Buch lesen: «Speisenmanagement in der Sozialverpflegung»
Wilfried von Eiff (Hrsg.)
Speisenmanagement in der
Sozialverpflegung
Qualitäts-, Wirtschaftlichkeits- und Marketingaspekte der Verpflegung in Krankenhäusern, Reha-Kliniken und Pflegeheimen
Vorwort des Herausgebers
„Satt werden oder Begeisterung empfinden?“
Die Speisenversorgung in Krankenhäusern, Reha-Kliniken und Pflege-/Seniorenheimen ist Quelle der Patientenzufriedenheit (und damit ein Marketingfaktor zur Positionierung im Wettbewerb) und Rationalisierungsobjekt zugleich. Es geht also um die zentrale Frage des Zwecks der Speisenversorgung in Gesundheitseinrichtungen: Soll der Patient oder Heimbewohner „satt werden“ oder soll er durch schmackhaftes Essen „Begeisterung empfinden“?
Die vom Centrum für Krankenhaus-Management durchgeführte Studie „Patientenorientierung und Prozessoptimierung in der Speisenversorgung von Krankenhäusern“ zeigt, dass sich jedes sechste Krankenhaus veranlasst sieht, eine Veränderung der eigenen Warmküchenverpflegung anzugehen. Die Gründe sind die Sicherstellung der Hygienestandards, Unzufriedenheit der Patienten, absehbar notwendige Investitionen in Küchentechnik, Kostendruck und Sparzwang sowie Nutzung des Speisenmanagements als Marketingfaktor. In dieser schwierigen Entscheidungssituation, die von emotionalen Vorurteilen (drohender Verlust von Arbeitsplätzen) betriebswirtschaftlichen Interessen Dritter (Berater/Küchenplaner/Hersteller von Küchengeräten), mangelhafter Kenntnis der organisatorischen sowie technologischen Alternativen und internem Kostendruck beeinflusst wird, kommt es darauf an, sich mit den verschiedenen Möglichkeiten der Speisenversorgung vertraut zu machen.
Diese Informationslücke versucht das vorliegende Buch zu schließen. Dabei werden Management-Instrumente vorgestellt, die den Entscheidungsträgern in Sozialeinrichtungen helfen, die Situation in der Speisenversorgung zu analysieren sowie einen hausindividuellen strategischen Stellenwert des Speisenmanagements zu entwickeln.
Weiterhin geht es um objektive, auf Basis eindeutiger und nachvollziehbarer Kriterien durchzuführende Vergleiche zwischen verschiedenen Speisenproduktions-, Speisenvorteil- und Speisenorganisationsformen. Recherchen in der Praxis offenbaren, dass gerade auf diesem Sektor Entscheidungen eher durch Vorurteile denn durch Sachlichkeit geprägt sind.
Auch ist es Absicht dieses Buches, mit typischen Vorurteilen aufzuräumen: Dass die Convenience-Küche mit ihren Herstellungsverfahren Cook-and-Freeze und Sousvide in punkto Vitamingehalt, Vielfalt des Speisenangebots, Flexibilität, Hygienesicherheit sowie Speisenkonsistenz, Optik und Wirtschaftlichkeit dem traditionellen Cook-and-Serve-Verfahren tendenziell überlegen ist, wird von vielen Küchenchefs und Küchenberatern vor wie nach bestritten.
Die Speisenversorgung im Krankenhaus entwickelt sich zu einer hybriden Servicewelt:
• Fitte, kurzzeitchirurgische Patienten erwarten Restaurant-Standard in Hotelatmosphäre.
• Geburtshilfliche Stationen bieten separaten Rund-um-die-Uhr-Verpflegungsservice für die ganze Familie.
• „Langlieger“ werden mit abwechslungsreicher Normal- und Sonderkost versorgt.
• Patientengruppen mit schweren Erkrankungen werden durch Feinschmecker-Menüs nicht erreichbar sein.
Die zunehmende Bedeutung von Patientenhotels zur Unterbringung von Patienten mit geringen medizinischen und pflegerischen Versorgungsansprüchen sowie von Angehörigen, ebenso der wachsende Bedarf an sog. Transferstationen (Patienten zur Vorbereitung auf die Anschlussheilbehandlung in einer Reha-Klinik) beeinflusst auch den Trend zu qualifizierter, abwechslungsreicher und vitamingehaltvoller Verpflegung.
Fest steht: Auch und gerade in Zukunft ist und bleibt das Essen für viele Patienten das wichtigste positive Erlebnis eines Krankenhausantrages und beeinflusst Stimmungslage und Wohlbefinden erheblich.
Allen Autoren danke ich für ihre Bereitschaft, an diesem Sammelband mitzuwirken.
Mein besonderer Dank geht an meine Mitarbeiterin Alexandra Groth (MSc, BSc), die mit viel Engagement die Autoren betreute und die redaktionelle Koordination immer im Griff hatte.
Münster, im Juli 2013
Wilfried von Eiff und
Holzmann Medien | Buchverlag
Geleitwort
Mehr Zufriedenheit mit dem Essen in der Gemeinschaftsverpflegung
Die Zufriedenheit mit dem Essen ist für viele Menschen ein Faktor, der eng mit Lebensqualität und Wohlbefinden verbunden ist. Das bedeutet, dass es für sie nicht nur wichtig ist, was sie essen, sondern auch wann, wo, wie, warum und mit wem. Dies schließt neben Essatmosphäre und Raum auch die Mahlzeitenrhythmik, die zur Verfügung stehende Zeit, die anwesenden Personen und deren Beziehung zueinander, den Grad der Selbstbestimmung und vieles mehr ein. Neben der körperlichen Gesundheit des Menschen tritt damit auch die persönliche Befindlichkeit in das Blickfeld.
Wenn auch die Zufriedenheit mit dem Essen selbst im Privaten nicht immer erzielt werden kann, so ist es doch sinnvoll, gerade in der Gemeinschaftsverpflegung ein besonderes Augenmerk darauf zu legen. Besonders bei alten und kranken Menschen, die in Gemeinschaftseinrichtungen leben oder dort zeitweise untergebracht sind, fördert die Zufriedenheit mit dem Essen Lebensqualität und persönliches Wohlbefinden und unterstützt Gesundheit und Heilungsprozess. Auch wenn die Dr. Rainer Wild-Stiftung sich nicht explizit mit sozialen Einrichtungen beschäftigt, hat sie doch sehr gerne dieses Geleitwort übernommen – denn Lebensqualität, Wohlbefinden, Genuss und Geschmack sind für sie wichtige Themen. Sie fordert alle Verantwortlichen, an die sich dieses Buch richtet, auf, für das Essen in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Pflege- und Seniorenheimen die Zufriedenheit der Essensgäste stärker als bisher zu berücksichtigen.
Zwischen Kostendruck und Qualitätsanspruch
Das deutsche Sozial- und Gesundheitswesen unterliegt einem großen wirtschaftlichen Druck. Soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, Reha-Kliniken, Pflege- und Seniorenheime stehen in lokaler und überregionaler Konkurrenz. Kosteneffizienz ist nicht ihr einziges Ziel, aber heute immer wichtiger. Der Küche einer sozialen Einrichtung steht nur ein kleiner Anteil des Gesamtbudgets des Hauses zur Verfügung. Für Krankenhäuser liegen die Ausgaben für Lebensmittel pro Tag zwischen 2,40 und 7,– Euro (Daten aus 2005/2006). Kostensenkung kann eine Lösung sein, aber – gerade mit Blick auf die Behauptung gegenüber der Konkurrenz – auch eine Steigerung der Attraktivität. Schließlich geht man heute nicht mehr in das nächstgelegene Krankenhaus, Kurhaus oder Seniorenheim, sondern informiert sich zunächst ausführlich und wählt dann gezielt aus.
Wenn es um Attraktivität geht, ist es nicht verwunderlich, dass sich gerade das Essen anbietet. In vielen Fällen und von vielen Häusern wird dies jedoch gar nicht gesehen. Im Gegenteil, das Essen, die Ernährung ist inzwischen in manchen Häusern soweit dem Rotstift und der Rationalisierung zum Opfer gefallen, dass mancher dort wohnende Gast oder mancher entlassene Patient kein gutes Haar daran lässt. Man ist froh, „wieder raus“ zu kommen, denn das Essen, ja das Essen …
Das muss nicht so sein. Schließlich gibt es seit Herbst 2011 Qualitätsstandards für die Verpflegung in Krankenhäusern und ebensolche für die Verpflegung in Rehabilitationskliniken, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Qualitätsstandards bieten eine klare Orientierung für die ernährungsphysiologische Qualität des Essens, die – unbestreitbar – immer wieder weit hinter dem Möglichen zurückbleibt. Außerdem benennen die Qualitätsstandards erstmals auch solche Kriterien, für die es zwar (noch) keine nachweisbaren gesundheitlichen Effekte gibt, die jedoch auf die Zufriedenheit der Essensteilnehmer zielen: Essatmosphäre, Essenszeiten, Raum und Essplatz – also das wann, wo, wie und mit wem.
Eine Studie des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universität Freiburg befragte 1.500 Patienten sowie 25 Krankenhausverwaltungen über die Qualität der Krankenhausverpflegung.1 Sie ergab, dass das Essen in der Summe als zerkocht, fade und zu salzig bezeichnet, insgesamt jedoch überwiegend als gut beurteilt wurde. Dieses für die Autoren überraschende Ergebnis führte zu der Vermutung, dass sich gerade solche Häuser beteiligt hätten, die eine besonders gute Speisenversorgung anbieten. Das ist möglich. Es kann jedoch ebenso sein, dass viele Befragte in der Tat einigermaßen zufrieden sind. Wenn man die Ergebnisse näher betrachtet, fanden sich viele Widersprüche wie „zu viel“ und „zu wenig“, „zu heiß“ und „nur lauwarm“, „zu wenig Fleisch“ und „zu selten vegetarisch“ oder „zu sehr verkocht“ und „zu wenig durchgekocht“. Das gleiche Essen in verschiedenen Häusern serviert, wurde außerdem ganz unterschiedlich beurteilt. Einen Grund dafür konnte die Studie nicht nennen. Vermutet werden kann jedoch wiederum: Das was hängt mit dem wann, wo, wie und mit wem zusammen.
Hohe Erwartungen und divergierende Ziele
Alle an einer sozialen Einrichtung beteiligten Personengruppen haben ganz spezielle Erwartungen an das Essen. Die Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen ebenso wie die Patienten in Krankenhäusern legen beispielsweise Wert auf Geschmack, Auswahlmöglichkeiten, auf Selbstbestimmung der Mengen und auf freundlichen Service. Für Pflegekräfte und Stationsbetreuer sind ein reibungsloser Ablauf, ein überschaubarer Aufwand und die mögliche Rationalisierung ihrer Aufgaben zentral. Ärzte wiederum sehen Therapie, Prävention und die Umsetzung von Standards für wichtig an. Die Verwaltung schließlich muss auf die Kosten und die innerhäusliche Ablauforganisation ebenso wie auf das Ansehen des Hauses in der Öffentlichkeit achten.2
Heilungserfolg, Prävention, Gesundheitserziehung, Vorbildfunktion – man könnte das Essen in sozialen Einrichtungen mit vielen Zielen belegen. Manchem erscheint dies übertrieben, besonders dann, wenn die Aufenthaltsdauer nur kurz ist. Gerade für Präventionsanstrengungen gilt, dass sie nur langfristig erfolgreich sind. Anders sieht das bei kontinuierlicher Versorgung von Menschen durch eine zentrale Küche aus. Hier ist es gebotene Pflicht auf eine hohe Qualität der Verpflegung zu setzen, denn hier gilt der Umkehrschluss: Eine ungesunde Ernährung ist in jedem Fall kontraproduktiv.
Dass die Qualität des Essens den Behandlungserfolg unterstützt, wird heute allgemein angenommen. Welche Rolle die Essensqualität für die Steigerung der Attraktivität und die Beurteilung einer Einrichtung durch Patienten und Bewohner spielt, ist allerdings noch nicht abschließend
geklärt. So kam eine große Studie gesetzlicher Krankenkassen Ende 2012 zu dem Ergebnis, dass das Essen weniger wichtig sei und nicht bestimmend für die Wahl des Krankenhauses.3 Etwas anders sieht das die Mehrzahl der in der zitierten Freiburger Studie befragten Verwaltungen, für die die Qualität des Essens durchaus auch ein Marketingfaktor sein kann. Die Herausgeber dieses Buches zeigen außerdem, dass die Zufriedenheit mit dem Essen eng mit der Zufriedenheit mit dem Aufenthalt verbunden ist.4
Im Mittelpunkt steht der Mensch
Weitere Forschung zu diesen Fragen könnte hier mehr Klarheit schaffen. Doch ungeachtet dessen bleibt eines unbestreitbar: im Mittelpunkt allen Bestrebens steht der Mensch. Der Mensch in der Gemeinschaftsverpflegung ist abhängig von dem Angebot, das sich ihm bietet, meist sogar von einer Küche mit Monopol. Das Essen ist für ihn ein wiederkehrender fixer Punkt im Tagesablauf. Es strukturiert den Tag und hilft der zeitlichen Wahrnehmung – wenn es Mittagessen gibt, muss es offensichtlich schon Mittag sein. Essen ist für viele ein Ereignis, eines das teilweise sehnsüchtig erwartet wird. Je höher die Erwartungen, je größer die Vorfreude, desto größer die Enttäuschung und das Gefühl von Abhängigkeit, wenn es dann nicht schmeckt. Dies betrifft nicht nur die vielen medizinischen Indikationen, die eine besondere Diät erfordern; nicht die Mangelernährung, nicht die gastro-enterologischen Fälle, sondern auch die Menschen, die Erkrankungen ohne unmittelbaren Bezug zum Essen haben – ein gebrochenes Bein, eine Herz-Operation, ein Hautleiden. Ob es schmeckt, kann jeder Mensch beurteilen – viel besser als die Therapie, die Behandlung und den Ablauf der Prozesse. Das Essen ist vielfach (nahezu) das einzige, was jedermann beurteilen kann.
Der Aufenthalt besonders in Krankenhäusern und Reha-Kliniken ist kulinarisch gesehen eine Ausnahmesituation, in der keine Selbstbestimmung wie zu Hause möglich und das Ambiente „ganz anders“ ist – eine Ausnahmesituation, die im Fall des Senioren- oder Pflegeheimes zu einem Dauerzustand werden kann. Für die mit der Speisenverpflegung betrauten Beschäftigten von sozialen Einrichtungen ist es deshalb nicht leicht, es den Bewohnern recht zu machen. Zudem hat jeder Mensch andere Erwartungen, die aus seinen Gewohnheiten, seiner Kultur oder auch seinen persönlichen Erlebnissen entstanden sind. Der Grad seiner Sonderwünsche, persönliche Vorlieben und Abneigungen bestimmen mit, ob er sich mit dem angebotenen Essen arrangieren kann. Hier kollidiert die Individualität des Menschen mit einer Einrichtung, die nicht über individuelle, sondern über generalisierte Maßnahmen und Abläufe funktioniert. Viele Erwartungen können nicht und werden nicht erfüllt, denn jeder Bewohner, jeder Patient hat andere.
Zwischen diesen beiden Polen – das Essen kann und wird jeder beurteilen und dennoch wird man es nicht jedem recht machen können – bewegt sich unsere Forderung: Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und insbesondere die, die im Gesundheitswesen tätig sind, sollten sich der Zufriedenheit mit dem Essen stellen. Sie sollten sich zunächst fragen, ob sie Möglichkeiten sehen, die Zufriedenheit ihrer Bewohner und Gäste zu berücksichtigen. Sie könnten beispielweise die Kommunikation rund um die Prozessabläufe verbessern. Sie könnten ein System aufbauen,
das vereinzelt auf individuelle Wünsche einzugehen vermag. Sie könnten immer wieder nachfragen, ob eine einmal getroffene Wahl auch noch nach Tagen gilt. Dies kann bereits helfen, die vielen einigermaßen Zufriedenen zufriedener zu machen und den Unzufriedenen das Gefühl zu vermitteln, dass man sich um sie bemüht.
Denn der dafür notwendige Sachverstand ist in den meisten Häusern vorhanden. Die Küchen sind gut ausgestattet und das Personal in der Regel gut geschult. Vielfach gibt es ernährungsbeauftragte Ärzte, teilweise auch Ernährungsteams. Und dennoch sind manche Küchen noch immer das Kellerkind des Hauses. Beispielsweise dann, wenn der Prozessablauf rund um die Speisenversorgung schon lange nicht mehr intern revidiert wurde oder wenn die Patienten respektive die Bewohner selbst wenig Einfluss auf die Prozesse nehmen können. Probleme bestehen auch dann, wenn zwischen den beteiligten Berufsgruppen (z. B. Küche – Station) nur ein Minimum an Dialog herrscht oder das Management des Hauses in die Prozesse der Speisenversorgung kaum eingebunden ist.
Das Speisemanagement in der Gemeinschaftsverpflegung ist keine einfache Aufgabe, es ist nicht mit geringem Budget und auch nicht ohne klare Zielvorgaben zu bewältigen – das zeigt dieses Buch. Möge es den Beschäftigten und Verantwortlichen vieler sozialer Einrichtungen in der Ausübung ihrer Aufgaben eine Hilfe sein, möge es bewährte Maßnahmen und Prozessabläufe aufzeigen und schrittweise Verbesserungen anstoßen.
Wir wünschen diesem Buch eine breite Rezeption und einen guten Absatz – zum Wohl und für eine steigende Zufriedenheit all derer, die gemeinschaftlich verpflegt werden.
Heidelberg, Januar 2013
Dr. Gesa Schönberger
(Dr. Rainer Wild-Stiftung, Stiftung für gesunde Ernährung, Heidelberg)
1 Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin (Hrsg.) (2006): Befragung der Patienten zur Qualität der Krankenhausverpflegung und zu ihrer Einstellung zu Biokost. Ergänzend Befragung der Kliniken zum Einsatz von Biokost in ihrer Speisenversorgung – Projekt Nr. 04OE042.
2 vgl. Lübke, Heinrich (2009): Was wünschen wir uns? Anforderungen des Arztes an das Krankenhausessen. Vortragscharts der Tagung Ernährung, Diätetik, Infusionstherapie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin, 2009. http://www.dgem.de/material/pdfs/edi09/edi_09_Luebke.pdf. Download am 03.01.2013
3 Pressemitteilung Weisse Liste, Barmer GEK, AOK: Größte Patientenbefragung in Deutschland: Patienten sind zufrieden mit Krankenhäusern – Deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Häusern. 18.12.2012. Download am 03.01.2013.
4 Eiff, Wilfried von (2012): Speisenversorgung im Krankenhaus: Marketing- und Kosteneffekte durch Prozess- und Qualitätsmanagement. In: Ernährungsumschau 59 (2), S. 78–88.
1 1. Speisenversorgung im Gesundheitswesen
1.1 Marktdynamik und Marktstruktur der Speisenversorgung in der Sozialverpflegung
Wilfried von Eiff und Alexandra Groth (Centrum für Krankenhausmanagement)
Die Bedeutung der Speisenversorgung in der Sozialverpflegung hat sich im Laufe der Jahre gewandelt (siehe Abb. 1). Früher wurde die Speisenversorgung als Mittel zum Zweck – der Patientenverpflegung – angesehen. Das „Satt werden“ war primäres Ziel der Speisenversorgung. Die Küche stand dabei im Fokus der Betrachtung. Die Speisenversorgung im Krankenhaus war durch Subventionen gekennzeichnet. Zudem waren ein niedriger Convenience-Grad und großer Raumbedarf für die Technik zur Speisenzubereitung charakteristisch.5
Es kam zu einem Umdenken weg von einer Subventionierung bzw. Bezuschussung der Speisenversorgung, hin zur Erzielung von Deckungsbeiträgen. Heute steht der Gast im Vordergrund und als Aufgabe der Speisenversorgung wird der Gastronomie-Service angesehen. Zum einen wird die Speisenversorgung als Kostensenkungsobjekt angesehen, zum anderen als Marketinginstrument. Für die Technik ist weniger Raum notwendig, die Effizienz der Geräte und der Convenience-Grad der eingesetzten Lebensmittel sind gestiegen.6
Zukünftig wird das Unternehmen in den Betrachtungsfokus rücken. Aufgabe wird es sein, Full-Service zu leisten und mit der Speisenversorgung Profite zu erzielen, bei steigendem Convenience-Grad. Die Speisenversorgung wird in Zukunft dazu beitragen, das Wohlbefinden der Patienten zu verbessern und die Genesung zu fördern.7
Abb. 1: Die Bedeutung der Speisenversorgung im Krankenhaus hat sich verändert.
Vergleicht man die Gegebenheiten der Speisenversorgung in der Gemeinschafts- bzw. Sozialverpflegung mit denen der Gastronomie, werden die Unterschiede deutlich. In der Sozialverpflegung steht eine homogene Personengruppe einem sich ändernden, variablen Speisenangebot gegenüber. Anders in der Gastronomie. Dort steht einem feststehenden Speisenangebot eine wechselnde Gruppe an Gästen gegenüber.8 In der Sozialverpflegung ist das Speisenangebot speziell auf die Kundengruppe auszurichten und auf krankheitsbedingte Ernährungsbesonderheiten ist, mit geeigneten Kostformen, zu antworten. Um eine adäquate Versorgung der Patienten mit Speisen garantieren zu können, sind Anpassungsfähigkeit und Flexibilität der Speisenversorgung in Krankenhäusern erforderlich.
Speisenversorgung im Krankenhaus
Viele Krankenhäuser stehen heute vor Entscheidungen, was die hauseigene Speisenversorgung betrifft. Zum einen aufgrund veralteter und modernisierungs- bzw. renovierungsbedürftiger Küchen, zum anderen werfen Fusionen oder Kooperationen Fragen zur Organisation der hauseigenen Speisenversorgung auf. Häuser mit alten Kücheneinrichtungen stehen dabei vor der Entscheidung, die Einrichtungen zu modernisieren oder auszulagern. Es ist erkennbar, dass die Krankenhäuser hinsichtlich der Speisenversorgung Veränderungen anstreben. Betrachtet man sich die Zahlen, zeigen diese, dass 9 % der Krankenhäuser konkret in 2009 einen Betriebsformwechsel der Küche für die folgenden 3 Jahre planten, 12,5 % der Häuser einen Wechsel des Speisenzubereitungsverfahrens anstrebten und 5,4 % gerne von der Eigenherstellung zu einer Fremdbelieferung wechseln würden.9 Der Betriebsformwechsel vollzog sich am häufigsten von der Eigenregie in eine Service-GmbH. Die Häuser, die eine Änderung des Zubereitungsverfahrens anstreben, favorisieren eine Veränderung hin zur Zubereitung nach dem Cook & Chill-Verfahren. Der Zuwachs ist bei diesem Zubereitungsverfahren am höchsten.10 Beim Wechsel von der Eigenherstellung zur Fremdbelieferung sind die von den Krankenhäusern gewünschten Herstellverfahren Cook & Chill und Sous Vide.11
Derzeitiger Standard in deutschen Krankenhäusern ist die in Eigenregie betriebene Küche und die Anwendung des Cook & Serve-Herstellungsverfahrens.12 Mehr als 70 % der Krankenhäuser versorgen aus der eigenen Küche heraus noch andere, nicht im Krankenhaus angesiedelte Einrichtungen, um zusätzliche Erlöse zu erzielen.13
Die zunehmende Zentralisierung von Krankenhausküchen ist zu beobachten und mit einem steigenden Personaleinsatz und gestiegenen Drittumsätzen zu begründen. Ein Outsourcing der Speisenversorgung wird durch unterschiedliche Regelungen zur Mehrwertsteuer erschwert. Ein Produktionssystemwechsel rückt in diesem Fall als Alternative zum Outsourcing in den Vordergrund.
Der Rückgang der in Eigenregie bewirtschafteten Küchen und der Anstieg der Speisenversorgung durch beispielsweise eigene Service-GmbHs oder Dienstleister mit Vollcatering sind zu beobachten.14
In den krankenhauseigenen Küchen wird zu über 80 % das Cook & Serve-Verfahren zur Speisenherstellung angewendet. Zunehmend werden entkoppelte Systeme, wie Cook & Chill (13 %) und Cook & Freeze sowie Sous Vide (Anteil jeweils über 1 %) zur Speisenherstellung genutzt. Diese sind zur Flexibilisierung der Speisenversorgung auf den Stationen geeignet.15
Laut einer Studie der gv-praxis liegt das durchschnittliche Alter der Krankenhausküchen bei
21 Jahren. Zudem kann beobachtet werden, dass der Anteil der alten Krankenhausküchen (solche die 20 bis 30 Jahre alt und mehr als 30 Jahre alt sind) abnimmt, der Anteil neuer Küchen (weniger als 5 Jahre alt) jedoch nicht im gleichen Maße ansteigt.16 Dies spricht für einen Rückgang von Küchenneubauten bzw. Modernisierungen. Zum einen durch eine sinkende Krankenhausanzahl, eine zunehmende Zentralisierung von Krankenhausküchen durch (Fusion bzw. Kooperation) und zum anderen durch Outsourcing der Speisenversorgung. Bausubstanz und Ausstattung der Krankenhausküchen sind häufig veraltet. Die Küchen sind oftmals überdimensioniert. Aufgrund des Rückgangs von Krankenhausbetten und dem damit verbundenen Rückgang der zu beköstigenden Patienten, ist eine volle Auslastung der vorhandenen Kapazitäten nicht mehr gegeben. Der Raum- und Energiebedarf alter Ausstattungsgegenstände ist zudem größer als jener, neuer Ausstattungsgegenstände.
Handling der Speisenversorgung und Anpassungsbedarf
Kürzere Verweildauern, die sinkende Anzahl von Krankenhäusern und der Abbau von Krankenhausbetten machen eine Anpassung der Speisenversorgung an häufigere Patientenwechsel und sich ändernde Rahmenbedingungen notwendig.17 Zudem beeinflussen Fusionen und Kooperationen von Krankenhäusern die Organisation bzw. Struktur der Speisenversorgung in einzelnen Einrichtungen.18
Vor dem Hintergrund des steigenden Fachkräftemangels wird es zunehmend wichtiger, die Fachkräfte (z B. Pflegekräfte) von Serviceaufgaben, wie beispielsweise der Aufnahme von Speisenwünschen und Verteilung von Speisen zu entlasten, damit diese entsprechend ihrer Kernkompetenzen eingesetzt werden können. Die Studie der K & P Consulting GmbH und dem Deutschen Krankenhausinstitut GmbH zeigt, dass die Erfassung der Speisenwünsche vermehrt von Hostessen, Ernährungsberatern und Servicepersonal durchgeführt wird, um die Pflegekräfte zu entlasten. Die Speisenverteilung auf den Stationen erfolgt hingegen zu 95 % durch das Pflegepersonal, nur teilweise wird die Speisenverteilung vom Pflegepersonal auf Hostessen und Servicepersonal der Küche übertragen.19 Gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels ist die Übertragung nicht-pflegerischer Aufgaben auf Servicekräfte notwendig, um zukünftig weiterhin eine adäquate Patientenversorgung garantieren zu können.
Bedeutung der Speisenversorgung für die Patientenzufriedenheit
Die vom Centrum für Krankenhausmanagement (CKM) durchgeführte Studie „Patientenzufriedenheit“ hat gezeigt, dass die Qualität der Speisenversorgung, nach der Zimmerausstattung, die Patientenzufriedenheit mit dem gesamten Krankenhausaufenthalt, maßgeblich beeinflusst.20 Obwohl die Speisenversorgung nicht zu den Kernkompetenzen eines Krankenhauses zählt, ist dieser ein hoher Stellenwert zuzuschreiben.
Krankenhäuser, die sich über die Bedeutung der Speisenversorgung für die Patientenzufriedenheit nicht bewusst sind, haben häufig nicht serviceorientierte Küchen, nicht zielgruppenorientiert arbeitende Köche und wenig gastorientierte Speisepläne. An diesen Gegebenheiten wird häufig solange festgehalten, bis es zu negativen Rückmeldungen kommt. Ein Agieren ist gerade im Fall der Speisenversorgung einem Reagieren vorzuziehen, um negative Auswirkungen auf Patientenzufriedenheit und Krankenhaus-Image abwenden zu können.
Fazit und Ausblick
Ein zunehmender Wettbewerbsdruck zwischen Krankenhäusern macht unternehmerisches Denken notwendig. Durch Schließungen, Kooperationen und Fusionen von Krankenhäusern sinkt die Anzahl der Großküchen. Es kommt vermehrt zur Zentralisierung und zum Outsourcing der Speisenversorgung.
Das steigende Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung lässt die Anforderungen der Patienten an die Speisenversorgung im Krankenhaus steigen. Der demografische Wandel und die damit verbundene Umkehr der Alterspyramide führen zum Fachkräftemangel. Einerseits durch immer mehr alte in Relation zu jungen Menschen und der mit zunehmendem Alter ansteigenden Zahl an Erkrankungen, weshalb z. B. auch die Organisation und Logistik der Speisenverteilung und Speisenwunscherfassung durch Pflegekräfte zu überdenken ist.
Die Umwandlung von Fixkosten in variable Kosten ist anzustreben. Die Fremdvergabe oder Auslagerung bestimmter Leistungen oder die Entlastung der Unternehmung durch externe Partner oder Kunden machen eine Umwandlung von Fixkosten in variable Kosten möglich.21 Durch die Zunahme von Tagespatienten sind speziell auf diese Personengruppe zugeschnittene Service-Angebote sinnvoll. Nichtmedizinische Bereiche im Krankenhaus müssen auf ihre Effektivität und Effizienz überprüft werden.
Wachstumspfade im Krankenhaus und speziell in der Speisenversorgung können Prozessinnovationen sein, die helfen, Dienstleistungen kostengünstiger, schneller und besser durchzuführen. Speziell in der Speisenversorgung ist auf das steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung, beispielsweise mit einem steigenden Bio-Anteil zu antworten. Des Weiteren gewinnen Shop-Konzepte und Kaffeebars in Krankenhäusern zunehmend an Bedeutung.
1.2 Speisenversorgung im Krankenhaus: Prozess- und Qualitätsmanagement
Wilfried von Eiff (Centrum für Krankenhausmanagement)
Mindestens 65 % der deutschen Krankenhäuser, über 90 % der österreichischen und fast 95 % der Schweizer Spitäler versorgen ihre Patienten und Mitarbeiter mit Speisen, die in der eigenen Küche nach dem „Cook-and-Serve-Verfahren“ hergestellt wurden. Durch prozess- und wertanalytische Verfahren wurde nachgewiesen, dass es für diese Dominanz weder qualitative (Geschmack, Vitamingehalt, Konsistenz, Abwechslung) noch wirtschaftliche Gründe (Investitionen, Betriebskosten, Verderb) gibt. Auch unter Hygiene-Gesichtspunkten ist die Cook-and-Serve-Herstellung mit vergleichsweise höheren Risiken behaftet. Das CKM-Werteradar sowie die CKM-Entscheidungs-Checkliste „Speisenversorgung“ unterstützen bei der Auswahl der wirtschaftlichen und bedarfsgerechten Form der Speisenversorgung.
Zur Situation
In deutschen Krankenhäusern herrschen traditionelle Prozesse und Betriebsformen vor: So versorgen 65 – 80 % der Klinikküchen ihre Patienten und Mitarbeiter nach dem Cook-and-Serve-Verfahren; gleichzeitig ist die Eigenregie mit ca. 60 % Anteil die Betriebsform der Wahl, was wesentlich auf den Mehrwertsteuernachteil zurückzuführen ist. Da für Krankenhäuser keine Vorzugssteuerabzugsmöglichkeit besteht, hat die gezahlte Mehrwertsteuer Kostencharakter und verteuert jede fremdbezogene Leistung um 7 % (bei Bezug von Fertigprodukten) bzw. 19 % (bei Catering-Dienstleistungen).
„Die Speisenversorgung ist kein Kerngeschäft des Krankenhauses, aber die Qualität der Speisenversorgung ist ein Marketingfaktor zur Profilierung im Wettbewerb.“
Allerdings ist ein Trend zur Veränderung der Produktionsform erkennbar: sogenannte entkoppelte Herstellungsverfahren (zeitlicher Versatz von Produktion und Verzehr) lösen schrittweise die klassische Warmverpflegung im Cook-and-Serve-Betrieb ab.
Nach der Studie des Centrum für Krankenhaus-Management (CKM) der Universität Münster sieht sich jedes sechste Krankenhaus veranlasst, eine Veränderung der eigenen Warmküchenverpflegung anzugehen; die Gründe sind:
• mangelnde bzw. aufwändige Sicherstellung der Hygienestandards
• Unzufriedenheit der Patienten mit Speisenqualität, -angebot und -organisation
• absehbar notwendige Investitionen in Küchentechnik (Durchschnittsalter 18 Jahre)
• Kostendruck und Zwang zu nachhaltigen Einsparungen im Tertiärbereich zugunsten des klinischen Betriebs
• Nutzung des Speisenmanagements als Marketingfaktor zur Erreichung von Patientenzufriedenheit und Weiterempfehlungsbereitschaft
1.2.1 Prozessmanagement
Prozesseffizienz und Hygienesicherheit in der Speisenversorgung
Im Folgenden werden verschiedene Optionen der Speisenversorgung in Krankenhäusern aufgezeigt und Möglichkeiten zur Optimierung von Prozessen, Leistungen und Wirtschaftlichkeit der Institutionen zur Erreichung von Patientenzufriedenheit dargestellt. Methodische Grundlage für diese Analyse ist der Ansatz des Geschäftsprozessmanagements (GPM; siehe Abb. 2):