Die Didaktik der Biologie - Biologieunterricht als Bildungsaufgabe

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Die angesprochenen Probleme sind einmal der Grund für das unzureichende naturwissenschaftliche Grundwissen der Gesellschaft und aber auch der Grund, warum sich für nicht sprachlich-musisch interessierte Kinder kein anderes Chancenfeld eröffnet. Während das sprachliche Feld durch 2., 3. und 4. Fremdsprache, Austauschfahrten, bilingualen Unterricht usw. verstärkt und ausgebaut wird, bleiben die Naturwissenschaften Ruinen, die auf ein paar Unterrichtsstunden beschränkt sind.

Nun noch ein Gesichtspunkt, der bei der Abschaffung von Latein als Angebot kaum bedacht wurde. Es wird immer nur der „Bildungswert“ betont - dass Latein aber eine Fremdsprache ist, die naturwissenschaftlich interessierten Schülern besonders entgegenkommt und ihnen Chancen bietet, wird übersehen.

Wer sich über die Stundentafeln wundert und sie für überholt hält, der sollte sich einmal mit den Inhalten (Bildungsstandards) beschäftigen! Sie sind haarsträubend. Aber in Deutschland findet keine Diskussion über Ziele und Inhalte der einzelnen Fächer statt. Dabei sollte das Lesen eines Fachplans den Bürgern leicht fallen und sie natürlich auch interessieren, weil es um ihre Kinder geht und weil sie - der mündige Bürger - ja das inhaltliche Ziel sind.

Stattdessen geht es um Akademikerzahlen, schichtentypische Ungleichheiten der Bildungschancen, G8, G9, Ganztagsschule, Computerausstattung ...

In Diskussionen, in den Medien geht es nie um Inhalte, sondern immer nur um Äußerlichkeiten. Eine Diskussion, wie sie in der Schweiz über den "Lehrplan 21" stattgefunden hat, scheint die deutschen Medien und die Gesellschaft zu überfordern.

Man bedenke: „schlechte“ Schule trifft nicht alle gleichermaßen.

Grund 7: Rückhalt und Geborgenheit - Unterstützung durch die Eltern

Nur Kinder und Jugendliche, die in der Familie geborgen sind und von ihr vielseitig unterstützt werden, können selbstsicher werden. Das fängt schon in den ersten beiden Lebensjahren an, wenn das Kind eine liebevolle Bindung zu Bezugspersonen aufbauen kann. Ab dem dritten Lebensjahr muss es dann konsequent angehalten werden, die Perspektive anderer Personen zu berücksichtigen und Wünsche zurück zu stellen. Immer muss ihm aber vermittelt werden, dass es geliebt und geschätzt wird. Bindung vor Bildung!

Geht man davon aus, dass der Schulerfolg von Schule / Lehrkräften, dem Kind und seinem Elternhaus abhängt, so hat man bisher immer wieder versucht, das Gesamtergebnis allein durch Veränderungen an der Schule / der Schulform zu erreichen. Die folgenden Überlegungen sollen verdeutlichen, dass auf den beiden anderen Feldern ein großes Potential brach liegt, während weitere Bemühungen der Schule nur noch geringe Effekte versprechen.


Angewandte Biologie im Gartenbaubetrieb:

Auf der x1 – Achse wird die Lichtstärke (= Kosten) in einem Gewächshaus abgetragen und auf der y – Achse das Pflanzenwachstum (Fotosyntheseaktivität = Gewinn). Mit steigender Lichtintensität wachsen die Pflanzen stärker – der Gewinn steigt.

Ab einem gewissen Punkt muss man die Kosten aber unverhältnismäßig stark steigern, um auch nur einen kleinen Zuwachs zu erreichen.

Ökonomischer ist es, den Lichtwert konstant zu halten und die Temperatur (x2 – Achse) zu erhöhen. Jetzt wird mit geringerem Einsatz eine starke Erhöhung erreicht.

Wird auch hier eine weitere Steigerung unrentabel, so kann man die Temperatur konstant halten und den CO2 – Gehalt (mit Hilfe der Abgase der Heizung, x3 – Achse) erhöhen.

Bezug zur Schule

In diesem Fall sollen auf der x1 – Achse die Anstrengungen der Schule / der Lehrkräfte abgetragen werden und auf der y – Achse der Lernerfolg des Schülers / der Schülerin. Auf der x2 – Achse werden der Einsatz des Jugendlichen und auf der x3 – Achse die Förderung durch die Familie abgetragen.

Durch die vielen Veränderungen der letzten Zeit an Schule und Unterricht sind immer nur minimale Erfolge (wenn überhaupt) erzielt worden. Die Erklärung könnte ganz einfach sein – wir sind bei „der blauen Kurve“ (=Schule) in dem Sättigungsbereich und mit weiteren Anstrengungen erreicht man nur noch kaum messbare Fortschritte. D.h. jetzt müsste man prüfen, in welchem Bereich der Bemühungen sich die der Jugendlichen und deren Familien bewegen.

Für manche Familien wäre eine Beratung hilfreich. Zum Glück gibt es immer wieder Initiativen; sie werden aber zu wenig gefördert und hängen oft von Einzelnen ab.

Beispiele

Im Kindergarten ist einmal die Woche Muttertag - NZZ vom 30.07.2008

Um den vielen fremdsprachigen Kindern in Dübendorf einen besseren Start in die Schule zu ermöglichen, lanciert die Schulgemeinde einen Versuch mit Deutschkursen für Mütter und Kinder im Kindergarten. Mütter sollen vor allem lernen, ihren Kindern zu helfen.

Ohne die Eltern geht es nicht - FAZ vom 30.07.2008

Eine private Tagesstätte in Berlin-Schöneberg bereitet ausländische Kinder auf die Grundschule vor. ... Gravierend ist, dass in den meisten Familien überhaupt nur sehr wenig gesprochen wird, weder auf Deutsch noch in einer anderen Sprache. ... Kinder, die die Muttersprache schlecht beherrschen, tun sich schwer, eine Zweitsprache zu lernen (doppelte Halbsprachigkeit).

Es geht um eine Viertelstunde am Tag - FAZ vom 04.09.2011

Erst lernen die Eltern, dann die Kinder - damit dieses System klappt, kommen Hausbesucherinnen, Laien-Heferinnen, die mit den Müttern die Lektionen pauken. Die Helferinnen haben selbst Kinder und stammen aus dem gleichen Kulturkreis wie die Frauen, die sie unterrichten.

Projekt „Opstapje“ - FAZ vom 18.02.2013

Özlem H. bekommt Besuch von einer Mitarbeiterin des Programms „Opstapje“ (Schritt für Schritt). Als das erste Kind geboren wurde, sprach sie kaum Deutsch. Das hat sich geändert. Von der Förderung der Kinder profitieren auch die Eltern.

Besser in die Schulzeit starten - NZZ vom 23.03.2015

Ein neuartiges Caritas-Projekt soll bildungsferne Eltern befähigen, die Schullaufbahn ihrer Kinder zu begleiten. Bildungschancen im hiesigen Schulsystem sind stark durch die soziale Herkunft bestimmt. Deshalb will Caritas Zürich mit freiwilligen ‚Copiloten‘ benachteiligte Familien im ersten Schuljahr ihrer Kinder unterstützen.

Damit nicht die Herkunft seinen Weg bestimmt - Die Zeit vom 28.05.2015

Die Familienbesucherinnen überreichen das Begrüßungspaket mit dem schriftlichen Gruß des Bürgermeisters, versorgen die Eltern mit Informationen, wie sich ein Säugling im ersten Lebensjahr entwickeln sollte- und was man tun kann, um das Kind in dieser Frühphase zu fördern. ...

Ungesunde Armut: „Die Benachteiligung beginnt schon in der Schwangerschaft.“

Christoph Bührer, der Chefarzt der Säuglingsstation der Berliner Charité, hat beobachtet, dass fast alle Frühchen auf der Station aus bescheidenen Verhältnissen stammen. Ihre Mütter haben früh die Schule verlassen, leben in kleinen Wohnungen und beziehen Hartz IV. Es wird vermutet, dass eine Mischung aus Ahnungslosigkeit, Geldsorgen und gesundheitsschädlichem Verhalten die Frühgeburten mit verursacht.

Während die meisten anderen Schulkinder ein tadellos gepflegtes Gebiss haben, sind bei Kindern aus der Unterschicht die Zähne schlechter denn je - es gibt eine „Kariespolarisation“.

Im Laufe des Lebens summieren sich die Nachteile - Die durchschnittliche Lebenserwartung hängt von dem Einkommen ab. Bei Männern beträgt der Unterschied zwischen oberer und unterer Einkommensgruppe 10,8 Jahre. Bei Frauen sind es 8,4 Jahre.

Ann-Katrin Müller, Alexander Neubacher

Das „vietnamesische Paradoxon“ zeigt, dass hier Ressourcen ungenutzt bleiben. Vietnamesische Kinder erreichen bei vergleichbaren (schlechten) sozialen Voraussetzungen, nicht nur bessere Noten als türkische, sondern auch als deutsche Kinder - und zwar im Fach Deutsch.

Gerald Wagner

Da die Hypothesen zu eingeschränkt waren und auch handwerkliche Fehler gemacht wurden, konnte man die komplexen Gründe nicht aufklären. Am Ende gibt es einige zaghafte Überlegungen, dass der Erfolg mit dem „Erziehungsstil“ vietnamesischer Familien zusammenhängen könnte. Es wäre natürlich peinlich, wenn vietnamesische Eltern nicht nur gute, sondern auch erfolgreichere Pädagogen wären. Am Ende könnte etwas, das politisch nicht korrekt ist, übernommen werden, weil es zum Ziel führt.

‚Der dänische Experte Jesper Juul hat ein klares Konzept: Es ist das magische Wort “Nein”.

Eltern müssen unterscheiden lernen zwischen dem, was sich Kinder wünschen und dem, was sie wirklich brauchen. Wünsche wissen Kinder zu äußern, Bedürfnisse jedoch nicht. Eines der wichtigsten Bedürfnisse von Kindern sind klare Eltern, an denen sie sich orientieren können.‘

Silke R. Plagge

Grund 8. Motivation und Selbstbild

(Leistungsbereitschaft, Gewaltbereitschaft)

Der Schulerfolg hängt von der Schule und den Lehrkräften und von dem Schüler und seiner Familie ab. Bei ungenügenden Leistungen würde das bedeuten, dass die Schule die Motivation und das Leistungsvermögen der Kinder falsch einschätzt und sie nicht ausreichend fördert oder zum anderen kann es sein, dass das Leistungsvermögen des Kindes gering ist oder die Familie es ungenügend auf den Schulbesuch vorbereitet hat und wenig fördern kann.

Diese Frage versucht Heinz Bude (2008) in „Die Ausgeschlossenen“ für Hauptschüler zu beantworten. Das Buch hat den deprimierenden Untertitel „Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft“.

Er beschreibt zwei Schichten der Bevölkerung mit ganz unterschiedlichen Kulturen:

 

Nach seinen Untersuchungen ist die Mittelschicht auf Bildung und Selbstverwirklichung fixiert und ist durch Kommunikation zu Kompromissen fähig. Autonomie wird angestrebt.

Er diagnostiziert eine Unterschicht mit einer anderen Kultur: Cleverness, Vermeidung von Schwierigkeiten, Durchwursteln, autoritätsgläubig und furchtlose Härte bei Auseinandersetzungen.

Das Buch beeindruckt und deprimiert. Beeindruckt durch „Aha-Effekte“ an vielen Stellen, die Schlaglichter auf Szenen des Schulalltags werfen; deprimiert wegen der angenommen Ausweglosigkeit der Situation.

Es kann aber noch schlimmer kommen: Clemens Meyer: „Als wir träumten“. Liest man diesen Roman, so ist man erschüttert und man kann sich nicht vorstellen, wie man die geschilderten Jugendlichen erreichen könnte.

Diese Bilder sollen durch die Ergebnisse zweier Untersuchungen ergänzt werden.

Heinz-Elmar Tenorth

Der Skandal, der nicht publiziert wurde

Die Pisa-Studien von 2006 haben eine Gruppe von Lernenden - sie wurden als Risikogruppen bezeichnet - identifiziert, die in den Kernkompetenzen (Lesefähigkeit und Mathematik) allenfalls eine Kompetenz der Stufe I und darunter erreichen. Das ist Grundschulniveau und befähigt nicht für eine berufliche Ausbildung oder einer verständigen Teilhabe an Gesellschaft und Kultur.


Das sind Beschreibungen von Verteilungen, die sehr zu denken geben. Sie sind das Ergebnis einer neunjährigen Beschulung, die nicht einmal die grundlegenden Basiskompetenzen zuverlässig durch schulische Arbeit vermittelt hat.

Etwa 20% eines Jahrgangs werden so zu „Ausgeschlossenen“.


Diese Statistik zeigt, dass neben den leistungsstarken auch ein großer Teil der mittelmäßigen Schüler in Deutschland eine Studienberechtigung erlangt. Auch diese Zahlen sind eine Beschreibung und keine Analyse - aber trotzdem neigt man zu Interpretationen.

Bernd Kramer berichtet in Spiegel - Online über einen OECD-Vergleich, der für Deutschland feststellt, dass 59% der jungen Erwachsenen in Deutschland ein Studium beginnen, aber nur 39% einen Abschluss machen.

Es stehen sich zwei Meinungen gegenüber:

„Die Erwartung wäre verfehlt, jeder junge Mensch müsste exakt die gleichen Chancen haben. Es geht um die Förderung aller je nach ihren mitgebrachten Fähigkeiten. Manche brauchen ersichtlich besondere Förderung.“

Udo Di Fabio

Der andere Pol: Der auf Individuen zugeschnittenen Förderung wird eine kollektive Egalisierung durch Bildung gegenüber gestellt. Eine Schule für alle!

Das Problem liegt in der Interpretation von "Gleichheit". Als Menschenrecht bedeutet sie Gleichheit vor dem Gesetz, der politischen Gewichtung und Gleichberechtigung der Geschlechter und Chancengleichheit. Dem stehen Ungleichheiten der kognitiven Fähigkeiten, des sozialen Hintergrundes und des Sozialverhaltens, der Neugierde, des Ehrgeizes usw. gegenüber.

Da Lernen ein aktiver Prozess ist, sind Motivation, Aufgeschlossenheit, Ansprechbarkeit, Fleiß, Ausdauer, ... und intellektuelle Unterschiede für die Schulleistungen von großer Bedeutung. Will man diese Unterschiede weitgehend einebnen, muss man den Unterricht trivialisieren. Aber wie weit?

Dabei vergisst man oft die Verantwortung für alle Schülerinnen und Schüler. Für die Spitzengruppe, die trotz Schule gut ist, gibt es Begabtenförderung, für Jugendliche mit Schulproblemen gibt es ein großes Feld der Förderangebote. Unberücksichtigt bleibt das Mittelfeld. Diese Mehrheit der Kinder wird vergessen, sie werden nicht gefördert. Sie könnten durch anspruchsvollen Unterricht mit vielen geeigneten Hilfen angespornt und dabei unterstützt werden, besseres Wissen und bessere Noten zu erreichen.

Die Entscheidung ist nicht durch Schlagworte in Sonntagsreden herbeizuführen - mit Argumenten, die völlig an der Praxis vorbei gehen. Der zweite Lösungsweg, der im Moment angestrebt wird, ist für alle Beteiligten der einfachste. Die Gesellschaft schiebt alle Probleme, die sie nicht lösen kann, auf die Schule ab. Damit hat man ein gutes Gewissen und einen Sündenbock. - Was hilft das aber den oben aufgeführten 23% der Fünfzehnjährigen? Wird ihnen damit die „ersichtlich besondere Förderung“ gegeben? Sicher nicht! Gleichzeitig werden aber Denkverbote erlassen, die Alternativen verhindern.

Utopie: Eine Diskussion müsste auch Fakten berücksichtigen und die Teilnehmer müssten wenigstens ansatzweise in der Lage sein, sich in den Anderen hineinzuversetzen und am Ende müssten Kompromisse stehen.

Hier noch einige sehr heterogene Gesichtspunkte, die das Ausmaß veranschaulichen. Niemand kann behaupten, die Lösung wäre einfach!

Gesichtspunkt 1: Für den Bereich der Hauptschule gilt nach einer Analyse von Elisabeth Grünewald-Huber: Die durchschnittlich tieferen Leistungen der männlichen Jugendlichen haben viele Gründe: Unangepasstes Verhalten im Unterricht (traditionelle Rollenbilder überwiegen), geringere Lernmotivation, negative Einflüsse durch die Peergruppe verbunden mit einseitiger Freizeitgestaltung, schlechte oder fehlende Hausaufgaben.

Gesichtspunkt 2: Geld als Ziel und Mittel - Das Argument, das nicht genannt wird, ist das Geld. Alle sollen ein Abiturzeugnis erhalten und studieren, weil es sich finanziell rentiert. Die „große Kohle“ für alle. Nicht wissenswerte Inhalte und sachliches Interesse oder Möglichkeiten der Selbstverwirklichung usw. sollen erreicht werden, sondern Geld („... Geld, das nur noch um sich selbst kreist ...“). Wie erreicht man das mühelos und selbstverständlich? Mit Geld! - der Eltern oder aus dem Sozialhaushalt.

Der individuelle Eigennutz und der Materialismus sollen überwunden werden, aber auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ist er akzeptiert und wird angestrebt!

Gesichtspunkt 3: Wenn das Abiturzeugnis nicht nur gute Verdienstmöglichkeiten bieten soll, sondern auch noch einen weiteren Wert hat, dann muss man sich auch anstrengen und etwas leisten, um das Ziel zu erreichen. Es müssen Leistungsbereitschaft, Neugier, ein sich Einlassen auf Unterricht usw. vorhanden sein - denn Lernen ist ein aktiver Prozess.

Durch ein Absenken der Ansprüche kann man auch erreichen, dass die Abiturquote steigt und die Noten gut sind. Stellen wir uns vor: Was wäre erreicht, wenn tatsächlich alle ein gutes Abiturzeugnis hätten? Manche Fachbereiche der Universität sind nahe an diesem Ziel: Keiner fällt durch, alle sind mindestens „gut“.

Wenn man alles trivialisiert, kann es dazu führen, dass alle demotiviert sind: Die einen, weil sie es immer noch nicht können oder wollen, die anderen, weil sie „das“ nun wirklich nicht mehr interessiert.

Klebekompetenz für alle!

Gesichtspunkt 4 : Unversehrtheit von Familie und Kultur - Wenn Geld allein nicht die gewünschte Veränderung erreicht und das Abitur dem Einzelnen eine Gewinn an „Bildung“ ermöglichen soll, dann muss man sich an den Punkten 1 bis 8 abarbeiten. Das kann im Endeffekt dazu führen, dass man bevormundend in die Familie, die Lebensumstände, das kulturelle Verständnis usw. eingreift und der Abiturient bzw. die Abiturientin ein Fremdkörper in der Familie wird und seinen / ihren kulturellen Rückhalt verliert. - Also müssen wir auch noch die Familie ändern. Westliche Aufklärung für alle!

Gesichtspunkt 5 : - ... und der IQ? - Über den Intelligenz Quotienten spricht man nicht, obwohl die Unterschiede in den kognitiven Leistungen zu etwa 50% genetisch bedingt sind.

Ulrich Bahnsen und Martin Spiewak

Gesichtspunkt 6: Wie lange will man sich noch 16 Kultusministerien leisten, die abgehoben und praxisfremd Verordnungen erlassen - eine Veränderung jagt die andere.

Wann erkennt man, dass größere Schulen einem mittelständischen Betrieb entsprechen und effizient geführt werden sollten.

Untersuchungen von John Hattie - deren Ergebnisse in Deutschland politisch nicht korrekt sind - legen nahe, dass für den Lernerfolg die Lehrperson wichtig ist. In Deutschland sind Lehrer außerhalb jeder Einflussmöglichkeit; es gibt die gleiche Bezahlung für ganz heterogene Leistungen.

Da die Kultusministerien die Lehrkräfte im Stich lassen, sind die Lehrmittelverlage deren einzige Hilfe - und deren unsägliche Trivialisierung jedes Themas schlägt auf den Unterricht durch.

Gesichtspunkt 7 (nach Frank Schirrmacher): Geld - Hat die Bildung der Jugendlichen den gleichen Stellwert wie die Geldvernichtungsbank Hypo Real Estate?

Bildung: Es gibt eine hochprofitable Verdummungsindustrie. Warum gibt es nicht auch das Gegenteil?

Literatur

Bahnsen, Ulrich und Spiewak, Martin: „Mein IQ ist mir egal“, Die Zeit vom 03.06.2015

Bölling, Rainer: Viele Abiturienten mit weniger Bildung, FAZ vom 04.12.2014

Bude, Heinz: Die Ausgeschlossenen, München 2008

Bude, Heinz: Bildungspanik, München 2011

Di Fabio, Udo: Das bedrängte Drittel, FAZ vom 28.10.2006

Gaschke, Susanne: Die andere Armut, Welt am Sonntag vom 05.04.2015

Grünewald-Huber, Elisabeth: Erfolgreiche Mädchen, benachteiligte Buben?, NZZ vom 11.07.2011

Kramer, Bernd: http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/oecd-studie-nur-wenige-studenten-halten-bis-zum-abschluss-durch-a-1064253.html

Lanz, Martin: Amerikas teuere Akademisierung, NZZ vom 26.03.2015

Meyer, Clemens: Als wir träumten; Frankfurt 2007

Müller, Ann-Katrin, Neubacher, Alexander: .. und raus / rauf bist du!, Der Spiegel vom 09.05.2015

Munroe, Randall: Der Dinge-Erklärer, München 2015

Neurath, Otto: From hieroglyphics to Isotype, London 2010

Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800 - 1866, München 1983

Plagge, Silke R.: Erziehung: Nein macht stark, http://www.liliput-lounge.de/themen/kinder-brauchen-ein-klares-nein/

PONS Das grosse Bildwörterbuch : Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch, Stuttgart 2011

Preisendörfer, Bruno: Das Bildungsprivileg, Frankfurt 2008

Solstad, Dag: Scham und Würde, Zürich 2007

Spiewak, Martin: Heimvorteil, Die Zeit vom 28.05.2015

Tenorth, Heinz-Elmar: Der Skandal, der nicht publiziert wurde, FAZ vom 16.12.2008

Wagner, Gerald: Das vietnamesische Paradoxon, FAS vom 24.01.2016

3. Erkenntnisfähigkeit in den Welten

Sinnesorgane des Menschen

Lebewesen nehmen äußere und innere Reize über Sinnesorgane wahr. Am Anfang der Informationskette stehen Art (qualitativ) und Empfindlichkeit (quantitativ) der jeweiligen Sinnesorgane. Fledermäuse hören auch Ultraschall, viele Vögel können ultraviolettes Licht zusätzlich wahrnehmen, das Rotkehlchen besitzt einen Magnetsinn usw. Diese unterschiedlichen Leistungen führen zu unterschiedlichen Informationen über die Außenwelt.

Hat man Tiere noch so genau untersucht und z.B. bei Fledermäusen ihre Orientierung im Ultraschallbereich in allen Einzelheiten aufgeklärt, so bleibt immer noch Thomas Nagels Frage: "What is it like to be a bat?"

Mit diesem Problemfeld hat sich auch schon Hoimar v. Ditfurth beschäftigt. Der folgende Text zur Wirtserkennung der Zecke und der dabei ablaufenden Informationsselektion folgt in weiten Teilen dem Artikel "Einstein und die Amöbe".

Der Schlüsselreiz, der sich nur auf möglichst wenige Merkmale bezieht, die aber für alle in Betracht kommenden Wirte gelten, ist die einzige überhaupt denkbare Lösung der fast utopisch anmutenden Aufgabe, ein Wirtsbild genetisch zu speichern, das alle jemals begegnenden Säugetiere wiedergibt.

Als biologischer Organismus ist die Zecke mit dem angeborenen Wissen über ihre Welt optimal informiert. Geruch und Temperaturanstieg definieren ein Säugetier für den in Frage kommenden Zweck mit ausreichender Zuverlässigkeit. Die Existenz von Zecken in der Welt beweist es. Geruch (Buttersäure) und Temperaturanstieg (auf der Haut) sind in der "Welt" der Zecke das einzige, was von einem Säugetier - ob Maus oder Büffel - "übrig bleibt". Sie sind für eine Zecke mit "dem" Säugetier identisch. Die "Welt" ist zwar reduziert, aber die Informationen sind zweckmäßig und zutreffend.

Biologisch zweckmäßige und objektiv "wahrheitsgetreue" Abbildung werden in der Strategie der Evolution als unterschiedliche Größen behandelt. Überleben und Erkennen sind für sie zwei Paar Stiefel. Und da, wer nicht überlebt, auch nichts anderes mehr tun kann, wird, wogegen sich schwer argumentieren lässt, der Überlebenswert einer Anpassung allen anderen noch so wünschenswerten Erfordernissen vorangestellt. Jede Anpassung ist ein Abbild der Welt. Es fragt sich nur, wie getreu die jeweilige Abbildung ist.

 

Nervenzentren des Menschen

Die Erregung, die durch Reize in den Sinnesorganen ausgelöst wurde, wird weiter geleitet und in dem Gehirn verarbeitet. Die unterschiedlichen Möglichkeiten werden durch einen Vergleich von Schnecke und Mensch veranschaulicht.

Die Erforschung des Verhaltens von Aplysia californica (sehr große Meeresschnecke) durch Eric Kandel und seine Arbeitsgruppe waren so erfolgreich, weil die Nervenzellen der verschiedenen Nervenknoten und ihre Verknüpfungen genetisch eindeutig festgelegt sind. Man kann einen Atlas der Nervennetze erstellen, der für alle Tiere dieser Art zutrifft. D.h. alle Untersuchungsergebnisse - auch die des Lernverhaltens - von allen Versuchstieren können zu einem Gesamtbild "addiert" werden.

Beim Menschen wird die Gehirnstruktur (hardware) bis zur Geburt durch die Gene und in geringerem Umfang durch die Umgebung (Mutter) bestimmt. Nach der Geburt wird gespeichert (software) und es werden Netzwerke geknüpft (hardware). Die Speichervorgänge im Gedächtnis hängen von vielfältigen äußeren Umständen und den Emotionen usw. der Person ab. Durch den Gebrauch oder Nichtgebrauch wird das Überleben vieler Nervenzellen beeinflusst - d.h. die Gehirnsubstanz (hardware) wird modifiziert. Das Gedächtnis wird lebenslang erweitert, umgebaut und teilweise gelöscht.

Es gibt dauerhafte Verknüpfungen (z. B. Reflexbogen) von kleinen Nervennetzen, die aber durch Lernen modifiziert werden können (bedingter Reflex). Hinzu kommen aber auch synchrone Neuronennetze, die sich erst "bei Bedarf" bilden und sich anschließend wieder anders strukturieren.

Einflüsse während der Entwicklung


Genetische und vorgeburtlich-epigenetische Prozesse bestimmen die psychische Grundausstattung eines Neugeborenen und damit sein Temperament als Kern seiner späteren Persönlichkeit. Das Stressverarbeitungssystem kann in seiner vorgeburtlichen Entwicklung durch negative Einflüsse über das traumatisierte Gehirn der werdenden Mutter stark beeinträchtigt werden. Ein weiterer Faktor ist die psychische Erfahrung in der Familie, dem Kindergarten, der Schule usw., die allgemein als „Erziehung“ und „Sozialisierung" angesehen wird. Es entwickeln sich die Fähigkeiten zur Kooperation, zu Empathie, zum Einhalten gesellschaftlich-moralischer Regeln und zur Berücksichtigung der Konsequenzen eigenen Handelns für einen selbst und die Anderen. Diese Ebene entwickelt sich bis zum Erwachsenenalter und darüber hinaus.

Schließlich gibt es die kognitiv-sprachliche Ebene; sie entwickelt sich ab dem dritten und vierten Jahr mit dem Ausreifen kognitiver und sprachlicher Fähigkeiten.

Dynamik - Raum - Zeit

Das unbewusste System beeinflusst das bewusste (Stimmungen, Motivation usw.).

D.h. jedes menschliche Gehirn, jeder Mensch und alle Ergebnisse aus Versuchen mit einem Menschen sind einmalig, weil sie durch seine Gene und das einmalige Wechselspiel mit der Umwelt in seiner Lebenszeit bestimmt wurden.

Mess- und Berechenbarkeit

Streng wissenschaftlich gesehen macht diese Flexibilität des menschlichen Gehirns intersubjektives Wissen unmöglich. Im täglichen Leben dagegen ist ein solches Wissen Voraussetzung für jedes Handeln und ein gutes Zusammenleben.

Der menschliche Körper besteht aus etwa 7,5 × 1013 Zellen. Man rechnet mit 1011 Neuronen des Großhirns und mindestens der gleichen Menge an Gliazellen. Man entdeckt immer mehr Aktivitäten der Gliazellen, die man bisher nur als passives Isolationsmaterial angesehen hat. Jedes Großhirnneuron ist mit etwa 1.000 anderen Nervenzellen verbunden. Jedes Neuron besitzt zwischen 10.000 und 1.000.000 Ionenkanäle (etwa 50 Kanaltypen), die für die Funktion wesentlich sind. Ein Kanal besteht aus einem Protein oder mehreren Proteinuntereinheiten (Quartärstruktur).

Um die Gehirnfunktion zu erschließen, müsste man die Art der Verknüpfungen und Verrechnungen dieses menschlichen Gehirns bestimmen (Schaltplan) und die Aktivität aller Neuronen messen und die Ergebnisse in Echtzeit verrechnen. Für kleine Neuronenverbände ist das möglich; für sehr große ist es theoretisch, aber nicht praktisch durchführbar. Es gibt also prinzipiell eine Lösung, die aber nicht praktikabel ist, weil das Großhirn dabei stirbt. Es gibt eine "Unschärfe": Wird gemessen, ist das Gehirn tot und die Berechnung zur Voraussage nutzlos. Ohne Messungen ist das Gehirn "glücklich", aber rätselhaft.

Man nimmt an, dass Sprache bei allen Menschen eine emergente Eigenschaft des Gehirns ist; wie sie zustande kommt und wie der Sprechapart gesteuert wird, ist noch unklar.

Es wäre gut vorstellbar, dass ein individuelles Gehirn auch in gewissen Grenzen individuelle Emergenzen aufweist, die dann eine besondere Neigung im Musikgeschmack, der Vorliebe für Poesie usw. oder dem mathematischen Verständnis zur Folge haben. Die geistigen Fähigkeiten sind sicher ein Produkt des Gehirns - der Zusammenhang ist aber unklar. Es wäre denkbar (nach Thomas Nagel zitiert in Tim Crane), dass wir in der Position eines alten Griechen sind, der sagt, dass die Materie Energie sei. Er behauptete das Richtige, erfasste aber den Tatbestand nicht.

Manche Computerspezialisten erhoffen (andere befürchten es) sich auch im Bereich der Software in Verbindung mit den steigenden Rechnerkapazitäten eine Art von Emergenz: die Singularität, ein Entwicklungsstadium von Maschinen, das die Fähigkeit des Menschen übertrifft.

System 1 und System 2

Das menschliche Gehirn kann in zwei Modi arbeiten; es kann System 1 oder System 2 benutzen.

Analysen von Daniel Kahnemann und anderen Forschern führten zur Unterscheidung der beiden Systeme, die schnelles und langsames Denken zur Folge haben.


Gerald Hüther weist darauf hin, dass es durch frühkindliche Erfahrungen dazu kommen kann, dass nur ein System benutzt wird.

Dabei handelt es sich um zwei extreme Einstellungen. Einmal um Menschen, die so sehr von Emotionen beherrscht werden, dass sie rationalen Argumenten kaum zugänglich sind. Sie entscheiden rein intuitiv.

Den anderen Pol bilden Personen, die aufgrund früher Erfahrungen und daraus abgeleiteten Überzeugungen, sich alleine von ihren kognitiven Fähigkeiten leiten lassen.

In einem ersten Schritt ist es wichtig, die beiden "Betriebssysteme" zu kennen und zu wissen, wann man sie einsetzten muss. Der zweite Schritt ist dann, durch Selbststeuerung die beiden Systeme in Balance zu halten. Das kann in der Praxis sehr schwierig sein, weil das Bauchgefühl als bottom-up arbeitendes Triebsystem in seiner Reaktion sehr schnell ist. Der Verstand (top-down System), der bremsen und abwägen kann, arbeitet deutlich langsamer.

In einem Artikel weist Ralf Konersmann darauf hin, dass Hans Blumenberg den Mythos als eine Form der Welterklärung aufgefasst hat, die die Überlebenschancen erhöhte.

Der Überlebenswert von System 1 mit seiner geringen "Latenzzeit" war am Anfang der menschlichen Evolution sicher von Vorteil; bei Entscheidungen in komplexen Situationen ist es aber ratsam, auch System 2 zu nutzen.

Das Problem ist, dass man nicht gleichzeitig System 1 und System 2 benutzen kann; das ist nur seriell möglich. Die Ergebnisse können auch nicht einfach verrechnet werden, da die "Einheiten" zu verschieden, ja unbekannt sind. Es bleibt immer ein Dilemma. Das macht das Leben spannend.

System 2 benötigt Ruhe und Zeit; es muss Wissen aktiviert und verknüpft werden, es kann sein, dass man Papier und Bleistift benötigt, fehlende Informationen müssen eingeholt werden ...

Liest man mit System 2, so ist das zeitaufwendiges "tiefes" Lesen im Gegensatz zu einem bloß informierenden Lesen.

Bei Problemlösungsstrategien sollte immer wieder auf die Benutzung von S1 und S2 und die Notwendigkeit ihres Zusammenwirkens eingegangen werden. Wie die folgende Typisierung des Lernens verdeutlicht, ist die Schule S2-lastig. Da für guten Unterricht aber auch Motivation und Empathie nötig sind, muss die Lehrkraft die Stunde gut planen.