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1  Titel Seite

Volker Jochim

MATT
Ein Mühlheim Krimi

Pieroths zweiter Fall

Kriminalroman

Impressum

Texte: © Copyright by Volker Jochim

Umschlag: © Copyright by epubli

Foto: © Copyright by Volker Jochim

Verlag und

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Überarbeitete Neuauflage

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1

Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu. Sechs Wochen waren vergangen, seit der wahnsinnige „Höllenkreis Mörder“, wie ihn die Presse nannte, gefasst werden konnte. Dass dieser Fall nur unter der maßgeblichen Hilfe von ihm, Henry A. Pieroth, hatte aufgeklärt werden können, war nur eine Randnotiz. Da er keinen Wert darauf legte sein Konterfei in allen Zeitungen zu sehen, hatte er die Lorbeeren Hauptkommissar Schumann überlassen, mit dem er seither, trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten, ein fast freundschaftliches Verhältnis pflegte.

Der Mann saß seither in Untersuchungshaft und wartete auf seinen Prozess, dessen Vorbereitung sich trotz klarer Fakten- und Beweislage immer wieder verzögerte, da ein Heer von namhaften Anwälten sich als Verteidiger berufen fühlte und das Gericht mit immer neuen Antragsfluten überschwemmte. Dabei befand sich der Prozess, wie gesagt, noch in der Vorbereitung. Und das alles, obwohl der überführte und auch geständige Mörder keinen dieser Staranwälte jemals würde bezahlen können. Die hatten bei solch einem spektakulären Prozess aber eine großartige Publicity und das war es ihnen offenbar wert.

Seit dieser Zeit hatte Pieroth keinen neuen Fall mehr angenommen. Nicht, dass es an Anfragen mangeln würde, aber es war nichts dabei, was ihn gereizt hätte und da er ja finanziell unabhängig war, musste er auch nicht.

Henry Pieroth hatte sich wieder in sein Arbeitszimmer verkrochen und beschäftigte sich mit dem Studium ungelöster Kriminalfälle, während sein Sekretär und bester Freund Frank Sommer genug damit zu tun hatte, Anfragen abschlägig zu beantworten.

„Bald wirst du gar keine Fälle mehr angeboten bekommen“, hatte Sommer eines Tages gesagt. Doch Pieroth winkte nur ab.

„Irgendwann wird etwas kommen, was uns herausfordert, was uns fordert. Alles andere ist Kinderkram. Das kann jeder“, meinte er und tauchte wieder in Berge von Zeitungsausschnitten und Akten ein, während Sommer frustriert zurück in sein Büro ging.

***

Hauptkommissar Schumann, bislang als cholerischer Eigenbrötler im Dezernat nicht gerade gut gelitten, war in der Achtung seiner Kollegen seit der Verhaftung des „Höllenkreis Mörders“ gewaltig gestiegen. Er selbst hatte zwar eine Veränderung im Verhalten der Kollegen bemerkt, aber es war ihm völlig egal. Früher hatten sie ihn geschnitten, da brauchten sie nun auch nicht Freundlichkeit zu heucheln.

Er zog seine Jacke über, nahm die Aktentasche und verließ das Büro. Es war erstaunlich ruhig in letzter Zeit und so konnte er auch pünktlich Feierabend machen. Die bösen Buben waren offenbar alle noch in den Ferien. Ihm konnte es nur Recht sein. Er freute sich jedenfalls auf ein kühles Bier und einen ruhigen Abend vor dem Fernseher.

Unterwegs fiel ihm ein, dass sein Kühlschrank, abgesehen von ein paar Bierflaschen, so leer war, dass sogar eine Maus darin verhungern würde. Also hielt er beim nächsten Italiener und besorgte sich eine Pizza.

Zuhause angekommen streifte er gleich die Schuhe ab. Die Jacke verfehlte den Garderobenhaken und fiel achtlos auf den Boden. Gerade hatte er es sich mit Pizza und Bier vor dem Fernseher gemütlich gemacht, als das Telefon klingelte. Vor Schreck fiel ihm ein Stück der Pizza auf den Teppich.

„Verdammte Scheiße!“, fluchte er und das Telefon klingelte unerbittlich weiter.

„Ja!“, bellte er wütend in den Hörer.

„Entschuldigen Sie bitte die Störung, Herr Hauptkommissar, aber Sie sollen unbedingt kommen.“

Die Stimme von Natalia Bliskov klang völlig ängstlich und verstört, was in erster Linie an Schumanns wütendem Tonfall lag.

„Ich habe Feierabend.“

„Ich weiß, aber man hat mir aufgetragen Sie zu verständigen.“

„Was gibt’s denn so wichtiges?“

„Ein Kind ist verschwunden.“

„Ist das Kind tot?“

„Nein, nur verschwunden, entführt.“

„Was?“, brüllte er. „Dafür störst du mich beim Essen? Du weißt doch, dass ich dafür nicht zuständig bin.“

„Ja, aber die Kollegen haben etwas gefunden, was Sie sich unbedingt ansehen sollten. Es gibt da wohl Parallelen zu dem Fall mit dem Höllenkreis Mörder.“

Schumann warf den Rest Pizza in die Schachtel und sprang von der Couch auf.

„Bin in einer halben Stunde da.“

***

Als Schumann in sein Büro stürmte, saßen dort bereits Hauptkommissar Kaminski, der eigentlich den Fall des vermissten Kindes bearbeitete und Natalia Bliskov. Sie war ein Musterbeispiel an Integration. Als Kind kam sie mit ihren Eltern aus der Ukraine nach Deutschland, lernte die Sprache, die sie mittlerweile akzentfrei sprach, machte Abitur, war zweitbeste ihres Jahrgangs auf der Polizeischule, nun Kommissar Anwärterin und äußerst fleißig und ehrgeizig.

„Also was gibt’s so wichtiges, dass ihr mich beim Essen stören musstet?“

„Tut mir leid Schumann“, sagte Kaminski, „aber es könnte wirklich wichtig sein. Ich gebe dir einen kurzen Abriss von dem was ich weiß und dann musst du dir etwas ansehen.“

Schumann hatte sich beruhigt und auf seinen Sessel fallen lassen. Die Pizza konnte er auch noch kalt essen.

„Dann leg mal los. Ich bin gespannt“, und zu Natalia gewandt: “Hast du nicht Feierabend?“

„Ich würde mir das auch gerne anhören, wenn ich darf.“

„Na gut, dann mach dir ein paar Notizen.“

„Danke, Herr Hauptkommissar“, strahlte sie und zückte gleich ihren Notizblock.

„Also“, begann Kaminski, „seit heute Vormittag wird ein zehnjähriger Junge aus Mühlheim vermisst. Er hat gegen sieben Uhr zwanzig sein Elternhaus im nördlichen Teil der Hoffmannstraße verlassen und war auf dem Weg zur Montessori-Schule. Sein Weg führte immer die Händelstraße entlang zur Querstraße und von da bis zur B43, die er an der Ampel vor dem Rathaus überquerte. Von dort ging er über die Bahnhofstraße zur Unterführung. Die Schule liegt auf der Südseite des Bahnhofs. Dort ist er aber nie angekommen.“

„Vielleicht hatte er keinen Bock auf Schule“, warf Schumann ein.

„Das ist eher unwahrscheinlich. Wir haben mit der Klassenlehrerin gesprochen und die beschrieb ihn als zuverlässigen, fleißigen Schüler. Als wir die Nachbarn und Anwohner entlang des Schulwegs befragten, hatte ein Mann aus der Nachbarschaft eine Beobachtung gemacht, die uns vielleicht weiterhelfen kann. Er wohnt im Erdgeschoss eines Mietshauses, direkt gegenüber der Einmündung Händelstraße, und hat den Jungen von seinem Fenster aus gesehen. Er soll alleine auf der südlichen Straßenseite gegangen sein. Und nun kommt‘s – der Mann sagte aus, dass ein brauner Minivan ganz langsam neben dem Jungen her gefahren sei. Manchmal hätte er angehalten um dann wieder langsam weiterzufahren. Ein anderer Autofahrer hätte gehupt und ihn dann, als er kurz stehen blieb, über den Gehweg überholt, was den Fahrer dieses Vans wohl aber nicht weiter interessierte.“

„Und dann?“

„Dann hat er ihn irgendwann aus den Augen verloren. Sonst gab es keine brauchbaren Aussagen.“

„Konnte er die Automarke oder das Nummernschild erkennen?“

„Das Nummernschild begann mit OF-, aber das trifft hier ja auf neunzig Prozent aller Kennzeichen zu. Bei dem Wagen war er sich nicht sicher. Könnte ein Volkswagen gewesen sein.“

„Ich verstehe immer noch nicht, was das mit dem alten Fall zu tun hat.“

„Dazu komme ich nun. Wir haben natürlich, zusammen mit der örtlichen Polizei, den ganzen Schulweg und die Umgebung des Bahnhofs abgesucht. Dabei hat ein Kollege das hier an der Tür des Wasserturms entdeckt.“

Kaminski schob Schumann eine Plastiktüte, wie sie für die Aufbewahrung von Asservaten verwendet werden, über den Tisch. In dieser Tüte befand sich ein Blatt Papier mit einem kurzen Text.

Der Höllenkreise Rätsel ist gelöst,

drum schieb’s beiseit,

denn nun beginnt ein wahrhaft unvergessen,

königliches Spiel,

seid ihr bereit?

„Verstehst du jetzt, warum ich dich holen ließ?“

Nachdenklich legte Schumann den Zettel zurück.

„Ja, natürlich. Und wenn es nur ein Trittbrettfahrer ist? Einer, der sein dummes Spielchen mit uns treiben will?“

„Warum sollte er dann den Jungen entführen? Er könnte ja einfach mögliche Taten ankündigen.“

„Du hast natürlich recht. Scheiße, was machen wir denn nun?“

 

„Darf ich die Nachricht auch lesen?“, fragte Natalia, die bis dahin eifrig Notizen gemacht hatte.

„Wie? Ja, natürlich.“

„Tja, mein Lieber, jetzt bist du mit im Boot. Ich werde mit meinen Leuten den Fall als Entführung weiter verfolgen. Wir haben das Telefon der Eltern angezapft, falls eine Lösegeldforderung kommen sollte, was ich aber nach Lage der Dinge bezweifle.“

„Haben die Eltern Geld?“

„Nein, eben nicht. Sie müssen ihr Haus abbezahlen und da bleibt nicht viel übrig. Deshalb glaube ich auch nicht an eine Lösegeldforderung. Du solltest unabhängig davon den anderen Aspekt verfolgen. Du weißt was ich meine.“

„Ja, ich weiß“, erwiderte Schumann müde und verabschiedete sich von seinem Kollegen.

„Worin besteht denn der Zusammenhang zwischen den beiden Fällen?“, fragte Natalia vorsichtig.

Seit sie Schumann zugeteilt wurde, hatte sie schon einiges von seiner schroffen Art abbekommen und einstecken müssen, doch hier reagierte er völlig anders, als sie es befürchtete. Bereitwillig berichtete er ihr ausführlich über das, was sich vor fast zwei Monaten in Mühlheim ereignet hatte. Kein Detail ließ er aus, auch nicht die Mitwirkung von Henry Pieroth, des etwas seltsamen Privatdetektivs, ohne dessen Hilfe der Mörder wahrscheinlich sein Ziel, nämlich genau diesen Henry Pieroth zu ermorden, erreicht hätte. Danach lehnte er sich müde in seinem Sessel zurück. Natalia, die sich weiter fleißig Notizen gemacht hatte, schickte er nach Hause. Er wusste, was er als erstes zu tun hatte. Er musste mit Pieroth sprechen.

2

Das Telefon läutete unaufhörlich, aber Frank Sommer hatte eigentlich keine Lust das Gespräch entgegen zu nehmen. Erstens war er gerade dabei das Abendessen zu bereiten und zweitens war er es leid, ständig Auftragsanfragen abzulehnen.

Henry Pieroth bekam das alles nicht mit und es war ihm auch völlig egal.

Das Telefon war erbarmungslos und klingelte weiter. Sommer warf das Gemüsemesser auf das Schneidbrett, wischte sich die Hände ab und ging hinüber in sein Büro.

„Detektei Pieroth, guten Abend.“

„Schumann, sind Sie es, Sommer?“

„Ja. Kommissar Schumann? Was verschafft uns denn die Ehre?“

„Ich muss dringend Ihren Chef sprechen.“

„Ich weiß nicht, ob er Zeit hat.“

„Holen Sie ihn irgendwie ans Telefon. Es ist wirklich sehr dringend!“

Es war der Tonfall des Kommissars, der Sommer dazu veranlasste seinen Freund bei dem, was auch immer er gerade tat, zu stören. Normalerweise hätte er in den Hörer geblökt, aber hier war er ruhig und bestimmend. Fast wie ein geflüsterter Befehl.

Sommer stürmte mit dem Telefon in der Hand in Pieroths Büro.

„Kommissar Schumann. Es ist dringend.“

Pieroths Kopf tauchte hinter einem Stapel Papier auf.

„Und was will er? Du siehst doch, ich bin beschäftigt.“

Sommer hielt seinem Freund das Telefon unter die Nase.

„Geh ran, es ist wichtig.“

„Na gut“, stöhnte er, „Schumann, was gibt’s? Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit.“

„Welche Arbeit?“, dachte Sommer, schüttelte den Kopf und ging wieder in die Küche, um sich dem Abendessen zu widmen. Er war nicht nur Pieroths Freund und Sekretär, sondern eigentlich Mädchen für alles. Ein richtiges Faktotum eben. Dafür wurde er aber auch weit mehr als angemessen entlohnt und wohnte mietfrei in der luxuriösen Einliegerwohnung, die Pieroth eigens für ihn umbauen ließ.

***

Kommissar Schumann erzählte ausführlich was sich ereignet hatte und Pieroth hörte gelangweilt zu. Als aber zuletzt das Gespräch auf den gefunden Zettel mit den seltsamen Verszeilen kam, war er mit einem Mal hellhörig.

„Das ist sehr interessant. Bearbeiten Sie den Fall?“

„Nein, der Kollege Kaminski bearbeitet die Entführung. Ich soll nur den anderen Aspekt untersuchen.“

„Das ist sehr gut. Dann haben wir freie Hand und mehr Spielraum. Ich glaube nicht, dass es eine einfache Entführung ist.“

„Ich eigentlich auch nicht.“

„Gut, wir treffen uns in zwanzig Minuten vor dem Elternhaus des Jungen. Geben Sie mir bitte die Adresse?“

„Was jetzt? Es ist gleich acht Uhr abends und es wird dunkel.“

„Egal. Wir müssen sofort handeln. Kann ich nun die Adresse haben?“

Nachdem er Straße und Hausnummer notiert hatte, holte er sein Jackett aus dem Schrank und rief nach seinem Freund.

„Was gibt’s?“, fragte Sommer mit dem Geschirrtuch in der Hand.

„Komm, wir haben einen Fall.“

„Was, jetzt? Und das Essen?“

„Das kann warten. Du hast doch so einen Cam… Dingsbums.“

„Du meinst den Camcorder?“

„Genau. Den nimmst du mit. Wir treffen uns mit Schumann in knapp zwanzig Minuten in der Hoffmannstraße."

Den relativ kurzen Weg legten sie, entgegen Pieroths Gepflogenheiten, zu Fuß zurück und er erklärte Sommer währenddessen, um was es eigentlich ging.

***

Während sie auf den Kommissar warteten, inspizierte Henry Pieroth die Umgebung und prägte sich alles haargenau ein.

„Da kommt Schumann“, rief Sommer plötzlich.

Der Kommissar hielt vor dem kleinen Gebäude, in dem der entführte Junge zuhause war und begrüßte die beiden.

„Was halten Sie davon?“, fragte er Pieroth.

„Kann ich noch nicht sagen. Lassen Sie uns erst einmal alles rekonstruieren. Wir gehen zuerst den Schulweg des Jungen bis zu dem Punkt ab, wo der Zeuge ihn aus den Augen verlor. Dann weiter zum Fundort des Zettels. Frank wird alles filmen.“

Als sie losmarschierten, bemerkte Pieroth die neugierigen Gesichter hinter den Gardinen der Nachbarhäuser.

An der Ecke Händelstraße bogen sie nach links ab, bis Pieroth plötzlich stehen blieb.

„Wo wohnt denn der Zeuge?“

„In dem Mietshaus da vorne links. Von dem rechten Fenster im Erdgeschoss aus hat er alles beobachtet. Möchten Sie mit ihm sprechen?“

„Nein danke, ist nicht nötig. Wie weit konnte er den Jungen sehen?“

„Nach seiner Aussage die ganze Straße entlang.“

„Wie weit ist das? Einhundert Meter, hundertzwanzig Meter? Sicher nicht mehr. Und da ist nichts passiert?“

„Nein, nur der Wagen fuhr langsam nebenher.“

„Aber wie konnte er von diesem Fenster aus so weit sehen?“

„Wieso?“, fragte Schumann irritiert.

„Weil das Haus versetzt zu dieser Straße steht und vom Erdgeschoss aus konnte er den Jungen unmöglich bis zur nächsten Straßenecke sehen, wenn der, wie Sie sagten, auf der südlichen Straßenseite gegangen ist.“

„Sie glauben er hat gelogen?“

„Nein, ich glaube schon, dass er was beobachtete, er hat es nur etwas geschönt. …ich habe den Wagen die ganze Straße entlang beobachtet… klingt spannender als …ich habe ihn nur ein paar Meter weit sehen können… , oder?“

„Da haben Sie wohl recht“, musste Schumann zugeben, „und nun?“

„Wir gehen langsam weiter und suchen nach möglichen Spuren. Spätestens ab der Mitte der Straße kann es ja überall passiert sein.“

Kurz vor der Ecke Querstraße blieb Pieroth plötzlich stehen, bückte sich und hob etwas auf, das dort direkt am Randstein lag.

„Was haben Sie da?“

„Einen Dauerlutscher. Könnte dem Kleinen gehört haben.“

Er hielt seine Nase daran.

„Riecht nach Cola. Fragen Sie doch bitte später die Eltern, ob ihr Sohn einen Cola Lutscher bei sich hatte. Wenn ja, hat hier dann wohl die Entführung stattgefunden.“

„Das mache ich gleich.“

Der Kommissar zog sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Eltern.

„Guten Abend Frau Sauer, hier Kommissar Schumann von der Kripo in Offenbach. Es tut mir leid Sie so spät noch stören zu müssen, aber ich hätte nur eine kurze Frage. Hatte Oliver Süßigkeiten bei sich? Ein Lutscher zum Beispiel? Nein…gut…da haben Sie…es ist nur…falls wir so etwas finden sollten, können wir es dann ausschließen. Danke vielmals. Guten Abend.“

„Und?“, fragte Pieroth grinsend, der schon ahnte, was der Kommissar sich eben anhören musste.

„Die hat mich fast zur Sau gemacht, als ich sie nach den Süßigkeiten fragte. Ihr Sohn nimmt keine Süßigkeiten zu sich und erst recht keinen Dauerlutscher. Sie achten sehr streng darauf.“

„Das arme Kind“, meinte Sommer.

„Wenn das so ist, würde ich wetten, dass dieser Lutscher dem Jungen gehörte. Da ist genug DNS dran. Das reicht für einen Abgleich. Können Sie das veranlassen?“

„Mach ich. Ich lasse mir von Kaminski etwas von dem Jungen für den Vergleich besorgen.“

„Dann ist der Junge wahrscheinlich hier in den Wagen gezerrt worden. Rechts und links sind Hecken und Büsche, da fällt solch eine Aktion nicht unbedingt auf. Im Haus gegenüber hätte man etwas sehen können.“

„Da haben die Kollegen auch gefragt. Die Leute haben um diese Zeit noch geschlafen.“

„Gut, gehen wir weiter. Frank, hat das Ding noch genug Platz?“

„Keine Sorge, die Kamera hat noch genug Speicherkapazität frei.“

Sie überquerten die Bundesstraße, folgten dem Schulweg bis zum Bahnhof und standen kurz darauf vor dem alten Wasserturm.

„Genau hier hing der Zettel“, deutete Schumann auf die Tür. „Angeschlagen wie Luthers Thesen.“

„Wie war er befestigt?“

„Mit einfachen Markierungsnadeln.“

„Welche Farbe hatten sie?“

„Zwei schwarze und zwei weiße. Ist das von Belang?“

„Noch nicht, könnte aber vielleicht irgendwann sein. Gab es an den Nadeln verwertbare Spuren?“

„Nein, nichts und die Nadeln selbst sind Massenware, wie wir sie auch im Präsidium verwenden.“

Schumann sah sich um.

„Von hier aus kann er entweder direkt zurück auf die B43, oder nach Westen Richtung Bahnhofstraße gefahren sein.“

„Das ist unerheblich“, meinte Pieroth, „wichtig ist die Frage nach dem warum.“

„Wahrscheinlich will er Lösegeld, oder er ist schlimmsten Falls ein Pädophiler.“

„Nein Frank. Es ist die Frage nach dem warum gerade so , verstehst du? Warum hat er oder sie, es kann ja durchaus auch eine Frau gewesen sein, es gerade so inszeniert?“

„Du meinst, da steckt ein Plan dahinter?“

„Genau. Ein Plan oder ein System. Nenn' es wie du willst.“

„Brauchen Sie mich noch?“, fragte Kommissar Schumann. „Ich würde gerne nach Hause fahren.“

„Nein, danke. Das reicht fürs erste. Nur noch eine Frage. Hat die Untersuchung des Zettels etwas ergeben? Druckermodell, Tinte…?“

„Leider nicht viel. Der Zettel ist eine Fotokopie eines Großdruckers, wie er in fast alle Copy Shops steht.“

„Dann machen Sie es gut. Wir sprechen uns.“

Nachdem sie sich von Kommissar Schumann verabschiedet hatten, schlenderten Pieroth und Sommer gemächlich zurück. Ganz in Gedanken versunken, bis Sommer auf einmal das Schweigen brach.

„Was ich dich schon immer einmal fragen wollte, was ist eigentlich der Unterschied zwischen DNA und DNS? In den Fernsehkrimis sagen sie immer DNA und du sagtest eben DNS.“

„Ganz einfach, es gibt keinen.“

„Wie?“

„DNA steht nur für die englische Schreibweise deoxyribonucleic acid und DNS für die deutsche Desoxyribonukleinsäure . Das ist alles.“

„Aha“, sagte Frank Sommer. Verstanden hatte er aber nichts.

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