Hurra, wir dreh’n uns noch

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So zuckelten wir als Gesamtpaket, dank der Mischung aus Fahrschule und Trecker im Frontbereich, bestimmt mit ’ner viertel Stunde Verspätung, über Land und standen im Endeffekt nun als geschlossene Formation auf der linksabbiegenden Spur. Rechts außen beanspruchte den Asphalt gerade mal ein Milchlaster, dem unauffällig eine quietschbunte Hutschachtel folgte. Ein großer Schriftzug in der Heckscheibe verriet gleich noch Beruf oder auch Berufung:

Hebamme

– Anna Heikes Beckenboden-Training und mehr –

Nur Mittig, aus beschriebenem Grund ist anzunehmen, wollte niemand. Dann endlich – Grün! Der Traktor schaffte es als Erster nicht der Fahrschule zu folgen, nachdem der noch nicht dekorierte Soldat den LKW hatte zweimal absaufen lassen.

Ob es nun die schlumprige Fahrschule war oder aber der kalte Hauch des Leichenwagens, ich weiß es nicht mehr. Plötzlich folgte ich mit der nächsten grünen Phase der Hebamme, welche schon eine Phase zuvor den Milchlaster vor sich hertrieb. Und wie ich da so dranklebte, an Anna Heikes Beckenboden, fiel mir, außer dem Standard-Storch mit der vollen Windel im Schnabel und dem ganzen Telefonnummerngetöns, zusätzlich ein Plakat an der Innenseite der Scheibe auf. Es wurde eine mit Tesafilm befestigte Mutter-Kind-Kur gepriesen. Darunter mehrere Vorteile einer solchen Maßnahme, welche ich aus ermüdeter Sehschwäche nicht in der Lage war zu entziffern. Und in der Schlusszeile wurden Adressen versprochen, wohin man sich wenden kann, wenn man bei Anna Heike würde vorsprechen wollen, sollte für Solches ein ernsthaftes Interesse bestehen.

Da kam mir spontan die Idee schlechthin. Wenn ich zum kartoff’ligen Traditionssalat meiner Mutter, als Knaller, die Überraschung des Abends, solch einen Gutschein … Falls mein Bruder mich nicht lyncht. Weil, ich gönn’ ihm die Reise. Mit fast Ende dreißig ist er ja eher Favorit als meiner mir selbst. Und außerdem, ich gebe gern!

Ich entschied mich dann doch dagegen, als Anna Heike nach links das Ende der Umgehung verlies und seltsamerweise dem Milchlaster folgte. Sollte die Säge klemmen? Als Amme chronischer Milchmangel? Nix mehr da an Restsoßen? (Rest was? Oh man, wie schnell man sich verschreibt! Ressourcen! Ich meinte natürlich die Ressourcen!) Oder doch als Hebamme, weil sie mit dem Milchmann einen Vertrag hatte? Was sollte man auch sonst mit dem Milchmann haben? Und wieso in aller Welt biegen die nach links, in Richtung Stadt ab? Die Stadt müsste ja wohl rechts sein?! Und überhaupt, wieso bin ich gerade über eine Eisenbahnbrücke … „Scheiße! So eine verfluchte Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ (Außer mir brüllte ich in die Eisen steigend wütend über den Schuldigen durchs Auto, dass sich diese schon mehrfach aufdrängende, niedersächsische Flüchtlingsfliege dermaßen erschrak, dass sie mitten im Flug mit vollem Schwung gegen die Frontscheibe klatschte, von wo sie im Fallen auf halber Strecke in den Warmluftstrom vom rechten Lüftungsschlitz geriet, welcher das Getier schlagartig Rücklinks gegen die Rückenlehne des Beifahrersitzes schmiss. Dieser warf die Fliege sogleich abfedernd nach vorn, von wo sie ungünstig über die Sitzkante stolperte. Mit einem unschönen kurzen Knack, einem angebrochenen Lendenwirbel, eingeknicktem Fliegenflügel und einem dicken Hals, anbei geschleudertem Trauma, schmiss es sie auf die Fußmatte, wo die Spitze eines deplatzierten Zahnstochers ins Auge dieser und somit sogleich der Gesamtsituation geschuldet, dieser Brummer in ein tiefes Koma verfiel.) Hab ich Trottel mich von dem schleppenden Verkehr überreden lassen und bin geistesabwesend dem geringsten Verkehrsaufwand gefolgt. Und fahre nun doch noch zu allem Übel diese unsinnige Strecke über Eilenburg. Ich ärgerte mich über mein Aufmerksamkeitsdefizit, was, wie mir schien, mich seit geraumer Zeit immer öfter verfolgte.

Während Anna Heike dem Milchmann in die Stadt folgte, zog es mich notgedrungen von der Umgehung runter und nach rechts rum, die Stadt im Rücken lassend. Einer langgezogenen Rechtskurve folgend, hörte ich den Splitt unter den rechten Rädern knirschen. Ich korrigierte und folgte dann doch besser dem asphaltierten Belag so gut es ging, denn nun wollte ich zügig mal Heim. Da kam es mir günstig, dass kein Mensch weit und breit vor mir her orgelte. Ich hätte bis Mocherwitz sehen können, wäre nicht alle Nase lang eine Kurve im Weg gewesen. (Gewesen? Gewesen ist natürlich Quatsch! Die gibt es ja bis heute. Kein Mensch da, welcher solches tut begradigen tun. Schon gar nicht wegen eines, jetzt schon leicht genervten, Autofahrers wie mir. Wär aber besser gewesen!) Jedenfalls war mir nichts im Weg. Und so nahm ich die nächste Linkskurve mittig, um mit gefühlten neunzig, bei erlaubten siebzig, über den Randstreifen in die nächste Rechte zu brettern. So versuchte ich unsinnigerweise dem von Fahrschule und Treckergespann unnütz verschuldetem Zeitaufwand zu begegnen, indem ich nächst folgende Kurven in eben selbiger Manier schnitt, Randstreifen überrollte und die Mittellinie mal eben schnell, dank schweren Fußes und meiner expliziten Fahrweise, streckte.

Ich schnurrte bei scheinbar stark steigendem Rückenwind dahin, wie Schumi im Regen. Der Splitt rollte, von meinen Reifen verärgert, geräuschvoll vom Randstreifen gen Graben, dass mich Erleuchtung zu ereilen schien. Mit einem Mal wusste ich, warum man Rollsplitt mit Rollsplitt betitelt. Ist jetzt nicht das Wissen, was einem weiterhilft oder sonst wie lebenswichtig ist. Doch kann es ja sein, dass mal jemand danach fragt. Zum Beispiel das Kind, das eigene, welches da vor lauter Neugier wissensdurstig … nervt! Und dann, dank meiner Fahrkunst, kann ich mit Erfahrung und selbsterlebtem Wissen glänzen.

In der Hoffnung, mit solcherlei Fragen nicht konfrontiert zu werden, in naher Zukunft, überholte ich weit links, auf der Selbener Kreuzung ein Phantom. Einen Niemand, wenn man so will. Hatte ich doch seltsamerweise Platz, als immer noch Einziger auf dieser Landstraße, dass ich für einen Moment meine sächsische Herkunft vergessend die spät-angelsächsische Fahrweise zelebrierte. Zumindest dachte ich, ich wär allein auf weiter Flur. Nahte sich mir doch unangenehm ein von Übereile getriebener Ungemach am Heck, welchen ich unbeachtet dessen Existenz, nicht für voll nahm.

Wie auch? Mir wurde es langsam zu viel der Fahrerei. Ich wollte nur schnell nach Hause. Was vor mir lag! Was interessiert mich da hinten? Bis es plötzlich im Spiegel blau blinkte. Tatsache, mir im Rücken blinkte ein dunkles bleu. Es wurde immer schneller und immer größer und immer aggressiver je näher es kam. Es war schon erstaunlich, wie schnell an so einen Tag etwas nervt. Und eh ich mich versah, waren all meine Spiegel voll von blau blinkendem Licht.

Wozu brauchte ich im Auto überhaupt einen Spiegel? Ich habe es bis heute nicht erlebt, dass meine Frau mit Hilfe dessem Farbe und Lacke nachlegte. Ich drehte ihn nach rechts. Soll sich von mir aus diese Fliege (falls sie aus ihrem Koma erwacht), welche sich ungefragt im Westen schon mit meiner Hilfe gen Osten absetzte, in diesem gläsernen Reflektor ihre stoppeligen Rückenborsten glätten. Das ich mal als Fluchthelfer … Na sieh mal einer an!

„… tütata, tütata, tütata!“ Oh, ein Walzer! Und das direkt aus meinem Kofferraum, möchte ich meinen.

Man ihr Schnarchnasen, dann überholt mich endlich! Unmöglich, dass das so schwer sein soll? Dabei hatte ich schon mein Tempo verringert und ziemlich weit rechts fuhr ich auch. Ist ja wohl verkehrsgefährdent, eine Unsitte! Genau, sittenwidrig ist das! Dann hatte ich es. Die müssen von der Sitte sein!

Auch wenn das Wetter nicht das meine, leierte ich die Scheibe runter. Es war echt kalt, der Wind riss mir das Haar aus meinem Gesicht und (man staune bitte) die Wolfsburger Fliege vom Spiegel. Dieser Widrigkeit trotzend, hing ich meinen Arm raus und animierte die Trachtentruppe zum überholen. Doch irgendwie, ich weiß nicht, die wollten nicht. Warum nur nicht? Bloß weil ich ’ne Anhängerkupplung habe, muss ich nicht automatisch meinen Wohnwagen verloren haben. Erstens, ich habe keinen und ein Holländer bin ich auch nicht, zweitens! Aber das sollte ich ihnen gleich selber sagen können. Ein Schriftzug zwischen den zwei blau blinkenden Dachleuchten signalisierte in meinem noch nicht verdrehten Außenspiegeln die schon flehende Bitte: „Stopp! Polizei! Stopp! Polizei! …“

Ich hab’s ja, ihr Landstraßen-Deppen! (Falls wer nicht kundig der Bedeutung – LSD.) Hatte ich dieser monotonen Lichtorgel, welche wie von der Kleinmesse entwendet wirkte, mit meiner banalen Warnblinkanlage nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Somit ergab ich mich diesem Landstraßenbeamten und lenkte rechts ran. Da ich mittlerweile meine Scheibe wieder hoch gekurbelt hatte, musste der Uniformierte notgedrungen dagegen klopfen. „Herein!“, rief ich, gute Laune vortäuschend. Was er aber, dank einer akuten Fahrzeugkolonne, welche sich bestimmt aus zweieinhalb Dutzend Pkws plus ein paar Transportern zusammensetzte, nicht gehört hatte. Dieses wiederum veranlasste diesen, stärker gegen die Autotür zu schlagen. Dazu winkte er mir lockend ins Freie zu treten. Ich war mir unsicher, ob ich dem nachkommen sollte, bezog doch ein zweiter Polizist sehr nah der Beifahrerseite Posten und obendrein bewegte sich im neu justierten Rückspiegel ein Schatten.

Was ist hier nur los? Haben die kein zu Hause? Die Dödel vom Amt, welche zum Finale vom endgültigen Ultimo noch Dienst tun mussten? Sind sie die Oberloser, die es sich regelrecht erarbeitet hatten die Arschkarte ziehen zu dürfen?

„Kommen Sie dann mal langsam raus! Sonst kommen wir rein!“ Wie, wir? Ich hab nur noch einen Beifahrersitz. Der Rest ist zur Ladefläche konvertiert, wie man doch wohl unschwer erkennen kann. Oder sieht der das nicht? Er schien blind. Ich hab ja schon oft von blinden Polizisten gehört, aber dass mir mal einer an die Autotür klopft. Wer hätte das gedacht? Wie hat er die gefunden? Wenn ich das zu Hause … Nein, das wollte ich bestimmt nicht zu Hause erzählen. Das glaubt mir kein Mensch.

 

Na gut, dachte ich mir dann. Es ist ja nur Wind und kein Regen, noch nicht. Da kann ich ja einmal … ein kleiner Plausch vielleicht? Ich muss mit denen ja nicht gleich Kaugummibilder kaupeln und Freundschaft schließen, oder so. Und auf gar keinen Fall lass ich mich auf unsinnige Schießübungen ein, fummelte doch der Beamte, seit dem er Stellung an der Beifahrerseite bezogen hatte, an seiner Knarre herum. Ein junger Kerl, wie mir schien. Zumindest verriet das seine etwas zittrige Hand am Holster. Ob er aufgeregt ist, alkoholkrank? Hat er vielleicht Parkinson? Dieser pflichtbewusste Landstraßenbeamte hatte weder Parkinson noch Durst. Am allerwenigsten aber war er ein Mann, wie ich mich selber überzeugen konnte, sowie ich mich hatte herabgelassen, der schon übertrieben netten Bitte nachzukommen. Was sie aber hatte, war jeweils ein Stern auf ihren Schulterstücken. Sieh mal an, sie konnte schon lesen. Woraufhin mir ein: „Ach!“, entfuhr. Ich war überrascht eine so junge Frau zu sehen, welche man mit solch einem Arbeitsgerät ausgestattet hatte. Sie schien überfordert, mit diesem Schießprügel am Oberschenkel, welcher da mit einem Klettband befestigt war. Befestigt? Eher schnürte ihr der Riemen das Bein ab. Ein gutes hatte es ja: Wenn sie sich in ihren Fuß schießt, aus Versehen natürlich, spürt sie keinen Schmerz (vielleicht), bei der nicht stattfindenden Blutzirkulation.

„Hier bin ich!“

„Ach was?“, drehte ich mich dem Wachtmeister zu, welcher sich jetzt schon vernachlässigt fühlte. Er schien nicht so nervös, doch dafür etwas jünger, wie seine Revolver-Rosi. Stattdessen durfte er seine Schulterstücke mit zwei auf Hochglanz polierten Sternen schmücken. Somit hatte ich es mit einem fähigen Mann zu tun, welcher, was der Logik zur Folge, Lesen und Schreiben konnte. Und so las ich von seinem Namensschild „Kleber“ laut vor. Er widersprach nicht, er sah mich nur an. Und ich sah ihn an. Ich dachte, ich sah nicht richtig. Kleber, dieser uniformierte Typ, hatte sich den Lidstrich nachgezogen, seine Wangenknochen abgepudert und seine Lippen mittig seines frisch gewachsten Gesichtes überlagerte ein seltsamer Glanz. Na nu, nu sag’ mal was Einer, falls da mal noch was zu einfällt. Der Bruder, der ist nicht nur nicht jünger. – Der Bruder ist warm!

„Kleber, richtig, das ist mein Name! Und von Ihnen hätte ich jetzt gern die Fahrzeugpapiere und den Führerschein, bitte!“

„Ich dachte schon, Sie fragen nie?“, und kroch wieder ins Auto, um im Handschuhfach nach den gewünschten Utensilien zu suchen. Ist ja schon ein ganzes Weilchen her, dass ich den Lappen das letzte Mal gesehen hatte. Während ich halb im Auto lag und in den Tiefen besagter Lade kramte, hörte ich … das Polizist: „Jetzt werden Sie aber mal nicht komisch, Sie!“

„Wieso wird mir komisch?“, quälte ich mich zurück ins Freie. Und wie ich wieder stand, nahm ich auch den dritten Beamten fürs fahrende Volk für voll. Jahrzehntelang gesammelte Erfahrung, geballtes Wissen, die Fachkraft schlechthin. Was konnte er wohl alles können, mit drei Sternen, der Senior dieses Trachtentrios? Er sah nicht grad gut aus, oder besser gesagt nicht mehr ganz frisch. Ein bisschen so, wie schon öfters überfahren. Der Wind wiegte ihn, dank seiner eingefallenen Figur, wie die See die Boje. Die Dachkante am Heck meines Kleinwagens gab Halt, wo sich seine rechten Finger regelrecht verkrallten. Sein Blick starr, direkt über das Dach gerichtet, ohne uns zu beachten. Der Mocherwitzer Wachturm für Brand und Feuer, welcher sich weit gen Wolken streckte, schien es ihm angetan. Soll er doch! Quatscht er wenigstens nicht rein.

„Na, wie issis mein Bester – gefunden?“, machte der Kleber wieder auf sich aufmerksam. Meine Güte du Pappnase, ich hab dich schon nicht vergessen. Und dein Bester bin ich noch lange nicht! „Bitte schön, Herr Wachtmeister!“

„Kleber reicht, danke“, griff er, oder es, nach dem Lappen.

„Oh, wie nett. In pink!“, zeigte sich Kleber begeistert.

„Das ist so richtig nicht“, widersprach ich, „das ist rosa!“

„Nein, nein, glauben sie mir. Das ist pink. Ich kenn mich da aus.“

„Selbst wenn sie im Pinken vom Fach, kann es gar nicht anders sein, als dass es ist rosa! Verrät doch schon der Schriftzug, das es gar kein pink konnte geben.“

„Schriftzug, mein Guter? Welcher Schriftzug? Die paar Buchstaben da?“

Jetzt musste ich mich schon sehr bremsen, dem Kelle schwingenden Pfeifenheini seine schicke Dienstmütze nicht über die Ohren zu ziehen.

„Dieser Schriftzug, mein Gutster, war nicht nur mein Leben!“

„DDR? Ich denke das war so grausam?“

„Grausam …“

„Ich glaube, dass ist nicht unser Thema!“, lenkte er zurück. „Und für alles Weitere bin ich nicht Ihr Guter …“

„… genau so wenig wie ich Ihr Bester bin, mein Gutster!“ Etwas verdattert versuchte er den Lappen aufzuklappen. Nach Jahren des Vergessens, da können solch Seiten schon mal verkleben. Ich versuchte mich zu erinnern, wann nach dem Herbst 89 ein Polizist mich rausgewunken hatte. Nur, um einmal da rein sehen zu dürfen. Doch jetzt so spontan. Mir wollte keine Situation einfallen, bei der man mich hätte aus dem Verkehr ziehen können. Wobei, Situationen gab es genug, man kam mir nur nicht auf die Schliche. Was war ich aber auch so was von gewieft. Oder wohl doch eher unsäglich dumm? Na gut, andere Geschichte, ist vorbei. Oder noch besser – verjährt!

„Das ist wohl noch …“

„Mein erster, genau. Was nicht in Ordnung? Kann sein, das die Seiten ein wenig kleben, Herr Kleber.“

„Ich hab es schon mitbekommen. Danke!“, sah er mich nun an, wie einen Polizisten ebenso ansehen, wenn sie einen ansehen müssen. Nicht dass ich es jetzt selber wüsste, wie sie einen ansehen müssen, wenn sie einen ansehen, aber man sieht es ja täglich im Fernsehen, wie sie einen ansehen, wenn sie einen ansehen. Abend für Abend, Mord für Mord, wenn das Blut den Bildschirm runterläuft. Wir haben schon eine Schüssel …

„Törl“, las er laut und schüttelte ein wenig angewidert mit zwei Fingern meine Fahrerlaubnis, als wär sie von Schorf befallen. Ich selber widersprach dem nicht. Er hatte ja Recht.

„Törl, richtig, das ist mein Name!“

Er hielt inne mit der Schüttelei und sah wieder zu mir auf: „Und die Fahrzeugpapiere gehören ihrer Frau!?“

„Das war jetzt eine Frage oder doch eher eine Feststellung, Herr Kleber?“

„Eine auf Ja oder Nein bezogene Frage, Herr Törl!“

Na dann sag’s doch, du Torf-Kopp. „Ja! Meiner Frau gehören diese Fahrzeugpapiere. Und nicht nur die!“, machte ich ihn neugierig, worauf er auch gleich ansprang. „So? Was denn noch?“

„Das Auto! Das Auto war zu den Papieren gleich mit bei!“

„Machen Sie sich über mich lustig?“

„Solches liegt mir fern“, entglitten mir die Mundwinkel, dass ich anstandshalber doch ein wenig beschämt zu Boden sah, wo ich die Gelegenheit gleich nutzte, meinem Gesicht den für diese Situation nötigen Ernst einzureden. Ich muss gestehen, es fiel mir nicht gerade leicht. Und seine Kollegin verdrehte schon mit aufgeblasenen Backen gelangweilt ihre Augen. Nur der Senior dieses Trios, der wiegte sich weiter im Wind. Seltsam, aber, naja.

„Sie wissen, warum wir Sie rausgewunken haben?“

Bin ich Moses? Wächst mir Gras aus den Taschen? Was sollte das? „Weil sie gerade Zeit hatten?“ Es hätte mir klar sein müssen, dass es nicht die Antwort war, die sich dieser Zweisternebeamte erhofft hatte. „Sie verkennen anscheinend den Ernst der Lage, Herr Törl!“ Wie schön er meinen Namen spricht. Das kann nicht einmal ich. „

Mehrfach sind Sie über den Randstreifen und über den Mittelstreifen gefahren. Was schließen Sie daraus?“

„Heißt es nicht Mittellinie?“

„Jetzt lenken Sie nicht ab!“

„Aber recht hat er!“, gab Revolver-Rosi Laut. Wie nett! Ist sie vielleicht auf meiner Seite?

„Ja, das mag wohl so. Doch ist das jetzt hier nicht Thema, Frau Bürstig! Also, wie nun? Die Frage steht noch im Raum …“

„… und Zeit!“, hielt ich es für nötig, unnötigerweise seine Feststellung zu komplettieren.

„Zeit! Schön, dass Sie es erwähnen. Wir haben Zeit. Und wie ist es mit Ihnen. Ihrer Fahrweise nach zu urteilen, eher beschränkt. Oder sollten wir uns irren? Dann belehren Sie uns eines Besseren, Herr Törl!“

Beschränkt, was meint der mit beschränkt? Meint der mich? Was will der überhaupt von mir? Außerdem bin ich viel zu müde, als dass ich mit diesem Träger der güldenen Pappnase über die Existenz der Beschränktisten und den Beschränktismus schlechthin eine Diskussion vom Zaun breche.

„Oh, Herr Wacht…, Herr Kleber. Ich will mich schwer hüten, Sie und Ihre Kollegen zu belehren.“ Ihr, die ihr da seid gekommen aus dem Morgenland, ihr Beschränkten, verkniff ich mir natürlich. „Jedoch haben Sie, was die Zeit betrifft, so Unrecht nicht. War ich doch auf meiner Reise, welche mich nach Hause führen sollte, an einem gar seltsamen, wie aus dem Morgenland gestampften, weihnachtlich geschmückten Orte vorbeigekommen, welcher mich schon magisch, so möchte ich fast meinen, anzog. Allein schon wegen der Ohren meiner Frauen konnte ich nicht anders, als …“

„Sie haben mehrere Frauen?“, unterbrach mich mit großen Augen die Frau Bürstig.

„Na klar doch! Genau zwei Stück. ’Ne ältere und ’ne jüngere!“

„Was?“, wollte Kleber wissen. „Und welcher gehören die Fahrzeugpapiere?“, sich seiner Aufgabe erinnernd.

„Na der älteren natürlich!“

„Wieso natürlich?“

„Die jüngere ist unsere Tochter! Aber Sie haben mich unterbrochen. Nicht das ich den Faden …“

„Oh, Entschuldigung!“, zeigte sich Frau Bürstig betroffen und hatte sich auch sonst, was ihren Waffenfetisch betraf, im Griff.

„Aber kommen Sie dann auch mal zum Punkt!“, musste sich der Hauptredner dieses Beamtentrios noch unnötigerweise äußern. Woraufhin ich mich ein wenig verärgert zeigte: „Sie müssen mich schon lassen, wenn Sie mein Handeln wollen verstehen, Herr Polizist!“

„Na dann mal los! Wir sind ganz Ohr.“

„Ja, dann danke, dann. Nur, wo war ich doch gleich noch einmal stehen geblieben?“

„Bei den Ohren ihrer Frauen, Herr Törl!“

„Ach ja, richtig, danke! Also wie schon gesagt, war da dieser osmanische Weihnachtsmarkt.“

„Wieso osmanisch?“

„Na wegen der mit Mondsichel bestückten Zirkuszelte und Abschreg, dem kurdischen Weihnachtsmann. Und dann war ja da auch das Dönerzelt mit der ekligen Soße. Das wollte ich doch alles auch mal sehen, wenn ich schon mal da bin. Außerdem wurde ich von den Studenten noch aufgehalten.“

„Was denn jetzt für Studenten?“, zog Kleber nun schon zum vierten Mal seine Mütze straff.

„Na Grips und Grabs und dann war da das spanische Orakel vom Markt. Und nicht zu vergessen, Rastarocco. Wo ich nicht gedacht hätte, das die heutige Jugend tut Kekse backen. Ich wär ja schon lange weiter, hätte ich mit denen nicht Tee trinken müssen. Apropos Tee. Das war vielleicht ’ne Schweinerei mit der Ölpest.“

„Von was reden Sie eigentlich, Mann?“

„Na von der Ölpest, wegen dem Kandis!“

„Und wer ist nun wieder Kandis?“

„Das ist doch der Zucker, welchen mir die Punkine mit ihrem Soße beschmierten Finger, den se vergessen hat abzulecken, ins Glas geschmissen hat, weil se doch so angepisst war, wegen des Buches über die falschen Steine, welche vielleicht in den Kreolen für die Ohren meiner Frauen. Verstehen Sie?“

Hellhörig verstand Kleber nur „Falsche Steine“.

Up’s, das war wohl zu viel des Guten. „Herr Polizist Kleber, doch nicht was Sie denken! Falsche Steine, das ist das Buch, was Rastarocco mir da hat eins runtergeholt, weil doch die Gruftine, was die Grips, also seine Schwester ist, was wiederum die Geschwister mit den zwei Vätern aber nur einer Mutter sind, nicht konnte, weil die ist doch nicht höher wie so’n Hydrant. Sagt se jedenfalls selber. Man kann das aber auch sehen, wenn man vor ihr tut stehen.“

„Ach was?“

„Na doch!“, musste ich jetzt aber auch erst einmal durchatmen.

„Ich bin da grad raus!“, kratzte sich Kleber unter seiner erneut festgezurrten Mütze. Kollegin Bürstig war eher der Meinung: „Das ist ja voll abgefahren, eh!“ Und Dreisterne-Senior wiegte nach wie vor, dem Geiste abwesend im Wind.

„Wir haben es aber gleich, Herr Kleber. Musste ich mir doch noch diese performte Wurst, diese Beleidigung, nur wurde ich von der Schreckschraube die wegen der rotzfrechen Soße mit den Gören dafür sorgten, dass der Nikolaus mit dem falschen Sack in die Katakomben, was mich selber vertrieb, zu dem Orakel, welches nicht die Carmen, um ihr beim Kotzen über die Schulter zu schauen, konnte ich gleich nach der Drehtür, die Zukunft sehen, welche ein Mischlingspinscher restlos vom Pflaster weggeschlabbert.“

 

„Oh man eh! Orakelkotze, Drehtür, Mischlingspinscher. Was …?“

„Na so’n Pinscher eben“, fiel ich dem Beamten in seinen nachdenklichen Satz, „so’n Mix aus Hops und Mops!“

„Was für ’ne Geschichte?“, war Rosi Bürstig begeistert. Doch Kleber wollte nur noch genervt wissen, ob nun gut.

„Naja“, sagte ich, „auch wenn das alles traurig, so hatte es auch sein Gutes.“

„Ach was, sag an!“, wollte Kleber nun endlich das Ende. Und so sagte ich Spannung aufbauend: „Ich habe bei all dem auch noch etwas gelernt. Ist es nicht schön, wenn man dem ganzen Dilemma etwas Positives abgewinnen kann?“

„Und was sollte das wohl sein, Herr Törl?“

Ich hob wie der nächste Superstar meine Hände und offenbarte: „Teppich-Fliegen können nicht fliegen!“

„Wie poetisch“, säuselte Bürstigs Rosi. Wobei ich mir nicht sicher war, ob sie überhaupt Rosi geheißen hat.

„Schluss jetzt mit dem Unsinn! Erklärt es noch immer nicht, aus welchem Grund Sie mit überhöhter Geschwindigkeit die Landstraße befuhren!“

„Na weil ich doch wegen dem osmanischem Weihnachtsmarkt so spät dran war. Und außerdem war da ja auch noch der Leichenwagen.“

„Welcher Leichenwagen denn nun noch? Der passt da ja wohl so gar nicht auf ihren Weihnachtsmarkt, auf ihren – osmanischen!“, musste Kleber spitz enden.

„Na der Leichenwagen, so’n silbergrauer, der mir seit Brehna schon im Kofferraum zu kleben schien. Wenn ich so darüber nachdenke, dass morgen Schluss sein soll … Herr Kleber, mal im ernst! Wenn das so ist an dem, dass das so soll. Da ist doch wohl das letzte, was ich im Nacken spüren möchte, der kalte Atem dieser unschönen Kadaverkutsche. Welchen mir Kaffee Waagerecht aus lauter Jux und Tollerei schon einen Tag vor Ablauf des uns aller vernichtenden Ergebnisses majanesischer Rechenkünste mit der Hoffnung auf ein großzügiges Trinkgeld …!“

Just in diesem Moment überholte uns der gerade eben besungene Leichenwagen. Ich erkannte ihn an dem für solch Fahrzeug unflotten Spruch unterhalb der Heckklappe sofort. (Den ich aber jetzt hier nicht verrate. Könnte sich ja wer aus Spaß seiner Frau zu Gunsten übers Ehebett hängen wollen.)

„Diesem da! Der da, der uns gerade hier überholt“, folgte mein ausgestreckter Arm dem gestreckten Trauerkombi.

„Tatsache, ein Leichenwagen!“ Für Frau Polizistin Bürstig schien das der Beweis, dass ich die Wahrheit und nur die hatte erzählt. Kleber sah das erst einmal nicht. Er sah erst einmal zu, dass er seine Mütze einholte, welche ihm der Wind nun endgültig vom Kopf geweht hatte. Und so rannte er, als wolle er mit, dem Leichenwagen hinterher gen Mocherwitz.

„Haben Sie den Spruch gelesen?“

„Welchen Spruch?“

„Na den links unter der Heckklappe, Herr Törl!“

„Wessen Heckklappe?“, stellte ich mich blöd. Wissend, dass sie den Werbeslogan dieses uns allen bekannten Autoherstellers meinte.

„Die Heckklappe vom Leichenwagen da.“ Sie schien begeistert. „Was soll denn auf so ’nem Wagen schon drauf stehen? Bei uns liegen sie richtig? – Wohl kaum!“

„Den Sternen so nah. Gib Gas! – Ist das nicht witzig?“ (Danke, Frau Bürstig!)

„Ja, wirklich, der Brüller!“, lachte ich anstandshalber mit. So nutzte ich die gute Laune, um die junge Polizistin Bürstig noch ein wenig zu beeindrucken. Ich berichtete von diesem Weihnachtsmarkt im nahegelegenen Anhalt, als beschrieb ich ihr den Basar von Basra aus Tausend und einer Nacht. Sie war begeistert über meine Ausführungen, dass sie zu dem Endschluss kam, dass ich gar nicht anders konnte, als in solcher Manier die Landstraße zu nutzen. Als Frau konnte sie auch gar nicht anders. Hatte ich doch ein wenig ihre Tränendrüsen gefordert, indem ich meine Familie allesamt für krank und zu Bettlegerichen erklärte. Und wenn man sich dann noch die ganze Woche nicht sieht, dann umso schlimmer. Sind sie doch ganz allein im großen Haus, wo ringsum nur düstrer, dunkler, dichter Wald und der Wolf quasi schon im Garten …

„Das muss ja echt furchtbar sein?“ Ihre Anteilnahme schien endlos, wie sie mir Hoffnung auf ein glimpfliches Ende machte: „Da kommt ja schon mein Kollege. Na, ich werde mal sehen, was ich für Sie tun kann.“ Und so trat sie ihm gleich entgegen, um ihm meine gar furchtbare Situation nahe zu bringen. Da rief Kleber schon laut: „Pitt, spring rein! Wir haben es jetzt eilig!“ Dabei hatte er, scheinbar wichtig, sein tragbares Taschentelefon am Ohr. Ein Bestattungsunternehmen wollte wissen, ob sich die Beamten im Unfallort geirrt hätten. Zumindest so in etwa hatte ich es mir zusammengereimt, was Kleber seiner jungen Kollegin versuchte zu verklickern. Er schien aufgeregt, wie er auf halber Strecke zu seinem Dienstwagen kehrtmachte und sich vor mir aufbaute: „Herr Törl, auf Grund eines Notfalles, nach Paragraf … wo mir jetzt die Zeit fehlt diesen nachzuschlagen, belege ich sie hiermit mit einer einmalig-mündlichen Verwarnung! Falls Sie mit dieser nicht einverstanden sind, so können Sie innerhalb der nächsten Tage Widerspruch in schriftlicher …“

„Frohes Fest!“

Man kann sich sicher vorstellen, dass es so nicht sein konnte. Natürlich nicht! Unvorstellbar, dass sich solche Landstraßenbeamte die Geschichte vom Pferd erzählen lassen wollten. Jeder gut im Futter stehende und anderweitig gesunde uniformierte hätte doch auf die Art Diskussion, ob pink, ob rosa, verzichtet und alles weitere auf dem Revier den Koniferen seiner Zunft überlassen. Vielleicht aus Zeitmangel auch gleich erschossen? Zumindest wär der Ton strenger. Genau, strenger und rauer!

„Haben sie den Unfall schon gemeldet?“, stand plötzlich ein etwa eins neunzig blauer Ork an meiner Tür und hing mir sein gelbes Gebiss in die runtergekurbelte Scheibe.

„Du kennst deinen Platz!“, schob eine militante Frauenstimme den verbeamteten Scherzkeks in Richtung und übernahm anstatt: „Bürstig mein Name, schönen guten Tag! Und warum wir sie rausgewunken haben, das wissen Sie?“

„War wa…wa wawas war falsch?“ Erfand ich kurzfristig das Stottern neu.

„Falsch? Ich denke, das werden wir dann mal gemeinsam rausfinden, ob etwas falsch war! Wir fangen erst einmal mit Ihrer Fahrerlaubnis und den Fahrzeugpapieren an. Wenn Sie einmal so freundlich währen? – Bitte!“

Oh man, was war das denn? Mit ihrem Auftritt erschrak ich mich vor einer, zum Verwechseln ähnlichen, spätsowjetischen, hoch dekorierten Kriegsveteranin, die Bitte gesagt hatte! Und wie sie Bitte gesagt hatte? Mir wurde es ein wenig bang. Der verbannte Stressfaktor vom Stalingrader Straßenstrich?

Das kann unmöglich gut gehen, kam mir der Gedanke, wie ich ihr mit einem gewünscht-freundlichen: „Bitte“, die Papiere übergab. Na sieh mal an, sie lächelte. Ob ich es wage, sie mit einem Witz, auf meine Seite … Schade das meine Frau nicht zugegen. Vermutlich hätte sie mir noch vorm Bitte mein dämliches, zum Witz gehörendes Grinsen aus dem Gesicht geredet. Doch wie es dann so ist, wenn man sie braucht. Schon war es auch zu spät und ohne weiter darüber nachzudenken: „Da hat eine Frau, eine so junge Frau wie Sie es sind, ihr ganzes Leben noch vor sich und landet schon bei der Polizei? Mensch Mächen! Was ist passiert?“

Reglos starrte sie mich in etwa noch fünf, vielleicht auch sechs oder sieben Sekunden an. Erst dann gab es eine manuelle Reaktion. Locker aus dem Handgelenk winkte sie ihren Kollegen, den blauen Ork, herbei. Dieser hatte seit ihrer Ankunft wie zum „Duell im Morgengrauen“ auf seinem ihm zugewiesenen Posten auf der Beifahrerseite meines Autos gestanden. „Hiermit übergebe ich sie, zwecks einer vorerst ersten Erstuntersuchung meinem Kollegen. Deiner, Kleber!“