Geständnis mit Folgen

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Geständnis mit Folgen
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Ursula Schmid-Spreer

Geständnis mit Folgen

Kriminalroman


adakia Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Richard-Wagner-Platz 1, 04109 Leipzig

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte Daten sind im Internet über die Homepage http://www.dnb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig. Alle Rechte liegen bei den Autoren.

Gesamtherstellung: adakia Verlag, Leipzig

Coverbild: shutterstock.com, BlurryMe 760762681

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

1. Auflage, Mai 2019

ISBN 978-3-941935-52-5 (Print)

ISBN 978-3-941935-56-3 (ePub)

ISBN 978-3-941935-57-0 (Mobi)

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

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»Der Tote heißt Martin Meier. Großes M, kleine Eier, 40, Lehrer hier am Gymnasium. Irgendjemand hat ihm den Schädel eingeschlagen.« Oberkommissar Klaus Hofmockel stand breitbeinig am Absperrband. In der Hand trug er einen Block, im Gesicht ein Grinsen.

Seine Kollegin Bertaluise Nürnberger sah über den Rand der Lesebrille, deren Bügel an einem Goldkettchen befestigt waren. Ihre Füße steckten in blauen Plastik-Überschuhen. Im Mundwinkel klebte ein Glimmstängel. Jeder im Revier wusste, dass Belu, wie sie von allen genannt wurde, ihre Zigaretten nie anzündete. Kalt rauchen nannte sie das.

»Wer hat ihn gefunden?« Sie sah zu ihrem Kollegen, dessen lange Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Auch ihm hatte man an der Turnhallentür gleich diese blauen Plastikdinger in die Hand gedrückt, die er sich über seine Straßenschuhe ziehen musste.

»Na wer schon? Natürlich der Hausmeister. Hattest du während deiner Schulzeit nicht zwei Chefs? Den Direktor der Schule und den Hausmeister. Wenn es irgendwo Probleme gab, hieß das doch immer: Ich und der Herr Direktor, wir haben beschlossen, dass …«

»Hast wohl schlechte Erfahrungen mit der Schule gemacht, Kollege Klausi?« Belu grinste spöttisch, während sie das i im Namen langzog. Geflissentlich übersah sie das grummelige Gesicht ihres Kollegen. Sie konnte es einfach nicht lassen, ihn zu necken, obwohl sie genau wusste, dass er es nicht mochte, wenn sie seinen Namen verniedlichte.

»Von wegen schlechte Erfahrungen mit der Schule! Ich sage nur eins: Meine Lehrer nannten es abschreiben, ich nannte es Teamwork!«

»Das ist das Stichwort, Klausi. Wir sind ein Team, und wir machen Teamwork und nicht: Toll einer arbeitet mehr!«

»Was soll das schon wieder heißen?«

Bertaluise Nürnberger schwang ihren schwarzen Zopf nach hinten, nahm die Zigarette aus dem Mund und zeigte damit auf einen Herrn im Blaumann und zwei Jugendliche, die in der geöffneten Tür standen.

Klaus Hofmockel seufzte. »Hab’ schon verstanden! Dann mache ich mich mal auf den Weg, die Syphilisarbeit zu erledigen.«

»Sisyphusarbeit! Regel du das, Klausi.«

»Eines Tages treibt die mich noch in den Wahnsinn!«, murmelte Klaus, während er zielstrebig auf das Grüppchen zuging, das tuschelnd in einer Ecke der Turnhalle stand.

»Das habe ich gehört, Klausi!«, rief Belu hinter ihrem Kollegen her. Sorgfältig knickte sie die abgelutschte Zigarette, steckte sie in die Tasche und zog eine neue aus der Packung. Unschlüssig hielt sie den Glimmstängel in der Hand. Ihr Blick schweifte durch die Turnhalle. Für einen kurzen Moment dachte sie an ihre eigene Schulzeit zurück. Sportunterricht, Höllenunterricht. Für jeden Lehrer war sein Fach das wichtigste gewesen. Am Schlimmsten war der Lehrer für Leibesübungen, wie das damals noch hieß. Sie war unsportlich, zu klein für ihr Gewicht. Außerdem hatte sie große Hemmungen gehabt, sich vor den anderen Mitschülerinnen umzuziehen. Sie schüttelte sich kaum erkennbar, als sie sich an diese arge Zeit erinnerte.

»In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist. Und 20 Kniebeugen, nicht so lahmarschig meine Damen! Nürnberger, beweg dich, Tempo!« Belu hörte die knarrende Stimme des Sportlehrers noch heute. Das kleine drahtige Männlein wurde von allen nur Johnny genannt, und Leibesertüchtigung war für ihn das Wichtigste auf der Welt. Durchtrainiert, immer eine Trillerpfeife im Mund. Er pfiff im Takt wie auf dem Kasernenhof und scheuchte die Klasse durch den Turnsaal. Es schien ihm riesigen Spaß zu machen, gerade die etwas behäbigeren Schüler zu triezen.

»Noch eine Kniebeuge, Nürnberger, hopp-hopp.«

Belu hörte seine Stimme so deutlich, als würde er neben ihr stehen. Schnell verscheuchte sie die unangenehmen Erinnerungen. Seit ihrer Schülerzeit sahen die Turnsäle immer noch gleich aus. In den Ecken wurden von Seilen die Ringe zusammengehalten. Auf einem Wagen stapelten sich Matten. Und die Sonne, die durch die vielen Oberlichter blinzelte, zeigte deutlich, wie schmutzig die Fenster waren.

Es hat sich wirklich nichts verändert – alles schaut noch aus wie damals.

Lange Schnüre waren an Haken befestigt, so dass die Luken gekippt werden konnten. Staubpartikel tanzten über dem Boden, der leicht federte, als sie darüber ging. An den Stirnseiten standen niedrige Bänke.

Auf solchen Bänken mussten wir balancieren und wie die Hasen Haken schlagen.

Ein kleiner Schauder lief Belu über den Rücken. Sie beschloss, sich endlich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und der Vergangenheit keinen Raum mehr zu geben.

Der Hausmeister hatte, laut Mitteilung ihres Kollegen Klaus, den Toten vor dem Mattenwagen gefunden. Dieser stand nahe der Turnhallentür. Belus Blick haftete kurz an der Klinke, ging dann weiter zu dem Wagen mit den Schaumstoffmatten. Eine hing etwas herunter, davor lag zusammengekrümmt der Tote. Nicht weit davon stand eine offene Holzkiste, in der Kegel lagen. Studiendirektor Meier war wohl gerade dabei gewesen, den Turnsaal für seine erste Unterrichtsstunde vorzubereiten.

Belu blieb in einiger Entfernung respektvoll vor dem Toten stehen. Die Kriminaltechniker schleppten allerlei Gerät herbei, stellten Halogenlampen auf, öffneten Aluminiumkoffer, arbeiteten konzentriert ihre festgelegten Punkte ab.

»Warst du auch so ein Schinder? Hast die unsportlichen Mädels geärgert, durch die Halle gejagt, und wenn sie nach Luft gejapst haben, hast du da abfällige Bemerkungen gemacht, Herr Meier?«, flüsterte sie zu dem Toten gewandt. Belus Blick wanderte aufmerksam vom Kopf des Toten, der in einer Blutlache lag, weiter über den Rumpf bis zu den abgewinkelten Beinen. Verdreht lag er da, den Arm ausgestreckt.

Belu steckte sich ein neues Zigarettenstäbchen in den Mund. Eine junge Frau in einem Overall fotografierte den Toten von allen Seiten.

»Du hast deinem Mörder ins Gesicht gesehen«, murmelte sie. »Du hast einen Schlag auf den Kopf bekommen. Hast du mit ihm gestritten? Hast du ihn etwa provoziert?«

 

Der seltsame Blick des Rechtsmediziners, Dr. Schimmelfuß, der am Boden kniete, ließ Belu sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dr. Schimmelfuß’ Augen, von einer randlosen Brille ein wenig vergrößert, verliehen ihm den Eindruck von Intelligenz und großer Kompetenz. Mit latexbehandschuhten Fingern öffnete er seinen Koffer.

Belu steckte die Zigarette zurück in die Packung. Dann kramte sie in ihrer Handtasche, holte stattdessen Gummibärchen hervor.

»Möchten Sie?«

Dr. Schimmelfuß nickte. »Kommen Sie her, Frau Kommissarin. Ich bin so weit fertig mit der Untersuchung. Nageln Sie mich bitte nicht gleich fest. Offensichtlich ist, dass er einen Schlag auf den Kopf bekommen hat. Ob das sofort zum Tode führte, kann ich noch nicht sagen. Ich muss ihn erst auf meinem Tisch haben und genau untersuchen. Es ist hier passiert. Auffindungsort ist auch Tatort. Sie sehen das Blut?«

Dr. Schimmelfuß, der über die Leiche gebeugt war, sah Belu an.

Sie streckte ihm die Gummibärentüte hin. Als sie etwas sagen wollte, wurde sie unterbrochen.

»Erst nach der Obduktion.«

»Woher wissen …?«

»Ich kenne Sie, Frau Kommissarin. Wie lange arbeiten wir jetzt zusammen? Und um einer weiteren Frage von Ihnen zuvorzukommen: so-bald-wie-möglich! Dass ihr Bullen, er lächelte, um die Schärfe wegzunehmen, »immer so ungeduldig seid!« Seine Augen lächelten mit. »Ich habe auch nur zwei Hände, wenn ich vier hätte, würde ich im Zirkus auftreten. Wenn ich fertig bin, dann bekommen Sie sofort den Bericht. Was ich Ihnen genau sagen kann, er hat einen Schlag mit diesem Holzkegel auf den Kopf erhalten.«

Er hob eine Tüte hoch, in der sich ein Kegel befand. Man konnte das Blut daran erkennen.

»Ich habe sogar noch etwas für Sie, liebe Frau Kollegin. Den Todeszeitpunkt.« Dr. Schimmelfuß hob ein Thermometer mit einer langen Sonde hoch. »Das ist eine Lebersonde. Ich habe bei unserem Toten die Lebertemperatur gemessen. Im Gegensatz zur Umgebungstemperatur kann man den Todeszeitpunkt bis zu einer halben Stunde genau eingrenzen. Also sage ich, er ist so gegen sieben Uhr morgens gestorben. Näheres, Sie wissen schon …«

Dr. Schimmelfuß gab ein schmatzendes Geräusch von sich.

»Haben Sie noch so ein Gummidings? In Rot bitte!«

Belus Mund war leicht geöffnet. Interessiert hatte sie seinen Worten zugehört. Nun klappte sie den Mund wieder zu und reichte dem Rechtsmediziner erneut die Tüte. Er schmunzelte.

»Wenn Sie keine Fragen mehr haben, gnädige Frau, dann kann der Leichnam jetzt abtransportiert werden.«

Belu wusste, dass die Leiche demnächst ins Institut für Rechtsmedizin Erlangen-Nürnberg überführt werden würde. Sie erinnerte sich mit Schaudern daran, dass es fast unmöglich war, in der Universitätsstraße einen Parkplatz zu finden, verzog die Mundwinkel, nahm eine Zigarette aus ihrer Jackentasche und ließ sie gleich wieder zurückgleiten.

»Danke. Ich weiß, Sie werden, wie immer, schnell und präzise arbeiten und es mich wissen lassen, was die Leiche Ihnen für eine Geschichte erzählt und was bei der Obduktion alles herausgekommen ist.«

»Frau Kollegin? Diese poetischen Worte aus Ihrem Munde? Noch dazu in aller Herrgottsfrüh. Ich bin beeindruckt.« Der Arzt strich sich über seinen Oberlippenbart und lächelte breit, während er die Schlösser seines Alukoffers zuschnappen ließ.

»Sie wissen doch, Doktor, Bildung gefährdet die Dummheit. Deshalb habe ich wieder mal ein Gedicht gelesen.«

»Ich dachte schon …« Der Arzt sprach den Satz nicht zu Ende, da Klaus auf die beiden zukam. »Nun dann, einen schönen Tag noch. Und Sie wissen, Frau Kommissarin, wenn Sie nicht mehr weiterkommen, der Nürnberger Trichter hängt in meinem Büro.« Er tippte grüßend an seine Kapuze und verließ eiligen Schrittes die Turnhalle.

»Grins nicht, Klausi.«

»Es ist immer wieder schön, euch zuzuhören. Bei jeder Leiche stets das Gleiche. Ey, das hat sich sogar gereimt.«

»Und?«

»Was ich über Meier herausgefunden habe?«

»Klausi!«

»Er ist, nein, war, Lehrer hier am Hedwig-Gymnasium«, antwortete Klaus, »und ein ziemlich autoritärer Knochen.«

»Welche Fächer?«

»Mathe, Religion, Sport.«

»Eine tolle Kombination. Mit Reli könnte ich ja noch leben, aber Mathe? Mein schulischer Albtraum. Und unser Sportunterricht war auch nicht so prickelnd.« Belu verdrehte die Augen.

»Dass ihr Mädels Mathe nicht leiden könnt! So schwer ist das doch gar nicht«, spottete Klaus.

»Klischee hoch zehn. Ich sag nur: Wer im Glashaus sitzt …«

»… hat immer frische Tomaten«, ergänzte Klaus. »Naja, Meier hat die Mädels in der Klasse besonders getriezt. Macht lieber einen Strickkurs, lernt anständig kochen, waren wohl noch die harmloseren Äußerungen, die er von sich gab.«

»Ein Charmebolzen, ich bin beeindruckt.« Belu verzog den Mund. »Vielleicht hat er eine diesbezügliche Anmerkung zu viel gemacht?«

»Du meinst, eine seiner Schülerinnen hat ihm eins übergezogen? Ist nur eine Vermutung.« Klaus kaute nachdenklich am Bleistift.

»Könnte sein, so wie er mit den Mädchen umgegangen ist. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln und das auch berücksichtigen.«

»Meine Chefin spricht mal wieder wahre Worte gelassen aus.«

»Wer sich selbst applaudiert, ist nie alleine.« Belu lachte lauthals, als sie das entgeisterte Gesicht ihres Kollegen sah. »Ich kann auch Paroli bieten, wenn ich will, du kennst mich noch nicht, lieber Kollege. Wo ist der Hausmeister?«

»Der steht immer noch da vorne. Der meinte übrigens auch so etwas wie Meier war ein arrogantes Arschloch, hielt sich für was Besseres. Du siehst, der Herr Studiendirektor war allseits beliebt, was ich aufgrund der ersten Äußerungen von Hausmeister Nüsslein und den beiden Klassensprechern sagen kann.«

Ohne ihren Kollegen weiter zu beachten, ging Belu auf einen Mann im grauen Kittel zu, der wie festgetackert immer noch an der Tür stand.

»Grüß Gott. Ich bin von der Kripo«, stellte sich Belu vor und zückte dabei ihren Ausweis. »Sie haben Herrn Meier gefunden.«

»Nüsslein, Schorsch, äh Georg, Hausmeister.« Er bewegte kurz den Kopf.

»Erzählen Sie doch mal«, forderte ihn Belu auf. Sie sah ihm direkt in die Augen.

»Allso, des woar a so …«, begann Nüsslein, aber als er die hochgezogene Augenbraue der Kommissarin sah, räusperte er sich und redete dann in gestelztem Hochdeutsch weiter. »Ich habe die Schlüsselgewalt hier im Haus.« Er wirkte wie der Platzhirsch in seinem Revier. »Will heißen, ich schließe die Unterrichtsräume auf und natürlich auch die Turnhalle. Das ist mein morgendlicher Rundgang. Da sehe ich dann gleich, ob etwas kaputt ist, oder ob die Räume am Tag zuvor unordentlich verlassen worden sind. Do kenn i nix, wenn däi imma net ordentli aaframa, ich sochs Ihna!«

Er schloss kurz die Augen, dann polterte er los: »Ich bin halt a Frangg und wecha Ihna werd i mi etzert net verbign!«

»Das müssen Sie auch gar nicht, Herr Nüsslein. Sprechen Sie bitte weiter!«

»Also«, meinte Nüsslein versöhnt, »der Turnsaal ist heute erst in der zweiten Stunde belegt. Studiendirektor Meier, auf den Titel hat er Wert gelegt, so ein Angeber«, Nüsslein schnaubte verächtlich, »da hat er Sport mit den Jungs der zehnten Klassen. Zwei Gruppen sind zusammengefasst. Ich habe mich gewundert, dass die Türe nur angelehnt war. Gestern Abend war ein Kurs von der Volkshochschule hier. Rückengymnastik für Bandscheibengeplagte. Die Kursleiterin hat strengste Order, immer abzuschließen und den Schlüssel in den Kasten vor der Hausmeisterloge zu werfen.«

»Und? Hat sie?«, erkundigte sich Belu.

»Also, wenn’s mich etzert so direkt froggn.« Nüsslein kratzte sich peinlich berührt hinter dem Ohr. »I hob no gor ned nochg’schaut. Naja, jedenfalls war die Tür offen, und i hob mer no denkt, dass die Frau Kursleiterin etzert an Anschiss kräigt, weil ich der des scho x-mal gsoacht hab und dann siech i a no a Maddn mitten im Eingangsbereich. Des haast, die Kursleiterin hat ned aafgramt – die Matte«, überbetonte Nüsslein das harte t.

Belu lächelte still vor sich hin. Sie fand es ganz charmant, dass Nüsslein zwischen dem fränkischen Dialekt und Schriftdeutsch hin und her wechselte.

Er schnäuzte sich geräuschvoll in ein Stofftaschentuch. Belu stellte verwundert fest, dass es gebügelt war. Anklagend hob er seinen Zeigefinger und stocherte in der Luft herum. »Genau da, wo sie nicht hingehört, und als ich dann rein bin, habe ich einen liegen sehen. Komisch verdreht, eine rot-braune Flüssigkeit war um seinen Kopf. Ich habe ja schon viel gesehen, aber so was wirklich noch nicht.« Nüsslein schüttelte sich angeekelt. »Man findet nicht jeden Tag eine Leiche.«

»Woher wussten Sie, dass Herr Meier eine Leiche ist?« Belu fragte ganz unschuldig, indem sie eine kleine Schnute zog.

»Des sieht ma doch imma im Fenseher.«

»Was denn, Herr Nüsslein?«

»Wenn einer so verdreht do liegt, dann is er meistens tot.«

»Haben Sie ihn bewegt?«

Nüsslein wurde knallrot, druckste herum. »Also gut, ich bin hin, habe meine Finger an seinen Hals gehalten, ob sein Puls noch schlägt. Aber bewegt hab ich ihn ned!«

»Und hat er geschlagen …? Der Puls …?« Belus Stimme klang ernst. Es freute sie ein bisschen, dass sie diesen überheblichen Hausmeister aus der Ruhe brachte.

»Nö«, antwortete Nüsslein. Er schlug die Lider nach unten. »Ich habe dann abgesperrt, meinen Chef, den Herrn Direktor Dressler, informiert, und der hat die Polizei angerufen. Im Fernsehen sieht man ja immer, dass man die Leiche nicht berühren und auch sonst nichts anfassen soll. Hab ich auch nicht! Ehrlich! Nur am Hals … Ach ja, die Schüler habe ich wieder zurück in ihre Klassen geschickt, bis auf die zwei Klassensprecher, die stehen da hinten.«

Beifall heischend sah er die Kommissarin an. Belu ließ sich nun darauf ein und meinte: »Das haben Sie gut gemacht, Herr Nüsslein.«

Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, das aber sofort verschwand, als Belu wie beiläufig fragte: »Und Sie haben sich wirklich nicht gewundert, dass die Saaltür nicht verschlossen war?«

»Des hob i Ihna doch scho gsagt. Kursleitung, Volkshochschule, ich habe auch mal Feierabend. Ich bleib doch nicht bis in die Puppen in der Schul. Des langt mer scho, wenn die Elternabend haben. Des ganze Jahr über kümmern sie sich ned um ihre Brut und dann – natürlich immer kurz bevors Zeugnisse gibt – kumma die Eltern und quatschen den Lehrern a Fleischküchla ans Ohr. Und da bleib ich dann natürlich scho, bis der letzte Lehrer ganga is.«

»Schon gut, Herr Nüsslein.« Belu schmunzelte in sich hinein. Nüsslein war ein typischer Hausmeister. Ohne ihn ging gar nichts, der wichtigste Mann, gleich nach dem Direktor. Da hatte Kollege Klaus schon recht gehabt. Oder war der Hausmeister die Nummer eins, dachte er zumindest, und Nummer zwei war der Direktor? Die Graukittel wussten alles, was im Schulhaus so vor sich ging, während sich der Anzugträger hinter seinen Akten und diversen Papieren versteckte.

»Übrigens, wie standen Sie zu Herrn Meier? Abgesehen davon, dass er ein arrogantes Arschloch für Sie war?«

Die Sache mit dem Schlüssel und der unverschlossenen Tür stellte Belu vorerst hinten an, zumal Nüsslein diese Tatsache großzügig überhörte. Sie machte sich eine geistige Notiz. Später würde sie darauf zurückkommen.

»Ein Fatzke war das, der immer raushängen ließ, dass er der Akademiker war und ich nur der Hausmeister mit Hauptschule. Früher war er ned a so. Da hatte ich weniger mit ihm zu tun. Seit ungefähr einem Jahr oda a länga hat der regelrecht zum Spinna ogf … ich meine zum Spinnen angefangen«, korrigierte sich Nüsslein. »Dabei würde ohne mich hier gar nichts laufen!« Jetzt richtete sich Nüsslein zu seiner vollen Größe auf – Belu schätzte ihn auf gut einen Meter neunzig. Als er Belus Gesicht sah, klappte sein Unterkiefer herunter. »Sie glauben doch wohl nicht, dass ich …? Wergli ned!« Er schnaubte verächtlich.

»Halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung. Und bitte schauen Sie nach, ob die Kursleiterin von gestern Abend den Schlüssel in den Kasten geworfen hat. Das hätte Ihre erste Tat heute Morgen sein sollen, nicht wahr?«

Mehr sagte Belu nicht. Diesen kleinen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen. So ließ sie einen verdutzten Hausmeister zurück, dem eine leichte Röte den Hals hinaufkroch.

*

Er schlug zu: einmal, zweimal. Erst mit der flachen Hand, dann mit der Faust. Sie wimmerte entsetzt. Der Schmerz nahm ihr den Atem. Ihre Augen weiteten sich, als er den Schürhaken aufhob und auf sie zuging. Sie stand da, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen.

 

*

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