Buch lesen: «Ghostsitter»
Dieses Buch wurde klimaneutral gedruckt und vom Verlag klimaneutral versendet.
Nach dem Original-Hörspiel Ghostsitter Staffel 4: Jäger des verlorenen Serums
Produziert von bumm film GmbH für Amazon Music und Audible
Deutsche Erstausgabe April 2021
Copyright © 2021 by Tommy Krappweis & Edition Roter Drache
Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Am Hügel 7, 59872 Meschede edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org
Umschlagillustration und Vignetten: Timo Grubing
Umschlaggestaltung: Timo Grubing
Lektorat: Sophia Krappweis
Korrektorat: Aimée M. Ziegler-Kraska
Gesamtherstellung: Jelgavas tipografia
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (auch auszugsweise) ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.
ISBN 978-3-96426-064-2
Inhalt
Kapitel 1: Brizzelwasser
Kapitel 2: Voll logisch
Kapitel 3: Vanille-Mango-Traum
Kapitel 4: Der Wunsch
Kapitel 5: Zwischenruf aus Ägypten
Kapitel 6: Ersatz an der Kasse
Kapitel 7: Reisen mit Örks
Kapitel 8: Der schwarze Tafelberg
Kapitel 9: Mataha
Kapitel 10: Wombies Wache
Kapitel 11: Klassiker
Kapitel 12: Das Zeichen
Kapitel 13: Kugel in der Wand
Kapitel 14: Mit Wucht
Kapitel 15: Die verschwundene Mumie
Kapitel 16: Rätselhafte Ketten
Kapitel 17: Tor zum Labor
Kapitel 18: Mumie am Kessel
Kapitel 19: Raus aus dem Käfig
Kapitel 20: Entwickelt
Kapitel 21: Feuerfliegs Fahrten
Vorbemerkung zum Bonusmaterial
Scriptauszug
Bonusgeschichte: Sinwirsammm
Über die Autoren
Weitere Bücher
Kapitel 1: Brizzelwasser
Erleben Sie die Schreckensfahrt – Nostalgie und Grusel in einem! Die älteste Geisterbahn der Welt lädt ein zur ganz großen Gruselsause!« Der vierzehnjährige Tom Röschenberg saß im winzigen Kassenhäuschen seiner altertümlichen Geisterbahn und bemühte sich, die Besucher des Jahrmarkts trotz der sommerlichen Hitze zur Schreckensfahrt zu locken. So recht begeistert klang seine Stimme allerdings weder in ihm drin noch in den scheppernden Lautsprechern. Es war wirklich extrem heiß an diesem Tag. Tom wunderte sich, dass sich dennoch so viele Besucher zwischen den Fahrgeschäften und Buden tummelten. Seiner Ansicht nach waren bei dieser Hitze ein Freibad, eine Eisdiele oder auch ein dunkler, kühler Kellerraum definitiv bessere Aufenthaltsorte als ein Rummelplatz oder gar das stickige Kassenhäuschen einer in die Jahre gekommenen Geisterbahn.
»Erleben Sie unseren berühmten Vampir Vlarad, die Inspiration zu Tiffany Schusters neuestem Mega-Bestseller ›Bissige Liebe‹, nur hier in der Schreckensfahrt!«
Tom bemerkte selbst, wie erschöpft er klang, schaltete das Mikrofon aus und drückte dann eine Taste auf dem Bedienpult. Aus den Lautsprechern der Geisterbahn dröhnte nun statt seiner Stimme gespenstische Musik, die ab und zu von schaurigem Gelächter und einem gellenden Schrei unterbrochen wurde. Tom hatten die Musik und die Geräusche noch nie auch nur den winzigsten Schauer über den Rücken gejagt. Die Musik mit der dudeligen Orgel klang eher witzig als gruselig und die Geisterlache war ebenso wenig ernst zu nehmen wie die Schreie. Tom stellte sich oft vor, wie die Schauspielerin damals wohl das Geschrei im Tonstudio eingebrüllt haben mochte: »Okay, das war schon sehr schön, aber jetzt bitte nochmal mit etwas mehr Kreischen in den oberen Tönen, unten herum etwas weniger Geschnaufe und insgesamt bitte ein durchgehender Schrei ohne Pausen. Aufnahme läuft und bitte.« Die Sprecherin hatte vermutlich entnervt mit den Augen gerollt und zum zigsten Mal an diesem Tag ins Micro gekreischt.
Tom musste kurz grinsen und wischte sich dann mit dem Ärmel seines T-Shirts über die verschwitzte Stirn. Als er den Arm wieder senkte, stand ein Vater mit seinen zwei Kindern vor dem Kassenhäuschen. »Dreimal, bitte«, sagte er und hielt Tom das passende Eintrittsgeld entgegen. Tom nahm es an und reichte drei Fahrkarten durch das Fenster hinaus. »Ein Erwachsener und zwei mutige Kinder – bitte sehr, viel Spaß.«
»Danke.« Der Vater nickte ihm freundlich zu, während die beiden Kinder glücklich strahlend auf und ab hopsten. Tom sah den dreien zu, wie sie zum Eingang der Geisterbahn spazierten und gut gelaunt warteten, bis der nächste freie Wagen heranrumpelte.
Da drin ist es wenigstens kühl, dachte Tom müde und schloss die Lider. Puh … is’ mir heiß …
Er lehnte sich erschöpft zurück. Nicht zu weit natürlich, denn zum einen war der alte Stuhl ziemlich wackelig und zum anderen war in dem winzigen Kassenhäuschen gar kein Platz, um anständig mit einem Stuhl zu kippeln. Toms Zunge fühlte sich an wie eine gefüllte Sandkastenschaufel. Er musste dringend etwas trinken.
»Wo ist denn die Wasserflasche …«, murmelte Tom und entdeckte sie mehr oder weniger direkt vor seinem Gesicht.
Schlapp ließ er sich nach vorne fallen, angelte nach der Flasche und – stieß mit den Fingern viel zu schnell dagegen! Die Wasserflasche begann zu trudeln und bevor Tom sie festhalten konnte, war sie auch schon mit einem dumpfen BONK umgekippt. Fröhlich gluckernd schwappte das Wasser heraus und verteilte sich viel zu schnell auf dem Bedienfeld.
Tom tat drei Dinge.
Er schimpfte »Neinneinnein! Shitshitshit!« Dann rief er »Woah!« als Funken aus dem Bedienfeld schlugen. Und als er die Flasche wieder aufstellen wollte, machte er »Gnnnnnnnnnnnnnnaaarrgggg …«, denn er hatte dabei leider die feuchten Knöpfe berührt und dort flossen in diesem Moment 110 Volt Strom.
Tom nickte so schnell mit dem Kopf, als wolle er eine Million Fragen in unter einer Minute mit Ja beantworten, da knallte es auch schon scheppernd: Die Hauptsicherung hatte ihren Job gemacht und war glücklicherweise herausgesprungen.
In der gesamten Geisterbahn wurden die Stromkreise unterbrochen, die Lichter erloschen, die Musik aus den Lautsprechern orgelte sich jaulend zum Verstummen und schließlich stand die Schreckensfahrt still.
Tom sackte erschöpft zurück in seinen Stuhl und wusste für einen Moment nicht, wo, wer oder wann er eigentlich war.
In seinem Kopf lief gerade ein lautstarker Mixer, der alles zu wabbeligem Verstandspudding zusammenrührte.
»Tom! Tom!! Verdammt!«
Sein Onkel Welf drehte den Stuhl herum, auf dem Tom immer noch saß. Besorgt zog der Werwolf die Augenbrauen zusammen, griff nach Toms Armen und hielt sie fest.
»Tom, kannst du mich hören? Hey! Hey!«
»Debedie dada … Das Wawawasser indi indi indi dadada …« Mehr brachte Tom nicht zustande, aber Welf verstand.
»Wasser im Steuerpult? Verdammt! Gottseidank ist die Sicherung gleich geflogen … wie geht’s dir, Junge?«
»Selt. Sam. Geht so. Hui.«, antwortete Tom. Immerhin konnte er schon wieder unfallfrei ›Geht so‹ sagen. Das Kassenhäuschen samt Onkel zitterte jedoch weiter fröhlich von links nach rechts und wieder zurück. Außerdem schwebten überall kleine Lichtflecken, die in der Luft herumtorkelten wie angetrunkene Glühwürmchen.
Welf atmete sichtlich erleichtert auf. »Okay, das klingt ja schon fast wie immer.«
»Bibibibitte wawawas? Wiwiwiwi kling ich den sonsttt?«
»Komm erstmal raus aus der verdammten Sauna …«
»Okkkkkay …«, murmelte Tom und versuchte, die Kante des Steuerpults zu greifen, um sich aus dem Drehstuhl zu stemmen. Doch die hüpfte jedes Mal ein Stück zur Seite, wenn er danach tastete. Nach dem dritten vergeblichen Versuch ging Welf dazwischen. »Ich helf dir, warte, erstmal rumdrehen … so … komm …«
Tom glaubte, seine Füße auf dem Boden zu spüren und wollte aufstehen, doch die Beine waren noch viel zu puddinghaft für einen selbständigen Stehversuch. Welf fing Tom gekonnt auf, bugsierte ihn aus dem Kassenhäuschen und setzte ihn behutsam auf den Stufen davor ab. Dann sah er Tom prüfend an, seufzte und lehnte ihn so an die Wand, dass er trotz gelegentlicher Zuckungen recht stabil saß. »Geht’s wieder?«, brummte Welf.
»Ja … Sitzen ist g… gut …« Tom nickte zwar nicht mehr wie ein Wackeldackel auf dem Cocktailshaker, trotzdem fühlte er sich noch immer ordentlich zittrig. Welf sah sich kurz um und raunte: »Ich mach mal eine Durchsage und beruhige die Leute hier.« Kurz darauf knackte es laut in den Lautsprechern und Welfs Stimme ertönte blechern über die abermals loseiernde Dudelmusik: »Sehr verehrte Damen und Herren, es sah schlimmer aus, als es ist. Die Sicherungen sind geflogen und unserem jungen Mann hier geht es den Umständen entsprechend gut.«
»Ja, susususupi… gakgakgakgakeinproblem«, rief Tom und versuchte sich an so etwas wie einem Grinsen. Dabei hielt er den Daumen hoch.
Welf steckte umgehend den Kopf aus dem Kassenhäuschen und hielt mit einer Hand das Mikrofon zu: »Tom, bitte sei still. Du klingst wie’n Huhn, das auf nen Elektrozaun gepieselt hat. Und dein Daumen zeigt nicht nach oben, sondern nach links Richtung Damenklo.«
»Oh«, machte Tom und klappte seinen Arm wieder ein.
Welfs Kopf verschwand erneut im Kassenhäuschen und seine Stimme erklang über die Lautsprecher: »Ich drück jetzt noch ein paar weitere Sicherungen rein und dann lassen wir die Bahn weiterlaufen, damit alle aussteigen können. Danach gehen wir auf Fehlersuche alswennichdennichtschonwüsste, und die älteste Geisterbahn der Welt wird ihren fehlerfreien Betrieb schon bald wieder aufnehmen können! Achtuung … zuuurückbleibenbidde!«
Tom hörte, wie Welf im Kassenhäuschen herumhantierte und schließlich einen Hebel umgelegte. Knirschend startete die Transportmechanik der Schreckensfahrt und ein Wagen nach dem anderen fuhr durch die Ausgangstür nach draußen.
Tom sah, wie der Vater mit seinen beiden Kindern ausstieg. Zum Glück schien er nicht verärgert zu sein. Und auch seine Kinder waren nach wie vor bester Laune. Vielleicht hatten sie das Abenteuer ja sogar genossen, überlegte Tom. Immerhin würden sie ihren Freunden nun erzählen können, dass sie in einer Geisterbahn stecken geblieben waren. Wer konnte das schon von sich behaupten?
Die Tür des Kassenhäuschens quietschte und Welf tauchte neben ihm auf. »Kannst du laufen?«
»N… na klar, schau! Woah!« Tom war aufgestanden, schwankte aber wie der Wimpel an einem Kinderrad. Welf fing ihn auf, bevor er mit dem Gesicht voran in den Kies kippen konnte.
»Ich bleib vielleicht hier noch kurz sitzen, ein bbbisschen …«, nuschelte Tom kleinlaut.
»Ja, ist besser so«, brummte Welf. »Ich hab dich auch lieber im Blick und kann hier jetzt erstmal nicht weg, bis alle ausgestiegen sind. Okay für dich?«
»Die beste Zeit meines Lebens, gak«, antwortete Tom.
»Gak?« Welf zog irritiert die Stirn kraus.
»Was? Bib! Wua«, machte Tom, und fühlte, wie sein Gesicht hin- und herzuckte, obwohl er das überhaupt nicht beabsichtigte.
Der Werwolf seufzte. »Okay … ich hab’s gleich. Dann trag ich dich rüber in den Zirkuswagen und du legst dich eine Weile aufs Ohr.«
»Tragen?« Toms Stimme überschlug sich. Wie peinlich wäre das denn bitte?! »Nununu… nur über meine Leiche!«
Welf bedachte ihn mit einem undurchdringlichen Blick. »Nein danke, davon haben wir hier schon genug …«
Kapitel 2: Voll logisch
Tatsächlich hatte Welf darauf bestanden, Tom auf den Armen in den Zirkuswagen zu tragen und ihn erst losgelassen, als sie an seinem Bett angekommen waren. Dort lag Tom nun herum, starrte an die Decke und kam sich aus mehreren Gründen blöd vor. Erstens, weil er so einen saudummen Fehler gemacht hatte, zweitens, weil er ausgerechnet an einem so gut besuchten Tag dafür gesorgt hatte, dass die Geisterbahn wieder einmal still stand und drittens, weil er so einen saudummen Fehler gemacht hatte. Das war zwar der gleiche Grund wie der Erste, aber der war eben nun mal so schwerwiegend, dass er locker die Plätze eins und drei belegte. Das änderte nicht einmal die plötzliche Stimme in seinem Kopf.
»Hallo Tom, hier ist Mimi. Ich spreche auf telepathischem Wege zu dir, um dir vorab anzukündigen, dass ich beabsichtige, in sehr naher Zukunft – also quasi jetzt gleich – durch die westliche Wand deines Zirkuswagens zu schweben. Solltest du damit einverstanden sein, so stöhne einmal genervt auf.«
Tom stöhnte und Mimi verstand: »Vielen Dank und bis gleich.«
Keine Sekunde später schwebte das grünlich schimmernde Geistermädchen durch die Wohnwagenwand und glitt lautlos genau bis vor Toms Bett.
»Und da bin ich«, sagte sie fröhlich und grinste über das ganze Gesicht. »Hallo.«
»Hallo.« Tom hatte sich besonders Mühe gegeben, zu diesem zweisilbigen Wort ein besonders einsilbiges Gesicht zu machen.
Das Lächeln des hübschen Geistermädchens war dafür umso strahlender.
»Warst du diesmal zufrieden mit meiner Vorwarnung?«
»Hmpf …«, grummelte Tom.
Er setzte sich auf und sah dabei aus den Augenwinkeln, wie Mimi beleidigt die Unterlippe vorschob. »Och menno, ich hatte die lange Anmoderation extra auswendig gelernt.«
Tom seufzte erneut. »Mimi, das ist total übertrieben. Ich wollte doch nur, dass du kurz Bescheid sagst, bevor du reinkommst, damit ich nicht halbnackt am Ofen stehe.«
»Willst du lieber ganz nackt am Ofen stehen?« Mimi kicherte.
»Mimiii, du weißt doch, was ich meine …« Tom verzog gequält die Mundwinkel. Dann griff er nach dem Kissen auf seinem Bett, presste es mit beiden Händen gegen sein Gesicht und stöhnte sehr genervt, sehr ausgiebig und sehr laut in selbiges.
Sanft zog Mimi das Kissen zur Seite und bedachte Tom mit einem liebevollen Blick. Dafür hatte sie extra ihre Hand für einen kurzen Moment feststofflich werden lassen.
»Klar weiß ich was du meinst. Aber jetzt erzähl mir lieber, wie es dir geht. Wir haben uns alle große Sorgen gemacht!«
An ihrem Blick sah Tom, dass sie das ernst meinte. Sofort bereute er seinen genervten Tonfall. »Tut mir leid, Mimi. Mir geht’s schon wieder besser. Also bis auf, dass ich … Ich hab aus Versehen Wasser über das Steuerpult gekippt …«
»… und dir einen Stromschlag abgeholt, das weiß ich schon. Warum hast du denn nicht auf Welf gehört, als er dir gesagt hat, dass du das Wasser besser auf den Boden stellst?«
»Ich … ich hab gedacht …«, stammelte Tom, schwieg aber dann. Mimi verschränkte die Arme vor dem Brustkorb und sah ihn mit schräg gelegtem Kopf an. »Du hast gedacht, dass dir sowas schon nicht passieren wird, stimmt’s?«
Tom brummte eine undeutliche Antwort, während er die Bilder an der Zirkuswagenwand betrachtete, nur um Mimi nicht ansehen zu müssen. Das Geistermädchen aber glitt zur Seite und hing nun direkt zwischen Toms Gesicht und den Fotos in der Luft. Die Bilder konnte Tom natürlich noch immer erkennen – nun aber mit einem grünlichen Geisterfilter.
»Du lebst und arbeitest ausschließlich mit Leuten zusammen, die nie gedacht hätten, dass ihnen passiert, was ihnen passiert ist«, erklärte Mimi eindringlich.
»Jaaa, ich weiß doch …«, erwiderte Tom genervt.
»Oh oh«, machte Mimi, runzelte die Stirn und schwebte ein wenig näher an Tom heran. Dann zuckte sie mit den Schultern und erklärte: »Naja, Welf hat uns schon gesagt, dass du lieber erstmal ein bisschen alleine sein willst.«
Tom blieb vor Erstaunen der Mund offenstehen. »Und das hast du zum Anlass genommen …«
»… um bei dir vorbeizuschauen. Genau.«, vervollständigte das Geistermädchen Toms Satz mit einem bestätigenden Nicken.
Tom zog verwirrt die Augenbrauen nach oben. »Weil ich allein sein will?«
»Richtig.«
»Aber das macht doch gar keinen Sinn!«
»Für mich schon.«
»Aber … aber …« Tom versuchte Mimis Logik zu verstehen und scheiterte hörbar kläglich.
Das Geistermädchen lachte und sah Tom mit einer Mischung aus Mitleid und Zuneigung an. »Aber das ist doch ganz einfach: Du freust dich IMMER, wenn ich vorbeischaue, oder?«
»Ja schon, aber …«
»Und wenn du sagst, dass du alleine sein willst – ich also NICHT vorbeischauen soll, dann ist das doch ein ganz klares Zeichen dafür, dass irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung ist, richtig?«
»Ja schon, aber …«
Mimi schwebte noch ein Stückchen näher an ihn heran. »Aber-schmaber! Was macht die beste Freundin, wenn beim besten Freund etwas nicht in Ordnung ist, hm?«
Tom stöhnte. Er wusste schließlich längst, worauf Mimi hinauswollte und dass sie Recht hatte, konnte sich aber gerade nicht so recht dazu durchringen, das zuzugeben.
»Naaaaaaaaaa!?« Mimi war nun so nah, dass sie kurz davor war durch ihn hindurch zu schweben. Sie sah ihm tief in die Augen und Tom wand sich unter ihrem Blick.
»Sie … sie …«
»… schaaaaauuuuuuuut…«, half Mimi nach. Sie sah ihn gespielt durchdringend an wie ein zweitklassiger Kirmes-Hypnotiseur und wackelte erwartungsvoll mit den Augenbrauen, bis Tom nicht mehr anders konnte als zusammen mit seiner Geisterfreundin den Satz zu vollenden:
»… vooorbeiiiii.«
Mimi klatschte begeistert in die Hände, während sie sich um ihre eigene Achse drehte und jubelte: »Sie schaut vorbei! Richtiiiig!«
Da musste Tom lachen und Mimi stimmte erleichtert in sein Gelächter ein. »Na siehst du, das war doch gar nicht so schwer.« Sie war sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen. Und tatsächlich fühlte sich Tom schon viel besser. Seine Geisterfreundin schaffte es doch immer wieder, ihn mit ihrer fröhlichen Art und dieser ganz speziellen, verqueren Logik aufzumuntern. »Also, das ist auf so viele Arten falsch und ignorant und übergriffig und frech und … alles, dass ich … dass ich dafür gar keine Worte finde.«
»Dafür waren das grade aber ganz schön viele Worte.« Mimi zwinkerte ihm grinsend zu.
»Pfff, wenn ich nicht wieder rumgestammelt hätte, wären es locker drei weniger gewesen«, warf Tom ein und räusperte sich. »In Zukunft wünsche ich mir aber, dass du meine Wünsche respektierst.«
Mimi kicherte. »Das waren ja fast schon zwei Wünsche, jetzt hast du nur noch einen frei.«
»Was?«, fragte Tom irritiert.
»Weltfrieden?«, bot Mimi an. Da musste Tom abermals lachen und Mimi grinste zufrieden. »Keinen Weltfrieden? Na gut. Wie wär’s stattdessen mit einem Kuss?«
»Wiewaswer … einkusswiesowarummmmmpf…«, brabbelte Tom völlig überfordert. Doch schon war Mimi ganz nah an ihn herangeschwebt, hatte sein Gesicht in beide Hände genommen und ihn sanft mitten auf den Mund geküsst. Dann sah sie Tom tief in die Augen. »Ich bin sehr froh, dass dir nicht mehr passiert ist, Tom. Bitte pass in Zukunft besser auf, ja?«,
»Wew. Habm. Fip. Äh.«
Für einen Moment herrschte Totenstille im Zirkuswagen. Hatte er gerade tatsächlich »Wew. Habm. Fip. Äh.« gesagt?
»Wenn das sowas heißen sollte wie ›Okay, ich passe in Zukunft besser auf, liebe Mimi‹ dann bin ich zufrieden!«, lachte Mimi und drehte eine Pirouette in der Luft. »So, und jetzt stell dir mal vor, ich hätt’ mich an deinen Wunsch gehalten und wär’ nicht reingekommen. Da hättest du aber was verpasst!«
»Ja, das stimmt. Trotzdem …«
»Trotzdem Schmotzdem«, unterbrach ihn Mimi fröhlich und schwebte hinüber zu Toms Schreibtisch, auf dem der Computer stand. Mit dem Finger tippte sie gegen den Monitor. »Was stellen wir jetzt an mit dem angebrochenen Abend, vielleicht eine Runde World Of WerWizards?«
Tom hatte sich noch immer nicht wirklich daran gewöhnt, dass das Geistermädchen seit ihrem letzten Abenteuer in der Lage war, für eine begrenzte Zeit feststofflich zu sein. Mimi konnte Dinge anfassen, hochheben, verschieben und äh … küssen. Die Dinge. Oder die Toms.
»Ja, gerne … ich muss nur …« begann Tom gerade als er von Vlarads telepathischer Stimme unterbrochen wurde.
»Raahhh! Treffen in sechzig Sekunden, bis gleich!«, dröhnte der Vampir laut in Toms Kopf und schon war der Kontakt wieder unterbrochen.
»Hui, das war heftig«, stöhnte Tom. »Und dann auch noch telepathisch, boah …«
»Ich hab’s auch gehört, Tom«, unterbrach ihn Mimi und zog die Stirn in Falten. »So ein Ausbruch ist voll untypisch für Vlarad.«
»Allerdings.« Wenn der Vampir derart die Fassung verlor, musste irgendetwas mächtig danebengegangen sein.
Aus der Geisterbahn hörten sie Schritte näherkommen. Schon öffnete sich die Zwischentür und nacheinander betraten die anderen Toms Zirkuswagen. Der Werwolf und die Mumie nickten Tom und Mimi ernst zu, Zombie Wombie tapste wie immer in seine Ecke, blieb dort einfach stehen, rückte aber seinen Kuschelhasen Odor so in seiner Armbeuge zurecht, dass dieser aussah, als würde er in Toms Richtung schauen.
»Hallo, Welf, hallo, Hop-Tep, hallo, Wombie, hallo … Oh Gott … hallo, Odor.«