Das Königreich von Münster

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Das Königreich von Münster
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Walter Brendel

Das Königreich von Münster

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

gunter.50@gmx.net

Inhalt

Impressum

Vorwort

Es begann in Zürich

Richtungen der Täuferbewegung

Das Königreich von Münster

Einleitung

Münster und das "Täuferreich" im Spiegel der Flugschriften 1534-1538

Die Macht der Propheten und die Endzeiterwartung

Der Aufstand der Bürger gegen den Fürstbischof

Die Täufer, die Münster beherrschten

Das Reich der Täufer in Münster

Einzelne handelnde Personen

Bernd Rothmann

Franz von Waldeck

Jan Matthys

Jan van Leiden

Bernd Krechting

Heinrich Krechting

Bernd Knipperdolling

Fazit und Zusammenfassung

Quellen

Vorwort

Bevor wir uns in dieser Dokumentation mit der eigentlichen Thematik beschäftigen, bedarf er vielleicht erst mal einer Definition des Begriffes Wiedertäufer.

Das Täufertum ist eine bestimmte Form des Christentums. Diese Christen finden, dass man sich Jesus Christus als Vorbild nehmen soll. Sie sind gegen Gewalt und wollen in einer Gemeinschaft leben, in der die Gläubigen gleich viele Rechte haben.

Es gab und gibt viele verschiedene Gruppen von Täufern. Ihren Namen haben sie daher, dass sie die Taufe besonders wichtig finden. Sie meinen, dass man nicht als Baby, sondern als Jugendlicher oder Erwachsener getauft werden soll. Erst dann kann man verstehen, worum es geht: Durch die Taufe wird man Mitglied der Gemeinschaft der Gläubigen.

Eine Zeitlang nannte man sie auch Wiedertäufer. Das griechische Wort Anabaptisten bedeutet dasselbe. Als das Täufertum entstand, waren die Christen in Europa schon alle als Kleinkind getauft. Darum mussten sie als Erwachsene nochmals getauft werden, fanden die Täufer.

Anneken Hendriks war eine Frau in den Niederlanden. Vor 500 Jahren wurde sie verbrannt: Man hatte herausgefunden, dass sie eine Täuferin war.

Das Täufertum entstand nach dem Jahr 1500, genauso wie die Reformation. Die Täufer wurden oft verfolgt: Anders als die meisten Protestanten wollten sie nicht dem Staat dienen. Denn wenn man zum Beispiel Richter oder Soldat ist, muss man manchmal Gewalt gutheißen.

Einige wenige Täufer-Gruppen waren durchaus für Gewalt. Sie wollten andere Christen dazu zwingen, ebenfalls Täufer zu werden. Oder aber sie waren für die Bauern in den Bauernkriegen.

In der Stadt Münster in Westfalen gelang es einer Gruppe sogar, die Herrscher zu werden. Diese Wiedertäufer von Münster töteten viele ihrer Gegner. Allerdings ging es diesen Wiedertäufer wohl nicht so sehr um den Glauben, sondern vor allem um Macht und Geld.

Die „Täufer“ sind keine in sich homogene Gruppe. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Säuglingstaufe ablehnen, stattdessen die „Glaubenstaufe“ pflegen, die voraussetzt, dass der Täufling selbst ein Bekenntnis ablegen kann.

Täufer lesen die Bibel - geheime Messe auf einem Fährboot, Jan Luyken, 1685

Da sie diese Taufe auch an Menschen vollzogen, die bereits als Säuglinge getauft waren, nennt man sie auch „Wiedertäufer“, englisch „Anabaptists“, niederländisch „Doopsgezinde“. Die nach Menno Simons genannten Mennoniten, die Hutterer und Amish sind bekannte Gruppen, die in Europa und nach ihrer Auswanderung in Amerika bis heute existieren.

Innerhalb der täuferischen Bewegungen gibt es eher biblizistisch ausgerichtete Gruppen, mystisch – spiritualistisch und apokalyptisch ausgerichtete.

Im schweizerischen Schleitheim (Kanton Schaffhausen) fand 24. Februar 1527 unter der Leitung von Michael Sattler die wichtigste Täufersynode statt. Hier einigte man sich auf die sogenannten „Schleitheimer Artikel“.

Danach lehnen die meisten jegliche Form von Gewalt ab und pflegen eine streng wörtliche Auslegung der Bibel, in der die Kindertaufe etwa nicht explizit vorkommt, allenfalls mit einiger exegetischer Mühe aus dem Evangelium (Mk 10, 13- 16 par) und der Apostelgeschichte (Apg 10, 48) ableitbar scheint. Sie leisten ihrem Bibelverständnis entsprechend keinen Eid und verweigern den Dienst mit der Waffe. Sie stehen der Obrigkeit insgesamt distanziert gegenüber.

Dies und die Nähe einiger Gruppen zu den aufständischen Bauern oder zu Thomas Müntzer ließ die Täufer in den Augen der Obrigkeit als „Störenfriede“ erscheinen und führte zu ihrer grausamen Verfolgung. Die Reformatoren stellten sich dabei auf die Seite der Obrigkeit, nicht zuletzt, um in einem Abgrenzungsprozess die eigene Position zu sichern.

So machte auch Zwingli, der der Täuferbewegung ursprünglich nahe stand, gemeinsame Sache mit dem Züricher Rat, und Felix Manz wurde im Januar 1527 als erster Märtyrer der Bewegung in der Limmat ertränkt. Auch die Wittenberger Theologen einschließlich Luther gingen im Schulterschluss mit der Obrigkeit unbarmherzig mit den Täufern um. Auf dem Reichstag in Speyer 1529 – dem Reichstag der Protestation – wurde die Todesstrafe für alle wiedergetauften Personen festgelegt.

Auf Drängen des Kaisers erließ Kurfürst Ludwig V. bereits 1528 ein Mandat wider die Täufer, aufgrund dessen im Bereich des Oberamtes Alzey fünfzehn Menschen hingerichtet wurden. Am 25. August 1557 fand auf Anordnung des Kurfürsten in Pfeddersheim ein Gespräch mit den Täufern statt, die im südwestdeutschen Bereich verbreitet waren. An dem Gespräch nahm Melanchthon teil.

Man bezeichnete die Täufer als „teuflisches Geschmeiß“ und bewirkte deren Austreibung. In Worms entstand 1527 durch zwei Randfiguren der Täuferbewegung, Hans Denck und Ludwig Hätzer, eine Übersetzung sämtlicher Propheten des Alten Testaments vor, zu einem Zeitpunkt, als weder Zwingli noch Luther so weit waren. Beide habe die Übersetzung gekannt und benutzt.

Luther hat sie gut gefunden, jedoch abgelehnt, da „Schwarm- und Rottengeister nicht treulich dolmetschen können“ und sie außerdem jüdische Hilfe in Anspruch genommen hätten. Auch Zwingli hat eher dogmatische Vorbehalte.

Einen besonderen Weg ging der hessische Landgraf, Philipp der Großmütige, der sich gegen den Rat der Theologen weigerte, einen Täufer hinrichten zu lassen, außerdem durch die Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung, in der die Konfirmation eingeführt wurde, einen Kompromiss mit den Täufern gesucht hat.

Vor der Darstellung der Ereignisse der Jahre 1534/35 muss über das Entstehen und die Lehre der Täufer berichtet werden: Luthers Anliegen war die Reform der christlichen Kirche, sein Prinzip die Rückführung auf die Bibel gewesen.

Die große Verbreitung der lutherschen Bibelübersetzung führte dazu, dass ungezählte Gelehrte und Nichtgelehrte sich berufen fühlten, durch ihre Bibelauslegung auf andere Art als Luther die Erneuerung der christlichen Kirche herbeizuführen.

Die bekanntesten dieser reformatorischen Persönlichkeiten sind Zwingli in Zürich und Calvin in Genf. Von Zwingli spaltete sich 1525 eine Gruppe ab, die die Kindertaufe ablehnte mit der Begründung, dass Christus gesagt habe: "Wer glaubt und getauft wird, wird selig" (Markus 16,16), folglich wäre Voraussetzung für die richtige Taufe der Glaube - daher "Glaubenstaufe" -, den ein Kind nicht haben könne. Weil sie deshalb die Erwachsenentaufe forderten, wurden sie "Täufer" - spöttisch "Wiedertäufer" - genannt. Selbst nannten sie sich "Gemeinde Christi".

Weil nach ihrer Meinung Katholiken, Lutheraner und Zwinglianer das wahre Christentum verfälscht hatten, wollten die Täufer nach dem Wortlaut der Bibel und dem Vorbild der urchristlichen Gemeinde ein "richtiges" christliches Leben führen: als "Auserwählte Gottes" forderten sie von ihren Anhängern die Beobachtung strengster Sittengesetze, die Absonderung von der "sündigen" Welt und die Ablehnung aller öffentlichen Verpflichtungen.

 

Zu den öffentlichen Verpflichtungen gehörte beispielsweise der Eid, der im Stadt- und Gemeindeleben eine große Rolle spielte (z.B. musste jeder Bürger sich unter Eid verpflichten, die Stadt zu verteidigen und bei Bränden zu helfen). Da keiner ohne Eidesleistung Bürger einer Stadt werden konnte, stellt die Eidesverweigerung eine Gefährdung des Gemeinwesens dar.

Wie die ersten Christen lebten die Täufer in der Erwartung der nahen Wiederkehr des Herrn. In dieser Erwartungshaltung wurden sie bestärkt durch die seit der Jahrhundertwende verbreitete Auffassung vom baldigen Weltende (vgl. u. a. Dürers Holzschnitte zur Apokalypse, 1496/98) mit dem erwarteten Strafgericht Gottes, für das das Vordringen der Türken (1529 Belagerung Wiens) ein sichtbarer Beweis schien. "Denn Daniel sagt, dass nach dem Türken flugs das Gericht und die Hölle folgen soll" (Luthers Heerpredigt wider die Türken, 1529).

Aus Zürich wurden die Täufer auf Veranlassung Zwinglis vertrieben. Die geflüchteten Täufer verbreiteten ihren Glauben - mit dem Missionseifer der ersten Christen - insbesondere am Ober- und Niederrhein sowie in den Niederlanden.

Am Niederrhein und in den damals habsburgerischen Niederlanden hatte sich infolge der Unterdrückung ein Untergrundprotestantismus entwickelt, der für die täuferischen Ideen aufgeschlossen war; eine Neigung zu frommer Absonderung von der offiziellen Kirche war dort schon lange verbreitet.

1529 gab es bereits in mehr als 500 Städten und Gemeinden Täufer. Überall wurden sie verfolgt.

Wer aber sind diese „Wiedertäufer“? Sie waren eine radikale christliche Sekte, die in der Reformationszeit in der Schweiz unter Weggefährten des Reformators Zwingli entstand, weil ihnen seine und Luthers Reformation zu wenig radikal und konsequent war. Diese enttäuschten „Brüder in Christo“ wurden von ihren Gegnern „Wiedertäufer“ genannt, weil sie Menschen, die bereits als Säugling getauft waren, ein zweites Mal tauften. Sie strebten eine freie Kirche an, eine „Gemeinschaft der Gläubigen“, die auf dem freien Willen des Einzelnen beruht. Zumeist waren sie friedlich und gewaltfrei, forderten die Trennung von Kirche und Staat ebenso wie Priesterehe, Gütergemeinschaft und Absonderung von der Welt. Konsequenterweise verweigerten sie daher Militärdienst und öffentliche Ämter sowie Lehens- und Gerhorsamseid gegenüber der Obrigkeit. Das aber war zu viel für Kaiser, König und Fürsten, das konnten sie sich nicht bieten lassen, damit waren sie für das katholische und das evangelische Lager verdächtig. Vor allem, weil sich ihre Ideen rasch über ganz Mitteleuropa ausbreiteten und den Zielen der Bauernaufstände ähnlich waren.

Landeshauptmann Sigmund von Dietrichstein

Der Reichstag zu Speyer im Jahr 1529 gilt zwar als Meilenstein der Gewissensfreiheit für die Evangelischen, führte aber auch die Todesstrafe für die Täufergemeinde ein. Denn Sendboten der Täufer, wie sie sich selbst nannten, zogen bereits überall durch die Länder, um ihre Art der Reformation voranzutreiben. Frühestes Beispiel in der Steiermark war ein katholischer Priester namens Hans Haas, der in Windischgrätz (Slovenj Gradec) mit den Ideen der Täufer in Kontakt kam, in der Folge die Taufe in deutscher Sprache spendete, seine Magd heiratete und eine große Anhängerschaft um sich sammelte. In Graz wurde Hans Haas am 2. Dezember 1527 als erstes steirisches Opfer aus Glaubensgründen in der Reformationszeit hingerichtet. Schlag auf Schlag ging es nun weiter. In Hartberg wurde am 12. Mai 1528 ein Bürger bestraft, weil er einem Täufer ein Nachtlager gewährt hatte. In Bruck tauchten mehrere Täufer auf und disputierten mit den lutherisch Gesinnten, die Behörde verhaftete einen und führte ihn nach Graz ab. In Leibnitz verfuhr man besonders streng mit ihnen. Ihr Anführer, ein Bogenbauer, war geflohen. Landeshauptmann Sigmund von Dietrichstein befahl, dessen Haus , „in dem die Wiedertaufe und das Brotbrechen gehandelt und den Pfaffen Weiber gegeben worden“, niederzureißen. Als dies nicht schnell genug ausgeführt wurde, beauftragte König Ferdinand den Landeshauptmann persönlich mit dieser Aufgabe.1528 wurden in Bruck neun Männer enthauptet und drei Frauen ertränkt, weil sie Täufer waren. Daran erinnern die drei Kreuze der Stahlinstallation des Brucker Künstlers Hannes Pirker, die seit 2014 wieder von der Grazer Brücke in Bruck hängen.

Vom 12. Juni bis zum 5. November 1530 wurden von der Behörde sogar zwei Kundschafter durch das Ennstal geschickt, die Aktivitäten der Täufer ausspionieren sollten. Anno 1534 wurden in Graz der evangelische Lehrer Daniel Kropf und zwei weitere Männer „mit dem Schwerte gerichtet“, weil sie Täufer waren, vier „Schwestern“ wurden ertränkt. Der kaiserliche Rat und Landesverweser Adam von Holeneck erließ am 11. Mai 1535 eine Kundmachung, dass energisch gegen alle Vorsteher und Rädelsführer der Wiedertäufer zu verfahren sei. Vor allem im Viertel Vorau, im Mürztal und im ganzen Ennstal sollte „sorgfältig auf solch räudig Schafe, von denen eins die ganze Herde verdirbt, geachtet werden“, zitiert J. Loserth in seinem Artikel „Die Wiedertäufer in Steiermark“, 1894. Heute gehen noch die Freikirche der Mennoniten, die Amish People und die Hutterer (benannt nach dem Tiroler Täufer Jakob Hutter, der 1536 in Innsbruck auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde) auf die Täuferbewegung zurück.

Verbrennung Salzburger Täufer 1585 in Burghausen

Wer sind die Wiedertäufer, eigentlich nur Täufer genannt, denn die diskreditierende Bezeichnung als „Wiedertäufer“ (abgeleitet vom griechischen anabaptista) stammt noch aus der Reformationszeit. Man lehnte deshalb von Anfang an die Bezeichnung Wiedertäufer als pejorativ1 ab. Sie bezeichneten sich in ihren Anfangsjahren unter anderem als Brüder in Christo und Gemeinde Gottes. Bereits Johann Conrad Füßlin vertrat Mitte des 18. Jahrhunderts die Auffassung, dass „der verhasste Name Wiedertäufer zu Unrecht beigelegt werde“. In der heutigen Literatur wird mehrheitlich auf die polemisch aufgeladene Bezeichnung verzichtet und der unparteiische Begriff Täufer verwendet. Zuweilen werden die Täufergruppen auch als Teil der radikalen Reformation bezeichnet. Im englischsprachigen Raum ist man bis heute bei der Bezeichnung Anabaptists (wörtlich „Wiedertäufer“) geblieben, um sprachlich zwischen den in der Reformationszeit entstandenen Täufern und den Angehörigen der später entstandenen Baptists (Baptisten, wörtlich „Täufer“) unterscheiden zu können.


Täufer lesen die Bibel

In der älteren Täuferforschung ging man in Hinblick auf die Entstehung der Täuferbewegung von einer Monogenese aus. Demnach hätte die Täuferbewegung im reformatorischen Zürich unter früheren Weggefährten Huldrych Zwinglis wie Konrad Grebel, Felix Manz und Jörg Blaurock ihren alleinigen Anfang genommen, und sich von dort auf unterschiedlichen Wegen zunächst in der Schweiz und dann im süddeutschen und österreichischen Raum und später auch im niederländisch-norddeutschen Gebiet verbreitet. Nach 1960 setzte sich dann die Vorstellung einer Polygenese durch, wonach drei Hauptwurzeln des Täufertums ausgemacht werden können:

- in der Zürcher Reformation mit Grebel, Manz und Balthasar Hubmaier

- in der radikalen Reformation um Karlstadt und Thomas Müntzer mit dem apokalyptischen Hans Hut in Oberdeutschland (vgl. z. B. auch die Rolle der Zwickauer Propheten)

- in dem spiritualistisch-endzeitlichen Milieu von Straßburg, von wo aus über Melchior Hofmann das Täufertum in den niederdeutschen Raum gebracht wurde.


Täufergericht in Schwäbisch Gmünd 1529

Inzwischen wurde auch der polygenetische Ansatz in einigen Punkten weiterentwickelt, indem zum Beispiel die Beziehungen und Interaktionen der einzelnen Gruppen untereinander wieder stärker betont und erforscht wurden. Demnach kann der Beginn der Täuferbewegung, beginnend mit öffentlich verbreiteter Kritik an der Kindertaufe, mit 1521 angesetzt werden, ähnlich wie der Beginn der Reformation auf 1517 angesetzt wird, ohne dass bereits in diesem Jahr reformatorische Anliegen umgesetzt wurden. In beiden Fällen kam aber eine Bewegung ins Rollen, die in den folgenden Jahren schrittweise zu sichtbaren Konsequenzen führte.

Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Täuferbewegung trotz massiver staatlicher und kirchlicher Verfolgungen zu einem bedeutenden mitteleuropaweiten Zweig der Reformation. Die Voraussetzungen aller Täufergruppen waren ähnlich: Die als „radikale Reformatoren“ Bezeichneten waren vom Fortgang der Reformation enttäuscht. Sie forderten die „sofortige Herstellung einer staatsfreien evangelischen Kirche nach dem Vorbild des Neuen Testaments“. Ihr Ideal war eine freie Kirche nach urchristlichem Vorbild, eine „Gemeinschaft der Gläubigen“, die auf dem freien Willen der einzelnen Gemeindemitglieder gründete. Deshalb verwarfen sie die Säuglingstaufe, für die es nach ihrem Verständnis keinen Beleg in den Schriften des Neuen Testaments gab. Sie tauften nur solche, die die Taufe persönlich begehrten, und nahmen nur Menschen in ihre Gemeinden auf, die sich als Gläubige hatten taufen lassen. Weitere zentrale Aspekte der Täuferbewegung waren unter anderem die Gemeindeautonomie, das Priestertum aller Gläubigen, die Eidverweigerung und das symbolhafte Abendmahlsverständnis. Auch soziale Aspekte spielten eine Rolle. Die Ausprägung der verschiedenen Täufergruppen kann jedoch keineswegs als einheitlich bezeichnet werden.

Es begann in Zürich

Das erste Mandat (Anordnung) gegen die Täufer erließ der Rat der Stadt Zürich 1526; nicht allein die Wiedertaufe wurde unter Todesstrafe gestellt, sondern bereits die Predigt der Täufer. Andere Städte und Landesherren folgten. 1528 erließ auch der Kaiser ein Mandat gegen die Täufer. 1529 wurde auf dem 2. Reichstag in Speyer das Mandat gegen die Täufer zum Reichsgesetz erhoben, und zwar einmütig, "um fried und einigkeit im reich zu erhalten". Begründet wurde die Anordnung mit "Ketzerei und Aufruhr". Um das Vorgehen gegen die Täufer der geistlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen, ist der Aspekt des Aufruhrs in den Vordergrund gestellt worden; aus pragmatischen Gründen sollte der Tatbestand der Wiedertaufe zur Bestrafung genügen. Unter den Täufern gab es viele verschiedene Richtungen; z.B. die "Stäbler", friedliche Täufer, zu denen u. a. seit 1527 die "Schweizer Brüder" gehörten, und die radikalen "Schwertler", zu denen u. a. Thomas Müntzer (gest.) gerechnet wird.

Melchior Hoffmann, ohne den die Ereignisse in Münster nicht denkbar sind, vertrat eine besondere Richtung der Täufer. Der schwäbische Kürschnermeister und Laienprediger Hoffmann, dessen Anhänger man "Melchioriten" nannte, verbreitet seine Ideen in Straßburg und vor allem in den Niederlanden. Hoffmann setzte neben die Bibel in krassem religiösen Subjektivismus die eigenen persönlichen Gesichte (Visionen) als gleichwertige Quellen der biblischen Offenbarung; das von ihm formal beibehaltene Schriftprinzip stellte er einerseits in den Dienst einer wörtlich verstandenen Apokalyptik. Nach Hoffmanns Visionen sollte 1533 die Endzeit vorbei sein; dann, so verkündete er, würden sich in Straßburg, dem "Neuen Jerusalem", die "Auserwählten Gottes" sammeln; nach dem Sieg über die Mächte des Bösen würde ein frommer König das Friedensreich der 1000 Jahre regieren.

Weil Hoffman private Offenbarungen neben und gar über die Bibel stellte - bezeichnend ist, dass er in Straßburg eine eigene Gemeinde gründete und sich nicht den dortigen Täufern anschloss -, rechnen viele Theologen ihn nicht zu den Täufern, sondern zu den "Schwärmern".

 

In der Überzeugung, dass das Ende unmittelbar bevorstehe, provozierte Hoffman seine Verhaftung durch den Rat der Stadt Straßburg. Nachdem sich seine Prophezeiung nicht erfüllt hatte, stellte sich der Bäcker Jan Matthys aus Haarlem als neuer "Prophet" an die Spitze der Melchioriten. Er proklamierte im Februar 1534 Münster zum "Neuen Jerusalem". Dort hatten nämlich seit 1532 "Wassenburger Prädikanten" - aus den Niederlanden ausgewiesene Melchioriten - Aufnahme und Anhänger gefunden.


Täuferdisputation 17. Januar 1525 im Zürcher Rathaus. Darstellung aus dem frühen 17. Jahrhundert

Ein wichtiger Zweig der Täuferbewegung entstand in Zürich, zunächst als Verbündete, später als Abspaltung der von Zwingli dort eingeleiteten und durchgeführten Reformation: Den sogenannten „Gründervätern“ der Täuferbewegung im Umkreis Zwinglis ging dessen Reform der Kirche nicht weit genug. Sie gehörten dem Bibellesezirkel um Andreas Castelberger an. Diese Prototäufer wirkten als Katalysatoren der zwinglischen Reformation. Sie machten sich bemerkbar mit radikalen Aktionen wie Fastenbrechen, Predigtstörungen und Bilderstürmen. Gleichzeitig waren in einigen Landgemeinden Geistliche tätig, die radikalere Maßnahmen forderten und die Bauern auch in ihren sozialen Forderungen unterstützten. Besonders aktiv waren Simon Stumpf in Höngg und Wilhelm Reublin in Witikon. Die Tauffrage war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zentral. Im Zuge der Zweiten Zürcher Disputation im Herbst 1523 kam es zu einem Bruch zwischen den späteren Täufern und Zwingli. Einer Gruppe um Simon Stumpf und Konrad Grebel war der Reformationsprozess nicht durchgreifend genug. Sie forderte die sofortige Abschaffung der Messe und die Entfernung der Bilder. Zwingli wollte es jedoch dem Rat der Stadt überlassen, den Zeitpunkt und das Vorgehen für die Errichtung der neuen Ordnung zu bestimmen.

Im Frühjahr 1524 wurde in einigen Landgemeinden von den Prädikanten offen zur Verweigerung der Säuglingstaufe aufgerufen. Der Rat der Stadt Zürich erließ daraufhin am 11. August 1524 einen Befehl, alle Kinder taufen zu lassen: Eß söllent ouch angentz die, so ungetouffte kind habent, dieselbigen touffen lassen, und welcher dass nit tätte, der sol 1 march silber zuo buoß geben. Dieser Anordnung widersetzte sich der Kreis um Manz und Grebel.

Der Tauffrage kam nun eine zentrale Stellung in der Auseinandersetzung mit Zwingli zu. Man nahm brieflichen Kontakt mit anderen Reformatoren wie Karlstadt und Thomas Müntzer auf, was gleichzeitig eine Art von Selbstbesinnung war. Ende 1524 wurde in den sogenannten beiden Dienstagsgespräche zwischen Zwingli und dem Kreis um Grebel und Manz ein weiterer Verständigungsversuch unternommen. Die Gespräche verliefen ergebnislos, sodass Felix Mantz seine Taufanschauungen schriftlich darlegen wollte. Dazu verfasste er die Protestation und Schutzschrift, ein Verteidigungsschreiben an den Stadtrat. Mantz wehrte sich gegen den Vorwurf des Aufruhrs und forderte eine schriftliche Auseinandersetzung mit Zwingli, in der die Kindertaufe auf ihre biblische Begründung überprüft werden solle.

Auf den 17. Januar 1525 bot daraufhin der Rat Vertreter beider Seiten zu einer öffentlichen Disputation ins Rathaus von Zürich auf, damit beide Gruppen ihre Tauflehre anhand der Schrift begründen konnten. Der Ausgang zu Gunsten Zwinglis war allerdings schon von vornherein gegeben. Am 18. Januar erließ der Zürcher Rat ein vernichtendes Mandat gegen die Täufer. Alle Kindertaufverweigerer wurden aufgefordert, ihre neugeborenen Kinder unverzüglich taufen zu lassen. Wer dieser Aufforderung nicht innerhalb von acht Tage nachkäme, werde des Landes verwiesen. Der in Zollikon aus der Kirche entfernte Taufstein sollte unmittelbar wieder aufgestellt werden. In einem zweiten Mandat vom 21. Januar 1525 wurde das Verdikt noch verschärft. Grebel und Mantz wurde jede weitere Agitation gegen die Kindertaufe untersagt und das Unterrichten in ihren Bibelschulen (besonderen Schulen) wurde verboten, was einem faktischen Versammlungsverbot der Kindertaufgegner gleichkam. Die Nichtzürcher unter den Täufern (unter ihnen: Reublin, Brötli, Castelberger und Hätzer; Simon Stumpf war schon früher weggewiesen worden) wurden aufgefordert, das Gebiet Zürichs innerhalb von acht Tagen zu verlassen. Der Beschluss war endgültig; eine weitere Disputation wurde ausgeschlossen.

Grebel und Manz ignorierten das Verbot und versammelten ihre Anhänger nach wie vor zum gemeinsamen Bibelstudium. Am Abend des 21. Januar 1525 traf sich der Grebelsche Kreis im Haus der Mutter von Felix Manz. In der ältesten Chronik der hutterischen Brüder, dem Großen Geschicht-Buch, ist ein Bericht über den Verlauf dieser Zusammenkunft erhalten. Die Chronik berichtet, dass „die Angst begann und auf sie kam“ und „dass ihre Herzen bedrängt wurden“. Nach einem Gebet trat der ehemalige römisch-katholische Priester Jörg Blaurock aus dem Gebiet des heutigen Graubünden vor Konrad Grebel und bat diesen, ihn zu taufen. Grebel kam dieser Bitte sofort nach. Danach taufte Blaurock auf deren Bitten hin auch die anderen des Kreises – unter ihnen auch Felix Manz. Diese Taufe gilt bis heute als der Gründungsakt der Täuferbewegung.

Die im Kreis um Grebel und Manz vollzogene Gläubigentaufe blieb nicht geheim. Die Repressionen seitens der Zürcher Stadtrates führten dazu, dass Grebel, Manz und Blaurock nach Zollikon im Zürcher Umland flohen. Hier hatte bereits Johannes Brötli, der Zürich nach der Disputation am 17. Januar verlassen musste, seinen vorübergehenden Wohnsitz genommen und täuferisches Gedankengut unter der Bevölkerung verbreitet.

Gleich nach seiner Ankunft begann Jörg Blaurock in den Bauernhöfen Zollikons in evangelistischer Weise zu predigen. Die Verkündigung löste unter den Einwohnern innerhalb kürzester Zeit eine Bußbewegung aus, in deren Folge Blaurock eine große Anzahl Erweckter taufte. Hin und her in den Häusern Zollikons wurde nach den Taufhandlungen das Abendmahl in „apostolischer Schmucklosigkeit“ (Fritz Blanke) gefeiert. Die Hausväter verlasen in den Wohnstuben die neutestamentlichen Abendmahlstexte und reichten den Teilnehmern ihrer gottesdienstlichen Hausversammlungen Brot und Wein. Während im „reformierten“ Zürich auf einen Ratsbeschluss hin die evangelische Abendmahlsfeier erst zu Ostern 1525 genehmigt wurde, hatten die Zollikoner Täufer schon Monate zuvor die radikale Trennung von der römisch-katholischen Tradition vollzogen. Nachdem sie sich bereits durch ihre Taufen gegen obrigkeitliche Beschlüsse gestellt hatten, sprachen sie nun mit ihren „evangelischen“ Abendmahlsfeiern dem Staat ein zweites Mal das Recht ab, in geistlichen Dingen zu entscheiden. Damit – so Fritz Blanke – trat 1525 in Zollikon die erste protestantische Freikirche in Erscheinung.

Am 30. Januar 1525 entsandte der Zürcher Rat Stadtknechte nach Zollikon und nahm Getaufte und Täufer vorübergehend fest. Während Felix Manz bis zum Herbst 1525 im Gefängnis verbleiben musste, kamen die Zolliker Bauern sowie Grebel, Blaurock, Brötli und Wilhelm Reublin frei. Reublin ging nach Waldshut, wo er den bereits zur lutherischen Reformation konvertierten Stadtpfarrer Balthasar Hubmaier und seine Gemeinde für das Täufertum gewinnen konnte. Brötli emigrierte nach Hallau im Kanton Schaffhausen und gründete dort noch im selben Jahr eine Täufergemeinde. Blaurock und Grebel wandten sich dem Zürcher Oberland zu und gewannen dort durch ihre Predigt eine große Anhängerschaft. Der Erfolg der Missionsarbeit verstärkte sich, als Felix Manz nach seiner Freilassung zu ihnen stieß.


Felix Manz wird 1527 in der Limmat ertränkt. (Darstellung aus dem 17. Jahrhundert)

Blaurock, Grebel und Manz wurden erneut verhaftet. Zwingli versuchte sie in verschiedenen Gesprächen zum Widerruf zu bewegen, was aber weder ihm noch den Folterknechten bei den sogenannten peinlichen Verhören2 gelang. Während Grebel und Blaurock mit Hilfe von einflussreichen Freunden freikamen, verblieb Manz in Haft und wurde in den ersten Januartagen des Jahres 1527 in der Limmat in Zürich ertränkt.


Peinliches Verhör

Das Sendungsbewusstsein der Täufer wurde durch die Verfolgungen, in denen sie eine Bestätigung ihres Weges sahen, gestärkt. Sie lehrten weiterhin ihre täuferische Ekklesiologie im Zürcher Land und „richteten das Zeichen der Taufe“ – sowohl in St. Gallen als auch in der Ostschweiz – „auf“. Auch auf Basel griff die täuferische Bewegung über. Hubmaier sorgte durch die Herausgabe zahlreicher Schriften für eine weite Verbreitung des radikal-reformatorischen Gedankenguts. Johann Groß, ein Schüler Hubmaiers, missionierte als täuferischer Sendbote in der Region um Bern. Reublin und Michael Sattler, der ebenfalls früh zur Täuferbewegung gestoßen war und später sich unter anderem als Verfasser der sogenannten Schleitheimer Artikel einen Namen machte, brachten das Täufertum nach Südwestdeutschland. Jörg Blaurock initiierte Gründungen von Täufergemeinden in Graubünden und Tirol.

Nach dem Scheitern der Bauernerhebung verlor die Täuferbewegung einen großen Teil der Massenbasis. Dies sowie die zunehmende Repression von Außen und die Konfusion im Innern waren Gründe für eine Selbstbesinnung, die einen Teil der Täufer in den Weg in Absonderung mündete. Diese Absonderung führte für die Täufer um Sattler und Reublin, die im toleranten Straßburg Zuflucht gefunden hatten, Anfang 1527 zur Ausweisung, da der Straßburger Rat im Allgemeinen wohl abweichende theologische Ansichten duldete – der Prozess gegen Thomas Saltzmann stellt eine Ausnahme dar – nicht jedoch bürgerlichen Ungehorsam wie die Verweigerung der Teilnahme an den Schanzarbeiten, zu denen alle Bürger verpflichtet waren, mit der Begründung, dass keine Obrigkeit christlich sein könne.

Am 24. Februar 1527 traf sich in Schleitheim (in der Nähe von Schaffhausen) unter der Leitung von Michael Sattler eine „Brüderliche Vereinigung“ von Täufern. Bei dieser Zusammenkunft wurde eine erste ausformulierte programmatische Bekenntnisschrift der Täufer verfasst. Diese Schrift, die sogenannten Schleitheimer Artikel, führt in sieben Punkten die wichtigsten Grundsätze des Täufertums auf:

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