Blutige Verlockung

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Blutige Verlockung
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Victory Storm

Inhaltsverzeichnis

  BLUTIGE VERLOCKUNG

  PROLOG

  ERSTER TEIL

  BESUCH

  VERÄNDERUNGEN

  DAS TREFFEN

  DER PAKT

  DER SCHUTZ

  ZWEITER TEIL

  FREUNDE

  GEFAHR

  ISOLATION

  OVERCLOCK

  ERKLÄRUNGEN

  ERKLÄRUNG

  DRITTER TEIL

  FAMILIE

  RETTUNG

  WEIHNACHTEN

  ERBE

  FLUCHT

BLUTIGE VERLOCKUNG
Victory Storm

Copyright: ©2020 Victory Storm

Übersetzer: Cornelia Mercuri

Verlag: Tektime

Coverbilder: Alessia Casale – AC Graphics

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Erlaubnis des Autors auf irgendeine Weise, durch Fotokopien, Mikrofilm oder auf andere Weise reproduziert oder verbreitet werden.

Dieses Buch ist eine Fiktion. Die genannten Charaktere und Orte sind Erfindungen des Autors und sollen der Erzählung Wahrhaftigkeit verleihen. Jede Analogie zu lebenden, toten oder toten Tatsachen, Orten und Menschen ist absolut zufällig.

BLUTIGE VERLOCKUNG

BLUTSAGA

Wenn alle deine Gewissheiten zusammenbrechen und du nicht mehr weißt, wer du bist, bleibt dir nur noch die Flucht. Die Flucht vor ihnen und ihrer Blutgier... nach deinem Blut!

Vera hat gerade die Existenz von Vampiren entdeckt und muss nun flüchten. Auf einer Flucht zwischen Dublin und London wird Vera zur Beute einer blutigen und wilden Spezies, denn in ihrem Blut verbirgt sich die Waffe, um alle Vampire zu vernichten. Blake, einer der ältesten und stärksten Vampire der Welt, ist ihr auf der Spur, aber ihnen steht ein seltsames Schicksal bevor. Was ein Kampf zwischen Gut und Böse sein sollte, ist in Wirklichkeit eine seltsame und überwältigende Anziehungskraft, die ihr Leben verändern und Geheimnisse enthüllen wird, die in ihrer beider der Vergangenheit verborgen waren.

PROLOG

16. November 2018

„ Vera Campbell“

Ich nickte.

„ Siebzehn Jahre alt. Braune Haare und Augen, bleiches Gesicht, nicht besonders groß, fast schon zu zierlich … Kurz gesagt, gewöhnlich“ bemerkte die Mutter Oberin geringschätzig und lies ihren Blick über meinen gesamten Körper schweifen, während ich wie eine Violinsaite gespannt vor ihr stand.

Eine weitere Spitze gegen mein eher mittelmäßiges Aussehen. Ich wusste es schon, aber wenn man es so direkt gesagt bekam, wurde die Sache noch offensichtlicher und brutal.

„ Aus den Noten deines letzten Zeugnisses kann ich sehen, dass es auch in Bezug auf die Leistungen kaum etwas Bemerkenswertes gibt“ fuhr die Schwester mit strenger und boshafter Stimme fort, wobei sie durch die Seiten meiner persönlichen Akte blätterte, die ihren mächtigen Schreibtisch bedeckte.

„ Ich hatte in Wahrheit noch nie eine mangelhafte Note in meinem Zeugnis gehabt und versuche, mich zu bemühen …“ protestierte ich. Es genügte schon, dass ich hässlich war, aber dumm - nein!

Außerdem war es ja nicht meine Schuld, dass ich aufgrund meiner schlechten Gesundheit viele Stunden versäumt hatte.

„ Habe ich dir vielleicht erlaubt, zu reden?“ donnerte die Frau voller Abscheu.

Ich fühlte, wie meine Kräfte schwanden. Ich stand schon seit fast zwanzig Minuten in strammer Haltung vor der Leiterin des katholischen Internats, in dem ich sicherlich zumindest die nächsten beiden Monate verbringen würde, weit weg von meiner Tante Cecilia, meiner einzigen wahren Bezugsperson. Ganz zu schweigen von dem, was ich in den letzten Tagen durchgemacht hatte und was der wahre Grund für meinen erzwungenen Aufenthalt war!

„ Mutter gestorben. Vater unbekannt. Cecilia Campbell, einer Nonne anvertraut, die aus dem Orden ausgetreten ist, um sich um ihre Nicht zu kümmern. Mmh… Hier steht auch, dass du krank bist … Eine sehr seltene Form der Anämie“ las die Mutter Oberin mit einem missbilligenden Ton auf einer anderen Seite.

Es kam mir vor, als hätte ich eine Ohrfeige bekommen. Ich war es nicht gewohnt, Abscheu zu erregen, wenn von meiner Gesundheit gesprochen wurde. Normalerweise wurde ich von Zuneigung und Verständnis umringt.

„ Es gibt sogar eine Anweisung für deine Ernährung. Reich an Proteinen und viel Schweine- oder Rindfleisch, fast roh. Kein Geflügel“ kommentierte die Frau, so als ob sie eine starke Übelkeit niederringen müsse.

Ich konnte kaum noch nicken. Es kam mir vor, als ob mich diese grauen Augen schonungslos ins Visier nehmen würden, um mich wie Dolche zu durchbohren.

„ Als wenn das noch nicht genug wäre steht hier auch noch, dass du ein Mal im Monat mindestens 50 cl Flüssigkeit aus dem arterio-venösen System von Schweinen oder Rindern trinken musst … das ist ungeheuerlich! Du musst Tierblut trinken? Das ist abscheulich!“ explodierte die Leiterin, die vor Ekel hochrot im Gesicht war und weiter in meiner Akte las, in der sich jemand ganz offenbar die Mühe gemacht hatte, wirklich alles über mich und mein Leben niederzuschreiben.

Ich hätte gerne vorgebracht, dass dies die einzige Möglichkeit gewesen war, mich am Leben zu erhalten und dass meine Tante tausend Opfer gebracht hatte, um mich zu retten, nachdem ich ihr nach dem Tod meiner Mutter, die kurz nach meiner Geburt starb, anvertraut wurde.

Außerdem sagte meine Tante immer, dass das Trinken von Blut gar nicht so schockierend sei, denn in einigen Ländern des Ostens war es üblich, heißes Schlangenblut gegen Rheuma zu trinken. So seltsam war es also gar nicht.

„ Weiß dein Arzt nicht, dass es heutzutage Transfusionen gibt?“

„ Doch, aber leider hat sich herausgestellt, dass mein Körper besser reagiert, wenn auch das Verdauungssystem beteiligt ist, um einen unmittelbareren und länger anhaltenden Nutzen zu haben“, flüsterte ich, wobei ich über die Worte stolperte. Selbst ich hatte nie wirklich verstanden, warum Transfusionen mich nicht so sehr belebten, wie das Trinken meiner „Hämodose“, wie meine Tante und ich es nannten.

Manchmal konnte mich meine Anämie so sehr schwächen, dass ich das Bewusstsein verlor.

Alles, was ich brauchte, war meine „Medizin“ und ich erlangte sofort mein perfektes Gehör und Sehvermögen zurück und das Gefühl der Müdigkeit, das ich davor empfand, verschwand völlig.

Die Mutter Oberin seufzte tief und ließ sich in den harten, schwarzen Sessel sinken, auf dem sie saß, während mir noch nicht einmal ein Stuhl angeboten wurde.

„ Du bist nur hier, weil Kardinal Siringer selbst mich darum gebeten hat, aber ich möchte, dass dir klar ist, dass dies keine Zufluchtsstätte für Außenseiter ist, sondern ein angesehenes Internat, das dem Willen des Herrn folgt und achtet".

Pater Dominick hatte mir bereits von diesem erlauchten Internat erzählt, dem alten Schloss von Melmore, das auf den heiligen Ruinen von Melmore Abbey errichtet worden war, einer der ältesten Abteien, die den verschiedenen Kriegen Irlands standgehalten hatte. Ich wusste, dass ich dort sicher sein würde, aber jetzt kam ich mir vor wie in einem dunklen, kalten Gefängnis. Selbst das Klima war gegen mich. Der Winter stand vor der Tür und ich wusste, dass ich die Sonne jetzt länger nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.

Außerdem war dieses Gebiet berühmt für seine Regenfälle und Nebelbänke.

Wenn ich überleben wollte, musste ich mir etwas Schönes suchen, sonst wäre ich verrückt geworden.

„ Gut. Du kannst gehen. Schwester Agatha wird dich zu deinem Zimmer führen, wo du zwei Uniformen vorfinden wirst, die du immer tragen musst, einen Trainingsanzug und den Stundenplan, den du ab morgen früh einzuhalten hast. Du hast eine Stunde Zeit, um deine Sachen auszupacken und dich einzurichten. Dann ist es Zeit für die Messe in der Kirche. Sei pünktlich“, die Mutter Oberin entließ mich mit einem frostigen Nicken.

 

Ich fühlte mich, als ob ich Wurzeln geschlagen hätte und schaffte es nur mit Mühe, meine Füße zu bewegen.

Ich sagte nichts. Ich drehte mich um, öffnete die schwere Tür und ging hinaus.

Kaum trat ich aus der Tür des Büros, als eine Nonne mittleren Alters nervös zu mir kam, die die ganze Zeit draußen in einem Stuhl aus dunklen Nussbaumholz auf mich gewartet hatte.

„ Ich bin Schwester Agatha. Du musst Vera Campbell sein, die Neue. Komm. Ich bringe dich in dein neues Zimmer, das du mit Maria Kelson teilen wirst, einem Mädchen in deinem Alter. Sie ist ein wenig schüchtern, aber dem Herrn sehr ergeben... Ich wäre nicht überrascht, wenn sie sich irgendwann entscheiden würde, ihre Gelübde abzulegen“, erklärte die Nonne, in Gedanken versunken.

Vor mir lagen kalte, feuchte Gänge und Treppen aus Stein. Die Stille, die an diesem Ort herrschte, war eisig.

Ich konnte nur den Klang unserer Schritte hören.

Es kam mir vor, als ob ich plötzlich in eine andere Ära katapultiert worden wäre.

Ich hatte ehrlich gesagt nicht geglaubt, dass solche Orte noch bewohnt oder gar als Internat für Jugendliche genutzt werden könnten.

Ich sah mich immer wieder ehrfürchtig um.

Auf der rechten Seite gab es viele hohe, schmale, gotisch anmutende Fenster, die die Atmosphäre noch unheimlicher machten. Ich war so von der Strenge des Ortes beeindruckt, dass ich kaum auf die Worte der Nonne hörte, die unentwegt weiter plapperte: „Nach den neuen Integrationsgesetzen musste sich auch unser Internat anpassen, so dass diese Einrichtung jetzt sowohl für Männer als auch für Frauen offen ist. Im Erdgeschoss befinden sich die Klassenzimmer, die Turnhalle und die Kantine, während sich im zweiten Stock der Schlafsaal befindet. Der Westflügel ist für die Jungen und der Ostflügel für die Mädchen reserviert. Im dritten Stock befinden sich, wie du ja gesehen hast, die verschiedenen Büros und die Privaträume der Lehrerinnen, sowie eine riesige Bibliothek, zu der du nur mit der Erlaubnis von Schwester Elizabeth Zugang hast. Die Kapelle liegt direkt gegenüber der Gärten und Ställe und nimmt den gesamten Nordflügel ein. Du musst, um dahin zu gelangen, nach draußen und dann um das Internat herumgehen.“

Schwester Agatha sprach weiterhin in ihrem flachen, aber schnellen Tonfall. Auch sie schien nicht besonders freundlich oder warmherzig zu sein. Wie war es möglich, dass niemand ein wenig Mitgefühl für die Neuankömmlinge zeigte?

„ Ich möchte dich auch darauf hinweisen, dass in den Gängen nicht geschrien und gerannt wird und dass du die Uhrzeiten einhalten musst. Um sieben wird gefrühstückt, Mittagessen ist um zwölf und Abendessen gibt es um sieben Uhr abends nach der Messe um sechs. Denk daran, immer deine Schuluniform zu tragen, wenn du dein Zimmer verlässt, und lass deine Sachen nicht in deinem Zimmer herumliegen, sonst werden sie beschlagnahmt und weggeworfen.“

Das war ja schlimmer als in einem Gefängnis!

Wir gingen die Treppe hinunter, liefen einen langen Gang entlang und bogen dann nach links in einen weiteren finsteren, feuchten Korridor mit dunklen Wänden ab.

Ich fühlte, wie die Feuchtigkeit in meine Knochen eindrang und ein Geruch von Schimmel meine Lungen füllte, so dass mir übel wurde.

„ Das ist der Schlafsaal. Dein Zimmer ist die dritte Tür rechts. Ganz hinten ist das Badezimmer. Mach dich fertig, in fünfzig Minuten geht es zum Gebet“, schloss die Nonne, bevor sie ging.

„ Danke“ flüsterte ich, aber es kam nur ein schwacher, kaum vernehmbarer Hauch aus meinem Mund.

Ich ging die letzten paar Meter alleine und öffnete diese schreckliche dunkle Holztür mit der schwarzen Klinke, die mein Zimmer verbarg.

Mir genügte ein kurzer Blick: zwei Betten, zwei Nachttische, zwei Schränke für das Notwendigste, zwei kleine Tische mit zwei Stühlen und ein riesiges Kruzifix in der Mitte.

Auf dem Bett links lag mein Koffer und einige Kleider, während auf dem Stuhl neben dem Bett rechts ein Mädchen saß, das das Buch „In den Händen Gottes“ las.

„ Hallo, ich bin Vera Campbell, deine neue Mitbewohnerin. Du musst Maria sein?“ versuchte ich, ein Gespräch zu beginnen.

Das Mädchen hob den Blick von dem Buch und nickte lächelnd.

Ihr Gesicht war rund und sommersprossig. Ihr hellbraunes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst und ihre grünen Augen sahen freundlich aus.

Sie trug die Uniform, die ich auch bald tragen sollte: ein schlicht geschnittenes, blaues Kostüm, auf dessen Brusttasche das Abzeichen der Abtei gestickt war, und ein weißes Hemd.

Mein erster Gedanke war: Blau steht mir nicht, aber ich war zu müde, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.

Ich öffnete langsam die Tasche. Sie enthielt nur das Nötigste, das ich hatte zusammenpacken können, bevor ich plötzlich verzweifelt fliehen musste.

Ganz oben auf den Kleiderstapel hatte ich auch ein Bild von mir und Tante Cecilia gelegt, auf dem wir uns vor dem Hoftor umarmten.

Das Bild trieb mir die Tränen in die Augen.

Wie sehr sie mir fehlte!

Ich wünschte, sie wäre hier bei mir!

Sicherlich hätte sie niemals erlaubt, dass jemand so mit mir sprechen würde, wie es die Mutter Oberin gerade getan hatte.

Ich stellte das Bild auf den Nachttisch. Ich wollte sie so nah wie möglich bei mir haben.

„ Entschuldige, aber das Foto solltest du besser in der Schublade des Nachttisches aufbewahren, sonst wird es morgen weggeworfen“, warnte mich Maria, als sie auf mich zukam.

„ Aber ich…“.

„ Ja, ich weiß, ich weiß. Das ist mir auch passiert... und am nächsten Morgen war das Bild meiner Großmutter weg. Hör auf mich“, ermutigte sie mich freundlich.

Mit einem traurigen Seufzer legte ich das Bild weg. Es war zu wertvoll, um von irgendjemanden in den Müll geworfen zu werden.

Ich räumte meine Kleider und persönlichen Sachen ein.

Ich war gerade dabei, den Koffer wegzuräumen, als ich merkte, dass etwas fehlte.

Der Schminkkasten!

„ Mein Lippenstift, meine Wimperntusche, mein Lidschatten... sie sind nicht mehr da!“, rief ich empört.

Ich sah Maria an.

Sie zuckte nur mit den Schultern und erklärte: „Weg! Wahrscheinlich haben die Nonnen deine Tasche kontrolliert, wie sie es bei den Neuen immer machen und das, was du hier nicht brauchst, haben sie weggenommen.“

Ich hätte schreien können! Nicht so sehr wegen der weggeworfenen Kosmetika, sondern weil ich es hasste, wenn Leute in meine privaten Angelegenheiten herumschnüffelten!

Nun, am Ende meiner Kräfte, zog ich mich vor Marias verlegenem Blick um, die sich wieder auf den Stuhl gesetzt und ihre Lektüre wiederaufgenommen hatte.

Und ich hatte Recht: Blau stand mir nicht besonders gut!

Ich schaute auf die Uhr. Noch zwanzig Minuten bis zur Messe. Ich warf einen letzten Blick auf das Zimmer.

Die Wände waren grau und die Möbel aus dunklem Nussbaumholz.

Einfach deprimierend. Wie alles andere auch.

Ich warf den Koffer auf den Boden und lies mich auf das Bett fallen.

Ich wollte einfach nur vergessen. Ich schloss meine Augen.

Sofort sah ich das Bild zweier eisfarbener Augen in meinem Geist, die mich durchbohrten.

Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Voller Angst sprang ich auf.

Schon wieder er! Es war die reinste Qual. Es war seine Schuld, dass ich hier war.

Ich war so erschöpft! Ich hätte so gerne die Stimme meiner Tante Cecilia vernommen, die mich beruhigte, wie sie es immer tat, wenn etwas schief ging.

Ich versuchte, an sie zu denken und mir ihr lächelndes Gesicht vor meine Augen zu rufen, aber ich konnte diese schrecklichen blauen Augen einfach nicht abschütteln.

Schließlich, ohne es zu merken, schlief ich ein.

Ich war erschöpft und unfähig, mir meine Zukunft vorzustellen.

Mein Leben war erst einen Monat zuvor in Stücke gegangen und nun wusste ich nicht mehr, wer ich war und wohin ich gehen sollte.

Alles hatte sich geändert.

ERSTER TEIL

BESUCH

4. Oktober 2018

Vier in Biologie.

Diese schlechte Note konnte ich Tante Cecilia nicht zeigen.

Ich hatte ihr einen Monat lang gesagt, dass ich mein Versagen vom letzten Mal wiedergutmachen würde...

Ich wusste, dass sie mir nicht böse sein würde, aber ich wollte ihr keinen Kummer bereiten, weil sie mir dabei geholfen hatte, mich auf die Klassenarbeit vorzubereiten.

Der Bus hielt vor dem Bauernhof, kurz vor dem Ende der Viale delle Quattro Croci, die vor dem dichten Kiefernwald von Landskare endete.

„ Endstation“ rief mir Joshua, der Fahrer vom Fahrersitz aus zu und lenkte mich von meinen Sorgen ab.

„ Danke. Bis morgen“ grüßte ich ihn zerstreut.

„ Bis morgen Vera.“

Nach ein paar Metern ging ich durch das Hoftor.

Ich sah Ahmed, unseren alten tunesischen Helfer, der gerade dabei war, die Hühner in den Hühnerstall zu treiben.

„ Hallo Ahmed! Wie ist es heute gelaufen?", fragte ich ihn höflich.

Der Mann grunzte.

„ Feuchte Kälte und Rückenschmerzen.“ antwortete Ahmed.

Er war schon immer wortkarg gewesen. Nach zehn Jahren des Zusammenlebens hatte ich jedoch begriffen, dass er wirklich gerne mit mir und meiner Tante zusammen war, aber das regnerische irische Klima hasste, das ihm oft lästige Knochenschmerzen bereitete.

„ Komm, ich sage meiner Tante, sie soll dir die übliche Kompresse machen, dann wird es dir gleich besser gehen", tröstete ich ihn.

Ahmed lächelte mir dankbar zu.

Ohne noch etwas hinzuzufügen tratich durch die Vordertür ins Haus.

Es roch nach Apfelkuchen. Mein Lieblingskuchen.

Das bedeutete zweierlei: Zum einen konnte ich meiner Tante nichts von meiner schlechten Note sagen, um ihr nicht den Tag zu verderben, und zum anderen musste Pater Dominick, der sympathischste und großzügigste Pfarrer der Welt, im Haus sein.

Auch er liebte Apfelkuchen, so dass Tante Cecilia ihn immer backte, wenn er zu Besuch kam.

Ich zog meine Schuhe aus und legte sie zusammen mit meiner Jacke und meinen Rucksack in der Halle ab. Dann ging ins Wohnzimmer, wo Tante Cecilia und Pater Dominick sich nett unterhielten.

„ Hallo.“

„ Vera, mein Schatz, komm herein. Wir haben mit dem Tee auf dich gewartet", lud meine Tante mich mit ihrer sanften, angenehmen Stimme ein, bei der sich immer alle gleich wohl fühlten.

„ Hallo Vera. Es ist erst einen Monat her, aber ich habe das Gefühl, dass du schon wieder größer geworden bist", begrüßte mich der Pfarrer.

„ Wäre ich jedes Mal, wenn du mir das sagst, auch nur einen Zentimeter gewachsen, wäre ich jetzt drei Meter groß.“ entgegnete ich lachend.

Auch Dominick brach in lautes Lachen aus.

Er war nie über meine Witze beleidigt und meine Tante beachtete sie schon gar nicht mehr.

Dann gab es Kuchen. Tante servierte Tee und Apfelkuchen.

Als ich in den duftenden Kuchen biss, fühlte ich mich gleich besser, zumindest so lange, bis meine Tante mich nach der Klassenarbeit fragte und ich mich verschluckte.

„ Wie war es in der Schule?“ fragte sie mich.

„ Gut.“

„ Hat Professor Hupper dir deine Biologiearbeit zurückgegeben?"

Wie war es möglich, dass meine Tante nie etwas vergaß?

Wie machte sie das nur, dass sie immer alles unter Kontrolle hatte?

„ Nein“, log ich und versuchte, mich auf das Aroma des Tees zu konzentrieren.

Wir aßen gerade unseren Kuchen, als das Telefon klingelte.

„ Ich gehe. Wahrscheinlich ist es Duncan McDowell wegen der Sache mit dem Vieh, das ich vorgestern gekauft habe", dachte Tante laut.

Als meine Tante fort war (es war Duncan McDowell am Telefon), schenkte mir Pater Dominick seine volle Aufmerksamkeit.

 

„ Also, wie geht es dir?“, fragte er mich mit ernstem Blick.

„ Gut.“

„ Hast du darüber nachgedacht, was ich das letzte Mal über Gottes Liebe gesagt habe?"

„ Ja, aber ich habe dir bereits gesagt, dass ich Zweifel an der Gerechtigkeit des Herrn habe. Auf dieser Welt gehen passieren einfach zu viele schreckliche Dinge. Ich kann all diese Liebe, von der du sprichst, nicht sehen.“

„ Sie ist in uns drin.“

„ Ja, aber warum sündigen dann so viele Menschen? „Ganz zu schweigen davon, dass die, die es am wenigsten verdient haben, oft das meiste Glück haben“, erboste ich mich.

Der Priester schüttelte geschlagen den Kopf. Seit Monaten erzählte er mir von Liebe, Barmherzigkeit und göttlicher Gerechtigkeit und ich sprach immer wieder von Episoden täglicher Ungerechtigkeit oder Kriege.

„ Begehst du nie irgendwelche Sünden?“

Jetzt war die Zeit für die Beichte gekommen.

„ Nein, niemals“, forderte ich ihn heraus.

„ Es ist eine Sünde, so etwas überhaupt zu sagen“, warf er mir vor.

„ Ja, das ist es. Wenigstens kann ich jetzt sagen, dass ich gelogen habe. Ich habe also gesündigt." hänselte ich ihn.

Der Pfarrer sah mich einen Moment lang verwirrt an.

„ Ist das alles?“

„ In Wirklichkeit habe ich meiner Tante sogar Geld gestohlen, um Zigaretten zu kaufen, dann habe ich eine meiner Klassenkameradinnen verprügelt und sogar die Biologiearbeit abgeschrieben", schloss ich amüsiert, als ich den schockierten Gesichtsausdruck von Dominick sah.

Ich konnte es mir nicht verkneifen, in ein lautes Lachen auszubrechen, was den alten Pfarrer einigermaßen beruhigte.

„ Hast du das wirklich alles gemacht?“, murmelte er unsicher.

„ Glaubst du wirklich, dass ich bei all den Problemen, die ich wegen meiner Anämie habe, rauchen kann? Außerdem könnte ich meiner Tante niemals Geld stehlen, die bereits tausend Opfer bringt, um uns durchzubringen. Ihr monatliches Einkommen reicht kaum für uns und wir sind zwei Wochen mit Ahmeds Lohn im Verzug“, stellte ich mit fester Stimme klar.

„ Aber hast du wirklich eine deiner Klassenkameradinnen verprügelt?“

„ Natürlich nicht, obwohl ich zugeben muss, dass ich es furchtbar gern tun würde. Patty Shue ist die ekelhafteste Person der Welt. „Nur weil sie hübsch und witzig ist, hält sie sich für total cool“, regte ich mich auf.

„ Ich habe dir schon gesagt, du musst das Mädchen ignorieren.“

„ Ja, aber ich schaffe es nicht, weil sie sich immer über mich lustig macht. Sie sagt, ich sähe aus wie eine Leiche. Du kannst dir die Jungen in meiner Klasse vorstellen, wenn sie mich mit ihr zusammen sehen. Ein Geist würde besser aussehen!"

„ Beachte sie einfach nicht.“

Ich schnaubte verärgert. Es genügte, über Patty Shue zu reden, um mich in schlechte Laune zu versetzen.

„ Sag mir lieber, ob du bei der Klassenarbeit wirklich abgeschrieben hast,“, fragte er mich und versuchte das Thema zu wechseln.

„ Nein, daher habe ich auch eine Vier bekommen“, gestand ich traurig.

„ Weiß deine Tante das?“

„ Ich weiß nicht, wie ich es ihr sagen soll. Ich glaube, diesmal tue ich so, als ob nichts wäre“, überlegte ich.

„ Vera“ ermahnte er mich mit vorwurfsvollem Blick.

„ Ich mache ja nur Spaß.“

„ Hast du vielleicht irgendwas anderes angestellt?“

„ In der Tat, ja.“ flüsterte ich.

„ Was?“

„ Vorgestern habe ich heimlich eine Hämodose genommen.“

Pater Dominick war vor Schreck wie versteinert.

„ Reicht dir eine Dosis alle 20 Tage nicht mehr?“ fragte er mich sehr besorgt.

„ Doch, aber in letzter Zeit habe ich meinen Körper zu stark beansprucht, so dass ich alle Energien verbraucht hatte. In der Schule hatten wir einen Aushilfslehrer für Motorik, der nichts von meinem Problem weiß und so musste ich viele anstrengende Übungen machen".

„ Aber warum hast du es ihm nicht gesagt?“

„ Das wollte ich ja, aber dann fing diese blöde Kuh Patty Shue an, auf den Lehrer einzureden und sagte ihm, dass die 'Kranke', also ich, dies und jenes nicht tun könnte. Da wurde ich wütend. Ich wollte beweisen, dass ich es doch tun kann!“

„ Du hast etwas sehr Dummes getan!“

„ Das verstehst du nicht! Ich bin selber Schuld an meiner Schwäche, denn vorgestern hatte ich den Bus verpasst. Da meine Tante bereits mit Ahmed zum Hof der McDowells gefahren war, um Rinder zu kaufen, bin ich etwa fünf Kilometer gelaufen. Ich kam eine Stunde zu spät zur Schule, aber sie haben mir keine Schwierigkeiten gemacht, weil ich erzählt habe, dass ich mich unterwegs nicht wohlgefühlt hätte.

„ Deine Tante weiß wohl nichts von all dem“, mutmaßte der Pfarrer bekümmert.

„ Nein. Nur Ahmed weiß es, weil er gesehen hat, dass es mir nicht gut ging und ich ihm erzählt habe, was mir passiert ist.“ endete ich.

Gleichzeitig kehrte meine Tante ins Wohnzimmer zurück, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.

„ Worüber habt ihr gesprochen?“

„ Nichts“, antworteten wir wie im Chor.

„ Nun, dagegen habe ich wunderbare Neuigkeiten für Vera. Als ich mit Mr. McDowell sprach, habe ich erfahren, dass sein Sohn Ron sehr gut in Naturwissenschaften ist, also fragte ich ihn, ob er dir Nachhilfe geben würde“, freute sich meine Tante.

„ Was hast du gemacht?“ Ich war wütend. Es stimmte, Ron war ein Genie in Mathematik und Naturwissenschaften, aber er war hochnäsig und wegen seines Atems, der nach toten Mäusen roch, war es besser, ihm nicht zu nahe zu kommen.

„ Du hast richtig gehört, und anscheinend hast du es auch dringend nötig, denn er hat mir gesagt, dass du nach der Klassenarbeit von gestern jetzt einen Durchschnitt von dreieinhalb Punkten hast“, zischte meine Tante.

Dieser eingebildete Verräter! Verdammter Kerl.

Wie konnte er es wagen, meiner Tante von meiner Note zu erzählen?

Ich war ja auch nicht zu seinem Vater gelaufen, um ihm zu sagen, dass sein Sohn dringend Pfefferminzbonbons brauchen würde.

Ich war stocksauer.

„ Wann wolltest du mir sagen, dass die letzte Klassenarbeit auch schief gegangen ist?"

„ Ich weiß nicht. Vielleicht in einem anderen Leben.“ versuchte ich zu scherzen, aber Tante schien überhaupt keinen Sinn für Humor zu haben.

Ich konnte nicht umhin, Pater Dominick anzuschauen, der sich mit dem typischen „Ich hab's-dir-ja-gesagt“ -Ausdruck ins Fäustchen lachte.

Mir wurde klar, dass es Zeit für den Rückzug war.

„ Dann gehe ich jetzt mal lernen." verabschiedete ich mich schüchtern.

„ Ja, das scheint mir angebracht.“ zischte meine Tante bedrohlich.

„ Gut. Also, auf Wiedersehen und viel Spaß ohne mich.“ wandte ich mich an Dominick.

„ Dann bis zum nächsten Mal. Tschüss, Vera“, der Pfarrer umarmte mich.

Ich nahm meinen Rucksack und ein weiteres Stück Kuchen und ging dann nach oben in mein Zimmer, um nachzudenken.

Ich stellte die Tasche auf den leeren Schreibtisch.

Ich hätte so gerne einen Computer darauf gestellt, aber den konnten wir uns leider nicht leisten.

Ich zog mich um, wobei ich versuchte, die kaputte Schranktür vorsichtig zu öffnen, in der Hoffnung, dass Ahmed sie irgendwann reparieren würde. Dann setzte ich mich nachdenklich auf das Bett und aß die letzten Krümel des Kuchens.

Der Aufsatz in Geschichte für den nächsten Tag konnte warten. Ich musste jetzt unbedingt einen Weg finden, um Ron loszuwerden. Ich wäre lieber gestorben, als eine Stunde Biologie mit ihm zu machen.

Ich könnte ihm sagen, dass meine Krankheit ansteckend sei.

Sicherlich hätte ich ihn mit so etwas ganz schnell wieder verscheucht.

Ich legte mich auf mein Bett und fing an, mir tausend Wege auszudenken, wie ich Ron ausweichen und, da ich schon mal dabei war, diese Hexe Patty vernichten könnte.

Irgendwann schlief ich ein und dachte an nichts mehr.

Als ich wieder aufwachte, war es fast Zeit zum Abendbrot.

Meine Kehle brannte, also beschloss ich, in die Küche zu gehen und etwas von dem Grapefruitsaft zu trinken, den ich morgens zum Frühstück geöffnet hatte.

Ich ging die Treppe hinunter, als ich Pater Dominicks Stimme hörte.

„… Hämodose?“.

„ Ja, das wusste ich. Ahmed hat es mir erzählt. Es ging ihr einfach nicht gut, aber ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist. Kam sie dir verändert vor?“, fragte Tante.

„ Nein, keineswegs, aber der Orden ist jetzt hinter ihr her. Sie wollen immer wieder Berichte und noch mehr Berichte, und oft kommt jemand vorbei, um zu sehen, wie es läuft. Anscheinend geben sie sich in ihrer Schule manchmal auch als Vertretungslehrer aus. Es ist eine Schande!“

„ Das Wichtigste ist, dass Vera nichts merkt! Sie muss ihr Leben hier mit mir weiterleben. Ein ruhiges Leben“, murmelte Tante Cecilia mit gebrochener Stimme.

„ Nun beruhige dich doch! Solange Kardinal Montagnard lebt, wird ihr nichts geschehen. Trotz des Drängens von Kardinal Siringer kann der Orden ohne einen Befehl von Montagnard nichts tun, und er würde nie zulassen, dass Vera etwas geschieht“, beruhigte Pater Dominick sie.

„ Ja.“

Sie schwiegen.

Schließlich verabschiedeten sie sich voneinander und der Pfarrer ging.

Ich stand wie angewurzelt oben auf der Treppe.

Ich hörte das erste Mal von Kardinälen und diesem Orden. Wer waren sie? Was wollten sie?

Was noch wichtiger war, warum waren sie an mir interessiert?

Ich hätte gerne meine Tante um Erklärungen gebeten, aber ich wusste, dass ich es diesmal für mich behalten musste.

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