Der Nürnberger Prozess

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Der Nürnberger Prozess
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Walter Brendel

Der Nürnberger Prozess

Siegerjustiz oder Gerechtigkeit

Der Nürnberger Prozess

Walter Brendel

Siegerjustiz oder Gerechtigkeit

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2022

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einleitung

1. Die Idee

2. Die Anklageschrift und die Angeklagten

3. Der weitere Prozessverlauf

4. Urteilsverkündung

Fazit

Einleitung

Der 20. November 1945 war der Beginn der Nürnberger Prozesse. Nürnberg wurde ausgewählt, da der Justizpalast kaum beschädigt war und ein großes Gefängnis unmittelbar angrenzte.

Die Siegermächte legten bei den Nürnberger Prozessen viel Wert auf ein ausschließlich an strafrechtlichen Gesichtspunkten orientiertes Verfahren. Am 1. Oktober 1946 schloss der Hauptprozess mit zwölf Todesurteilen gegen hohe NS-Funktionäre und Militärpersonen, von denen zehn am 16. Oktober 1946 vollstreckt wurden.

Als die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkrieges die ganze Dimension der Verbrechen des Dritten Reichs erkannten, war klar, dass sie sich mit einer einfachen Kapitulation nicht begnügen würden. Die Verantwortlichen sollten nicht ungeschoren davonkommen. Ergebnis der Überlegungen war das Internationale Militärtribunal, dessen Verhandlungen nach dem Tagungsort als "Nürnberger Prozesse" in die Geschichte eingegangen sind.

Keine siegreiche Nation und kein Bündnis hat je etwas so Kühnes und Kompliziertes gewagt, wie es die Alliierten vor der Weltöffentlichkeit mit den überlebenden Repräsentanten des Dritten Reiches tun: Sie machen ihnen den Prozess. Der Gerichtshof tritt im November 1945 im Saal 600 des Justizpalastes zum ersten Mal zusammen, um über die "Hauptkriegsverbrecher" zu urteilen. Zu den Angeklagten zählen Reichsmarschall Hermann Göring, Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop, Rüstungsminister Albert Speer, Großadmiral Karl Dönitz und Feldmarschall Wilhelm Keitel, der Judenhetzer Julius Streicher und SS-Sicherheitschef Ernst Kaltenbrunner. Der Justizpalast von Nürnberg ist 218 Verhandlungstage lang Schauplatz des historischen Ereignisses. Im Oktober 1946 endet der Hauptprozess mit der Verkündung von 12 Todesurteilen.

Mit Hilfe einer umfangreichen Sammlung von einzigartigen Originalfilmen und Fotos rekonstruiert das Buch nicht nur das Verfahren im Gerichtssaal, sondern auch die Vorgänge hinter den Kulissen. So erzählt die Dokumentation von der Drogensucht und dem Selbstmord Hermann Görings, vom Gedächtnisverlust des Führerstellvertreters Rudolf Heß, von sensationellen Aussagen über die Verbrechen der Nazis und den Auseinandersetzungen der Siegermächte über den Verlauf des Verfahrens. In zwölf weiteren Prozessen standen Wehrmachtsgeneräle, SS-Schergen, Industrielle wie Alfried Krupp und Beamte wie Ernst von Weizsäcker vor Gericht und wurden verurteilt.

1. Die Idee

Der Justizpalast in Nürnberg. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurden in diesem Gebäude fast 200 Angeklagte verantwortlich gemacht, für zwölf Jahre Diktatur, für Angriffskriege und Massenmord. Herzstück der Verfahren war das internationale Militärtribunal. Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher aus Deutschland.

Am 20. November 1945 werden zwanzig hochrangige Naziführer mit dem Aufzug in den Gerichtssaal gebracht. Hermann Göring spielt bereitwillig den Nazi Nr. 1. Ihm folgen Großadmiral Karl Dönitz, den Hitler in seinem Testament zum Reichspräsidenten ernannte, sowie Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß.

Erstmals ist dieser Nürnberger Prozess eine ungeheure zivilisatorische Leistung, wenn man sieht, dass man davon abkommt, nach diesem grauenhaften Krieg, dieser Gewaltexplosion von standrechtlichen Erschießungen und schnellen Lösungen zu einen schnellen Ergebnis zu kommen oder wenn man tatsächlich sieht, hier wird systematisch ein Prozess vorbereitet, geplant und schließlich durchgeführt, denn das ist etwas, was es bisher in der Weltgeschichte noch nicht gegeben hat.

Auf der Anklagebank sitzen skrupellose Minister und fanatische Ideologen, gnadenlose Militärs und barbarische Vollstrecker von Hitlers Wahn. Die Angeklagten zeigten nicht die Spur von Reue. Es war Teil ihres Stolzes, dass sie alles richtig gemacht haben und es wieder tun würden. Sie werden der Verschwörung angeklagt, Angriffskriege geführt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.

Der Justizpalast 2012

Sie benahmen sich auf der Anklagebank, als wäre es kein faires Verfahren, als wüssten sie bereits, dass sie hängen würden. Warum also das Ganze, die Alliierten waren doch höchst unfair in dieser Sache.

Erstmals in der Geschichte sitzt eine ganze Staatsführung auf der Anklagebank. In den Augen der ehemaligen Naziführung verhandeln in Nürnberg die Sieger über die Besiegten. Und sie konnten sich nicht vorstellen, dass es vernünftige Gründe gab, sie anzuklagen.

Keine siegreiche Nation und kein Bündnis hat so etwas Kühnes und kompliziertes gewagt, wie es die Alliierten mit den überlebenden Repräsentanten des Dritten Reiches tun. Es handelte sich nicht nur um einen Prozess gegen Deutsche, sondern um einen Prozess im Namen der Menschlichkeit. Dieser Prozess sollte verhindern, dass die Tyrannei irgendwo auf der Welt noch einmal ihr Haupt erhebt. Die Idee wurde am 6. Mai 1945 geboren. Ein prominenter Unterhändler wird in das alliierte Hauptquartier gebracht, es war Generaloberst Alfred Jodl. Sein Auftrag waren Verhandlungen über die Kapitulation Nazi-Deutschlands. Hitlers Militärführer hofft auf einen separaten Waffenstillstand mit den Westmächten, unterzeichnet aber dann die Bedingungslose Kapitulation an allen Fronten. US-Oberbefehlshaber General Eisenhower gibt anschließend bekannt, dass der Krieg in Europa am 9. Mai 1945, um ein Uhr nachts der deutschen Sommerzeit zu Ende sein wird.

Augsburg am 15. Mai 1945. Das Dritte Reich scheint verschwunden zu sein, wie ein Spuk. Als sei nichts gewesen, machen die Menschen Besorgungen oder gehen zur Arbeit. Nur eine Trümmerlandschaft ist noch vorhanden, als Zeuge eines Krieges. Es herrscht eine Mischung aus Erleichterung, dass endlich der Krieg vorbei ist, auch aus Erschöpfung heraus, den dieser Krieg in physischer Hinsicht für jeden bedeutet hat, und es ist auch das Ungewisse mit der Frage, was wird jetzt werden.

Auch Furcht und Scham, sicherlich in wenigen zunächst, aber Furcht darüber, ob alle die propagandistischen Aufwallungen, mit denen Goebbels die Deutschen noch bis zum Schluss drangsaliert hat, sind die auch noch von Bedeutung für die Realität. Also alles an Unsicheren, Unbestimmten und auch Furcht vor der Siegerjustiz.

Für das Schicksal der Naziführung interessieren sich nur wenig Deutsche. In der Nähe von Augsburg zeigt sich ein gut gelaunter Hermann Göring der Kamera. Lange Zeit der zweite Mann im Nazistaat war der Reismarschall noch kurz vor Kriegsende in Ungnade gefallen und von Hitler entmachtet wurde.

Gut gelaunter Hermann Göring

Auf Geheiß des „Führers“ sollte seine alter Gefährde den Alliierten nicht lebend in die Hände fallen, doch die SS-Bewacher hielten ihm zwar gefangen, führten den Befehl zur Erschießung aber nicht aus. Zuvor hatte sein Adjutant Oberst Bernd von Brauchitsch die Gefangennahme durch die US-Truppen ausgehandelt.

Hermann Göring war ein intelligenter Mann, er hatte den dritthöchsten IQ und wenn er gute Laune hatte, war er auch durchaus ein unterhaltsamer Gesprächspartner. Nicht nur witzig, sondern auch interessant und er hielte auch fast keine Information zurück. Aber nur, wenn er in der Laune dafür war. „Denn er war auch sehr launisch und mitunter depressiv. Wenn das der Fall war, brachte man es erst gar nicht versuchen, ihm anzusprechen. Er war Morphium abhängig und deshalb immer zwei kleine Koffer mit Paracodintabletten bei sich, von denen er dann immer eine Handvoll nahm. Die Tabletten waren ein leichtes Beruhigungsmittel. Das nahm er dann“, berichtete der US-Ermittler John Dolibois „die er suchtmäßig konsumierte, nachdem er sie 1937 gegen Zahnschmerzen genommen hatte“.

Am 10. Mai wurde Göring nach Augsburg geflogen, wo er in einem Internierungslager der Amerikaner im Stadtteil Bärenkeller zehn Tage lang u. a. von Eric M. Warburg verhört wurde. Kurze Zeit später, am 21. Mai 1945 wird Göring, in Begleitung seiner Frau Emmy und seiner Tochter Edda in das Internierungslager Camp Ashcan im luxemburgischen Bad Mondorf gebracht.

„Ashcan“ („Aschekasten“) und im „Dustbin“ („Mülleimer“) festgehalten, saloppe britische bzw. amerikanische Bezeichnungen für die Kriegsgefangenenlager in Mondorf-Les Bains im Großherzogtum Luxemburg und Schloss Kransberg bei Frankfurt a. M., die für Prominente benutzt wurden.

Hermann Göring ist der Erste von 86 hohen Würdenträgern des III. Reiches, die von den Briten und Amerikanern dort gefangen gehalten und verhört werden. Mit geschichtlichen Persönlichkeiten habe man es zu tun, meint er. Aber nur er, meinte Göring, so groß genug, um verurteilt zu werden. Die internierten ehemaligen Minister, Militärs und Parteiführer Hitlers hätten wohl nichts dagegen. Natürlich gab es die Fanatiker wie Streicher und Ley, die immer noch auf Hitler eingeschworen sind. Aber die weitaus größere Fraktion war die der Nichtswisser. Sie wussten von nichts, hatte keine Ahnung von KZs, Deportation und Massenmord.

 

Die Idee zum Nürnberger Prozess wurde eigentlich schon im Sommer 1944 geboren. US-Präsident Roosevelt hatte Regierungsvertreter damit beauftragt, Strategien zu entwerfen, wie man Kriegsverbrechet ihrer gerechten Strafe zuführen konnte.

Auf der Moskauer Konferenz im Oktober 1943 sind die Alliierten noch sehr vorsichtig gewesen. In einer gemeinsamen Erklärung ist von Plänen die Rede gewesen, Kriegsverbrecher vor den Gerichten der heute noch besetzten und dann befreiten Ländern abzuurteilen zu lassen.

Die Hitlerqulicke sollte nach Willen des britischen Premiers Churchill ohne Gerichtsverfahren erschossen werden. Auch Roosevelt ist dieser Idee zunächst nicht abgeneigt.

Ein junger Anwalt im US-Kriegsministerium entwickelt den Plan für einen Prozess, bestärkt durch seinen Chef, Kriegsminister Henry Lewis Stimson, dem Gewalt und Sühne ohne rechtliches Verfahren zuwider war und der sich schon lange für eine Fortentwicklung des Völkerrechts stark gemacht hatte. Die Nazi-Führer müssten als kriminelle Verschwörer verurteilt werden, da sie Angriffskriege geplant und durchgeführt haben. Was ist aber, wenn es zu viele sind, um sie vor Gericht zu stellen?

Wissenschaftler schätzten, dass es bis zu einer Million Mörder im Zusammenhang mit dem Holocaust gab. Wenn man dazu noch weitere zählte, die in ungesetzlichen Aktionen in Polen verwickelt waren, in den Weiten Russlands unvorstellbare Gräueltaten begingen, auch in Westeuropa, dann ging es um eine riesige Zahl von Menschen.

Die Alliierten brauchten einen Plan, alle Mitglieder der SS, der SA, der Gestapo, der Nazi-Terrororganisationen anzuklagen. Die Idee der Verschwörung zu entwickeln, stammt aus dem amerikanischen Rechtssystem. Man stellt fest, es gibt eine kriminelle Verschwörung und so sind alle, die in die Verschwörung verwickelt waren, ebenfalls schuldig.

Millionen Deutsche müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Es gibt schon dieses Kriminalitätsbewusstsein, je nachdem in welchen Schichten sie sich bewegen und entsprechend sind dann auch ihre Verhaltensweisen. Dann ist doch eine signifikante Zahl von Selbstmorden innerhalb der Funktionärselite des Nationalsozialismus zu verzeichnen, wenn man hier von „Elite“ sprechen will, dann ist das ein Indikator. Auch ein Indikator ist, dass in vielen Rathäusern und Meldeämtern Dokumente vernichtet werden. Das auch die Gestapo versucht, nach Möglichkeit, bevor die Alliierten kommen, die Dokumente wegzuschaffen.

Die Wandlung einer fanatischen Volksgemeinschaft zu friedlichen Besiegten ist eine Hasardaufgabe. Niemand ist ein Nazi, nie einer gewesen, wir hatten von dieser Regierung die Nase vollgehabt. Die Amerikaner sind uns willkommen. Wir haben keinen Grund zur Angst, weil wir nichts Unrechtes getan haben.

Viele Amerikaner fürchten, dass sich Hitlers Erfolgsleute herausreden oder auf ihre Gehorsamspflicht berufen könnten. Dem will man mit der Idee des Planes zur gerichtlichen Aburteilung entgegen wirken. Die Verbrechen und Gräueltaten waren keine Einzelfälle. Das war also die Grundidee, den wichtigsten Angeklagten eine Verschwörung zur Last zu legen, dass sie sich gefunden hätten und zusammen die Regierungsgewalt in Deutschland zu übernehmen und das deutsche Volk ihrer diktatorischen Kontrolle zu unterwerfen.

Sie hatten die Deutschen zu ihren Opfern gemacht, indem sie ihm Freiheit und Demokratie nahmen und in Deutschland eine skrupellose Diktatur errichteten. Als sie das getan haben und das ist die Verschwörung, beginnen sie all ihre Verbrechen im Namen des deutschen Volkes.

Immer noch können sie Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten nicht einigen. Josef Stalin befürwortet Schauprozesse nach sowjetischem Vorbild; Winston Churchill verlangt Hinrichtungen. Doch Präsident Roosevelt setzt sich erfolgreich für den amerikanischer Prozessplan ein.

Für die Politiker war es nicht einfach, sich zu der Einsicht durchzuringen, dass man nach diesem langen und brutalen Krieg etwas so ausgeklügeltes und Geduld erforderndes gerichtliches Verfahren verfolgen solle. Massenerschießungen jedenfalls hätte das amerikanische und britische Rechtsverständnis verletzt. Am Obersten Gerichtshof in Washington regt sich Wiederstand gegen die Pläne des Präsidenten.

Der oberste Richter warnt vor ausgefeilter Lynchjustiz erster Klasse. Auch Richter Robert Jackson ist kein Befürworter eines Gerichtsverfahrens. Der ehemalige Generalstaatsanwalt meint, „wenn man Deutsche aus politischen Gründe erschießen will, kann man das tun. Man darf das Vorhaben aber nicht hinter einen Prozess verstecken“.

Die amerikanischen Gegner des Projektes

Kurz nach Roosevelts Tod übernimmt Jackson auf Bitte des neuen Präsidenten Harry S. Truman die Rolle des Chefanklägers für die Kriegsverbrechen der Nazis. Er wittert die einmalige Chance, ein neues Völkerrecht zu schaffen. Jackson bekommt von seinen Kollegen aus der Anwaltskammer und sogar aus dem Obersten Gerichtshof, aber auch von Freunden und Kontakten aus der Regierung viel Skepsis zu hören. Man ist skeptisch, dass neues Rechts geschaffen wird, auch darüber, in welchen Zeitrahmen und Schwierigkeiten das erreicht wird. Man ist weiter skeptisch, ob das Verfahren am Ende Früchte tragen wird, in Hinblick auf Gerechtigkeit und Abschreckung.

Die US-Ermittler entdecken überall in Deutschland Spuren des Nazi-Gräuels. Kameras dokumentieren das Grauen. Empörte US-Offiziere zwinge Deutsche aus umliegenden Ortschaften die Zustände in den Lagern anzusehen, bevor sie beseitigt werden. Während Jackson den Prozess gegen die Verantwortlichen des Elends vorbereitet, erreichen zudem Nachrichten von den Vernichtungslagern in Osten und den Völkermord an den Juden die USA.

Jackson wird von Repräsentanten der jüdischen Gemeinde angesprochen. Sie wollten einen Prozess, der im Mittelpunkt stellt, was wir heute den Holocaust nennen. Er war dagegen und sagte, das ist keine gute Idee, es muss um Menschlichkeit gehen und nicht um die Juden allein. Es geht um das Recht, nicht um neue Rechtsnormen. Tatsächlich wurden als die Kenntnisse um die Details von Massenhinrichtungen und der Endlösung nur zu einem Teilaspekt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammengefasst, den man wiederum in direkte Verbindung zu den Angriffskriegen brachte.

So furchtbar der Holocaust auch war, Jackson hält ihm für eine Folge der Hauptverbrechen der Nazis, den Angriffskrieg. Seiner Ansicht nach hat Hitlers wahnsinniger Griff nach ganz Europa, haben die Überfälle auf Polen und der Sowjetunion die damals noch gültige Völkerrechtslehre ad absurdum geführt, die besagt, dass souveräne Staaten das Recht haben, Krieg zu führen und ihre Bürger in die Schlacht gegen Bürger anderer souveräner Staaten zu schicken.

Krieg führen war damals nicht verboten, man rechtfertigte einen Krieg, indem man ihn begann. Jackson fand, dass dies Unrecht und die Zeit reif ist, um das Völkerrecht weiter zu entwickeln.

Es war die rechte Zeit und der rechte Ort eine grundsätzlich neue Idee zu entwickeln. Krieg führen sollte nach dem Völkerrecht strafbar sein, Angriffskriege als Verbrechen gebrandmarkt werden. „Ich bin überzeugt, dass wir die Chance haben, jedem mit einen gerechten Urteil zu bestrafen, die es für ungefährlich hielten, einen rücksichtslosen Angriffskrieg zu beginnen“, so Robert Jackson 1945.

Doch wer soll für die Verbrechen in Namen des III. Reiches vor Gericht gestellt werden? Sowohl Adolf Hitler, als auch sein Propagandaminister Josef Goebbels haben ihr Leben von eigener Hand beendet. In den Augen der britischen Verbündeten ist ihr Tod von Vorteil, macht es doch einen Prozess weniger riskant.

SS-Chef Heinrich Himmler entzieht sich strafrechtlicher Verfolgung durch Einnahme einer Zyankali-Kapsel. Vergeblich hatte er versucht, sich der neuen Regierung von Großadmiral Dönitz anzuschließen. Heinrich Himmler, der mit großem Gefolge in Flensburg angekommen war, bemühte sich, Mitglied der neuen Reichsregierung zu werden, doch Dönitz berücksichtigte ihn nicht bei seiner Regierung, die er am 5. Mai ernannte. Bei einem Essen am 6. Mai sprach Dönitz mit Himmler darüber. Man will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Als einfacher Soldat verkleidet, wird Himmler von einer britischen Streife aufgegriffen und beging Selbstmord.

Am 10. Mai stimmte Dönitz zu, dass SS-Angehörige mit Personalpapieren der Kriegsmarine ausgestattet wurden, damit sie ihre Mitgliedschaft in der SS verschleiern konnten, denn es war offensichtlich, dass Mitglieder der SS unter anderem für den Völkermord an den Juden und von ihr begangene Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen würden.

Resümieren wir, Hitler, Himmler, Goebels sind tot, Bormann ist flüchtig. Die ehemaligen Größen von Partei und Staat stehen für einen Prozess nicht mehr zur Verfügung. Wer kommt also auf die Anklagebank?

In Flensburg hat Karl Dönitz im Mai 1945 als Nachfolger von Hitler, eine bereits Ende April vorbereitete Geschäftsführende Reichsregierung unter Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk als Leitenden Reichsminister ein

Nazi-Größen am 5. Mai eine bereits Ende April vorbereitete Geschäftsführende Reichsregierung unter Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk als Leitenden Reichsminister ein. Der Regierung gehörten weitere Nazi-Größen wie Rüstungsminister Speer und hohe Militärs wie Generaloberst Jodl in seine Kabinett berufen. Man will Deutschland regieren, täglich treffen sie sich zur Sitzungen. Über Macht verfügen sie nicht.

Ohne Frage hatte das Ganze auch einen politischen Hintergrund. Natürlich würden sich die Alliierten sich nicht selbst anklagen, es waren die Sieger, die den Prozess organisierten. Das Problem der rückwirkenden Gesetzgebung führte dazu, ein internationales Militärtribunal einzusetzen mit einen Statur von Rechtsgrundsätzen. Man konnte so behaupten, dass kein neues Recht geschaffen wird, sondern dass lediglich eine neue Institution bestehendes Recht anwendet. Nach und nach gehen den Siegern viele Naziführer ins Netz. Robert Ley, der Chef der Deutschen Arbeitsfront hat sich einen Bart wachsen lassen. Hitlers Chefideologe Alfred Rosenberg wird in einem Lazarett der Marineschule in Flensburg aufgespürt. Er hat sich im betrunkenen Zustand den Knöchel verstaucht. Der Judenhetzer Julius Streicher gibt sich in Bayern als Kunstmaler aus, wird aber von einem zufällig vorbeikommenden US-Offizier erkannt.

Auch die Flensburger Nachfolgeregierung Hitlers ist am Ende. Am 23. Mai 1945 wurde Dönitz mit den Generalen des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) und den Mitgliedern der Regierung verhaftet, die in der Marinesportschule im Sonderbereich Mürwik angetroffen wurden.

Am 23. Mai 1945 wurden Großadmiral Karl Dönitz, Generaloberst Alfred Jodl und Albert Speer durch britische Soldaten verhaftet und in Anwesenheit der Weltpresse im Hof des Polizeipräsidiums in Flensburg vorgeführt.

Am 23. Mai 1945 wurden Dönitz und die Angehörigen des OKW Jodl und Friedeburg auf die Patria bestellt, auf der die alliierte Überwachungskommission für das OKW unter dem amerikanischen Generalmajor Rooks und dem britischen Brigadegeneral Foord residierte. Dort wurde ihnen die auf Befehl General Eisenhowers mit Zustimmung des sowjetischen Generals Schukow angeordnete Verhaftung als Kriegsgefangene mitgeteilt. Auch die Mitglieder der Geschäftsführenden Reichsregierung wurden an diesem Tag verhaftet.

Am 5. Juni 1945 verkündeten die Alliierten in der Berliner Erklärung ihre Übernahme der obersten Regierungsgewalt über Deutschland.

Jacksons Team sichtete die Beweise gegen die Nazi-Führer, doch der Chef-Ankläger muss erkennen, dass seine Aufgabe nicht ganz so einfach ist. Er findet heraus, dass keine Untersuchung abgeschlossen ist und nur wenige Beweise vorliegen, die einzelne Personen belasten. Auch wenn er über genaue Kenntnisse der Gräueltaten und das Fehlverhalten auf Regierungsebene verfügt, benötigt ein Ankläger unwiderlegbare Beweise der Schuld wie Zeugen und Dokumente, um im Gerichtssaal zu bestehen.

In der festen Überzeugung des Führers Nachfolger zu sein, hat sich Hermann Göring mit Frau und Kind sowie viel Gepäck in die Hände der US-Armee begeben und fragt, wenn er zu Eisenhower gebracht wird. Jetzt nach Hitlers Tod wollte er der Nazi Nr. 1 sein. Das ist interessant, weil doch Hitler den Großadmiral Dönitz zu seinem Nachfolger ernannt hat und Göring verstoßen wurde. Das hat Göring nie akzeptiert und fühlte sich Dönitz gegenüber als immer überlegen. Ihm hatte Hitler zum zweiten Mann gemacht, er war der rechtmäßige Erbe. Er dachte, am würde ihm ins Exil, in einen luxuriösen Kurort schicken, so wie Napoleon. Die Amerikaner brachten ihm in einen Kurort, aber es war Bad Mondorf.

 

Görings Telegramm vom 23. April 1945 an Hitler

Göring ist sicher, dass ihm die Amerikaner als Unterhändler akzeptieren werden. Doch dann muss er seine Pistole abgeben und wird verhaftet. Trotzdem glaubt er weiter fest daran, dass die Sieger Deutschland nicht ohne ihn regieren können. Hitler war engstirnig, Rudolf Heß exzentrisch und Ribbentrop ein Schurke, erzählt er seinen Bewachern und ermahnt sie, gut auf ihn aufzupassen. Nicht im entfernsteten dachte er daran, mit einer Anklage rechnen zu können. Einige seiner vormaligen Feinde scheinen ihm beizupflichten. Ein hoher US-General gibt für den Gefangenen sogar eine Party. Krieg ist wie ein Fußballspiel, meint Göring, wer verliert schüttelt die Hand seines Gegners und alles ist vergessen. US-Reporter dürfen Göring interviewen, der sich mit Charme und Schlauheit versucht, sich aus der Affäre zu ziehen.

Mit Hitler sei er seit geraumer Zeit verkracht gewesen zu sein, behauptet er. Wäre ihm bekannt gewesen, was in den Konzentrationslager vor sich gegangen ist, hätte er energisch durchgegriffen. Jackson ist außer sich, als er von dem Auftritt in Marschallsuniform erfährt.

Göring und andere befanden sich in Europa, in Gewahrsam der US-Armee, Jacksons kleiner Staat ist immer noch Washington. Außerdem müsse Beweise gesammelt werden, doch damit hat man noch nicht einmal begonnen. Er will dass man die Reporter nicht mehr zu Göring lässt und diesen wegsperrt, bis er dort eintrifft.

Am 22. Juni 1945 wird der Reichsmarschall außer Landes gebracht und im luxemburgischen Bad Mondorf erkennungsdienstlich behandelt, wie ein gewöhnlicher Verbrecher. Das ehemalige Kurhotel in Luxemburg wird schwer bewacht. Man befürchtet Befreiungsversuche fanatischer Nazis. 86 Gefangene befinden sich hier im Gewahrsam, sie werden Tag und Nacht abgehört. „Wir sorgten dafür, dass sie gut behandelt würden, um die Vernehmungen zu erleichtern. Die Atmosphäre des Palast-Hotels, der Park, die Veranda ermöglichten Gespräche untereinander. Sie konnten jederzeit an der Tür klopfen, wenn sie in Stimmung für eine Unterhaltung waren. Diese Freiheit hatten sie, doch daraus resultierte ein Konflikt mit unseren Oberst. Der meinte, sie seien Verbrecher und werden auch so behandelt. Wir versuchten ihm zu erklären, dass sie nicht einmal angeklagt, geschweige denn für schuldig befunden waren. So wurden sie also wie Kriegsgefangene behandelt“, sagt John Dolibois, der US-Ermittler.

Der drogensüchtige Göring wurde auf Entzug gesetzt. Die Zimmer des Palast-Hotels hatten nur eine karge Ausstattung.

Zimmer im Palst-Hotel

Den Gefangenen war es nicht erlaubt, Gürtel und Krawatten zu tragen. Die Schnürsenkel waren gerade solang, um die Schuhe an den Füßen zu halten. Ihre Mahlzeiten aßen sie nur mit einem Löffel. Sie konnten sich aussuchen, mit wem sie am Tisch sitzen wollten. Aus eigenem Antrieb, aber ganz im Sinne der anderen, aß Göring allein, um sich von ihnen abzugrenzen. Er war schließlich der Anführer und Nachfolger des Führers. „Eines Tages hatte ich Dienst und stand ganz nah bei Göring, als ein normaler Kriegsgefangener, ein Leutnant, einen Teller mit Eintopf brachte und vor Göring hinstellte. Der schaute darauf und schob ihn angewidert weg. >Nimm diesen Dreck weg, zu Hause haben meine Hunde besseren Fressen bekommen, als dass hier<. Der Leutnant nahm den Teller, schlug die Hacken zusammen verbeugte sich und sagte >Herr Reichsmarschall, da hatten Ihre Hunde besseres Essen als die deutschen Soldaten<. Er nahm den Teller, machte ein Gesicht, als ob das ganze bereute und marschierte zurück in die Küche“, so John Dolibois.

***

Währenddessen fahnden Ermittler in Jacksons Auftrag nach Beweisen für die Schuld der Nazi-Führer. Und sie finden heraus, dass die Deutschen Details ihrer Verbrechen aufgeschrieben haben und es ihnen nicht gelungen ist, alles rechtzeitig zu vernichten. So kommen nach und nach tausende Dokumente der Barbarei ans Licht.

„Meine Aufgabe bestand darin, gegen Ernst Kaltenbrunner zu ermitteln, das war sozusagen, mein Angeklagter. Er war der Chef des Reichssicherheits-Hauptamtes. Dazu gehörten die Gestapo und der Sicherheitsdienst. Ich suchte viele Gestapo-Beamte auf und fand Hinrichtungsanordnungen, die irgendwo auf dem Boden herum lagen. Alles unterschrieben von Ernst Kaltenbrunner. Ich musste sie nur aufheben. Sehr viele belastende Dokumente war nicht vernichtet worden und es gelang uns, sie zu finden“, so US-Ermittler Whitney Harris.

Bei einem Besuch in Hitlers Reichskanzlei findet der US-Chefankläger selbst in den Trümmern belastendes Material. Hier hatte der Diktator sein Leben ein Ende gesetzt, war im Garten verbrannt und verscharrt worden. Die meisten Deutschen wollten von den Verbrechen ihrer Regierung nichts gewusst haben, erst nach und nach finden Die Ermittler Zeugen, die bereit sind, die Wahrheit über den Völkermord an den Juden zu berichten.

„Ich habe Befragungen durchgeführt und wurde mit der Übersetzung vieler Dokumente beauftragt, plötzlich öffnete sich die Tür und ein Mann trat herein, der ganz grau im Gesicht war. Nicht sehr groß, etwa 1,70 und ganz verdreckt. Er machte einen ungewöhnlich besorgten Eindruck. Zunächst wusste er nicht, ob er offen zu mir sprechen konnte. Ich fragte ihm, ob ich irgendwie behilflich sein könne.

Hermann Friedrich Gräbe sagt aus, dass er als Fabrikant in der Ukraine sein Glück suchte und dort viele jüdische Zwangsarbeiter beschäftigte. Als diese eines Morgens nicht erschienen, machte er sich auf die Suche und wurde Augenzeuge der Auflösung des Ghettos von Dubno. Er stand da und es begann eine tragische Prozession von Menschen, Männer, Frauen, Kinder. Sie nährten sich in Gruppen von Zwanzig und mussten sich Entkleiden. Sie wurden untersucht, z.B., ob sie nach Goldzähne hatten. All das wurde dann in Kübel geworfen. Sobald sie dann ganz nackt waren, wurden sie die Stufen zur Grube hinunter geführt. Am Fuß der Stufen angekommen, wurden sie von Männern mit Maschinenpistolen erschossen. Das wiederholte sich so lange, bis alle 5.000 Menschen tot waren.

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