Hannuschka – Gefundenes Glück

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Hannuschka – Gefundenes Glück
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Wilhelm Tramitzke

HANNUSCHKA –

GEFUNDENES GLÜCK

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Diese Erzählung ist frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen

Personen oder mit Ereognissen, die stattgefunden

haben, wären daher rein zufällig und

unbeabsichtigt.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Hannuschka – Gefundenes Glück

Hannelore Roßfeld geb. Köhler, schaute wehmütig, mit einem undefinierbaren Glanz in ihren Augen, als ob ihre Gedanken weit in die Vergangenheit zurückgehen würden. Ich sitze in einer verschwiegenen Ecke mit Hannelore, der Besitzerin eines der nobelsten und renommiertesten Hotels im Schwarzwald, bei einem Tässchen Kaffee, denn die Dame des Hauses wollte beim Erzählen ihrer Erinnerungen ungestört sein. Ihre Augen nahmen einen trüben Glanz an, als wollten sie die Zeit erspähen, welche nun der Anfang ihrer Geschichte ist.

Hannelore erzählte und ich hörte mir ihre aufregende und gleichzeitig beruhigende Geschichte an. Ich war in eine andere Welt versetzt, in eine Welt, die unglaublich klingt und doch so lebensnahe erscheint.

Es war das Jahr 1940, als meine Eltern von dem Ort Tramnitz in Brandenburg nach Kalisch im Warthegau gezogen sind. Besser gesagt, mein Vater wurde nach Kalisch versetzt. Damals war ich gerade mal vier Jahre und als einzige Tochter hatte ich eine schöne Kindheit verlebt. In meinem Alter bekam ich nichts von Kriegswirren und den politischen Machenschaften der Partei mit, obwohl mein Vater wegen seiner Parteizugehörigkeit als kleiner Sekretär nach Kalisch versetzt wurde, erzählte Hannelore weiter, und ich hörte ihr, ohne sie zu unterbrechen, zu.

1945 konnten meine Eltern nicht mehr flüchten und sie fielen in die Hände der polnischen Partisanen, von denen sie dann erschossen wurden. All das bekam ich mit meinen neun Jahren nicht mit und im Wirren der Zeit befand ich mich plötzlich in einem einzelnstehenden Bauernhaus bei Kalisch, dessen Besitzer ein Herr Krzysztof Wawrzyniec und dessen Ehefrau Katarzyna waren.

Zu dieser Zeit konnte ich kein Polnisch und die Wirtsleute konnten nur wenige Worte Deutsch. Immerhin konnten sie mir erklären, dass meine Eltern tot seien und ich nun bei ihnen bleiben müsste. Freundlich waren sie nicht zu mir, denn ich war für sie ein Nazikind und die hat man nicht schonend zu behandeln.

Hier fing das Martyrium an!

Alle nur erdenklichen Arbeiten musste ich ausführen, ob in der Küche, auf dem Felde und in den Ställen, überall musste ich mithelfen, und wenn es auch die schwersten Arbeiten waren.

Man nannte Hannelore die „Niemca“ (Deutsche), auch Hitlerovsca und Nazi, was Hannelore durch ihren psychischen Zustand nicht so genau wahrnahm.

Auf dem Hof der Familie Wawrzyniec arbeitete auch Josef Marek, ein junger Pferdeknecht, welcher Hannelore zur Seite stand und sie bei solchen Attacken schützte.

Auch half er ihr bei ihren schweren Arbeiten, wo er nur konnte.

Lassen wir nun die Zeit erzählen.

Pani (Frau) Wawrzynieca, sie nannte Hannelore Hannuschka, fiel auf, dass das Kind oft weinte und sich in ihren Alpträumen wälzte. Hannelore, durch ihre viele Arbeit abgelenkt, war seelisch angeschlagen und ihr Zustand bedurfte großer Fürsorge, um dass sie nicht körperlich und seelisch zugrunde geht.

Nächtelang unterhielt sich das Ehepaar Wawrzyniec über Hannelores Zukunft, denn das Ehepaar hatte keine Kinder, was sie zu folgenden Überlegungen veranlasste. Frau Wawrzynieca, welche der Hannelore gegenüber stets kühl und ablehnend gegenübertrat, muss sich nach ausgiebiger Unterhaltung mit ihrem Ehemann über Nacht zu einer Glücksfee verwandelt haben.

Hannuschka, sagte sie am nächsten Tag zu Hannelore.

Du wirst nur noch im Haushalt arbeiten und mir beim Kochen, Waschen und sonstiger Hausarbeiten helfen. Ich will, dass du in die Schule gehst und die polnische Sprache erlernst, was für dich zum Vorteil sein wird. Ich werde dafür sorgen, dass man dich nicht mehr ausschimpft und hässliche Namen für dich gebraucht. Fühle dich als unser Kind und ich hoffe, dass du durch fleißiges Lernen uns viel Freude bereitest.

Hannuschka wusste nicht, wie ihr geschah, und sie fiel Frau Wawrzynieca um den Hals, was der Frau ein paar Tränen entlockte.

Seit diesem Ereignis verging eine lange Zeit und auf dem Hof harmonisierte sich die Lage aufs Beste und es herrschte eine friedliche Idylle, die man als mustergültig bezeichnen konnte.

Hannuschka entwickelte sich als ausgezeichnete Schülerin, sie konnte bald fließend Polnisch sprechen und in der Schule hatte sie die besten Noten.

Noch hatte sich Hannuschka keine Gedanken über ihre Zukunft gemacht. Sie hatte alle Freiheiten, sie besuchte das Theater in Kalisch, ging ins Kino, zum Tanzen, doch sie übertrieb die Sache nicht und hielt sich stets im Rahmen.

Das Ehepaar Wawrzyniec und Hannuschka lebten rundum glücklich, doch über einen beruflichen Werdegang wurde nie gesprochen. Hannuschkas Kindheit verschwamm im Nebel der Zeit und sie konnte sich kaum noch an ihre leiblichen Eltern erinnern. Das Schicksal schlug so manche Bresche, und so war es auch bei Hannuschka. Sie nannte Frau Wawrzynieca liebevoll „mamusia“ (Mutti, Mama).

Eines Tages bat sie die „Mamusia“, ob sie auch mal das Frühstück zubereiten dürfte, denn sie möchte eine geschmälzte Kartoffelsuppe als Frühstück zubereiten. Staunend, aber mit großer Freude erlaubte Frau Wawrzynieca der Hannuschka das Frühstück zuzubereiten. Man kannte diese Art von Frühstück auf dem Lande, und die „Mamusia“ konnte des Lobes nicht genug ausdrücken, so hatte ihr die Kartoffelsuppe von Hannuschka geschmeckt. Mit dieser Kartoffelsuppe legte Hannuschka den Grundstein für ihren späteren Beruf.

Sie ließ sich von diesen Gedanken nicht abbringen, und wollte nun allen Ernstes „Köchin“ werden!

Hannuschka besuchte Seminare, durchstreifte viele Lehrgänge, die mit Ernährung und Gastronomie zu tun hatten und ließ sich nicht nehmen, auch einige Zeit als Angestellte in Hotels zu arbeiten, wo sie von der Schippe an das Handwerk eines Hoteliers lernen wollte. Sie durchlief als Zimmermädchen, als Putzfrau, als Fräulein an der Rezeption die einzelnen Arbeitsgänge, bis sie schließlich in der Küche landete.

Das war eigentlich ihr Ziel, und nun sah sie, wie eine Hotelküche organisiert und aufgebaut war. Ihr Ehrgeiz nahm kein Ende und sie ging mit voller Energie an ihre Aufgabe und ließ sich jedes noch so kleine Detail, was die Organisation und Aufbau der Arbeitsgänge betrifft, erklären.

Mit Erlaubnis und Einvernehmen ihrer Pflegeeltern lernte Hannuschka ihren Beruf als Köchin in Lodz und sie war in ihrem Lerneifer unübertrefflich. Kein Wunder, dass ihre Lehrkräfte sie über alles lobten, und dementsprechend bekam sie zum Abschluss der Lehre den besten Eintrag in ihr Diplom.

Von der Fachwelt her war man der Ansicht, dass Hannuschka mit ihren Kenntnissen und praktischen Erfahrungen bereits jetzt schon als „Chef de cuisine“ fungieren könnte, was ihren Stolz noch erhöhte. Trotz all dieser Lobhudelei blieb Hannuschka das einfache Mädchen und war zu allen ihren Bekannten stets die Freundin geblieben. Eines konnte man ihr nicht nehmen.

Sie erklärte voller Stolz ihren Pflegeeltern den Ablauf ihrer Lehre und was sie ganz besonders hervorhob, waren die „Küchenposten“ in einem besonders renommierten Hotel internationaler Prägung.

Was sie ihren Pflegeeltern erklärte, entspricht nicht der Vollständigkeit eines international renommierten Hotels. Wollte man ins Detail gehen, so würde man zeitlich gesehen stundenlang erklären müssen, was ihre Eltern dann sowieso nicht verstehen würden.

Hannuschka beschränkte sich auf das Wesentliche und erklärte nur das Notwendigste.

Küchenposten:

„Chef de partie“ (Posten-Chef)

Die verschiedenen Posten sind von Postenchefs besetzt.

Es ist zu verstehen, dass jeder Posten von einem Postenchef besetzt ist.

Die Rangordnung.

„Directeur de Cuisine.“ (Küchendirektor)

In einem Etablissement mit mehreren Küchen unterstehen die Köche dem Directeur de Cuisine.

Was Hannuschka für sehr bedeutend fand, ist ihrer Ansicht nach der Küchenchef:

„Chef de Cuisine.“

Der Küchenchef muss soweit alles im Griff haben, insbesondere muss er sich um die Wareneinkäufe, die Erstellung der Speisen sowie um die Preiskalkulation kümmern, weiterhin die Dienstpläne erstellen und sich auch um die Aus- und Weiterbildung des Küchenpersonals kümmern.

Folgend wäre noch der stellvertretende Küchenchef, „Sous Chef“ zu erwähnen.

 

Das Wort Stellvertreter sagt schon alles, denn er muss bei Abwesenheit seines Chefs diesen vertreten.

Das dürfte wohl die Führungsspitze sein.

Nun kann man zu den Küchenposten übergehen und einige Hinweise geben und ihre Bedeutung erklären.

„Saucier“ (Saucen-Posten)

Laut Erklärung übernimmt der Saucier den Posten des stellvertretenden Küchenchefs, wenn kein Sous-Chef vorhanden ist.

Ansonsten befasst sich der Saucier mit der Herstellung von Saucen, Brühen, Fonds und auch mit der Herstellung von Ragouts u.v.m.

„Gardemanger“ (kalte Küche)

Im Lexikon erscheint das Wort „Gardemanger als Speiseschrank, Speisekammer, doch jeder Berufsstand hat seine eigenen Ausdrücke und dabei wollen wir es belassen.

Der Gardemanger ist zuständig für die Herstellung von Salaten, kalte Saucen, kalte Büffets, Dressings u.v.m. Sollte es kein Hors d’Oevrier geben, so übernimmt der Gardemanger auch die Zubereitung der Vorspeisen.

„Hors d’Oevrier“ (Vorspeiseposten)

sagt schon, dass er die Vorspeisen zubereitet, hilft aber dem Gardemanger bei der Herstellung von Saucen und Salaten.

„Entremetier“ (Gemüse und Beilagen-Posten) Kurz und bündig. Er stellt Sättigungsbeilagen und Eierspeisen her und außerdem bereitet er Gemüse zu.

„Legumier“

ist nur für das Gemüse zuständig.

„Poissonier“

bereitet alle Fischgerichte und Fischsaucen vor mitsamt den Schalen-, Krusten- und Weichtieren“.

„Rotisseur“

ist für die Herstellung von Braten aus Schlachtfleisch, wie Rind, Schwein, Geflügel und Wildgeflügel zuständig.

„Grillardin“

sagt schon das Wort, dass es ein Fachmann (Frau) im Grillen sein muss.

„Patissier“

stellt Süßpeissen Desserts, Kuchen, Torten Gebäck uvm. Her.

„Boucher“(Schlachter, Metzger), er entbeint das Schlachtfleisch und bereitet es für andere Posten vor. Außerdem stellt er Wurstwaren her.

Nun folgt der Name „Tournant“, der so vielseitig erklärt werden kann, doch in der Gastronomie hat er einen besonderen Sinn, was seinem Namen alle Ehre macht.

„Tournant“ (Springer)

Springer klingt so nichtssagend, als ob da ein Laufbursche am Werk wäre. Dem ist nicht so! Der Springer muss alle Posten beherrschen und immer dann einspringen, wenn ein Chef de Partie ausfällt oder abwesend ist.

Alle Posten beherrschen sagt schon viel, doch im letzten Satz erkennt man, was der Tournant für eine respektable Person ist.

Die Rolle eines Tournant wird häufig von Köchen übernommen, welche vor der Prüfung zum Küchenmeister stehen.

Weiterhin erscheint ein sehr wichtiger Posten, was für einen guten Ablauf in der Gastronomie unerlässlich ist.

„Der „Annoncier“

Diese Figur ist Mitglied der Küchenbrigade, sozusagen das Bindeglied zwischen Küche und Servicepersonal.

Er gibt die Bestellungen in der Küche ab, und kontrolliert sie beim Verlassen der Küche auf ihre Richtigkeit,

„Guten Appetit“

Diese vorhergehenden Beschreibungen über das Leben in einer Großküche erklärte Hannuschka voller Stolz ihren Pflegeeltern, welche sie liebevoll in ihre Arme nahmen und vor Stolz strotzten.

Da Hannuschka ihre Berufsausbildung mit den besten Noten abgeschlossen hatte, blieb sie vorübergehend bei ihren Pflegeeltern und legte nach all diesen Strapazen eine Ruhepause ein.

Noch hatte sie keine Vorstellung, wie sie ihren Beruf anwenden wollte, denn ihr Wissen und Können in der Gastronomie gab ihr den Ehrgeiz, zu Höherem zu tendieren.

Hannuschka ging ihrer Volljährigkeit entgegen und das machte Frau Wawrzynieca und ihrem Mann große Sorgen, denn sie wussten, dass die Behörden früher oder später kommen werden, um Hannuschka vor die Wahl zu stellen, entweder sich adoptieren oder sich in die Deutsche Demokratische Republik abschieben zu lassen. Diese Alpträume machten den Pflegeeltern schwer zu schaffen, wogegen Hannuschka ahnungslos ihrer alltäglichen Arbeit nachging.

Sie half ihrer „Mamusia“, wo sie nur konnte und vergaß auch nicht, irgendwelche Eventualitäten zu organisieren. So z. B organisierte sie Kochkurse für Anfänger, welche auch sehr frequentiert wurden.

Hannuschka zeigte sich immer aktiv und war unermüdlich in ihrem Ehrgeiz.

Ihr nun liebgewonnener Freund Josef Marek hatte sich inzwischen vermählt und es lief bereits ein kleiner Hosenmatz in der Wohnung des Marek umher.

Auch hier kümmerte sich Hannuschka sehr um das Wohl des Kindes, denn sie vergaß nicht, wie ihr Marek in ihrer schweren Jugendzeit zur Seite stand. Alles schien so friedlich und still, doch die aufkommenden dunklen Wolken am Horizont sah niemand.

Gottes Mühlen mahlen langsam aber sicher, heißt es im Volksmund, und tatsächlich erschien ein Beamter der Ausländerbehörde und brachte gleich den Ausweisungsbescheid für Hannuschka mit. Im Hause Wawrzyniec hob ein herzzerreißendes Weinen an und auch Herr Wawrzyniec konnte seine Tränen nicht verbergen. Es sprach sich im Ort schnell herum und die Leute gingen auf die Straße, um gegen die Ausweisung zu protestieren.

Alle Proteste nützten nichts, denn eine beschlossene Sache in einem totalitären Staat ist endgültig und daran gab es nichts zu rütteln.

Alle auf dem Anwesen von den Wawrzyniec waren geschockt und es trat eine große Traurigkeit ein, welche alle ergriffen hatte.

Frau Wawrzynieca konnte man nicht beruhigen und man musste sie in ärztliche Behandlung geben, so schlimm hatte sie die Ausweisung von ihrer geliebten Hannuschka getroffen.

Die Ausweisung musste nicht gleich erfolgen. Man ließ Hannuschka Zeit, um alle ihre Sachen zu erledigen und sich von all ihren Freunden verabschieden zu können.

Man saß noch tagelang zusammen und beratschlagte, wie man aus der Sache das Beste machen könnte und wie es dann weitergehen soll. Man versprach sich gegenseitig, dass die Verbindung zueinander niemals abreißen wird. Hannuschka versprach hoch und heilig ihrer „Mamusia“, dass sie immer zur Familie Wawrzyniec gehören wird.

Der Tag der Abreise ließ nicht lange auf sich warten und eine große Menschenmenge versammelte sich auf dem Bahnhof, um Abschied von ihrer geliebten Freundin Hannuschka zu nehmen. Es war kaum mit anzusehen, wie die Verabschiedung von Hannuschka von ihrer Pflegemutter vor sich ging. Sie klammerten sich aneinander und wollten sich nicht mehr loslassen. Schweren Herzens und mit gutem Zureden gelang es Herrn Wawrzyniec, seine Frau von Hannuschka zu lösen, um dass sie in den Zug steigen konnte.

Hunderte und aberhunderte Menschen winkten mit ihren Taschentüchern dem Zug nach, in dem Hannuschka saß und einer ungewissen Zukunft entgegenfuhr.

„Ihr Ziel ist Dresden“

Nun saß Hannelore Köhler und nicht Hannuschka im Zug von Kalisch nach Dresden.

Sie ließ ihr Leben Revue passieren und und dachte an die Kartoffelsuppe, welche der Anfang zum ihrem Diplom als Köchin war. Sie hatte nun genügend Kenntnisse in der polnischen Küche und zum Teil kannte sie auch die russischen kulinarischen Speisen aus dem ff.

Da die Reise von einem Bruderstaat in den anderen ging, machte sich Hannelore keine großen Gedanken, doch eines ging ihr nicht aus dem Sinn.

Warum suchte niemand aus dem Ort Tramnitz nach ihr?

Waren vielleicht ihre toten Eltern dort auch Zugereiste und hinterließen keinerlei Hinweise über ihre Verwandtschaft?

Dass die Familie Wawrzyniec nicht nach Verwandten von ihrer lieben Hannuschka suchte, ist verständlich. So gab sich Hannelore in ihr Schicksal, und hoffte auf die deutsche Gründlichkeit bei ihrem weiteren Leben in Deutschland, wie sie die DDR nannte.

Die Probleme, welche noch auf sie zukommen sollten, betrachtete sie nicht als Probleme, eher noch als ein Lebensstudium für ihr weiteres Fortkommen. Da Hannelore als Köchin international anerkannt war, musste sie sehr wahrscheinlich ihre Kenntnisse nur noch mündlich in Deutsch beweisen, um ein deutsches Diplom zu erhalten.

Die Zukunft wird es mit sich bringen!

Die Ankunft in Dresden war für Hannelore kein besonderes Ereignis, denn ihre Gedanken waren eher noch bei der Familie Wawrzyniec und ihren Freunden, welche sie schon jetzt sehr vermisste.

Sie suchte für die Übernachtung ein Hotel aus, mit den Gedanken, dass sie den Service beschnuppern und so ihre ersten Eindrücke von einem deutschen Hotel bekommen kann.

Nachdem sie untergebracht war, nahm Hannelore abends eine Kleinigkeit zu sich, schaute sich im Hotel um, und ging schließlich in ihr Zimmer.

Wehmut trat in ihr Herz und sie sah sich wie vor zehn Jahren als Neunjährige, elternlos und die fremde Sprache nicht verstehend, allein und verlassen, und jetzt als Neunzehnjährige der eigenen Muttersprache nicht mächtig.

Ihre Traurigkeit nahm überhand.

Sie weinte!

Schwere Alpträume ließen sie unruhig hin und her wälzen und Hannelore musste am nächsten Morgen erst minutenlang überlegen, wo sie sich eigentlich befand.

Nach und nach hat sie sich gefangen und ging zur Morgentoilette, um sich für das Frühstück herzurichten.

Erst unentschlossen, aber dann kam ihr spontan der Gedanke, dass sie nicht unbedingt in Dresden bleiben muss, und so entschloss sie sich, nach München weiter zu fahren.

Von diesem Entschluss kam sie nicht ab und setzte ihre Reise nach München fort.

Nicht dass sie von irgendwoher einen Wink bekam, nein, es war reine Intuition, dass sie nach München fuhr.

Die Reise nach München beruhigte sie nicht und immer wieder schaute sie aus dem Fenster, doch sie nahm kaum etwas von der Natur wahr, so erregt war sie.

Sie machte sich Gedanken, wie sie wohl in München aufgenommen werden wird, denn so langsam erinnerte sie sich aus ihrer Kindheit, dass sie ja Deutsch gesprochen hat. Und nun traten die Erinnerungen immer stärker in ihr Bewusstsein.

Nach der Ankunft in München suchte Hannelore Köhler, so lautete ihr Name in den Ausweisungsdokumenten, das erst beste Hotel auf und bat die Hoteldirektion um Hilfe. Sie zeigte ihre Berufsdiplome und bat die Direktion um eine Anstellung im Hotel.

Die Hoteldirektion war nicht abgeneigt, nachdem sie ihre Zeugnisse eingesehen hatten, und man gab ihr sofort den Posten eines „Gardemanger“ was für Hannelore ein großes Glück bedeutete. Besseres konnte ihr nicht widerfahren.

Auch brachte man sie in einem sehr komfortablen Zimmer im Hotel unter, das mit der Entlohnung inbegriffen war.

Der Hoteldirektor äußerte sich im engeren Mitarbeiterkreis, dass ihnen nichts Besseres passieren konnte, als solch eine ausgebildete Fachkraft einzustellen.

Als Menschenkenner und Kenner der Materie sah der Direktor, nachdem er Hannelores Zeugnisse geprüft hatte, dass er eine bereits in der internationalen Küche ausgebildete Person vor sich hatte.

Daher auch seine begeisterten Worte an seine Mitarbeiter dieses sehr renommierten Hotels.

Die Hoteldirektion nahm Hannelore alle behördlichen Gänge ab und meldete sie bei den Behörden an. Was der Hannelore noch besonders am Herzen lag, war, dass sie so schnell wie möglich einen Deutschkurs belegen wollte, denn nun trat das ein, was 1945 in Polen geschah. Dort musste sie Polnisch lernen und nun umgekehrt ihre eigene Muttersprache.

Auch hier wusste die Direktion die Lösung, denn es war in ihrem Interesse, dass ihr Personal Deutsch sprach.

Hannelore wurde auf Kosten des Hotels bei einem Seminar für Sprachen angemeldet, welches nur in den Abendstunden unterrichtete, was für Hannelore von großer Wichtigkeit war.

Sie konnte es kaum glauben, dass alles so reibungslos verlief und bedankte sich bei der Direktion sogar in ihrer holprigen deutschen Sprache, was dem Direktor ein Lächeln entlockte. Schon gut mein Kind, sagte der Direktor väterlich.

Nun berichtete Hannelore ihren Pflegeeltern in Polen, wie sie glücklicherweise eine sehr gute Arbeitsstelle in einem Münchner Hotel bekommen hat und dass sie von ihrem Arbeitgeber einen Deutschkurs bezahlt bekommt.

Enthusiastisch schilderte Hannelore ihre Reise sowie die folgenden Ereignisse, doch eine gewisse Traurigkeit konnte man zwischen den Zeilen lesen.

Ihre Melancholie verschwand nach und nach und es kehrte wieder Ruhe in ihr Leben ein.

Hannelore begann zwar aufgeregt ihre Arbeit in der Küche, doch bald harmonisierte sich alles und sie arbeitete Hand in Hand mit ihren Kolleginnen und Kollegen, was bei den anderen ein Staunen hervorrief.

 

Immerhin war ihre Arbeitsstelle „Gardemanger“ ein Chefposten, was die anderen Postenchefs respektierten, denn sie sahen, dass schon am ersten Arbeitstag ihre neue Kollegin die Arbeit in Perfektion ausführte.

Besser konnte der Arbeitstag nicht beginnen und Hannelore ging nach getaner Arbeit, mit sich zufrieden und glücklich, in ihr Zimmer und ruhte sich erstmal von der Tagesmüh und Plag aus, bevor sie sich für die Nachtruhe vorbereitete.

Mein lieber Freund, sagte Hannelore zu mir, und riss mich aus meinen Gedanken beim Erzählen ihrer Geschichte, denn ich bin mit Hannelore eng befreundet und wollte sie nicht unterbrechen. Dem „Lieber Freund“ ergänzte sie mit dem Satz, dass sie müde wäre und sich zurückziehen möchte.

Ihre bisherige Erzählung ergriff mich emotional und ich konnte ihren Worten nur sehr vage folgen, bis ich begriff, dass wir schon längere Zeit dasitzen, und ich ihrer Erzählung zuhörte.

Natürlich, liebe Freundin, sagte ich noch halb abwesend zu Hannelore, und sie sagte im selben Moment, dass wir unsere Unterhaltung morgen weiterführen könnten. Es wäre schofel von mir gewesen, wenn ich meine Freude nicht durch eine Umarmung gezeigt hätte. Wir trennten uns mit den Gedanken, dass wir uns am nächsten Tag wieder treffen werden, um unsere unterbrochene Unterhaltung weiter zu führen.

Hannelore ließ sich schon mit 60 Jahren aufs Altenteil setzen, doch das Sagen im Hotelbetrieb hatte sie immer noch, was sie aber selten anwendete.

Unsere Unterhaltung am nächsten Tag begann wieder bei einer guten Tasse Kaffee und man merkte mir meine Aufregung an, denn das Schicksal meiner großen Freundin Hannelore ging mir sehr ans Gemüt.

In einem guten Hotel muss die Arbeit immer reibungslos und fehlerfrei ablaufen, und so war es auch in dem renommierten Hotel, wo Hannelore ihre Arbeitsstelle hatte. Sie fühlte sich rundum glücklich, denn sie wusste, dass sie jegliche Hilfe von der Direktion erhalten würde, und dementsprechend setzte sie ihre ganze Kraft und ihr Wissen für das Hotel ein.

Es vergingen Monate und Hannelore machte bei ihren Abendkursen in Deutsch sehr gute Fortschritte, und suchte nebenbei Gesprächspartner, um außerhalb der Kurse ihre Deutschkenntnisse zu perfektionieren. Sie nahm keinen Dialekt an, sondern sprach Schriftdeutsch, was für ihren beruflichen Fortschritt von Vorteil war.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?