Spaghetti extra scharf

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Spaghetti extra scharf
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Vera X

Spaghetti extra scharf

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

Impressum neobooks

1. Kapitel

Den wenigsten von uns wird es an der Wiege gesungen, in welche Widrigkeiten sie während ihres irdischen Daseins hineingeraten werden. Und das ist auch gut so. Die Anzahl der Zangengeburten würde sonst erschreckend in die Höhe schnellen.

Ich bin jedenfalls schon oft auf etwas sehr Glitschigem ausgerutscht, das mir auf den Weg gelegt worden ist, von wem auch immer. Aber man will ja nicht undankbar sein. Unerwartet zeigten sich da Sonnenstrahlen am Firmament. Einer meiner heiß geliebten Sonnenstrahlen heißt Johanna. Sie trat in mein Leben. Ich hatte nicht darum gebeten. Ich hatte auch nichts dagegen, denn es war wunderschön.

Aber diese Geschichte beginnt viel früher. Johanna ist für mich sozusagen das Sahnehäubchen, das man zum Schluss in den Kaffee gibt.

Ich heiße übrigens Rudi Bäcker. Sagt einfach Bäcker zu mir. Ich lege keinen Wert auf Titel.

Ich weiß. Der Witz hat so einen langen Bart, dass man damit die Straßen von Düsseldorf bis Berlin pflastern könnte. Lustig ist er auch nicht. Die Talente sind ungerecht verteilt. Dafür habe ich was zu erzählen. Mein Leben war bestimmt alles andere als langweilig. Eher hat die ganze Sache tragische Züge mit einer Spur unfreiwilliger Komik als Zugabe. Als älteres Semester kann ich es mir leisten, mit Gelassenheit zurückzublicken. Aber in jenem Sommer, der mein Leben so drastisch verändern sollte, war das anders.

Es war Ende der Achtzigerjahre, als das Schicksal über mich herfiel wie eine wild gewordene Hornisse. Nach einer Ausbildung zum Maskenbildner fand ich eine Anstellung an einem Düsseldorfer Theater. Eine Aufgabe, die mir Freude machte, und bei der ich interessante Leute kennenlernte. Ich durfte Schauspieler und Sänger schminken und frisieren. Als einer der guten Geister hinter der Bühne teilte ich ihr Lampenfieber, die Erfolge und ebenfalls die Niederlagen, wenn ein Stück beim Publikum nicht gut ankam. Ich verdiente ordentlich für mein Alter und hielt mich für einen Glückspilz. In meinem jugendlichen Wahn bildete ich mir ein, dass es immer so weitergehen müsste. Ich Idiot.

Zwar hatte unser Theater wie alle Einrichtungen dieser Art oft mit den Finanzen zu kämpfen. Manchmal schrieben wir rote Zahlen. Aber das machte mir keine Sorgen. Ein Haus mit einem gewissen Ruf, der über die Stadtgrenzen hinausreichte. Was sollte da schon passieren. Irgendein Sponsor hatte sich immer gefunden, der bereit war, den Fehlbetrag großzügig auszugleichen. Deshalb traf mich das Ende völlig unvorbereitet.

Eine bittere Pille war das, als ich zum Personalchef gerufen wurde und er mir einen weißen Briefumschlag überreichte. Darin war meine Kündigung. Der Theaterbetrieb wurde eingestellt. Ich konnte es ihm ansehen, dass er Mühe hatte, einen zur Situation passenden Gesichtsausdruck zu finden. Ich versuchte, freundlich zu sein, was mir unter den Umständen schwerfiel.

„Sich zu bedanken, wäre wohl in diesem Fall nicht angebracht“, sagte ich.

Unser Personalchef wurde tatsächlich rot und sah mich verlegen an. „Sie kriegen auch ein gutes Zeugnis von uns“, sagte er. Für mich ein schwacher Trost. Bei der Situation am Arbeitsmarkt. Dabei hatte er nur noch zwei Monate bis zur Rente und besaß schon sein Häuschen im Grünen. Ich und die Kollegen standen plötzlich mit leeren Händen auf der Straße.

Eine geliebte Arbeit zu verlieren, das ist ein bisschen wie sterben. Nur stirbt man nicht wirklich, sondern man lebt weiter wie ein Zombie unter denen, die noch ein richtiges Leben haben. Sie werden gebraucht und gönnen sich ihr regelmäßiges Freizeitvergnügen mit ein- bis zweimal Urlaub im Jahr. Man selber steht daneben und muss jeden Heller mehrmals umdrehen.

Kopf hoch, Rudi, sagte ich mir. Wer nicht kämpft, hat nichts mehr zu bestellen. Höchstens noch die Musik für die eigene Beerdigung. Und ich war voller Tatendrang und Lebenshunger. Ich ging erst einmal zum Amt, um meine Stütze zu beantragen.

Ein trostloser, langer Flur erwartete mich und das Heer der Arbeitslosen. Auf Plastikstühlen saßen sie da, hintereinander aufgereiht wie die Hühner auf der Stange. Männer und Frauen mit ausdruckslosen Gesichtern, denen man das Wort >hoffnungslos< nicht erst auf die Stirn kleben musste. Ich hatte es mir nicht anders vorgestellt. Diese traurigen Figuren waren als überflüssig aussortiert worden. Und ich sollte ab jetzt dazu gehören. Unvorstellbar. Nie hätte ich gedacht, dass mir das passieren könnte. Anderen vielleicht. Aber mir doch nicht. Unglück trifft immer nur andere. Bis man eines Besseren belehrt wird und es einen voll erwischt.

Aber ein gemeinsames Schicksal verbindet auch manchmal. Ein fremdländisch aussehender Mann mit schwarzem Vollbart hielt mir einen Becher Tee aus einer Thermoskanne hin.

„Trink mal“, sagte er mit einem schweren Akzent. „Bist neu hier?“

Ich nickte und nippte verlegen an seinem Tee. Die Situation war mir peinlich. Ich war peinlich.

Plötzlich bekam ich einen Hustenanfall, der es in sich hatte. Dieser Tee schmeckte und brannte verdächtig nach einem zusätzlichen Schuss Rum.

„Etwas Sprit muss sein“, sagte mein neuer Kumpel und zeigte mit einem Lachen seine Goldkronen. Er schlug mir kräftig auf den Rücken.

Sein Name war Salvatore und er stammte aus Sizilien. Er suchte eine Arbeit auf dem Bau.

„Vielleicht ich geh auch in Fabrik, mal sehen“, sagte er mit viel Zuversicht in der Stimme. Er hatte wohl meine Gedanken erraten.

„Warum sind die Deutschen immer so schlecht gelaunt“, sagte er. „Muss am Wetter liegen. Ganz sicher. Zuviel Regen. Ist gar nicht gut.“

In den folgenden Wochen traf ich ihn hier manchmal. Aus Sympathie wurde eine dicke Freundschaft. Was Einmaliges, das fürs Leben hält.

Er bekam dann eine Arbeit als Kellner in einem italienischen Restaurant. Der Glückliche. Ich sollte ihn und seine Familie noch in große Gefahr bringen. Es war keine Absicht, aber ein schlechtes Gewissen habe ich trotzdem immer noch, wenn ich daran denke. An unserer Freundschaft hat es zum Glück nichts geändert.

Salvatore zeigte mir die wichtigsten Dinge, die man auf dem Amt wissen sollte. Er deutete auf das Ende des Ganges. Die Toilette. Falls die Blase den Stress nicht aushielt. Aus einem kleinen, grauen Kasten zog ich einen Zettel mit einer Nummer. Eine Digitalanzeige über unseren Köpfen zeigte die Nummer an, die gerade aufgefordert wurde, durch die undurchsichtige graue Tür vor uns einzutreten.

Eine andere graue Tür öffnete sich, und ein übel gelaunter Mann stürmte heraus. Er drehte sich noch einmal um, und in einer fremden Sprache, die ich noch nie zuvor gehört hatte, schickte er eine lautstarke Schimpfattake in den Raum hinein. Ich verstand nur das Wort >Arschloch<. Und er schimpfte weiter, während er mit schnellen Schritten den Gang entlanglief. Die Blicke der Wartenden folgten ihm, bis er im Aufzug verschwand. Dann verfielen alle wieder in den Sparmodus der Trübsinnigkeit. Es gab da nicht nur deutsche Mitbürger, die schlecht drauf waren.

Salvatore hob bedauernd die Schultern. „Antrag abgelehnt. Oder Arbeit scheiße. Kann man nix machen.“

 

Es fiel mir schwer, mich von diesem Salvatore zu trennen. Ein Moment warmherziger Anteilnahme, den ich gerne länger festgehalten hätte. Aber langsam und unerbittlich tickte die Digitalanzeige weiter von Nummer zu Nummer. Und dann war meine Nummer dran. Ich schritt sehr langsam auf die graue Tür zu, hinter der meine neue Zukunft bereits auf mich lauerte.

>Frau Greifer< stand auf einem Plastikschild neben der grauen Tür. Ich betrat einen Raum mit einer Blattpflanze, deren große, fleischige Blätter schon fast bis zur Decke reichten. Auf einem Schreibtisch reckten sich Aktenstapel in die Höhe. Schicksale, in Kurzform zwischen zwei Papierdeckel gepresst.

Frau Greifer, eine grell geschminkte, magersüchtige Matrone, hielt mir zur Begrüßung eine ihrer Krallen entgegen. Knochige, lange Finger, verziert mit rot lackierten Nägeln. Mir viel dazu spontan die Hexe aus dem Märchen ein. Sie mochte vielleicht Mitte zwanzig sein. Die Schnepfe war also etwas jünger als ich. Ich hatte gerade die Dreißig geschafft.

Ich setzte mich unaufgefordert auf einen Besucherstuhl neben den Schreibtisch. Frau Greifer nahm meine Unterlagen und hielt sie sich in gehörigem Abstand vor die Augen. Als ob sie eine ansteckende Krankheit befürchtete. Ich hatte noch nie davon gehört, dass Arbeitslosigkeit ansteckend sein konnte. Vielleicht war sie aber auch nur kurzsichtig, wer weiß.

Frau Greifer fackelte nicht lange und kam sofort zur Sache. „So, vom Theater kommen Sie. Na, das können sie vergessen“, sagte sie.

Sie erklärte mir, dass in meinem Fall nur eine Umschulung infrage käme, und zwar in einen Beruf mit richtiger Arbeit. Sie hatte da auch schon was für mich: Maler und Lackierer. Auf die Idee wäre ich nicht gekommen. Für Frau Greifer machte es wohl keinen Unterschied, ob man Gesichter anzumalen hatte oder Türen und Fenster. Man darf nur nicht zu viel Farbe auftragen. Dann gibt es Probleme. Das ist das ganze Geheimnis. Den Tipp hätte ich gerne an Frau Greifer weitergegeben. Womöglich wäre der schwarze Lidstrich über ihren Schweinsäuglein weniger dick ausgefallen.

Ich sagte nichts und fügte mich. Blos hatte ich nicht die Absicht, Maler und Lackierer zu lernen. Aber das behielt ich lieber für mich. Ich kuschte und tat, was man mir sagte.

Meine Anträge füllte Frau Greifer aus. Ich musste nur die nötigen Angaben dazu machen und meine Unterschrift daruntersetzen.

Ein Formular durfte ich dann doch selber ausfüllen. Es war ein psychologischer Test.

„Damit überprüfen wir Ihre Gesinnung“, sagte Frau Greifer. „Wir müssen wissen, mit wem wir es zu tun haben.“

Das sah ich ein.

Drei Blätter, mit denen ich mich schwertat. Obwohl meine Muttersprache Deutsch ist, muss ich zugeben, dass ich die Fragen nicht verstand. Ich denke, irgendein durchgeknallter Psycho von einer Uni hatte diese von einer höheren Warte aus formuliert. Zu hoch, um für einen Normalo wie mich durchschaubar zu sein. Ich malte deshalb nach dem Zufallsprinzip Kreuze bei den vorgegebenen Antworten, die zur Auswahl standen.

Nur ein Satz war für mich klar: >Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein, als gut, weniger gut oder schlecht?<

Dass die Stellen sowohl an den Theatern als auch anderswo rar waren, wusste ich. Ich kreuzte bei >schlecht< an.

Wahrscheinlich verstand Frau Greifer die meisten Fragen auch nicht. Jedenfalls kommentierte sie die Auswahl meiner Antworten nicht. Nur diese eine Frage, die wir beide verstanden, beunruhigte sie sehr.

Frau Greifer sah mich mit einem entsetzten Blick an. „Wie kommen Sie darauf, dass ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt schlecht sind?“

Ich stammelte ein paar unverständliche Sätze als Entschuldigung.

„So geht das nicht!“, sagte Frau Greifer in einem Ton, der zur Ankündigung des baldigen Weltuntergangs getaugt hätte. „Sie sind ja völlig unmotiviert! Wie sollen wir Sie damit an einen Arbeitgeber vermitteln?“

Ich setzte mein nettestes Lächeln auf. „Ups, das Kreuz ist verrutscht. Wir können es etwas mehr nach rechts rücken. Dann stimmt es wieder.“

Frau Greifer lächelte nicht. „Da müssen wir aber noch an uns arbeiten!“

Ich blickte schuldbewusst und einsichtig. Natürlich würde ich an mir arbeiten. Ich wusste nur noch nicht, wo ich damit anfangen sollte.

Bis zu meiner Umschulung, mit der ich endlich als nützlich in die Gesellschaft eingegliedert werden sollte, wurde ich in Gelegenheitsjobs vermittelt.

Meine erste Stelle hatte ich in einem Supermarkt. Zusammen mit zwei anderen Arbeitslosen füllte ich Regale auf, was mir nicht besonders schwer erschien. Ich kannte den Unterschied zwischen einer Erbsensuppe mit Einlage und einer Tomatensuppe. Und ich konnte die Aufschriften auf den Konservendosen lesen. Immerhin war ich ein Mensch mit Fachabitur.

Die Aufsicht über uns Aushilfskräfte hatte Heinrich, ein Azubi im zweiten Lehrjahr. Er mochte fünfzehn oder sechzehn sein. Ein kleiner Bursche mit roten Haaren und vielen Sommersprossen auf der blassen Haut.

Wenn man davon ausgeht, dass ein Azubi der letzte Arsch im Unternehmen ist, dann sind Aushilfen so was wie der Blinddarm. Damit kann wirklich keiner mehr was anfangen. Sie sind da, aber sie gehören doch nicht zur Firma. Was soll man davon halten?

Heinrich nahm seinen Job sehr ernst und ermahnte uns ständig in einem zackigen

Befehlston, nur ja alles richtig einzusortieren. Für Heinrich gab es keinen Zweifel, dass wir Idioten waren, denen man genau auf die Finger sehen musste. Nachdem wir unsere Arbeit erledigt hatten, konnten wir ihm dabei zusehen, wie er die Regale abschritt und mit Kopfschütteln die Dosen zurechtrückte. Das Etikett genau nach vorne. So musste es sein.

Da standen wir, drei erwachsene Männer, mindestens doppelt so alt wie Heinrich und mit einer Berufsausbildung. Wir kamen uns vor wie Statisten, die versehentlich in den falschen Film geraten waren.

Man traute uns nicht, was sich vor allem morgens unangenehm bemerkbar machte. Die Tür zum Personalbereich war mit einem Zahlenschloss gesichert. Hinein kam nur, wer die richtige Nummer auf einer Tastatur eintippte. Als Aushilfskräfte durften wir die nicht wissen, obwohl der Nummerncode alle vierzehn Tage geändert wurde.

Es war Februar. Vor Geschäftsbeginn standen wir oft zu dritt in klirrender Kälte und in dicke Wollschals eingehüllt vor der Tür und warteten, bis jemand der Angestellten zu erscheinen geruhte. Wen wundert es, dass wir manchmal spät dran waren.

Ich machte meine Arbeit so gut ich konnte. Sie behielten mich nur vierzehn Tage. Ich wechselte die Jobs wie reinliche Leute ihre Hemden und Socken. Bald störte es mich nicht mehr. Ich behielt meine gute Laune und lernte die Spielregeln schnell. Bei Frau Greifer machte ich dazu ein unschuldiges Gesicht.

„Ich weiß auch nicht, warum es nie richtig klappt“, sagte ich dann. Und das war die Wahrheit. Ich weiß es bis heute nicht.

Ich bekam regelmäßig mein Arbeitslosengeld und bemühte mich, die Scherben meines Lebens zusammenzuhalten.

Dann wurde es kritisch. Man hatte meine Umschulung genehmigt, und es gab einen Malermeister, der einen Lehrling suchte. Aus mir unverständlichen Gründen hatte er Gefallen an meiner Person gefunden. Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen, um dieses drohende Unheil abzuwenden. In so einem Fall ist es von Vorteil, wenn einer vom Theater kommt.

Zum Vorstellungsgespräch erschien ich pünktlich, mit weißem Hemd, Krawatte und geputzten Schuhen. Eben das ganze Programm.

Das Büro der Malerwerkstatt befand sich im Erdgeschoss eines Mietshauses. Ein typischer Neubau aus den Sechzigerjahren. Der Hauseigentümer musste farbenblind sein. Der schmucklosen Fassade hatte man im unteren Teil Kacheln in einem geschmackvollen Schwarz verpasst, die bis über die Eingangstür reichten. Was billig war, sollte zumindest edel aussehen. Ein Schild aus Messing neben der Tür: >Malerbetrieb Egon Zierlich<. Durch ein geöffnetes Rolltor konnte ich in den Innenhof sehen. Farbeimer stapelten sich dort neben Leitern in verschiedenen Größen. Das sollte mein neues Leben sein. Nee, nich mit Rudi.

Ich klingelte an der Haustür. Der Meister empfing mich höchstpersönlich mit einem kräftigen Händedruck und den üblichen dämlichen Sprüchen.

„Haben Sie denn gut hergefunden?“

„Ja danke. Es hat alles wunderbar geklappt.“

Von meiner Wohnung brauchte ich zehn Minuten mit der Straßenbahn.

„Das ist nett, dass Sie die Zeit erübrigen konnten zu einem Gespräch.“

Ich lächelte und spielte den netten jungen Mann.

Der Meister war ein Durchschnittsmensch. Mittelgroß. Das blanke Schädeldach wurde von einem letzten Rest schwarzer Haare eingerahmt. Unter dem üppigen, schwarzen Oberlippenbart blitzten mich große, zitronengelbe Zähne an.

Raubtiergebiss? Eher Teppichwolf, domestiziert, dachte ich.

Er trug eine braune Cordhose. Die Hemdsärmel hatte er lässig hochgekrempelt. Ihm gegenüber stand ich, chemisch gereinigt und mit akkurat gezogenem Scheitel.

Der Meister führte mich in sein Büro. Er fläzte sich in seinen gemütlichen, ledernen Chefsessel mit hoher Rückenlehne und schlug ein Bein über das andere. Auf dem Schreibtisch warteten noch nicht sortierte Papierberge auf Bearbeitung. Das Geschäft brummte.

Ich hatte den Besuchersessel, ebenfalls aus Leder und gemütlich, aber ohne hohe Rückenlehne.

Zu reden gab es für mich nicht viel. Das Gespräch bestand vor allem aus einer Lobrede des Meisters auf die Firma. Ich stimmte nur immer mit einem Kopfnicken zu oder sagte >ah< und >oh<, wenn der Meister die Vorzüge und Besonderheiten des Unternehmens schilderte. Dieser Betrieb schien wirklich einzigartig in der Branche zu sein.

Schließlich kam es zu der einen, nur allzu verständlichen Frage: „Sie haben vorher etwas ganz anderes gemacht. Warum jetzt der Wunsch, bei uns Maler und Lackierer zu lernen?“

Etwas verschämt kam es aus mir heraus: „Nun ja, es heißt doch, Handwerk hat goldenen Boden. Das wollte ich schon immer mal versuchen. Ich hätte die Stelle wirklich sehr gerne. Aber wissen Sie, mein früherer Chef hat immer zu mir gesagt, mein lieber Rudi, du bist wirklich ein netter Kerl. Aber leider bist du auch ein fauler Sack. Dich behält bestimmt keiner lange. Wie schätzen Sie denn meine Chancen ein?“

Das Gesicht des Meisters blieb undurchdringlich, wie die Tapetenrollen, die er täglich einkleisterte. Ich stellte mir lieber nicht vor, welche Gedanken gerade in seinem Handwerkerhirn kreisten und sich zu Knoten verdichteten.

„Wir haben natürlich noch andere Bewerber“, sagte er schließlich. „Das können Sie sich ja denken. Wir melden uns wieder, wenn wir unsere Entscheidung getroffen haben.“

Das Vorstellungsgespräch war damit beendet und ich wurde freundlich aber bestimmt zur Tür hinausgeschoben.

Bevor ich endgültig ging, pfiff ich noch der vorbeieilenden Sekretärin hinterher, die dies mit einem missfallenden Blick zur Kenntnis nahm.

In bester Stimmung genehmigte ich mir in einem Café einen Cappuccino. Ich hatte meine Rolle als hoffnungsloser Fall gut gespielt.

Wie nicht anders zu erwarten war, erhielt ich kurz darauf meine Bewerbungsmappe mit dem üblichen Brief zurück:

Wir bedanken uns für Ihre Bewerbung und das nette Gespräch in unserem Hause.

Leider müssen wir Ihnen mitteilen …

Die Enttäuschung war Frau Greifer anzumerken, was mich nicht weiter bekümmerte. Ich wechselte in den nächsten Gelegenheitsjob. Und zwar als Aufsicht in der Tankstelle an einer Autobahnauffahrt.

Ich hatte die Nachtschicht. Am Tag arbeiteten dort drei Mitarbeiter und der Chef selbst. Ich war nachts allein. Es bedeutete, die Quengeleien und beleidigenden Sprüche von schlecht gelaunten Kunden zu ertragen, oder hinter Typen herzulaufen, die sich an unseren Zapfsäulen bedienten und sich dann ohne zu bezahlen aus dem Staub machen wollten.

Überfälle waren nicht selten. Manchmal beschränkte sich ein ganz Schlauer auf verbale Drohungen: >Gib mir das Geld, oder ich polier dir die Fresse.< Oder so ähnlich. Bedrohungen mit Messer oder Schusswaffe kamen auch vor.

Kurz gesagt, es handelte sich um einen Job, den man seinem Lieblingsfeind nicht schenken wollte. Gerade richtig für Rudi, dachte ich mir. Hier hatte ich keine Konkurrenz. Die meisten Kandidaten hielten nur Wochen durch. Ich aber blieb und bekam eine feste Anstellung. Damit konnte ich wenigstens Frau Greifer Lebewohl sagen, und meine Karriere als Pinsel schwingender Azubi hatte sich erledigt. Ob sie geweint hat, weiß ich nicht.

 

Mein niedriger Lohn reichte mit Überstunden gerade für das tägliche Überleben. Aber mir würde schon noch etwas einfallen, womit ich meine Situation verbessern konnte. Und es sollte nicht lange dauern, bis mir dazu etwas einfiel.

Mein kleiner Neffe hatte Geburtstag. Wie man das so macht, durchsuchte ich einen Spielzeugladen nach einem Geschenk, gut genug, um mich als Onkel unentbehrlich zu machen, und dabei so preiswert, dass sich das Loch in meiner Geldbörse nicht unnötig vergrößerte.

Ich schritt verwundert vorbei an Bergen von buntem und nutzlosem Zeug, das für die kleinen Rabauken höchstens ein paar Wochen von Interesse sein konnte. Zwischen den Regalen sprang plötzlich ein kleiner Junge auf mich zu und bedrohte mich mit einer Spielzeugpistole, die aber verteufelt echt aussah. „Hände hoch, oder ich schieß dir ein Loch in den Bauch.“

Ich wollte nichts riskieren und folgte der Aufforderung. Die Mutter befreite mich aus dieser misslichen Lage und zog den kleinen Rotzlöffel mit sich fort, bevor er die Situation ausnutzen und mir ein Lösegeld abtrotzen konnte.

Ich kaufte die Pistole, um sie zu behalten. Für meinen Neffen fand ich ein rotes Feuerwehrauto mit Drehleiter und batteriebetriebener Sirene.

Jetzt war ich bei meinem Dienst in der Tankstelle bewaffnet. Die Pistole lag immer griffbereit unter dem Tresen neben der Kasse.

Es kam die Nacht, in der ein jugendlicher Flegel mit Lederjacke und zu viel Pomade in den Haaren durch die Eingangstür trat. Ich wusste sofort, dass es Ärger geben würde. Dafür hatte ich eine Nase.

Nachdem er umständlich zwei Dosen Cola aus einem Regal gefischt hatte, steuerte er mit selbstbewusster Miene auf mich und die Kasse zu. Was er an Alter nicht vorzuweisen hatte, versuchte er mit einem forschen Auftreten wieder auszugleichen. Er zog eine Pistole aus der Jackentasche und hielt sie mir vor die Brust.

„Gib mir das Geld, Alter, oder du bist tot.“

Er schaffte es gerade noch, den Satz zu beenden. Blitzschnell zog ich als Antwort meine Pistole unter dem Tresen hervor. Es war eine Reflexhandlung. In der Situation blieb mir keine Zeit mehr, nachzudenken. Erst hinterher kam mir in den Sinn, was alles hätte passieren können.

Zu meiner Überraschung wirkte es. Der Jüngling war ganz schnell zur Tür hinaus und auf nimmer Wiedersehen verschwunden.

Ich rief die Polizei. Die Überwachungskammer, die nachts immer eingeschaltet war, lieferte brauchbare Bilder, die meine drastischen Schilderungen des Tathergangs eindrucksvoll ergänzten.

Bei den Kollegen von der Tagschicht gab es kein anderes Gesprächsthema mehr. Mein Chef lobte mich für meinen tapferen Einsatz. Er drückte mir eine Großpackung mit Zigaretten in die Hand. „Das geht aufs Haus“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. „Für unseren besten Mitarbeiter.“

Meinen miesen Stundenlohn erhöhte er leider nicht.

Ein Held mit leeren Taschen ist eine traurige Figur. Das kann man drehen und wenden, wie man will. Ich durfte für andere den Kopf hinhalten. Der Dumme dabei war ich. Zugegeben, man kann sich nicht immer die Rosinen aus dem Kuchen herauspicken. Aber es gibt einem dann doch zu denken, wenn die Kuchenstücke regelmäßig von anderen gegessen werden, und man selber soll mit den Krümeln zufrieden sein, die übrig bleiben.

Unser Chef hatte alles richtig gemacht. Der besaß einen Bungalow in einem der Nobelviertel von Düsseldorf.

Langsam reifte in mir der Gedanke, dass die Gesellschaft mir etwas schuldig geblieben war. Und ich wollte nicht warten, bis jemand auf die Idee kam, es mir zu geben. Ich hatte einen Plan.