Männerphantasien - Illusionen

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Männerphantasien - Illusionen
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Männerphantasien – I llusionen

Zehn Erzählungen

von Yupag Chinasky

Impressum

Männerphantasien – Illusionen

Yupag Chinasky

published by: epubli GmbH, Berlin,

www.epubli.de

Copyright © 2017 Udo Pagga

Inhaltsverzeichnis

Übersicht

Am Strand

Belle de Jour

Büfett für zwei

Das Haus

Die Frau in der U-Bahn

Der Kuss

Eine flüchtige Beziehung

Das Hotel

Sonntag in der Stadt

Die Illusion

Illusionen - Übersicht

Geschichten um Illusionen, Täuschungen, Begehren, Niederlagen und Eroberungen. Um Männer, die sich nach Frauen sehnen und die, wenn ihre Träume in Erfüllung gehen, nicht immer glücklich sind. Und um Frauen, die wissen, was sie wollen und entsprechend handeln.

AM STRAND: Ein Mann, ein junges Mädchen, ein einsamen Strand. Sie haben Interesse füreinander. Doch nur für das Mädchen läuft die Sache gut.

BELLE DE JOUR: Die Arbeit in der fremden Stadt ist langweilig. Er hat viel Zeit, um das Haus gegenüber zu beobachten. Und das bringt ihn auf eine Idee.

BÜFETT FÜR ZWEI: Obwohl bereits gesättigt, hat er Appetit auf mehr und überlegt sich, wie er den Rest des Abends gestalten sollt. Die Entscheidung wird ihm abgenommen, als ein weiterer Gast das Gourmetlokal betritt.

DAS HAUS: Der lange Weg auf den Berg hat ihn durstig gemacht. Erfreut bemerkt er im Schatten der Bäume ein Gasthaus. Dort findet er zwar nicht das, was er sich erhoffte, dafür aber eine andere, gewaltige Überraschung.

DIE FRAU IN DER U-BAHN: Die schwarze Erscheinung setzt sich ihm gegenüber. Die Türen gehen zu, der dunkle Tunnel verschluckt den Zug. Sie schaut in eine ungewisse Ferne. Er betrachtet sie mit zunehmendem Interesse und der Wunsch kommt, sie zum Essen einzuladen.

EINE FLÜCHTIGE BEZIEHUNG: Er sitzt allein in einem Abteil des Provinzzugs und schwitzt. Das Jackett hat er ausgezogen, die Krawatte abgenommen, die Schuhe abgelegt, am liebsten würde er sich auch noch des weißen Hemds entledigen. Dann betritt sie das Abteil und es geschieht etwas gänzlich Unerwartetes.

DAS HOTEL: Das Zimmer war teuer, sogar sehr teuer. Für das Geld hätte er in einem First-class-Hotel übernachten können. Aber weit und breit gab es kein anderes Hotel und bei dem Unwetter weiter fahren oder im feuchten, kalten Auto übernachten – nein danke. Dann lieber ein einfaches Zimmer.

SONNTAG IN DER STADT: Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. Es ist Sonntag, für viele der langweiligste Tag der Woche. Ein Mann mittleren Alters schlendert durch die verlassenen Straßen, ohne ersichtlichen Zweck, ohne erkennbares Ziel. Auch zwei Frauen haben sich zur selben Zeit in diese Stadtwüste verirrt.

DIE ILLUSION: Er hat eine Kreuzfahrt gebucht, obwohl ihm das Leben auf einem Kreuzfahrtschiff gar nicht gefällt. Bei einem Landausflug auf eine einsamen Insel findet er sein Glück, verpasst dabei das Schiff und muss auch noch erfahren, dass dieses Glück nur eine Illusion war. Doch er sieht etwas, was er nie zuvor gesehen hat.

Am Strand

Er blinzelte in die Sonne und sah die schlanke Gestalt im Gegenlicht nur undeutlich, dafür spürte er plötzlich sehr deutlich, was sich unterhalb seiner Gürtellinie abspielte. Ein dumpfer, diffuser Wunsch, ein gieriges Verlangen war auf dem Weg in sein Hirn, eroberte die grauen Zellen, besetzte die Schaltstellen seines Denkvermögens und verdrängte alle Vorsicht. Die Lust, die ihn überwältigte, sorgte dafür, dass all das ausgeblendet wurde, was ihm sein Verstand sagte. Nichts sprach mehr dagegen, einfach zu nicken, einfach ja zu sagen.

Er hatte durch Zufall die kleine Bucht gefunden, eine Idylle, wie auf einer Postkarte. Sie war von Büschen und Bäumen umrahmt, die sie vollständig von der nahen Straße abschirmten. Nur weil er angehalten hatte, um zu pinkeln und dafür ein paar Meter auf dem Feldweg in den Busch gegangen war, hatte er sie entdeckt. Der Strand bestand aus feinem, weißen Sand, das Wasser war grün, türkis und tiefblau, genauso blau wie der Himmel und am Ufer standen Palmen. Die einsame Bucht war der ideale Ort den Schweiß durch ein Bad abzuwaschen und die Müdigkeit durch einen Mittagsschlaf zu verscheuchen. Der Platz war fast menschenleer, nur ein junges Pärchen war am anderen Ende des Strands anscheinend völlig mit sich selbst beschäftigt. Zufrieden mit seinem Glück, zog er seine Kleider aus, schlüpfte in die Badehose, schloss den Wagen ab und ging zum Wasser. Nachdem er ausgiebig geschwommen hatte, suchte er einen schattigen Platz, legte sich auf sein Handtuch, schloss die Augen und schlief ein.

Er schreckte hoch, als er neben sich eine Stimme hörte. Das Pärchen war herangekommen, der junge Mann hatte sich neben ihn gehockt und suchte ein Gespräch. Noch halb im Schlaf nahm er ihn nur diffus wahr, ein schmaler Typ mit schwarzen Locken, ausgebleichten Jeans und einem verwaschenen T-Shirt. Das Mädchen konnte er überhaupt nicht erkennen. Sie hielt sich abseits und stand zudem direkt in der Sonne. Der junge Mann begann ihn zu fragen, wie er heiße, woher er komme, wohin er wolle. All das, was man so am Anfang einer Kontaktaufnahme fragt. Aber er war müde und hatte keine Lust auf ein holperiges, mühsames Gespräch, das dort enden würde, wo diese Art der Anmache immer endet. Nach dem Austausch von Banalitäten würde man ihm die Dienste als Fremdenführer oder ein Souvenir zum Kauf anbieten, eine Dienstleistung erbitten, ein Restaurant dringend empfehlen oder um ein Geschenk, am liebsten etwas Geld, bitten. Und richtig, der junge Mann war schon bei einem dieser Themen angekommen und fragte, ob er sie, ihn und seine Chica, in die nächste Stadt mitnehmen könne. Nein? Der Señor wolle noch bleiben? Bueno! Ob er ihnen dann etwas Geld für den Bus geben könne, por favor. Nachdem er zunächst noch widerwillig und einsilbig geantwortet hatte, sagte er jetzt kurz angebunden „no“ und drehte dem Plagegeist demonstrativ den Rücken zu. Das Gespräch war für ihn beendet. Der junge Mann redete noch ein Weilchen weiter, stand aber schließlich auf und entfernte sich mit seiner Begleiterin. Er hörte, wie sie heftig miteinander diskutierten. Zufrieden, seine Ruhe wieder erlangt zu haben, streckte er sich erneut wohlig aus und versuchte den unterbrochenen Schlaf fortzusetzen, aber schon nach kurzer Zeit hörte er wieder Schritte und ein Räuspern.

Der junge Mann war diesmal stehen geblieben und redete von oben herab auf ihn ein. Verärgert schloss er die Augen und gab vor, nichts zu hören, als ihn ein Satz, eigentlich waren es nur zwei Worte, aufhorchen ließ. Das Mädchen, so der junge Mann, brauche unbedingt Geld und würde dafür mit ihm Liebe machen. Liebe machen, genau das sagte er und genau diese Worte elektrisierten ihn und beendeten seinen Halbschlaf. Der junge Mann wiederholte, ja, sie würde mit ihm Liebe machen, für ein paar Pesos oder ein paar Dollars. Nun drehte er sich um, stützte sich auf einen Ellenbogen und wandte sich doch dem jungen Mann zu. Und während dieser weiter redete, sie sei nicht seine Freundin, aber sehr nett und zärtlich und fände ihn, den Fremden, sehr sympathisch und attraktiv, nahm der so Gelobte zum ersten Mal das Mädchen genauer in Augenschein. Sie war wieder in einiger Entfernung stehen geblieben und befand sich immer noch im Gegenlicht, so dass er sie nicht deutlich erkennen konnte. Immerhin sah er, dass sie klein und zierlich und sehr schlank war und dass sie ein kurzes, buntgestreiftes Kleid trug. Als sie sein Interesse bemerkte, stellte sie sich in Positur, streckte ein Bein auf die Seite, stützte die Hände auf die Hüften, dies sie lasziv wiegte, raffte dann das ohnehin schon kurze Kleidchen noch ein wenig höher und reckte ihm kess und auffordernd den kleinen Busen zu. Schließlich kam sie langsam auf ihn zu und er konnte nun auch ihr Gesicht erkennen. Sie war leidlich hübsch, mit halblangen, braunen Haaren, die auf die nackten Schultern fielen. Ihr Blick wirkte leicht naiv, ein bisschen zu unschuldig und wurde um so kecker und herausfordernder, je näher sie kam. Er war inzwischen hellwach und musterte sie, den Busen, die Taille, die schmalen Hüften, die etwas zu kurzen Beine und dann setzte auch schon das Rumoren in seinem Unterleib ein.

Das Pärchen hatte geschickt seine Gier, seine Wollust entfacht und bot ihm gleichzeitig die Gelegenheit, sie zu befriedigen, denn das Angebot, das ihm der junge Mann machte, war günstig und eindeutig. Er solle ihm zwanzig Pesos geben, dann könne er mit der Chica hinter die Büsche gehen. Hierher käme kein Mensch und er könne sich soviel Zeit lassen, wie er wolle. Noch schwankte er und zögerte. Wenn doch jemand käme, wenn sich die Kleine zickig anstellte oder der Typ ihn auf einmal um mehr Geld erpressen würde oder wenn er selbst vor lauter Aufgeregtheit nicht mehr konnte? Aber, sagte er sich schließlich, was konnte denn schon passieren, was konnte schief gehen? Der Mann, in der Annahme der Preis sei zu hoch, reduzierte sein Angebot auf 15 Pesos. Das Mädchen hatte sich inzwischen neben ihn gekniet und streichelte sanft seinen Arm. Er spürte ihre Wärme und ihre Nähe und das Verlangen nach ihr wurde noch gewaltiger, geradezu allmächtig. Sein Mund war ausgetrocknet, sein Atem ging flach. Schließlich nickte er dem Mann zu, sagte „bien, vamos“, stand auf und wollte mit dem Mädchen in Richtung Büsche gehen, aber dieser bestand darauf, erst das Geld zu bekommen. So gingen sie zu dritt zu seinem Wagen. Er holte die Geldscheine aus dem Portemonnaie, schloss den Wagen wieder ab und steckte den Schlüssel in das Täschchen seiner Badehose.

 

Das Mädchen hatte das Handtuch mitgenommen, ergriff nun seine Hand und zog ihn in Richtung der Büsche am Rand der Bucht. Dort angekommen, breitete sie das Handtuch aus und bedeutete ihm, sich hinzulegen. Als er ausgestreckt da lag, kniete sie sich neben ihn und fing an, seine Brust, seine Arme, seine Beine zärtlich zu streicheln. Er hatte das Gefühl, als liefe eine Armada kribbelnder, liebkosender Ameisen über seine Haut. Es war ein verdammt schönes Gefühl, aber es war erst der Anfang, denn nun glitt ihre Hand in seine Badehose und umfasste und drückte seinen erigierten Penis. Er stöhnte, Schweißtropfen traten auf seine Stirn. Sie ließ den Penis wieder los und streifte sanft und sehr langsam seine Badehose ab. Er war unfähig, auch nur seinen kleinen Finger zu rühren, aber sein steifes Glied ragte dennoch wie eine Fahnenstange in die Höhe. Und diesem Zentrum seiner Lust näherte sich jetzt ihr Gesicht, ihre herabhängenden Haare kitzelten seinen Bauch. Er schloss wohlig die Augen und wartete, dass ihr Mund, dieser kleine wilde, geile Saugegel, die Fahnenstange umfassen würde, dass ihre Zunge, diese sich windende, zuckende, blutrote Schlange, daran hinauf- und hinabfahren würde, dass sie seine Männlichkeit erst sanft und zärtlich, dann immer heftiger liebkosen und beackern würde, bis er es schließlich nicht mehr aushallten, explodieren und sich in ihre rote Höhle ergießen würde.

Diese Gefühle, Wünsche und Erwartungen trieben ihn mit Macht um, als er scheinbar ruhig auf seinem Rücken lag und die Hände des Mädchens an seinem Geschlecht spürte. Doch plötzlich, völlig unerwartet, kam die Katastrophe. Die unbändige Lust verwandelte sich mit einem Schlag, besser gesagt mit einem Griff, in abgrundtiefen Frust. Mit einem festen, harten Griff drückte sie ihm die Eier zusammen, dass er vor Schmerz aufschrie und sich krümmte. Dann sprang sie auf und rannte, mit der Badehose in der Hand, zu seinem Auto. Bevor er die Situation richtig erfasst hatte, sich aufrappelte und hinter ihr herlief, eine Hand auf sein schmerzendes Teil gepresst, war sie schon angekommen und warf dem jungen Mann den Schlüssel zu. Beide saßen schon im Auto und hatten die Türsicherungen herabgedrückt als er endlich atemlos, keuchend anlangte. Er zerrte an der Fahrertür, stellte sich vor den Wagen und hämmerte mit den Fäusten auf die Kühlerhaube. Der junge Mann startete den Motor und fuhr ganz sanft an und er musste notgedrungen einen Schritt zur Seite machen und den Wagen vorbeilassen, der langsam in Richtung Straße rollte. Vergebens rannte er noch ein Stück hinterher. Durch die Heckscheibe sah er, zwar etwas undeutlich, aber dennoch eindeutig, wie ihm das unschuldige Mädchen einen Handkuss zuwarf und dabei fröhlich lachte.

Belle de Jour

Er musste für eine Woche in die französische Provinz, um für eine kleinere Firma eine neue Software zu installieren, anzupassen, auszuprobieren und die vorhandenen Daten zu übertragen. Es war eine Routinearbeit, die ihn nicht sehr beanspruchte, aber dennoch seine ständige Anwesenheit erforderte. Die meiste Zeit arbeitete zwar der Computer allein, aber er musste immer wieder eingreifen, etwas verändern, Entscheidungen treffen und kontrollieren, ob alles richtig lief. Die Firma hatte ihm einen kleinen Raum zur Verfugung gestellt und er saß von acht Uhr früh bis sieben Uhr abends allein vor dem Bildschirm. Weil er nicht weg konnte und weil er auch möglichst bald fertig werden wollte, verzichtete er darauf, zum Mittagessen zu gehen. Er brachte sich Sandwichs mit und die Firma stellte ihm Kaffee und Getränke zur Verfügung. Die einzige Ablenkung in den langweiligen Phasen, in denen er nur warten musste, waren die Zeitung und ein paar Fachbücher, die er sich mitgenommen hatte und das große Fenster mit Blick in eine ruhige Nebenstraße. Von seinem Bürostuhl aus sah er das erste Stockwerk des gegenüberliegenden Hauses. Die Ablenkung, die sich dort bot, hielt sich allerdings auch in Grenzen, weil er immer nur auf Fensterläden sah, die meistens geschlossen waren. Es waren mannshohe Fenster, die am Fußboden begannen und mit einem eisernen Geländer einen kleinen Balkon bildeten. Die Läden waren aus Holz, besaßen Lamellen und ließen sich in der Mitte falten. Sie waren genauso grau wie der Stein, aus dem das Haus gebaut war. Es war ein typisches französisches Wohnhaus vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Straße, die Haustür und die Fenster im Erdgeschoss konnte er nur sehen, wenn er an sein Fenster trat.

Er fing am Montag früh mit seiner Arbeit an und die Frau fiel ihm am Montag Nachmittag so gegen vier Uhr auf. Es war eine junge, hübsche Frau mit langer, blonder Mähne, die um diese Zeit einen der verschlossenen Fensterläden öffnete, sich weit aus dem Fenster beugte, der Sonne zu wandte und sich ausgiebig räkelte. Sie trug ein eng anliegendes, tief ausgeschnittenes schwarzes Gewand mit dünnen Trägern, das vermutlich ein Nachthemd war, aber ebenso gut ein Abendkleid hätte sein können. Ihr Dekolletee war hinreißend, ihre Frisur ziemlich derangiert und ihr Blick glücklich und verschlafen zugleich, so weit er das aus der Distanz beurteilen konnte. Sie blickte ein, zwei Minuten in Richtung der Sonne, dann auf die Straße, erst in die eine, danach in die andere Richtung und dann sagte sie etwas über ihre Schulter hinweg in den Raum hinein. Er war neugierig geworden und an das Fenster getreten, um diese attraktive Frau besser beobachten zu können. Aber da machte sie das Fenster schon wieder zu, ließ aber den Laden offen. Eine halbe Minute später öffnete sich die Haustür, ein junger, gut aussehender Mann streckte den Kopf heraus, schaute ebenfalls die Straße hinauf und hinunter, trat dann rasch ins Freie und ging eilig davon, ohne sich nochmals umzusehen.

Das Ereignis machte ihn nachdenklich und er begann das Haus zu beobachten. Er stellte an den nächsten Tagen fest, dass jeden Morgen pünktlich um halb neun ein Mann das Haus verließ, offensichtlich der Ehemann. Ein schmaler, schmächtiger Mann mittleren Alters mit Anzug, Nickelbrille, Halbglatze und Aktentasche, wenig auffallend, wenig attraktiv. Die blonde Frau trat mit ihm vor die Haustür. Sie trug einen weißen, flauschigen Morgenmantel und gab ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Am späteren Vormittag ging sie, adrett gekleidet, aus dem Haus und kam etwa gegen elf Uhr mit einem vollen Einkaufsnetz zurück. Wieder sehr pünktlich, um zwölf, kam ihr Mann und blieb etwa anderthalb Stunden. Als er wieder zur Arbeit ging, ohne Aktentasche, trat er allein aus dem Haus und wurde nicht mit Kuss verabschiedet. Um halb drei kam ein anderer Mann, klingelte rechts oben, wartete ein paar Sekunden, dann öffnete er die Tür und trat ein. Es war am Dienstag ein kleiner, älterer, etwas dicklicher Typ, der keineswegs so attraktiv war wie der junge Mann vom Vortrag. Um vier Uhr fand wieder das Ritual mit dem Fensterladen statt, der Mann ging, nachdem die Frau ihm vermutlich gesagt hatte, dass niemand auf der Straße sei. Gegen sechs kam der Ehemann zurück und gegen sieben hörte er mit seiner Arbeit und damit auch mit seinen Beobachtungen auf. Am Mittwoch und am Donnerstag lief alles nach dem selben Schema ab, er konnte fast die Uhr danach stellen, nur die Männer waren jeweils andere.

Eigentlich wäre er mit seiner Arbeit am Donnerstag fertig gewesen, alles war eingerichtet, das Programm lief, die Daten waren übertragen, die Kontrollen positiv abgelaufen und alle Regularien erledigt. Stattdessen baute er einen kleinen, harmlosen Fehler ein, der es ihm ermöglichte, am Freitag noch einmal in seinem temporären Büro zu erscheinen und bis Mittag zu arbeiten. Er beendete seine Arbeit um halb zwei, nachdem er beobachtet hatte, dass der Ehemann gegangen war, verabschiedete sich von seinem Auftraggeber und verließ das Haus. Er ging die Straße hinab, bog die erste Querstraße nach links ab und dann nochmals nach links und war in der ruhige Nebenstraße. Er ging zu dem grauen Haus mit den grauen Fensterläden und war etwas erstaunt, als er auf dem Klingelknopf rechts oben den Namen Deneuve las. Er erinnerte ihn an einen alten Film. Fünf Minuten vor halb drei drückte er auf die Klingel und wartete.

Büfe t t für zwei

Es war kurz vor zehn, als die Eingangstür aufschwang und ein später Gast erschien. In dem angesagten Edelrestaurant war es um diese Zeit still geworden. Nur noch wenig Leute verteilten sich auf noch weniger Tische, niemand redete und Musikberieselung war hier ohne hin verpönt. Das Büfett sah ramponiert aus. Abends gab es nur Büfett, all-you-can-eat-Büfett auf allerhöchstem Niveau für gut betuchte Feinschmecker und Geschäftsleute mit Firmenkreditkarte. Die leckersten Sushis waren weg, die letzten Krümel der getrüffelten Lammsülze lagen verloren in der frischen Minze, der Kaviar war ausgelöffelt und die Bouillabaisse in der kugelrunden, schwarzen Chauffage de soupe fast eingetrocknet, dennoch gab es noch genügend Köstlichkeiten zur Auswahl. Vor neun war eine Reservierung unumgänglich, nach neun hatte man freie Platzwahl, musste sich jedoch mit dem begnügen, was noch vorhanden war, denn es wurde nichts mehr nachgeliefert und pünktlich um halb elf, wenn die Geschäftsleute üblicherweise gegangen waren, schloss der Gourmettempel.

Einer der letzten Gäste saß vor einem erkalteten Latte machiato und der Rest Remy Martin in dem überdimensionierten Cognacschwenker zeigte an, dass sich das kulinarische Vergnügen seinem Ende näherte. Es hatte ihm wie immer hervorragend geschmeckt, wenn auch die Vinaigrette zum Spargel heute eine Spur zu aggressiv gewesen war. Auch diesmal hatte er sich reichlich bedient und sich das investierte Geld zum größten Teil wieder einverleibt. Obwohl vollauf gesättigt, hatte er dennoch oder gerade deswegen Appetit auf mehr, wenn auch nicht auf mehr Essen, und er überlegte, wie er den Rest des Abends gestalten sollte, lieber angenehm, ruhig oder doch besser angespannt, aufregend. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, denn seine satte Ruhe wurde durch den neuen Gast gehörig durcheinandergewirbelt.

Der neue Gast war einen Moment lang in der geöffneten Tür stehen geblieben, als wollte er seinen Entschluss, zu dieser späten Stunde noch hier zu speisen, überdenken. Doch da kam schon der Oberkellner herbeigeeilt und wies mit großer Geste auf die vielen leeren Tische: freie Auswahl. Nach einem kurzem Rundblick schritt er dann doch mit lautem Stakkato ausgerechnet auf den Tisch zu, der direkt neben dem des Cognactrinkers stand. Die Wahl dieses Platzes bei so vielen freien Tischen überraschte und erfreute diesen, denn er konnte sich nun, versteckt hinter einigem Grünzeug, einem seiner liebsten Vergnügen ungestört hingeben, Menschen perfekt zu observieren, ohne selbst beobachtet zu werden. Und das tat er auch ausgiebig, denn dieser Gast verwirrte ihn und er war zugleich von ihm äußerst angetan. Denn es handelte sich um eine große, stattliche Frau, eine markante, gut proportionierte Person, nicht zu jung und für seinen Geschmack auch nicht zu alt, so um die vierzig, schätzte er. Sie war sehr apart gekleidet, sehr exquisit, sehr teuer. Das konnte er beurteilen, auf dem Gebiet kannte er sich aus. Allein die farbenfrohe Bluse und der elegante Seidenschal, er tippte in beiden Fällen auf Pierre Cardin, die den notwendigen Kontrast zu ihrem schlichten sandgrauen Anzug bildeten, waren aller erste Sahne. Auch die Schuhe aus Krokodilleder, gefährlich spitz mit noch gefährlicheren Absätzen und ebenso wie die Handtasche, ein sündhaft teures Designerdingsda, farblich auf den Anzug abgestimmt, zeugten von erlesenem Geschmack und dem hierfür nötigen Kleingeld. Das Outfit allein hätte seine Aufmerksamkeit jedoch nicht allzu sehr erregt. Gut gekleidete Gäste waren in diesem Lokal die Regel. Aber diese Frau war außergewöhnlich, denn ihre Haut war dunkel, von einem tiefen, aparten, angenehmen dunklen Braun. Ihre Hände waren lang und schlank und die wenigen, erlesenen Ringe an ihren Fingern, hätten manchem Juwelier zur Ehre gereicht. Die pechschwarzen Haare bildeten ein anscheinend wildes, aber in Wahrheit sehr kunstvoll arrangiertes Gestrüpp. Das Außergewöhnlichste war jedoch ihr Gesicht. Es war keineswegs hübsch, aber ausdrucksstark und einprägsam. Ein Gesicht, das sich in jeder Situation veränderte. Beim Betreten des Lokals, als sie noch unschlüssig in der Eingangstür stand und sich umsah, war es grimmig. Nachdem der Oberkellner sie angesprochen hatte, wurde es schlagartig freundlich. Auf dem Weg zu ihrem Platz war es neutral, so wie bei Besprechungen, denen sie bei ihrer Arbeit wohl pausenlos ausgesetzt war. Und als sie saß und die Getränkekarte studierte, sah es ein klein wenig müde und abgespannt, aber durchaus zufrieden aus. Es war ein Gesichtsausdruck, den er bei Menschen beobachtet hatte, die gerade ein anstrengendes, aber wunderbares Erlebnis hinter sich hatten. Kurze Zeit später, als sie ihr Getränk wählte, wortlos, nur durch Antippen mit dem Finger auf die Karte, hatte es wieder die konzentrierte, grimmige Variante angenommen. Ihr entschlossenes Verhalten, ihr straffer Gang, die pralle Figur und das wandlungsfähige Gesicht, das alles war Grund genug für ihn, zu bleiben, abzuwarten, zu hoffen und zu planen. Er lehnte sich zurück und bestellte einen weiteren Kaffee, sowie nach kurzem Nachdenken auch noch einen Remy Martin.

 

Die Frau erhob sich, nachdem der Ober die Bestellung aufgenommen hatte und schritt mit erneutem Getöse dicht an ihm vorbei zum Büfett. Ihr Gang faszinierte ihn, dieses leichte, zielstrebige Gewiege, dieses sanfte erotische Wackeln des Hinterns, dieses sichere Balancieren auf den mörderischen High-heels. Sie hatte, man sah es deutlich trotz der weiten Knitterhose, ein ausladendes Hinterteil. Auch ihr Busen war angemessen groß, so weit er das bei dem offenen, flatternden Jackett und dem üppig drapierten Schal beurteilen konnte. Sie wiederholte den Gang zum Büfett in der folgenden halben Stunde mehrfach, um sich weitere Häppchen, Salatblättchen, Tellerchen, Schüsselchen und Tässchen zu holen. Bei jedem Gang hörte er trotz des Lärms, den die Sohlen machten, zwei weitere Geräusche. Ein leises Knarren der wohl noch neuen Schuhe und ein noch leiseres, sanftes Rauschen. Der Edelknitter ihres Hosenanzugs raschelte wie trockene Bambusblätter im Abendwind. Vielleicht machte sie diese Gänge aus bewegungstherapeutischen Gründen, vielleicht half ihr das Hin- und Hereilen mit den winzigen Portionen im Kampf gegen zu viel Kalorien und potentielle Pfunde. Oder, so dachte er einen Augenblick lang vermessen, oder es zog sie einfach in seine Nähe? War er der Grund? Nein, das bestimmt nicht, denn sie sah ihn die ganze Zeit nicht an, weder von ihrem Platz aus noch auf ihrem Weg zum Büfett. Aber dafür nahm er sie um so intensiver wahr, nicht nur optisch und akustisch. Er spürte bei jedem Vorbeigehen einen sanften Lufthauch und roch einen flüchtigen, leicht betörenden Duft nach Veilchen, der erst verebbte, wenn sie am Büfett angekommen war oder ihren Platz wieder eingenommen hatte.

Seinen Kaffee schlürfend taxierte er sie und ordnete sie in sein bewährtes Wo-gehört-wer-hin-Schema ein. Sie war mit Sicherheit eine Businesswoman, eine Karrierefrau. Erst vermutete er Bank, so zweite, dritte Ebene, doch dann entschied er sich für Einzelhandel. Abteilungsleiterin für Damenkonfektion in einem besseren Bekleidungshaus oder Inhaberin einer angesagten Edelboutique in der Altstadt. Jedenfalls musste sie in einer Position sein, die ihr ein ausreichendes Einkommen sicherte. Ausreichend für ihren exquisiten Geschmack und das formidable Lokal.

Den Cognac süffelnd registrierte er sehr genau, was und wie viel sie sich vom Büfett holte. Es war seiner Meinung nach viel zu wenig für das viele Geld. Und erst recht viel zu wenig für eine derart stattliche Frau. Sie nahm immer nur ein paar Kinderhappen, aber, so musste er anerkennen, eine überlegte Auswahl in perfekter Abfolge. Auf ein Fischpastetchen als Entrée folgte ein Löffelchen Bouillabaisse, dann eine Kombination exotischer Salatträume, garniert mit einem Hauch Schwertfischcarpaccio, schließlich noch einige Tapas und Antipasti. Als Hauptgericht wählte sie ein Häufchen buntes Gemüsegratin mit einem Handteller großen, blutroten Beefsteak vom Koberind an einer gefährlich grünen, höllisch scharfen Wasabisauce. Er wusste, wie delikat, zart und scharf das Fleischgericht war, denn er hatte es auch gekostet. Über eine Sache wunderte er sich allerdings, über ihre Getränkewahl. Sie hatte weder einen schweren Grand Cru aus Bordeaux noch eine leichte, edle Riesling Spätlese bestellt sondern lediglich ein Fläschchen Rokko No Mizu geordert, ein höchst exklusives, unverschämt teures Mineralwasser aus Japan, er erkannte es am Etikett, obwohl er sich diesen Luxus noch nie geleistet hatte. Sie hatte nur dies Wässerchen bestellt, passend zu Koberind und Wasabi, sonst nichts.

Mittlerweile waren alle anderen Gäste gegangen. Nur noch sie beide und ein leicht gelangweilter Kellner waren übrig. Büfett für zwei. Er schaute auf die Uhr, bald halb elf. So langsam musste er vorankommen. Sein Plan stand fest. Er würde sich räuspern, auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken und sie dann elegant und charmant in seinem schönsten Englisch ansprechen. Er war von Anfang an überzeugt, dass Englisch die einzige Sprache war, die sie beherrschte, von ein paar Brocken Behelfsdeutsch einmal abgesehen. „May I recommend you the very fine crème du chocolat as a sweet. I had it myself and as I can see there is still some there.” Sie würde überrascht zu ihm hinschauen und ihr grimmiges Gesicht würde in ein Lächeln übergehen und sie würde erwidern: “Oh, thank you very much. I will try it.” Und nachdem sie die braune Versuchung probiert und anerkennend genickt hätte, würde sie ihn anstralen: „You are so very nice and so helpful.” Anschließend würden noch ein paar banale Sätze austauschen, bis er schließlich aufstehen, an ihren Tisch treten und sich vorstellen würde. Sie würde ihn noch stärker anlächeln, ihm die Hand reichen und sich ihrerseits vorstellen. „My name is Laura.“ Ein Name, der genau zu ihr passen würde. „Why don’t you take your seat here? Please sit down.” „Herr Ober, bitte noch zwei Gläser Champagner“. „Sehr gerne, mein Herr, aber ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass wir in 5 Minuten schließen.“ Der Champagner würde kommen und sie würden einander zu prosten Er:„Cheers.!“ Darauf sie:„Cheers and thank you once more.“ „Why thank you? It is a great pleasure for me.” Ein Wort gäbe das andere und angesichts der nicht mal mehr fünf Minuten, die noch verblieben, würde er vorschlagen, das Lokal zu wechseln. Er kenne da einen Club, in dem er nicht nur Stammgast sondern sogar Mitglied sei. Und auf ihre Nachfrage, ob es ein Nachtklub sei: „Yes, indeed, it is a Nightclub. Do you know the Crazy Cat? Not everybody is allowed to go in. Please, let us take my car. It is a Porsche. You know Porsche?. Have you ever sat in a 911 Targa? World famous sport car.” Und dann, und dann …

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