Nomade im Speck

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Nomade im Speck
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Wiglaf Droste

Nikolaus Heidelbach

Nomade im Speck


FUEGO

– Über dieses Buch –

Unterwegs als Nomade im Speck berichtet Wiglaf Droste über merkwürdige Begebenheiten und kulinarische Überraschungen in Regionen der Welt, die er auf seinen Reisen durchstreift. Und Nikolaus Heidelbach setzt diese Geschichten in ebenso überraschenden wie verwegenen Bildern um, die sich nur ungläubig und andächtig bestaunen lassen.

Autor, Zeichner und Verleger bedanken sich bei Daniel Weber, Chefredaktor des Monatsmagazins »Folio« der Neuen Zürcher Zeitung.

Der Reisende


EINEN KENNE ICH, DER SO NICHTSESSHAFT IST, dass er zwei Wohnungen hat und trotzdem meistens in keiner von beiden lebt. Herrlich sei das Reisen, sagt er, man legt sich als glühendes Eisen in die Herdfeuer der Welt. Die Herdfeuer brennen aber doch bei den Sesshaften, wie geht das zusammen? Bestens, sagt der Reisende; gerade weil er keiner von ihnen ist, mag er Sesshafte gern, und sie mögen ihn aus demselben Grunde auch.

Er bleibt nie zu lange, und sie bringen soviel zustande, schwärmt er. Das Leben häuft sich wie von alleine an bei ihnen, alles ist da, Hundkatzemaus, Auto, Rasensprenger, Geschirrspüler, Chaos und Gewusel, und für einen mehr am Tisch ist immer Platz. Die Sesshaften ziehen Kinder groß, wissen alles über Masern, Mumps und Meerschweinchen, und wann immer man sie besucht, sind sie viel zu k.o., um unglücklich zu sein.

Eine liebe Freundin, erzählte er, hat sich für ihr drittes Kind einen zweiten Mann gesucht, blickt voll durch und hat die Kerle und die Brut im Zaum, im Herzen und im liebevollen Griff. Das dritte Kind ist ein Quint; der Name ist vorausschauend klug gewählt. Wenn der Bengel später in der Pubertät herumstresst, wird sie ihm sagen: »Ey Quint, mach kein‘ Terz«, und wenn er auch nur ein bisschen musikalisch ist, kapiert er‘s und geht eine quartzen, schließt sich einer Sexte an und verliebt sich in eine None.

Meiden muss der Reisende Einliegewohner, also solche, die ihr Leben aus Trägheit in Sesshaft verbringen, viel lieber anderswo wären, sich aber nicht aufraffen können und dann den Reisenden unfroh, neidisch nörgelnd und schweinchenschlauhaft anäugeln und ihn inquisitionieren: »Wovor läufst du eigentlich weg?«

Dann lächelt der Reisende das Lebensaussitzgespenst an und sagt freundlich: »Vor Besorgtheitsheuchlern wie dir selbstverständlich, die so naseweise Fragen stellen. Lieber Vagabund als moribund mit Kummerband«, und dann ist er auch schon wieder weg, auf dem Weg als Nomade im Speck.

Die Freude an den Draußenrauchenden



IM RESTAURANT LES HALLES IN ZÜRICH war es laut wie in einer Bar, ich ging nach draußen, um meinen Trommelfellen eine Pause zu gönnen. Draußen war es auch voll, mit Raucherinnen und Rauchern, die aber bald Rauchende heißen werden, so wie sich Studentinnen und Studenten ja längst verneutrummend Studierende nennen lassen müssen, als sei das Studier-Ende nah. Ein Mann in den Fünfzigern mit Baseballkappe und Schnauz rauchte und trank dazu ein Bier aus der Flasche. Es war offensichtlich nicht sein erstes.

»Does anyone here speak English?« fragte er mit einem Blick in die Raucherrunde, und weil niemand etwas sagte und ich den Mann nicht hängenlassen wollte, antwortete ich: »Slightly. But I’d rather speak Scottish«, weil ich kurz zuvor den Film »The Angels’ Share« von Ken Loach im Original gesehen und mich am Glasgow-Accent der Darsteller erfreut hatte. »I’m from Canada«, gab der Mann zurück, trank etwas Bier, rauchte und ergänzte: »I’m looking for my daughter. She must be somewhere here in Europe. I’ve been looking for her for 21 days now. That’s a lot of travelling.« Er drückte seine abgerauchte Zigarette in einem Aschenbecher aus, nahm Daumen und Zeigefinger etwa drei Zentimeter ausein­ander, hielt sie hoch und sagte: »I mean, Europe is so small, and I can’t find my daughter within three weeks.«

Das überzeugte mich sofort; ich hatte schon Amerikaner auf dem »Europe in eight days«-Trip getroffen; dagegen waren drei Wochen sehr großzügig bemessen.

Eine Raucherin hatte unserem Gespräch zugehört und fragte den Mann mit der Kappe: »And what are you doing now?« Sie meinte wahrscheinlich, was er jetzt wegen seiner Tochter unternehmen wolle, aber er verstand »now« genau richtig als das Jetzt im Hier und antwortete: »Getting drunk«, ohne Umschweife und ohne jede Spur von Heuchelei. Diese Geradlinigkeit gefiel mir.

»My wife is in the hotel, she’s got bad knees and can’t walk«, sagte er noch, und ich sah das Paar durch Europa cruisen: die Frau im Hotelzimmer, der Mann an der Bar beziehungsweise draußen rauchend und beide voller Zuversicht, dass man in diesem »tiny wee small Europe« doch wohl mal so eben die Tochter finden könne.

Er holte sich ein weiteres Bier und steckte sich eine neue Zigarette an, ich wünschte ihm alles Gute. Er gab mir noch seine Adresse in Kanada und lud mich ein. »I’ve got a big truck, we go fish­ing and get drunk.« Ich fand die Idee großartig: mit der dicken Karre direkt in den See fahren, Fische fangen und trinken: So sieht das freie, ungebundene Leben der modernen, alt und betucht gewordenen Huckleberry Finns nun mal aus.

Ich bedankte mich herzlich, verabschiedete mich und frage mich seitdem unablässig: Was mache ich eigentlich hier, in diesem kleinen, engen Europa?

Zwei Abende später stehe ich vor der Tür des »Klosbächli«, einer Kneipe vom guten alten Schlag, mit ehrlichen Getränken und einer Kundschaft, die genau das zu schätzen weiß.

»Du lebst in Berlin?« fragt der Mann neben mir, den ich nach draußen begleitet habe, weil er rauchen möchte oder muss und sonst unser Gespräch unterbrochen worden wäre. In Berlin leben? Das klingt nach einem Widerspruch in sich, denke ich, aber mit solchen Petitessen will ich ihn nicht behelligen und nicke ihm lächelnd zu.

Er inhaliert, und während er Rauch ausstößt, sagt er: »Ich war einmal in Berlin. Nur einmal.« Er hustet, macht eine Sprechpause und raucht. Offenbar gestärkt, fährt er fort: »Es war großartig. Pink Floyd spielten ›The Wall‹, das war am …« – er kramt in seiner Erinnerung – »… das war am … wie hieß noch mal dieser Schiißplatz …?«

»Es könnte am Reichstag gewesen sein«, schlage ich vor, weil ich dort vor Ewigkeiten das peinigende Styropormauerspektakel von Pink Floyd angeschaut hatte, aber mein Gesprächspartner ist schon ganz woanders. »Wir waren dann auch im Osten, wo dieser … wie hieß er noch …? immer geredet hat.«

»Vielleicht Honecker?«, werfe ich ein, er strahlt mich an. »Genau, Honecker, und dann waren wir noch im Museum, an diesem Checkpoint, wie hieß dieser Schiiß-Checkpoint gleich …?«

»Charlie«, sage ich, er freut sich wieder. »Ja, Checkpoint Charlie, und da gab es diese kleinen Autos, wie hießen die gopferdammi namal …?«

»Trabant möglicherweise?«, frage ich, er sieht mich zweifelnd an, ich versuche es mit »oder Trabi?«

»Ja, Trabi«, sagt er und lacht. »Einmal war ich in Berlin, drei Tage, wir waren nur betrunken. Es war großartig.«

Dann hat er fertig geraucht, wir gehen zurück ins Lokal, und ich frage mich, was ich mehr als dreißig Jahre lang in Berlin gesucht habe, wenn man dort doch alles, was in der Erinnerung aufbewahrt zu werden lohnt, in nur drei Tagen erleben kann.

Jömmeläsch, gleich bei Gott um die Ecke



»WILLKOMMEN IN GROSSFRITANNIEN«, scherzt mein Gastgeber. Wir haben im niederländischen Vaals die deutsch-holländische Grenze gequert und sind wenige Minuten später im belgischen Gemmenich angekommen, das von den Einwohnern Gemmenichs allerdings »Jömmeläsch« ausgesprochen wird.

Zur Begrüßung gibt es das belgische Nationalgericht, Moules-frites, Miesmuscheln in Kräutersud mit Pommes frites. Dazu trinken wir Grand Cru du Val Dieu, ein dunkles belgisches Bier aus der Abteibrauerei in Aubel. Ob in diesem Tal tatsächlich Gott zu Hause ist, weiß ich nicht, zumal das Val Dieu, bevor die Mönche sich ansiedelten, Val du Diable hieß, Tal des Teufels, aber das von den Nachfahren der gewieften christlichen Umcodierer gebraute Bier könnte man IHM, wenn es IHN gäbe, ohne Bedenken anbieten, und Moules-frites sowieso.

Später wird geraucht, mein Gastgeber ist ein erfahrener Cigarristo und schlägt eine italienische Toscano vor, eine sogenannte Drei-Männer-Zigarre, die so heißt, weil man zu ihrem Genuss angeblich drei Männer braucht: einen, der raucht, und zwei, die ihn stützen. Das Schönste an der Drei-Männer-Zigarre ist, dass sie für zwei Männer bestimmt ist: Man schneidet sie in der Mitte durch und teilt sie sich. So gesehen ist die Drei-Männer-Zigarre eigentlich eine Sechs-Männer-Zigarre, also ein perfektes Instrument zur Förderung eines gedeihlichen Soziallebens.

 

Zum anregenden Kraftkraut wird weiter Val Dieu getrunken, und wie es sich für einen Rauchersalon alter Schule ziemt, kommt irgendwann auch die Politik auf den Tisch, aber eben milde und distanziert. In Belgien gibt es tausend Biersorten und manchmal 500 Tage lang keine Regierung. Kristallklar schimmert der innere Zusammenhang auf: Pro Biersorte gibt es einen halben Tag ohne Regierung, man muss also nur jeden Tag zwei neue Biere brauen, dann kann die Regierung weiter einpacken und sich gehackt legen. Wie lange wird der Wettlauf mit der Zeit noch andauern? Halten die belgischen Brauer durch und bleiben erfindungsreich?

Vom abendlichen Rauchen mehrerer Drei-Männer-Zigarren ist uns andernmorgens etwas nebulös zumute, und weil auch das Klima wattig und schwadig klamm sich zeigt, schlage ich vor, das beste Gegenmittel zuzubereiten, um Unbill gar nicht erst aufkommen zu lassen: eine Hühnersuppe. Mein Gastgeber stimmt zu; so geht es zum Markt nach Lüttich. Ein richtiger Markt ist das und nicht so ein nutzloses Ensemble von Feinkosthäppchenständen, wie man es aus Berlin kennt, wenn auch nicht gewohnt ist, denn gewöhnen kann sich an Simulation nur, wer selbst simuliert. In Berlin schreiten die stolzen Besitzer von Wir-machen-alles-aber-sowas-von-richtig-Frisagen durch ihre Öko-Nischen, selbstgerechter als jeder Papst, gute grüngurkene Bürger keinerlei Geschlechts. Die haben es, wie man so sagt, geschafft. Wer sich selbst ganz großartig findet, muss niemand anderem mehr gefallen.

Nun aber sind wir in Lüttich, auch Palermo ohne Palmen genannt, Balermo ohne Balmen, wie der Franke respektive Wrrange sagt. Der aus Franken stammende Autor und Schauspieler Hanns Zischler erzählte mir, dass er als junger Mann vor der fränkisch-wrrängischen Aussprache des Wortes »Erotik« habe fliehen müssen: »Erroodick«. Die habe er nicht erleben wollen, und das verstand ich seelisch und physisch sofort.

Im Lütticher Marktlärm und Gedränge gibt es richtige Gesichter, nicht dieses zusammengecastete Volk. Wir tauchen ein in den Strom der Düfte, der Farben, der Stimmen. Man kann das Leben schmecken und anfassen, bald ist ein Schwarzfederhuhn gefunden, dazu Möhren, Zwiebeln, Ingwer, Knoblauch, Sellerie heißt c’est la vie, am Käsestand tränen die Augen vom miegigen Dunst, würzig ist das Leben, prall und voller Saft.

Auf ein Getränk geht es ins »Les Olivettes«. Ein Pianist, der Spinnweben angesetzt hat, begleitet die Sängerinnen und Sänger, die für jeweils zwei Lieder die kleine Bühne erklimmen. Es sind ältere Herrschaften, die ihre Intonationsunkenntnis durch Inbrunst kompensieren. Das Publikum, Kaffee oder Bier trinkend, hat Freude dran, singt mit und applaudiert, und die alten Gestalten auf der Bühne geben alles, einer hat ein großes silbernes Kreuz vor der Brust baumeln, ein anderer hat sich mit seinen etwa 70 Jahren ganz in Alarmrot gewandet und trifft nicht einen einzigen Ton.

Richtig schön verhauen ist das, nach etwa sieben Liedern mahnt das Trommelfell zum Aufbruch, und so verlassen wir Lüttich, die Stadt, in der Georges Simenon aufwuchs und schon als Halbwüchsiger Reporter war, bevor er der hinreißende Kriminalschriftsteller wurde, dessen Werke alle Moden überdauern. Auf Simenon trinken wir später ein belgisches Bier, das »Mort Subite« heißt, plötzlicher Tod. Könnte das nicht der Anfang einer Kriminalgeschichte sein?

Schwertfischposaunenbar

Für Carsten



EINE GUTE BAR IST EIN PLATZ, an dem man mit sich und der Welt ins Reine kommen kann. Manchmal ist das nötig, weil alles, was man am Tag zu hören und zu sehen bekam, sich erst mal sacht setzen muss. Das ist kein dramatischer psychoanalytischer Vorgang, bloß private Hygiene, und genau das ist so angenehm daran: Man belästigt niemanden mit seinem Kram, sondern siebt und sortiert ihn für sich selbst.

Ob man dazu einen Kaffee, einen Mojito, ein Bier, einen Wein oder ein Wasser trinkt, ist eine Frage des Geschmacks oder der Gewohnheit und spielt ansonsten keine Rolle. Hauptsache, man kann das Trübe klären und filtrieren, Gratisgeschwätz von Substantiellem unterscheiden und gewissermaßen geistige Mülltrennung betreiben. Besser als in den eigenen Wänden gelingt das oft an Orten, die genau zu diesem Zweck errichtet wurden: in einer Kirche oder in einer guten Bar. Man ist dort nicht allein, doch wenn man es sein möchte, ist man für sich.

Weihwasser zählt nicht zu meinen Lieblingsgetränken, und den himmlischen Freuden ziehe ich die irdischen entschieden vor. Sie sind greifbar, erreichbar und bezahlbar, und mit diesen Worten ist man schon in der Bar. Was für ein Genuss, einem guten Barmann bei der Arbeit zuzusehen: wie er Gläser poliert, seinen Laden fein in Schuss hält und diese Mischung aus Aufmerksamkeit, Zurückhaltung und Autorität verströmt, die so selten ist.

Man fühlt sich aufgehoben, wird beachtet, ohne belästigt zu werden, und ehe man sich’s versieht, steht das gewünschte Getränk auf dem Tresen oder auf dem Tisch, selbstverständlich auf einer kleinen Serviette und niemals servil serviert, sondern immer elegant. So kann Glück aussehen: schön einfach und einfach schön. Man muss es aber können.

Die Schwertfischposaunenbar, in der ich über ein Jahrzehnt lang immer wieder einmal vor Anker ging, hieß nicht so, aber ich gab ihr für mich diesen Namen, weil dort stets nur Musik ertönte und niemals akustischer Raumspray versprüht wurde. Wie wohltuend ist es, wenn man sich konzentrieren darf und sich nicht zerstreuen lassen muss! Nord- und Südpol sind längst hektisch erforscht und zerlatscht; wer aber einen Ruhepol entdeckt, ist ein glücklich gelandeter Reisender.

Und so lauschte ich der »Swordfishtrombone« von Tom Waits, unbehelligt vom Gewühl der Welt, denn der Besitzer der Bar und seine Leute kannten das erste Gesetz für eine gute Bar: Nicht die Kundschaft sucht sich die Bar aus, sondern die Bar ihr Publikum. Lieber hat man einen ruhigen Abend mit wenigen, angenehmen Gästen, als eine vollgepfropfte Durchgangsstation für den globalen Vergnügungsviehtrieb zu sein. Geld ist nur Geld, das Ziel aber heißt Stil, und den kann man nicht kaufen oder simulieren.

Mit Qualität vertreibt man zwar nicht die Dummheit aus der Welt, aber man kann sie auf Abstand halten. Ab und an kam ein Trupp Werbeagenturbubis in die Bar, laut und feierwütig, aber die Musik von Bob Dylan, Van Morrison, Johnny Cash, Miles Davis, Randy Newman oder Tex Perkins erwies sich stets als geeignetes Mittel zur Entmutigung von Leuten, denen die Welt bloß als Kulisse zum Sichselbstgutfinden dient. Sie wurden mit jener Art formvollendeter Höflichkeit bedient, die selbst sie nicht mehr missverstehen konnten. Mürrisch zogen sie ab und kamen niemals wieder, und so war es ja auch gedacht.

Manchmal sperrte der Barbesitzer sein Lokal auch einfach zu und blieb mit den Gästen, die er mochte, bis zum frühen oder späteren Morgen, spielte Lieblingsmusik, in einigen Nächten wurden die Tische und Stühle beiseite getragen, manche Paa­re tanzten. In solchen Momenten konnte man bar jeder Belästigung ganz zu sich kommen und zur konzentriertesten Form des Denkens finden: bei völliger Klarheit nichts denken, nur reine Daseinsfreude empfinden.

Nach solchen Nächten in den Morgen hinaus­zutreten und glücksdurchgossen in den Tag zu strunkeln und strummseln, gehört zu den großen Freuden, die man nicht der vorgefundenen Natur verdankt, sondern der Stilentschlossenheit einer guten Bar.

Dass der Besitzer der Schwertfischposaune irgendwann von dem lärmenden, die Welt betrampelnden Amüsier- und Party-Party-Party-Gemüse die Nase voll hatte, ist bedauerlich, aber verübeln kann ich es ihm nicht. Besser gehen als sich noch am eigenen Niedergang beteiligen, das gilt in der Liebe und sowieso.

Plätze, an denen man dem Irrsinn, dem Lärm und dem Wahn der Welt immerhin temporär entfliehen kann, sind selten, aber sie existieren. Gute Bar ist rar, aber auffindbar. Danke dafür.

Jungnomade in Schottland



ES WAR IM WINTER 1979 in der schottischen Stadt Perth. Ich war 18 Jahre alt, schlank wie ein Nagel, hatte lange Korkenzieherlocken, auf die ich im Pub von ein paar taffen jungen Schotten von der Seite angesprochen wurde, bis wir bei diversen Pints auf ergiebigere Themen als die Länge und Beschaffenheit meines Haupthaars zu sprechen kamen. Ich genoss den Abend mit Fremden, die zur »Last Order« allesamt noch drei Halbe bestellten und zügig wegzoschten. Aus Respekt vor den landesüblichen Sitten tat ich es ihnen gleich, ging mit ihnen noch Fish and Chips mit schwarzem Essig essen, was mich tief in die Mysterien der britischen Kochkunst eintauchen ließ, verabschiedete mich und eierte meiner Schlaf­statt entgegen.

Die Schlagseite, die ich im Laufe des Abends erworben hatte, muss man mir angesehen haben; jedenfalls wurde ich von einem mir entgegen kommenden Polizisten gestoppt, der mich in jenem harten Schottisch, das zu lieben ich gelernt hatte, ansprach: »Whats yar neem, son?«, fragte er nicht einmal unfreundlich. Mir fiel ein, dass es eine Ordnungswidrigkeit namens »drunken dis­orderly« gab, unerlaubte öffentliche Trunkenheit, versuchte, einigermaßen nüchtern zu wirken, was den Uniformierten aber allenfalls amüsiert haben dürfte, und dachte verzweifelt daran, dass in meinem ohnehin sehr schmalen Reisebudget ein Bußgeld nicht vorgesehen war.

Was sollte, konnte ich tun, um ein klaffendes Loch in meinem Brustbeutel zu vermeiden? Plötz­lich fiel mir mit der Intuition des von Bier und Panik befeuerten Hirns ein, dass nicht wenige schottische Könige Duncan hießen, und so sah ich den Polizisten an und sagte, so schottisch klingend ich es vermochte: »Me neem is Duncan Dis­orderly, Serr!«

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, dann wurde er wieder ernst, legte mir eine Hand auf die Schulter und sprach in ermahnendem Ton: »Alright, son. And now you go streeght home, will ya?«

»I promise, Serr«, antwortete ich, er ließ mich laufen beziehungsweise tapern, ich hielt mein Versprechen, und als ich in meinem leicht Karussell fahrenden Bettchen lag, dachte ich, wie segensreich es doch sei, in einer Fremdsprache kalauern zu können und gelobte, am nächsten Tag in einer schönen Kirche eine Kerze für diesen gütigen Mann anzuzünden. Was ich dann auch tat, aus Dankbarkeit, und weil ich wusste, dass mich sonst ein biblischer Zorn getroffen hätte, und das völlig zu Recht.

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