Art of Fake.

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Art of Fake.
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa


Für

DIE VIELVERSPRECHENDEN


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-9818048-0-5

Textarchitektur: Dorothee Köhler

Storytelling: Jörg Achim Zoll

Fehlerbeseitigung: Ines Balcik

Umschlaggestaltung & Satz: Gábor Vakulya

Gestaltungsidee: Komitee für gereiften Menschengeschmack

Illustrationen: MachDuPikto

Coverbild: © Vitaliy Melnik, 78200306 / Fotolia

Copyright © 2019 by Christoph Zulehner

Herstellung und Verlag:

ORIOL Verlag, eine Marke der Focus One Consult GmbH, Varel E-Mail: info@oriol-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags oder des Autors.

www.christophzulehner.com www.oriol-verlag.de

INHALTSVERZEICHNIS

Prolog

1 Der Uhrmacher

2 Der Ballsportler

3 Die Modeschöpferin

4 Der Autoverkäufer

5 Der Komponist

6 Der Perlenhändler

7 Die Reporterin

8 Die Taschenmacher

9 Der Softwarehändler

10 Der Importeur

11 Die Kleidermacherin

12 Der Vermieter

13 Der Gitarrist

14 Der Ausstatter

15 Der Straßenkünstler

16 Die Sterndeuterin

17 Der Unternehmer

18 Der Verleger

Epilog

Quellenhinweise

PROLOG

Skandal! Bereits beim Erscheinen meines Buchs „Make the Fake. Warum Erfolg die Täuschung braucht“ wurden Stimmen laut, die „skandalös“, „unethisch“ und „verlogen“ schrien. Es sahen sich sogar selbsternannte Retter der Moral bemüßigt, in diesen Chor einzustimmen, obwohl sie das Buch nie in Händen gehalten, geschweige denn gelesen oder das Audio-Book gehört hatten. Erstaunlich!

Das Wort „Fake“ hatte also bei den wenigsten einen ersten guten Eindruck hinterlassen. Dieser Effekt ist möglicherweise auch dem Umstand zuzuschreiben, dass zur selben Zeit ein amerikanischer Präsident begann, mit dem Begriff „Fake News“ eine Twitter-Lawine loszutreten.

Was aber ist das ach so Skandalöse an einem Fake? Ist ein Fake wirklich so verwerflich? Oder sind es vielleicht nur Scheinheiligkeiten, die sich hinter dem Aufschrei verbergen? Und was sagt eigentlich die Wissenschaft zum Fake? Gibt es Belege, die meinen Ansatz und die Sichtweisen vieler Leserinnen und Leser untermauern?

Ja, es gibt sie, diese wissenschaftlichen Belege. Auf einige, die mir selbst noch unbekannt waren, haben mich Leserinnen und Leser in vielen positiven Reaktionen hingewiesen. Es waren Beiträge aus den Bereichen der Philosophie, der Psychologie und der Kognitionswissenschaften. Ein Leser beispielsweise sandte mir einen Gastbeitrag des amerikanischen Psychologen Adam Grant zu, der 2016 in der New York Times erschien: „Unless You’re Oprah, ‚Be Yourself ‘ Is Terrible Advice“. Darin beschreibt Grant sehr eindrucksvoll jene Mechanismen, auf die auch ich mich beziehe. Grant weist darauf hin, dass es weder ratsam noch klug ist, immer authentisch zu sein, und unterscheidet „High Self-Monitors“ von „Low Self-Monitors“. Die „High Self-Monitors“ beschreibt er als Menschen, die Situationen „scannen“ und ganz besonders auf zwischenmenschliche Signale („Social Cues“) achten, um dann rasch darauf reagieren zu können. Es ist die soziale Unbeholfenheit, die den „High Self-Monitors“ ein Gräuel ist, so Grant.

Brian R. Little, Autor des Buchs „Me, Myself And Us”, zitiert eine faszinierende Studie, in der beobachtet wurde, wie Menschen ihre Steaks würzen. Dabei stellte sich heraus, dass „High Self-Monitors“ zuerst kosten und dann salzen, während „Low Self-Monitors” ihr Fleisch sofort nachwürzen, ohne es vorher zu probieren. Little resümiert mit dem Wortspiel, dass „Low Self-Monitors“ offensichtlich ihre versalzene Persönlichkeit gut kennen.

Ein anderer Leser wies mich auf den deutschen Philosophen und Kant-Forscher Hans Vaihinger (1852–1933) hin. In seinem Hauptwerk „Die Philosophie des Als Ob“ schreibt er gegen die zu seiner Zeit vorherrschende Meinung an, dass Wahrheit als Entsprechung zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit zu verstehen sei. Die Ausgangsfrage seiner Philosophie ist, wie sich erfolgreiches Handeln und Problemlösen mit falschen Annahmen erreichen lässt. Sein Ergebnis: Nützliche Fiktionen erhalten ihre Legitimation durch ihren lebenspraktischen Zweck. Auf dem Umweg des „Als Ob“ werden neue Modelle der Wirklichkeit gefunden. Das über 800 Seite starke Werk Vaihingers erschien 1928 in zehn Auflagen und wurde in zwölf Sprachen übersetzt. Als besonderer Witz soll hier noch erwähnt sein, dass unter anderem eine gekürzte Volksausgabe und eine Schulausgabe für Gymnasien aufgelegt wurden.

Nun, ich hege nicht die Erwartung, dass mein Buch „Make the Fake“ in zwölf Sprachen übersetzt wird. Auch eine Volksausgabe erwarte ich nicht, verstehen sich doch Sachbücher generell als solche.

Meine Erwartungshaltung ist eine ganz simple: den Fake als das zu sehen, was er im Grunde genommen ist – eine Kulturtechnik und ein Versprechen. Ein Versprechen an den Markt und ein Versprechen an sich selbst.

Ist es nicht verblüffend, was Sprache auszulösen vermag? Sprechen wir vom „Fake“, dann zeigen sich viele empört und wenden sich entrüstet ab. Sprechen wir aber davon, dass etwas „vielversprechend“ ist, dann horchen dieselben Menschen auf und sind bisweilen gar verzückt, wenn es heißt: „Das ist ein vielversprechender junger Mensch“ oder „Das ist ein vielversprechendes Produkt“ oder „Es handelt sich hier um eine vielversprechende Methode“.

Dabei sagt die Bezeichnung „vielversprechend“ nichts anderes, als dass es sich dabei um „viel Versprechen“ handelt. Die Zusicherung als schöpferische Kraft.

Wir wachsen nicht mit unseren Aufgaben. Wir wachsen vielmehr mit unseren Versprechen, weil wir gefordert sind, sie einzulösen. Wir wachsen somit auch mit unseren Fakes.

Alle Geschichten in diesem Buch erzählen von vielversprechenden Menschen. Auf ihre Art und Weise. Von Menschen, die Erfolg haben, auf ihre Art und Weise. Bestimmt würden manche von ihnen ihren Erfolg nicht einem Fake zuschreiben. Möglicherweise wäre die eine oder der andere auch nicht damit einverstanden, den jeweiligen Erfolg als „Fake“ zu bezeichnen. Trotzdem: In meinem positiven Verständnis des Wortes waren es „Fakes“. Ganz hervorragende noch dazu. Aber lesen Sie am besten selbst. Vorhang auf!



1 | DER UHRMACHER

George Clooney trägt Omega. Ellen DeGeneres trägt Patek Philippe. Justin Timberlake trägt Rolex. Kevin Costner trägt Jacques Lemans. Das edle Chronometer ist Pflichtprogramm in der Welt der Hollywoodstars. Schließlich kultiviert das Film-, Musik- und Showbusiness an Amerikas Westküste eine Ästhetik, die gern mit dem leicht boulevardesken Begriff „Glamour“ charakterisiert wird. Letztlich ist dieser berühmte Hollywood-Glamour ein schillerndes Mosaik aus den passenden Zutaten: Elegante Colliers gehören dazu, die zwischen rotem Teppich und kalifornischer Sonne so schön funkeln. Luxuslimousinen, XXL-SUVs und Sportwagen natürlich, vorzugsweise deutscher, englischer oder italienischer Provenienz. Dazu Swimming-Pools so blau wie auf den Gemälden von David Hockney und größer als so manches Nichtschwimmer-Becken europäischer Freibäder. Dann vielleicht noch Schuhschränke mit hunderten von Paaren, so wie sie die jugendlichen Spaß-Einbrecher in Sophia Coppolas Film „The Bling Ring“ im Haus von Paris Hilton vorfinden. Doch einer der allerwichtigsten Mosaiksteine ist zweifellos der Zeitmesser – nur ein kleines Accessoire und doch ein ganz großes Statement: Glamour to go. Bling-Bling fürs Handgelenk.

 

Zu den angenehmen Seiten eines Arbeitslebens als Hollywoodstar zählt bekanntlich ein Salär, das europäische Konzernlenker wie Durchschnittsverdiener dastehen lässt. Insofern erscheint die Anschaffung einer sündhaft teuren Armbanduhr für Clooney & Co. keine allzu große Sache. Doch sie haben es noch besser, die Stars: In den Villen von Bel Air oder Malibu müssen viele schöne Dinge des Lebens gar nicht auf eigene Rechnung angeschafft werden – Promi-Marketing sei Dank. Während der gemeine Besserverdienende für eine Luxusuhr zwar vielleicht nicht eisern sparen, aber doch sein Tagesgeldkonto plündern muss, erhält sie der Hollywoodstar kostenlos direkt ab Werk. Der Produzent legt noch mindestens das Jahresgehalt seines CEO obendrauf, damit der prominente Konsument sich mit den Uhren der jeweiligen Marke wirkungsvoll öffentlich zeigt. Das Handgelenk als Werbeträger. Noch mehr Honorar winkt, sobald der Hollywoodstar dem Marketing der Uhrenmanufaktur regelmäßig für Fotos und Bewegtbilder zur Verfügung steht. Selbstverständlich sind nach der Unterschrift unter einen Werbevertrag die Uhren anderer Hersteller öffentlich tabu. Sie dürfen höchstens noch im heimischen Safe gehortet werden.

Dermaßen vertraglich an einen bestimmten Hersteller gebunden, werden die Stars zu sogenannten Markenbotschaftern für die Uhren an ihren Handgelenken. Während Ellen DeGeneres nach eigener Aussage nur deshalb Patek Philippe trägt, weil sie als Uhrenfan eine Leidenschaft für die Produkte dieser Schweizer Manufaktur hegt, dürfte „George Clooney’s choice“ weit weniger vom privaten Geschmack getrieben sein. Der Filmstar und Frauenschwarm ist nämlich „Ambassador“ – Botschafter – der Marke Omega und damit per Unterschrift an den Hersteller von Luxusuhren aus dem schweizerischen Biel gebunden. Ob Justin Timberlake seine favorisierte Rolex aus eigener Tasche bezahlt hat, ist nicht bekannt. Sein Musiker-Kollege Michael Bublé jedenfalls ist schon seit mehr als zehn Jahren offizieller „Testimonee“ für Rolex und wird von der Schweizer Luxusmanufaktur sicher entsprechend generös mit ihren Produkten ausstaffiert. Den Begriff „Testimonee“ (analog „Coachee“ oder „Trainee“) im Sinne von „Referenzgeber“ scheint das Rolex-Marketing übrigens eigens für seine prominenten Uhrenträger erfunden zu haben. Ebenso wie beim „Testimonial“ (= bezahltes Lob) ist die Wurzel das lateinische testari („Zeugnis geben“, „bezeugen“, „schwören“). Michael Bublé schwört also buchstäblich auf seine Uhr.

AM WÖRTHERSEE SPRICHT MAN NICHT FRANZÖSISCH

Zurück zu George Clooney, Ellen DeGeneres, Justin Timberlake, Kevin Costner und ihren Uhren von Omega, Patek Philippe, Rolex und Jacques Lemans. Den Kennern unter Ihnen wird bei diesem Namedropping schon im ersten Durchgang etwas aufgefallen sein: Einer der Stars passt hier nicht so recht zu den übrigen. Sie glauben, ich meine Ellen DeGeneres? Weil die einzige Frau in dieser Aufzählung „nur“ ein Fernsehstar ist und außerdem zu Hollywoods wenigen bekennenden Nicht-Heteros zählt? Nun, das alles ist richtig, spielt aber beim Thema Uhren keine Rolle. Mit ihrer Patek Philippe bewegt sich die Talkshow-Moderatorin und mehrfache Emmy-Preisträgerin auf Augenhöhe mit den Herren Clooney und Timberlake, die ebenfalls einige der exklusivsten und teuersten Schweizer Zeitmesser tragen. Nein, die Uhrenkenner unter Ihnen sind ganz bestimmt über Kevin Costner und seine Jacques Lemans gestolpert. Jacques Lemans? Gibt es solch eine Uhr nicht schon für 100 Euro bei Amazon?

Tatsächlich sind Uhren der Marke Jacques Lemans im mittleren Preissegment angesiedelt. Zwar kommen aus diesem Haus auch einige mechanische Uhren, für die 1.000 oder 1.500 Euro hingelegt werden müssen. Aber eben nicht jene 10.000 oder 15.000 Euro, für die es bei Patek Philippe oder Rolex erst interessant wird. Wer eine Uhr in der Preisklasse jenseits von 100.000 Euro will, der muss bei den Schweizer Manufakturen nicht lange suchen. Eine Rolex mit den entsprechenden Klunkern kann mehr als das Hundertfache der teuersten Jacques Lemans kosten. Kenner wissen das. Doch wenn Sie einmal nur die Werbeanzeigen von George Clooney für Omega mit denen von Kevin Costner für Jacques Lemans vergleichen, dann werden Sie da nicht unbedingt einen großen Unterschied feststellen. Oscar-Preisträger Kevin Costner hält seine Jacques Lemans nicht einen Deut weniger selbstbewusst in die Kamera des Werbefotografen als Kollege Clooney seine Omega oder Schmusesänger Bublé seine Rolex. Sollte Costner seine Ticktack nicht ehrlicherweise etwas bescheidener präsentieren?

Nein, denn wir sind hier auf den Spuren eines der erfolgreichsten Fakes in der schillernden Welt des Luxuskonsums. Nehmen wir allein den Namen von Kevin Costners Armbanduhr: Jacques Lemans! Wer denkt da nicht an Lac Léman? So heißt der Genfer See bekanntlich auf Französisch. Und in der französischen Schweiz sitzen … na? Richtig: einige der berühmtesten Manufakturen für Luxusuhren. Patek Philippe und Rolex stammen sogar direkt aus Genf. Genève au Lac Léman, wie der Einheimische sagt. Wenn also ausgerechnet eine österreichische Uhrenmarke Jacques Lemans heißt, muss eine Absicht dahinter-stecken. Denn genau das ist Jacques Lemans: eine österreichische Marke, gegründet 1975 in der kleinen Kärntner Gemeinde Sankt Veit an der Glan. Dabei verbinden die meisten Nichtösterreicher mit Kärnten wahrscheinlich als Erstes den Wörthersee. Trotzdem nannte Firmengründer Alfred Riedl seine Uhrenmarke nicht etwa Jakob Wörtherseer, sondern eben Jacques Lemans. Er wird sich etwas dabei gedacht haben. Und wahrscheinlich nicht, dass der biblische Jakob (französisch: Jacques) im 1. Buch Mose ein Betrüger ist und der Wortstamm dieses Namens im Hebräischen auch „betrügen“ heißen kann.

KEVIN COSTNER UND DER HANDSCHLAG VON SCHLADMING

Alfred Riedl würde sich selbst wohl niemals als einen Faker bezeichnen. Nach meiner Definition ist er es inzwischen auch längst nicht mehr. Doch seine Karriere ist in meinen Augen ein Paradebeispiel für den Aufstieg eines Fakers. Riedl hat das Grundprinzip Fake it until you make it – erst Schein, dann Sein – bei seiner Marke Jacques Lemans angewendet wie kaum ein Zweiter in der Welt des Geltungskonsums. Der Kärntner und gelernte Elektrotechniker hatte in den 1970er-Jahren die Idee, mechanische Armbanduhren von hoher Qualität für eine breite Käuferschicht erschwinglich zu machen. Er setzte auf japanische Uhrwerke und ließ seine Uhren in Hongkong produzieren. Riedl, der einst als Vertriebler für die Marke Corona in die Uhrenbranche einstieg, arbeitete viele Jahre hart für seinen Erfolg. Heute ist sein Unternehmen Jacques Lemans in 125 Ländern der Erde am Markt und hat weltweit rund 9.500 Verkaufsstandorte. Nicht zu vergessen, dass Jacques Lemans den Hollywoodstar Kevin Costner als Markenbotschafter gewonnen hat – angesichts der Markenhistorie so etwas wie ein Ritterschlag.

Die Marketingabteilung des Riedlschen Uhrenimperiums verbreitet hierzu via Homepage die Geschichte einer folgenreichen Begegnung zwischen dem Unternehmer-Ehepaar und dem Hollywoodstar. Schauplatz ist der bekannte steirische Skiort Schladming. Bei der dortigen Ski-WM im Jahr 2012 sollen Alfred und Andrea Riedl dem Herrn Costner eher zufällig begegnet sein. Nach dem Konzert einer amerikanischen Band sei man ins Gespräch gekommen, sich auf Anhieb sympathisch gewesen und habe sich dann gleich für den nächsten Morgen zum Frühstück verabredet. Bei diesem déjeuner à trois mit den Eignern von Jacques Lemans in Chladmé – pardon: Schladming – habe sich „Kevin“ (so der Werbetext jovial) dann als echter Uhrenliebhaber geoutet und sei anschließend sofort einverstanden gewesen, künftig als Markenbotschafter für die Uhren von Jacques Lemans aufzutreten. Tout de suite per Handschlag war es also besiegelt zwischen dem Riedl Alfred und dem Costner Kevin.

Egal, ob es sich nun tatsächlich so zugetragen hat oder in Wirklichkeit ein wenig anders: Wir erleben hier einen Faker nach dem höchst erfolgreichen Ende seines Fakes. Alfred Riedl ist 2012 ein gemachter Mann – Inhaber einer Weltfirma, Schöpfer einer globalen Marke. Völlig zu Recht bewegt er sich auf Augenhöhe mit internationalen Stars. Dass seine Uhrenmarke eine eher populäre und keine elitäre ist, sollte dabei nicht als Makel angesehen werden. Denn: „Beste Qualität und Verarbeitung zu einem erschwinglichen Preis“ – das war und ist die Unternehmensmission von Jacques Lemans. Mission erfüllt. Und zwar auf der ganzen Linie: Der Fake hat sich längst erledigt.

Heute hat die Marke den sprachlichen Anklang an den Genfer See und die Assoziation mit den Schweizer Manufakturen gar nicht mehr nötig. Jacques Lemans hat ausreichend eigenes Markenkapital aufgebaut. Das lässt sich auch daran ersehen, dass im Marketing nun ganz offensiv von einer „österreichischen Uhrenmarke“ die Rede ist. Und in den Markenstorys kommen Orte wie Schladming vor. Die Storyteller mussten die oben skizzierte Szene also nicht etwa nach Chamonix verlegen. Ich habe Alfred Riedl aufgrund dieser Costner-Story sogar zunächst für einen Steirer und nicht für einen Kärntner gehalten. In Kärnten übrigens wird auch weiterhin nicht Französisch gesprochen, doch die Adresse des Firmensitzes von Jacques Lemans lautet mittlerweile: Jacques-Lemans-Straße 1, 9300 St. Veit an der Glan.

AUF EINEN GRAND CRU IN DIE BOUTIQUE

Der Faker gibt ein Versprechen an sich selbst und den Markt. Anders als der Hochstapler will er das, was er zunächst vortäuscht, irgendwann tatsächlich sein. Die Sprache ist dabei stets ein wesentliches Hilfsmittel. Der junge Arzt, der zwar noch keine Erfahrung als Operateur besitzt, aber bereits das Arztdeutsch beherrscht, darf mit einem Vertrauensbonus kalkulieren. Ebenso der junge Anwalt, der so perfekt Juristendeutsch parliert, als sei er zweisprachig aufgewachsen. Sprache verspricht. Das gilt besonders für die Welt des gehobenen Konsums. Der „Geltungskonsum“ (englisch: „Conspicuous Consumption“) lebt von demonstrativer Verschwendung – so zumindest nach der klassischen Definition von Thorstein Veblen in seiner „Theorie der feinen Leute“ von 1899. Wer es sich leisten kann, der macht das Übermaß zu seinem Markenzeichen. Das Nutzlose, das Übertriebene und das Überkandidelte werden hergezeigt und ausgestellt, um sozialen Status zu markieren. Kein Mensch braucht 740 PS, um durch dichten Berufsverkehr zum Shoppen in Richtung Maximilianstraße, Bond Street oder Rodeo Drive zu rollen. Der Lamborghini Aventador hat sie trotzdem.

Wer in der Welt des Geltungskonsums eine Marke oder ein Produkt etablieren will, sollte die Sprache dieser Welt beherrschen. So gehen Kunden der Marke Nespresso nicht etwa in ein Kaffeegeschäft, sondern statten der „Nespresso Boutique“ einen Besuch ab. Dort bietet der Nestlé-Konzern ihnen keine Kaffeesorten an, sondern „Grands Crus“. Ganz so, als handele es sich um edelste Weine aus den besten Lagen. Wer länger als zehn Jahre Nespresso-Kunde ist, wird von den Schweizern (die dem gemeinen Volk die unsägliche Brühe „Nescafé“ verkaufen) neuerdings zum „Ambassador“ der Marke ernannt. Bei der Lufthansa und ihren Töchtern Austrian und Swiss werden Sie durch fleißiges Fliegen erst zum „Senator“ und schließlich zum „Hon Circle Member“ geadelt. Der BMW-Fahrer mit „Connected Drive“ erreicht per Knopfdruck im Auto nicht etwa ein Callcenter, das ihm in allen Lebenslagen assistieren kann, sondern den „Concierge-Service“. Ich will mit alledem sagen: Eine Kärntner Uhrenmarke Jacques Lemans zu nennen, ist auch nicht peinlicher oder depperter als das, was in der Welt des gehobenen Konsums alle machen. Und es war und ist auch nicht weniger erfolgreich.

Interessant ist in diesem Zusammenhang das Phänomen der Gewöhnung an eine ursprünglich auffällige Sprache. „Adresse“, „Dekoration“ oder „Expertise“ zum Beispiel nimmt heute praktisch niemand mehr als Lehnwörter aus dem Französischen, geschweige denn als gehobene Ausdrucksweise wahr. Als für Deutschlands Arbeitslose die „Jobcenter“ geschaffen wurden, galt das nicht wenigen als Ausdruck sprachlicher Idiotie. Heute wird das Wort „Jobcenter“ in Deutschland mit großer Selbstverständlichkeit verwendet und kaum noch hinterfragt. Obwohl es im Jobcenter eigentlich kaum Jobs gibt, sondern meist Sozialhilfe. Die „Boutique“ wiederum ist, ebenfalls durch Gewöhnung, in der Wahrnehmung längst nicht mehr so exklusiv wie in den Anfangstagen dieser Entlehnung aus dem Französischen. Im Grunde war die „Boutique“ bereits gesunkenes Kulturgut, als Loriot seinen „Lottogewinner“ in dem gleichnamigen Sketch die Eröffnung einer Herrenboutique in Wuppertal (sehr deutsch und sehr falsch „Buttikke“ ausgesprochen) ankündigen ließ. Und kaum noch jemand weiß, dass die ur-amerikanische Automarke Cadillac eigentlich französisch ausgesprochen werden müsste. Also das „ll“ wie ein „j“. Schließlich ist sie benannt nach dem Franzosen Antoine Laumet de La Mothe, Sieur de Cadillac, der 1701 die Stadt Detroit (damals gesprochen wie de troit) gründete. Insofern braucht es einem nicht unbedingt als etwas Besonderes aufzufallen, dass eine Kärnter Uhrenmarke Jacques Lemans heißt. Die meisten Kunden in Villach, Dubai oder Shanghai dürften sich längst daran gewöhnt haben.