Politikwissenschaft

Text
Aus der Reihe: utb basics
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

utb 2837


Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

A. Francke Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Nomos Verlagsgesellschaft · Baden–Baden

Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK/Lucius · München

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol

Waxmann · Münster · New York


Wilhelm Hofmann, Nicolai Dose, Dieter Wolf

Politikwissenschaft

3., überarbeitete Auflage

UVK Verlagsgesellschaft mbH · Konstanz mit UVK/Lucius · München

Zu den Autoren:

Prof. Dr. Wilhelm Hofmann lehrt Politikwissenschaft an der Technischen Universität München.

Prof. Dr. Nicolai Dose leitet den Lehrstuhl für Politikwissenschaft und Verwaltungswissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und ist Geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Politikwissenschaft sowie des Rhein-Ruhr-Instituts für Sozialforschung und Politikberatung.

Dr. Dieter Wolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2007

2. Auflage 2010

© 3. Auflage: UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz und München 2015

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Coverfoto: © Atelier Reichert

Lektorat: Verena Artz, Bonn

Satz und Layout: Claudia Wild, Konstanz

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz

Tel.: 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98

www.uvk.de

UTB-Band Nr. 2837

ISBN 978-3-8252-4466-8 (Print)

ISBN 978-3-8463-4466-8 (EPUB)

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt


1Grundlagen der Politikwissenschaft
1.1Was heißt hier Wissenschaft?
1.1.1Alltagsnähe der Politik
1.1.2Wissenschaft und Methode
1.1.3Abhängigkeit der Erkenntnis
1.2Was heißt hier Politik?
1.2.1Klassische Politikbegriffe
1.2.2Die drei analytischen Dimensionen der Politik
1.3Analytische Bausteine der Systemforschung
1.3.1Kategorienbildung mit System
1.3.2Forschungsheuristiken
2Theorien der Politik(wissenschaft)
2.1Theorie und Politik
2.1.1Theorie zwischen Problemlösung und kritischer Orientierung
2.1.1.1Theorie: empirisch-analytisch
2.1.1.2Theorie: normativ
2.1.2Theorie – historisch oder systematisch?
2.1.2.1Theorie als Ideengeschichte
2.1.2.2Systematische politische Theorie
2.1.2.3Politisches Denken
2.1.3Ideologie und Selbstbeschreibung des Systems
2.1.3.1Ideologielehre
2.1.3.2Theorie als Selbstbeschreibung des Systems
2.2Die Politik des guten Lebens
2.2.1Die Selbstständigkeit der Politik
2.2.2Platon: Wissenspolitik
2.2.3Aristoteles: Die Politik der Bürger
2.2.4Augustinus: Die Transzendenz der guten Ordnung
2.2.5Machiavelli: Denken im Übergang
2.3Legitimation von Herrschaft: Vertragstheorie
2.3.1Der Zwang zur Legitimation
2.3.2Thomas Hobbes: Der Vertrag des Leviathan
2.3.3John Locke: Der Vertrag der repräsentativen Demokratie
2.3.4Jean-Jacques Rousseau: Die Vertragsgemeinschaft der identitären Demokratie
2.3.5Die Bedeutung der Vertragstheorie in der Moderne
2.4Parlamentarische Repräsentation und Gewaltenteilung
2.4.1Frühe Institutionen der Repräsentation
2.4.2Nation und Repräsentation
2.4.3Pluralismustheorie
2.4.4Virtuelle Repräsentation und freies Mandat
2.4.5Parlamentarismus und Gewaltenteilung
2.4.6Theorie der Parlamentsfunktionen
2.4.7Parlamentarische Diskurse
2.4.8Parlamentarismuskritik
2.5Das System der Demokratie
2.5.1Talcott Parsons: Allgemeine Systemtheorie
2.5.2David Easton: Politikwissenschaftliche Systemtheorie
2.5.3Niklas Luhmann: Politik – autopoietisch
2.5.3.1Der Machtcode der Demokratie
2.5.3.2Das Steuerungsproblem
2.5.3.3Politik in der Mediengesellschaft
2.5.3.4Autopoietische Demokratie
2.5.4Jürgen Habermas: System und deliberative Demokratie
2.5.4.1Ausgangspunkt: kommunikatives Handeln
2.5.4.2Parlamentarische Öffentlichkeit und Diskurs
2.5.4.3Kommunikation und System: Kolonialisierung der Lebenswelt
2.5.4.4Volkssouveränität und deliberative Demokratie
3Das Politische System Deutschlands
3.1Organisierte Interessen im politischen Prozess
3.1.1Interessengruppen
3.1.2Funktionen von Interessengruppen
3.1.3Durchsetzungsfähigkeit der Interessengruppen im politischen Prozess
3.1.4Die Organisationsfähigkeit von Interessen
3.1.5Interessenvermittlungstheorien
3.1.5.1Pluralismus und Neo-Pluralismus
3.1.5.2Neokorporatismus
3.1.6Neuere Entwicklungen: Vom Korporatismus zum Lobbyismus?
3.2Parteien und Parteiensystem
3.2.1Funktionen und Aufgaben von Parteien
3.2.2Parteienfinanzierung
3.2.3Parteienstaatsthese
3.2.3.1Die These: Inhalt und Kritik
3.2.3.2Indikatoren zur Überprüfung der Parteienstaatsthese
3.2.3.3Empirische Überprüfung der Parteienstaatsthese am Beispiel der zweiten Regierung Schröder
3.2.3.4Schlussfolgerungen
3.2.4Das Parteiensystem in Deutschland
3.3Parlament
3.3.1Der Bundesrat in der Gesetzgebung
3.3.2Der Deutsche Bundestag
3.3.3Die Wahl zum Deutschen Bundestag
3.3.4Der innere Aufbau des Deutschen Bundestags
3.3.5Die Funktionen des Deutschen Bundestags
3.3.5.1Wahfunktion
3.3.5.2Gesetzgebungsfunktion
3.3.5.3Kontrolfunktion
3.4Regierung
3.4.1Die Organisations- und Kompetenzprinzipien
3.4.1.1Das Kanzlerprinzip
3.4.1.2Das Kabinettsprinzip
3.4.1.3Das Ressortprinzip
3.4.2Die Ministerien
3.4.2.1Innere Organisation und Führung
3.4.2.2Aufgaben
3.5Föderalismus
3.5.1Analyse des deutschen Föderalismus
3.5.1.1Gesetzgebung und Entscheidung
3.5.1.2Verwaltung
3.5.1.3Rechtsprechung
3.5.1.4Finanzbeziehungen
3.5.2Der deutsche Föderalismus – verflochten oder getrennt?
3.5.3Föderalismusreform I – Was hat sie gebracht?
3.5.4Föderalismusreform II – Inhalte und Bewertung
4Internationale Beziehungen
4.1Krieg und Frieden
4.1.1Normative Ansätze: Visionen der Friedensschaffung und Friedenserhaltung
4.1.1.1Idealismus
4.1.1.2Realismus
4.1.1.3Marxismus
4.1.1.4Neokonservatismus
4.1.2Empirisch-analytische Erklärungsansätze für Krieg und Frieden
4.1.2.1Auf das internationale System der Staatenwelt bezogene Ansätze
4.1.2.2Staatszentrierte Ansätze
4.1.2.3Gesellschaftszentrierte Ansätze
4.1.3Neue Kriege
4.2Institutionalisierung internationaler Zusammenarbeit: Warum entstehen internationale Institutionen?
4.2.1Historische Entwicklung
4.2.2Parameter für die Erklärung der Institutionalisierung
4.2.3Machtorientierte Ansätze
4.2.3.1Strukturell-funktionalistische Machtperspektive
4.2.3.2Intentionale Machtperspektive
4.2.3.3Diskursiv-konstruktivistische Machtperspektive
4.2.4Liberal-gesellschaftlich orientierte Ansätze
4.2.4.1Strukturell-funktionalistische Variante der liberal-gesellschaftlichen Perspektive
4.2.4.2Intentionale Variante der liberalgesellschaftlichen Perspektive
4.2.4.3Diskursiv-konstruktivistische Variante der liberal-gesellschaftlichen Perspektive
4.2.5Institutionalistische Ansätze
4.2.5.1Strukturell-funktionalistische Variante der institutionalistischen Perspektive
4.2.5.2Intentionale Variante der institutionalistischen Perspektive
4.2.5.3Diskursiv-konstruktivistische Variante der institutionalistischen Perspektive
4.2.6Norm- und ideenorientierte Ansätze
4.2.6.1Strukturell-funktionalistische Variante der norm- und ideenorientierten Perspektive
4.2.6.2Intentionale Variante der norm- und ideenorientierten Perspektive
4.2.6.3Diskursiv-konstruktivistische Variante der norm- und ideenorientierten Perspektive
4.3Institutionalisierung internationaler Zusammenarbeit: Normative Konzeptionen sowie Wirkungen internationaler Institutionen
4.3.1Normative Konzeptionen der Institutionalisierung internationaler Politik
4.3.1.1Föderalismus
4.3.1.2Funktionalismus
4.3.2Wirkungen internationaler Institutionen
4.3.2.1Internationalisierung und die Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten
4.3.2.2Regelbefolgung
4.4Governance und Mehrebenenregieren
4.4.1Normative Visionen des Mehrebenenregierens
4.4.1.1Weltstaat und kosmopolitisches Empire
4.4.1.2Komplexes Weltregieren
4.4.1.3Autonomieschonende Zusammenarbeit zwischen Staaten
4.4.1.4Erhalt und Schutz nationalstaatlicher Souveränität
4.4.2Wie lässt sich die Regierungsleistung politischer Mehrebenensysteme erklären?
4.4.2.1Macht und Herrschaft in Mehrebenensystemen
4.4.2.2Demokratische Legitimation des Regierens jenseits des Nationalstaats
Register


Grundlagen der Politikwissenschaft1

Inhalt

 

1.1Was heißt hier Wissenschaft?
1.2Was heißt hier Politik?
1.3Analytische Bausteine der Systemforschung


1.1Was heißt hier Wissenschaft?


1.1.1Alltagsnähe der Politik

Politik – Politikwissenschaft

 

Über Politik soll und kann gerade in einer demokratischen Ordnung jeder mit gutem Recht mitreden. Sie ist eine Angelegenheit für alle und es gibt kein Wissensmonopol der Politikwissenschaft bezogen auf die Politik. Allerdings sind von den eigenen Interessen ausgehende Verzerrungen und die Unkenntnis der politischen Institutionen an der Tagesordnung. Fast alltäglich ist auch die Neigung zur häufigen und heftigen Diffamierung »der Politik« und »der Politiker« als habgierig oder inkompetent. Diese Beobachtungen verweisen auf ein eigentümliches Verhältnis der Politikwissenschaft zum politischen Reden und Handeln.

Politik ist ein gesellschaftlicher Bereich, zu dem kein privilegierter Zugang einer wissenschaftlichen Elite existiert. Sie ist Teil alltäglicher Erfahrung und Praxis, der gegenüber auch die Wissenschaftler keine absolut neutrale Distanz erreichen können. Politische Entscheidungen erregen die Gemüter, finden Zustimmung bei den einen und vehemente Ablehnung bei den anderen. Diese Stellung der politischen Realität gegenüber der Wissenschaft lässt sich kaum aufheben. Sie bietet der Politikwissenschaft einen eher positiven und einen eher negativen Ausgangspunkt. Die Nähe zum alltäglichen Leben und die spürbaren Auswirkungen politischer Entscheidungen bergen das Risiko, dass die Politikwissenschaft von Vorurteilen und Interessen stark beeinflusst wird. Zugleich bieten die Nähe der politischen Realität und die Betroffenheit durch Politik die Chance unmittelbarer Anknüpfung. Politikwissenschaft braucht zumindest im Normalfall kein Labor.

Zusammenfassung

(Vorwissenschaftliche) politische Erfahrung

Die alltägliche Erfahrbarkeit von Politik bietet der Wissenschaft Möglichkeiten der direkten Anknüpfung, erschwert aber gelegentlich die sachliche Auseinandersetzung.


1.1.2Wissenschaft und Methode

Methodische Kontrolle und Wissnschaft

Was aber ist der Unterschied zwischen einem leidenschaftlichen politischen Streit an einem Stammtisch und einer engagierten wissenschaftlichen Diskussion in einem Universitätsseminar?

Wissenschaft ist ein gesellschaftliches Unternehmen und dient der organisierten Produktion von Wissen. Der wesentliche Unterschied zum alltäglichen Wissen besteht darin, dass die Wissenschaft sich um die dauernde Überprüfung der Verfahren (Methoden), mit denen das Wissen gewonnen wird, bemüht. Das wissenschaftliche Wissen wird im Gegensatz zum alltäglichen Wissen methodisch kontrolliert erarbeitet. Es sind bestimmte Verfahren, die von der Gemeinschaft der Wissenschaftler als der Sache angemessen akzeptiert werden, und die Konzentration auf den gemeinsamen Gegenstandsbereich, die die Aussagen einer Wissenschaft kontrollierbar und überprüfbar machen.

Theoretischer Rahmen der Forschung

Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu alltäglicher Rede über Politik besteht in den Ansprüchen wissenschaftlicher Aussagen. Wissenschaft will ein politisches Phänomen auf abstrakter Ebene erklären und verstehen. Sie macht allgemeinverbindliche und systematische Aussagen über Politik, die wegen ihrer methodischen Begründung von beliebigen anderen Menschen (d. h. intersubjektiv) überprüft werden können. Die Aussagen hängen daher nur noch zu einem möglichst geringen Teil von der persönlichen Perspektive des Wissenschaftlers ab; d.h., jeder, der sich mit den entsprechenden Verfahren vertraut gemacht hat, kann unabhängig von seiner Herkunft die Wahrheitsfähigkeit von politikwissenschaftlichen Aussagen beurteilen und von seinem Standpunkt aus kritisieren.

Diese Aussagen sind – wenn es sich um solche einer empirischen Politikwissenschaft handelt – entweder an der Realität überprüfbar (falsifizierbar) oder aber – wenn es um Normen bzw. Verfahren einer normativen Politikwissenschaft geht – in ihrer Begründung durchsichtig und nachvollziehbar. Sie sind in einen theoretischen Rahmen eingebaut, der, so weit dies möglich ist, die grundlegenden Voraussetzungen und Annahmen der eigenen Forschung thematisiert. Der theoretische Rahmen dient der Orientierung und Reflexion des eigenen Forschens; er ermöglicht zudem den Bezug auf die Gesamtgesellschaft, weil er die Zusammenhänge von Politik und Gesellschaft modelliert, die dann wiederum überprüft werden müssen.

Definition

Politikwissenschaft

● Die Politikwissenschaft steht in einem kontinuierlichen, aber reflexiven Verhältnis zur politischen Realität.

● Sie macht methodisch überprüfbare Aussagen über Politik mit einem Anspruch auf Wahrheitsfähigkeit.

● Sie bezieht ihr Forschen auf einen theoretischen Rahmen.

● Sie systematisiert und verallgemeinert ihre Erkenntnis.


1.1.3Abhängigkeit der Erkenntnis

Instrumente der Erkenntnis

Wie das Zusammenspiel aus methodischem Instrumentarium, theoretischem Rahmen und Erkenntnisgewinn aussehen kann, lässt sich an einem historisch-literarischen Beispiel erläutern. Bertolt Brecht beschreibt in seinem Schauspiel »Das Leben des Galilei« das Aufeinandertreffen von traditionalistischen Gelehrten und dem modernen Wissenschaftler Galilei. Während Galilei als Erfahrungswissenschaftler mit dem Blick durch sein Fernrohr neue Entdeckungen am Sternenhimmel macht, verweigern seine traditionalistischen Gegner den Blick durch das optische Gerät. Sie begründen das damit, dass dort nichts sein könne, weil die klassischen Autoritäten dies in ihren Schriften bereits bewiesen hätten. Durch Technik gestützte und systematisch verbesserte Beobachtung steht hier gegen die gehorsame Auslegung der überlieferten Tradition. Die Gelehrten folgen der Autorität der antiken Überlieferung und können daher nicht der technisch vermittelten eigenen Beobachtung vertrauen. Von ihrem Standpunkt aus ist der Glaube an das, was durch das Fernglas zu sehen ist, naiv. Derjenige, der dagegen erfahrungsgestützt argumentiert, wird wiederum ihren blinden Glauben an die überlieferte Autorität als naiv empfinden.

Verschiedene theoretische Raster, die auch Paradigmen (altgriech. für Ur- bzw. Musterbild) genannt werden, führen zu unterschiedlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung (hier: Beobachtung und Kommentar) und wirken wie ein Filter für das, was als mögliche Antworten auf die gestellten Fragen zugelassen wird. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Positionen ist zudem, dass sie sich innerhalb der eigenen Konzeption unterschiedlicher Formen der Wissensverbesserung bedienen. Aus Beobachtungen abgeleitete Gesetzmäßigkeiten können durch abweichende Beobachtung korrigiert werden. Das ausschließlich auf Text basierende Wissen kann letztlich nur durch eine neue Lektüre korrigiert werden.

Zusammenfassung

Methoden

Unterschiedliche Verfahren der Forschung führen zu verschiedenen Begründungen von wahrheitsfähigen Aussagen und zu verschiedenen Ergebnissen.


1.2Was heißt hier Politik?

Autonomie und Funktionalität

Was also kann unter Politik verstanden werden? Selbst wenn man die alltagsweltlichen Vorstellungen von Politik als zu unscharf zurückweist und bestenfalls als Anknüpfungspunkte wissenschaftlicher Politikvermittlung gelten lassen will, so sieht man sich einer großen Vielzahl von Bestimmungen des Politischen gegenüber. Grob unterscheiden lassen sich dabei zunächst zwei Richtungen, von denen eine die Autonomie der Politik vertritt, während die andere deren bloße Funktionalität behauptet. In verschiedenen Spielarten ist damit gemeint, dass es entweder eine gewisse Eigengesetzlichkeit des Politischen gibt oder dass Politik als gesellschaftlich, kulturell bzw. vor allem ökonomisch bestimmte Realität verstanden werden muss, deren wesentlichen Entwicklungen von außen vorgegeben werden.

Zusammenfassung

Zwei Verständnisse von Politik

● Ist Politik ein eigenständiger gesellschaftlicher Bereich (Autonomie der Politik), so kann sie im Kern nur aus sich selbst erklärt werden, wobei andere soziale und kulturelle Faktoren nicht ausgeblendet werden dürfen.

● Ist das, was in der Politik geschieht, vollkommen von anderen gesellschaftlichen Bereichen abhängig (Funktionalität der Politik), so muss Politik von den dort ablaufenden Prozessen her verstanden werden und könnte auch tendenziell ersetzt werden.

Politik in der Moderne

Moderne Gesellschaften weisen zahlreiche mehr oder weniger klar erkennbare Teilbereiche auf, die sich zwar deutlich voneinander unterscheiden lassen, die aber zugleich eng miteinander verbunden sind. Die Art und Intensität der Verbindung hat sich im Laufe der Geschichte stark verändert.

Verdeutlichen lässt sich das an der Beziehung von Politik, Wirtschaft und Religion vom Mittelalter bis in die Gegenwart hinein. Auch eine mittelalterliche Gesellschaft hatte eine wirtschaftliche Sphäre (Subsystem), die nicht ohne Auswirkungen auf die Machtmöglichkeiten des Königs war. Der Herrscher eines großen und reichen Landes konnte mehr Glanz entfalten und mehr Macht gegenüber anderen ausüben, als dies bei einem armen Fürsten der Fall war. Trotzdem war die Herrschaft des Monarchen nicht in erster Linie durch den Erfolg der jeweiligen »Volkswirtschaft« gerechtfertigt, wie das gelegentlich in modernen Demokratien zu sein scheint, sondern zuallererst durch göttliche Gnade.

Dieses Verhältnis dreht sich in der Moderne fast vollkommen um. Religiöse Rechtfertigung ist für politische Herrschaft nicht mehr angemessen. Der moderne Verfassungsstaat basiert sogar auf der weltanschaulichen Neutralität der Verfassungsordnung. Ökonomische Leistungen werden dagegen für den modernen Staat wesentlich wichtiger. Politik greift steuernd in den Markt ein. Die Ökonomie produziert die nötigen materiellen Mittel, die vom Staat für die Erreichung politischer Ziele mit Steuern belastet werden können. Dieses wechselseitige Leistungsverhältnis bis hin zur Durchdringung der gesellschaftlichen Teilbereiche (Subsysteme) nennt man Interpenetration.

Definition

Gesellschaftliche Subsysteme

Moderne Gesellschaften haben in der gesellschaftlichen Entwicklung (= Evolution) zahlreiche gesellschaftliche Teilbereiche (= Subsysteme) ausgebildet, die für die Gesamtgesellschaft bestimmte Funktionen erfüllen und eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Zwischen den verschiedenen Systemen bestehen mehr oder weniger dichte Verbindungen, wobei Leistungen ausgetauscht werden.

Damit drängt sich natürlich die Frage auf, was Politik für die anderen gesellschaftlichen Bereiche bzw. für die Gesamtgesellschaft leisten soll und kann. Das, was Politik für die Gesellschaft bedeuten kann, lässt sich ohne den jeweiligen historischen und kulturellen Kontext nur schwer bestimmen. Es ist abhängig von den Selbstdeutungen der jeweiligen Gesellschaft, den Erwartungen der Beherrschten und der Machthaber. Daher sollen zunächst einige klassische Politikbegriffe und deren orientierende Bedeutung vorgestellt werden.


1.2.1Klassische Politikbegriffe

Perspektiven und praktische Folgen

Für eine Einteilung, wie sie in Abbildung 1 vorgenommen ist, müssen immer Vereinfachungen und Zuspitzungen vorgenommen werden. Es versteht sich von selbst, dass ein empirisch-analytisches Wissenschaftskonzept im Dienste einer emanzipatorischen Politik stehen kann und es ist ebenso selbstverständlich, dass dieses Konzept nicht blind sein muss gegenüber Werten und Normen. Unterschiedlich sind allerdings die zentralen Aspekte. Bei einem empirisch-analytischen Vorgehen läge der Schwerpunkt auf der Untersuchung von Ursachen und ihren Wirkungen und nicht primär auf der idealen Umsetzung von Normen. Dagegen findet ein normativer Ansatz seine wesentliche Bezugsdimension in dem erkennbaren Bezug der praktischen Politik zum Sollen (moralische Rechtfertigung, Verfassung etc.). Während eben dieses Sollen den empirisch arbeitenden Kollegen zunächst als soziales Faktum interessiert, geht es in einem normativ orientierten Diskurs nicht um das bloße Faktum einer Regel, sondern zuerst um ihre Begründbarkeit und dann um ihre Wirkungen auf den politischen Prozess.

Selektive Wirkung

Das lässt sich am Beispiel einer Revolution zeigen. Der normativ-(ontologisch) arbeitende Wissenschaftler wird ein solches Ereignis zunächst unter dem Aspekt betrachten, welche Form legitimer Herrschaft durch diese umgestürzt wurde. Er wird nach der Begründung der neuen Herrschaft fragen und diese einer Kritik im Lichte bestimmter Ordnungsideale unterziehen. Die Dimension des sozialen Kampfes, die der dialektische Ansatz besonders betonen würde, käme dabei naturgemäß eher weniger in den Blick. In der kritisch-dialektischen Perspektive wiederum wäre die zentrale Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen als Träger der Umwälzungen nun verstärkt politisch partizipieren können und ob sich die sozialen Verhältnisse verbessert haben. Für die empirisch-analytische Wissenschaft wären zunächst einmal die konkreten Bedingungen, unter denen es zu einer Revolution kommt, von Interesse. Sie fragt, ob sich aus der Beobachtung Aussagen über deren Verlaufsgesetzlichkeit ableiten lassen und wie für zukünftige Entwicklungen (je nach Standpunkt) hier Vorsorge getroffen werden kann. Dass all dem wesentlich verschiedene theoretische Konzepte von Politik zugrunde liegen, wird uns noch weiter beschäftigen (→ vgl. Kapitel 2.1).

Abb. 1 |

Die drei klassischen Politikbegriffe


Zusammenfassung

Auswirkung der Politikbegriffe auf die Forschung

Die Vorstellung, die von Politik bereits vor dem Beginn der eigentlichen Forschungstätigkeit existiert, führt dazu, dass der Gegenstand unter einer bestimmten Perspektive behandelt wird (selektive Ausrichtung).


1.2.2Die drei analytischen Dimensionen der Politik

Polity – Politics – Policy

In der gegenwärtigen Situation der Politikwissenschaft, die sich als eine moderne empirische Sozialwissenschaft versteht, hat sich aus dem empirisch-analytischen Ansatz eine andere Feineinstellung des Politikbegriffes ergeben, die vom Fach insgesamt akzeptiert wird. Dabei wird Politik als gesellschaftlicher Teilbereich verstanden, der für die Gesamtgesellschaft allgemeinverbindlich Entscheidungen trifft. Die Qualität dieser Entscheidungen wird nicht vorwegnehmend beurteilt. Allerdings werden drei analytische Dimensionen der Politik unterschieden. Gemeint ist die Unterscheidung nach Polity, Politics, Policy (s. Abb. 2).

Nutzen der Differenzierung

Das Konzept der analytischen Dimensionen des Politischen geht davon aus, dass sich diese drei Aspekte in jedem politischen Phänomen mehr oder weniger deutlich identifizieren lassen. Es bildet einen wesentlichen Ausgangspunkt moderner Politikwissenschaft. Die Differenzierung des Politikbegriffs in diese drei Dimensionen erlaubt, Beziehungen zwischen diesen Teilaspekten herzustellen. Dies ist etwa der Fall, wenn die Art und Weise der Interessenauseinandersetzung (Politics) durch die Vorgaben der Polity erklärt werden sollen. So ermöglichen beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) und die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) bestimmte Formen des öffentlichen Protestes. Gäbe es diese Garantien nicht, sähen die Politics völlig anders aus.

Abb. 2 |

Analytische Dimensionen der Politik


Zusammenfassung

Nutzen des analytischen Politikbegriffs für die Forschung

● Mit der Differenzierung in die drei analytischen Dimensionen von Politik (Polity, Politics und Policy) lässt sich derjenige Teilbereich deutlicher benennen, der gerade gemeint ist.

● Die Differenzierung ermöglicht es, die besondere Ausprägung eines Teilbereichs durch einen anderen Teilbereich zu erklären.


1.3Analytische Bausteine der Systemforschung


1.3.1Kategorienbildung mit System

Beschreibung

Wie jede andere Wissenschaft auch benötigt die Politikwissenschaft analytische Werkzeuge. Eine empirisch-analytische Politikwissenschaft (→ vgl. Kapitel 1.2.1), die darum bemüht ist, Erkenntnisse aus der Beobachtung zu gewinnen, braucht Kategorien, um die beobachtete Wirklichkeit für die Analyse, aber auch für die Beschreibung handhabbar zu machen. Dabei werden Teile der beobachteten Wirklichkeit zunächst voneinander abgegrenzt und zueinander in Beziehung gesetzt. Im einfachsten Fall erlaubt dies eine systematische Beschreibung.

Anspruchsvoller ist es, wenn mit einer oder mehreren Kategorien eine andere Kategorie erklärt werden soll. Als Beispiel kann folgender angenommener Erklärungszusammenhang gelten: Spenden von Wirtschaftsverbänden an politische Parteien sorgen dafür, dass sich die Parteien bei ihren Entscheidungen nach den Interessen dieser Wirtschaftsverbände richten. Um einen solchen Erklärungszusammenhang formulieren zu können, reicht es nicht, diesen Vorgang ein einziges Mal beobachtet zu haben. Für eine solche nicht nur für eine Partei und eine Situation geltende Aussage ist es notwendig, die entsprechende Beobachtung in einer wiederkehrenden Zahl von Fällen zu machen und nicht nur im Zusammenspiel von einem Wirtschaftsverband und einer Partei. Vielmehr müssen mehrere Wirtschaftsverbände und mehrere Parteien betroffen sein. Darüber hinaus muss das jeweilige Verhalten auf eine nachvollziehbare und verlässliche Weise »gemessen« werden (→ vgl. Kapitel 1.1.2).

Erklärung

Prognose

Gelangt man zu der Erkenntnis, dass der ermittelte Erklärungszusammenhang robust ist, können vorsichtige Prognosen aufgestellt werden. Wird z. B. beobachtet, dass eine bestimmte Partei regelmäßig Spenden in nennenswerter Höhe von verschiedenen Verbänden der deutschen Wirtschaft erhält und fortgesetzt eine Politik im Interesse dieser Verbände betreibt, dann kann prognostiziert werden, dass die Partei den Interessen der Wirtschaft gegenüber besonders aufgeschlossen sein wird, wenn sie weiterhin Geldmittel von den Wirtschaftsverbänden erhält. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass sich der entsprechende Erklärungszusammenhang vorher in der Realität bewährt hat, er also vorläufig bestätigt wurde. Man spricht hier von Vorläufigkeit, weil man nie weiß, ob es in der Realität nicht einen Fall geben wird, der belegt, dass der Zusammenhang nicht immer oder nicht mehr gilt.

Messung

Zur »Messung« und zur Überprüfung von vermuteten Zusammenhängen hält die empirische Forschung einen Werkzeugkasten mit relativ ausgereiften methodischen Instrumenten bereit. Hier geht es vor allem um den Aspekt, dass eine systematische Wissenschaft analytische Werkzeuge benötigt, um die Realität handhabbar zu machen. Dabei soll insbesondere eine Auseinandersetzung mit Kategorisierungen und ihrem Nutzen erfolgen.

Kategorien

Wie müssen Kategorien gebildet werden, damit sie auch tatsächlich einen Erkenntnisgewinn bringen? Kategorien sollten einen gewissen Allgemeinheitsgrad aufweisen. Sie sollten also mehr als einen einzigen Fall abdecken. Sinnvoll ist es, sich auf eine Gruppe von ähnlich gelagerten Fällen zu konzentrieren. Die Ähnlichkeit bezieht sich dabei auf das mit der Kategorie erfasste Merkmal. Bei der Kategorie »Wirtschaftsverband« z. B. ergibt sich die Ähnlichkeit erstens aus der Charakterisierung als Verband und zweitens aus der näheren Bestimmung, dass Interessen der Wirtschaft wahrgenommen werden. Definiert man Verbände in einer ersten Annäherung als Organisationen, welche die Interessen ihrer Mitglieder im öffentlichen Raum vertreten, welche aber keine Regierungsbeteiligung anstreben, dann ist eine wichtige Abgrenzung gegenüber Parteien gefunden. Gegenüber dieser anderen wichtigen Institution im öffentlichen Raum zur Interessenwahrnehmung wäre die Definition also trennscharf. Man wird kaum eine Institution finden, die definitionsgemäß sowohl Verband als auch Partei ist. Denn entweder strebt die Organisation eine Regierungsbeteiligung an oder nicht. Das eine Mal ist sie eindeutig Partei und das andere Mal eindeutig Verband.

Im betrachteten Fall geht es jedoch nicht nur um einen Verband, sondern um einen, der die Interessen der Wirtschaft vertritt. Hier könnte man den Bundesverband der Deutschen Industrie, Handwerksverbände, den Bundesverband der Freien Berufe oder die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nennen. Kategorisierungen sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn mit ihnen ein Unterschied beschrieben, erklärt oder prognostiziert werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Aussage getroffen wird, dass Wirtschaftsverbände häufig einflussreicher sind als Freizeitvereine. Eine Unterscheidung einzuführen und dann nicht mehr mit dieser zu arbeiten, ist hingegen meistens wenig sinnvoll.

Zusammenfassung

Kategorienbildung

● Kategorien sollten einen gewissen Allgemeinheitsgrad aufweisen und sich trennscharf von einander abgrenzen lassen.

● Wenn mit einer Kategorisierung anschließend nicht mehr gearbeitet wird, deutet dies darauf hin, dass sie möglicherweise entbehrlich ist.