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Aus der Reihe: Classica Monacensia #54
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Vicente Flores Militello

tali dignus amico

Die Darstellung des patronus-cliens-Verhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

www.narr.de • info@narr.de

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ISBN 978-3-8233-8296-6 (Print)

ISBN 978-3-8233-0175-2 (ePub)

Inhalt

  ‘Quo nos cumque feret ...

  Danksagung

  Vorwort

 1) Einleitunga) Soziologischer und literarischer Rahmenb) Historiographische Quellen zur Entstehung des patronus-cliens-Verhältnissesc) Beobachtungen zum Sprachgebrauchi) amicitia und clientelaii) Parasiten und Klientend) Theoretische Anmerkungeni) Das Begriffsfeld ‚Humor‘ii) Aspekte von Intertextualität

  2) Plautus’ Menaechmus-Monolog: Differenzierung zwischen clientes und parasiti a) Der cliens quidam im Menaechmus-Monolog b) Der parasitus in den Menaechmi Resümee und Ausblick

 3) Horaz: Selbstinszenierung und allgemeine Warnung. Entwicklung der Perspektivea) Horaz als amicus des Maecenas: Satiren 1,6; 1,9 und 2,6i) Kontaktaufnahme im Rückblick: in amicorum numero (Satire 1,6)ii) Falsche Freunde (und Klienten): Satire 1,9iii) Auftretende Probleme zwischen Horaz und Maecenas: Satire 2,6Resümeeb) Horaz als externer Beobachter: Epode 2 und Ode 2,18i) Klienteläre Pflichten als Kontrast zur Landruhe: epod. 2ii) condicio humana im dives-pauper-Kontrast: carm. 2,18Resümeec) Empfehlungen aus eigener Erfahrung: Episteln 1,7; 1,17 und 1,18i) Die Kunst des Schenkens und Nehmens: Abhängigkeit und Freiheit in Epistel 1,7.ii) Klientelwesen als empfehlenswerter Weg: Episteln 1,17 und 1,18Resümee

 4. Martial: Einzelaspekte und Perspektivenwechsela) cenai) Monophagieii) Ungleiche Bewirtungiii) Großzügigkeit mit Hintergedanken: Erfolg und Absichten einer üppigen cenaiv) Parasiten-Typenv) Der Sprecher als Gastgeber: der Gast als animal oder amicus?Resümeeb) sportulai) Die unzureichende sportulaii) Domitians sportula-Gesetziii) Wiedereinführung der (trotzdem unzureichenden) sportulaResümeec) salutatioi) Der Dichter grüßt lieber schriftlichii) salutatio als Inbegriff der KlientenpflichtenResümeed) amicitiai) amicitia als reguläre Begrifflichkeit im Rahmen des patronus-cliens-Verhältnissesii) Parallele, Demaskierung und KontrastResümee

 5) Juvenal. Von Solidarität über Empörung zu ironischer Verachtung: Veränderung der(selben) Perspektivea) Drei Facetten der Kritik: Satirenbuch 1i) Programm der Kritik: Satire 1ii) Direkte Kritik an den Graeculi: Satire 3iii) Kritik am Klienten (tali dignus amico): Satire 5Resümeeb) Ironie und Ambiguität: Satirenbuch 3i) Dichterklienten: Satire 7ii) Sich prostituierende Klienten (deditus devotusque cliens): Satire 9Resümeec) Beobachtungen zur Sprecher-Rolle bei Juvenal und Ausblick der patronus-cliens-Problematik

  Fazit

 LiteraturverzeichnisAbkürzungen von Lexika, Korpora und EnzyklopädienAusgaben längerer Textzitate antiker Autoren:Sekundärliteratur

  Stellenregister


‘Quo nos cumque feret melior fortuna parente,
ibimus, o socii comitesque,
nil desperandum Teucro duce et auspice Teucro.
certus enim promisit Apollo
ambiguam tellure nova Salamina futuram.
o fortes peioraque passi
mecum saepe viri, nunc vino pellite curas:
cras ingens iterabimus aequor.’
Hor. carm. 1,7,25–31.

Danksagung

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation im Bereich der lateinischen Philologie, die im Sommersemester 2018 an der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht wurde.

Ohne die Hilfe und Unterstützung vieler Personen und Institutionen wäre diese Arbeit jedoch nie zustande gekommen. Bei diesen möchte ich mich folglich gerne bedanken:

Mit großer Begeisterung und Hilfsbereitschaft hat Prof. Dr. Claudia Wiener die Arbeit angeregt und betreut. Ihre tiefgehenden Anmerkungen und Empfehlungen sowie die freundlichen Gespräche habe ich stets geschätzt und ihr gilt daher mein erster, herzlichster Dank. Auch Prof. Dr. Markus Janka möchte ich quam plurimas gratias agere, da er dieses Projekt nicht nur als Zweitbetreuer mit Enthusiasmus mitverfolgt, sondern mich auch stets äußerst hilfsbereit beraten hat, indem er mich z.B. zum von ihm organisierten Forschungskolloquium einlud – und nicht zuletzt zu den schönen ‚symphilologischen‘ Gesprächen mit den sodales Latini. Auch bei Prof. Dr. Martin Hose möchte ich mich herzlich bedanken, der mir als drittes Mitglied der Prüfungskommission wichtige Hinweise gegeben und mich immer gewinnbringend beraten hat.

Allen drei Professoren danke ich zudem für die wichtigen und nützlichen Anmerkungen, die für diese Untersuchung von vitaler Bedeutung waren. Dabei gilt mein Dank für die Annahme der Arbeit in die Reihe der Classica Monacensia wiederum Claudia Wiener und Martin Hose.* Dabei danke ich der Fazit-Stiftung für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses, über die dieser Band ermöglicht wurde.

All dies wäre zudem nicht möglich gewesen ohne die materielle Unterstützung der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mich als Promotionsstipendiaten großzügig finanziert und mir damit zu der hierfür nötigen Muße und Ruhe verholfen hat. Ihr bin ich dafür besonders dankbar. Dabei danke ich auch Prof. Dr. Christian Tornau (JMU Würzburg), Prof. Dr. Bardo Maria Gauly (KU Eichstätt-Ingolstadt) und Prof. Dr. Anja Ballis (LMU München) für ihre große Unterstützung.

Dafür, dass er mir freundlicherweise seine damals noch unveröffentlichte Dissertation zur Verfügung stellte, danke ich Tom Geue (ehemals University of Cambridge, nun University of St Andrews) sowie Francesca Bellei, die ich 2013 während des 24. Seminario di alta cultura zur römischen Satire in Genga bei Ancona kennengelernt habe.

Bei Markus Hafner, meinem langjährigen Freund und Kollegen, will ich mich nicht nur für die zahlreichen philologischen Gespräche, Anmerkungen und Anregungen herzlich bedanken, sondern auch für seine Hilfsbereitschaft und moralische Unterstützung. Herzlichen Dank schulde ich auch Erik Schilling, dessen weiterführende Beobachtungen sowie dessen Freundschaft mir in den letzten Jahren sehr geholfen haben.

 

Daneben möchte ich aber auch die persönlichen Aspekte betonen, ohne die ich diese Arbeit wohl kaum geschafft hätte: Mein entsprechender Dank gilt besonders María Victoria Rojas-Riether, Leiterin der Spanisch-Abteilung am Sprachenzentrum der LMU München, für die stets freundliche Unterstützung während der vergangenen Jahre. Tiefen Dank schulde ich auch Teresa Moreno-Broil, die seit meinen ersten Tagen in München in jeder Weise für mich dagewesen ist. Ebenso danke ich Orlando Páramo für die gemeinsame Zeit, die wir am Sprachenzentrum (und außerhalb) verbringen konnten.

Besonderer Dank gilt ferner Leonard Heß, der mir besonders seit der Abschlussphase der Dissertation sehr nahesteht und dessen Unterstützung ich sehr schätze.

Schließlich möchte ich mich an dieser Stelle bei meinen Eltern, Eugenia und Vicente sen., bedanken; nicht nur dafür, dass sie mich stets unterstützt und meine Interessen liebevoll gefördert haben, sondern auch dafür, dass sie trotz aller Schwierigkeiten immer für mich da gewesen sind. Senza il vostro affetto nada de esto sería posible. Ihnen möchte ich daher dieses Buch widmen.

München, im Mai 2019 Vicente Flores Militello

Vorwort

Die vorliegende Arbeit analysiert die literarische Darstellung einer Problematik, die in der satirischen Dichtung vor allem der Kaiserzeit im spannungsreichen Verhältnis zwischen patroni und clientes ihren Ausdruck fand. Bei Horaz, Martial und Juvenal wird die clientela-Thematik eingesetzt, um einerseits ethische und soziale Probleme solcher Abhängigkeitsverhältnisse zu beleuchten und andererseits das Verhältnis des Ich-Sprechers als eines (Dichter-)Klienten1 zu verschiedenen patronalen Figuren zu thematisieren. Die Texte oszillieren dabei – so ist zu zeigen – zwischen Kritik, Anerkennung, Humor und Ironie.

Bisher hat sich die Forschung vor allem auf eine sozialgeschichtliche Betrachtung des patronus-cliens-Verhältnisses konzentriert.2 Darüber hinaus wurden beispielsweise das komplexe amicitia-Verhältnis im Allgemeinen, v.a. zwischen Horaz und Maecenas, oder die vielschichtigen Beziehungen, die Martial und Statius mit ihren jeweiligen Gönnern verbanden, Gegenstand von Untersuchungen.3 Auch wurde im Rahmen von Studien zu den einzelnen Autoren die Rolle der clientela als wichtiger Aspekt erkannt,4 doch als nur eines der Elemente, die den Hintergrund der Texte bilden. Konkret in der literarischen Darstellung untersucht wurde das patronus-cliens-Verhältnis bislang hingegen nicht. Eine Analyse der zentralen Stellen bei den Dichtern, die sich mit der patronus-cliens-Problematik beschäftigen, ist daher ein Desiderat der Forschung.

Als literarischer und kulturgeschichtlicher Diskurs findet sich die Problematisierung der clientela zum ersten Mal bei Plautus, dem Ausgangspunkt dieser Untersuchung. In Menaechmi ist eine Spannung zwischen römischen Patronen und Klienten sowie zwischen den für die Komödie typischen Figuren des Herren und des ‚Parasiten‘ festzustellen.5 Vor allem aber wird die Konstellation in der Kaiserzeit verhandelt, besonders in satirischen Texten. Hier eignen sich Horaz, Martial und Juvenal für einen kontrastiven Vergleich: Sie alle thematisieren diese Problematik häufig und ausdrücklich und nehmen dabei immer wieder Bezug auf die jeweiligen Vorgänger.

Bei Horaz ist die zwischen aufrichtiger Freundschaft und hierarchischer Abhängigkeit oszillierende Beziehung zu Maecenas Zentrum der Reflexion und damit ein Beispiel für das patronus-cliens-Verhältnis schlechthin. Martial thematisiert konkretere Aspekte des clientela-Verhältnisses (etwa die salutatio, die Auszahlung der sportula oder die Teilnahme an der cena) humorvoll aus wechselnden Perspektiven, inszeniert sich dabei aber immer stärker als (Dichter-) Klient, der in der (spanischen) Landruhe Distanz zu den städtischen bzw. klientelären Pflichten sucht. Ein kritischeres Bild findet der Leser schließlich bei Juvenal, der das clientela-System als dekadent darstellt und sich dazu einer immer stärker in den Vordergrund tretenden Ironie bedient, etwa durch ein komplexes Verhältnis verschiedener „Ich“-Stimmen, die die Kritik ausüben.

Vor diesem Hintergrund wird die Arbeit also erstmalig das patronus-cliens-Verhältnis bei den genannten Autoren in seiner konkreten Ausgestaltung und seinem diachronen Wandel beschreiben. Sie gliedert sich zu diesem Zweck in 1) eine Einleitung, in welcher der historische Rahmen des für Rom so bedeutenden Verhältnisses der clientela, die lexikalischen Schwierigkeiten der Wortfelder amicitia und clientela sowie schließlich die Rolle der Figur des ‚Parasiten‘ untersucht werden, sowie in vier Hauptkapitel (2–5), in denen die Darstellungsweise des patronus-cliens-Verhältnisses bei den genannten Autoren anhand repräsentativer Stellen aufgezeigt wird. Indem die vorliegende Dissertation die vielschichtigen Aspekte und das je individuell gestaltete Verhältnis zwischen patroni und clientes beleuchtet, wird sie zeigen können, dass jeder Autor die Situation differenziert bewertet und literarisch unterschiedlich funktionalisiert.

1) Einleitung
a) Soziologischer und literarischer Rahmen

Das Verhältnis zwischen patroni und clientes, das man in der Forschung unter den Termini Patronat1 (Lat. patronatus, Gr. πατρωνεία) bzw. Klientelwesen2 (clientela) vorfindet, stellt für die römische Weltanschauung einen der Kernpunkte des sozialen sowie politischen Lebens dar.3 Diese Institution wurde sogar auf Romulus selbst zurückgeführt (Cic. rep. 2,16Cicerorep. 2,16, Dion. Hal. ant.Dionysios von Halikarnassant. 2,9,1–3 2,9,1–3; Plut. Rom.PlutarchRom. 13,7 13,7), d.h. auf Roms Ursprung.

Es handelt sich um eine hierarchische Ordnung der römischen Gesellschaft, ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen politisch bzw. sozial einflussreichen (patroni) und weniger einflussreichen (clientes) freien Bürgern,4 welches allerdings auf dem Prinzip der Gleichwertigkeit und Gegenseitigkeit basieren und die sozialen Unterschiede zu einem moralischen Gleichgewicht5 bringen sollte. Schon in der Antike wurde auf die Analogie zur hierarchischen Ordnung innerhalb der römischen Familie verwiesen,6 indem etymologisch argumentiert wurde: Der Patron vertritt gewissermaßen die Figur des Vaters (pater), der für seine Kinder sorgen muss.7 Das Verhältnis intendiert ein gegenseitiges Sich-Schützen, aus dem beide Seiten Gewinn ziehen, nämlich eine politische, juristische, finanzielle und persönliche Unterstützung mit einer wichtigen gesellschaftlichen Aufwertung beider Seiten. Es entsteht so ein auf fides8 basierendes Verhältnis, das gegenseitige Treue und Schutz garantiert.9 Als Patron dagegen zu verstoßen, galt selbstverständlich nicht nur als eine große Schande, sondern auch als eine Straftat. In den Zwölftafelgesetzen führt der Verstoß eines Patrons gegen den Klienten sogar zur sog. ‚Sazertät‘, d.h. er wird für vogelfrei erklärt Lex XII tab8,21(Lex XII tab. 8,21: patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto).10 Für Cato den Älteren ist die Beziehung zwischen patroni und clientes ‚heilig‘ und die wichtigste nach der Vater-Sohn-Beziehung: patrem primum, postea patronum proximum nomen habuere [sc. maiores] (bei Gell. 5,13,4)Aulus Gellius5,13,4. Die clientes hätten sogar den Vorrang vor der eigenen direkten Verwandtschaft: adversus cognatos pro cliente testatur, testimonium adversus clientem nemo dicit (ebd.).11

Wie man sehen kann, handelt es sich beim Verhältnis zwischen patroni und clientes um eine moralisch wichtige und Ansehen bringende Beziehung, die außerdem, wie Saller 1982 argumentiert,12 durch 1) eine gegenseitige Dienstleistung, 2) einen kontinuierlichen Charakter sowie 3) die soziale Asymmetrie der Mitglieder gekennzeichnet ist.13

Da aber ein solches Verhältnis sowohl auf moralischen Werten als auch auf sakralen Elementen basiert, wie mos und fides, wird es in der Wissenschaft manchmal als ein außerjuristisches Verhältnis betrachtet:14 Zwar haben „enttäuschte Patrone“ sowie „undankbare Klienten“ keinen rechtlichen Anspruch, wie Nicols 2014 bemerkt,15 die Beziehung zwischen Patronen und Klienten stellt trotzdem einen wichtigen Teil der juristischen Welt16 dar, denn sie wird Gegenstand juristischer Forschung bei den antiken Autoren und vom Gesetz sanktioniert. Für diese Arbeit ist dennoch folgende Beobachtung von Bedeutung: Die Enttäuschung der Patrone und die Undankbarkeit der Klienten (oder auch umgekehrt, wie gezeigt werden wird) finden in der literarischen Darstellung reichlich Niederschlag – vor allem in der (satirischen) Dichtung und vor allem in der Kaiserzeit: Dies zu untersuchen, stellt das Ziel der vorliegenden Arbeit dar. Daher werden von einer kleinen Passage bei Plautus ausgehend verschiedene Stellen bei Horaz, aber vor allem zahlreiche Epigramme Martials und verschiedene Satiren Juvenals untersucht, um die Darstellungsstrategien der verschiedenen dort vorkommenden Sprecher sowie die daraus entstandenen Situationen zu eruieren.

b) Historiographische Quellen zur Entstehung des patronus-cliens-Verhältnisses

Bevor man zu den Hauptquellen der vorliegenden Untersuchung kommt, ist ein kurzer Blick auf den historiographischen Diskurs über das Verhältnis zwischen patroni und clientes nötig, um dessen Bedeutung im römischen Zeitgeist nachvollziehen zu können.

Schon bei Cicero findet man die Erwähnung, dass Romulus das patronus-cliens-Verhältnis in die römische Gesellschaft integriert habe, und zwar zwischen Patriziern und PlebejernCicerorep. 2,16 (habuit [sc. Romulus] plebem in clientelas principum discriptam: Cic. rep. 2,16). Einen vertieften Einblick in dieses Phänomen bietet der ein paar Jahrzehnte später wirkende griechische Historiograph Dionysios von Halikarnass (ant. 2,9–10).Dionysios von Halikarnassant. 2,9–10 Er widmet sich ebenfalls im Zusammenhang mit Romulus’ Regentschaft der Beschreibung des Patronats (πατρωνεία), d.h. der Beziehung zwischen Patron (προστάτης) und Klienten (πελάτης).1 Dabei achtet er auf den besonderen Charakter des Verhältnisses bei den Römern, selbst wenn ein solches Abhängigkeitsverhältnis nach seiner Vorstellung auch bei den Griechen präsent gewesen sei (ἔθος Ἑλληνικὸν καὶ ἀρχαῖον, ant. 2,9,2), doch der Unterschied liege darin, so der Text weiter, dass bei den Griechen die soziale Asymmetrie derart stark hervortrete, dass die Patrone die Klienten oft körperlich misshandelten, als wären letztere nicht einmal freie Menschen.2 Dagegen existiere das Verhältnis bei den Römern einerseits zum Schutz der Armen und Bedürftigen (Dionysios definiert den Patronat als τῶν πενήτων καὶ ταπεινῶν προστασία, ant. 2,9,3),3 andererseits bestehe es aus einem „menschenfreundlichen“ sowie „staatsbürgerlichen Bund“ (solche Beziehungen seien nämlich φιλάνθρωποι καὶ πολιτικαὶ συζυγίαι, ebd.). Dies betone den ethischen und sozialen Charakter.Dionysios von Halikarnassant. 2,9,2–3

Die Pflichten (meist rechtlicher Natur), aus denen die patronus-cliens-Beziehung bestand (ἔθη περὶ τὰς πατρωνείας, ant. 2,10,1), werden dann analog zur hierarchischen Ordnung innerhalb der römischen Familie besprochen: Die Patrizier sollten den Klienten z.B. erklären, über welche Rechte sie verfügten, und sollten ihnen auch juristisch Beistand leisten und sie bei Gelegenheit verteidigen – wie auch die Eltern gegenüber ihren Kindern handeln würden (ὅσα περὶ παίδων πράττουσι πατέρες, ebd.).Dionysios von Halikarnassant. 2,10,1 Die Klienten sollten ihrerseits den Patron unterstützen, z.B. bei der Aussteuer der Töchter im Falle finanzieller Not oder bei der Zahlung von Lösegeld, falls ein Sohn in Kriegsgefangenschaft geriet4 – dass dabei die Klienten über größere finanzielle Mittel verfügen konnten, welche die Patrone gerne in Anspruch nahmen, geht aus dieser Passage ebenfalls hervor: Dies wird in der literarischen Darstellung gerne thematisiert, wie unten noch gezeigt werden soll.

Dass sich Klienten und Patrone gegenseitig anzeigten oder juristisch verfeindeten, war streng verboten5 und galt folglich als Verrat (προδοσία), der sogar mit dem Leben bezahlt werden könnte.6Dionysios von Halikarnassant. 2,10,3

In gleichem Maße spielt die Länge der Beziehung laut Dionysios eine wichtige Rolle: Da der Charakter des Klientelwesens auch vererbbar sei, ähnele das Verhältnis zwischen beiden Seiten wiederum dem einer Familie.7 Dadurch gewännen Patrone an sozialem Ansehen (μέγας ἔπαινος ἦν), hätten zahlreiche Klienten (ὡς πλείστους πελάτας ἔχειν) nicht nur durch ihre eigenen Verdienste erworben, sondern auch durch die Familientradition geerbt (διὰ τῆς αὐτῶν ἀρετῆς, ant. 2,10,4).Dionysios von Halikarnassant. 2,10,4

 

Schließlich ist für Dionysios die gegenseitige Wertschätzung und Hilfe zwischen Patronen und Klienten das bedeutendste Merkmal des patronus-cliens-Verhältnisses: Einerseits bemühten sich die Klienten, den Patronen beizustehen, andererseits wollten die Patrone unter keinen Umständen den Klienten zur Last zu fallen, noch nähmen sie von ihnen finanzielle Unterstützung an8 – was aber gleichzeitig wiederum zeigt, dass die Klienten in der Regel einen finanziellen Wohlstand genossen, von dem die Patrone profitieren konnten.

Dazu muss aber auch die mythische Stiftung des Fides-Kults durch König Numa einbezogen werden (ant. 2,75,2–3)9, denn fides (πίστις) kennzeichnete nicht nur die politischen bzw. staatlichen Beziehungen (ἐν τοῖς κοινοῖς τῶν πόλεων πράγμασιν), sondern auch diejenigen unter Privatleuten (ἐν τοῖς ἰδίοις), was somit unmittelbar auch das patronus-cliens-Verhältnis betrifft.10Dionysios von Halikarnassant. 2,75,2-3

Dass die Beschreibung des Dionysios offenbar einem mythisch überhöhten Ideal entspricht, ist evident. Der Autor spricht von einer Beziehung, die sich in einer fernen Vergangenheit abspielte, als handele es sich um eine Art aurea aetas, wo andere Maßstäbe für die menschlichen Verhältnisse sowie Gerechtigkeit galten.11 Dass es außerdem verschiedene historische Unstimmigkeiten in Dionysios’ Darlegung gibt, gilt als sicher.12 Am Ende der Republik sowie am Anfang der Kaiserzeit waren dazu nicht nur die rechtliche Regelung im Allgemeinen, sondern auch die Beziehungen zwischen Patronen und Klienten wesentlich anders als Dionysios’ Darstellung der archaischen und frührepublikanischen Zeiten, wie Nauta 2002, Goldbeck 2010 und Ganter 2015 in letzter Zeit zeigen konnten.13

Dieses Ideal stellt aber einen literarischen Topos dar, der sich in der römischen Vorstellungswelt etabliert hat und daher von großer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist: Bei den zu untersuchenden Autoren findet man entweder das Streben nach diesem Ideal oder die Klage darüber, dass dieses Ideal nicht (mehr) der Wirklichkeit entspreche, sowie schließlich auch die enttäuschte Flucht vor der ungerechten Realität,14 wie in den nächsten Kapiteln gezeigt wird.