Das Highheel-Project

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Das Highheel-Project
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Das

Highheel-Project

Velvett D Black

Copyright © 2015 by Velvett D Black

Auflage 2

Umschlaggestaltung und Satz: Valentina Kramer

Lektorat: Maya Heyes, Valenina Kramer

Verantwortliche: Vera Leitsch, Villbacherstr. 4, 63599 Biebergemünd mailto: Vera.Leitsch@gmx.de

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

All rights reserved!

Wenn das Telefon klingelt, sollte man besser gar nicht erst ran gehen

Freitag, der 18. Juli

Ich halte das Telefon in größtmöglicher Entfernung zu meinem Ohr und mache gelegentlich zustimmende Laute, die hoffentlich entfernt so wirken, als würde ich mich freuen. Was definitiv nicht der Fall ist, denn ich sehe seit einer geschlagenen Stunde – die mir übrigens, wie mein halbes Leben vorkommt – nur noch weißen Tüll und eine Menge peinliche Verwandte gemeinsam auf den grausigsten Tag des Jahres zusteuern.

Meine Schwester hat mir soeben mitgeteilt, dass sie den Rest ihres Lebens mit einem rülpsenden, jagdgewehrschwingenden Proleten teilen möchte. Und seitdem versucht sie ihren Hochzeitsvirus auf mich zu übertragen und erzählt mir zum tausendsten Mal, wie sie den Termin für den Kauf ihres Kleides gemacht hat.

»... und dann hat der Florist gesagt ...«, trällert es aus dem Hörer. Ich werfe ein schnelles: »Ach nein!«, ein, damit sie nicht merkt, dass ich überhaupt nicht zuhöre. Ich frage mich flüchtig, wie die Sprache vom Kleid auf den Floristen gekommen ist, beschließe dann, dass es mir im Grundsatz auch egal sein kann, und konzentriere mich wieder darauf meiner Schwester nicht zuzuhören. Währenddessen schreite ich langsam meinen grellbunten Kleiderschrank ab und betrachte mit gerunzelter Stirn die Auswahl darin.

Auf nackten Füßen tappe ich weiter zum Schuhschrank und bleibe mit dem Fußzeh an etwas hängen, dass sich als die raue Kante meines leuchtend grünen Lieblingsteppichs erweist. Um nicht zu stolpern muss ich einen breiten Ausfallschritt machen und dabei aufpassen, dass ich mich nicht irgendwo zwischen meinen herumliegenden Klamotten und Schuhen verheddere. Als ich endlich wieder sicher stehe, höre ich immer noch Debbies aufgeregtes Kreischen aus dem Hörer.

Ich atme tief durch, um ihr nicht zu sagen, dass mich das alles überhaupt nicht interessiert. Wie zur Beruhigung gleitet mein Blick zum Fenster und ich wundere mich darüber, dass ich heute nicht einmal den Ausblick genießen kann. Selbst die Spitze des Eiffelturms, die ich in der Ferne gegen den blass blauen Himmel abzeichnet, schafft es nicht das übliche Glücksgefühl in mir auszulösen.

Hey, das ist die Stadt deiner Träume, deine Wahlheimat, du hast es geschafft!, versuche ich mich selbst aufzumuntern. Was mir aber kläglich misslingt.

»Und stell dir vor, auf meinem Kleid sind echte Edelsteine aufgenäht!«, quietscht das Telefon und ich verdrehe die Augen. Das Debbie immer so furchtbar übertreiben muss, sobald sie im Mittelpunkt stehen darf.

»Fahr bloß pünktlich los aus deinem doofen Paris. Ich will nicht, dass du zu spät kommst, klar?«, keift sie und ich rolle die Augen.

Ja, die Wahl meines Wohnortes stieß bei meiner Familie noch nie auf besonderes Ansehen. Schon aus unserem Dorf heraus zu ziehen galt für viele der Älteren als ein Kapitelverbrechen, dass man allerhöchstens noch mit Mord gleichsetzen konnte. Bereits eine Stadt als Wohnort ist unverzeihbar. Meine Wahlheimat allerdings, liegt nicht einmal im gleichen Land und was das für sie bedeutet, will ich gar nicht wissen.

»Ach, und du bringst bestimmt Maiky mit, oder?« Ich seufze. Wie oft habe ich ihr das gesagt?

»Er heißt Mike!«, sage ich, betone das »e« und spreche das »i« überdeutlich als solches aus.

»Jaja, der Finne. Kommt er auch?« Langsam spüre ich die Wut in mir aufsteigen und sehe, wie sich vor meinen Augen rote Zorn-Punkte auf den hellgrünen Wänden meines Zimmers verteilen.

Schade, dass man niemanden durch das Telefon töten kann!

»Er ist Schwede!«, meckere ich und kann förmlich Debbies gelangweilten Gesichtsausdruck vor mir sehen.

»Ist egal, Hauptsache er kommt. Du kannst unmöglich ohne Mann aufkreuzen!«, erklärt sie so vehement als sei die Tatsache Single zu sein, eine weitere der unverzeihbaren Todsünden in unserem Kaff.

»So schlimm wird’s schon nicht sein!«, erwidere ich. Ein tiefes Seufzen gleitet durch die Leitung.

»Dann eben wegen mir. Du kommst auf keinen Fall alleine, wenn deine kleine Schwester heiratet. Klar? Das ist total peinlich!«

Peinlich?

Wer von uns beiden sucht denn gerade nach einem Holzbalken, den sie sich gegen den Kopf schlagen kann?

Sie oder ich?

Meine Schwester ist ein fürchterlich spießiger Familienmensch, und zwar einer von der Sorte, der garantiert mit fünf brüllenden Kindern in einem Einfamilienhaus landet, am Wochenende Lasagne aus abgepackten, zerhackten Tierresten macht und sich dabei noch für den größten Wohltäter des Planeten hält.

»Ich weiß gar nicht, ob ich frei kriege!«, werfe ich schnell ein, froh darüber, dass mir das eingefallen ist. Sie soll zumindest glauben, dass ich ultrawichtig und unentbehrlich bin.

»Dein Chef wird doch wenigstens am Hochzeitstag deiner Schwester ohne dich klarkommen!«, keift Debbie und ich gebe mich seufzend geschlagen – wie immer.

»Sicher. Für wann soll ich Buchen?«

Der schrecklichste Tag im Jahr trägt den Vornamen meiner Schwester

Freitag, 18. Juli -

noch 2 Wochen

Ich reibe mir hektisch über das schmerzende, rot glühende Ohr und verfluche die unangenehme Form meines Telefonhörers. Vorwurfsvoll strafe ich das schnurlose Gerät mit einem bösen Blick und warte darauf, dass es sich in einen Haufen verschmortes, pinkfarbenes Plastik verwandelt. Ich wollte sowieso schon lange etwas in der Wohnung haben, dass nicht pink ist – außer meinem Zimmer natürlich. Aber meine Bitten werden nicht erhört und das Telefon bleibt weiterhin ein Barbie-und-Ken-Modell, das jeden über zwölfjährigen Telefondesigner zur Weißglut treiben muss.

In Gedanken pinne ich in fetten schwarzen Buchstaben das Wort Verräter quer darüber. Das Ding scheint nämlich bei Weitem nicht nur Tonsignale zu übertragen, immerhin hat Debbie – das Biest – tatsächlich bemerkt, dass ich ihr nur mit einem halben Ohr zugehört habe. Erst recht, nachdem sie mir den Termin nannte.

Ich war so schockiert, von der geringen Zeitspanne von der Einladung bis zum Termin der Hochzeit, dass ich den langen Wandkalender, der sonst an der Küchentür hängt, von seinem Nägelchen riss und immer wieder von Blatt zu Blatt blätterte, um mir zu versichern, dass ich mich nicht im Jahr vertat.

Zwei Wochen! Das ist unmöglich.

Habe ich schon erwähnt, dass meine Schwester ein Biest ist?

Sie heiratet in zwei Wochen und sagt mir das erst heute!

Heute lädt sie mich ein!

Wie soll ich so schnell noch Urlaub kriegen?

Wie soll ich denn jetzt noch an einen günstigen Flug kommen?

Wie soll ich mich ausreichend auf den Besuch in meiner Heimat vorbereiten?

Das ist grässlich!

Alleine, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass ich unser Dorf betreten muss, brauche ich zwei Wochen!

Das Schlimmste ist aber die Tatsache, dass ich nichts anzuziehen habe!

Außerdem muss ich daran denken, mir ein Auto zu mieten, damit ich notfalls flüchten kann, um ein Geschenk für meine Schwester zu organisieren. Allein bei den vielen Gedanken schwirrt mir der Kopf, deshalb greife ich nach einem Zettel und schreibe.

1. Ein Kleid finden, dass fast so beeindruckend ist wie Debbies Brautkleid

2. Ein Geschenk kaufen, das ihr die Tränen der Dankbarkeit in die Augen

treibt

3. Einen Flug buchen

4. Mietwagen organisieren

5. Nochmal mit Mike reden und ihn anflehen mitzukommen

Ich nicke zufrieden und grade, als ich mich dem wichtigsten Punkt auf der Liste widmen will, klingelt es an der Haustür. Ich seufze. Eine Sekunde lang denke ich darüber nach, den Störenfried einfach zu ignorieren, beschließe allerdings, dass das nicht sehr nett wäre. Immerhin wohne ich nicht alleine hier, was unter anderem bedeuten könnte, dass der Klingler gar nicht zu mir will.

Seufzend lege ich die Liste zur Seite, hieve mich umständlich vom Esszimmerstuhl und durchquere den winzigen (rosafarbenen) Flur.

Ich reiße die Tür auf. Vor mir steht eine unerhört hübsche Frau, ganz in Pink gekleidet, modisch, übertrieben und minimal extravagant. Zweifelnd betrachte ich den schrägen Schnitt ihres neuen Kleides und zwinge mich, den schrillen Hut weniger kritisch zu mustern. Ihrer Schönheit tut das Outfit allerdings keinen Abbruch. Dunkles Haar umrahmt den strahlenden Teint, als wäre es extra dazu gewachsen, jede außenrum geschehende farbliche Katastrophe zu neutralisieren. Ich erkenne die feinen Gesichtszüge, den ultraschlanken Modelkörper und die ebenmäßigste Haut, die ich jemals gesehen habe. Das ist Zasa, meine beste Freundin und Mitbewohnerin.

 

Erleichtert schiebe ich die Tür weiter auf und frage mich, warum ich eigentlich so froh darüber bin, dass es »nur« Zasa ist, die mal wieder ihren Haustürschlüssel vergessen hat.

Wer sonst sollte denn kommen wollen?

»Salut, mon Amour!«, trällert Zasa und küsst mich rechts, links und wieder rechts.

»Jaja, Tach«, murre ich und ernte einen fragenden Gesichtsausdruck, bestehend aus einer angespannten Steilfalte auf ihrer hübschen Stirn und leicht gekräuselten Mundwinkeln. In ihren Augen liegt der übliche leichte Tadel, den ich alleine in der Art, wie sie den Kopf dreht, erkennen könnte. Zasa hasst es, wenn ich deutsch spreche, und wenn es nur die unmelodische Grußformel aus meiner norddeutschen Heimat ist.

»Was ist los, chérie?«, fragt sie und runzelt die Stirn ein wenig mehr. Es ärgert mich, dass Zasa selbst dann noch unglaublich gut aussieht, wenn sie Mienen zieht, die normale Menschen nahezu völlig entstellen. Und ganz besonders unfair daran ist, dass sie mir immer noch krampfhaft erzählt ich unscheinbares mittelblondes, mittelgroßes und sogar mittelblauäugiges Ding würde mindestens genauso gut aussehen wie sie.

Ich zucke die Schultern und versuche nur halb so entnervt/schockiert/traurig auszusehen, wie ich mich fühle, bin jedoch sicher, dass es mir nicht gerade gut gelingt.

»Meine kleine Schwester heiratet«, erkläre ich, weil ich weiß, dass es unmöglich ist, etwas vor Zasa geheim zu halten.

Sie sieht mich aus ihren unglaublich bernsteinfarbenen Augen an und verzieht den leuchtend roten Mund. Ich warte darauf, dass sie mir um den Hals fällt, versucht mich zu trösten und mir sagt, dass es ganz schrecklich ist. Innerlich bereite ich mich darauf vor die Arme zur Seite zu nehmen, damit sie mich nicht einquetscht, denn Zasa ist, trotz, dass sie die Figur eines Pariser Supermodels besitzt (okay, sie hat nicht nur die Figur von einem, sie ist auch eins), wesentlich stärker als ich. Diese Vorsichtsmaßnahme allerdings hätte ich mir sparen können. Meine beste Freundin hat gar nicht vor mich zu trösten, nein. Sie bedenkt mich mit einem breiten Grinsen und bricht in schallendes Gelächter aus.

»Ist es das, was dich so sehr bedrückt? Dass deine Schwester ihr Leben an einen Mann verschenkt, nur um einen Tag lang wie eine Prinzessin auszusehen?«, gluckst sie und ich warte seufzend darauf, dass sie sich beruhigt. Zasa und weiße Kleider sind keine besonders guten Freunde. Erst recht nicht, seit ihr Verlobter sie am Tag der Hochzeit versetzt hat, um sich samt seiner Sekräterin auf den Weg in die Karibik zu machen. Voll das Klischee!

»Nein. Nicht die Tatsache, dass sie glaubt, sich binden zu müssen, sondern viel mehr die Nebensächlichkeit, dass ich da hinfahren muss.«

Zasa wischt sich die Lachtränen aus den Augen, findet übernatürlich schnell ihre Fassung wieder und zieht fragend eine perfekt gezupfte Augenbraue hoch.

»Und?« Ich zucke die Schultern. Wahrscheinlich ist das sowieso albern, dass es mich so sehr mitnimmt.

»Dafür muss ich zurück nach Norddeutschland«, sage ich. Zu meiner Familie, ins Kaff, denke ich und bekomme bei dem Gedanken sofort das Gefühl eine feste, riesengroße Kugel im Magen zu haben. Kurz hoffe ich, dass das so bleibt, denn dann brauche ich mich wenigstens mit keiner Diät zu quälen, weil ich mangels Appetit ohnehin nichts essen mag.

Das ist noch ein Punkt für die Liste: Zwei, drei Kilo loswerden. Ganz unbedingt!

Ich kann nicht als dickes Mädchen aus Paris nach Hause kommen. Wenn unter meinem Kleid auch nur ein einziges angedeutetes Speckfältchen zu sehen ist, freut sich Debbie kringelig.

»Freu dich doch auf deine Heimat«, versucht Zasa mich aufzumuntern, klingt aber selbst alles andere als glücklich. Sie streicht sich diese eine dunkelbraune Strähne hinter’s Ohr, die sie immer nur aus dem Gesicht entfernt, wenn das, was sie denkt, von dem abweicht, was sie sagt.

Wunderbar, dann sind wir schon zwei!

»Auf was davon soll ich mich denn bitte freuen? Auf Schafe? Den Metzgermeister um die Ecke, der mich schon kennt, seit ich im Kinderwagen durch das Nest chauffiert wurde? Oder auf die stillosen Frauen in ihren Kittelschürzen, für die es das größte Glück auf Erden ist, sich von einem Vollidioten heiraten und schwängern zu lassen?«, gifte ich. Zasa kichert.

»Scheint fürchterlich idyllisch zu sein, dein Zuhause!«, bemerkt sie grinsend und ich verdrehe die Augen. Sie weiß genau, dass ich um nichts auf der Welt wieder da hin zurück möchte. Mein Blick gleitet an Zasa vorbei aus dem Fenster und ich versuche, mit Hilfe des sonst so entspannenden Anblicks auf den Jardin du Luxembourg ein bisschen von meiner brodelnden Wut abzubauen.

Eigentlich weiß ich nicht mal, warum ich wütend bin!, versuche ich mir einzureden.

»Chérie, wenn du weiter so böse guckst, bekommst du Falten!«, mahnt Zasa und tätschelt mir fürsorglich die Wange. Ich schnaube zur Antwort.

Falten, pah!

Das ist im Moment wohl das geringste Problem.

»Dann fährst du eben ein paar Tage zu deiner Familie, tust so, als wäre alles wundervoll und gibst die kultivierte Pariserin, wie sie das erwarten. Und dann freust du dich, dass du wieder zu mir in die schönste Stadt der Welt zurückkommen darfst!«, sagt sie und macht eine theatralisch umschreibende Geste, die sowohl die gesamte Wohnung als auch das Fenster umfasst, durch das ich eben noch gestarrt habe.

»Ist ja auch scheißegal, dann fahr ich eben hin«, grummele ich. »Trotzdem finde ich es schlimm, dass meine kleine Schwester heiratet und ich den kompletten Abend von jedem minderbemittelten Einwohner dieses Dorf bemitleidet werde«, meckere ich und verschränke dabei die Arme vor der Brust wie ein trotziges Kleinkind.

»Mais Jette, Chérie, das stimmt nicht. Du wirst völlig außerirdisch wirken, so als würdest du gar nicht dort hingehören. Wie eine Erscheinung!« Sie hebt die Hände, als zeichne sie ein Bild in die Luft. »Und am Ende dieser traurigen Veranstaltung wird niemand mehr denken, dass es dir nicht besser geht als den langweiligen Hinterwäldlern. Niemand wird auf die Idee kommen, dass du einsam oder unglücklich in Paris sein könntest. Dafür sorge ich!«, bestimmt sie, reißt zur Untermalung einen Arm nach oben wie Superman.

Sie sieht mich an, was wohl bedeutet, dass sie auf meine Antwort wartet, und verharrt in der Heldenpose. Mein Blick gleitet von der Geste zu ihren pinkfarbenen Stilettos, dann zu ihrem perfekten Make-up und schließlich zu ihrer fragend hochgezogenen Augenbraue. Sie spitzt die Lippen und zieht eine Braue hoch, als wolle sie sagen: Glaubst du mir etwa nicht, dass ich Superwomen bin?

Damit bringt sich mich endgültig zum Lachen. »Ich habe darüber nachgedacht mich ein wenig auszustellen«, gestehe ich, verzichte jedoch darauf mich der äußerst spektakulär lustig aussehenden Heldenpose meiner etwas abgedrehten besten Freundin anzuschließen.

»Na also. Du brauchst ...«, setzt Zasa an und lässt endlich die Faust sinken. Ich falle ihr aufgeregt ins Wort.

»Ich hab schon eine Liste gemacht«, erkläre ich stolz und deute auf das Stück Papier, das noch auf dem Tisch liegt. Schnell wie der Blitz gleitet Zasa an mir vorbei, runzelt die Stirn, wobei sie wahnsinnig süß aussieht, und betrachtet meine Notizen.

»Da fehlt die Hälfte!«, schimpft Zasa energisch. Zur Antwort zucke ich mit den Schultern.

»Das müsstest du als die französische Ministerin für Listenführung doch wissen!« Meine Erwiderung ändert sich nicht. Insbesondere deshalb nicht, weil Zasa übertreibt. So häufig stelle ich gar keine Listen auf, nur To-do-Listen, Checklisten, Einkaufslisten ... Das Übliche. Gelegentlich will man einfach sicherstellen, dass man den Überblick behält, und wenn man sich da mit Zettel und Stift behelfen kann, dann macht man das.

Tun wir das nicht alle manchmal?

Na egal auch, Zasa hält wenig von meinem Sinn für geordnete Dinge. Sie streicht sich erneut die Haare zurück und schenkt mir ein strahlendes Lächeln.

»Reichst du mir gerade den Stift?«

Beste Freundinnen machen das Leben nicht immer leichter

Freitag, 18. Juli -

2 Wochen bis Tag X

Nachdem Zasa endlich die Finger von meiner Liste nimmt, sieht das Ding wie folgt aus:

1. Ein Kleid finden, dass fast so beeindruckend ist wie Debbies Brautkleid

2. Ein Geschenk kaufen, das ihr die Tränen der Dankbarkeit in die Augen treibt

3. Einen Flug buchen

4. Mietwagen organisieren

5. Nochmal mit Mike reden und ihn anflehen mitzukommen

Einen richtigen, viel cooleren Ersatz für Mike finden und

nebenbei noch ein bisschen Spaß haben

6. Einen echt guten Friseur suchen

7. Ein überirdisches Paar Schuhe finden

8. Dringend zum Kosmetiker gehen

(sorry, Süße)

9. Zwei Kilo verlieren

(nochmal: Entschuldige)

10. Etwas für das Selbstbewusstsein tun!!!!!

Die vielen Ausrufezeichen sind so dick gezeichnet, dass ich mich frage, warum sie ausgerechnet diesen Punkt so sehr betonen musste.

Das sie fünf gestrichen hat gefällt mir gar nicht. Ich will und kann mit niemand anderem als Mike hingehen, oder gar alleine. Sollte ich es also nicht schaffen in zwei Wochen einen Mann aufzutreiben, der bereit ist etliche Kilometer zurückzulegen, nur um sich die Hochzeit meiner Schwester anzutun, wird mich die Angst ohne Mann im Nest aufzutauchen, in die vertrauten Arme treiben. Vor allem wegen der dunklen Vorahnung, dass meine Schwester mir sonst einen ihrer sehr langweiligen, trotteligen Dorfsingles an die Backe hängt, damit ich den Abend über nicht vollkommen begleitungslos wirke.

Nicht, dass ich mich nicht alleine als starke Powerfrau präsentieren könnte, aber meine Schwester hat etwas gegen Frauen, die ohne Mann auf Hochzeiten auftauchen. Denen will sie dann ganz dringend zum »Glück« verhelfen.

Meiner Meinung nach ist dieser Grundsatz vollständig schwachsinnig, was wohl daraus resultiert, dass ein solcher Gedanke ganz wunderbar zu meiner herzerwärmend hohlen Schwester passt.

Ach ja, wäre an der Stelle der Hinweis angebracht, dass meine Schwester Debbie eigentlich nur meine Halbschwester ist?

Wir haben nur denselben Vater und das Temperament und sämtliche Hirnzellen scheinen sich leider im Erbgut meines Vaters rezessiv zu verhalten. Debbie zumindest hat gar nichts mit mir gemeinsam. Schon gar nicht, was das Fassungsvermögen unserer Köpfe betrifft.

Ich lasse meine Augen ein weiteres Mal über die Liste gleiten und stelle fest, dass meine so genannte beste Freundin ein echtes Miststück sein kann, wenn sie es nur darauf anlegt. Seufzend lege ich die Liste bei Seite und starre schon wieder in Bernsteinaugen, die mich erwartungsvoll anblinzeln.

»Und? Wo fangen wir an?« Ich zucke die Schultern und widerstehe dem Drang Zasa aus unserem Wohnzimmer zu scheuchen. Stattdessen schwinge ich mich vom weißen Kunstleder Küchenstuhl, betrachte den rosa Plüsch nicht, der die Lehne so hübsch in Szene setzt, und schwebe daran vorbei zum Kühlschrank. Dort greife ich treffsicher nach der Flasche unseres guten alten Proseccos für Notfälle und lege vorsorglich zwei weitere Schätze aus Zasas Vorrat nach.

Das habe ich mir jetzt verdient, denn das hier ist definitiv ein Notfall!

Mit dem Gedanken pflücke ich schwungvoll den Korken heraus. Und ernte sofort ein schrilles Freudekreischen von Zasa. Manchmal hasse ich sie wirklich, aber genau dafür liebe ich sie leider auch.

»Also, trinken wir auf das Projekt Debbies Hochzeit!«, erklärt Zasa, sobald sie das Glas am silberfarbenen Designerstielchen hält. Das Kichern, das sich meine Kehle entlang schleicht, kann ich, trotz aller Anstrengung, nicht mehr runterschlucken.

Wir stoßen an und ich lasse mich durch das Prickeln auf meiner Zunge ablenken. Es ist wiedermal an der Zeit, heilfroh darüber zu sein, dass Zasas Eltern stinkreich sind, wir uns deshalb keine Sorgen darum machen müssen, wie viel Geld diese noble Prickelbrause kostet.

 

Aber wer seiner Tochter, mal schnell die eigene, vermietete Wohnung mitten an einem der teuersten Flecken von Paris freimachen kann, nur weil sie in diese Stadt will, wird sich wohl kaum Gedanken um den Preis einer Kiste Prosecco machen.

Das denke ich zumindest, während ich das Glas in einem Zug leere und uns beiden nachgieße. Die Blubberbrause verbreitet sofort ein angenehm warmes Gefühl in meinem Bauch, sodass ich mich ein bisschen leichter, fühle und ein Teil meines überschäumenden Ärgers verfliegt.

»Projekt Pimp My Jette!«, gebe ich zurück und kichere in meinen Prosecco.

»Oder besser, wir taufen die Aktion, wie einen Hollywood-Actionfilm!«, setzt Zasa noch einen drauf und lacht so sehr, dass sie das, was sie unbedingt loswerden will kaum noch über die Lippen bringt.

»Das High-Heel-Project!«, brüllen wir gleichzeitig, stoßen kichernd darauf an und schmieden Pläne für unsere Shoppingtour. Dabei leeren wir die erste Flasche Prosecco, schon ergibt ein Wort das andere und wir vernichten noch eine Flasche, zwei … drei.

Vielleicht sogar etwas mehr, das weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls liegen wir plötzlich Schulter an Schulter – wie auch immer das passieren konnte, erschließt sich mir nicht – im pinken Fransenwust des Wohnzimmerteppichs und philosophieren vor uns hin.

»Weißt du, Mike war der Beste!«, sinniere ich und Zasa winkt grob ab.

»Quatsch … Du kriegst je…«, ein winziger Schluckauf unterbricht sie mitten im Wort. »Jederzeit einen anderen, besseren Mann!«, führt sie ihren Satz zu Ende.

»Einen viel Besseren!«

Ich glaube das nicht, betrachte dabei die weiße Decke, an der sich die kunstvollen Ornamente gemächlich im Kreis drehen, und hebe mein Glas, um darauf anzustoßen, dass es zumindest die Hoffnung gibt, dass Zasa recht haben könnte.

»Prost!«, nuschele ich, bereits den Glasrand an den Lippen.

»Prost!«, donnert Zasa. Ich hebe den Stil nach oben, bemerke, wie das dünne Glas sich unter meinen Fingern etwas zu weit aufrichtet, und kippe mir die Hälfte vom Prosecco in den Ausschnitt.

»So was von!«, murmelt Zasa.

»Einen viiel bessssseren, gaanz best…stimmt!«, lalle ich und spüre noch, wie sich der Raum aus den Angeln hebt, während mir die Augen zufallen.

Samstag 19. Juli-

Noch 13 Tage bis zur Abreise

Zasa drückt mir die dritte riesige Tasse in die Hand, über deren Rand schwarzer Kaffee auf die weiße Tischplatte schwappt. Allein beim Gedanken an noch mehr Koffein dreht sich mir der Magen um. Deshalb stelle ich die Tasse ab, stütze meinen Kopf in die Hände, was das Hämmern darin nicht unbedingt leiser macht und schließe die Augen, um zumindest das Licht auszusperren.

»Hey Jette! Nicht schlafen, wir gehen shoppen!«, säuselt Zasa und ich hasse sie dafür, dass sie nicht halb so erledigt scheint wie ich. Insbesondere, weil ich meinen Zustand nicht mit einem »ich-bin-zu-alt-für-große-Besäufnisse-Spruch« abhaken kann, solange sie so superfit aussieht. Das gefällt mir überhaupt nicht und daran ist nur Zasa schuld.

Vorsichtig blinzele ich gegen das Morgenlicht an und stelle fest, dass ich Vampire manchmal gut verstehen kann. Tageslicht und so. Bäh!

»Na komm schon, gehen wir.« Zasa springt von ihrem Stuhl, zieht mich auf die Füße und streift sich gleichzeitig ihre wie aus dem Nichts herbeigezauberten High Heels über die Füße.

Ihr Tempo ist, wie immer schwindelerregend, was sie trotz des Wissens beibehält, dass ich das heute nicht gebrauchen kann. Aber darauf nimmt jemand wie Zasa selten Rücksicht. Widerwillig schleppe ich mich zum Schuhschrank, greife nach meinen roten Turnschuhen und werde sofort von der beste-Freundinnen-Modepolizei verhaftet.

»Das geht nicht! Du kannst unmöglich in Sportschuhen ein geniales Abendkleid kaufen gehen!« Ich seufze.

»Warum denn nicht?« Sie sieht mich an, als hätte ich gerade erklärt, dass ich nackt auf die Straße gehen will und das ich absolut nicht verstehen könnte, wie man so etwas für peinlich halten kann.

»Weil das nicht geht. Punkt!«, erwidert sie trotzig.

»Kriege ich dann kein Foto von Heidi, oder wie?«, gifte ich und ernte einen weiteren verständnislosen Blick, der mir so gut gefällt, dass ich beschließe, sie nicht darüber aufzuklären, dass wir seit neustem Empfang für deutsches Fernsehen haben.

»Ich trage Turnschuhe, die sind total in! Und wir gehen shoppen!«, setzte ich gespielt fröhlich an und lasse mich von der nun wieder stürmischen, ekelhaft gut gelaunten Zasa in die Metro schleifen. Die bringt uns auf direktem Weg in das Gewimmel der Rue Rivoli. Zasa scheucht mich mehrfach durch die halbe Einkaufsmeile, auf der ich regelmäßig beinahe über fotografierende Touristen stolpere, bis Zasa mich begeistert in einen überfüllten Laden zerrt, in dem sie Abendmode vermutet. Prompt werde ich mit einer riesigen Auswahl knallbunter Dinger in die Umkleide gesperrt.

»Zasa!«, jammere ich und halte ein knallgelbes Tüllmonster hoch, dem nur noch das Plastikblümchen am Ausschnitt fehlt, um sich für den Award des »absolut hässlichsten Abendkleides ever« zu qualifizieren. Ein Teenager-Abschlussballtraum im Farbton »toter Kanarienvogel«. Ich greife das Ding vorsichtig an der Spitze vom Bügel, mit Daumen und Zeigefinger, hole Schwung und befördere es über den Vorhang der Kabine. Draußen schimpft Zasa durch den Stoff.

»Du kannst doch so nicht mit den schönen Kleidern umgehen, Jette! Das hier ist doch ein Traum!«, erklärt sie offenbar dem Tüllmonster, als könnte es tatsächlich beleidigt sein, dass es mir nicht gefällt.

Ich verdrehe die Augen und widme mich dem nächsten Kleid, diesmal grün oder auch liebevoll »überfahrener Frosch«, selbst vom Farbverlauf her erinnert das Design stark an kleine Tiere auf Autobahnen in der Froschwandersession. Da in der Mitte sieht sogar etwas ganz gelblich aus so wie ... Ich verdränge den Gedanken, weil sich mein Magen noch immer gegen allzu bildhaftes Denken wehrt.

Jedenfalls lautet das Fazit zu diesem Kleid: Igitt!

Dann folgt ein Barbietraumkleid, bei dem es immerhin dazu reicht, dass ich es anprobiere und mit entsetztem Gesicht und anklagenden Blick aus der Kabine trete. Ich schwöre: Hätte ich lange Hasenohren, würden sie mir augenblicklich bis über die Knie hängen.

Da ich die aber nicht habe, muss ich versuchen Zasa mimisch klar zu machen, dass das Kleid ein Albtraum ist – ein sehr schlimmer, sehr langer mit sehr vielen haarigen Monstern gespickter Albtraum!

Die Verkäuferin verschwingt sich sofort in Begeisterungsstürme. Vermutlich, weil ich mich zumindest in eins ihrer grässlichen Kleider hineingezwängt habe.

»Das ist wunderschön!«, flötet sie.

Die Augen meiner treuen Freundin allerdings ruhen glücklicherweise weder auf dem fluffigen Rock noch auf dem viel zu tiefen Ausschnitt.

»Das finde ich schrecklich«, sagt sie, so überzeugt, dass ich glaube, sie spräche meine Gedanken aus, wofür ich ihr echt dankbar bin, als ich den Blick der Verkäuferin sehe.

Um jegliche Diskussion zu vermeiden, verschwinde ich sofort wieder in der Kabine und steige in das nächste Ding. Ein feuerwehrrotes Schlauchkleid, dass es gerade so schafft, meinen Hintern zu bedecken.

Ich verlasse die Kabine und wünsche mir, meine beiden Berater mit Blicken töten zu können.

»Es ist ein Traum!«, behauptet die dunkle Schönheit, die offensichtlich auf Provision hässliche Fetzen an strohblöde Kundinnen verkauft.

»Es ist grässlich. Wenn, dann mit einem fetten Alb davor!«, mäkelt Zasa und ich versuche, mich einzuklinken.

»Also ich finde ...«, setze ich an, sowohl Zasa als auch die Verkäuferin winken ab.

Anscheinend tut meine Meinung nichts zur Sache.

Wunderbar!

Was interessiert es mich auch, wie das Ding aussieht?

Ich soll ja nur damit rumlaufen!

Perfekt!

»He! Hallo, das ist mein Kleid und ich will darin einen Abend besser aussehen als meine KLEINE Schwester, die BRAUT!!!!« Ich brülle die beiden schlimmsten Worte in dem Satz so laut, dass weder meine Freundin noch die Verkäuferin sich gegen mein Gekreische wehren können und zusammenzucken.