Politikwissenschaft

Text
Aus der Reihe: utb basics
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Abb. 10 |

Die Typen legitimer Herrschaft nach Max Weber


Ohne Glauben an die Legitimität von Herrschaft, egal ob er sich auf Offenbarung, Tradition oder positives Recht stützt, ist kaum Stabilität erreichbar. Offensichtlich existieren diese drei Typen der Herrschaftslegitimation bis in die Gegenwart hinein nebeneinander. Allerdings ist die Entwicklung der Moderne dadurch gekennzeichnet, dass die rational-legale Legitimation von Herrschaft die Oberhand gegenüber den anderen Formen gewinnt. Das ist die politische Dimension einer ebenfalls von Max Weber beobachteten allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung der abendländischen Moderne. In der Moderne verlieren spätestens im 17. Jahrhundert die religiösen Ordnungen in den Glaubenskriegen der Zeit ihre allgemeine Verbindlichkeit. Immer mehr Aspekte der Realität werden wissenschaftlich erklärbar. Zunehmend wächst das kritische Bewusstsein der Individuen gegenüber den traditionellen Institutionen, die damit gleichzeitig ihre objektive Verbindlichkeit verlieren. Dadurch steigt in einer historischen Phase, in der sich der moderne Staat immer stärker in die gesellschaftlichen und individuellen Belange einmischt, zugleich das Bedürfnis nach alternativen Ordnungskonzeptionen und Begründungen. Diesen gesamten Prozess nennt Max Weber Rationalisierung und er beschreibt, wie er in der »Entzauberung« der Welt mündet.

Vertragstheorie

Eine geradezu beispiellose Karriere in der politischen Theorie war in diesem Kontext der Vertragstheorie beschieden. Sie erfüllt eine Vielzahl von Bedingungen, die sie bis in unsere Zeit zu einem Modell der Rechtfertigung von Herrschaft und politischer Ordnung gemacht haben. Sie verbindet im Vertragsgedanken auf vernünftige und nachvollziehbare Weise die Freiheit der sich bindenden Individuen mit der notwendigen Errichtung einer öffentlichen Gewalt, der gegenüber die Bürger dann nur noch begrenzt frei sind. Dabei lassen sich ganz unterschiedliche Herrschaftsordnungen vertragstheoretisch rechtfertigen.

Zusammenfassung

Leistungen der Vertragstheorie

Vertragstheorien verbinden die beiden wichtigsten und zugleich widersprüchlichsten Pole des modernen politischen Denkens: das Individuum mit einem weitgehenden Anspruch auf Autonomie und Freiheit und den Staat, der als strafender und die Ordnung garantierender moderner Staat mit durchgreifender und effizienter Macht ausgestattet wird. Durch den Vertrag begibt sich das Individuum freiwillig in eine Ordnung, deren Zwangsdimension zwar Freiheit begrenzt, aber aus dem Willen der zum Vertrag entschlossenen Menschen abgeleitet werden kann.


2.3.2Thomas Hobbes: Der Vertrag des Leviathan

Bürgerkrieg und Wissenschaft

Thomas Hobbes (1588 – 1679) schreibt und lebt in einer Zeit, in der religiöse Bürgerkriege und die damit eng verknüpften Auseinandersetzungen zwischen Krone und Parlament um die Macht Familien spalten und dazu führen, dass Brüder in verschiedenen Heeren gegeneinander kämpfen. Er empfindet den bewaffneten Streit um die richtige Religion als genauso gefährlich wie er die mittelalterliche Wissenschaft für widersinnig hält. Hobbes tritt in seinen politischen Schriften für einen theoretischen und methodischen Neuanfang ein und reflektiert die Bedingungen, unter denen ein Phänomen wissenschaftlich begriffen werden kann.

Wenn man, so Hobbes, etwas wirklich verstehen wolle, so müsse man den Untersuchungsgegenstand zunächst in seine Bestandteile zerlegen und dann wieder zusammenfügen (resolutiv-kompositive Methode). Was bei einer Uhr funktioniert oder einer beliebigen anderen Maschine, das funktioniert auch bei einem Gebilde wie dem Staat.

Definition

Thomas Hobbes’ resolutiv-kompositive Methode

Der Staat ist eine Maschine, deren Bauplan man begriffen hat, wenn man sie zerlegen und wieder zusammensetzen kann. Die kleinste Baueinheit des Staates sind die Individuen. Das Thema der Vertragstheorie ist die vernünftige Form ihrer Vereinigung.

Naturzustand

Kriegszustand

Um den Staat in seine Teile zerlegen zu können, fingiert Hobbes einen vorstaatlichen Zustand, in dem der Mensch unter Laboratoriumsbedingungen beobachtet werden kann: den Naturzustand. In diesem Zustand, so Hobbes in seinem Hauptwerk dem »Leviathan« (1651), gibt es keine Kultur und Zivilisation. In ihm strebt das menschliche Wesen die Befriedigung seiner unmittelbaren und grundlegenden Bedürfnisse an. Weil das Überleben das übergeordnete menschliche Bedürfnis darstellt, muss von Natur aus dem Menschen alles erlaubt sein, was der Selbsterhaltung dient. Hobbes spricht in diesem Zusammenhang von einem ius naturalis, d.h. einem naturgegebenen Erlaubnisrecht. Unter den Bedingungen einer natürlichen Güterknappheit wird aus dem Naturzustand ein Kriegszustand. Jeder bekämpft jeden um der knappen Güter willen und es zeigt sich, dass selbst der Stärkste, der im offenen Kampf den Sieg davon tragen würde, nicht in Sicherheit leben kann, weil ein Schwacher ihn im Schlaf allein oder mit anderen zusammen überwältigen kann. Daher ist die vorherrschende Befindlichkeit unter diesen Bedingungen die Furcht vor einem gewaltsamen Tod.

Kalkül der Furcht

Aus dieser auf den ersten Blick aussichtslosen Situation gibt es nach Hobbes jedoch einen Ausweg. Die Menschen verfügen nämlich neben ihrer offensichtlich natürlichen Aggressivität auch über Vernunft. Sie vermögen einzusehen, dass das natürliche Gebot der Selbsterhaltung unter den geschilderten Bedingungen nicht verwirklicht werden kann. Das menschliche Streben nach Selbsterhaltung führt zu einem Kalkül, das die Einsicht in bestimmte vernünftige Regeln – eine Art Naturgesetz (lex naturalis) – ermöglicht. Weil Angst und Vernunft Kennzeichen des Menschen im Naturzustand sind, kann angenommen werden, dass der Übergang zu einem staatlichen Zustand durch die Einsicht in den universalen Nutzen folgender Regeln ermöglicht wird.

● Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht. Kann er ihn nicht herstellen, so darf er sich alle Hilfsmittel und Vorteile des Krieges verschaffen und sie benützen. (Suche Frieden und halte ihn ein.)

● Jedermann soll freiwillig, wenn andere ebenfalls dazu bereit sind, auf sein Recht auf alles verzichten; und er soll sich mit soviel Freiheit gegenüber anderen zufrieden geben, wie er anderen gegen sich selbst einräumen würde. (Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.)

● Nach einer erfolgten Vereinigung müssen die bestehenden Verträge eingehalten werden. (Abgeschlossene Verträge sind zu halten.)

Zusammenfassung

Naturzustand – Kriegszustand – Vertrag

Der Mensch befindet sich von Natur aus in einem Kriegszustand mit allen anderen Menschen um die knappen Güter der Welt. Die Furcht vor einem gewaltsamen Tod motiviert seine Vernunft zur Einsicht, dass es besser ist, auf sein Recht auf alles zu verzichten und einen Staat zu gründen, wenn auch alle anderen dies in einem Vertrag tun.

Staat als sterblicher Gott

Dem Vertrag, der auf dieser Grundlage geschlossen wird, liegt also eine Reihe von rationalen Überlegungen zugrunde, die darauf hinauslaufen, dass es im Interesse eines jeden im Naturzustand sein muss, diesen durch einen staatlichen Zustand zu ersetzen. Das geschieht unter der Voraussetzung, dass alle den Frieden suchen und dafür bereit sind, auf ihr natürliches Recht auf alles zu verzichten und sich an die damit verbundenen Abmachungen auch zu halten. Die rationalen Egoisten des Naturzustands schließen miteinander einen Vertrag: Sie verzichten auf ihr natürliches Recht und geben alle ihre politische Macht an den Staat ab. Damit wird der Staat errichtet und es entsteht ein sterblicher Gott, dem an Machtfülle kein anderes sterbliches Wesen gleichkommt.

Absorptive Repräsentation

»Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt: Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, dass du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst. […] Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, […], jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. […] Hierin liegt das Wesen des Staates, der, um eine Definition zu geben, eine Person ist, bei der sich jeder einzelne einer großen Menge durch gegenseitigen Vertrag eines jeden mit jedem zum Autor ihrer Handlungen gemacht hat, zu dem Zweck, dass sie die Stärke und Hilfsmittel aller, so wie sie es für zweckmäßig hält, für den Frieden und die gemeinsame Verteidigung einsetzt.« (Hobbes (1651) 1984: II/17).

Indem jeder mit jedem einen Vertrag schließt, der hauptsächlich eine Verzichterklärung darstellt, entsteht eine neue Person im Souverän, dem die Vertragsschließenden das Recht zur Regierung übertragen. Genauer bedeutet das, dass die Untertanen alle Handlungen des Souveräns als die ihren ansehen. Der Souverän, der seine Bürger in den politischen Handlungen vertritt, nachdem ihm aller Rechte übertragen worden sind, tritt so sehr an die Stelle der Vertretenen, dass auf ihrer Seite gar keine politischen Rechte mehr übrig bleiben. Alles, was sie als politische Wesen waren, ist im Souverän aufgegangen (absorptive Repräsentation). Was immer in der Politik geschieht, es geschieht durch den Souverän und muss von denjenigen, die seiner Herrschaft unterworfen sind, als eigene Handlung verstanden werden. Nur durch den Staat sind sie eine Einheit. Ohne seine Existenz und seine durchschlagende Macht zerfällt ihr Gemeinwesen sofort wieder in den anarchischen Zustand der Natur, in dem es kein Recht im eigentlichen Sinne und keine staatliche Ordnungsgewalt gab.

 

Souveränität, Gewaltenteilung, Religion

Die aus dem Vertrag entstandene Souveränität ist absolut oder sie ist nicht. Daher kann sie auch nicht geteilt werden. Für Hobbes ist jede Form der Teilung staatlicher Gewalt unsinnig und der erste Schritt in den Bürgerkrieg. Der Souverän kontrolliert neben der Politik auch die zweite große Quelle der Rebellion und des Bürgerkriegs: die Religion. Er legt ein öffentliches Glaubensbekenntnis fest, an das sich alle Bürger im öffentlichen Raum zu halten haben. Was immer sie wirklich glauben bzw. was sie in ihren eigenen privaten vier Wänden an kultischen Handlungen vollziehen, ist dem Souverän so lange gleichgültig, wie dieser Glauben nicht öffentlich wird.

Erlöschen der Souveränität

Den Bereich des privaten Wirtschaftens und den der privaten Lebensorganisation lässt der Souverän weitgehend unberührt. Er garantiert die Eigentumsverhältnisse und konzentriert sich ansonsten auf die Politik. Sobald er es aber nicht mehr schafft, den gesellschaftlichen Frieden durch die vereinigte staatliche Macht sicherzustellen, existiert er nicht mehr. Die höchste Gewalt ist entweder die höchste Gewalt oder sie ist erloschen. Dann ist entweder ein anderer sterblicher Gott entstanden oder es herrscht Bürgerkrieg.

Zusammenfassung

Thomas Hobbes Theorie der Souveränität

● Souveränität schafft Einheit und nimmt die Gesamtheit der politischen Einzelwillen in den Staat auf (absorptive Repräsentation).

● Der Souverän als sterblicher Gott steht in keiner Rechtsbeziehung mit seinen Untertanen, weil der, der alles Recht garantieren soll, keinem Recht unterworfen werden kann und darf.

● Die institutionelle Struktur der Staatsspitze ist wenig bedeutsam, solange der Souverän ohne Anfechtung die alleinige Macht hat.

● Der Souverän kontrolliert die Staatsreligion und garantiert den Bürgern einen Raum privatwirtschaftlicher Freiheit in Hinsicht auf Produktion und Konsum.

● Wenn der Souverän seine Friedensgarantie nicht mehr aufrechterhalten kann, erlischt die Souveränität bzw. es herrscht Bürgerkrieg.

Kritik an Hobbes

Hobbes’ Theorie wurde vielfach kritisiert. Zu den zentralen Kritikpunkten gehört, dass die vertragliche Ableitung des Souveräns aus dem Naturzustand problematisch ist, wenn der Mensch von Natur aus als rational kalkulierender Egoist begriffen wird. Ein solcher Egoist kann zwar wollen, dass alle anderen ihr Recht auf alles aufgeben, er selbst kann sich davon aber ausnehmen wollen. Dieses sogenannte free-rider-Problem taucht immer dann auf, wenn etwas gemeinschaftlich errichtet bzw. erhalten werden soll, was dem Individuum zunächst Kosten verursacht. So muss ich zwar wollen, dass alle anderen die Kosten für ihr Ticket im öffentlichen Nahverkehr bezahlen, weil sonst der Betrieb nicht gewährleistet werden kann, ich kann mich aber sehr wohl als Egoist von dieser Verpflichtung ausnehmen. Das Fazit dieser Kritik lautet, dass man mit einem rational motivierten Egoisten als kleinstem Bauteil kein politisches Gemeinwesen errichten kann.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass der Souverän bei Hobbes alle politischen Rechte in sich aufnimmt und den Untertanen keine anderen als ökonomische Freiheiten bleiben. Der kanadische Politikwissenschaftler Macpherson hat diese Position, wie auch die von John Locke (s. u.), als Theorie des Besitzindividualismus kritisiert, die in der politischen Garantie einer kapitalistischen Wirtschaft das einzige Ziel des Staates sieht. Der Verzicht auf alle politischen Rechte macht aus dem errichteten Gemeinwesen eine Willkürherrschaft mit ausschließlich ökonomischen Freiheiten. Dann aber gibt es keine vernünftigen Gründe mehr, einem Gemeinwesen beizutreten, wenn angesichts der ungebremsten Macht des Souveräns das Risiko besteht, dass es weniger Freiheit und Sicherheit bietet als der Naturzustand.


2.3.3John Locke: Der Vertrag der repräsentativen Demokratie

Monarchiekritik

Eine Generation nach Hobbes schreibt sein Landsmann John Locke (1632 – 1704) im Auftrag einflussreicher politischer Kreise ein Buch, in dem er das biblische und das natürliche Recht der Könige auf Herrschaft in Zweifel zieht und dem Volk die letzte Entscheidung darüber zugesteht, wie es regiert werden will. Die »Zwei Abhandlungen über die Regierung« (»Two Treatises of Government«, 1689) sind einer der Meilensteine der Theorie der liberalen repräsentativen Demokratie. Zu ihrer Zeit dienten sie der Kritik an der monarchischen Erbfolge und wirkten auf die sogenannte Glorious Revolution (1688), in der Jakob II. seinen Thron an Wilhelm von Oranien verlor. In der ersten Abhandlung widerlegt Locke die Position von Sir Robert Filmer (1588 –1653), der die königliche Herrschaft auf Adam und Eva zurückgeführt hatte. In der zweiten Abhandlung entwickelt er eine systematische Theorie repräsentativer Ordnung. Zeitgleich veröffentlicht Locke die Untersuchungen über den menschlichen Verstand (»Essay Concerning Human Understanding«, 1689).

Menschenbild: Freiheit und Vernunft

Der Mensch ist nach Lockes Vorstellung von Natur aus frei und vernünftig. Die natürliche Vernunft erkennt auf der Grundlage von Erfahrung alles, was wir wissen müssen. Sie beschreibt aber auch die Grenze dessen, was wir wissen können. Locke vergleicht den menschlichen Verstand mit einem Schiffslot oder einer Kerze. Das Lot reicht nicht notwendig bis zum Meeresgrund und das Licht erleuchtet nur einen begrenzten Raum. Beide erfüllen aber ihren Zweck, wenn sie Untiefen aufspüren, sodass das Schiff nicht aufläuft, oder das Zimmer so erhellen, dass man darin seiner Arbeit nachgehen kann.

Aus der Verfassung des Menschen schließt Locke, dass auch die biblische Offenbarung unserem natürlichen Wissen nicht wirklich etwas hinzufügen kann, weil wir uns angesichts zahlreicher widersprüchlicher Bibelauslegungen nur auf der Basis unserer Vernunft für die richtige Offenbarung entscheiden können. Es ist der freie und zur Einsicht fähige Mensch, von dem jede Rechtfertigung des Staates auszugehen hat. Verstand und Freiheit sind eng aufeinander bezogen. Der Verstand gibt der menschlichen Freiheit Orientierung im Rahmen des verbindlichen Naturrechts und die Freiheit eröffnet dem Verstand erst einen Spielraum, ohne den wir bloße Marionetten unserer Umwelt wären. Ohne Freiheit wäre der Verstand rein passiv – ohne Vernunft die Freiheit ziellos. Aufbauend auf diesen Überlegungen gestaltet sich das Modell des Naturzustands bei Locke deutlich anders als bei Hobbes:

Naturzustand

»Um politische Gewalt richtig zu verstehen und sie von ihrem Ursprung abzuleiten, müssen wir erwägen, in welchem Zustand sich die Menschen von Natur aus befinden. Es ist ein Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur ihre Handlungen zu regeln und über ihren Besitz und ihre Persönlichkeit so zu verfügen, […]. Es ist darüber hinaus ein Zustand der Gleichheit, in dem alle Macht und Rechtsprechung wechselseitig sind, da niemand mehr besitzt als ein anderer: Nichts ist einleuchtender, als dass Geschöpfe von gleicher Gattung und von gleichem Rang, […], ohne Unterordnung und Unterwerfung einander gleichgestellt leben sollen, […].« (Locke (1689) 1977: II/§ 4).

Eigentum aus Freiheit

Schon im Naturzustand kann der Mensch Eigentum erwerben. Eigentum wurzelt in der als Selbstverhältnis definierten Freiheit: Ich bin frei, weil ich mir selbst gehöre und niemand ein Recht an mir hat. Weil aber der Mensch sich selbst besitzt, ist seine Arbeit, mit der er die natürlichen Dinge formt und gestaltet, ebenfalls etwas, was untrennbar zu ihm gehört. Durch Arbeit entsteht Eigentum, an dem derjenige, der es erarbeitet hat, ein natürliches Recht erwirbt. Der so erworbene Besitz wiederum wird zu einer materiellen Grundlage der freien Lebensgestaltung, in die sich kein anderer einmischen darf. Solange das Individuum sich in den Grenzen des natürlich Rechten bewegt, die Locke nicht genauer beschreibt, deren universale Erkennbarkeit und Geltung er aber immer unterstellt, darf ihn niemand an der freien Entfaltung im Rahmen seiner Möglichkeiten hindern. Es gibt offensichtlich ein Recht von Natur, aber keine Herrschaft von Natur.

Zusammenfassung

Kennzeichen des Naturzustandes bei Locke

● Von Natur herrscht zwischen den Menschen Gleichheit, sodass keiner einen legitimen Herrschaftsanspruch auf das Naturrecht gründen kann.

● Die Freiheit als Selbstverhältnis (jeder gehört sich selbst) ermöglicht Eigentum durch Arbeit.

● Das von Gott ausgehende natürliche Recht (Naturrecht) gilt unmittelbar und alle können es mit dem Verstand erkennen.

Der gefährdete Frieden

Entstehung des politischen Gemeinwesens

Lockes Ausgangszustand ist ein Zustand relativen Friedens, in dem die Menschen ihren Geschäften nachgehen und friedlich nebeneinander leben. Wenn sich aber nur einige wenige nicht an die Spielregeln der vernünftigen Natur halten, dann droht dieser Zustand jedoch, seine Harmonie zu verlieren und instabil zu werden. Der Frieden ist gefährdet, weil Übeltäter durch Bruch des natürlichen Rechts den Naturzustand in einen Kriegszustand verwandeln können. Im Naturzustand steht keine allgemeine Gewalt zur Verfügung, sodass jeder, dessen Rechte verletzt werden, auf sich gestellt zugleich Richter und Vollstrecker des natürlichen Rechts ist. Die überwältigende Mehrzahl der Menschen aber ist bestrebt den Frieden zu erhalten bzw. vielmehr ihn zu stabilisieren. Das ist für Locke die Geburtsstunde des politischen Gemeinwesens:

»Da aber keine politische Gesellschaft bestehen kann, ohne dass es in ihr eine Gewalt gibt, das Eigentum zu schützen und zu diesem Zweck die Übertretungen aller, die dieser Gesellschaft angehören, zu bestrafen, so gibt es nur dort eine politische Gesellschaft, wo jedes einzelne ihrer Mitglieder seine natürliche Gewalt aufgegeben und zugunsten der Gemeinschaft in all denjenigen Fällen auf sie verzichtet hat, die ihn nicht davon ausschließen, das von ihr geschaffene Gesetz anzurufen. Auf diese Weise wird das persönliche Strafgericht der einzelnen Mitglieder beseitigt, und die Gemeinschaft wird nach festen, stehenden Regeln zum unparteiischen Richter und einzigen Schiedsrichter für alle.« (Locke (1689) 1977: II/§ 87).

Gesetzgebung der Vernunft

Das politische Gemeinwesen entsteht erneut aus einer Übertragung der Rechte der Individuen. Allerdings besteht ein wesentlicher Unterschied zu Thomas Hobbes: Es werden nicht alle Rechte übertragen, sondern nur das Recht zu strafen. Dies geschieht nur zu dem Zweck, dass die politische Gemeinschaft das unabhängig von ihr geltende natürliche Recht durchsetzen kann. Daher ist der erste Akt der Staatsgründung auch die Errichtung eines Organs der Gesetzgebung (Legislative). Die Legislative soll in dem von ihr zu schaffenden positiven Recht (den im Parlament verabschiedeten und dann verkündeten Gesetzen) letztlich das Naturrecht (das ungeschrieben der Vernunft einleuchtet) in Buchstaben gießen und es zur Geltung bringen. Locke argumentiert, dass nur dies der Zweck des Zusammenschlusses sein kann, weil sonst keiner ein Motiv hätte, den Naturzustand zu verlassen. Wer sich in Bezug auf die Sicherheit seiner Lebensführung im staatlichen Zustand schlechter stellen würde als im Naturzustand, würde keine Veränderung anstreben. So aber entsteht ein politischer Körper, der durch Mehrheitsentscheidungen handlungsfähig ist und Gesetze schafft. Seine zentrale Aufgabe ist die Umwandlung von natürlicher Freiheit in bürgerliche Freiheit.

Den Staat, der die ordnende und strafende Macht der Individuen aus dem Naturzustand in sich aufnimmt, gibt es daher ausschließlich zum Schutz des Eigentums (property). Damit ist gemeint, dass der persönliche Bereich des eigenen Lebens, Besitzes und Handelns (life, liberty and estates) geschützt werden soll vor jeder Art von Übergriffen. So erklärt sich, dass Locke – einer der ersten großen Theoretiker der Freiheit – so sehr auf den strafenden Staat abstellt.

Definition

Freiheit bei Locke

● Freiheit kann nur zusammen mit Gesetzen bestehen, weil schrankenlose Freiheit zu Unrecht führt.

● Freiheit ist Freiheit vom Zwang und von der Gewalttätigkeit anderer.

 

● Freiheit ist die freie Verfügung über den eigenen Besitz, die eigene Person und die eigenen Handlungen (property = Eigentum).

● Sie dient zuerst zum Erhalt der eigenen Person bzw. Familie.

● Politische Freiheit ist ein Recht auf Mitwirkung an der politischen Entscheidungsfindung.

Im Unterschied zu Hobbes äußert sich Locke auch über die angemessene institutionelle Form eines solchen politischen Gemeinwesens. Er zeichnet das Bild einer parlamentarischen Monarchie mit einem starken Parlament. In ihr sollen alle besitzenden Bürger über das Wahlrecht ein Mitsprachrecht bei der Errichtung einer repräsentativen Versammlung haben. Sie ist gekennzeichnet durch verschiedene Gewalten, die Locke in ihrem Verhältnis zueinander beschreibt. Die parlamentarische Legislative ist das gewählte Zentrum der Verfassung. Sie macht die Gesetze und ihre Mitglieder versammeln sich nur auf Zeit, um danach wieder als Bürger selbst dem geschaffenen Recht unterworfen zu sein. Die regierende Exekutive beruft bei Bedarf das Parlament ein und führt die Gesetze aus. In den staatlichen Außenbeziehungen nimmt sie die Form der Föderative an, die über Krieg und Frieden, Verträge und Bündnisse bestimmt. Sie verfügt zudem über eine besondere zusätzliche Gewalt, die über die Ermächtigung durch die Gesetze hinausgeht. Diese Prärogative ist nötig, weil auch in besonderen Situationen, in denen bisher kein Gesetz existiert hat oder in denen keine gesetzliche Regelung möglich wäre (Katastrophen), Entscheidungsbedarf besteht.

Zusammenfassung

Gewaltenteilung bei Locke

Legislative: Sie passt das Naturrecht der konkreten Situation an und formuliert es als positives Recht.

Exekutive: Sie führt die Gesetze aus und beruft die Legislative ein;

● als Föderative entscheidet sie über Krieg und Frieden, schließt auswärtige Verträge und Bündnisse;

● als Prärogative entscheidet sie im Ausnahmefall und bei nicht gesetzlich regelbaren Materien (z. B. Katastrophen).

Appell an den Himmel

Diese Gewaltenteilung erscheint Locke sinnvoll, weil er nicht übersieht, dass die Gewalten immer dazu neigen, ihren Spielraum auf Kosten der jeweils anderen auszudehnen. Auch Übergriffe der Machthaber gegenüber der Bevölkerung müssen in Betracht gezogen werden. Angesichts dieser Tatsachen stellt sich die Frage, wer denn in so einem Fall der berufene Richter im Streit um Befugnisse und Kompetenzen sein könnte. Locke beantwortet diese Frage folgendermaßen: Wenn eine ins Amt gekommen Legislative oder Exekutive ihr Macht missbraucht, kann es hierfür auf Erden keinen Richter geben. Dem Volk bleibt im äußersten Fall nur der Appell an den Himmel – die Rebellion. Die vertraglich errichtete Macht, die aus dem Vertrauen der Beherrschten in die Machthaber (trust) gespeist wurde, fällt dann wieder zurück an das Volk und es ist berechtigt zu tun, was es für gut befindet. Widerstand ist damit gerechtfertigt, wenn sich die errichteten Gewalten nicht an den Vertrag halten.

»Wenn das Volk aber der Dauer seiner Legislative Grenzen gesetzt hat und diese höchste Gewalt in einer Person oder Versammlung nur auf Zeit geschaffen hat oder wenn diese Gewalt aufgrund von Übergriffen derer, die im Besitz der Autorität sind, verwirkt ist, so fällt sie mit der Verwirkung durch die Regierenden oder nach Ablauf der festgesetzten Zeit an die Gesellschaft zurück, und das Volk hat ein Recht, als höchste Gewalt zu handeln und die Legislative von nun an selbst auszuüben; oder aber eine neue Form der Regierung zu errichten, bzw. die Regierung unter der alten Form in neue Hände zu legen, wie es ihm gut scheint.« (Locke (1689) 1977: II/§ 243).

Wahl und Volkssouveränität

Hier wird noch ein zweiter Fall des Rückfalls der vertraglich transferierten Macht von den Amtsträgern an das Volk benannt: die periodisch wiederkehrende Wahl, die die Institutionen in ihrer Form belässt, die aber dem Volk das Recht einräumt, regelmäßig neue Personen mit der Wahrnehmung der einschlägigen Aufgaben zu betrauen bzw. die alten Amtsinhaber zu bestätigen. Das Volk ist im Moment des mehr oder weniger gewaltsamen Umsturzes wie im Moment der friedlichen Wahl der Souverän, der sein Gemeinwesen institutionell und personell so ordnet, dass die Freiheit der Individuen gewährleiste bleibt. Nach den souveränen Akten der Revolte oder der Wahl delegiert es in den meisten Fällen wieder die Macht an Institutionen und Machthaber. Diese bleiben aber auch nach der Neukonstitution der Herrschaft an den Vertrag gebunden.

Während Hobbes eine unbedingte vertragliche Übertragung von politischer Macht an den Souverän theoretisch begründet und als notwendig für ein friedliches Gemeinwesen rechtfertigt, schließen bei Locke die Menschen einen Vertrag auf der Grundlage klarer inhaltlicher und formaler Bedingungen. Die so errichtete Herrschaft zielt inhaltlich auf die Sicherung des freien Gebrauchs von Eigentum und hat im Idealfall die Form einer parlamentarischen Monarchie. Lockes auffällige Konzentration auf die freie und sichere Nutzung des Eigentums setzt seine Theorie noch stärker als die des Thomas Hobbes der Kritik des Besitzindividualismus (Macpherson) aus. Locke erklärt das Eigentum zur naturrechtlichen Grundausstattung jedes freien Menschen. Sein weiter Begriff von property, mit dem das Leben, die Freiheit und die freie Nutzung des Besitzes (life, liberty and estates) gemeint sind, verbindet sich mit der Vorstellung eines sich autark aus seinem Besitz erhaltenden Bürgers. So wie sich Freiheit und Verstand wechselseitig ermöglichen, so sind Freiheit und Eigentum aufeinander bezogen. Frei kann nur sein, wer sich aus eigener Kraft erhalten kann und die Selbsterhaltung ist nur in Freiheit sinnvoll.

Zusammenfassung

Lockes Vertragsgemeinschaft der Eigentümer

● Die vertragliche Zustimmung der Bürger legitimiert die Existenz des Staates, der daran gebunden bleibt.

● Das Individuum behält seine vorstaatlichen (natürlichen) Rechte auch in der politischen Gemeinschaft.

● Herrschaft ist an das Naturrecht und an die Bedingungen des Vertrages, der den Herrschenden die politische Gewalt auf Zeit anvertraut (trust), gebunden.

● Bei einem Vertragsbruch besteht ein Widerstandsrecht der Bürger. Im Fall schlechter Amtsführung ist die Abwahl möglich.

● Die gesamte politische Ordnung ist an die Sicherung von Eigentum gebunden, von dem auch Teilhabe- und Schutzrechte abhängig sind.


2.3.4Jean-Jacques Rousseau: Die Vertragsgemeinschaft der identitären Demokratie

Gesellschafts- und Zivilisationskritik

»Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.« Mit diesem Satz beginnt Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) berühmtes Buch »Vom Gesellschaftsvertrag« (Rousseau 1762/1977: I/1). Sein Autor hatte sich bereits kritische Gedanken zur Kulturentwicklung gemacht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die menschliche Geschichte keinesfalls einen dauernden Fortschritt zum Besseren darstellt. Vielmehr ist die Zivilisation das hochgradig zwiespältige Produkt einer Entfremdung von der Natur und einer oft widernatürlichen Verfeinerung der Sitten und Gebräuche. Rousseaus Blick fällt dagegen wohlwollend auf die einfachen Formen des Landlebens und der naturnahen frühen Stufen der Zivilisation und der menschlichen Entwicklung. Er schreibt kulturkritische Schriften sowie einen äußerst erfolgreichen Erziehungsroman (»Émile«), in dem er die überzogenen Erziehungsziele der Aufklärung scharf kritisiert und eine möglichst kindnahe Pädagogik mitbegründet.

Rousseau beobachtet, dass der gesellschaftliche Zustand offensichtlich der Freiheit des Menschen nicht zuträglich ist. Die bestehenden Ordnungen lassen sich nur in der Begrifflichkeit von Knechtschaft und Unterdrückung beschreiben und sie verfügen neben der bloßen Machtausübung und Unterwerfung über keine Rechtfertigung. Stärke und Wahnsinn schaffen aber noch kein Recht. Recht kann nur aus der freien Zustimmung der Menschen abgeleitet werden, da nur so ein Zusammenschluss konstruiert werden kann, in dem alle gleich und zugleich frei sind.