Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

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7. Omnipräsenz der Spekulation im Kapitalismus (II)



Der Kurs oder Anlagepreis in Relation zu antizipierter Veränderung ist das eigentliche Objekt der Spekulation. Über Kurse entscheiden, aufgrund bestimmter Erwartungen, die Fluktuationen von Angebot und Nachfrage. Die Subjekte ›spielen‹ dabei eine entscheidende Rolle, aber nicht individuell, sondern als Feld, auch nicht intersubjektiv, interaktiv, sondern interdependent. Sie verhandeln nicht darüber, sondern belauern einander. Das gilt auch und erst recht, wenn das Feld entscheidend von aggregierten Kapitalanlegern in Gestalt der Fonds bestimmt ist.



Handelt das Feld aufgrund einer Situationsbewertung so oder so, vernichtet es auch schon den bestimmten Ausgangswert, und zwar immer in der unterstellten Richtung. Die Spekulation ist unablässig dabei, die Differenz, von der sie sich nährt, aufzuzehren. Wird aufgrund der entgegengesetzten Erwartung mehrheitlich gekauft, ist der Preis immer schon gestiegen. Will das Feld mehrheitlich verkaufen, weil der Preis im Vergleich zum erwarteten Einbruch für noch günstig gehalten wird, ist der Preis auch schon gefallen. Die vorpreschenden Einzelfälle, bei denen die ursprüngliche Rechnung noch aufgeht, sind Teil des Anstoßes, der die massenhafte Wiederholung des Glückens durch andere entsprechend reduziert.



Ausschlaggebend fürs Verhalten des Marktteilnehmers ist also nicht eigentlich der Kurs, sondern das von ihm erwartete Kauf- und Verkaufsverhalten der anderen. Er wird kaufen, wenn er erwartet, dass sie kaufen, und verkaufen, wenn er erwartet, dass sie verkaufen. Er wird vertrauen, wenn er darauf vertraut, dass sie vertrauen. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Es geht darum, das Feldverhalten zu antizipieren, um einen Vorteil daraus zu ziehen.



Denken, Verhalten und Verhältnisse schließen sich hier zu einem Rückkoppelungszusammenhang. Das Handeln fällt ins Objekt. Irgendwann schlägt dann das Irreale oder Real-Imaginäre dieser erwarteten Erwartungen oder begehrten Begierden, das von den stofflich investierten Kapitalprozessen an der langen Leine geführt wird, in die Krise um. Dies macht die Börse für Friedrich von Hayek zur »Parabel für seine Gesellschaftstheorie« (Seuß 1980), und wir könnten bescheidener sagen: zu einem Gleichnis für den Markt überhaupt. Nur dass bei der Börse alles vergrößert und wie im Zeitraffer erfolgt, während sich die Rückkoppelung beim Markt produzierter und reproduzierbarer Güter normalerweise unvergleichlich langsamer auswirkt, weil sie nicht nur durch die Produktionszeit hindurch muss, sondern zusätzlich durch die Zirkulationszeit, womöglich sogar durch die Zeit der Umrüstung von Anlagekapital. In der Krise kann der lähmende Rückschlag aufs industrielle und Handelsgeschehen dann aber fast augenblicklich – in Gestalt der Panik – erfolgen.



Trotz ihres eigenen Zeitregimes spiegelt die Börse, auch wenn sie ›verrückt spielt‹, den normalen Gang einer Prozessstruktur, die sich immer erst nachträglich, über ihre Resultate reguliert. Und wie das Geld, der abstrakte Reichtum, schließlich doch immer wieder zurück muss zum konkreten Reichtum, zieht es den Börsenverlauf, so surreal er sich gebärdet, endlich immer wieder zurück an den handfest-industriellen Verwertungsprozess des Kapitals. Wenn aber die Börsenkrise zurückschlägt auf den Gesamtprozess und mitten im überquellenden Reichtum die Not der allgemeinen Wirtschaftskrise über die Gesellschaft hereinbricht, zeigt sich ihr Surreales als das Herz der Realwirtschaft. Das Oszillieren ist nur die Form, in welcher der planlose Plan aller privat-arbeitsteiligen Produktion sich bewegt. Darin, dass dem Überfluss an Reichtum der allgemeine Mangel entspringt, drückt sich die »Plusmacherei« als Selbstzweck aus. In mehr oder weniger blinden Konvulsionen vernichtet das System, was es stört: überschüssiges Kapital und damit auch die »Überkapazität« Brenners. Dabei zerstört es Habe, Heimat und Lebenschancen der Völker, verwandelt sie, mit dem Wort von Ricardo, in »redundant population«, »überflüssige Arbeiterpopulation«,

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 und betrügt zumal die Jugend um ihre Zukunft.



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 »Es ist eins der großen Verdienste Ricardos, die Maschinerie nicht nur als Produktionsmittel von Waren, sondern auch von ›redundant population‹ begriffen zu haben.« (Marx, K I, 23/430, Fn. 154) Im Haupttext setzt Marx »überflüssige Arbeiterpopulation« (ebd.). Kautsky fügt in der Fußnote in eckigen Klammern »überschüssige Bevölkerung« ein (Volksausgabe, Hamburg 1914, 351).





8. Ein Blick über die Grenze des Kapitalismus



Selbst wenn tatsächlich »ein anderer Kapitalismus« das Maximum des in absehbarer Zeit Erreichbaren darstellen sollte, ist dieses doch nur zu erreichen, wenn über die Grenzen des Kapitalismus hinausgegangen wird. Sowohl in der Praxis als auch – weiter ausgreifend – in der Theorie. Marx kann klärend dazu beitragen, dass das Hinaus über den Kapitalismus nicht in ein bewusstloses Zurück umschlägt. Unsere Regierenden laborieren längst an den Grenzen des Kapitalismus. Sie tun es angesichts dessen, was Marx die »ergänzende Erscheinung« der Kapital-Überproduktion bzw. Überakkumulation nennt, nämlich der wachsenden Masse »unbeschäftigter Arbeiterbevölkerung« (25/261).



Ist Kapitalüberproduktion eine im engsten Sinn systemimmanente Störungsquelle, so die Erzeugung von Massenarbeitslosigkeit, ja die Erzeugung von auf Dauer »überflüssiger« Bevölkerung eine, die geeignet ist, kapitalistische Gesellschaften von innen auszuhöhlen und die Bedingungen für die Möglichkeit demokratischer Regierung zu untergraben. Werfen wir einen Blick auf diesen Effekt: Steigt die Produktivität durch Entwicklung der sachlichen Produktivkräfte, wird also weniger Arbeit fürs einzelne Produkt benötigt, so bleibt die Nachfrage nach Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt nur unter der Voraussetzung stabil, dass die Menge der insgesamt nachgefragten Produkte steigt. Produktinnovation und die dadurch bewirkte technische oder ästhetische Veraltung noch fungierender Güter ist eine Möglichkeit, zusätzliche Nachfrage zu stimulieren. Eine andere Möglichkeit besteht in der Erschließung neuer Märkte. Doch keiner dieser Wege kann unbegrenzt beschritten werden.



Stoßen Kapital und die zu seiner Unterstützung aufgebotene staatliche Wirtschaftspolitik auf diese Grenze, kompensieren demokratische Regierungen das Marktversagen durch allerlei Erfindungen, solange ihnen der finanzielle Spielraum bleibt. Ich-AG und Ein-Euro-Jobs sind noch in Erinnerung, und auch die Erfindung der Null-Kurzarbeit, mit der im Verein mit der Abwrackprämie die Deutschen bei der Stange gehalten wurden, verdient bei allem Bedrohlichen die fröhliche Kritik derer, die darin die Hilflosigkeit ihrer Oberen erkennen.



Die Fröhlichkeit endet, wenn in der Staatsschuldenkrise auch solche Manöver an der Grenze des Kapitalismus auf ihre Grenzen stoßen. Im marxschen Manifest heißt es: »Es tritt hiermit offen hervor, dass die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbedingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen. Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden. Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, d.h., ihr Leben ist nicht mehr verträglich mit der Gesellschaft« (4/473). Dass die Kapitalistenklasse das Proletariat »ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden«, ist die das Denken in die Gänge bringende rhetorische Überspitzung eines realen Widerspruchs. Im Ganzen unmöglich, ja absurd, macht sich diese Notwendigkeit doch immer wieder partiell geltend. Allerdings springt nicht die Kapitalistenklasse ein, sondern der Staat, und dieser schließt zuvor alle Lohnarbeitenden in einer Zwangsversicherung gegen die Notlage der Arbeitslosigkeit zusammen, um aus deren Kassen dann zumindest einen Teil des Proletariats zu ernähren, statt von ihm ernährt zu werden – Politik an den Grenzen des Kapitalismus. Bis dann dieser Politik der Geldhahn Stück um Stück zugedreht wird und das den »Langzeitarbeitslosen« gewährte, von vornherein kümmerliche Überlebensgeld beschnitten wird. In der Bundesrepublik betrifft dies an die zehn Prozent der Bevölkerung, denn inzwischen stecken hier 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger und ihre Familien »dauerhaft im Hartz-IV-System fest« (Heitmeyer 2010, 19). Als in der Großen Krise die südeuropäischen Länder begannen, am Rande des Staatsbankrotts zu lavieren, erfasste die Verarmung die Bevölkerungsmehrheit. In solchen Situationen bricht eine Zeit an, in der das gesellschaftliche Leben chaotisch an der Grenze des Kapitalismus aufläuft. Es stockt vor der notwendenden Möglichkeit, dass die Gesellschaft ihre Lebens- und Überlebensbedingungen dem Kapital als regelndes Gesetz aufherrsche. Widrigenfalls droht es zurückzufluten in Autoritarismus, wenn die manifeste Ohnmacht demokratischer Regierungen von deren Wählerschaft als die eigene erfahren und mit dem Wunsch nach dem Starken Mann und der Harten Hand kompensiert wird. Auf der anderen Seite der Grenze liegt die terra incognita, wo zu erwarten ist, dass die assoziierten Gesellschaftsmitglieder die Besorgung des für sie Notwendigen ohne Dazwischenkunft fetischistischer Mächte in die eigenen Hände genommen hätten.






Drittes Kapitel

Was ist neu an dieser Krise?

1. Was genau ist in Krise geraten?



Wir beginnen mit einer Frage, die sich zunächst selbst zu beantworten schien, sodass »niemand sie zu stellen für nötig hielt«.

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 An einer Krise Maß zu nehmen, ihre Dynamiken und die von ihr bedingten Handlungsmöglichkeiten auszuloten, setzt Klarheit über die Formation voraus, die da in Krise geraten ist. Mit ihrer historischen Neuartigkeit erst tritt die Materialität der Zeit in den Blick. Ohne diese Klärung wird man Entwicklungsphasen, die in allen Epochen auftreten, fürs Wesen der aktuellen Formationsbestimmtheit ­halten.

 



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 »…no-one bothered to utter it: What exactly is this a crisis of?« (Geoff Mann 2010, 174).



Die Antworten auf die Frage, was da eigentlich in Krise geraten ist, fließen in der Regel als nicht eigens begründete Benennungen ein. Ganz vorsichtig ist Karl-Heinz Roth, wenn er von der »ersten Weltwirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts« (2009, 10) spricht. Das besagt nichts über die Sache selbst. Dagegen erklärt ein Dokument von Attac: »Es handelt sich dabei um eine Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, der auf spekulativen Blasen beruht« (2011c). Das läuft auf die gewiss vernünftig klingende Perspektive hinaus, die Finanzmärkte auf eine Weise zu regulieren, die spekulative Blasen verhindere. Aber erstens sind Blasen in der Finanzgeschichte seit Jahrhunderten bekannt. Und zweitens bleibt es bei Symptombehandlung, solange wir die Prozesse ignorieren, deren Effekt die Dominanz der Finanzmärkte ist. Die These von deren Verselbständigung dichtet sich gegen die auf den ersten Blick paradox sich ausnehmende Möglichkeit ab, dass ihre anscheinende Verselbständigung etwas Unselbständiges ist, in dem sich Zusammenhänge ausdrücken, die nicht selbst schon wieder finanzieller Natur sind. So lässt sich die Macht der Finanzmärkte als Resultat einer Interessenkoalition beschreiben, in welcher das Finanzkapital mit dem Industriekapital an einem Strang zieht.

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 »Der Finanzkapitalismus stellt ein Regime dar, in dem das gemeinsame politische Interesse von Real- und Finanzkapital an einer Schwächung von Gewerkschaften und Sozialstaat einen größeren Stellenwert hat als der Gegensatz ihrer Interessen.« (Schulmeister 2010, 29)



In diese einseitig ökonomische Diskussion bricht Wolfgang Streeck, dem sie ökonomistisch oder ›finanzistisch‹ hätte erscheinen können, mit seiner historisierten und sozial dynamisierten, die Nähe zu den Phänomenen suchenden Version einer institutionalistischen Betrachtung des Kapitalismus als konkreter Gesellschaft ein.

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 Seine Diagnose verortet das Problem auf der politisch-ökonomischen Ebene, nun aber im sonst abgeschliffenen Wortsinn der Beziehung zwischen Politik und Ökonomie, genauer zwischen parlamentarischer Regierungsform und kapitalistischer Betriebsweise oder zwischen gesellschaftlicher Selbstbestimmung und kapitalistischer Vergesellschaftung. In der Frage der »Institutionalisierung von sozialer Ordnung oder Gouvernanz als solcher im Kapitalismus als einem sozialen und ökonomischen System« (2010, 10) identifiziert er eine strukturelle Inkohärenz,

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 deren tektonische Basisspannung sich seit dem Niedergang des Fordismus, also seit der Strukturkrise der 1970er Jahre, in wechselnden Konfliktarenen entladen hat. Was Streeck nun vollends in Krise geraten sieht, ist nicht der Kapitalismus als solcher, sondern der »demokratische Kapitalismus«. Kurz, die aus dem Kollaps des US-amerikanischen Finanzsystems resultierende globale Krise müsse begriffen werden »im Rahmen der vor sich gehenden, inhärent konfliktiven Transformation der Gesellschaftsformation, die wir ›demokratischer Kapitalismus‹ nennen« (Streeck 2011, 5). Allgemein gesprochen, stößt in dieser Formation der demokratisch sich artikulierende Anspruch auf ein gutes Leben unversöhnlich zusammen mit dem die Kapitalsphäre leitenden Anspruch aufs ungehinderte Profitstreben. Streeck schildert den Zusammenstoß als analog zum Konflikt zwischen den Rechtsansprüchen der Arbeitskraftkäufer und denen der Arbeitskraftverkäufer. Marx hat ihn im Kapital folgendermaßen zusammengefasst: »Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt.« (K I, 249) Es ist, als wollte Streeck durch die Anspielung auf die marxsche Antinomie zu verstehen geben, dass im aktuellen Antagonismus wieder die Gewalt, sprich etwas in der Art des Faschismus ­lauerte. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, zumal dann nicht, wenn Streeck Recht hat, dass es auf Dauer schlechterdings keine Versöhnung zwischen Demokratie und Kapital, zwischen den ­einander widersprechenden Prinzipien der sozialen Rechte und den vom Markt beurteilten Gewinnmaximierungsstrategien des Kapitals geben kann.

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 Doch jener Vergleich hinkt. Demokratie und Kapital sind keineswegs »beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt«. Wenn das Kapital den Charakter eines Fetischs hat, insofern es die »Macht der Machwerke« über die sie gemacht Habenden (KV I, 161f) repräsentiert, gründet die Demokratie in der konstituierenden Macht der Machenden selbst. Wir müssen Streeck nicht folgen, wo er die beiden Rechtsansprüche, den auf den Kapitalfetisch pochenden und den der Gesellschaftsmitglieder selbst, auf gleicher Ebene ansiedelt, wenn wir ihm zustimmen, dass die Akteure und ihre Politiken ebenso ins Bild gehören wie die Institutionen der sozialen Einbettung des Kapitalismus, ohne die dieser sich selbst zerstören würde, und die Kämpfe um die Regeln. Im zweiten Teil werden wir uns u.a. den Institutionalisierungsprozessen der transnationalen Kapitalverkehrsverhältnisse zuwenden und auch auf die Krise der widersprüchlichen Verbindung von Kapitalismus und Demokratie zurückkommen. Doch um diese Krise zu begreifen, müssen wir die endogene Krise des Kapitalismus ins Auge fassen und eine Sprache dafür finden. Nicht zuletzt müssen wir die epochale Spezifik erkunden, die dem aktuellen Geschehen ihren Stempel aufdrückt und die Handlungsmöglichkeiten bedingt. Daher macht es einen Unterschied ums Ganze, die Krise, wie wir es im ersten Satz des Vorworts getan haben, als Große Krise des transnationalen Hightech-Kapitalismus anzugehen.



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 Streeck verfolgt den »institutionalist approach closer to the particularities of contemporary capitalism« (2010, 7).



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 Auf den Begriff der Inkohärenzkrise kommen wir in Kap. 5.1 zurück.



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 Streeck fasst »the contradiction between social life and capitalist economic organization as inevitable and ineradicable« (2010, 31) und folgert: »… a lasting reconciliation between social and economic stability in capitalist democracies is a utopian project« (2011, 24).



Namen sind nicht nur Schall und Rauch. Selbst wo sie der Sache äußerlich sind, sind sie es nicht für diejenigen, die ihr den Namen geben.

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 Mit ihrer Benennung zeigen sie, wo sie ansetzen. Damit tritt hervor, was geschichtlich an ihnen ist. Wer etwa die gesellschaftlichen Verhältnisse zu Beginn des 21. Jahrhunderts umstandslos als »Wissensgesellschaft« anspricht, schweigt vom herrschenden Kapitalverhältnis, wie man im Hause des Henkers vom Strick schweigt. Wer den aktuellen Kapitalismus Jahrzehnte nach dem Untergang des Fordismus noch als »Postfordismus« anspricht, ankert mit seinen Maßstäben im Vergangenen, wie wir bereits im ersten Buch »mit einer gewissen Ungeduld« (HTK I, 12) monierten. Die Rede vom »finanzgetriebenen« oder, im sprachlichen Pidgin, »finanzialisierten«

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 Kapitalismus scheint wie der von Engels beschriebene »Geldmarktmensch« am Geldpseudonym der Verhältnisse gesellschaftlicher Arbeit zu kleben und das epochal determinierende Basisverhältnis von hochtechnologischen Produktivkräften und transnationalisierten Produktionsverhältnissen auszublenden.



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 Ist nicht »der Name einer Sache«, wie Marx im Kapital beiläufig sagt, »ihrer Natur ganz äußerlich« (23/115)? Das kommt darauf an. Marx bezieht sich im Kontext auf den Preis als »den Geldnamen der in der Ware vergegenständlichten Arbeit« (116). Der Geldausdruck oder die Preisform des Werts verdeckt den Wesenszusammenhang der Wertbildung durch Arbeit. Das Problem spitzt sich zu beim Lohn als ›Preis der Arbeit‹. Die wissenschaftliche Übersetzung dieses Ausdrucks durch Marx lautet ›Preis der Ware Arbeitskraft‹. Die beiden Ausdrucksformen, die alltagssprachliche und die marxsche, unterscheiden sich wie die begriffslose Kategorie vom kategorialen Begriff (vgl. HKWM 7/I, 467-86). Das Beispiel vom Lohn zeigt aber auch, dass der kategoriale Ausdruck von »Daseinsformen, Existenzbestimmungen, oft nur einzelnen Seiten dieser bestimmten Gesellschaft« (42/40) Ausdrucksformen hervorbringt, die dem gesellschaftlichen Leben, das sich in ihnen ausspricht, keineswegs äußerlich sind. Wenn sie auch scheinhaft sind, rechnen sie doch zu jener Art von Schein, der nach Hegels Wort »dem Wesen wesentlich« ist (Ästhetik, W 13, 21) und auf den Marx »alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des K