Buch lesen: «Besteuerung von Unternehmen II», Seite 10

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2. Grundsatz der Pagatorik (Grundsatz der Zahlungsverrechnung, Nominalwertprinzip)

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Aufwendungen und Erträge sind unabhängig vom Zeitpunkt der entsprechenden Zahlungen zu berücksichtigen (§ 252 Abs. 1 Nr 5 HGB). Durch diese Vorgabe werden nicht nur die Periodisierungsgrundsätze angesprochen.[1] Gleichzeitig wird deutlich, dass nach dem Grundsatz der Pagatorik (Grundsatz der Zahlungsverrechnung) der externen Rechnungslegung Ein- und Auszahlungen zugrunde liegen. Über die Periodisierungsgrundsätze wird bestimmt, in welcher Periode die Zahlungsvorgänge als Ertrag oder als Aufwand erfolgswirksam werden. Durch den Grundsatz der Pagatorik unterscheidet sich die externe Rechnungslegung grundlegend von der Kostenrechnung.

Der Grundsatz der Zahlungsverrechnung besagt, dass für die handels- und steuerrechtliche Gewinnermittlung von den tatsächlich angefallenen Zahlungen auszugehen ist. Ein Ansatz von kalkulatorischen Rechenelementen ist ausgeschlossen: (1) Kalkulatorische Werte (Zusatzkosten), wie der kalkulatorische Unternehmerlohn, kalkulatorische Mieten oder kalkulatorische Zinsen, gehen in die Gewinn- und Verlustrechnung nicht ein. (2) Aufwendungen (zB Verbrauch von Roh–, Hilfs- und Betriebsstoffen, Abschreibungen von abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens) sind mit den beim Erwerb geleisteten Auszahlungen („historische“ Werte) zu bewerten, nicht mit ihren Wiederbeschaffungskosten („aktuelle“ Tageswerte).

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Der Grundsatz der Pagatorik dient der Objektivierung. Beim Ansatz kalkulatorischer Werte (Zusatzkosten) sowie bei einer Bewertung auf Basis von Wiederbeschaffungskosten würden dem Bilanzierenden erhebliche Ermessensspielräume verbleiben. Die Verwendung von verhältnismäßig eindeutigen Wertmaßstäben – wie (fortgeführte) Anschaffungs- oder Herstellungskosten – ist auch mit dem für die Besteuerung zu beachtenden Grundsatz der Rechtssicherheit (Tatbestandsbestimmtheit) vereinbar.

Der Grundsatz der Zahlungsverrechnung hat zur Folge, dass für die handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung das Nominalwertprinzip gilt. Als Gewinn wird jede Vermögensmehrung angesehen, die über das nominell eingesetzte Eigenkapital hinausgeht. Es wird nicht danach differenziert, welcher Teil der Reinvermögensmehrung durch einen (realen) Gewinn und welcher Teil lediglich durch die Geldentwertung (Scheingewinn) bedingt ist. Durch das Nominalwertprinzip wird auch eine Gleichbehandlung mit anderen Einkunftsarten erreicht, bei denen gleichfalls auf die tatsächlich angefallenen Ein- und Auszahlungen abgestellt wird. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass bei einem Betriebsvermögensvergleich nicht auf den Zeitpunkt der Zahlung abgestellt wird, sondern eine Periodisierung von Ein- und Auszahlungen in Erträge und Aufwendungen vorgenommen wird. Die Abweichungen beschränken sich auf einen Zeiteffekt, der sowohl positiv als auch negativ sein kann.

Anmerkungen

[1]

Zu den Periodisierungsgrundsätzen siehe die Erläuterungen in Kapitel V., Rn. 97–121.

3. Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung

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Vermögensgegenstände und Schulden (Handelsbilanz) bzw aktive und passive Wirtschaftsgüter (Steuerbilanz) sind zum Abschlussstichtag einzeln, dh jeweils für sich, zu bewerten (§ 252 Abs. 1 Nr 3 HGB, Einleitungssatz zu § 6 Abs. 1 EStG). Obwohl sich die gesetzliche Formulierung nur auf den Ansatz der Höhe nach bezieht, ist es unstrittig, dass der Einzelbewertungsgrundsatz auch im Rahmen der Bilanzierung, dh beim Ansatz dem Grunde nach, zu beachten ist: Eine getrennte Bewertung setzt eine getrennte Erfassung der Bilanzierungsobjekte voraus (Grundsatz der Einzelerfassung).

Der Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung besagt, dass jeder wirtschaftliche Sachverhalt (zB Erwerb einer Sache oder Eingehen einer Verpflichtung) für sich zu erfassen und für sich zu bewerten ist. Dies wird insbesondere in den Inventurvorschriften deutlich. Diese schreiben vor, dass der Kaufmann seine Grundstücke, seine Forderungen und Schulden, den Betrag seines baren Geldes sowie seine sonstigen Güter genau zu verzeichnen und dabei den Wert der „einzelnen“ Positionen anzugeben hat (§ 240 Abs. 1 HGB). Der Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung verhindert die gemeinsame Bewertung mehrerer Vermögensgegenstände oder Schulden. Dieser Systemgrundsatz weist einen starken Bezug zum Saldierungsverbot auf. Nach dem zum Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit gehörenden Saldierungsverbot dürfen Posten der Aktivseite nicht mit Posten der Passivseite, Aufwendungen nicht mit Erträgen und Grundstücksrechte nicht mit Grundstückslasten verrechnet werden (§ 246 Abs. 2 S. 1 HGB).

Unter dem Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung wird verstanden, dass für jeden Vermögensgegenstand und für jede Schuld eine getrennte Wertermittlung vorzunehmen ist. Dieser Grundsatz betrifft die Wertermittlung bei der Inventur, nicht den Ausweis in der Bilanz. Die im Inventar getrennt ermittelten Werte der einzelnen Aktiva und Passiva sind in der Bilanz postenbezogen zusammenzufassen.

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Der Grundsatz der Einzelerfassung und der Einzelbewertung dient der Objektivierung der Gewinnermittlung. Durch die auf die einzelnen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter bezogene Bilanzierung und Bewertung ist ein Identitätsnachweis möglich. Damit wird eine größere Genauigkeit erreicht und die Überprüfung durch Außenstehende erleichtert. Darüber hinaus verhindert dieses Prinzip einen Bewertungsausgleich zwischen Wirtschaftsgütern, deren Wert sich erhöht hat, und Wirtschaftsgütern, bei denen Wertverluste eingetreten sind. Der Systemgrundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung steht also auch in enger Verbindung mit den Periodisierungsgrundsätzen (insbesondere Realisationsprinzip) und den Konventionen zur Beschränkung von gewinnabhängigen Zahlungen (insbesondere Imparitätsprinzip).

Der Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung führt dazu, dass im Rahmen der externen Rechnungslegung die Gewinnermittlung anhand eines Einzelvermögensvergleichs vorgenommen wird. Dadurch werden – im Gegensatz zu einer ertragsorientierten Gesamtbewertung des Unternehmens – Kombinationseffekte zwischen den einzelnen Vermögensgegenständen vernachlässigt. Die Differenz zwischen der Summe der Einzelwerte und dem Gesamtwert des Unternehmens schlägt sich im Geschäfts- oder Firmenwert nieder.

Vom Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung kann aufgrund von (gesetzlich formulierten oder zu den ungeschriebenen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung gehörenden) Ausnahmeregelungen abgewichen werden, soweit der Identitätsnachweis nicht möglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist. Das Hauptargument für eine Durchbrechung des Grundsatzes der Einzelerfassung und Einzelbewertung bildet der zur Gruppe der Rahmengrundsätze gehörende Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Soweit der Informationswert für die Adressaten des Jahresabschlusses (vermutlich) geringer ist als der mit einer getrennten Erfassung und Bewertung verbundene Arbeitsaufwand, dürfen Inventur- und Bewertungsvereinfachungen in Anspruch genommen werden. Konkretisiert wird dieses Kriterium durch die Anforderung, dass bei der Inanspruchnahme einer Inventur- oder Bewertungsvereinfachung der ermittelte Gewinn nur unwesentlich von dem Gewinn abweicht, der sich bei einer Beachtung des Grundsatzes der Einzelerfassung und Einzelbewertung ergeben würde.

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Eine Besonderheit gilt für Vermögensgegenstände, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und die ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen („Planvermögen“). Beim Ausweis im handelsrechtlichen Jahresabschluss sind diese Vermögensgegenstände mit den entsprechenden Schulden und die damit verbundenen Aufwendungen mit den Erträgen zu verrechnen (§ 246 Abs. 2 S. 2, 3 HGB).[1] Für die steuerliche Gewinnermittlung gilt diese Ausnahme vom Saldierungsverbot nicht, da in § 5 Abs. 1a S. 1 EStG ausdrücklich vorgegeben wird, dass Posten der Aktivseite nicht mit Posten der Passivseite verrechnet werden dürfen. Das Maßgeblichkeitsprinzip wird durch eine verbindliche Vorschrift durchbrochen (Fall 2b). In der Steuerbilanz bleibt es insoweit bei der Geltung des Grundsatzes der Einzelerfassung und damit auch beim Grundsatz der Einzelbewertung.

Zur Bildung von Bewertungseinheiten im finanzwirtschaftlichen Bereich („Hedge-Accounting“) siehe Zweiter Abschnitt, Kapitel B.IV.2e), Rn. 393).

Anmerkungen

[1]

Zu den Zielen und Einzelheiten dieser Ausnahme vom Saldierungsverbot siehe Dritter Abschnitt, Kapitel B.III.2e), Rn. 535–536.

V. Grundsätze der Periodisierung

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Im ersten Schritt wird erläutert, nach welchen Grundsätzen im externen Rechnungswesen Ein- und Auszahlungen zu Erträgen und Aufwendungen periodisiert werden und wie sich die Periodisierungsgrundsätze in das Konzept einer vorsichtigen Gewinnermittlung einordnen lassen. Ergänzend wird auf das Verhältnis der Periodisierungsgrundsätze zum Grundsatz der objektivierten Gewinnermittlung eingegangen. Im zweiten Schritt werden die Unterprinzipien des Periodisierungsgrundsatzes im Einzelnen vorgestellt:


Realisationsprinzip
Anschaffungswertprinzip
Abgrenzung von Aufwendungen der Sache nach
Abgrenzung von Erträgen und Aufwendungen der Zeit nach.

1. Zielsetzung und Verhältnis zum Vorsichtsprinzip

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(1) Grundgedanke und Einteilung der Grundsätze der Periodisierung: Aufwendungen und Erträge des Geschäftsjahres sind unabhängig von den Zeitpunkten der damit verbundenen Zahlungen zu berücksichtigen (§ 252 Abs. 1 Nr 5 HGB). Im externen Rechnungswesen wird auf periodisierte Zahlungen abgestellt. Der Gewinn ergibt sich nicht durch eine Gegenüberstellung von Ein- und Auszahlungen. Es wird keine Cashflow-Rechnung vorgenommen, sondern ein Betriebsvermögensvergleich. Für die Abgrenzung zwischen den einzelnen Wirtschaftsjahren werden deshalb Leitlinien benötigt, um Zahlungen entweder (erfolgswirksam) der Gewinn- und Verlustrechnung oder (zunächst erfolgsneutral) der Bilanz zuzuordnen:


Die Interpretation der Handels- oder Steuerbilanz als Vermögensbilanz löst die Abgrenzungsfrage primär aus Sicht der Bilanz. Bei diesem als statische Bilanztheorie bezeichneten Ansatz besteht die wesentliche Aufgabe des externen Rechnungswesens in der jährlichen Ermittlung des am Abschlussstichtag vorhandenen Reinvermögens. Die Höhe des Gewinns ergibt sich als Nebenprodukt aus der Veränderung des Reinvermögens zwischen zwei Bilanzstichtagen. Da bei diesem Konzept der Objektivierungsgedanke sehr stark betont wird, dürfen auf der Aktivseite nur körperliche Gegenstände (Sachen), Rechte im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie finanzielle Vermögenswerte (zB Kassenbestände, rechtlich bestehende Forderungen) und auf der Passivseite nur das Eigenkapital sowie rechtlich bestehende Schulden angesetzt werden. Diese enge Auslegung der bilanzierungsfähigen Werte erschwert allerdings eine aussagekräftige Periodenabgrenzung.

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Der Gesetzgeber sieht für die externe Rechnungslegung weder eine rein statisch orientierte noch eine ausschließlich dynamisch geprägte Periodenabgrenzung vor. Vielmehr gelten für Zwecke der Periodisierung Grundsätze, die hinreichend operational sind, um die Funktionen des Jahresabschlusses willkürfrei erfüllen zu können. Ausgangspunkt der Periodenabgrenzung bildet das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr 4 HGB), das durch das Anschaffungswertprinzip ergänzt wird (§ 253 Abs. 1 S. 1 HGB, § 6 Abs. 1 Nr 1, 2 EStG). Nach dem Realisationsprinzip bestimmt sich, zu welchem Zeitpunkt ein Ertrag ausgewiesen werden kann: Es muss ein abrechenbarer Umsatz vorliegen. Der Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Sache nach ordnet den nach dem Realisationsprinzip erfassten Umsätzen die Aufwendungen zu, die mit diesen Erträgen zusammenhängen (finale Periodisierung). Erträge, die nicht nach dem Realisationsprinzip abgegrenzt werden können, und Aufwendungen, die keine sachliche Beziehung zu bestimmten Umsätzen aufweisen, werden nach dem Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen und Erträgen der Zeit nach verrechnet (kausale Periodisierung). Hierzu gehören zeitraumbezogene Aufwendungen und Erträge sowie aperiodische und periodenfremde Geschäftsvorgänge.

Abb. 8:

Einteilung der Periodisierungsgrundsätze


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(2) Abgrenzung gegenüber dem Grundsatz der vorsichtigen Gewinnermittlung: Die Periodisierungsgrundsätze bilden eine Untergruppe des Vorsichtsprinzips. Durch die Periodisierungsgrundsätze wird festgelegt, zu welchem Zeitpunkt Ein- und Auszahlungen als Erträge bzw Aufwendungen zu verrechnen sind. Durch die Verknüpfungen zwischen der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz über die doppelte Buchführung werden durch die Periodisierung gleichzeitig mittelbar Anhaltspunkte für die Aktivierung und Passivierung gegeben, also der Inhalt der Begriffe Vermögensgegenstand und bilanzielle Schuld (Handelsbilanz) bzw aktives und passives Wirtschaftsgut (Steuerbilanz) bestimmt.

Die Periodisierungsgrundsätze werden durch die Konventionen zur Beschränkung von gewinnabhängigen Zahlungen zum Teil modifiziert. Während bei den Periodisierungsgrundsätzen eher auf die Informationsfunktion der externen Rechnungslegung abgestellt wird, führen die Konventionen zur Beschränkung von gewinnabhängigen Zahlungen (Imparitätsprinzip sowie Grundsatz der Bewertungsvorsicht) zur Verrechnung von Aufwendungen, die nach den Periodisierungsgrundsätzen noch nicht verrechnet werden können. Durch die mit den Konventionen zur Beschränkung von gewinnabhängigen Zahlungen verbundene Vorverlagerung der Aufwandsverrechnung wird der ausschüttbare und damit auch besteuerungsfähige Betrag auf die Höhe begrenzt, in der dem Unternehmen ohne Gefährdung des bilanziellen Eigenkapitals entzogen werden kann (Kapitalerhaltungsgrundsatz). Die Konventionen zur Beschränkung von gewinnabhängigen Zahlungen stellen also weniger auf die Informationsfunktion ab, sondern eher auf die Zahlungsbemessungsfunktion. Bei der nachfolgenden Vorstellung der Periodisierungsgrundsätze sowie des Kapitalerhaltungsgrundsatzes wird jeweils auch geprüft, inwieweit diese Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung mit den Zielen der Ertragsteuern vereinbar sind.

Anmerkungen

[1]

Siehe hierzu Schmalenbach, ZfhF 1919, S. 1; Schmalenbach, Dynamische Bilanz, 13. Aufl. (bearbeitet von Bauer), Köln/Opladen 1962.

2. Realisationsprinzip (Ertragsantizipationsverbot, Anschaffungswertprinzip)

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(1) Aufgaben des Realisationsprinzips: Nach dem Realisationsprinzip darf ein Ertrag erst dann ausgewiesen werden, wenn er am Absatzmarkt durch einen Umsatz oder durch einen anderen intersubjektiv nachprüfbaren Tatbestand bestätigt wird. Diesen Grundgedanken formuliert § 252 Abs. 1 Nr 4 HGB wie folgt: „Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind.“

Das Realisationsprinzip hat zum einen die Funktion, Erträge den einzelnen Perioden willkürfrei zuzurechnen, und zum anderen die Aufgabe, die Erträge erst zu dem Zeitpunkt auszuweisen, zu dem sie ohne Gefährdung des nominellen Eigenkapitals für gewinnabhängige Zahlungen (Ausschüttungen, Gewinnentnahmen, Gewinnbeteiligungen, Ertragsteuern) verwendet werden können. Das Realisationsprinzip bezieht sich zwar insbesondere auf die Erträge aus Umsatzleistungen, aber auch andere Vermögensmehrungen dürfen erst dann als Ertrag ausgewiesen werden, wenn sie in nachprüfbarer Weise bestätigt wurden. Wertsteigerungen von Wirtschaftsgütern erhöhen deshalb den Erfolg des Unternehmens erst dann, wenn das Wirtschaftsgut an Dritte veräußert wird.

Das Realisationsprinzip ist ein Kernbestandteil der vorsichtigen Gewinnermittlung. Es beinhaltet im Wesentlichen ein Ertragsantizipationsverbot. Mit dem Realisationsprinzip eng verbunden ist das Anschaffungswertprinzip, nach dem Wirtschaftsgüter höchstens mit ihren (fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten bewertet werden dürfen (§ 253 Abs. 1 S. 1 HGB, § 6 Abs. 1 Nr 1, 2 EStG).

Beispiel:

Die G-AG hat vor mehr als 20 Jahren ein Grundstück zum Preis von 200 000 € erworben. Der Verkehrswert für vergleichbare Grundstücke beläuft sich am Abschlussstichtag auf 3 000 000 €. Dem Unternehmen liegt ein ernstzunehmendes Kaufangebot der zahlungskräftigen Interessentin Investor-AG in Höhe von 3 500 000 € vor.

Sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz darf das Grundstück höchstens mit den Anschaffungskosten von 200 000 € bewertet werden. Einem Ausweis der zwischenzeitlichen Wertsteigerungen steht das Realisationsprinzip in seiner Ausprägung als Anschaffungswertprinzip entgegen. Erst in dem Zeitpunkt, in dem die G-AG das Grundstück veräußert, ist die Differenz zwischen dem erzielten Veräußerungserlös und den Anschaffungskosten als Ertrag zu verbuchen.

Dies gilt auch dann, wenn der Vorstand der G-AG die feste Absicht hat, das Grundstück an die Investor-AG zu verkaufen. Die im Anschluss an den Kaufvertrag vorzunehmende Übertragung des Grundstücks stellt ein wertbegründendes Ereignis dar, das erst in dem Zeitpunkt berücksichtigt werden darf, in dem dieses Ereignis eintritt.

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(2) Realisationszeitpunkt bei Liefergeschäften (Veräußerung von Waren oder Fertigerzeugnissen): Die praktische Bedeutung des Realisationsprinzips wird entscheidend davon geprägt, nach welchen Kriterien sich der Realisationszeitpunkt bestimmt. Allgemein formuliert stimmt der Realisationszeitpunkt mit dem Zeitpunkt überein, zu dem eine Lieferung als ausgeführt gilt. Für den Absatz der betrieblichen Hauptleistung ist dies dann der Fall, wenn aus dem aktiven Wirtschaftsgut „Ware“ bzw „Fertigerzeugnis“ das aktive Wirtschaftsgut „Forderung aus Lieferungen und Leistungen“ wird. Die Differenz zwischen den für die Anschaffung oder Herstellung des veräußerten Wirtschaftsguts angefallenen Aufwendungen und dem Veräußerungserlös erhöht den Gewinn in dem Zeitpunkt, in dem der leistende Unternehmer alles zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen Erforderliche getan hat. Die Gewinne sind in dem Zeitpunkt realisiert, in dem der Unternehmer seine Hauptverpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt hat, dh in dem Zeitpunkt, in dem die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung des Wirtschaftsguts auf den Käufer übergeht.

Der Übergang der Preisgefahr findet grundsätzlich mit Übergabe der Sache statt. Dies ist der Zeitpunkt, in dem der Käufer zum Besitzer des Wirtschaftsguts wird, das Wirtschaftsgut nutzen kann und die Lasten sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs zu tragen hat (§ 446 BGB). Beim Versendungskauf ist auf den Zeitpunkt der Übergabe an die Transportperson abzustellen (§ 447 BGB).[1] Solange sich die Wirtschaftsgüter noch im Lager des Verkäufers befinden, gilt der Gewinn noch nicht als realisiert. Dies gilt auch dann, wenn der Käufer die Rechnung bereits im Voraus bezahlt hat. Der bereits bezahlte Betrag ist bis zur Auslieferung der Waren als Verbindlichkeit unter der Position „erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen“ (erfolgsneutral) zu passivieren.

Beispiel:[2]

Die W-AG schließt am 17.10.01 mit der M-GmbH einen Kaufvertrag über die Lieferung von Fahrzeugen zum Preis von 100 000 € ab. Die Fahrzeuge werden am 15.1.02 ausgeliefert. Die M-GmbH leistet am 12.11.01 eine Anzahlung von 30 000 €. Die Restzahlung von 70 000 € ist am 5.2.02 fällig. Das Eigentum an den Fahrzeugen verbleibt bis zur endgültigen Bezahlung beim Verkäufer, der W-AG. Für die Herstellung der Fahrzeuge fallen Aufwendungen von 75 000 € an. Die Herstellung findet im Dezember 01 statt und ist am Abschlussstichtag beendet. Die Garantiefrist läuft zwei Jahre nach Übergabe der Fahrzeuge aus (= 15.1.04).

17.10.01: Der Abschluss des Kaufvertrags löst aufgrund des Grundsatzes der Nichterfassung von schwebenden Geschäften keinen Buchungsvorgang aus.


12.11.01: Bank 30 000 € an Anzahlungen 30 000 €

Die Anzahlung ist erfolgsneutral als Verbindlichkeit („erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen“) zu passivieren.


Dezember 01: diverse Aufwendungen an diverse Bestände
(Material, Löhne, …) 75 000 € (Rohstoffe, Bank, …) 75 000 €
Fertigerzeugnisse 75 000 € an Bestandserhöhungen
(Ertragskonto) 75 000 €

Der Herstellungsvorgang verändert den Gewinn des Jahres 01 nicht. Der gewinnmindernden Verrechnung der im Zusammenhang mit der Herstellung der Fahrzeuge anfallenden Personal- und Materialaufwendungen steht in gleicher Höhe die ertragswirksame Erhöhung des Bestands an Fertigerzeugnissen gegenüber.


15.1.02: Forderungen 70 000 €
Anzahlungen 30 000 € an Umsatzerlöse 100 000 €
Bestandsminderungen
(Aufwandskonto) 75 000 € an Fertigerzeugnisse 75 000 €

Im Zeitpunkt der Auslieferung der Fahrzeuge gilt der Gewinn als realisiert. Die Differenz zwischen den Herstellungskosten der Fahrzeuge (Aufwandskonto Bestandsminderungen, 75 000 €) und den Umsatzerlösen (Ertragskonto, 100 000 €) erhöht den Gewinn in dem Zeitpunkt, in dem die Fahrzeuge ausgeliefert werden, um 25 000 €. Abgestellt wird auf den Zeitpunkt, in dem die Preisgefahr übergeht. Nicht entscheidend ist, dass der Käufer, die M-GmbH, erst in dem Zeitpunkt Eigentümer der Fahrzeuge wird, in dem er den Rechnungspreis vollständig bezahlt hat.


5.2.02: Bank 70 000 € an Forderungen 70 000 €

Die Bezahlung der Restschuld beeinflusst als Aktivtausch den Gewinn der W-AG nicht. Da der Gewinn aus dem Verkaufsgeschäft bereits im Zeitpunkt der Auslieferung erfasst wurde, wirkt sich der mit der vollständigen Bezahlung des Rechnungspreises verbundene Übergang des Eigentums an den Fahrzeugen auf den Gewinn des Verkäufers nicht aus.

15.1.04:

Das Auslaufen der Garantiefrist ist kein buchführungspflichtiger Vorgang.

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Hinsichtlich der im geltenden Bilanzrecht vorgenommenen Interpretation des Realisationsprinzips lassen sich folgende Aussagen treffen:


Für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als Gewinnrealisationszeitpunkt spricht zunächst, dass mit dem Abschluss eines Kaufvertrags häufig der schwierigste Teil des unternehmerischen Leistungsprozesses erbracht ist. Zusätzlich kann angeführt werden, dass mit dem Abschluss eines Kaufvertrags ein nachprüfbarer, dh objektivierter, Tatbestand vorliegt, der darüber hinaus einen Rechtsanspruch des Unternehmens begründet. Zu bedenken ist allerdings, dass im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses häufig die Höhe des aus dem Geschäft entstehenden Gewinns noch nicht mit hinreichender Genauigkeit angegeben werden kann. Insbesondere können die Risiken in den Bereichen Beschaffung, Produktion und Auslieferung noch nicht in intersubjektiv nachprüfbarer Weise konkretisiert werden. Da die Höhe des mit der zu erbringenden Lieferung verbundenen Aufwands (Anschaffungs- bzw Herstellungskosten) noch mit Unsicherheit behaftet ist, scheidet der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses aus Objektivierungsüberlegungen und wegen des Vorsichtsgedankens als Realisationszeitpunkt aus.
Leistet der Erwerber im Zeitraum zwischen Abschluss des Kaufvertrags und der Auslieferung eine Anzahlung, kommt es zu keiner (anteiligen) Gewinnrealisation. Der Ertrag kann noch nicht als bestätigt angesehen werden. Kommt es aus irgendeinem Grund nicht zur Auslieferung des Produkts, hat der Verkäufer die erhaltene Anzahlung an seinen Vertragspartner zurückzuzahlen. Im Rahmen des externen Rechnungswesens ist auf Erträge (hier Umsatzerlöse) und nicht auf Einzahlungen (hier erhaltene Anzahlungen) abzustellen.
Der Zeitpunkt des Erwerbs oder der Fertigstellung des zu veräußernden Produkts wird deshalb als Zeitpunkt der Gewinnrealisation abgelehnt, weil unsicher ist, ob sich das auf Lager befindliche Erzeugnis absetzen lässt. Eine Gewinnrealisation tritt auch dann mit der Fertigstellung des Produkts noch nicht ein, wenn für das hergestellte und versandbereite Erzeugnis bereits ein Kaufvertrag vorliegt, da der Kunde solange die Einrede des nicht erfüllten Vertrags geltend machen kann, bis das Wirtschaftsgut ausgeliefert wird (§ 320 BGB).
In der Praxis wird der Realisationszeitpunkt häufig mit dem Zeitpunkt der Rechnungserstellung gleichgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine sehr pragmatische Vorgehensweise. Die Ausfertigung einer Rechnung kann nur als Indiz für den zivilrechtlichen Gefahrenübergang gewertet werden. Entscheidend ist, ob die Möglichkeit zur Abrechnung der Lieferung besteht, dh ob der Bilanzierende die von ihm geschuldete Leistung erbracht hat und ob das Wirtschaftsgut den Verfügungsbereich des liefernden Unternehmers verlassen hat. Erst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen entfallen die mit dem Entstehen einer Forderung aus Lieferungen und Leistungen verbundenen Risiken. Würde allein auf die Ausfertigung einer Rechnung abgestellt, könnte der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung durch das bilanzierende Unternehmen beliebig beeinflusst werden. Dies wäre mit dem Objektivierungsgedanken nicht vereinbar.
Für den Zeitpunkt, zu dem der Rechnungspreis bezahlt wird, als Realisationszeitpunkt spricht, dass dieser Zeitpunkt eine eindeutige, intersubjektiv leicht nachprüfbare Erfolgsermittlung ermöglicht und dass das Unternehmen seine Verpflichtungen fast vollständig erfüllt hat. Offen sind lediglich die eventuell noch anfallenden Garantieleistungen. Dennoch wird der Zahlungszeitpunkt abgelehnt: (1) Die Lieferung des Wirtschaftsguts und die Einräumung einer Zahlungsfrist gelten aufgrund des Grundsatzes der Einzelerfassung und Einzelbewertung als zwei voneinander zu trennende Leistungen. Die – zusätzliche – Kreditgewährung ändert nichts daran, dass mit dem Übergang der Preisgefahr der Verkäufer seine vertragliche Hauptverpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt hat und er damit einen Anspruch auf die Gegenleistung des Vertragspartners dem Grunde nach erworben hat; lediglich die Fälligkeit ist noch nicht gegeben. (2) Das Handelsgesetzbuch definiert den Gewinn nicht als Mehrung des Zahlungsmittelbestands, sondern als Differenz zwischen Ertrag und Aufwand, also als Saldo periodisierter Zahlungen. (3) Bei einer Anknüpfung an den Zeitpunkt, zu dem der Rechnungspreis beim Unternehmen eingeht, würde der Zeitpunkt der Gewinnrealisation von der Form der Zahlungsbedingungen sowie den Zufälligkeiten des Zahlungsverkehrs abhängen.
Die Ablehnung des Zeitpunkts, zu dem das Eigentum an dem gelieferten Wirtschaftsgut übergeht, als Realisationszeitpunkt erfolgt weitgehend aus den gleichen Gründen wie die Ablehnung der Gewinnrealisation zu dem Zeitpunkt, zu dem der Rechnungspreis bezahlt wird. Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts dient der Besicherung der Kaufpreisforderung des Verkäufers. Der Eigentumsvorbehalt ist Bestandteil der als selbständige Leistung angesehenen Kreditgewährung. Der Käufer kann bereits mit Übergang der Preisgefahr über das Wirtschaftsgut verfügen und dieses in seinem Unternehmen einsetzen.
Der Ablauf der Garantiefrist wird deshalb nicht als Realisationszeitpunkt angenommen, weil ansonsten das Vorsichtsprinzip zu stark gewichtet werden würde. Mit Übergabe des Gegenstands hat der Verkäufer seine Hauptleistung erbracht. Die Garantieleistung stellt eine Nebenverpflichtung dar, die nur zu erfüllen ist, wenn das ausgelieferte Produkt nicht fehlerfrei ist. Diese möglicherweise auftretende Verpflichtung schiebt die Gewinnrealisierung nicht hinaus. In der handelsrechtlichen Rechnungslegung wird sie über die Passivierung einer Rückstellung für Garantieverpflichtungen berücksichtigt. Die aufwandswirksame Bildung einer Rückstellung für ungewisse (Garantie-)Verpflichtungen stützt sich auf den Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Sache nach. Bei diesem Grundsatz handelt es sich um einen das Realisationsprinzip ergänzenden Periodisierungsgrundsatz.

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
1321 S. 20 Illustrationen
ISBN:
9783811447752
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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