. Sie werden später verstehen, was damit gemeint ist. Diesen Dreien sei das vorliegende Buch in tiefer Dankbarkeit und Zuneigung – sie werden auch dies zu verstehen wissen – zugeeignet.

Einleitung und praktisch-theologische Grundlegung

Es wundert doch sehr, schaut man wachen Blicks in die sakramentenpastorale Wirklichkeit sowohl der theologischen Theoriebildung und Reflexion1, aber auch der gemeindlichen Praxen, wie wenig die Vorbereitung auf die Feier von Sakramenten, wie wenig aber auch die Feiern selbst inhaltlich konturiert sind; erst recht ist das weitgehende Fehlen eines Reich-Gottes-Bezugs auffällig.2 Eine inhaltliche Fundierung in einer Reich-Gottes-Perspektive fehlt zumeist;3 von einigen Ausnahmen wird noch die Rede sein.4 Dies irritiert insofern umso mehr, als spätestens seit Evangelii nuntiandi von 1975 die Orientierung am Reich Gottes zentral für die Frage der Evangelisierung ausgegeben und damit lehramtlich, zumindest im Range eines Apostolischen Schreibens, aufgegriffen wurde (vgl. EN, 8-14). Auch angesichts des biblischen Befundes muss dies irritieren. Schließlich stellt die Verkündigung des Reiches Gottes „die entscheidende, zentrale Aussage der Botschaft Jesu insgesamt“5 dar. Gleichwohl ist mit Jon Sobrino zu konzedieren, dass über viele hundert Jahre „weder Konzilien noch das Lehramt oder die Christologie das Reich Gottes im Sinn gehabt oder recht verstanden“6 haben.

Die vorliegende Studie geht davon aus, dass gerade in den Sakramenten, die tatsächlich lebensrelevante Abschnitte markieren, etwas von dem aufscheinen muss, was einerseits als gelingendes Leben zu kennzeichnen ist, was aber andererseits die vorhandenen Möglichkeiten, das Leben als gelingend zu gestalten zugleich transzendiert und insofern eine Hoffnung artikuliert, die so radikal ist, dass sie mit dem Namen Gott und dessen Reich verbunden ist. So verstanden, haftet den Sakramenten eine ethische wie eine eschatologische Dimension an. Ja, es macht das Eigentümliche der Sakramente aus, dass in ihnen Ethik und Eschatologie zusammenfallen. Insofern eine bloß gleichsam nach vorn, in die Zukunft hinein verlagerte Hoffnung in der Gefahr steht, inhuman zu werden, eignet den Sakramenten zugleich eine anamnetische Tiefenstruktur.

Eine Auseinandersetzung mit den Sakramenten steht vor der Schwierigkeit, die vielfältigen theologischen Überschneidungen nicht außer Acht zu lassen zu dürfen, zugleich jedoch eine zielführende Fokussierung zu entwickeln. Dies bedenkend werden viele Schnittstellen zwar angesprochen; sie können aber nicht hinreichend ausgearbeitet werden. Der Schwerpunkt wird auf einer praktisch-theologischen, genauerhin pastoraltheologischen Perspektive liegen. Allerdings werden grundlegende Positionen der systematischen Theologie durchaus zu berücksichtigen sein. Es geht dabei nicht um eine weitere Arbeit zu dogmatischen Fragestellungen. Eher wird mit dem Rüstzeug einer „praktischen Fundamentaltheologie“7 versucht, eine Vermittlung zwischen praktischer und systematischer Theologie auf der Basis der Sakramentenpastoral herzustellen. Dieses Verfahren wird schon deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil jede Theologie als Wissenschaft immer einweisen muss in eine christliche Praxis.8 Selbstverständlich werden dabei auch dogmatische Fragen zu reflektieren, grundlegende ekklesiologische Unterschiede zu markieren und denkformanalytische Differenzen herauszuarbeiten sein. Gleichwohl stellt dies nicht das Hauptaugenmerk der Studie dar. Vielmehr soll die Sakramentenpastoral theologisch qualifiziert werden. Dabei ist sofort zu bedenken, dass in einer solchen theologischen Qualifizierung wesentlich von Gott und seinem Reich zu reden sein wird, ja, dass eine theologische Grundperspektive der Sakramentenpastoral ohne diese Perspektive in der Gefahr steht aufzuhören, Theologie zu sein. Wenn Karl Rahner davon ausgeht, eine Sakramententheologie benötige unabdingbar eine fundamentaltheologische Vergewisserung, „insofern Fundamentaltheologie die Wissenschaft ist, die sich die Dogmatik selbst als ihre eigene Grundlage voraussetzt“9, so wäre – unabhängig davon, ob die Fundamentaltheologie diese Zuschreibung unbefragt teilen könnte – wiederum gerade unter einem genuin theologischen Fragehorizont eine solch praktische Fundamentaltheologie hilfreich.

1

Für jede Theologie gilt, dass sie immer in einer bestimmten Zeit sich artikuliert. Auch für die Sakramentenpastoral und die Sakramententheologie gilt dieser Zeitindex. Bonhoeffer sprach davon, dass das, was immer wahr ist, gerade heute nicht wahr sein könne.10 Überzeitliche Positionen sind daher der Theologie Sache nicht, wenngleich es immer wieder – heute sogar wieder verstärkt11 – Tendenzen geben mag, solche zu finden. In der Sakramententheologie und der sakramentalen Praxis freilich lässt sich deutlich zeigen, wie sehr das jeweilige Verständnis auf zeitbedingte Erkenntnisse und Entdeckungen verweist. Es wird daher auch für diese Untersuchung zunächst darauf ankommen, etwas genauer zu verstehen, was denn pastoral und theologisch „der Fall ist“ (Kap. 1-3). Wenn solche Diagnosen versucht werden, dann selbstverständlich immer unter der Einschränkung der gewählten Fragestellung. Das erkenntnisleitende Interesse ist die Profilierung der Sakramentenpastoral als Einweisung in eine Reich-Gottes-Praxis. Das grenzt den zeitdiagnostischen Gestus notwendigerweise ein. Weniger wird es daher um das Hegelsche Anliegen gehen, die Zeit in Gedanken zu fassen12, sondern darum die Gedanken und das Handeln der Menschen zeitgemäß zu erkunden. Das dafür beanspruchte methodische Instrumentarium ist noch einmal theologisch präformiert, bildet also nicht den großen Rahmen zeitdiagnostischer Möglichkeiten ab, sondern wird fokussiert durch die leitende Fragestellung, inwiefern die pastorale Praxis der Kirche mit ihrer inhaltlichen Perspektive hin auf das Reich Gottes einerseits mit der Wirklichkeit der Menschen heute vermittelbar ist; wie aber andererseits das Handeln der Kirche diese Frage selbst unterläuft. Die in der Studie vorgenommenen soziologischen Referenzen bilden daher auch nicht all das ab, was in der Wissenschaftsgemeinde publiziert wurde. Die Arbeit greift vielmehr nur auf solche zurück, die zum einen innerhalb der Theologie über eine relativ große Rezeption verfügen und die zum anderen auch in den Gesamtkontext des zeitdiagnostischen Ansatzes der vorliegenden Studie selbst integrierbar sind. Dass es sich dabei um eine Auswahl handelt, die selbst noch einmal kritisch befragt werden kann, ist evident, aber unabdingbar aufgrund der Fülle der Untersuchungen einerseits und des begrenzten Platzes innerhalb einer Arbeit, die solche Fragen nicht zentral behandeln will, andererseits. Es werden auch Untersuchungen berücksichtigt, die auf empirischen Daten fußen. Eine empirische Erhebung wird aber nicht durchgeführt. Vielmehr werden diese Untersuchungen wiederum einer theologischen Fragestellung unterworfen. Leitend ist dabei die von Paul Ricœur stammende, aber auf Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud zurückgehende „Hermeneutik des Verdachts“13, die in der Theologie ja an anderer Stelle schon als hilfreich sich erwiesen hat, wo darunter ein ideologiekritisches Verfahren verstanden wird, das jeden Text und jede Überlieferung mit dem Verdacht belegt, die herrschenden Strukturen zu legitimieren.14

Weiterhin ist es notwendig, die gesellschaftlichen Makrostrukturen in den Blick zu nehmen, in denen sich heute eine neue Religionsfreudigkeit herausgebildet hat, die ohne jegliche Gotteshoffnung sich artikuliert, oder einen neuen Gott an die Stelle des biblischen setzt (Kap. 4). Bei all dem müssen natürlich zwei Hinweise berücksichtigt werden, einerseits der von Rolf Zerfaß, die Wahrnehmung der Vielschichtigkeit und Vielgesichtigkeit kirchlicher Praxis, „auf der Ebene der einzelnen Biographie, der Gruppen und Gemeinden sowie der Kirche(n) in ihren kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten auf Zukunft hin – d.h. im Verheißungshorizont der Herrschaft Gottes“15 zu bedenken, und der Hinweis von Ottmar Fuchs auf die Kontextbezogenheit der praktisch-theologischen Wahrnehmung, in der es nicht „die Praxis des Menschen, sondern nur die Praxis verschiedener Menschen in verschiedenen Herkunfts- und Lebenszusammenhängen“16 gebe.

 

2

Der zweite Teil der Studie konzentriert sich auf die Herausarbeitung einer politischen Theologie der Sakramente. Diese Konzentration und die praktisch-theologische Fragestellung dieser Arbeit legen schon nahe, dass hier nicht das gesamte Spektrum sakramententheologischer Ansätze zum Gegenstand gemacht werden soll. Allenfalls können paradigmatisch einige grundlegende diskutiert werden. Zuvor aber ist es notwendig, den hier als zentral erachteten Topos der Sakramententheologie genauer zu erkunden, also der Frage nach dem Stellenwert der Reich-Gottes-Botschaft in den biblischen wie systematischen Traditionen nachzugehen (Kap. 5), um dann das Verhältnis von Welt und Reich Gottes genauer bestimmen zu können (Kap.6). Zu fragen ist, ob und wenn ja mit welchen Referenzsystemen die Theologie überhaupt in der Lage ist, Welt als Welt anzuerkennen, ohne dabei völlig in der Welt aufzugehen. Es wird dabei deutlich werden, inwieweit auch solch bahnbrechende Ansätze wie der einer transzendentaltheologisch fundierten anthropologischen Theologie nicht hinreicht, die Weltlichkeit der Welt theologisch zu entfalten. Vielleicht ist hier doch zu viel Hegelsche Universalgeschichte am Werke, die letztlich jenen χωρισμός zu überwinden trachtet, den die Kantische Philosophie noch markierte. Wie aber ist sonst theologisch das Weltverhältnis zu bestimmen? Am ehesten dadurch, dass der Blick ungetrübt die Welt wahrnimmt und sehr vorsichtig ist mit allzu schnellen theologischen Suppositionen. Das mahnt schon das berühmte Diktum Adornos,

Erkenntnis habe „kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik“, das dann aber verschärfend fortfährt: „Perspektiven müßten hergestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird.“17

Die kirchlichen Sakramente sind – recht verstanden – Widerspiegelung eines nicht-heilen Lebens in der Hoffnung, dies möge anders werden (Kap. 7). Sie sind Ausdruck der Hoffnung auf universale Versöhnung im Stande des Nichtidentischen, unterwerfen sich diesem jedoch nicht, sondern suchen praktische Veränderung, auch und nicht zuletzt, indem sie die Möglichkeit von Versöhnung antizipieren. So wahr der Satz, es gebe kein richtiges Leben im falschen18 auch ist, so falsch wird er, wenn daraus gefolgert wird, alles könne so bleiben, wie es ist, da es eben kein richtiges Leben gebe. Immerhin hat schon Walter Benjamin mit großem Recht darauf hingewiesen, die Katastrophe bestehe darin, dass alles so weitergehe.19 Eine politische Theologie der Sakramente (Kap. 8) knüpft an solchen Einsichten an und weiß sich dabei zugleich getragen von der jüdisch-christlichen Tradition, deren eschatologisch-apokalyptischer Grundgestus sich ebenfalls nicht damit abfinden kann, dass das, was ist, alles sei, dass es also mehr geben müsse als das, was der Fall ist. Unverkennbar ist somit auch schon, welche außertheologischen Referenzen für die Entfaltung der Fragestellung wichtig sind: es sind wesentlich Reflexionen aus dem Umfeld der Kritischen Theorie. Es braucht angesichts der Rezeptionsbreite und –tiefe der Arbeiten von Horkheimer, Adorno, Benjamin und Habermas in der Theologie im Allgemeinen, der Politischen Theologie im Besonderen keine eigene Rechtfertigung für ein solches Vorgehen. Zudem hat die Arbeit von Franz Schupp20 schon fruchtbare Erkenntnisse eines Gesprächs zwischen Sakramententheologie und Kritischer Theorie geliefert. Dennoch soll auf diese Traditionslinie wenigstens in einem Bereich noch etwas intensiver eingegangen werden, nämlich in der Verhältnisbestimmung von Theologie und Praxis. Immerhin beansprucht die vorliegende Studie, einen Beitrag zu einer fundamental praktischen Theologie der Sakramente zu liefern. Es soll daher dieser Frage gerade auch unter Rekurs auf außertheologische Referenzen nachgegangen werden (Kap. 9).

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Gewiss, das alles ist in der konkreten Sakramentenpastoral heute nicht erkennbar. Möglicherweise braucht es „zukünftig eine stärker inhaltsbezogene Reflexion und Konzeption kirchlichen Handelns“21. Es wird zu zeigen sein, dass diese Aspekte grundlegend sind für ein zeitgemäßes und zugleich in der Tradition verankertes Verständnis sakramentaler Praxis. Es wird im dritten Teil darum gehen, die einzelnen Sakramente unter Konzentration auf die Initiationssakramente ob ihrer Reich-Gottes-Relevanz sowohl zu befragen, wie diese auch auf der Höhe der Zeit zu formulieren. Vielleicht mag es enttäuschen, dass unmittelbar pragmatische Fragestellungen erst so spät im Verlauf einer praktisch-theologischen Arbeit auftauchen. Und vielleicht ist die Enttäuschung stärker, insofern keine unmittelbar anwendbaren oder umsetzbaren Ergebnisse geliefert werden. Es ist das Anliegen dieser Studie, eine politische Theologie sakramentaler Praxis zu entwerfen, nicht aber diese Praxis selbst abzubilden. Es gilt auch hier zu bedenken: Die Theologie ist actus secundus und reflexus, keineswegs unmittelbare pastorale Praxis, gleichwohl aber doch immer als Praxistheorie für die ihr vorgängige Praxis relevant.22 Insofern werden Kategorien entwickelt, die, aus der pastoralen wie allgemeinen Praxis und der theologischen Theorie gewonnen, in diese zurückfließen.

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Gerade hinsichtlich des vorigen Punktes sind einige Bemerkungen zur Methode notwendig, die dieser Untersuchung zugrunde liegt: Es gilt, das Verhältnis von Theologie und Praxis etwas genauer zu bestimmen. Die folgenden Ausführungen können jedoch zwei Dinge nicht leisten: sie können nicht ersetzen, diese Methode immer wieder auf neue Situationen hin zu aktualisieren, so dass also alle Akteure in einem pastoralen Handlungsfeld immer wieder eine methodisch geleitete Sitautionsvergewisserung vornehmen müssen; sie können auch nicht in Anspruch nehmen, mit diesen wenigen Anmerkungen schon eine Theorie des Verhältnisses von Theorie und Praxis zu leisten. Insofern können hier nur Marginalien zu Theologie und Praxis formuliert werden.

Es mag vielleicht wie eine Anmaßung erscheinen, dies in so enger Anlehnung an einen Text von Theodor W. Adorno zu formulieren23, allerdings ist dies in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt: zum Einen kann es sich auch hier angesichts der Breite des Themas und der Relevanz der Fragestellung nur um Marginalien handeln, die jeweils eigene Untersuchungen nötig machten, die ja in mehrfacher Form auch schon vorliegen24, zum Anderen aber verdanken sich viele Überlegungen der vorliegenden Untersuchungen ohnehin grundlegenden Erkenntnisse der Kritischen Theorie im Allgemeinen, den Arbeiten von Adorno im Besonderen. Freilich ist der Kontext der Frage nach Theorie und Praxis, bzw. Theologie und Praxis ein deutlich anderer; dennoch können Adornos Überlegungen immer noch interessante und wichtige Gesichtspunkte liefern. Es wird daher unter (1) zunächst eine Rekonstruktion des Theorie-Praxis-Verhältnisses vor allem unter Rekurs auf die Philosophie versucht, auch um dem vor allem in der Praktischen Theologie starken Rückgriff auf das Verständnis von Theorie und Praxis von Jürgen Habermas ein kleines, aber notwendiges Korrektiv zur Seite zu stellen, woran sich anschließend unter (2) das in dieser Studie vorausgesetzte Verständnis von Theologie und Praxis noch einmal dezidiert entfaltet wird.

Praxis, im praktisch-theologischen Diskussionszusammenhang, ist ein plurale tantum. Was so leichtfertig behauptet wird, wiegt doch in der wissenschaftstheoretischen Diskussion um ein adäquates Verständnis von Praxis schwer. Kaum ein Lehrbuch und kaum eine praktisch-theologische Publikation, die mit der Frage umzugehen versucht, wo nicht betont wird, praktische Theologie sei Theorie der Praxis; und im gleichen Atemzuge wird gefragt: aber welcher Praxis?

Betrachtet man zunächst den kirchlichen Bereich, dann ergeben sich bereits sehr unterschiedliche Praxisfelder: Neben dem in unserem Zusammenhang, aber auch im kirchlichen Handeln generell zentralen Feld der sakramentalen Praxis, der gottesdienstlichen Feiern, in denen sehr unterschiedliche Praxisformen bestehen, sind auch alle Formen der katechetischen Unterweisung, des Religionsunterrichtes, der kirchlichen Jugendarbeit, der Hochschulpastoral, Gefangenenseelsorge, explizit caritativer Anstrengungen, kirchliche Akademien, außerliturgischer Verkündigung, Krankenseelsorge uvm. vorzufinden.25 Betrifft diese Praxis den kirchlichen Raum im engeren Sinne, so erschöpft sich das Handeln der Kirche darin freilich nicht. Immerhin befindet sich die Kirche immer auch im gesellschaftlichen Diskurs, so dass auch die Wechselbeziehung zwischen Kirche und Staat, zwischen Kirche und Zivilgesellschaft, zwischen Kirche und Öffentlichkeit als Formen kirchlicher Praxis verstanden werden müssen. Aber auch damit ist Praxis im tieferen Sinne noch gar nicht erfasst, weil sie immer noch bezogen ist auf das kirchliche Handeln im engeren, aber auch im weiteren Sinne. Immerhin gibt es doch auch ein Handeln von Menschen, die als Christinnen und Christen sich verstehen und auch ihr Handeln als christlich bezeichnen, die aber nicht immer überprüfen, ob die jeweilige Praxis in Übereinstimmung mit der verfassten Kirche sich befindet. Schließlich aber gibt es auch Praxis jenseits der bewussten Christlichkeit, die dennoch in großer Nähe zu christlichen Traditionen entfaltet wird, die aber gerade diesen Zusammenhang entweder überhaupt nicht wahrnimmt oder ihn auch zurückweist.

In jedem Falle, das wird an diesen kurzen Sichtungen deutlich, ist der Begriff Praxis, christlicher Praxis, ja kirchlicher Praxis schillernd. Theologie, die dies alles erfassen möchte und auf einen theoretischen Nenner zu bringen trachtet, ist möglicherweise von vornherein überfordert. Vielleicht war es aufgrund des überschaubareren Rahmens richtig, unter Praxis den Selbstvollzug der Kirche in der Gegenwart26 zu verstehen. Es ist aber deutlich geworden, dass diese ekklesiozentrische Verengung heute nicht mehr tragfähig ist. Viel mehr müsste heute die gesamte Praxis der Menschen in den Blick genommen werden, ob kirchlich oder nicht, ob christlich motiviert oder dieser Tradition kritisch gegenüberstehend, es müssten die gesellschaftlichen Vermittlungen ebenso berücksichtigt werden wie die ökonomischen Superstrukturen.27 Um so erfreulicher ist es, dass unter Papst Franziskus der Versuch unternommen wird, gerade diese ekklesiozentrische Verengung zu überwinden und sich wirklich der Welt mit all ihren Herausforderungen, Rissen und Schründen zuzuwenden. Von diesen Veränderungen ist sowohl die Kirche ad intra, etwa hinsichtlich der Neupositionierung und Neujustierung des kirchlichen Verständnisses von Ehe, Familie und Sexualität betroffen28 wie auch ad extra, indem Papst Franziskus zunächst mit seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium und dann mit seiner Enzyklika Laudato si explizit sich an den Herausforderungen der Zeit abarbeitet.

Kritischer Theorie im Allgemeinen, den Arbeiten Theodor W. Adornos im Besonderen ist oft der Vorwurf gemacht worden, die unhintergehbare Notwendigkeit von Praxis zwar zu betonen, letztlich aber in der Theorie zu verharren und damit der der 11. Feuerbachthese nicht zu genügen. Es ist daher wohl kein Zufall, dass Adorno die Negative Dialektik mit einer Kritik der elften These über Feuerbach beginnt.29 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Adornos Kritik an der Feuerbachthese keineswegs die abstrakte Bestreitung ihres Wahrheitsanspruchs ist. Vielmehr spiegelt sich in der Kritik eben die veränderte Situation wider, aus der kein unmittelbar praktischer Weg herausführt, die vielmehr eine genaue Reflexion erfordert. Dass dies durchaus nicht unmarxistisch ist, ließe sich am Beispiel der frühen Forderung Marx’ einer rücksichtslosen Kritik alles Bestehenden zeigen. Adornos Überlegungen zu einer Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis stehen nicht zuletzt dadurch in einer Traditionslinie mit Marx, dass sie diesem widersprechen, insofern Marx’ Anspruch einer „,praktischkritischen‘ Tätigkeit“30, die er selbst als revolutionäre auffasst, ausgerichtet ist auf eine begrifflich blinde Praxis der Philosophie, die an der Erfassung der Wirklichkeit nur bedingt Interesse hat. Die Enthüllung der Bewegungsgesetze des Kapitals ist daher gleichfalls Ausdruck praktisch-kritischer Tätigkeit. Verändern sich aber die gesellschaftlichen Verhältnisse, verändert sich auch die praktisch-kritische Tätigkeit. Adornos Explikation des Theorie-Praxis-Verhältnisses verdankt sich nicht zuletzt den veränderten Bedingungen. Vergisst man, dass die realen Möglichkeiten radikaler gesellschaftlicher Veränderungen dicht zugehängt sind, unterläuft man das Problem der Vermittlung von Theorie und Praxis unkritisch. Gegen jeden Aktionismus beharrt Adorno daher darauf, dass „Praxis ohne Theorie, unterhalb des fortgeschrittensten Standes von Erkenntnis“31, misslingen muss.