Buch lesen: «Tanjas Feuersturm»
Traute Lütje
TANJAS
FEUERSTURM
Engelsdorfer Verlag
Leipzig 2016
Bei dem nachstehenden Werk handelt es sich um einen Roman und bei allen handelnden Personen um fiktive Gestalten, die der Fantasie der Autorin entsprungen sind, wie auch die beschriebenen Handlungen. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder auch bereits verstorbenen Personen, wie auch etwaigen tatsächlichen Geschehnissen wäre damit rein zufällig und unbeabsichtigt.
Inhalt
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Über das Buch
Titel
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Tanjas Feuersturm
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelfoto © undrey/Fotolia
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
Ein greller Lichterschein, als ginge die Allee in Flammen auf, erschreckte Hundehalter Peters beinahe zu Tode. Geistesgegenwärtig schützte er sein nicht mehr allzu gutes Augenlicht mittels seiner großen Pranken, wobei er gleichzeitig in Richtung Haustür: „Halt“ brüllte und sich dahin umwandte. Dort stand gelangweilt, wie allabendlich, sein fauler Rüde, namens Herkules, der sein gewaltiges Maul bis zum Anschlag aufriss, um Müdigkeit vorzutäuschen. Hierbei schüttelte sich das nicht mehr ganz junge Hundetier, als sei es bereits bis auf die Haut durchnässt, da es leicht nieselte. Von oben her nass zu werden verabscheute Herkules, obwohl er eine Wasserratte per excellence war, wenn es darum ging, im nahegelegenen Teich, Enten jagen zu können. Ein ohrenbetäubender Knall, von heftigem Funkenregen begleitet, ließ das Maul des Rottweilers ruckartig zusammenklappen. Ohne auf das nochmalige Kommando, diesmal handelte es sich um ein bestimmendes: „Bleib“, zu reagieren, drängte sich Herkules mit aller Gewalt an seinem Herrchen vorbei. Peters konnte nicht anders. Er musste einen Schritt zur Seite treten, ansonsten hätte ihn sein Liebling wohl über den Haufen gerannt. Schneller noch, als ginge es hier ums Entenjagen, sprintete der bereits etwas in die Jahre gekommene Rüde los, in Richtung Feuerwand! Der beißende, nach Kunststoff und Gummi stinkende, Brandgeruch drang nicht nur bis in die Nüstern des Hundes vor, sondern erreichte gleichzeitig die sich zur Wehr setzende Nase des Mannes, der angstvoll seinem Liebling hinterherschaute. Dieser ließ sich trotz allem nicht davon abhalten, den Ort des Geschehens in Augenschein nehmen zu wollen, um notfalls den Helden zu spielen. Witterte er doch trotz des Brandes, drei in Panik geratene Figuren, die in verschiedenen Richtungen auseinanderstoben, als sie des Rottweiler gewahr wurden, um nicht in dessen Fänge zu geraten! Herkules, der sich zu gerne an einer der drei Kehlen gütlich getan hätte, um zu beweisen, dass er noch voll seinen Hund stehen kann, zog sich irritiert zurück – zumal die sengende Hitze, zweier lichterloh brennenden Autos, ihm den Weg zu den mutmaßlichen Tätern verbarrikadierte! Keine Frage, hier wurde offensichtlich nachgeholfen. Dieser Meinung schloss sich Frau Sonja Peters an, die aufgrund des lauten Knalls fluchtartig ihren Sessel verließ, um nachzusehen ob ihrem Mann, oder gar dem Hund, etwas passiert sei. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Frau Sonja auf die circa einhundert Meter von ihrem Hause entfernt lodernde Feuerwand, die ständig das Farbkleid wechselte. Gleichzeitig bangte sie um ihren Hund, dessen sie nicht ansichtig wurde.
„Hast du die Feuerwehr alarmiert?“, drang es unvermittelt in ihr Ohr vor. Die Stimme zitterte vor Aufregung und war somit kaum zu verstehen. „Oh Gott, nein … Ja die Feuerwehr. Soll ich anrufen, Hubert?“
„Wer denn sonst? Etwa Herkules? Wo treibt sich der Köter überhaupt rum“, versuchte Hubert in Erfahrung zu bringen. Eine Antwort erhielt Peters nicht, da sich Sonja zurück ins Haus begeben hatte um zu telefonieren. Irgendwie war das sonst so bodenständige Ehepaar völlig außer Tritt geraten. Hatten sie sich doch des Öfteren mit dem Thema „Brandstiftung“ auseinander gesetzt, da es momentan an allen Ecken und Enden wiederholt brannte. Nun aber, in nächster Nähe, unweit ihres Hauses, ein Ding der Unmöglichkeit! Wo sollte das noch hinführen? „Sie kommen sofort“, unterbrach Sonja die Resignation ihres Mannes, und erhielt erneut Ausschau nach Herkules. „Hoffentlich ist unserem Liebling nichts passiert“, ergriff Sonja abermals die Gelegenheit, ihren Gatten auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, denn der war gedanklich weit weg.
„Was mögen das nur für Schwachmaten sein, die Freude daran haben, es brennen zu sehen? Nicht zu fassen!“, schimpfte Hubert vor sich hin und erkundigte sich gleichzeitig: „Sagtest du was, Sonja?“
„Ja, ich mache mir Sorgen um Herkules, wo mag der Lümmel bloß stecken?“ Im selben Augenblick drängte sich das Kraftpaket von Hund zwischen sie und ihren Mann. Abwechselnd schwabbelte er deren Hände, die als Dank, dass ihr Tier unversehrt zurückfand, nun ihrerseits inbrünstig dessen dicken Schädel streichelten, was Herkules sichtlich genoss. Dieses hingegen sollte sich schlagartig ändern, da die herannahende Feuerwehr die drei augenblicklich zusammenfahren ließ. Infolge der Sirene und das Zucken des Blaulichts sowie des Luftzuges, der beim Vorbeibrausen durch die Löschfahrzeuge verursacht wurde, flog zu allem Ärger auch noch die Haustür der Peters ins Schloss. „Und nun?“, fragte Sonja ihren Gatten. „Hast du einen Haustürschlüssel dabei?“
„Ich …? Nein, warum sollte ich?“
„Warum nicht, Hubert, du wolltest doch mit Herkules Gassi gehen.“
„Richtig, Weib“, antwortete Peters genervt. „Nur pflege ich grundsätzlich keinen Schlüssel mitzunehmen, wenn ich dich im Haus wähne, Schatz. Und das warst du doch, oder sollte ich mich da vertan haben?“
„Ist schon gut, alter Griesgram. Sicherlich hättest du automatisch zum Schlüsselbund gegriffen, wenn du nicht in Todesangst nach mir und dem Hund Ausschau gehalten hättest. Warte mal Hubert … Ich glaube die Balkontür steht, sofern ich nicht irre, auf Kipp. Als du mit dem Hund raus bist, gedachte ich kurz durchzulüften.“
„Na denn … So gesehen scheint ja alles im grünen Bereich zu sein. Ich werde uns zunächst einmal rein lassen“, und schon verschwand Peters, um augenblicklich an der Haustür zu erscheinen, um diese für Frau und Hund zu öffnen.
„Danke, Hubert.“ Weiter kam Sonja nicht mit ihren Ausführungen, die sie gedachte ihren Mann zu unterbreiten! Sirenengeheul und wild blinkende Blaulichter eines Streifenwagens unterbrachen ihren Redefluss. Ängstlich geworden verkroch sich Herkules mit eingeklemmtem Stummelschwanz, der gerademal soeben sein Weidloch kaschierte, auf sein Lager. Seine stolze Rute wurde ehemals kopiert; was heutzutage, Gott sei Dank, nur noch selten vorkommt. Bei Jagdhunden gehört dieser Brauch nach wie vor dazu. Diese Tiere sind zu sehr der Gefahr ausgesetzt beim Stöbern im Dickicht Verletzungen davonzutragen. „Na, alte Ratte, frönst du deiner Gewohnheit, dich verkriechen zu wollen, sobald es anfängt ungemütlich zu werden? Du bist mir schon ‘ne Pfeife. Ich hoffe nur, sollte es bei uns einmal einer versuchen, zündeln zu wollen, dass du diesem Sausack das Fürchten lehrst.“
Herkules hob noch einmal mühsam seinen klotzigen Schädel, guckte sein Herrchen an, als wolle er diesem antworten. Was meinst du wohl, weshalb ich Fersengeld gab. Wäre da nicht dieses blöde Feuer, samt der umherfliegenden Fahrzeugteile, die mir zusätzlich den Weg versperrten, mit Sicherheit hätte ich einen der Kerle geschnappt. Nahezu beleidigt, dieser unnützen Belehrung seines Leitwolfs, bettete er demonstrativ seinen Schädel auf die Erhöhung des Rundlagers, schloss die Augen und döste, wie gehabt, vor sich hin.
„Komm Sonja, koch uns einen Tee, mit viel Rum, aber wenig Zucker, irgendwie fröstelst mich innerlich. Ich weiß nicht, wie es dir geht? Ich für mein Teil habe mich heute genug erregt. Langsam reicht’s.“ Peters nahm seine Frau in den Arm, drückte sie an sich und entschuldigte sich, sie wegen der Schlüssel angemacht zu haben.
Ding dong, ding dong. Schrill, ja geradezu ermahnend, machte sich die Türglocke der Peters bemerkbar. Einmal mehr spürten die zwei ein Beben durch ihre Leiber fahren. Dieses Zusammenzucken wirkte wie ein Stromschlag. Unverhohlen sprang es von der Frau auf den Mann über, um so den Kreislauf zu schließen.
„Was gibt’s denn jetzt schon wieder“, entfuhr es Hubert, der seine Frau freigab und entrüstet die Haustür enterte. Mit einem Schlag riss er diese auf und brüllte: „Kann man neuerlich noch nicht einmal mehr in Ruhe Kraft tanken, nach alledem was soeben geschah?“ Konsterniert schaute er auf zwei Uniformierte, die Haltung annahmen und vorsichtig anfragten, ob sie ihm und seiner Gattin ein paar Fragen stellen dürften.
„Offensichtlich waren doch Sie es, oder Ihre Frau, die die Feuerwehr alarmierten?“, begann der ältere Schutzmann dann auch gleich das Gespräch in die richtigen Bahnen zu lenken. „Entschuldigen Sie mein Ungehaltensein, die Herren. Leider bin auch ich nur ein Mensch. Bitte, treten Sie ein. Allerdings glaube ich kaum, dass meine Frau und ich Ihnen sachdienliche Hinweise bezüglich des Brandes geben können. Es sei denn, Herkules schließt sich mit Ihnen kurz. Er weilte eine Zeit lang am Ort des Geschehens. Nur pennt er gerade.“
„Wunderbar: Immerhin besser als nichts!“, freute sich der leicht ergraute Beamte und nickte seinem Begleiter ermutigend zu. Ein junger, schlank wirkender Polizeianwärter – trotz allem kräftiger Natur – teilte diesen Blick keineswegs. Sein Augenmerk galt dem schlafenden Rottweiler. Wie hypnotisiert starrte der sich noch in der Ausbildung befindliche, welcher ein Sohn des kurz vor der Pension stehenden Polizisten hätte sein können, auf den vor sich hin dösenden Haus- und Hofwächter. „Keine Bange, junger Mann. Das ist Herkules. Der tut Ihnen nichts. Schon mal gar nicht, wenn ich bei ihm bin! Ein Kommando von mir und Herkules kuscht, oder auch nicht. Kommt auf den Tonfall an, den ich verwende …“
Bevor Peters mit seinem Referat weiter fortfahren konnte, unterbrach ihn der wie aus Eichenholz geschnitzte Graubart – denn nicht nur sein Haupthaar schien silbern: „Nun mal bei aller Ehrfurcht gegenüber Ihrem Hund, bester Mann. Sie wollen mir doch nicht ernsthaft weiß machen, dass das Tier Brandzeuge ist.“
„Im gewissen Sinne schon, Herr …“ Hubert Peters stockte, jedoch nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn wie aus der Pistole geschossen folgte: „Richter, Bernd Richter! Alteingesessener Ermittler vom dritten Neuendorfer Polizeirevier, unweit der Stadtgrenze. Also, nicht allzu weit von hier gelegen, falls wir Sie, zwecks eines Protokolls, laden müssen. Den schwarzen Deubel dort“ – dabei wies er auf Herkules, „dürfen Sie selbstverständlich mitbringen.“
„Herr Richter, ich möchte keineswegs ungehörig erscheinen, aber irgendwie kommen wir vom Thema ab. Weder meine Frau Sonja, noch ich, sind Zeugen von diesem Inferno, welches uns, zugegeben, ziemlich aus dem Konzept gebracht hat.“ – Weiter erläuterte Peters daraufhin den Werdegang aus seiner Warte, wobei Herkules einzig als Zeuge übrig blieb. Dessen bewusst hatte sich die faule Haut dann auch von seiner Lagerstatt erhoben und begrüßte den Besuch mit gebührlichem Abstand; denn Fremden gegenüber ließ der Rottweiler stets Argwohn walten, ganz so, wie es ihm sein Leitwolf, Peters, einst anerzog!
„Na gut, Peters. Ihre Personalien habe ich mir notiert, dazu bräuchte ich noch Ihre Rufnummer. Ansonsten melden Sie sich bitte unverzüglich, sollte Ihnen doch noch etwas einfallen. Kommen Sie, Krause, wir sollten uns nochmals zum Tatort begeben. Das Feuer dürfte zwischenzeitlich gelöscht sein, sodass wir mit der Spurensuche beginnen können. Unser zur Unterstützung angeforderter Funkstreifenwagen, fuhr soeben hier am Haus vorbei. Mit Hilfe der Kollegen, so hoffe ich, werden wir gewiss bald klarer sehen, ob es sich, wie vermutet, um Brandstiftung gehandelt haben mag. Sicher können wir erst dann sein, wenn uns eindeutige Beweise vorliegen. In diesem Fall wird es uns besonders schwer gemacht. Eines der Fahrzeuge wurde mittels Gas betrieben. Durch die Explosion des Tanks dürfte kaum etwas heil geblieben sein. Diverse Teile dieses PKWs liegen verstreut in alle Himmelsrichtungen. Also, Krause: Augen auf! Jedes noch so kleine Blechteilchen könnte von Bedeutung sein“, belehrte der Grauschimmel den Neuling.
„Die Herren wollen schon gehen?“, erkundigte sich Sonja, die anstatt des gewünschten Tees, eine Kanne mit frisch gebrühtem Kaffee ins Wohnzimmer trug. Damit gedachte sie den Ordnungshütern Gutes zu tun.
„Leider ja. Die Pflicht ruft, Frau Peters. Mag Ihr Kaffee noch so verlockend duften, es nützt nichts, wir müssen. Komm Krauskopf“, diesen Spitznamen erhielt Polizeianwärter Krause wegen seiner welligen Haare, die bei feuchtem Wetter seinem Namen alle Ehre machten. Herkules ständig im Auge behaltend, verabschiedete sich der junge Spund mit einem „Auf Wiedersehen“, wobei er im Rückwärtsgang nach draußen strebte. Hierbei wurde eine kleine Stufe am Eingang ihm prompt zum Verhängnis! Rücklings, als erhalte er einen Schlag in die Magengrube, legte er sich auf dem Trottoir lang. Ebenso schnell, wie er niederfiel, raffte er sich wieder auf, um Herkules nicht doch noch zum Opfer zu fallen. Dieser stand plötzlich im Eingang und verfolgte aufmerksam das Malheur. Der Rüde gedachte noch rasch seinen Stammbaum aufsuchen, um das Bein zu heben; da das Pinkeln, bei all der Aufregung, die auch Herkules zu spüren bekam, ins Hintertreffen geriet.
Amüsiert klopfte Bernd Richter seinem bubenhaft wirkenden Begleiter, mit beiden Händen, die angestaubte Hinterfront sauber. – Ein unbedarfter Betrachter würde gar glauben: Richter prüfe die Konsistenz eines ihm sehr nahestehenden Freundes!
„Mit Verlaub: Krause Sie sind ein Schisser! So viel Angst vor einem Vierbeiner, das dürfte kaum förderlich sein. Im Gegenteil: Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Ihr Angstgebaren sich auf die Beamtenlaufbahn, die Sie anstreben, hinderlich auswirken könnte. Also ran an den Feind! Machen Sie einen Anfang. Streicheln Sie Herkules. Sie werden feststellen: Überwindung macht frei …, frei von Ängsten!“ Als habe Herkules einmal mehr alles verstanden, stand er nun erwartungsvoll vor Polizeianwärter Krause, der es tatsächlich fertigbrachte den wuchtigen Schädel, des klotzig wirkenden Vierbeiners, kurz zu betatschen. Herkules indes gefiel das mimosenhafte Getue überhaupt nicht. Der Hund nahm die sich ihm bietende Gelegenheitwahr, trabte gemächlich zu seiner Latrine, hob das Bein und ließ es laufen. Es hatte fast den Anschein, als wollte er die Linde unter Wasser setzen, soviel gab seine Blase frei. Genug, um später durchhalten zu können! Nachdem sich das Tier erleichtert fühlte, schüttelte es sich mehrfach kräftig und verschwand ins Haus.
Peters hob die Hand. Er winkte seiner Sonja mit einem Schlüsselbund zu; zum Zeichen, er habe alles im Griff! Offenbar hatte seine Frau noch Fragen an die Ordnungshüter, die, dem ungeachtet, den Motor vom Streifenwagen anließen, die Scheiben hochkurbelten und langsam anrollten. Etwas verwundert sah sie das abfahrende Auto hinterher. Schlagartig wurde der Peters klar: Die Beamten, sie kamen nicht zum Kaffeeklatsch! Fröstelnd verschränkte sie beide Arme über ihrem üppigen Busen. So begab sie sich zu ihrem Mann. Dieser schüttelte nachdenklich den Kopf. Gedankenverloren starrten beide in die Ferne. Das Ehepaar konnte das Vorgefallene nicht fassen. Immer noch zogen mächtige Rauchschwaden zu ihnen herüber. Die Aufräumarbeiten schienen indes in vollem Gange zu sein.
„Nun schick dich an. Komm, Hubert. Wir können es nicht ändern.“
Unverhohlen forderte Sonja ihren Gatten auf, ihr in die eigenen vier Wände zu folgen, wo der Kaffee auf sie wartete. Dieser war leider nur noch bedingt trinkbar. Frau Peters versäumte es, den Muntermacher in eine Warmhaltekanne zu füllen. Diesbezüglich bekam Peters nun doch noch den ersehnen Tee; jedoch nicht mit allzu viel Rum! Die Brandstelle schien zwischenzeitlich gründlich gesäubert und die Einsatzkräfte freuten sich auf einen geruhsamen Feierabend. Den hatten sich die Leute auch redlich verdient. Genau wie die Peters. Sie bevorzugten das Bett, um endlich die ersehnte Ruhe zu finden. Gleichwohl verlief die Nacht für das Ehepaar relativ unruhig. Beide horchten ständig in sich hinein, wachten schweißgebadet auf, erlebten Träume, die sie nicht einzunorden vermochten. Letztlich machten sie den Vollmond dafür verantwortlich. Diesen mit Nichtbeachtung strafend, drehten sie sich auf ihre gewohnte Einschlafseite, um ab sofort einem erquickenden Schlaf den Vorzug einzuräumen. Soeben dem Tiefschlaf verfallen, nahmen sie lästiges Heulen ihres Hundes – vermischt mit den Tönen einer dazwischentretenden Feuersirene –, im Unterbewusstsein wahr!
Bitte nicht schon wieder, schoss es Peters durch den Kopf, als er langsam zu sich kam. Unwirsch ergriff er den Arm seiner Frau Sonja, der unter der Bettdecke hervorlugte. Damit beförderte er auch sie gnadenlos in den Wachzustand zurück. Herkules indes rannte wie ein Berserker pausenlos auf dem Flur hin und her. Wiederholt kratzte er dabei mit vernehmbarem Knurrlaut an die Schlafzimmertür.
„Schon gut, Hundi, wir haben es gehört. Brav, brav, wir kommen“, kommentierte Peters dessen Verhalten.
„Wieso wir? Kannst du den nervigen Köter nicht alleine vor die Tür schicken? Ich war gerade eingeschlafen Hubert“, kritisierte Sonja Peters den Ausspruch ihres Gattens.
„Was glaubst du wohl …? Auch ich schlief bereits! Wie dir bekannt sein sollte, ist mein Schlaf wesentlich leichter als deiner, sodass ich wieder einmal vor dir ganz Ohr war. Du, meine Liebe, schlummerst fest wie ein Murmeltier. Sobald du dich gebettet hast, hörst und siehst du doch nichts mehr, was um dich herum abläuft. Dafür hast du ja mich, deinen Hubert, der dich bewacht und notfalls alle Bösewichter vom Leibe hält, sollte dir einer von denen auch nur ein Haar krümmen wollen. Nur gegen Feuer, bin selbst ich machtlos.“
„Willst du damit etwa andeuten, dass es schon wieder brennt? Allmählich spinnst du, Hubert. Du scheinst, genau wie ich, geträumt zu haben. Kein Wunder nach all dieser Aufregung; und du, Hund, halte die Klappe, kusch gefälligst. Langsam fängst du an zu nerven!“, polterte Sonja in Richtung Tür. „Schatz, lass bitte Herkules aus dem Spiel. Der Hund tut nur seine Pflicht. Sollte er wirklich einmal daneben liegen, so ist das noch lange kein Beinbruch. Lieber einmal zu viel Laut geben, als gar nicht! Überleg doch mal, Sonja: Es war bestimmt kein Zufall, dass wir beide meinten, im Unterbewusstsein eine Feuersirene gehört zu haben.“ Weiter kam Peters nicht. Der Mann hielt inne. Das ohrenbetäubende Lärmen eines Martinhornes ließ gefühlt das ganze Haus erschüttern und Herkules war im Begriff, die Schlafzimmertür endgültig zu Feuerholz verarbeiten zu wollen, so sehr wurde diese mittels seiner Pfoten malträtiert! Peters, der wie von Sinnen in den Trainingsanzug sprang, befreite gleichzeitig die Schlafzimmertür von den ihr zugefügten Qualen, indem er sie öffnete. Folglich fand nun auch der Wächter des Hauses Gehör, wofür er sich mit einer Überschlagsrolle quer durch das Ehebett bedankte. Sonja wählte als Erstbekleidung ihren Frotteebademantel. Mit dem dazugehörigen Bindegürtel vertäute sie ihn fest um ihren Köper und schlüpfte behände in Huberts Filzpantoffeln. Ihr Mann begnügte sich anfangs mit seinen ausgelatschten Sambalatschen – die er bei der Gartenarbeit zu tragen pflegte –, damit alles schnell ging. Eilig durchquerte das in den vergangenen Stunden permanent in Aufruhr gehaltene Ehepaar den Flur, um, von der Küche aus, an das Küchenfenster zu gelangen. Von hier aus erspähten sie nicht nur einen glühendrot leuchtenden Feuerball. – Nein, hier handelte es sich wahrhaftig um circa ein Dutzend brennender Heu- und Strohballen, denen die freiwillige Feuerwehr bereits aus allen verfügbaren Rohren mit Wasser aus einem Löschwagen zu Leibe rückte. Ein gigantisches Schauspiel, das den Peters zur nachtschlafenden Zeit geboten wurde. Hierauf hätten sie liebend gerne verzichtet, zumal sie sich zunehmend um ihr kleines Anwesen sorgten. Ihr stilvoll gestaltetes Einfamilienhaus lag etwas außerhalb des Dorfes Neuendorf. Wie es bereits der Name verrät, gehört das Dorf zu den Orten, die im Laufe der Jahre aus dem Nichts heraus entstanden, da die zentral gelegenen Bauplätze dazu einluden, hier heimisch zu werden. Viele Familien nutzten zudem den Bonus von Staats wegen, um hier ein Eigenheim zu errichten, zumal es bis zur nahegelegenen Stadt nicht weit war. Kids hatten null Probleme. Die Schulen befanden sich gewissermaßen in greifbarer Nähe. Sie brauchten nur die Lindenallee passieren, und schon erreichten sie die Stadt Mühlhausen, in der das Leben pulsierte.
An der Lindenallee Nummer zweihundertdreizehn, lag das Häuschen der Peters, an dem der Frührentner gerne werkelte, um es in Schuss zu halten! Seine Frau Sonja, die sich noch bester Gesundheit erfreute, ging einer kleinen Beschäftigung nach, um ab und an ihrem Hubert entfliehen zu können, denn der war in der Tat nicht immer leicht. Das mochte schlichtweg an seinem Frührentner-Dasein gelegen haben; mit dieser Tatsache haderte er des Öfteren. Manchmal kam er sich dieserhalb nutzlos vor, obwohl Sonja es ihn niemals spüren ließ, dass er mit seinen achtundfünfzig Jahren bereits zur „Rentner-Band“ zählte. Dass Hubert durch einen ärztlichen Kunstfehler über Nacht zum Invaliden wurde, war schließlich nicht sein Verschulden. Jedenfalls blieb es ihm von da an versagt, seinen Beruf als Dachdecker ausüben zu können. Und das nur, weil sein gesundes, statt des kranken Knies mit einer Prothese versorgt wurde, was nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Mit nunmehr zwei Knieprothesen auf Dächern umherzuklettern, dieses käme glatt einem Selbstmord gleich. Eine Umschulung stand gar nicht erst zur Debatte, denn was sollte Hubert groß Neues anfangen können?
„Mir tut der arme Landwirt leid, Sonja“, unterbrach der Hausherr die beängstigende Stille. „Der muss jetzt sehen, wie er seine Viecher satt bekommt. Dieses ist bereits das dritte Feuer, innerhalb von zwei Tagen, und alles in unmittelbarer Nähe unseres Hauses. Von Dummenjungenstreichen kann da ja wohl kaum noch die Rede sein, oder siehst du es etwa anders?“
„Ganz und gar nicht Hubert. Dennoch vermute ich, dass es sich um frustrierte Jugendliche handelt, die mit ihrer Freizeit einfach nichts anzufangen wissen. In der letzten Zeit sind mir wiederholt drei merkwürdige Gestalten über den Weg gelaufen, oder auch gefahren –, auf Rädern. Ich vermute stark, dass es sich hierbei um ein- und dieselben Personen handelte. Beschwören will ich es dennoch nicht.“
„Ja, sag mal, Weib, warum hast du deine Inaugenscheinnahme vorhin nicht dem Ordnungshüter, diesem Bernd Richter, mitgeteilt? Solche Beobachtungen sind immer von Belang. Vergleichbar mit Herkules: Lieber einmal mehr Laut geben, als Wesentliches zu verschweigen, nur weil es einem zu vage erscheint. Zum Glück besteht die Möglichkeit, das jederzeit nachzuholen. Ich meinerseits ziehe meine Lehre daraus. In Zukunft werde ich verstärkt auf Kroppzeug achten. Nur, lass uns morgen weiter reden. Es sieht ganz so aus, als hätte die Wehr das Feuer in den Griff bekommen. Uns dürften die Einsatzkräfte wohl kaum mit Fragen behelligen, zumal wir kein Licht angemacht hatten. Wenn einer von uns was will, soll er morgen kommen. Herkules scheint sich ebenfalls beruhigt zu haben. Wo steckt der Köter überhaupt?“
„Hubert, wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich es nicht wünsche, unseren Liebling als Köter zu bezeichnen.“
„Stell dich nicht so an. Du weißt genau, dass die Bezeichnung „Köter“ von mir nicht böse gemeint war, Sonja. Zudem hörte ich von dir vorhin nichts anderes, schon vergessen?“
„Wenn schon … Ich mag’s einfach nicht hören, und damit basta!“
Ein wenig verschnupft verzog sich Sonja ins Schlafgemach. Dort erlebte sie erneut ihr Waterloo. In ihrem Bett lag Herkules. Den Kopf auf die Pfoten platziert, so sah er sein Frauchen an, als wollte er sagen: Was ist, legst du dich zu mir, oder muss ich die Flucht nach vorne ergreifen? Als verstünde Frau Peters, was ihr Liebling hatte sagen wollen, antwortete sie: „Besser ist es, du verschwindest augenblicklich in dein Nest, bevor dich Herrchen hier vorfindet. Der ist momentan völlig durch den Wind. Das unserem Nachbarn, dem Bauern Staalman, sein gesamtes Viehfutter den Flammen zum Opfer fiel, berührt ihn schon sehr. Genaugenommen geht mir diese Tatsache gleichermaßen an die Nieren.“
Ohne das Frauchen hat nachhelfen müssen, sprang das Muskelpaket von Hund aus dem Ehebett und trollte sich in Richtung Lagerstatt! Peters beließ es dabei, das Licht weiterhin auszulassen. Ab und an glomm immer mal wieder einer der Strohballen auf. Diese Helligkeit reichte aus, um die angelehnte Schlafzimmertür auszumachen, hinter der sich seine Frau befand. Im Schein der Nachtischlampe – hier störte das Licht nicht, da die Fenster zum Garten raus lagen – beförderte Sonja ihren Bademantel mit Schwung an das Fußende der Betten. Sich auf die Bettkannte setzend, wartete sie auf Hubert.
Es fehlte nicht viel und der Erwartende wäre über seinen Hund gestolpert. „Kannst du nicht aufpassen, Kö …?“ Gerade noch rechtzeitig fand Peters den Dreh und schleimte: „Was schleichst du hier eigentlich noch umher, mein liebes Hundi? Sag bloß nicht, dass du noch einmal raus willst?“ Schuldbewusst zog Herkules daraufhin seinen Stummelschwanz ein und verkrümelte sich, bevor Herrchen ernsthaft böse wurde. Der Rottweiler wusste: Überschritt er einen gewissen Grad der Toleranz, bedeutete es für ihn: kleine Brötchen backen, ansonsten setzte es Schelte, und die gedachte der kluge Vierbeiner vorsorglich zu umgehen!
„Leg dich zu mir, Schatz.“ Großzügig klappe Sonja die Bettdecke zur Seite, um Hubert Asyl zu gewähren. „Lieb von dir, mich einzuladen, Sonja. Nur meine ich: Den Rest der Nacht sollte ich lieber in meinem Bett verbringen. Wir haben zwei Uhr durch. Der Morgen ist schnell da. Herkules wird, wie gewöhnlich, um sechs Uhr auf der Matte stehen. Eines verstehe wer will: Früh morgens kennt er kein Halten! Komischerweise stört es ihn dann auch nicht, wenn es regnet. Wie gesagt, unser Hund scheint mir anders geprägt zu sein, als seine Artgenossen.“ Flugs beugte sich der fürsorgliche Gatte runter zu seiner Frau. Zog ihr die beiseitegelegte Bettdecke über ihren immer noch ansehnlichen Körper, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und schaltete die Nachttischlampe aus. Während er sich selbst wie ein Igel einrollte, meinte er noch: „Schön, mein Schatz, dass du einen freien Tag hast. Den könntest du dazu nutzen, unsere Bettwäsche zu wechseln. Irgendwie riecht mein Bettzeug derzeitig verstärkt nach Hund.“
„Welch Wunder, Hubert. Du vergisst die Rückwärtsrolle, die Herkules unlängst durch die Betten absolvierte.“
Dass es sich dieser Lümmel anschließend auf ihrer Lagerstatt gemütlich gemacht hatte, während sie gebannt den Einsatz der Feuerwehr verfolgten, verschwieg Sonja ihrem Mann bewusst. Was das anging, kannte der Frührentner keine Gnade. Bekäme er dieses mit, würde er, allen Ernstes, fuchsteufelswild werden!
„Gute Nacht, Hubert. Schlaf gut.“
„Du auch, Sonja. Schlummere ruhig etwas länger. Ich radele in der Früh mit Herkules zum Bäcker, um dich nach dem Erwachen mit frischen Brötchen, zum Kaffee, zu erfreuen. Schließlich hast du später allerhand zu leisten: Nämlich die Betten neu zu beziehen, damit sie wieder Frische ausstrahlen.“ Sonja dachte bei sich: Den muss dieser Hundegeruch arg stören. Warum sonst schrieb er ihr neuerlich vor, was sie zu tun und zu lassen habe? Frau Peters beschloss, in Zukunft verstärkt darauf zu achten, die Schlafzimmertür geschlossen zu halten, um nicht nur sich, sondern auch ihrem Liebling, Ärger zu ersparen.
Es wurde ruhig im Hause Peters. Sehr ruhig sogar! Als der Hausherr erwachte, war es bereits hell. „Nanu“, brummelte er vor sich hin, als er zum Wecker schielte. Gleichzeitig rieb er sich mit den Handballen den Schlaf aus den Augen. Überrascht folgerte er: Irgendwas scheint nicht zu stimmen. Gleich acht Uhr? Er schaute seine Frau an, die noch tief und fest schlummerte. Plötzlich fielen ihm die versprochenen Brötchen ein. Leise schlich er sich aus dem Zimmer, um die Schlafende nicht vorzeitig zu wecken. Zu seiner Verwunderung pennte Herkules ebenfalls noch. An diesem Morgen musste eine Katzenwäsche reichen. Als sich Hubert seine Schuhe aus dem im Flur gelegenen Schuhregal zottelte, wurde Herkules schlagartig munter. Der Rüde scheuerte sich mit seinen Pfoten, gleichfalls wie sein Herrchen, zweimal über die Augenlieder. Hernach bearbeitete er auf selbige Art seine dicke, braune Nase, schnaubte einmal kräftig, kam hoch und machte seine Streckübungen. Fordernd hockte er sich danach vor sein Herrchen und signalisierte diesem: Ich bin soweit, meinetwegen kann’s losgehen.
„Gemach, Herkules, ich muss noch in meine Jacke schlüpfen – Geld sowie Schlüsselbund einstecken und mir deine Leine greifen – dann wäre auch ich soweit! – Und dass du dich ja benimmst; du wirst am Fahrrad mitlaufen müssen.“
Für Herkules kein Problem. Sein Erzfeind, der Afghane, hatte an jenem Morgen seinen Auslauf bereits hinter sich gebracht. Diesen komischen Windhund pupte Herkules grundsätzlich an. Den konnte er nicht riechen. Für ihn war das Tier ein Lackaffe, aber kein Hund. Da lobte er sich doch die weiße, langhaarige Schäferhündin Jacky. Ein Traum, dieses Hundeweibsbild! Mit ihr kleine Schäferweiler zu zeugen, das wäre noch mal was. Das dürfte für den Galan allerdings Illusion bleiben. Jackys Herrchen passte auf, wie ein Schießhund! Kurz mal schnuppern, vielleicht; aber auch nur dann, wenn seine Auserwählte nicht gerade läufig war. Während dieser Zeit verpasste der Hundehalter seiner Hündin so einen blöden Hygieneslip, durch den sich die stolze Rute, mittels eines dafür vorgesehenen Loches, den Weg an die Frischluft bahnen musste. Alles andere wurde scheinbar hermetisch abgeriegelt. Herkules gelang es bislang nicht, das in Augenschein nehmen zu können. So nah durfte er keinesfalls an sie ran. Nicht einmal zum Schnuppern! Dabei liebte der Rüde schwarz-weiße Hundewelpen. Wunderschön fand er diese tapsigen Wollknäule. Er stellte sich vor, die Brut an Mutters rosigen Zitzen beim Saugen beobachten zu können, damit sie groß und stark werden würden. Wie dem auch sei, aufgeben war nie Herkules sein Ding! Aus diesem Grunde träumte er weiterhin davon, Jacky vielleicht irgendwann einmal decken zu dürfen!