Nachtgedanken eines Theologen

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Nachtgedanken eines Theologen
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Inhaltsverzeichnis

Impressum 3

Zitate 4

Vorbemerkungen 5

Gott 8

Anziehungskraft (Cover-Bild) 15

Gott beweisen? Gott erahnen? 16

Das Leben 18

Erbsünde oder Chance? (Bild: Hand mit Frucht) 22

Religionen 24

Die Religionen der Welt sind gottgewollt 30

Religion Lebensnot – wendig? 31

Religionskritik 35

Liebe und Enttäuschung (Bild: Wurzel mit drei Blumen) 40

Die Triebe und Antriebe des Menschen und ihre Bedeutung 42

Chancen und Grenzen der Triebe 46

Das erste Morgenmahl 49

Eucharistie, Gottesdienst oder religiöses Spiel vor Gott 51

Eine von vielen möglichen Danksagungen (Eucharistie) in der Familie 55

Was spricht dagegen? Gedanken zu Fronleichnam 57

Vater unser: ein Dialog 59

Wirksame Zeichen 61

Sie brachen in ihren Häusern das Brot? (Einfach zum Nachdenken!) 65

Reproduziert sich Gott in seiner Schöpfung (seinen Schöpfungen)? 67

Lamm Gottes Theologie 68

Ist Gott ambivalent? 69

Immer weniger Gottesdienst-Besucher 70

Ich hatte einen Traum 72

Dreifaltigkeit – Ein Gott in drei Personen (Bild: Dreifaltigkeit) 75

Bei niemandem in Israel habe ich einen solchen Glauben gefunden (Mt 8,10) 77

Hat der Einfluss der griechischen und römischen Kultur das Christentum verdorben? 79

Sakramentale Schizophrenie? 82

Der Jurisdiktions-Auftrag Jesu an Petrus ein Missverständnis? 85

Über die Offenbarung 86

Du bist nie allein (Bild: Junger Mann umgeben von Augen) 89

Werden und Sein 90

Bildteil 91

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-738-1

ISBN e-book: 978-3-99107-739-8

Lektorat: Leon Haußmann

Umschlagfoto: Wolfgang Hingerl, Larisa Rudenko | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Wolfgang Hingerl

www.novumverlag.com

Zitate

„Stark wie der Tod ist die Liebe“

Hohel. 8,6

„… ich werde alle zu mir ziehen“

Joh. ^12,32

Vorbemerkungen

Schon seit frühester Jugend hat mich die Frage nach dem Woher, dem Wohin und dem Warum des Lebens brennend interessiert. Bald kam ich darauf, dass die Anfangsbuchstaben meines Vor- und Familiennamens – Wolfgang Hingerl = Wohin, die Fragen nach dem Sinn und Ziel des Lebens sich mir gleichsam aufdrängten.

Eine Weichenstellung geschah im Alter von sieben Jahren, als ich eines schönen Frühlingsnachmittags wieder einmal lustlos am Klavier saß und meine Übungen herunterklimperte. Genervt herrschte mich meine Mutter an: „Entweder lernst du Klavier oder ministrieren!“ Schleunigst klappte ich den Deckel zu und meldete entschieden: „Dann lerne ich ministrieren!“

Seit dieser Zeit spielte sich mein Leben im kirchennahen Raum ab. Vom Ministrant und Jugendführer, Erzieher, Ordensmitglied der Salesianer Don Boscos und Theologiestudium, 30 Jahre Religionsprofessor, Pfarrgemeinderatsmitglied, KBW-Leiter, Referent im KBW und Wortgottesdienstleiter.

Schon als HTL-Schüler eröffnete mir mein Religionsprofessor Johann Willnauer den Zugang zur Theologie des Jesuiten und Paläontologen Teilhard de Chardijn.Vor allem faszinierte mich dessen Gedanke, dass Naturwissenschaften, Philosophie und Theologie nur drei Fenster auf ein und dieselbe Wirklichkeit wären und sich somit ergänzen und nicht ausschließen würden. Besonders hat mich seine Auffassung über die Stufen der Evolution von der materiellen Entwicklung des Kosmos, die Kosmogenese, über die Biogenese und Biosphäre zur Entfaltung des Geistes, zur Noosphäre, beindruckt. Sehr bald beschäftigte ich mich mit den großen Weltreligionen, in denen ich menschliche Antworten auf eine unbegreifliche Sehnsucht finde, die Menschen schon seit Jahrtausenden mehr oder weniger intensiv in sich empfinden. Nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame der Religionen steht für mich seither im Vordergrund.

Nach der Matura 1960 ergriff ich zunächst den Beruf eines Technikers bei der OÖ. Landesregierung und dann im Industrieanlagenbau der VÖEST in Linz. Mein Engagement in der Kath. Arbeiterjugend und ein „Berufungserlebnis“ drängten mich dazu, Theologie zu studieren. Ich trat in den Orden der Salesianer Don Boscos ein, wurde Erzieher und holte das Latein- und Griechisch-Studium nach, studierte Philosophie, Pädagogik, Psychologie und Theologie. Am Ende meines Studiums, das ich als Laie beendete – ich war vorher aus dem Orden ausgetreten –, nahm ich die Stelle eines Religionsprofessors an der HTL in Steyr an. 1971 heiratete ich und lebe seither in Bad Hall. Ich habe zwei Töchter, eine Tierärztin und eine Theologin, und bin nach wie vor im kirchlichen und pfarrlichen Bereich engagiert. Seit 60 Jahren versuche ich Kindern als Nikolaus Freude zu bereiten, Hoffnung zu geben und ihnen vor allem die Liebe Gottes näher zu bringen.

Geprägt haben mich auch meine Reisen nach Israel, Jordanien, Syrien, Ägypten, Griechenland und Malta, meine Begegnungen mit Juden, insbesondere mit dem Autor Ben Chorin und seinen Werken, den Theologen Karl Rahner und Kardinal König u. v. a., die Begegnung mit den Schriften C. G. Jungs und seinem Denken über das kollektive Bewusstsein, die Begegnungen mit Muslimen, Juden und Buddhisten. Während meines Philosophie-, Psychologie- und Theologiestudiums in Benediktbeuern hatte ich die einmalige Gelegenheit, im Sekretariat der Bibliothek zu arbeiten und dort für die Katalogisierung der theologischen und philosophischen Fachzeitschriften zuständig zu sein. Das gab mir die Chance, stets die aktuellsten Artikel lesen zu können.

All das zusammen hat mich und meine Weltsicht geprägt, wobei ich nicht systematisch vorging, sondern intuitiv und spontan die mir gebotenen Möglichkeiten ergriff. Ich verzichte daher im Folgenden auf diverse Quellenangaben, da es mir unmöglich erscheint, diese alle exakt zu benennen. Sollten bestimmte Begriffe oder Sachverhalte unbekannt sein, so lassen sie sich bequem im Internet finden.

Ein weiteres Element beschäftigte mich in meinem Denken. Es ist die Tatsache, dass viele Prozesse sowohl im Makrokosmos als auch in ähnlicher Form im Mikrokosmos ablaufen, dass sich Ähnlichkeiten oder Analogien im materiellen Bereich, aber auch im Bereich der Biologie wiederfinden, dass verblüffende Parallelen zwischen dem Leben der Pflanzen, Tiere und Menschen zu finden sind. Es scheint so zu sein, dass Gesetzen in der toten Materie auch Gesetze in der Biologie oder auch in der geistigen Welt entsprechen. Oft sind diese Analogien Anlass für Wissenschaftler gewesen, neue Einblicke in ganz andere Bereiche zu gewinnen. Gilt das auch für Theologen?

 

Lässt Gott uns durch diese Ähnlichkeiten neue und tiefere Einblicke in seine größere Wirklichkeit tun, ohne uns die volle Wahrheit erkennen zu lassen, weil wir sie gar nicht fassen könnten? Vergleichen könnten wir diese Kommunikation Gottes mit uns vielleicht mit einer inneren „Stimme“, einem Gefühl der „Führung“, einer tiefen Ahnung, ähnlich der gefühlsmäßigen Wahrnehmung, die vielleicht ein Embryo im Mutterleib von seiner Mutter hat, der die Herztöne seiner Mutter wahrnimmt, ihre Stimme hört und auch den gemeinsamen Blutkreislauf mitbekommt, ohne aber eine wirkliche Vorstellung von seiner Mutter bekommen zu können. Ähnlich ist unser Suchen und Streben nach Gott nur ein Tasten im Finstern und begründet keinesfalls die Aversionen, die viele Religionen gegeneinander haben. Gemeinsam ist uns allen, dass wir über Gott nicht mehr wissen, als wir von ihm in unserem Dunkel erahnen.

Wichtige Anmerkung: Alle Namen und Begriffe, die in den Texten vorkommen und Details darüber, lassen sich bei Interesse leicht im Internet auffinden, um die Texte verständlicher zu machen. Nähere Erklärungen dazu sind hier absichtlich weggelassen.

Gott

Unbegreiflicher und unfassbarer Seins-Grund, Schreckgespenst der Völker seit Jahrtausenden, aber auch Inbegriff der Sehnsucht der Mystiker und Religionsstifter: gesucht und gefürchtet, verdrängt und geleugnet, ersehnt und geliebt, erahnt aber unerreichbar. Seine Offenbarung in der Geschichte der Menschheit ist eng mit der kulturellen Entwicklung derselben verbunden. Behutsam, nicht überfordernd lässt sich Gott immer besser und tiefer erkennen. Je weiter die Erkenntnisse über das Universum, die Materie, das Leben, die Gesetzmäßigkeiten selbst im scheinbaren Chaos voranschreiten, desto gewaltiger und zugleich unfassbarer und erschreckend, aber auch tröstend wird unsere Ahnung von Gott.

Am Beginn des Nachdenkens über Gott stehen die Vorstellungen, dass hinter allen nicht begreifbaren Naturphänomenen geheimnisvolle gute, neutrale oder böse gesinnte, nicht sichtbare Mächte oder Götter stehen, die man vielleicht durch Bitten oder Opfer geneigt stimmen könnte. Oft vermutete man auch verstorbene Ahnen dahinter. Manche dieser Mächte schienen nur lokal wirksam sein zu können. Sie wurden zu Lokal- und Stadtgottheiten. Andere schienen an Volksgruppen oder Stämme gebunden zu sein. Sie wurden zu Stammesgottheiten, die überall dort wirksam wurden, wo sich der Stamm gerade befand.

Ein wichtiger Schritt in der Gotteserkenntnis war sicher die Vorstellung, dass hinter der Vielzahl der Götter eine einzige Macht am Wirken ist, wie etwa der Glaube der Hindus, dass hinter allem das Brahman steht, aus dem alles hervorgehen und in das alles zurückkehren wird.

Ein weiterer wesentlicher Fortschritt war die Erkenntnis des Pharao Amemnophis III. (Echnaton), der die alten Göttervorstellungen der Ägypter verwarf und Aton als alleinige jenseitige und wohlwollende Himmelsmacht verehren ließ.

Auf derselben Ebene ist auch das Wirken Mose zu verstehen, der seinen Stammesgenossen, den Juden, an Stelle ihrer Nomadengottheiten den Gott JHWH (den Gott: ich bin) nahe zu bringen versuchte. Viele Jahrhunderte dauerte es, bis sich der Glaube an einen einzigen Gott durchsetzte. Aber noch war das Gottesbild (eifersüchtig, machtvoll, parteiisch, streng, Opfer fordernd, rachsüchtig …) allzu sehr vom Menschenbild beeinflusst. Auch die Vorstellung in der chinesischen Religion von Tao und den beiden sich ergänzenden Kräften Yang und Yin geht in dieselbe Richtung.

Eine weitere Zäsur im Gottesbild brachte die Erkenntnis Abrahams, dass Gott keine Menschenopfer will.

Weitergehend legt der Prophet Jesaia Gott die Worte in den Mund: „Was soll ich mit euren vielen Opfern?“ fragt der Herr. „Die Schafböcke, die ihr für mich verbrennt und das Fett eurer Masttiere habe ich satt, das Blut von Stieren, Lämmern und Böcken mag ich nicht. Wenn ihr zu meinem Tempel kommt, zertrampelt ihr nur seine Vorhöfe. Habe ich das verlangt? Lasst eure nutzlosen Opfer; ich kann euren Weihrauch nicht mehr riechen! Ihr feiert den Neumond, den Sabbat und andere Feste; ich kann sie nicht ausstehen, solange ihr nicht von euren Verbrechen lasst. … Wenn ihr mir eure Hände entgegenstreckt und zu mir betet, blicke ich weg. Und wenn ihr mich auch noch so sehr mit Bitten bestürmt, ich höre nicht darauf, denn an euren Händen klebt Blut. Wascht euch, reinigt euch! Macht Schluss mit eurem üblen Treiben; hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun! Lernt Gutes zu tun, sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken, helft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht.“ (Jes. 1,11–17).

In ähnlicher Weise äußern sich auch der Prophet Jeremia in Kapitel 6 und 7 sowie eine Reihe anderer Propheten.

Endgültig beendet Jesus vor allem für die Christen deren Opfertätigkeit, indem er bei den Propheten anknüpft und Gott wie einen liebenden Vater verkündet, der nicht Opfer, sondern Barmherzigkeit will (Mt. 9,13).

Kurz vor Ende seines Lebens versucht er mit Gewalt die traditionellen Opferstrukturen im Tempel zu zerstören, indem er in einem demonstrativen Akt die Tische der Geldwechsler im Tempel umstößt und die Opfertier-Händler aus dem Tempel vertreibt. Er hat damit sein Leben verwirkt, weil ihm die jüdische Obrigkeit diese Tat nicht verzeihen kann.

Bei den Juden verschwinden die Opfer nach der Zerstörung ihres Tempels durch die Römer. Auch Mohammed und der Islam haben diese Einstellung übernommen. Im Islam wird Gott wie im Christentum als der Liebende und der Allbarmherzige verehrt. Aber auch über die Art und Weise dieser Liebe Gottes zu den Menschen oder gar zu seiner gesamten Schöpfung gab und gibt es die unterschiedlichsten Auffassungen, die einer evolutiven Veränderung unterliegen.

Zunächst spielt die Auserwählung eines Volkes oder einer bestimmten Gruppe eine entscheidende Rolle. Andere Gemeinschaften, aber vor allem Tiere oder gar Pflanzen werden von dieser Liebe Gottes ausgeklammert, sind dem Untergang geweiht. Bis in unsere Zeit spielte und spielt diese Ausgrenzung von Andersgläubigen, Sekten, ja sogar Gläubigen anderer christlicher Konfessionen eine Rolle.

Zu allen Zeiten und bei allen Völkern entstanden aber auch großartige Texte über die Liebe Gottes zu den Menschen, ja zu allen Geschöpfen. Gerade aus Hinduismus und Buddhismus kommt die Vorstellung von der Heiligkeit der Tiere und Pflanzen zu uns und wirkt sich bis in die vegane Lebensweise aus.

Wenn Gott wirklich vollkommen ist, wenn er die Liebe in Fülle ist, wenn er seine Schöpfung liebt, wie wir glauben, dann kann er nicht Teile seiner Schöpfung von seiner Zuwendung ausklammern, auch wenn Geschöpfe noch so sehr gegen seine Gebote und seinen Willen handeln. Sie können nicht aus seiner Liebe herausfallen. Eine Verurteilung und Verdammung scheinen unmöglich, da er diese Geschöpfe ja als fehlerhaft und unvollkommen geschaffen hat.

Wenn Gott die Liebe schlechthin ist, dann ist seine Liebe umfassend und unwiderruflich. Er ist die Liebe. Diese Liebe ist ein absolutes Ja und eine absolute Zuwendung zu seiner Schöpfung und zu seinen Geschöpfen. Sie ist unwiderruflich, das Wohl aller wollend. Sie unterscheidet sich grundsätzlich von der menschlichen Liebe, die sympathieabhängig, trieb- und gefühlsbetont, leicht verletzbar, oft enttäuschbar und subjektiv ist. Wenn Gott unser Heil, unser Glück und unsere Vollendung will, warum hat er uns dann ein Leben in Gottferne, ein Leben in Not, Leid, Katastrophen und die Konfrontation mit so viel Bösem und Schrecklichem, aber auch mit Erfahrung von Glück, Liebe und Schönheit zugemutet?

Vielleicht liegt es daran, dass es Gott um die Liebe geht, um die Liebe seiner Schöpfung und seiner Geschöpfe zu ihm, um eine Liebe aus der Freiheit heraus und nicht um eine Liebe aus Abhängigkeit, die gar nicht anders kann, als Gott wieder zu lieben.

Teilhard de Chardijn hat einmal in etwa gesagt: „Der Sinn der Schöpfung liegt darin, dass die gesamte Schöpfung und jedes Individuum den Schöpfer erkennt, in Beziehung zu ihm tritt und ihn aus tiefster Seele liebt.“

Echte Liebe aber braucht Freiheit. Wir kennen im Grunde zwei Arten von Liebe: Die Liebe aus Abhängigkeit, so wie etwa Kinder ihre Eltern lieben, weil sie von ihnen abhängen, weil sie sie brauchen und ohne sie nicht überleben könnten. Es braucht aber die Erfahrung der Pubertät, der Loslösung aus dieser Abhängigkeit, um zu jener Freiheit zu gelangen, die Voraussetzung für eine echte und freiwillige Liebesbeziehung ist. Vielleicht dient dieses irdische Leben in erster Linie dazu, dass alle Lebewesen diese neue Freiheit erlangen oder ihr näher kommen?

Vielleicht schenkt uns Gott diese Freiheit, damit wir uns aus freien Stücken ihm zuwenden können?

Diese freiwillige Liebe zu Gott setzt aber voraus, dass es auch ein Leben ohne Gott, ohne Gemeinschaft mit ihm und allen, die bei ihm sind, geben kann, eine Existenz in selbst gewählter Isolation, ohne Liebe und tiefe Beziehung.

Die Liebe Gottes und all derer, die bei ihm sind, muss vollkommen sein. Eine vollkommene Beziehung setzt aber voraus, dass es eine vollkommene Kommunikation geben muss. Alles, auch das Innerste, die geheimen Gedanken und Wünsche, alle Gefühle und Erlebnisse, die uns geprägt haben, alle guten und schlechten Taten müssen für alle offenbar sein. Nichts bleibt voreinander und vor Gott verborgen. Diese Kommunikation setzt ein großes einander Verzeihen und Vergeben voraus. Ohne die Bereitschaft dazu ist kein Leben bei Gott und seiner Gemeinschaft möglich. Ewiger Friede ist ohne totale Kommunikation, absolutes einander Erkennen und Akzeptieren nicht möglich. Und hier liegt das Problem. Je weiter sich ein Mensch von den Mitmenschen entfernt hat, je mehr er sich abgesondert (gesündigt) hat, desto schwerer werden ihm diese Öffnung und dieses Verzeihen sowie das Sich-verzeihen-lassen und das Eingliedern möglich sein. Hier findet die Lehre vom Purgatorium, vom „Fegefeuer“ und auch von der Hölle als mögliche endgültige Isolation ihre Rechtfertigung. Keiner hat das Wesen der Hölle besser beschrieben als Jean-Paul Sartre in seinem Stück „Bei verschlossenen Türen“. Es ist die Isolation des Einzelnen in einer Gemeinschaft von Menschen, die vergebens versuchen, ihr Innerstes voreinander zu verbergen, um den Schein aufrecht zu erhalten.

Viele Theologen sind heute der Ansicht, dass die Hölle eine reale Möglichkeit ist, dass aber kaum jemand sich so weit von Gott entfernen kann und will. Aber ein innerer Seelenkampf steht uns sicher bevor. Je mehr wir hier auf Erden geliebt und je mehr wir einander vergeben haben, desto leichter wird uns diese Öffnung im jenseitigen Leben fallen.

Ein weiterer Gedanke sei hier noch aufgegriffen. Warum lässt Gott all das Böse zu, all die Grausamkeiten, den Hass und die Lieblosigkeit, das Morden und die Kriege? Ist das Böse seinen Händen entglitten, ist er machtlos geworden, wie ihn Wolfgang Borchert in seinem Stück „Draußen vor der Tür“ vorstellt?

Vielleicht ist aber das Böse ein weiterer Weg Gottes, um die Liebe seiner Geschöpfe zu ihm zu erreichen? Gott ist voll Erbarmen, und die Tatsache des Vergebens all seiner Schuld kann ein starker Anreiz für den Sünder sein, seine ablehnende Haltung gegen Gott und die Seinen aufzugeben und zur Liebe zu finden. Auch hierfür gibt es zahlreiche Beispiele in der Geschichte und Literatur. Weil für uns aber Gott so unbegreiflich und unfassbar ist, ist unser Reden von ihm nur ein Gestammel. Die Wirklichkeit Gottes ist für uns genauso unzugänglich, wie für einen Embryo im Mutterleib die Wirklichkeit seiner Mutter ist. Es ist daher sinnlos, wenn verschiedene Religionen über ihr Gottesbild streiten, denn mehr, als dass es ihn geben muss, können wir kaum erkennen. Die negative Theologie seit Platon bis in die Gegenwart stellt das, was Gott nicht ist, in die Mitte ihres Denkens und bremst uns ein, wenn wir allzu leichtfertig und großzügig über Gott zu reden versuchen.

Die ersten Christen hatten wie die Juden und die Muslime daher das Gebot, sich von Gott kein Bild zu machen. Während die Juden für Gott Symbole verwenden und die Muslime in kunstvollen Schriftzeichen ihre Ehrfurcht ausdrücken, haben die Christen nach dem Bilderstreit im 7. Jh. einen Weg gefunden, die jenseitige Welt in Bildern darzustellen, indem sie erkannt haben, dass alle diese Bilder nicht die Wirklichkeit darstellen, sondern uns nur erinnern sollen, dass es diese Wirklichkeit gibt und wir an sie denken und Beziehung aufbauen sollen, ohne zu wissen, wie sie tatsächlich ist.

Schon Mose verbot seinem Volk, sich von Gott ein Bild zu machen. Zu groß war die Versuchung, das Bild mit Gott zu verschmelzen und zu verwechseln. Die Propheten und vor allem Jesus verwenden in ihrem Reden von Gott Sprachbilder, die keine körperliche Vergegenständlichung dulden. Gott wird zum Beispiel mit einer Henne verglichen, die ihre Küken umsorgt. Gott ist wie ein Gutsherr, der die Arbeiter, die er in seinen Weinberg berufen hat, alle in gleich großzügiger Weise belohnt, obgleich sie unterschiedlich lang für ihn gearbeitet haben. Gott ist wie ein liebender Vater, der seinen missratenen und verlorenen Sohn mit Freuden aufnimmt, ohne nachtragend zu sein. Gott hat ein Herz für die Sünder, die sich ihm wieder zuwenden. Wenn Gott mit einem Richter verglichen wird, so wird betont, dass seine Gerechtigkeit nicht mit menschlicher Gerechtigkeit zu vergleichen ist. Sein Richten gleicht eher einem Herrichten, einem Neu-Ausrichten, als einem Verurteilen oder Verdammen.

 

Wenn Gott, der Urheber alles Seins, allmächtig, allwissend und absolute Liebe und Zuwendung ist, wie die monotheistischen Religionen behaupten, dann ist es schwer vorstellbar, dass er Lebewesen geschaffen hat, im Vorauswissen, dass sie scheitern und nicht an ihr Ziel kommen können. Gott wäre dann einem Konstrukteur vergleichbar, der bewusst und absichtlich Ausschuss produziert.

Wenn Gott aus Materie Leben sich entfalten lässt, wenn jedes Leben ein Unikat ist, warum sollte er dieses Leben wieder zugrunde gehen lassen? Ein großes Problem stellt für viele Menschen dar, dass Gott in seiner Liebe zulässt, dass es Leid und Not, Krankheit und Tod, Katastrophen, Kriege und all das Böse gibt. Viele zweifeln deswegen sogar an seiner Existenz oder Allmacht.

Wenn aber Gott unsere freiwillige Liebeszuwendung will, dann dient alles Negative vielleicht dazu, dass wir in unserer Verantwortung für unsere Mitmenschen wachsen, dass unsere Kreativität für andere gefördert wird, dass wir Liebe wirklich lernen, dass wir frei für die wahre Liebe werden.

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