Buch lesen: «Wüsten»

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Wolf Dieter Blümel

Wüsten

Entstehung, Kennzeichen, Lebensraum

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Inhaltsverzeichnis

  Die UTB-Reihe

  Über den Autor

  Impressum

  Von Zeit ...

  1 Vorbemerkung Dank

  2 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung 2.1 Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten 2.2 Heiße/warme Wüsten: Definition und Differenzierung 2.3 Hygrische Abgrenzung der Wüsten

  3 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten 3.1 Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung und Aridisierung 3.2 Zur Geschichte der Wüste Namib 3.3 Afrika im Quartär (Jungpleistozän und Holozän) 3.4 Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

  4 Wüstentypen: Ursachen ihrer Entstehung 4.1 Großklimatisch bedingte Wüsten: Wendekreiswüsten (Passatwüsten) 4.2 Kontinental-klimatische Wüsten 4.3 Orographische Wüsten (Regenschattenwüsten) 4.4 Edaphische Wüsten 4.5 Küstenwüsten 4.6 Kältewüsten und Hochgebirgswüsten 4.7 Komplexe Wüstentypen (Mischtypen) 4.8 Desertifikation: anthropogene Wüstenbildung

  5 Verbreitung und Flächenanteile der Wüsten Die wichtigsten ...

  6 Allgemeine Kennzeichen des Wüstenklimas 6.1 Niederschläge und ihre raum-zeitliche Variabilität 6.2 Temperaturverhältnisse 6.3 Verdunstung (Evaporation)

  7 Wüste als Lebensraum 7.1 Vegetation in Wüsten 7.2 Fremdlingsflüsse und Flussoasen 7.3 Oasen 7.4 Wüstenfauna

  8 Verwitterung und Stoffneubildungen 8.1 Insolations-/Temperaturverwitterung 8.2 Hydratation: synergetische Verwitterung 8.3 Salzverwitterung 8.4 Wüstenlack, Hartrinden und Wabenverwitterung 8.5 Tafonierung (Hohlblockbildung)

  9 Wüstenböden 9.1 Kennzeichen von Wüstenböden 9.2 Bodentypen der Wüsten und Halbwüsten 9.3 Pedogene Kalkkrusten

  10 Geomorphologie der Wüsten 10.1 Paläogeographische Aspekte 10.2 Geomorphologische Wüstentypen

  11 Aktuelle Reliefbildungsprozesse 11.1 Schwerkraftwirkung 11.2 Windwirkung (äolische Prozesse) 11.3 Reliefformung durch Wasser

  Regionalteil

  12 Wüsten in Afrika 12.1 Sahara: größte Extremwüste 12.2 Namib: Küsten- und Wendekreiswüste 12.3 Kalahari – eine vorzeitliche Wüste

  13 Die nordchilenisch-peruanischen Wüsten 13.1 Wüstenklima und Vegetationaspekte der peruanischen Atacama 13.2 Die chilenische Atacama: Küsten- und Binnenwüste

  14 Australien – Kontinent der (Halb-)Wüsten 14.1 Klimakennzeichen 14.2 Vegetationsverhältnisse 14.3 Geomorphologische Wüstentypen und Landschaftsgeschichte 14.4 Böden australischer Wüsten und Halbwüsten 14.5 Zur Umwelt-, Siedlungs- und Kulturgeschichte

  15 Asien: Takla Makan und Gobi – extreme Binnenwüsten 15.1 Tarim-Becken: Wüste Takla Makan, Tarim-Fluss, Tugai-Wälder und Lop Nor 15.2 Wüste Gobi

  16 Kältewüsten der Polarregionen Wärmemangelgrenze 16.1 Arktische Kältewüsten 16.2 Antarktische Kältewüsten

  17 Ausblick: Zur Zukunft der Wüsten

  Service Bildquellen Abkürzungsverzeichnis/Erläuterungen Literatur

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Prof. Dr. Wolf Dieter Blümel, Studium der Fächer Geographie, Geologie, Volkswirtschaft und Vor- und Frühgeschichte an den Universitäten Münster und Würzburg. Promotion zum Dr. rer. nat. (1972), Habilitation für das Fach Physische Geographie (1980), Prof. für Geomorphologie und Geoökologie an der Universität Karlsruhe (1981–1987). Seit 1987 Lehrstuhl für Physische Geographie und Direktor des Instituts für Geographie an der Universität Stuttgart (seit April 2010 im Ruhestand).

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Impressum

Die in diesem Buch enthaltenen Empfehlungen und Angaben sind vom Autor mit größter Sorgfalt zusammengestellt und geprüft worden. Eine Garantie für die Richtigkeit der Angaben kann aber nicht gegeben werden. Autor und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für Schäden und Unfälle.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2013 Eugen Ulmer KG

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E-Mail: info@ulmer.de

Internet: www.ulmer.de

ISBN 978-3-8252-3882-7 (Print)

ISBN 978-3-8463-3882-7 (e-Book)

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Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein wenig Wüste

Sven Hedin

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1 Vorbemerkung

Anliegen dieses Buches ist es, Wesensmerkmale der Wüsten aus geographischer Sicht zu beschreiben und zu erklären. Mit fast 30 Mio. km2, das sind etwa 20 % der Kontinentflächen, nehmen echte Wüsten einen beträchtlichen Teil des Globus ein. Zählt man die geringfügig feuchteren Halbwüsten hinzu, kommt man auf ~50 Mio. km2 (= 1/3 der Festlandsflächen). In der internationalen Literatur variieren die Flächen- und Prozentangaben beträchtlich – je nach Definition des Begriffs Wüste und der verwendeten Abgrenzungskriterien wie Ariditäts- oder Vegetationsindizes.

Wie andere Ökozonen/Zonobiome oder Großräume der Erde (Tundren, Boreale Wälder, Steppen, Savannen, tropische Regenwälder usw.) sind auch Wüsten als Lebensräume zu betrachten. Damit wird auch neben einer klimatischen, orographischen oder edaphischen Verursachung eine vegetationsgeographisch ausgerichtete physiognomische Definition bevorzugt.

Hauptziel der hier zwangsläufig selektiven Informationen ist es, das Phänomen Wüste aus dem landschaftlichen Blickwinkel zu betrachten, das Verständnis für geo- und biowissenschaftliche Prozesse, kausale Zusammenhänge und vor allem für die Veränderlichkeit in Zeit und Raum zu verstärken sowie darin die kulturhistorische Bedeutung zu betonen.

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt im ersten Teil des Buches in einer physisch-geographischen Beschreibung und Erklärung des Phänomens Wüste. Es wird versucht, ein Grundverständnis für die Existenz von Wüsten sowie für deren repräsentative Klima- und Vegetationsverhältnisse mit ihren ökologischen Wechselwirkungen zu vermitteln. Die weltweit unterschiedlichen Physiognomien von Wüsten erklären sich zum Teil aus der Landschafts- und Erdgeschichte. So ermöglichen geomorphologische Wüstentypen (Sand-, Fels-, Geröll- oder Salzton-Wüsten) eine äußerliche Differenzierung und Erklärung des jeweiligen Landschaftscharakters unter dem Aspekt eines erdgeschichtlich jungen Klima- und Umweltwandels. Die aus Vorzeitmilieus vererbte Oberflächengestalt der Wüsten wird unter aktual-klimatischen Bedingungen teilweise transformiert und weiterentwickelt. Hierzu werden die wesentlichsten Prozesse der Verwitterung und Stoffverlagerung vorgestellt. Da klimatischer Wandel nicht nur ein Gegenwartsthema ist, sondern auch in den jüngsten Jahrtausenden eine eigene „Kulturgeschichte der Wüsten“ ermöglicht hat, wird bereits eingangs mit einigen Beispielen auf diese oft unbekannte Rolle hingewiesen. Bei weiter wachsender Erdbevölkerung wird auch der Nutzungsdruck auf die Randbereiche der Wüsten und die semi-ariden Gebiete immer stärker: In einem Abriss wird das Problem der Desertifikation, der vom Menschen verursachten Wüsten als eine aktuelle, die semi-ariden und ariden Lebensräume bedrohende, klimawirksame Entwicklung erörtert.

Im zweiten Teil werden ausgewählte Wüsten vorgestellt. Einen umfassenden Überblick über alle potenziell möglichen Themen kann dieses Buch nicht liefern. Im Vordergrund stehen physisch-geographische Kennzeichen, die die Individualität der einzelnen Wüsten herausstellen. Hinzukommt der Versuch, die klima- und landschaftsgeschichtlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zusammenzufassen, zumal aufgrund ständig verbesserter Analyse- und Datierungsmethoden teils frappierende neue Erkenntnisse und Einordnungen zur Dynamik und Qualität des Umweltwandels in der jüngsten erdgeschichtlichen Phase erarbeitet wurden. Wie sehr der Mensch in diese Entwicklungen eingebunden war und wie er unter dem Regime geänderter klimatisch-landschaftlicher Rahmenbedingungen seine Entfaltungsmöglichkeiten nutzte oder er auf prekäre Umstände reagieren musste, zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel der Sahara oder der Peruanischen Atacama. Diese geoarchäologischen Befunde sollen die Rolle der (veränderlichen) Wüsten betonen und ihre siedlungs- und kulturhistorische Bedeutung herausstellen.

Neuere anthropo- und wirtschaftsgeographische Entwicklungen wie der Strukturwandel in den Oasensiedlungen und Gesellschaften, die urbaner Räume und Projekte (Dubai u. a.) können nicht berücksichtigt werden, ebenso wenig die realisierte oder geplante landwirtschaftliche Erschließung oder Rohstoffpotenziale. Die Literatur über Trockengebiete füllt ganze Bibliotheken: Tiefer in die zahllosen spezifischen Themen und Fragestellungen einzudringen, verlangt eigene Literaturstudien.

Dank

Mein besonderer Dank gilt Frau Dipl.-Geogr. Bettina Allgaier für die engagierte Anfertigung zahlreicher Abbildungen, Dr. Ingrid Stengel (Windhoek) für die Bearbeitung einiger Satelliten- und Luftaufnahmen, Prof. Dr. Helga Besler (†), PD Dr. Stefan Kröpelin und Prof. Dr. Michael Succow für einige Fotobeiträge, Prof. Dr. K. Gießner für Grafik- und Datenunterlagen. Herrn Dipl.-Geogr. Bernhard Jakob bin ich für seine EDV-technische Unterstützung, den ehemaligen studentischen Hilfskräften Beate Fleischer und Julia Stahl für vorbereitende Literaturrecherchen sehr dankbar. Frau Sabine Mann, Antje Munk und Herrn Jürgen Sprenzel vom Verlag Eugen Ulmer danke ich für die redaktionelle Betreuung und für die technische Unterstützung bei der (foto)grafischen Ausstattung des Buches, Herrn Bernd Burkart für das Layout.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sei gedankt für die Unterstützung zahlreicher Forschungsaufenthalte in heißen Wüsten wie auch in den Kältewüsten beider Polargebiete. Die Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V. (GEV) bewilligte großzügig zwei Untersuchungen zu vorzeitlichen Siedlungen in der Namib-Wüste. In diesem Kontext gebührt den Kollegen Prof. Dr. Klaus Hüser, Prof. Dr. Bernhard Eitel und AOR Dr. Joachim Eberle zutiefst Dank für viele gemeinsame Geländekampagnen und die dabei erfahrene Kameradschaft.

Wolf Dieter Blümel

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2 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

Kaum ein Landschaftstyp ist begrifflich so widersprüchlich belegt wie die Wüste: Öd und leer, monoton, nutzlos, lebensfeindlich, bedrohlich, erbarmungslos … Die Wüste als horror vacui – als der Schrecken der Leere – ist wohl eher eine europäisch-abendländliche Sichtweise. Wüstenbewohner wie die Hirtennomaden sehen sie anders: als Raum der Ungebundenheit, des freien Lebens, des Glücks. In Anbetracht der zunehmenden Attraktivität von Wüsten als Reiseziel scheint sich jedoch der negative Begriffsinhalt stark gewandelt zu haben. Kennzeichnungen wie faszinierend, fremdartig, unendliche Weite, herausfordernd, hörbare Stille, berauschende Farben, bizarre Formen oder geschichtsträchtige Vergangenheit tragen zu einer weiteren Mystifizierung der Wüsten bei. Sie spricht Forscher, Bildungsreisende und Abenteurer ebenso an wie Esoteriker – biblische Berichte beschreiben die Wüste als Ort der Katharsis, der Meditation, der Erkenntnis.

In Mitteleuropa ist die gängige Vorstellung von einer Wüste vornehmlich durch Berichte aus der Sahara oder dem Vorderen Orient geprägt, wobei weitgehende Vegetationsarmut sowie Sand und Dünen als Wesensmerkmale gelten. Dieses Bild ist ebenso einseitig wie der internationale Gebrauch der Bezeichnung „desert“ (Wüste) für eine Landschaft uneinheitlich und mehrdeutig ist. Der in Atlanten und Veröffentlichungen benutzte Begriff Wüste kann in der Realität völlig unterschiedliche Naturräume meinen: Wer seine Eindrücke einer Namib- oder Atacama-Reise mit der kalifornischen Mojave-Wüste vergleicht (Foto 1), wird letztere wohl kaum als typische Wüste ansehen. Es handelt sich bei der Mojave eher um eine Halbwüste, um eine Dornbusch- und Sukkulenten-Steppe. Sie erhält noch periodische Niederschläge, was den recht dichten Bewuchs erklärt. Ähnliches gilt für die Kalahari im südwestlichen Afrika: Sie ist gegenwärtig keine Wüste, sondern eine randtropische Dornbusch- oder Trockensavanne, die auf einem riesigen Längsdünenfeld stockt, dessen Aktivität als extreme Sandwüste vor etwa 10 000 Jahren endete (Blümel et al. 1998; Foto 59; Kap. 12.3). Australien gilt als der Kontinent der Wüsten – und der Reisende ist erstaunt, recht viel Bewuchs in Form von Büschen (scrub) oder Gräsern anzutreffen, dagegen wenig vegetationsarme oder -lose Gebiete (Kap. 14). Es fehlen also Voll- oder Extremwüstenstandorte nahezu vollständig.


Foto 1

Oben links: Extremwüste: Steinwüste (Hamada) in der chilenischen Atacama (Calama – Tocopilla). Der nahezu niederschlagslose Raum gehört zur weltweit extremsten Wüste.

Oben rechts: Extremwüste: Sand-/Dünenwüste (Erg) der Mittleren Namib (Sossus-Vlei). Der Raum erhält weniger als 50 mm Regen und gelegentliche Nebelnässe.

Unten links: Vollwüste: Diffuse Vegetation in der Nördlichen Namib. Hier fallen deutlich weniger als 100 mm Niederschlag im Jahr. Der weitständische Bewuchs steht für den Typ einer Vollwüste.

Unten rechts: Halbwüste: Die Mojave-Wüste (Kalifornien) ist Teil der Großen Wüste im SW der USA. Sie entspricht aufgrund ihres sehr lückenhaften, aber vergleichsweise üppigen Bewuchses mit Creosote-Büschen (Larrea tridentata) und Kakteen dem Typ einer Halbwüste oder einer Wüstensteppe. Im Jahresmittel fallen 90 bis max. 150 mm Niederschlag bei 12 ariden Monaten.

Viele Begriffsinhalte, Benennungen oder Abgrenzungen zum Thema Wüsten sind also subjektiv und regional unterschiedlich angewandt. Die Erklärung des uneinheitlichen Sprachgebrauchs liegt wohl in der Besiedlungsgeschichte der Neuen Welt und Australiens begründet: Der eingewanderte Ackerbauer aus dem feucht-klimatischen Zentral- und Westeuropa fand in der neuen Umgebung trockene Gebiete vor, die nicht unmittelbar – wie im Herkunftsland – und ohne Zusatzbewässerung unter den Pflug genommen werden konnten. Solche meist lückenhaft bewachsenen Lebensräume waren somit für ihn non arable land (dt. Ödland), von Natur aus nicht beackerungsfähig und wurden so als deserts bezeichnet (lat. desertus = verlassen). Aus der Sicht des europäischen Siedlers war derartiges Land ebenso nutzlos wie die wirklich sehr wenig bewachsenen, echten „öden und leeren“ Wüsten. Andererseits betrachteten die einheimischen Nomaden oder Jäger und Sammler in Nordamerika, Afrika, Arabien, Asien oder Australien solche vegetationsarmen, aber (zeitweilig) weidefähigen Wüstenrandgebiete als attraktive Räume freiheitlichen, ungebundenen Lebens.

2.1 Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten

E. Kaiser verwies 1923 auf eine bereits lange geführte Diskussionen zum Begriff Trockengebiete bzw. zur Erläuterung des Phänomens Wüste. Er bezieht sich auf den Penck’schen Ariditätsbegriff (Trockengrenze): N – V < 0. Sobald langfristig die potenzielle Verdunstung (V) den Niederschlag (N) übertrifft, gilt der Naturraum als arid (Abb. 1). Seine Wasserbilanz ist negativ. Dies schließt aber nicht aus, dass kurzfristig viel Niederschlag fallen kann, teils mit katastrophaler Wirkung.


Abb. 1

Klimatische Trockengrenze/Ariditätsfaktor (n. Walter & Lieth):

Den in diesem Text verwendeten sog. ökologischen Klimadiagrammen liegt das Verhältnis n = 2t (Niederschlag n in mm:Temperatur in °C = 1:2) zugrunde (s. Abb. 2). Es bietet eine Näherung zur Unterscheidung arider von humiden Monaten und damit zur groben klimatisch-ökologischen Charakteristik des zugehörigen Raumes.


Abb. 2

Bilma (Sahara/Niger; 18°41’ N/12°55’ E): Hyperaride Wüste mit monsunalen Sommerniederschlägen.

Murzuk (Sahara/Libyen; 25°54’ N/13°54’ E): Hyperarid, mit akzentuierter Jahresamplitude und minimalen Winterregen.

Swakopmund (Namib; 22°40’ S/14°32’ E) und Lüderitz (26°39’ S/15°9’ E): Extrem trockene, kühle Küstenwüsten mit häufigem Nebel und stark ausgeglichener Jahresamplitude. Lüderitz zeigt auch schwache Einflüsse von Winterregen aus dem Kap-Klima.

Generell bedeutet Wüste im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein vegetationsarmes oder vegetationsloses Gebiet. Hitze und Trockenheit, also Wassermangel, gelten als gängige Ursachen für die karge oder fehlende Flora: Die potenzielle Verdunstung übertrifft in Vollwüsten den Jahresniederschlag um ein Vielfaches. Alle Monate des Jahres sind arid, in ihrer Niederschlagsbilanz also negativ (Abb. 2). Auch Boyko (1955, zit. in Evenari 1985) definiert Wüste kurz mit „Desert is an area with a waterless surface as a result of poor and erratic rainfall.”, klammert in dieser Generalisierung jedoch weitere prägende Kennzeichen aus. Denn Wüsten sind charakterisiert durch eine Zahl an gemeinsamen Merkmalen wie Klima, Wasser, Gewässernetz, Böden, Vegetation, Tierwelt usw. – die jeweiligen Wissenschaftler richten bei ihrer Kennzeichnung jedoch häufig den Fokus auf ihre Spezialdisziplin, was auch in abweichenden Definitionen sichtbar wird. Zum vertieften Verständnis von Wüsten als Lebensräume und Ökosysteme ist im Grunde aber eine ganzheitliche, synthetische Betrachtung nötig.

Wüsten sind nach Shreves weitergefasstem Begriff (1951) im Wesentlichen ein Gebiet mit niedrigem und unregelmäßig verteiltem Niederschlag, geringer Luftfeuchte, hohen Lufttemperaturen, starkem Wind, Böden mit wenig organischen Bestandteilen und hohem Gehalt an mineralischen Salzen, violenter Erosionstätigkeit durch Wasser und Wind, sporadischem Abkommen von Flüssen und schwach entwickelter dendritischer Dränage. Für A. Gabriel (1961) sind demgegenüber „echte Wüsten“ charakterisiert durch „… Niederschlagsarmut, eine große tägliche Temperaturschwankung (Maxima in der Sonne von 70 °C bis Minima von –10 °C mit Eisbildung, nachts, in Gebirgen und im Winter) und ferner Vegetationslosigkeit der Oberfläche, die 50 % übersteigen soll.“ Ein dazu oft kolportiertes, bezeichnendes Zitat von Einheimischen lautet „Die Wüste ist ein sehr heißes Land, in dem es (nachts) sehr kalt ist.“ (ebd.). So ließen sich Umschreibungen beliebig fortführen mit dem Ergebnis, dass es eine kurze und pauschal zutreffende Definition nicht gibt. Die global weit verteilten Wüsten sind häufig Individuen. Sie haben viele gemeinsame Merkmale, aber oft in unterschiedlicher Kombination.

Diverse Autoren haben versucht, mit Hilfe von Ariditätsindizes Typen von Trockengebieten und Wüsten auszugliedern. So unterscheidet Dubief (1950, zit. n. Besler 1992) Vegetationstypen nach der Anzahl der Tage, die zur Verdunstung des Jahresniederschlags benötigt werden (= Faktor D):

 semi-aride Steppe D >28 → diffuse Vegetation.

 Halbwüste D >3 – 4 → diffuse Vegetation.

 Vollwüste D >1 → kontrahierte Vegetation.

 Extremwüste D <1 → kontrahierte Vegetation.

Capot-Rey (1953, zit. in Besler 1992) ermittelt seinen Ariditätsindex (I) aus Jahres- und Monatswerten des Niederschlags P, p und der Verdunstung (Evaporation) E, e:

I = ½ (100 P/E + 12 p/e). Nach der Höhe des Index differenziert er die Trockenheitsverhältnisse. Da eine diagnostische Unterscheidung nach der Vegetation – als der wohl aussagekräftigsten Übereinstimmung mit dem Klimamilieu – von Capot-Rey nicht getroffen wurde, wird seinen Indizes jeweils eine empirisch ableitbare Vegetationsformation zugeordnet:

 I = 0 – 0,3 = hyperaride → Extremwüste: völlige Vegetationslosigkeit.

 I = 1,25 – 0,3 = plioaride (= voll-arid) → Vollwüste: keine diffuse, sondern nur noch kontrahierte Vegetation in Tiefenlinien; der Raum erscheint weitgehend vegetationslos.

 I = 4 – 1,25 = mésoaride (= mäßig arid) → Halbwüste/Wüstensteppe: lückenhafter Bewuchs wird auch am Horizont noch deutlich.

 I = > 4 oder 5 = semi-aride Trockensavanne oder Trockensteppe: Vegetation ist im Vordergrund wie in der Fläche noch lückenhaft, vermittelt aber den Eindruck geschlossenen Bewuchses am Horizont.

Bei dieser groben Zuordnung von Indizes zu Vegetations-Bedeckungsverhältnissen ist der bei außergewöhnlich ergiebigen Niederschlägen auftretende ephemere Pflanzenwuchs nicht berücksichtigt (Kap. 7.1.2). Auch ist die Korrelation für den australischen Kontinent nicht geeignet. Die gleichmäßigere Niederschlagsverteilung (Zeit und Raum) erzeugt dort spezifische Verhältnisse: Vollwüsten mit kontrahierter Vegetation treten nicht auf. Auch im Köppen’schen BW-Klima Australiens dominieren Halbwüsten oder Baum-Strauch-Savannen.

Typische Merkmale einer Wüste zeigen sich vielfach in geringer Bewölkungsintensität und starker Insolation. Der Wind verstärkt die Verdunstung/Austrocknung, führt des Weiteren zu charakteristischen äolischen Prozessen wie Deflation, Korrasion, Umlagerung und Akkumulation). Aus geomorphologischer Sicht unterscheidet Kaiser (1923) die Dynamik der Wüste von angrenzenden Gebieten mit periodischen Niederschlägen: Letztere sind semi-arid mit dominant fluvialer Abtragung und Sedimentation durch regelmäßig wiederkehrende Regenperioden, mit ausgesprochenem Wechsel von humiden und ariden Jahreszeiten. In Wüsten mit ihren episodischen Niederschlägen dagegen ist „… neben aeolischer Abtragung und Sedimentation am wichtigsten die fluvio-aride Abtragung und Sedimentation durch die Schichtfluten …“. Diese entstehen durch gelegentliche Starkregenereignisse, wie sie für tropisch-subtropische Gebiete typisch sind.

Nahezu alle auf die Alte Welt fokussierten Definitionen von Wüste oder Vollwüste zielen auf die durch Trockenheit und Wärme oder Kälte sowie ungünstige edaphische Eigenschaften verursachte Armut an Pflanzen oder Vegetationslosigkeit. Nur Spezialisten in der Pflanzen- und Tierwelt kommen mit der Lebensfeindlichkeit der Wüste zurecht. In der Neuen Welt oder in Australien legt man den Begriff, wie erwähnt, wesentlich breiter aus. So werden dort noch Wüsten verzeichnet, wo andere Autoren die Zuordnung z. B. zu Wüstensteppen oder Dornbuschsavannen vornehmen würden. Insofern bleibt auch für dieses Buch das Dilemma, mit diesen begrifflichen Unterschiedlichkeiten zurechtkommen zu müssen.

Typisch sind für die ariden Regionen starke interannuelle Schwankungen im Niederschlagsverhalten; sie können in vielen Wüsten und Halbwüsten 50 –100 % erreichen. Extrem-aride Gebiete mit ihren charakteristischen episodischen Niederschlägen entfalten nennenswerte Vegetation nur dann, wenn die unregelmäßigen Regenfälle sich in nicht zu kurzem und nicht zu weitem zeitlichen Abstand wiederholen. Dann kann das Phänomen der „blühenden Wüste“ auftreten, in dem die als Samen oder Knollen überdauernden Pflanzen (Ephemere) in großer Zahl austreiben und ihren Lebenszyklus bis zur Blüte und Frucht entfalten können. Dies sind zwar Ausnahmesituationen, aber dennoch ein charakteristisches Merkmal des hochvariablen Niederschlagsverhaltens von Wüsten. Indem episodische Niederschläge rasch abfließen und „in nicht erreichbare Tiefen“ versickern, ist deren ökologische Wirkung folglich sehr begrenzt, was den Wüstencharakter verstärkt.

Auch wenn in typischen Wüsten der primäre Landschaftseindruck vom unverhüllten Blick auf Verwitterungsdecken, Sedimente oder anstehendes Gestein dominiert wird: Es erscheint zweckmäßig, zur allgemeinen Verständigung den Begriff Wüste über die Vegetation (Bewuchsdichte, räumliche Anordnung, Artenspektrum) zu definieren und weitere geomorphologische Typisierungsmöglichkeiten wie Sand-, Kies- oder Felswüste in einen anderen Kontext zu stellen. Diese haben meist eine komplexe und unterschiedliche Vorgeschichte, sodass sie sich als primäre Definitionsmerkmale für Wüsten nicht eignen. Sie bilden eine eigene Kategorie in der Typisierung (vgl. Kap. 10).

Botanische Merkmale – auch wenn sie in Vollwüsten nur spärlich in Erscheinung treten – bieten sich als landschaftsprägender Vergleichsmaßstab an, zumal auch andere Großräume der Erde durch ihre Vegetationsverhältnisse unterschieden werden. Schließlich dokumentiert sich die globale Klimadifferenzierung am eindringlichsten im natürlichen Pflanzenwuchs, in Vegetationsgesellschaften: z. B. Tundra – Borealer Nadelwald – Steppen – Wüsten – Savannen – tropische Regenwälder (Abb. 3). Verallgemeinert drücken Pflanzengesellschaften längerfristige Niederschlags- und Temperaturbedingungen, Saisonverläufe, Vegetationsperioden, Standorteinflüsse, Wasserbilanzen eines Raumes aus.


Abb. 3

Tropisch-subtropische Wüsten und Halbwüsten in ihrer Stellung innerhalb benachbarter Vegetationsformationen bzw. Ökozonen. Trotz der sehr unterschiedlichen Festlandsverteilung lässt sich das Schema für beide Halbkugeln verwenden (veränd. n. Schultz 2008).

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