Geheimdienst in Russland

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Geheimdienst in Russland
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Walter Brendel

Geheimdienst in Russland

von Lenin bis Putin

Geheimdienst in Russland

Walter Brendel

von Lenin bis Putin

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2022

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einführung

Die Tscheka als Terrorinstrument

Der KGB und seine Rolle im „Kalten Krieg“

Der FSB und ein gewisser Genosse Putin

Quellen

Einführung

Der russische Geheimdienst KGB – ihn umgeben bis heute Rätsel, Geheimnisse, Mythen. Vor rund 100 Jahren wurde seine Vorgänger-Organisation – die Tscheka – gegründet.

1917 gründet Lenin die Geheimpolizei Tscheka, unter dem "eisernen" Feliks Dserschinski, mit dem Auftrag: Terror und "Säuberungen". Stalins Geheimdienstchef Jeschow lässt im industriellen Maßstab töten und Hunderttausende im Gulag verschwinden. Der berüchtigte Lawrenti Berija warnt Stalin vergeblich ...

Die Tscheka beginnt bereits in den 1920ern, andere Nationen auszuspionieren. Ihr größter Coup: Spione in der US-amerikanischen Kernwaffenforschung. So kann die UdSSR bereits 1949 zum ersten Mal selbst eine Atomwaffe zünden.

In der Zeit von 1936 bis 1938 werden zwischen zehn und 20 Millionen Bürger in Scheinprozessen verurteilt und bei Massen-Exekutionen hingerichtet. Verantwortlich dafür ist Lawrentij Berija, der Chef der Tscheka. Unter seiner Leitung gelingt schließlich sogar der Diebstahl von wertvollen Informationen aus dem Manhattan-Projekt der Vereinigten Staaten. Spione übermitteln der UdSSR den Schlüssel für den Bau einer eigenen Atombombe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird 1954 der Geheimdienst KGB als eigenständiges Ministerium gegründet. Seine Methoden: Auftragsmorde, Putsche, Diebstahl und Spionage.

Durch Lawrenti Berijas NKWD erlangen die Sowjets schon 1949 eigene Atomwaffen und den Status der Supermacht. Als Stalin 1953 stirbt, wird Berija von Nikita Chruschtschow verhaftet. Der Geheimdienst wird umbenannt in KGB. Unter Juri Andropow werden Oppositionelle in der Psychiatrie drangsaliert ...

Der Einfluss des KGB (zuvor Tscheka) nimmt nach dem Zweiten Weltkrieg enorm zu. In Moskau gibt es zwei Machtzentren: den Kreml und die Sicherheitszentrale Lubjanka. Tscheka, MGB, KGB, FSB und SWR - Russlands Geheimdienste hatten zahlreiche Namen.

Bis heute, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende 1991, hat sich vor allem ein Name eingebrannt: KGB. Diese drei Buchstaben sind das Synonym für russische Spionage. Von 1954 bis 1991 übernimmt der KGB die Aufgaben der Auslands- und Gegenspionage, kontrolliert die Gegner des Regimes und ist für die Sicherung und Bewachung der Partei- und Staatsführung zuständig.

Mehr als andere Geheimdienste verließ sich der KGB auf menschliche Quellen, also auf eigene Agenten oder Verbindungsleute. Die westlichen Gegenspieler des KGB vertrauten auch stark auf Bild-, elektronische und Fernmeldeaufklärung.

Vom Leningrader Hinterhof in den Moskauer Kreml: Das Buch zeigt Wladimir Putins Aufstieg an die Macht.

Ein Putsch, Attentate, Auftragsmorde, Sexskandale alles was nach James Bond klingt, ist im modernen Russland ganz real. Wladimir Putin wird vom Geheimdienstoffizier zum Präsidenten. In seine Amtszeit fallen Giftmorde, Verfolgung und Tötung kritischer Journalisten. Politiker oder Ex-Geheimdienstler ...

Putins Karriere beginnt als Offizier des KGB. In Moskau wird er später Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB und enger Vertrauter von Boris Jelzin, der ihn zu seinem Nachfolger ernennt. Das russische Volk wünscht sich als Präsident eine Art James Bond.

Wladimir Putin kommt mit seiner Agentenkarriere diesem Ideal recht nahe. Mit Unterstützung vom scheidenden Präsidenten Boris Jelzin wird der bis dahin unbekannte Putin zum ersten Mann im Staat gewählt.

Nach einer steilen Karriere im Geheimdienst wird Putin im Jahr 2000 Präsident von Russland. Er regiert bis heute. Mit kurzer Unterbrechung. Wer ihm im Weg steht, wird – wie der Ex-Agent Alexander Litwinenko – beseitigt. 2012 kehrt er trotz heftiger Proteste der Bevölkerung in den Kreml zurück, wo er seitdem sein Machtsystem mehr und mehr ausbaut.

Die Tscheka als Terrorinstrument

Moskau – Zentrum der Macht des Geheimdienstes. Russlands Geheimdienste waren immer schon gefürchtet und verklärt. Es gab Zeiten, da genügte schon das Erzählen eines Witzes, um verhaftet zu werden. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes waren stolz, dabei gewesen zu sein.

Russland – das größte Land der Welt. Seit mehr als 100 Jahren sind seine Geheimdienste wichtige Stützen des jeweiligen Regimes. Für manche das Springbrett auf den Weg nach ganz oben. Mit Putin an der Spitze übernahm der KGB die Macht, eine einzigartige Situation. Alles unter Kontrolle. Sie glaubten wirklich, ihr Land zu schützen, denn der KGB war einer der mächtigsten Geheimdienste der Welt.

Das ehemalige KGB-Archiv in Kiew, Millionen Dokumente lagerten hier. Akten, die von der Sowjetunion und ihrer Geheimdienste erzählen. Vom Gulag, von Erschießungen, von Folter und Unterdrückung. Akten die auch davon berichten, wie das größte staatliche Überwachungsorgan, was die Welt je kannte, entstanden ist.

Wer verhaftet wurde, kam in eine Zelle und wurde nachrichtendienstlich erfasst. Die Häftlinge nannten die Prozedur „Klavier-Spiele“. Leute wurden ohne Gerichtsverfahren erschossen. Die Angst vor Feinden in der Bevölkerung nutzte der Geheimdienst, um seine Macht immer weiter auszubauen. Im Inneren, wie auch im Ausland. Gegner werden überwacht, in Liebesfallen gelockt, desinformiert oder ganz aus dem Weg geräumt.

Der Winterpalst in Petrograd 1917, hier beginnt die Geschichte des Geheimdienstes vor mehr als 100 Jahren, mit einer Revolution. Nach der Machtergreifung der Bolschewiki gründet Revolutionsführer Lenin eine historische Geheimpolizei. Die Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage, kurz Tscheka genannt, die Staatssicherheit Sowjetrusslands, auf deren Tradition sich die politische Polizei der Ende 1922 gegründeten Sowjetunion berief. Hiervon abgeleitet wurde der Ausdruck Tschekisten für die Mitarbeiter von Geheimdiensten in den Staaten des Ostblocks.

Am 20. Dezember 1917 beauftragte die sowjetrussische Regierung unter dem Vorsitz Lenins das Mitglied des Militärischen Revolutionskomitees von Petrograd (MRKP), Feliks Dzierżyński, mit der Bildung einer Spezialkommission zur Bekämpfung der Feinde des jungen Staates.

Dieser Geheimdienst wechselt mehrfach den Namen. 1922 GPU als politische Polizei der UdSSR. 1923 OGPU als Vereinigte Staatliche Politische Verwaltung. 1934 NKWD, als Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten. 1946 MGB, als Ministerium für Staatssicherheit. 1954 KGB als Komitee für Staatssicherheit und 1995 in FSB als Föderaler Sicherheitsdienst. Trotz der vielen Namen – die Ziele blieben gleich. Und die Geheimdienstler nennen sich weiter salopp „Tschekisten“.

Der frühere KGB-Oberst Anatoli Sachno erinnert sich, was ihm zu Beginn seiner Laufbahn eingeblaut wurde. „Ein Tschekist sagte man uns, braucht einen kühlen Kopf, ein warmes Herz und saubere Hände. So wurden mir vom ersten Tag an gedrillt. Man hämmerte es uns in unsere Köpfe“.

Ihr Moskauer Hauptquartier am Lubjanka-Platz ist seit 1920 schon bald berühmt und berüchtigt. Von den Tschekisten erwartet man, hart mit jeden Feind des bolschewistischen Staat vorzugehen. Erster Chef der Geheimen Staatspolizei wird 1917 Feliks Dzierżyński, der Sohn eines polnischen Adligen.

Er lässt sich gern der „Eiserne Feliks“ nennen. Dzierżyński kam aus einer streng katholischen Familie und wollte eigentlich Priester werden. Seine Mutter und sein Onkel redeten ihm das aus, da er sich zu viel aus Frauen machte um wirklich ein katholischer Geistlicher zu sein. Doch Dzierżyński hat seinen katholischen Glauben nie ganz aufgegeben. Er übertrug die Ideale einen Jesuitenpfarrers in seine Vorstellung eines perfekten Geheimpolizisten, jemand der Teil der Gesellschaft war und gleichzeitig von ihr getrennt, mit strengen moralischen Werten.

Er galt für alle als eiserner und integrer Mann. Natürlich hatte er auch ein Monster geschaffen, eine furchtbare Organisation. Selbst einige der engsten Vertrauten Lenins hatten Angs vor der Tscheka. Das waren damals wirklich überzeugte Kommunisten und hatten eine klare Vorstellung von der Zukunft ihres Landes. Sie wollten die Weltrevolution auslösen. Es war für viele die große Idee und deshalb waren sie bereit, sich zu opfern und ihre Feinde gleich mit.

Von der Lubjanka aus operiert die Tscheka mit fast unbegrenzter Machfülle und schafft ihre eigenen Mythen. Nur die besten, klügsten und verlässlichsten Leute wurden dafür ausgewählt.

Feliks Dzierżyński

Er galt als große Ehre, den Dienstausweis eines KGB-Mitarbeiters zu erhalten. Propaganda-Filme glorifizieren das Bild des Geheimdienstes und bauen einen sowjetischen James-Bond auf. Drei abendfüllende Spielfilme erzählen die Operationen hinter den deutschen Linien im 2. Weltkrieg. Für angehende Agenten ist der dargestellte KGB-Offizier das Vorbild. Auch der erfolgreich in der DDR gelaufene Spionagefilm „Helden der Tscheka“ von 1963 (ab 28.8.1964 in den Kinos der DDR), der den erfolgreichen Kampf der Tscheka gegen Diversanten und Spitzel während des Bürgerkrieges zum Thema hatte, trug zum Mythos des Geheimdienstes bei.

 

Einer der davonträumt, in den prestigeträchtigen Geheimdienst einzutreten, ist der junge Wladimir Putin.

Schon als Schüler ging er zu einer KGB-Dienststelle und fragte, wie er aufgenommen werden könne. Dort war man aber wenig begeistert und wimmelte ihm ab. Es sollte erst die Universität absolvieren und würde man weitersehen.

Auch Alexander Sdanowitsch, ein ehemaliger KGB-Offizier wollte als junger Mann unbedingt für den Geheimdienst arbeiten. „Ich war damals durch die Bücher und Filme beeinflusst, die diese Arbeit sehr romantisch darstellen“, sagte er. Und auch Alexander Nesdolja, der ehemalige Generalmajor des KGB erzählt, dass er als unbedingt Spione fangen wolle und in der Spionageabwehr arbeiten. Wie sich junge Leute dass eben so romantisch vorstellen.

Anatoli Sachno, der ehemalige Oberst des KGB meint „Wir wollten Patrioten sein, die das Land schützen und waren bereit, dafür unser Leben zu geben“.

Der junge Putin

Wer vom Geheimdienst angenommen wird, erhält eine Spezialausbildung, auch in den dunkelsten Künsten der Spionage. Tag und Nacht wurde auf der Hochschule dafür gelernt, auch Sprachen und schießen gehörten zum Unterricht. Für alle Fächer gab es geschulte Ausbildung und praktische Übungen. Alles über Abwerbung, Erpressung, Bestechung oder Misshandlung gehörten zum Lernprogramm.

In dem abgeschirmten Trainingszentrum außerhalb Moskaus wird noch heute der Agentennachwuchs an Lenins Worte erinnert, die ironischerweise der Bibel entstammen: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“. Der Einfluss des Katholiken Feliks Dzierżyńskis ist bis heute damit verbunden.

Aber auch der legendäre Feliks Dzierżyński, zu Lenins Zeiten Geheimdienstchef bis 1922, muss ständig um sein Leben fürchten, deshalb war er auch sehr vorsichtig. Ein Beispiel: In seinem Büro in der Lubjanka gab es ein Vorzimmer, in der sein Sekretär saß. Einmal überwältigte ein Häftling in einer Zelle im der Nähe seiner Bewacher, nahm ihm die Waffe ab und stürmte den Gang entlang. Er war wild entschlossen, Dzierżyński zu töten. Er platzte ins Vorzimmer, fand aber den Zugang zu Dzierżyńskis Büro nicht. Die Tür war hinter einen Schrank verborgen. Man musste durch den Schrank gehen, was nur wenig Eingeweihte wussten.

Von den Tricks und Grausamkeiten des polnisch-russischer Berufsrevolutionär und Chefs der Geheimpolizei hat Revolutionsführer Lenin keine Ahnung. Lenin hatte in Sicherheitsfragen mehr eine naive Vorstellung, bis 1918. Seine Meinung nach reichte es, 50 bis 100 Bankiers zu verhaften und ihre Betrügereien offen zu legen. Dann würde das russische Volk schon die Schrecken des Kapitalismus erkennen. Dzierżyński widersprach, man müsse brutaler vorgehen. Es gibt Kräfte, die das neue Sowjetsystem zerstören wolle. Man muss nicht nur sehr viele verhaften, sondern auch einschüchtern und eine große Anzahl eliminieren. Er setzte also offen auf Gewalt, um die Revolution zu verteidigen.

Am 5. September 1918 erhielt Dzierżyński nach dem fehlgeschlagenen Attentat Fanny Kaplans auf Lenin von diesem die Order, mit dem Roten Terror zu beginnen, für die er schon heimlich die Grundlagen gelegt hatte.

Fanny Kaplan war eine russische Anarchistin und Sozialrevolutionärin. Am 30. August 1918 wurde Lenin beim Verlassen einer Moskauer Fabrik, in der er eine Rede gehalten hatte, von zwei Kugeln in die Schulter und den Hals getroffen. Kaplan wurde als Attentäterin festgenommen. Im Verhör durch den Tschekisten J. W. Jurowski und Staatsoberhaupt Swerdlow gab sie die folgende Erklärung ab:

„Ich heiße Fanja Kaplan. Heute habe ich auf Lenin geschossen. Ich tat das nach eigener Entscheidung. Ich werde nicht sagen, von wem ich den Revolver bekommen habe. Ich werde keine Details nennen. Ich hatte schon lange beschlossen, Lenin zu töten. Ich halte ihn für einen Verräter der Revolution. Ich war wegen meiner Teilnahme an einem Attentat gegen einen zaristischen Beamten in Kiew nach Akatui verbannt und habe elf Jahre in der Zwangsarbeit verbracht. Nach der Revolution wurde ich freigelassen. Ich war Anhängerin der verfassungsgebenden Versammlung und bin es heute noch.“

Sie erklärte auch, dass sie extrem negativ zur Oktoberrevolution eingestellt sei und die Entscheidung zum Attentat im Februar 1918, nach der gewaltsamen Auflösung der Konstituante durch die Bolschewiken, in Simferopol getroffen habe. Lenin sei ein Verräter der Revolution, der die sozialistische Idee der letzten zehn Jahre durch persönliche Entscheidungen und ohne irgendeine Partei ausgelöscht habe. Es gibt Zweifel, ob sie tatsächlich das Attentat durchführte oder nur als Sündenbock herhalten musste bzw. einen anderen Täter deckte. Nachdem deutlich geworden war, dass Kaplan keine weiteren Angaben machen würde, wurde sie von der Tscheka ohne formelles Gerichtsverfahren im Alexandergarten beim Moskauer Kreml erschossen. Der Initiator der schnellen Erschießung war Jakow Swerdlow.

Im Zusammenhangmit dem Attentat wurde die Anzahl der Arbeitslager bis Ende 1920 auf 107 erhöht. Die Tscheka tötete nach dem Vorbild der Terrorherrschaft während der Französischen Revolution angebliche oder tatsächliche Konterrevolutionäre und legte dabei laut diversen Quellen oft den Schwerpunkt ihrer Außenwirkung auf Abschreckung statt auf Wahrheitsfindung.

Für die Sowjets waren die Bevölkerung, die Bauern, die Dörfer, die Militärs alle verdächtig. Um das Land zu regieren nutzen sie Informanten und Spitzel aus allen Bereichen der Gesellschaft. Lenin lässt sich nun von seinem Geheimdienstchef davon überzeugen, dass überall Saboteure lauern und befiehlt sogenannte Säuberungen. Während des Bürgerkrieges werden von 1918 bis 1920 werden über 120.000 Menschen von der Tscheka ermordet, die Jahre des “roten Terrors“. Er wurde wahllos eingesetzt. Mal erschoss man in den Kellern der Lubjanka, mal brannte man ganze Dörfer nieder. Gefangene wurden auf ein Boot getrieben, dass man dann versenkte oder man schickte sie in die Lager, wo die Regimegegner verhungerten.

Der verhinderte Priester Dzierżyński organisiert staatlichen Massenmord

Religion wird als konkurrierende Ideologie angegriffen, doch diese ist seit Jahrhunderten in der russischen Kultur stark verwurzelt und kann nicht einfach über Nacht durch Atheismus ersetzt werden. Zu Lenins Zeiten werden hunderte von Kirchen zerstört und tausende Priester getötet. Diejenigen, die man am Leben lässt, sind gezwungen, mit der Tscheka zusammenzuarbeiten. Nur ein Bruchteil der Kirchen aus der Zarenzeit bleibt erhalten.

Im Januar 1918 erließ Lenin höchstpersönlich die ersten antireligiösen Gesetze. Er konfiszierte auch das kirchliche Eigentum. Die Religion du das zaristische Regime wurden gleichgesetzt. Um die Reste der Kirchengemeinen auszuschalten, werden sie vom Geheimdienst systematisch unterwandert. Die tonangebenden Bischöfe waren mehr oder weniger Tscheka-Agenten. Als Lenin 1924 stirbt, kommt Dzierżyński eine wichtige Rolle im Kampf um die Nachfolge zu.

Lenin ist tot

Er hilft den vorgesehenen Kandidaten Trotzki beiseite zu schieben und unterstützt Josef Stalin. Der macht schließlich das Rennen und baut den Geheimdienst weiter aus, ganz nach dem Willen Dzierżyńskis, obwohl dieser nicht mehr Chef der Tscheka, sondern jetzt GPU ist.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion verliert der Mythos Lenin in Russland immer mehr an Popularität. Laut einer Umfrage des russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum aus dem Jahr 2017 äußerten sich 32 % der russischen Bevölkerung positiv über Lenins politisches Vermächtnis; somit landete er deutlich hinter Stalin und Putin. 1989 hatten ihn noch 72 % der Befragten als herausragende Persönlichkeit bezeichnet.

1921 schlossen Sowjetrussland und Polen den Frieden von Riga. Nach diesem Krieg bis zu seinem Tod hatte Dzierżyński verschiedene hohe Funktionen. Er blieb Leiter der Tscheka, die nunmehr Vereinigte staatliche politische Verwaltung (GPU) genannt wurde, war bis 1921 Volkskommissar (Minister) für Innere Angelegenheiten, dann bis 1923 Verkehrsminister. Als Vorsitzender des Obersten Wirtschaftssowjets leitete er seit 1924 den Aufbau vieler Wirtschaftsregionen der Sowjetunion. Im April 1923 gründete er in Moskau die Sportgesellschaft „Dynamo“. Von 1924 bis zu seinem Tod war er Kandidat des Politbüros des Zentralkomitees der KPR(B).

Dzierżyński starb 1926 unmittelbar nach einer von ihm gehaltenen Rede vor dem Zentralkomitee an einem Myocardinfarkt (Herzinfarkt). Sein Nachfolger auf dem Posten des Geheimdienstchefs wurde sein Stellvertreter Wjatscheslaw Menschinski, der wie Dzierżyński polnischer Abstammung war. Dzierżyński war verheiratet mit Zofia Dzierżyńska (1882–1968), einer Jugendfreundin von Rosa Luxemburg.

***

Der neue Herrscher Stalin ist entschlossen, den Terror fortzusetzen und will die Sowjetunion zur Weltmacht machen, mit starker Industrie und mächtiger Armee. Als Stalin die Modernisierung erzwang, wurde der Geheimdienst noch wichtiger. Sein Gulag war von zentraler Bedeutung. Gulag war ein System von Straflagern von politischen Gegnern, Kriminellem und gänzlich Unschuldige.

Der Gulag begann mit Straflagern für die Feinde der Partei und der Revolution. Im weiteren Sinn steht es für die Gesamtheit des sowjetischen Zwangsarbeitssystems, das neben Lagern und Zwangsarbeitskolonien auch Sonderlager, Spezialgefängnisse, Zwangsarbeitspflichten ohne Haft sowie in nachstalinistischer Zeit ebenfalls einige psychiatrische Kliniken als Haftverbüßungsorte umfasste. Der Gulag steht für die „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien“. Zunächst war diese Behörde der Geheimpolizei GPU der RSFSR zugeordnet. Nach Gründung der Sowjetunion 1922 wurde die Geheimpolizei nach dem sowjetrussischen Modell der GPU auf alle damaligen Unionsrepubliken ausgeweitet und 1923 in OGPU umbenannt. 1934 wurde die OGPU dem NKWD, dem sowjetischen Innenministerium, eingegliedert.

Von 1930 bis 1953 waren in den Lagern mindestens 18 Millionen Menschen inhaftiert. Mehr als 2,7 Millionen starben im Lager oder in der Verbannung. In den letzten Lebensjahren Stalins erreichte der Gulag mit rund 2,5 Millionen den Höchststand an Insassen. Hinzu kamen in diesem Zeitraum rund sechs Millionen Personen, die als „Sondersiedler“ oder „Arbeitssiedler“ zum Verbleib an ihrem Arbeitsort verbannt waren.

Den Gulag kam auch eine wirtschaftliche Rolle zu. Die GPU erkannte, dass sie damit Massen von kostenlosen Arbeitskräften hatte, die sonst keinen Nutzen für die Gesellschaft darstellten. Daher ließ man sie für den Staat arbeiten. 18 Millionen Menschen leiden in den Lagern des Gulags. 60 Jahre lang werden die Lager betrieben.

Die ehemalige Lehrerin Wera Golubewa saß von 1948 bis 1956 wegen einer ironischen Bemerkung im Gulag ein. Sie sagte beim Bäume pflanzen in einer Moskauer Straße: Die ganze Welt rüstet auf und wir pflanzen Bäume“. Das war es für sie und ihre Familie.

In einem neuen Dokumentarfilm von Coda Story erinnert sich Golubewa an die qualvollen Details ihrer Gefangenschaft. Bei ihrer Festnahme wurde Golubewa zusammen mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrer Schwester in das KGB-Hauptquartier gebracht und gefoltert. Sie war im achten Monat schwanger und freute sich auf ihre baldige Mutterschaft. „Ich hatte das Gefühl, als würden sie mich lebendig begraben“, sagt sie im Film. Kurz bevor sie in ein Arbeitslager verlegt wurde, brachte Golubewa einen kleinen Jungen zur Welt, der wenige Tage später in der Obhut von KGB-Agenten starb. „Das war die schlimmste Grausamkeit als sie mir mein totes Kind brachten“, sagt sie. Sie bekommt keine weiteren Kinder mehr. Sie ist nun 99 Jahre und noch immer trauert sie um ihren Sohn. Acht lange Jahre war sie im Gulag, ein Scherz hat ihr Leben zerstört.

Die Gulag-Sklavenarbeiter ermöglichen den Aufbau von Infrastruktur. Deshalb erlebte Russland in der Zeit der großen weltweiten Wirtschaftskrise, in der die Wirtschaft besonders in den USA, Großbritannien und Frankreich zusammenbrach, einen großen Aufschwung, weil Stalins KGB die volle Kontrolle darüber hatte.

Manche Überlebende des Gulag trösten sich damit, dass sie geholfen haben, aus ihrem Land eine Großmacht zu machen.

Fassen wir zusammen: Der Gulag war ab 1929 ein Netzt von Straf- und Arbeitslagern in der Sowjetunion. Insgesamt tausend Haftstätten landesweit, 18 Millionen Sowjetbürger waren in den Lagern, geschätzte 2,8 Millionen Todesopfer.

Heute verteilt man das ganze System und hält es für einen großen Fehler von Stalins Politik. Es sollte aber nicht der Letzte sein.

 

***

Trotz der Masse von Zwangsarbeitern, dem Diktator geht es nicht schnell genug voran. Er fuhr immer in die Sommerferien in den Kaukasus. Dort traf er sich auch mit den örtlichen Chef der Geheimpolizei und der redete Stalin ein, dass einige der Probleme des Sowjetstaats, vor allem die zu langsame Industrialisierung, rührt nur von Spionen in Bergwerken und Fabriken her. Um die wirtschaftlichen Defizite zu vertuschen, werden Sündenböcke gesucht. Alle sollen Angst vor dem Staatsapparat haben und voreinander. Stalin lässt im südrussischen Schachty einen Schauprozess abhalten. Der Schachty-Prozess vom 18. Mai bis 7. Juli 1928 war der erste Schauprozess in der Sowjetunion nach dem Prozess gegen die Sozialrevolutionäre 1922. Er richtete sich gegen sowjetische und einige ausländische parteilose Spezialisten. Der Prozess machte deutlich, dass die Phase der Klassenversöhnung der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) vorbei war und stand im Zusammenhang mit der Revolution Stalins aus Zwangskollektivierung der Landwirtschaft und der raschen Industrialisierung der Sowjetunion im Zeichen des ersten Fünfjahresplans.

Die Vorbereitung der Anklage lag in den Händen des Geheimdienstes OGPU. Angebliche Sabotageakte in der Region Schachty im Donezbecken im Auftrag von ausländischen und emigrierten russischen Kapitalisten dienten als Aufhänger. Dabei wurde unter anderem eine Konspiration mit Verbindungen zur französischen Finanzwelt und polnischen Geheimdienstkreisen unterstellt. Die angeblichen Verbrechen und die Geständnisse waren Erfindungen, die zuvor vom Geheimdienst akribisch erdacht wurden. Bereits zweieinhalb Monate vor Beginn des Prozesses wurde eine Broschüre mit den vorläufigen Ergebnissen der Ermittlungen veröffentlicht. In dieser wurde ausgiebig aus den Verhörprotokollen zitiert. Zentraler Wert wurde auf den Nachweis der Schädlingsarbeit bzw. Sabotage gelegt. Als Motive wurden antisowjetische Stereotype oder einfache Geldgier konstruiert.

Stalin hatte bereits auf dem Aprilplenum des Zentralkomitees, also vor Prozessbeginn, die Zielsetzung deutlich gemacht: „Die Fakten sagen, dass der Schachty-Fall eine ökonomische Konterrevolution ist, die von einem Teil der bürgerlichen Spezialisten arrangiert worden ist, die früher die Kohleindustrie geleitet hatten. Die Fakten sagen weiter, dass diese Spezialisten, die sich in einer geheimen Gruppe organisiert haben, für die Schädlingstätigkeit Geld von den früheren Herren, die jetzt in Europa in der Emigration sitzen, und von konterrevolutionären antisowjetischen kapitalistischen Organisationen im Westen erhalten haben. Die Fakten sagen schließlich, dass diese Gruppe bürgerlicher Spezialisten auf Anweisung kapitalistischer Organisationen im Westen auf unsere Industrie einwirkte und sie zerrüttete.“

Angeklagt waren 53 russische Ingenieure, Techniker und Funktionäre. Hinzu kamen drei deutsche Ingenieure. Der Prozess fand im großen Saal des Hauses der Gewerkschaften in Moskau statt und dauerte sechs Wochen. Die Verantwortlichen sorgten für eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit. Der Saal fasste 1500 Zuschauer und es gab Logenplätze für Diplomaten. Der Prozess wurde gefilmt und 136 Journalisten waren akkreditiert. Der deutsche Vorwärts merkte indes an, dass die gesamte sozialistische Presse der Welt ausgeschlossen war.

Die normale Zuhörerschaft wechselte jeden Tag. Oberster Richter war Andrei Januarjewitsch Wyschinski. Dieser war in den Schauprozessen der 1930er Jahre Ankläger. Staatsanwalt im Prozess von 1928 war Nikolai Wassiljewitsch Krylenko. Dieser bezeichnete die Angeklagten als „ängstliche Söldner des Kapitals“, die zu feige gewesen wären, der UdSSR offen „den politischen Handschuh entgegen zu werfen.“ Statt sich zu ihrer politischen Position zu bekennen, hätten sie sich feige weggeduckt. Das reuige Auftreten einiger Beschuldigter wurde von der sowjetischen Presse nur als Schauspielerei abgetan. Die teilweise ritualisiert wirkenden Schuldbekenntnisse erschienen insbesondere ausländischen Prozessbeobachtern als wenig glaubwürdig.

Der Form nach lief der Prozess wie ein Indizienverfahren ab. Wie in den Prozessen der folgenden Jahre sollten die Angeklagten vorher einstudierte Aussagen abgeben. Aber im Gegensatz zu den Schauprozessen der kommenden Jahre, gelang es dem Geheimdienst nicht, alle Angeklagten zu einer Selbstbezichtigung zu zwingen. Dreiundzwanzig Angeklagte erklärten ihre Unschuld. Andere zogen ihre Geständnisse im Laufe des Prozesses zurück. Einem der deutschen Angeklagten gelang es sogar, die Selbstanklage eines mitangeklagten Russen als haltlos zu entlarven. Dies hatte auf das Ergebnis aber keinen Einfluss. Das Gericht konnte die angestrebten „Beweise“ für die Schuld mit Hilfe von kooperierenden Angeklagten oder Zeugen erreichen. Was die Rolle der Verteidiger angeht, gibt es in der Literatur zum einen die Auffassung, dass zumindest einige im Interesse der Angeklagten aktiv geworden seien und Lücken und Widersprüche aufdeckten. Daneben gibt es aber auch die Auffassung, dass die Verteidiger sich strikt an die Vorgaben von oben hielten und keine Versuche unternahmen zu Gunsten ihrer Mandanten aktiv zu werden

Der Prozess war von langer Hand vorbereitet und die Angeklagten hatten zu gestehen, was man ihnen vorher gesagt hatte. Allerdings war die Organisation noch nicht so perfekt, wie bei Prozessen in den folgenden Jahren. Zahlreiche Angeklagte waren nicht bereit, sich schuldig zu bekennen oder widerriefen ihre Aussagen. Gleichwohl wurden die meisten der über fünfzig Angeklagten verurteilt.

Neben den üblichen Mitteln eines Strafprozesses wurde auch Zwang eingesetzt. Um die Widerspenstigen zu einer erneuten Bekräftigung ihrer „Geständnisse“ zu zwingen, wurden sie bedroht, körperlichen Misshandlungen ausgesetzt und durch Schlafentzug mürbe gemacht. Insgesamt wurden letztlich nur vier der Angeklagten freigesprochen. Die übrigen wurden verurteilt. Elf wurden zum Tode verurteilt. Davon wurden fünf hingerichtet. Die von dem Urteil ausgehende Lehre war, dass „Krisen von Feinden hervorgerufen wurden, dass die Loyalität der Arbeiter dem Regime und nicht der Familie oder der Verwandtschaft gehörte.“

Anlieferung der Angeklagten während des Schachty-Prozesses

Von den deutschen Angeklagten wurden zwei freigesprochen, einer erhielt eine Bewährungsstrafe. Für diese Milde spielte möglicherweise eine Rolle, dass das Verfahren gegen deutsche Staatsbürger die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu belasten drohte. So drohte der deutsche Botschafter Ulrich von Brockdorff-Rantzau mit seiner Demission.

Stalin folgerte aus dem Prozess, dass „es bei den Parteiorganisationen und Gewerkschaften an revolutionärer Wachsamkeit mangelte. Sie zeigte, dass unsere Wirtschafter in technischer Hinsicht unerhört zurückgeblieben sind, dass manche alten Ingenieure und Techniker, da sie unkontrolliert arbeiteten, leicht auf die Bahn der Schädlingsarbeit abgleiten, umso mehr, als sie von Feinden aus dem Ausland ununterbrochen mit Angebot bedrängt werden.“ Zur Sicherung der Industrialisierung forderte Stalin zur „revolutionären Wachsamkeit“ auf.

Stalin gefiel es, andere für seine Fehler haftbar zu machen, es war einfach und wirkungsvoll. Das amüsierte ihn. Er liebte es, andere Leute anzuklagen und Verbrechen gestehen zu lassen, die er selbst begangen hat.

Der Diktator ist getrieben von ständiger Angst vor Verrat. Seine Politik kostet Millionen das Leben und ruft mutige Gegner auf den Plan. Ein Armeeoffizier, der 400 Mann befehligte, sagte, „Stalin ist ein Verräter und die Sowjetherrschaft ist konterrevolutionär. Trotzki ist ein Held und der Kreml sollte erobert werden“.

Widerstand aus dem eigenen Reihen wird brutal erstickt. 1936 steigert Stalin die Verfolgung zum Wahn. Der sogenannte „Große Terror“ beginnt. Geheimdienst und Geheimpolizei sollen jede Opposition vernichten. Stalin war die Quelle des Terrors, er unterzeichnete persönlich die Verhaftungslisten für leitende Parteifunktionäre und stand an der Spitze des Terrorapparates.

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