Buch lesen: «COLLEGIUM.»
Impressum.
Selfpublishing:
… für Irmi
Das Buch:
Der Autor:
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
Danksagung:
Die wichtigsten Protagonisten:
Zum Nachlesen:
Bisher erschienen:
Impressum neobooks
COLLEGIUM.
Tödliche Seilschaften
Holzinger ermittelt (2)
Kriminalroman
2021
Wolfgang Priedl
V 2.00
Impressum.
Text / Grafik:
© Copyright Wolfgang Priedl
1921
Selfpublishing:
neobooks / epubli Self-Publishing
Wolfgang Priedl
Geroldgasse 5
A-1170 Wien / Österreich
Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von dem Autor nicht beabsichtigt. Die aufgezeigten Möglichkeiten sind nicht fiktiv, sondern entsprechen dem heutigen Stand der Technik.
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
… für Irmi
Das Buch:
Oberstleutnant Dr. Peter Holzinger ist zum Leiter der Europol Geschäftsstelle Central-South-Europe befördert worden.
Bei seinem Antrittsbesuch in Den Haag erhält er den ersten Auftrag: Sicherung der zweitägigen Konferenz des ›Economy-Clubs‹ im Schloss Laxenburg, denn im letzten halben Jahr sind zwei Vorstandsmitglieder auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen.
Ein Routinejob, wie es scheint.
Er fliegt mit seinen Mitarbeitern aus Amsterdam zurück nach Wien. Kurz bevor der Airbus A 321 in Wien-Schwechat aufsetzt …
Der Autor:
Wolfgang Priedl war viele Jahre in der Marketing- und Werbebranche tätig. Durch Zufall entdeckte er seine Vorliebe zum Schreiben. Wenn ihm heute ein gesellschaftliches Thema unter den Fingernägeln brennt, greift er zur Tastatur.
Die menschliche Psyche fasziniert ihn genauso wie spannende Storys. Mit dem vorliegenden Kriminalroman verwebt er Action mit sozialkritischer Thematik.
Mit seinen Geschichten möchte er nicht nur unterhalten, sondern die Leser auch zum Nachdenken anregen.
1
Eine Tür fiel krachend ins Schloss.
Gerhard Klug hörte es nicht.
Während rockige Fusion-Rhythmen aus den Lautsprechern drangen, stand er nackt im Badezimmer; betrachtete sich im beschlagenen Spiegel. Er sprühte einen herben Männerduft unter seine Achseln. Die Kühle des Sprays kitzelte und ließ ein Lächeln über sein Gesicht huschen.
Er betrat das angrenzende Schlafzimmer, das ein King-Size-Bett dominierte. Das Kopfende zierte ein von der Decke bis zum Boden reichender Spiegel; eingefasst von einem goldfarbenen Aluminiumrahmen, der den Eindruck entstehen ließ, in einem Bild zu schlafen.
Wieder übertönte die Musik das Zuschlagen einer Tür.
Er stakste auf die bodentiefe Fensterfront zu. Die schwüle Luft, die hinter ihm herkroch, heftete sich an die Glasfläche. Klug wischte den Beschlag mit dem Unterarm ab und schaute aus dem ersten Stock auf die großflächige Loggia, die ein ausladender Dachgiebel überspannte.
Mit einem Ruck zog er die schwere Schiebetür zur Seite, um ins Freie zu treten. Dünnschichtige Nebelschwaden, die die Parklandschaft in gespenstisches Grau hüllten, schoben sich zwischen den Bäumen herauf zum Haus. Die Burgruine Sonnenberg war schemenhaft hinter den Schleiern zu erahnen. In Kürze würde die Sonne den Dunst aufgefressen haben und die Sicht auf Wiesbaden freigeben.
Hatte er etwas gehört?
Er ließ seinen Blick über den Park gleiten. Was könnte das Geräusch verursacht haben?
Sicher eine Täuschung, dachte er.
Der Sommer neigte sich endgültig seinem Ende zu. Die ersten farbenprächtigen Blätter segelten gemächlich auf den Rasen und zeichneten abstrakte Muster auf das Grün.
Er stand an der Brüstung und genoss die bizarre Herbststimmung. Die feuchte Morgenkälte schmiegte sich wie eine Eisdusche an seine Haut. Er sog die Luft tief in seine Lunge. Es roch nach nasser, modriger Erde. Klug rieb mit den Händen über sein Gesicht und atmete mit einem leisen Pfeifen aus. Ein kalter Schauer überkam ihn, während sich die Morgenfrische ihren Weg in seine Knochen bahnte.
Fröstelnd griff er nach der Tür, als er ein Geräusch vernahm: das Klick-Klack von Stöckelschuhen auf Granitplatten. Er hielt inne. Instinktiv trat er zwei Schritte zurück, um nicht entdeckt zu werden.
Mathilde trippelte schnurstracks auf seinen Wagen zu.
Sie blieb kurz stehen, öffnete ihren mit Flausch verbrämten Bademantel und schlug ihn enger um ihren Körper, was ihr Hüftgold zusätzlich betonte. Den Unterkiefer vorreckend, klemmte sie sich eine Strähne hinter das Ohr. Eine rote Haarklammer hielt ihren Dutt, der einem zerfledderten Vogelnest glich, zusammen. Ihre nackten Füße steckten in strassbesetzten Sandaletten.
Klugs Ehefrau zog eine Fernbedienung aus dem rosafarbenen Morgenmantel. Sie drückte auf den Entriegelungsknopf, als wollte sie den letzten Rest aus einer Tube pressen. Die Blinker des Audi A8 blitzten auf. Sie riss die Fahrertür auf. Ihre Hände stützte sie an der Dachkante ab, trommelte mit den Fingern auf das Blech und steckte den Kopf ins Innere. Ihre Augen zuckten unruhig hin und her, inspizierten mit wirren Blicken den Innenraum.
Gerhard Klug war gestern Abend nach einer einwöchigen Geschäftsreise zurückgekehrt. Sein Wagen war die ganze Woche am Flughafen geparkt: Sie konnte nichts im Fahrzeug vergessen haben.
Ob sie ihm nachspionierte? Wonach suchte sie?
Seine Gemahlin ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen. Sie durchwühlte die Mittelkonsole, streckte sich hinüber zum Handschuhfach und zog einen Stapel Papiere hervor. Sorgsam begutachtete sie jeden Zettel. Wiederholt hob sie den Kopf, um durch die weit vorgeschobene Brille zu blicken, und verglich das Gelesene mit einer Information auf ihrem Smartphone. Ihre grimmige Miene wich einem Lächeln.
Hatte sie gefunden, wonach sie suchte?
Ein flaues Gefühl breitete sich in Klugs Magengrube aus. Im Handschuhfach bewahrte er Tankrechnungen, Flugtickets und Parkscheine der letzten Wochen auf. Seine Gedanken rasten. Was hatte sie entdeckt? Was zauberte dieses hämische Grinsen in ihr Gesicht?
Die Zeichen standen auf Sturm. Die nächste Auseinandersetzung würde sich nicht vermeiden lassen. Mit welchen Vorwürfen würde sie ihn heute konfrontieren?
Es verging kaum ein Tag, an dem sie sich nicht zankten.
Seit über zwei Jahren schliefen sie in getrennten Schlafzimmern. Auch keine Lösung auf Dauer. Die Scheidung war unausweichlich. ›Besser früher als später‹, dachte er.
Klug beschloss, ihr aus dem Weg zu gehen. In der Stadt gab es genug Lokale, die ihm ein ungestörtes Frühstück versprachen.
Er zog Boxershorts aus der Lade und schlüpfte hinein. Aus dem Abteil daneben entschied er sich für ein dunkles Hemd. Die passende Hose hing am ›Stummen Diener‹.
Nachdem er den Gürtel vor seinem flachen Bauch geschlossen hatte, betrachtete er sich im Spiegel. Die modische Kleidung ließ ihn jünger erscheinen. Keine 52; höchstens 45. Er reckte das Kinn nach oben.
Als er die Hände in die Hosentaschen schob, ertastete er ein zerknülltes Stück Papier. Langsam zog er es hervor.
Den Zettel hatte er vor über zwei Monaten hinter dem Scheibenwischer vorgefunden. Er war mit dem letzten Flieger aus Paris gekommen, als er in der Tiefgarage die Nachricht entdeckte. Ein Organmandat konnte es nicht sein, war sein erster Gedanke. Vielleicht hatte jemand sein Fahrzeug beim Ausparken beschädigt? Er griff nach dem A6-großen Computerausdruck und las:
Letzte Warnung!
Spenden Sie sofort die geforderten zwei Millionen!
Wer war mit ›Sie‹ gemeint? Er selbst? Oder der Konzern? ›Sie‹ war auf dem Zettel großgeschrieben, was bedeutete, dass man ihn meinte. Warum spenden? Aber an wen? In welcher Währung? Euro? Pfund? Dollar? Bitcoin?
Im Laufe der Jahre hatten ihn wiederholt Bettel- und Erpresserbriefe erreicht, deren Forderungen stets konsequenzlos verhallt waren.
›Schon wieder so ein idiotisches Pamphlet‹, dachte er damals und zerknüllte die Nachricht. Aber er warf sie nicht weg, sondern ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden, wie ihm eine innere Stimme befahl.
Was ihn bewogen hatte, den Vorfall nicht dem Sicherheitsdienst seines Konzerns zu melden, wusste er nicht mehr. Es wäre auch seine Pflicht gewesen, seine Freunde des ›Economy-Clubs‹ zu informieren.
Beides hatte er unterlassen.
Die schwere Eingangstür fiel ins Schloss.
Erneut las er die Zeilen. Bei nächster Gelegenheit würde er seiner Sekretärin eine Kopie zukommen zu lassen. Sie würde die nötigen Maßnahmen in die Wege leiten. Kommende Woche auf Sardinien, würde er seinen Freunden davon berichten.
Mathildes schwere Schritte drangen an sein Ohr. Die Wendeltreppe knarrte kaum vernehmlich unter ihrem Gewicht. Klug konnte sich nicht erinnern, wann seine Gemahlin das letzte Mal in seinem Schlafzimmer gewesen war. Dass sie in diesem Augenblick die Stufen zu ihm herauf stapfte, bedeutete nichts Gutes.
Der nächste Streit war unausweichlich – einer von vielen.
*
Als wollte er sich eine Rüstung anlegen, schlüpfte er in sein Sakko und überkreuzte die Arme vor der Brust.
Wutschnaubend stieß sie die Schlafzimmertür auf.
»Ich habe endlich den Beweis!«, schrie sie und hob provozierend das Kinn in seine Richtung.
»Guten Morgen, geliebte Gemahlin …«, begrüßte er seine Frau süffisant. »Sind wir schon so weit, dass wir uns nicht einmal mehr grüßen?«
»Deine Grüße kannst du dir in den Arsch schieben!«, schnaubte sie. »Endlich habe ich den Beweis!«
Sie wedelte mit einem Stück Papier über ihrem Kopf; ein Parkticket zwischen die Finger geklemmt, ihren Arm bedrohlich erhoben.
Angriffslustig.
Mit schmalen Lippen stapfte sie auf ihn zu und fuchtelte mit der Karte unter seiner Nase.
Klug nahm deutlich den leisen Luftzug wahr. Er trat instinktiv einen Schritt zurück. Ihm fehlte plötzlich die nötige Distanz zu der tobenden Furie.
»Ich sage nur ›Bergic OHG‹! Klingelt es?«
»Sagt mir nichts«, erwiderte er beherrscht und hielt ihrem eiskalten Blick stand.
»Feige Drecksau«, spie sie ihm entgegen.
»Mathilde! …« Klug schüttelte abschätzig den Kopf. »… Wer oder was ist Bergic? … Ein Parkticket?«
»Blöd stellen – das kannst du. Vollidiot! Hältst du mich für so vertrottelt? – Bergic ist ein Puff, solltest du es vergessen haben!«
Klugs funkelnde Blicke trafen Mathilde.
»Woher willst du wissen, dass ich im Puff war? Du hältst eine Parkkarte in den Fingern – und kein Foto.«
»Ich brauche kein Foto.« Sie stampfte hart mit dem Fuß auf.
»Deine Amex-Abrechnung genügt. Und diese Quittung hier …« Sie wedelt erneut energisch mit dem Schein vor seiner Nase. »… ist der Beweis, dass du stundenlang vor dem Puff geparkt hast. War sicherlich eine gewaltige Orgie. 4821 Euro! Du verficktes Dreckschwein!«
»Du öffnest meine Post?« Klug zog die Oberlippe nach oben.
»Bei einem Menschen wie dir bleibt einem nichts anderes übrig! – Du zwingst einen dazu!« Sie schnappte nach Luft. »Du wärst heute ein Niemand, ein Nichts, hätte ich nicht ein Vermögen in unsere Ehe gebracht …«
»… und ich habe es verzehnfacht«, schnitt er ihr barsch das Wort ab. »Dir wäre es innerhalb kürzester Zeit zwischen den Fingern zerronnen. – Und zu deiner Information: Das war geschäftlich. Ein Barbesuch mit unseren chinesischen Investoren.«
»Dass ich nicht lache. Einen Barbesuch nennst du das?! Du warst in einem Puff! Ihr habt die Puppen tanzen lassen und herumgefickt.« Erneut hämmerte Mathilde den Absatz ihrer High-Heel-Sandaletten in den Holzboden und hinterließ tiefe Abdrücke. Mit jedem Tritt lockerte sich ihr Gürtel ein Stück mehr. Die Schöße ihres Bademantels klafften einen Spalt breit auf.
Ungewollt erhaschte Klug einen Blick auf ihre nackte Brust. Er verdrehte die Augen.
»Vielleicht graust es dir vor mir! Du bist das Allerletzte«, spuckte sie Gift und Galle, schloss den Mantel und fixierte ihn mit dem Gürtel. »Hau ab zu deinem französischen Flittchen …«
In ihren Mundwinkel sammelte sich Schaum, wie bei einem tollwütigen Köter. Sie trommelte mit den Fäusten gegen seinen Brustkorb, ihre Miene zu einer Fratze verzogen. Ihre Finger krallten sich in das Revers seines Sakkos. Sie beutelte ihn mit aller Kraft.
Angeekelt wandte Klug sein Gesicht zur Seite. Er legte seine Hände mit eisernem Griff um ihre Handgelenke, drehte die Arme unsanft nach außen und stieß sie von sich.
Sie wollte sich erneut auf ihn stürzen, als er einen Schlag andeutete.
Mathilde hielt inne und zischte: »Das wagst du nie, du feige Drecksau!«
Abscheu hatte sich in ihm breitgemacht. Die Grenzen der Contenance waren überschritten. Er wollte keine Sekunde länger in einem Raum verweilen, mit einem Menschen, der sich nicht mehr unter Kontrolle hatte.
Flucht erschien ihm als die einzige brauchbare Lösung.
Doch Mathilde versperrte ihm den Weg.
Er zögerte nicht, packte sie am Oberarm, um sie zur Seite zu schieben.
Reflexartig griff sie nach seinem Revers und zerrte ihn zurück. Mit einem harten Schlag befreite er sich von ihren Händen am Sakkoaufschlag.
»Der feine Gockel wird handgreiflich«, fauchte sie ihn mit blau verfärbten Lippen an. »Das ist dein Ding. Auf Wehrlose einschlagen, das kannst du!«
»Du weißt nicht, wie es ist, wenn ich richtig zuschlage«, drohte er ihr mit einem Anflug von einem Lächeln.
»Dann schlag doch richtig zu, du feige Sau«, stichelte sie weiter und streckte ihm auffordernd die Wange entgegen.
Klugs Lider zuckten.
Im nächsten Augenblick schnellte seine flache Hand vor, wie eine Viper, die ihren tödlichen Biss setzt, und traf ihre Wange mit voller Wucht.
Sie strauchelte, stolperte durch das Zimmer, verlor eine Sandalette und stürzte auf die harten Dielen. Mit schmerzverzerrter Miene kam sie vor der Schlafzimmertür zu liegen.
»Jetzt mach ich dich endgültig fertig«, zischte sie ihm kaum vernehmlich entgegen. Mit angezogenen Knien krümmte sie sich am Boden und massierte ihren dröhnenden Schädel.
Unbeholfen richtete sie sich auf. Ein Blutstropfen aus ihrer Nase heftete sich an die Oberlippe. Sie leckte ihn ab und betastete ihren Nasenrücken. Das Rot auf ihren Fingern ließ sie ihren Mann anstarren, als könnte sie ihn mit ihren Blicken in die Knie zwingen. Purer Hass drückte ihre Augen weit aus den Höhlen.
»Du hast soeben dein Todesurteil unterschrieben. Ich bring dich um! Das schwör ich dir«, presste sie hinter der vorgehaltenen Hand hervor. »Verschwinde aus meinem Leben!«, kreischte sie hysterisch, rappelte sich auf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der keiner weiteren Erklärung bedurfte.
Sie angelte sich ihren Schuh, knallte die Tür zu und humpelte auf einer Sandalette die Wendeltreppe hinunter.
Gerhard Klug stand mit offenem Mund da und starrte auf die Tür. Erschrocken über sich selbst. Noch nie in seinem Leben hatte er die Hand gegen eine Frau erhoben, geschweige denn geschlagen. Die drückende Stille, die ihn umgab, wurde nur durch Mathildes fernes, unrhythmisches Humpeln auf der Metalltreppe unterbrochen. Er schüttelte vor Grauen den Kopf.
Langsam löste sich die Anspannung. Er atmete geräuschvoll aus, als müsse er sich von einem Albtraum erholen.
Tausend Gedanken quälten ihn.
Es war nicht leicht, in dem Tohuwabohu Ordnung zu schaffen. Schließlich griff er nach seinem Smartphone und öffnete die Terminkalender-App:
- Montag – Dienstag: Dependance Paris
- Mittwoch – Sonntag: Olbia / Sardinien
Paris und das Treffen mit seinen Freunden auf Sardinien versprachen Abwechslung und Erholung.
»Diese Woche gefällt mir«, flüsterte er.
Er entschloss sich, noch am selben Tag nach Paris zu fliegen. Jedenfalls eine bessere Alternative, als in diesem Haus zu bleiben.
Die Koffer waren schnell gepackt. Als er sie über die Wendeltreppe schleppte, hielt er ständig nach Mathilde Ausschau. Behutsam setzte er jeden Schritt, um kein Geräusch zu verursachen.
*
Er schlich sich wie ein Dieb aus seinem Haus. Kopfschüttelnd ging er auf die Eingangstür zu, an den zahlreichen Jagdtrophäen seiner Frau vorüber, die ihn von den Wänden mit toten Augen anglotzten.
Daneben hingen unzähligen Urkunden, auf denen häufig ›Platz 1‹ mit Mathildes Namen vermerkt war. Sie ließ keinen Schießwettbewerb aus und belegte regelmäßig einen der vorderen Ränge.
Klug konnte dieser Leidenschaft nichts abgewinnen.
Behutsam zog er die Tür zu und atmete die nach feuchter Erde und Moder riechende Luft ein. Er entriegelte den Kofferraum und warf sein Gepäck hinein, als ob er sich damit von einer drückenden Last befreien könnte.
Klugs Wagen rollte an der großen Eiche vorüber, die nahe an der Einfahrt stand. Deutlich war das Knacken der Eicheln zu hören, die unter den Reifen zermalmt wurden. Ein Eichhörnchen flüchtete erschrocken auf den knorrigen Baum.
Er verließ sein Grundstück Richtung Wiesbadener Innenstadt, wo er den Wagen in der Theatergarage parkte.
Ein Blick auf die Uhr ließ ihn zufrieden nicken.
Im Vorgarten des Kaffeehauses Blum bestellte er ein üppiges Frühstück. Das hatte er sich nach den Ereignissen an diesem Morgen verdient.
Während er auf seinen zweiten Kaffee wartete, zog er den zerknitterten Zettel aus der Hosentasche und schoss ein Foto, das er seiner Sekretärin mailte.
Keine zwei Minuten später summte sein Mobile.
»Guten Morgen Herr Klug. Sie haben mir eine Nachricht geschickt … «
»... Ja – habe total darauf vergessen«, unterbrach er seine Sekretärin. »Dieser Wisch klemmte vor Wochen hinter dem Scheibenwischer. An das genaue Datum erinnere ich mich nicht …«
»Herr Klug, eine ähnliche Botschaft habe ich vor ungefähr drei Monaten dem Sicherheitsdienst übergeben. Sie war an Sie adressiert. Den genauen Wortlaut habe ich nicht mehr im Kopf. Nachdem es sich um eine einzelne Nachricht gehandelt hat, haben wir dem Vorfall keine besondere Bedeutung beigemessen. Dieses zweite Schreiben ändert alles: Wir müssen aktiv werden.«
»Es gab eine ähnliche Forderung in der Vergangenheit? In derselben Höhe? War in der ersten eine Währung angegeben, bzw. wohin das Geld überwiesen werden sollte?«
»Wie erwähnt, ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, jedenfalls glich der Zettel dem Ihren.«
»Gut, dann übergeben Sie die Kopie unserem Sicherheitsdienst und er soll die nötigen Schritte einleiten. – Weil ich Sie gerade am Telefon habe: Darf ich Sie am Wochenende missbrauchen und Sie bitten, mir einen Flug nach Paris zu buchen«, bat er sie mit amikalen Unterton.
»Einen Flug nach Paris? Der ist doch für Montagmorgen gebucht. Oder wollen Sie umbuchen? – Noch heute?«
»Ja. Bitte den Nächstmöglichen. Wären Sie so nett? Und verständigen Sie meine Frau, oder ...«
Er stockte.
»Selbstverständlich. Probleme? … Ich wollte sagen: Kein Problem. Sie hören in Kürze von mir.«
»Danke.«
Klug streifte sein Sakko ab und reckte die Nase in die Sonne. Immer wieder spulte er kopfschüttelnd die Szenen von heute Morgen vor seinem inneren Auge ab. Er suchte nach dem Warum, Weshalb, Weswegen, fand jedoch keine Erklärung dafür.
Die Scheidung war längst überfällig.
Auch der Erpresserbrief erfüllte ihn mit Sorge. Hatte vielleicht Mathilde den Brief geschrieben? Plante sie bereits die Trennung? Wollte sie sich auf diese Art und Weise einen größeren Anteil von ihrem gemeinsamen Vermögen sichern?
Im nächsten Augenblick verscheuchte er die Bilder seiner Gemahlin aus dem Kopf und ersetzte sie durch die seines vermissten Freundes René Delon.
Er war erst vor wenigen Wochen im Mittelmeer auf rätselhafte Weise verschwunden. Seine feudale Jacht, ausgestattet mit den modernsten Instrumenten, fand man vor Korsikas Küste am offenen Meer treibend. Von René fehlte jede Spur.
Hatte sein Freund einen Erpresserbrief erwähnt?
Klug konnte sich nicht daran erinnern.
Er weigerte sich, die Möglichkeit in Gedanken durchzuspielen, und nahm sich vor, den Erpressungsversuch auf Sardinien anzusprechen. Vielleicht wussten seine Freunde mehr, wussten Näheres über das Verschwinden des erfahrenen Skippers.
Das Mobile summte erneut.
»Herr Klug, Ihr Flug nach Paris geht um 14 Uhr. Das Ticket liegt am Schalter der Air France. Mit Ihrer Frau habe ich ebenfalls gesprochen. Sie meinte, das träfe sich gut, weil sie zur Jagd aufgebrochen ist und erst … «
»... Vielen Dank, Sie sind ein Engel. Ich wünsche Ihnen noch ein schönes Wochenende.«
Gerhard Klug wischte über das Display und blickte auf die Uhr.
Genügend Zeit. Keine Eile.
Er drückte auf eine Telefonnummer aus seinem Kurzwahlspeicher.
»Claire, Cherie, Überraschung! Ich fliege bereits heute nach Paris und komme gegen drei Uhr mit der Air-France-Maschine aus Frankfurt an … «
»... mais c’est une joyeuse surprise! In welchem Hotel logierst du?«
»Ich hatte einen miesen Tag. Könnte ich bei dir …«
»Juhu ... exzellente. Ich hole dich vom Flughafen ab.«
»Ich freue mich, Treffpunkt wie immer. Bis später … à plus tard bisous.«
»Küsschen retour.«
Die Verbindung wurde unterbrochen. Er liebte ihren französischen Akzent. Es war, als würde er in ein anderes Universum versetzt, fernab von dem Alltagsstress, wo er seine Seele baumeln lassen konnte. Eine Welt, in der ihn kein Termin trieb, in der gesellschaftlicher Zwang zu einem Fremdwort degradiert wurde.
Er strahlte über das ganze Gesicht. Seine Augen funkelten gütig.
Klug schaute auf sein Smartphone; biss sich auf die Unterlippe. Nach kurzem Zögern tippte er auf ›Kanzlei Thurner & Partner‹.
Sein Freund meldete sich.
»David, Gerhard spricht. Gut dass du im Lande bist. Reichst du bitte die Scheidung ein.«
»Ist es endlich so weit?«, fragte der Rechtsanwalt.
»Ja.«
»Gute Entscheidung.«
»Wir treffen uns, wenn ich zurück bin.«
»Melde dich.«
Klug schob das Telefon in seine Jackentasche. Ein tonnenschwerer Felsen war von ihm abgefallen. Er angelte sich die Frankfurter Allgemeine, um den Wirtschaftsteil zu studieren; am Ende des Tages wird alles gut, sagte er sich und nippte an seinem Kaffee.