Buch lesen: «Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet», Seite 6

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B. Hassbotschaften, Hate Speech und Hassrede

Soziale Netzwerke stehen besonders wegen ihres Löschverhaltens in Bezug auf sog. Hassbotschaften, Hate Speech und Hassrede in der Kritik. Diese Kritik war auch Anlass zur Schaffung spezieller Compliance-Pflichten mit dem NetzDG, das in Kapitel 7 ausführlich behandelt wird. Zum besseren Verständnis soll deshalb zunächst ein Überblick darüber gegeben werden, was mit den Begriffen Hassbotschaften, Hate Speech und Hassrede, die Synonyme für dasselbe Phänomen sind, gemeint ist.

Unter Hassbotschaften, Hate Speech und Hassrede werden grundsätzlich „jegliche Ausdrucksformen, welche Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Hass, die auf Intoleranz gründen, propagieren, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen, einschließlich der Intoleranz, die sich in Form eines aggressiven Nationalismus und Ethnozentrismus, einer Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Einwanderern und der Einwanderung entstammenden Personen ausdrücken“, verstanden.151 In Abgrenzung zur bloßen Diskriminierung liegen Hassbotschaften vor, „wenn die Äußerung nicht der bloßen Darstellung der eigenen Meinung, sondern dem Aufstacheln und dem Aufruf Dritter oder der Öffentlichkeit dient“.152

Dabei darf aber nicht aus dem Blick verloren werden, dass Aggressivität und Hass an sich nicht verboten, sondern sogar weitreichend verfassungsrechtlich geschützt sind.153 Insbesondere sind jedenfalls zunächst auch solche Meinungsäußerungen vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst, die „sich gezielt gegen eine Minderheit richt[en]“ und einen „hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen Gehalt aufweisen“.154 Der Begriff der Hassbotschaften bzw. Hate Speech ist deshalb ein Begriff, der über rein juristische Dimensionen hinausgeht und als politischer Begriff nicht konturenscharf ist und auch solche Aussagen erfasst, die strafrechtlich nicht zu beanstanden sind.155 Es kann deshalb keine generelle Sanktionierung von Hassbotschaften bzw. Hate Speech erfolgen. Mittels Sanktionierung können grundsätzlich allein solche Inhalte bekämpft werden, welche die Schwelle zur Strafbarkeit überschreiten und nicht mehr von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG geschützt werden. Denn eine demokratische Gesellschaft muss auch polemische und überspitzte sowie abstoßende Äußerungen ertragen können.156 Es sind gerade solche Minderheitsmeinungen, die des Schutzes der Meinungsfreiheit bedürfen. Anders als die Mehrheitsmeinung sind sie nämlich nicht gesellschaftlicher Konsens und in diesem „kulturell verankert und politisch abgesichert“.157 Auch wenn Hassbotschaften demnach in vielen Fällen keine strafrechtliche Relevanz besitzen, existiert – unbestreitbar – ein Problem mit tatsächlich strafbaren Äußerungen, denen mit den Mitteln des Rechts begegnet werden muss.158 Dort wo die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten ist, besteht bspw. nicht selten eine Strafbarkeit wegen Verbreitens von Propagandamitteln und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 und § 86a StGB), öffentlicher Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB), Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen (§ 166 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB), übler Nachrede (§ 186 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB), Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) und Bedrohung (§ 241 StGB). Nicht strafbare Äußerungen hingegen können grundsätzlich allein im Wege des öffentlichen Diskurses bekämpft werden, indem solchen Äußerungen von Seiten der Gesellschaft durch Gegenäußerungen konsequent entgegengetreten wird.

151 Europarat Ministerkomitee, Empfehlung Nr. R (97) 20, S. 2, abrufbar unter http://www.egmr.org/minkom/ch/rec1997-20.pdf, zuletzt abgerufen am 29.12.2020. Vgl. auch Woger/Männig, PinG 2017, 233, 234; BT-Drucks. 17/12542, S. 18. 152 Woger/Männig, PinG 2017, 233, 234. 153 Feldmann, K&R 2017, 292, 293. 154 BVerfG, K&R 2019, 788, 789. 155 Amadeu Antonio Stiftung, Stellungnahme NetzDG-E, S. 1; vgl. auch Müller-Franken, AfP 2018, 1, 2. 156 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 61; Kühling, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, GG Art. 5 Rn. 25. 157 Brugger, JA 2006, 687. 158 Höch, K&R 2017, 289.

C. Fake News

Ebenfalls häufig in einem Atemzug mit sozialen Netzwerken genannt werden sog. Fake News. Auch dieses Phänomen, das erstmals vor allem im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 größere öffentliche Aufmerksamkeit erlangte, diente dem Gesetzgeber als Anlass zur Schaffung des NetzDG.159

Fake News können definiert werden „als gezielte Falsch- bzw. Fehlinformationen“ bzw. Desinformationen, „also bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen“,160 die verbreitet werden, „um einer Person, einer Organisation oder einer Institution zu schaden“161. Sie können unter anderem im Gewand von presseähnlichen Nachrichten erscheinen, aber z.B. auch mit einfachen Postings in sozialen Netzwerken gegeben sein. Da es keine rechtliche Pflicht zur Wahrheit gibt, sind Fake News grundsätzlich „nicht bereits aufgrund ihrer Falschinformation“ strafbar,162 sondern es müssen weitere Umstände hinzutreten.163 Fake News, die eine größere Aufmerksamkeit in Deutschland erlangten, sind bspw. der „Fall Lisa K.“164 und der „Fall Margot Käßmann“165. Der „Fall Lisa K.“ führte nicht nur zu öffentlichen Protesten von vorwiegend russischstämmigen Staatsbürgern, sondern entwickelte sich sogar zum Politikum zwischen Deutschland und Russland.166

Die Verbreitung von Fehlinformationen ist jedoch kein neues Phänomen und existierte schon in analoger Form mit sog. Zeitungsenten und gezielter Propaganda, z.B. durch Organisationen und Staaten. Durch das Internet und insbesondere soziale Netzwerke erlangen Fehlinformationen aber eine ganz neue Qualität und Breitenwirkung.167 Die Verbreitung von Fake News und deren Effekte auf die Meinungsbildung werden dabei durch sog. Filterblasen („filter bubbles“) und Echokammern („echo chambers“)168 begünstigt, die wiederum durch die Geschäftsmodelle sozialer Netzwerke und deren algorithmenbasierte Inhaltsauswahl begünstigt werden.169 Das Gleiche gilt für sog. Social Bots170, mit denen Inhalte und damit auch Fake News in sozialen Netzwerken automatisiert vielfach geteilt, verbreitet und kommentiert werden können.171 Ihr massenweiser Einsatz kann Stimmungen anheizen und insbesondere zu einer Verzerrung politischer Diskussionen führen.172 Trotz dessen gab es im Bundestagswahlkampf im Jahr 2017 weder „‚die‘ eine große Fake News [...], die den Wahlkampf beeinflusst hat“, noch eine „große Fake-News-Schwemme“.173

Obwohl Fake News erhebliche negative Auswirkungen auf die öffentliche Meinungsbildung haben können, sind sie in der Regel nicht strafbar. Wo dies doch einmal der Fall ist, kommen als Straftatbestände insbesondere die Volksverhetzung (§ 130 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB), aber auch eine Störung des öffentlichen Friedens (§ 126 StGB)174 in Betracht.

159 BT-Drucks. 18/12727, S. 1; Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 2f. 160 Golz, K&R Beilage 1 zu Heft 7/8/2017, S. 30; Holznagel, MMR 2018, 18; Hoven/Krause, JuS 2017, 1167; Peifer, CR 2017, 809; Peifer, AfP 2018, 14. 161 Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 2. 162 Golz, K&R Beilage 1 zu Heft 7/8/2017, S. 31. 163 Vgl. auch Hoven/Krause, JuS 2017, 1167, 1170. 164 Der „Fall Lisa K.“ handelt von einem 13-jährigen russlanddeutschen Mädchen aus Berlin-Marzahn, das angeblich von einer Gruppe südländisch aussehender Männer vergewaltigt wurde, jedoch tatsächlich bei einem Freund übernachtet hatte. Den deutschen Strafverfolgungsbehörden wurde in diesem Zusammenhang die Vertuschung von Straftaten vorgeworfen, siehe Süddeutsche Zeitung, Eine Nacht beim Freund, abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/fall-lisa-eine-nacht-beim-freund-1.2840525, zuletzt abgerufen am 29.12.2020. 165 Siehe hierzu Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 8ff., der insbesondere auch auf die Verbreitung und Entwicklung vom „misinterpreted content“ zum „manipulated content“ eingeht. 166 Sängerlaub, Deutschland vor der Bundestagswahl, S. 5. 167 Vgl. Holznagel, MMR 2018, 18, 19. 168 Die Theorie von den Filterblasen und Echokammern geht davon aus, dass der Algorithmus eines Online-Angebots, z.B. eines sozialen Netzwerks, der Nachrichten und Informationen nach der (vermeintlichen) Relevanz für den jeweiligen Nutzer filtert und damit dem Nutzer nur für ihn relevante Informationen anzeigt, dazu führt, dass die Nutzer nur noch solche Informationen zur Kenntnis nehmen, die ihre persönlichen Einstellungen widerspiegeln und die Nutzer dadurch in eine „Blase“ oder „Echokammer“ geraten, in welcher sich keine (politischen) Gegenauffassungen mehr finden und sich die Nutzer durch ihre Beiträge innerhalb dieses geschlossenen Bereichs in ihrer Auffassung nicht nur gegenseitig bestärken, sondern auch hochschaukeln und damit radikalisieren können (Drexl, ZUM 2017, 529, 531). 169 Drexl, ZUM 2017, 529; vgl. zu Filterblasen in sozialen Netzwerken auch KEK, 5. Konzentrationsbericht, S. 282f. 170 Hierbei handelt es sich um Programme, die automatisiert Beiträge verbreiten, kommentieren und teilen und dabei auch unter Nutzung von sog. Fake-Accounts in Gestalt einer echten natürlichen Person daherkommen können, vgl. Drexl, ZUM 2017, 529, 530, und Libertus, ZUM 2018, 20ff. 171 Holznagel, MMR 2018, 18, 19. 172 Libertus, ZUM 2018, 20. 173 Sängerlaub, Verzerrte Realitäten, S. 2. 174 AG Mannheim, K&R 2019, 285; Handel/Rieth, K&R 2020, 409, 414.

Kapitel 2 Die Anwendbarkeit deutschen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts auf Diensteanbieter sozialer Netzwerke 175

Sofern der Diensteanbieter, wie häufig, seinen Sitz im Ausland hat, stellt sich zunächst die Frage nach dessen Verfolgbarkeit bzw. der Anwendbarkeit deutschen Straf- (siehe A.) und Ordnungswidrigkeitenrechts (siehe B.) sowie deren Nichtausschluss durch das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG bzw. Art. 3 ECRL (siehe C.).

175 Das Kapitel stellt eine Weiterentwicklung eines Beitrags des Autors in MMR 2017, 227ff. dar und beruht daher im Ausgangspunkt und seiner Struktur auf diesem Beitrag.

A. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts

Zunächst soll in diesem Zusammenhang die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts untersucht werden.

Deutsches Strafrecht gilt gem. § 3 StGB grundsätzlich nur für Taten, die im Inland begangen werden. Auf im Ausland begangene Taten findet das deutsche Strafrecht nur ausnahmsweise und in besonders geregelten Fällen Anwendung.176 Hinsichtlich der Straftatbestände, die § 1 Abs. 3 NetzDG in Bezug nimmt, ist zunächst auf die Ausnahme des § 6 Nr. 6 StGB hinzuweisen. Diese sieht eine Anwendung deutschen Strafrechts auch bei einer Auslandstat vor, wenn die Tat die Verbreitung sog. harter Pornographie177 zum Gegenstand hat. Unter bestimmten Voraussetzungen gilt das deutsche Strafrecht nach § 5 StGB, unabhängig vom Recht des Tatorts, auch für Taten des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen nach § 86 Abs. 1 StGB (§ 5 Nr. 3 lit. a StGB), des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB (§ 5 Nr. 3 lit. b StGB), der landesverräterischen Fälschung nach § 100a StGB (§ 5 Nr. 4 StGB), der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten nach § 111 StGB (§ 5 Nr. 5a lit. a StGB) und der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB (§ 5 Nr. 5a lit. b StGB), die im Ausland begangen werden.

Ob eine Tat im Inland begangen wurde, richtet sich nach § 9 StGB, der den Ort der Tat regelt.

I. Ort der täterschaftlichen Begehung

In diesem Zusammenhang bestimmt § 9 Abs. 1 StGB den Ort der täterschaftlichen Begehung. Da der Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks in Bezug auf die von seinem Nutzer verbreiteten rechtswidrigen Informationen regelmäßig jedoch weder Täter noch Mittäter ist (siehe Kapitel 4 B.), kommt eine Anwendung deutschen Strafrechts über diese Regelung grundsätzlich nicht in Betracht.

II. Ort der Teilnahme

Vielmehr richtet sich die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts für den Diensteanbieter als Gehilfen (siehe Kapitel 4 B. III.) nach dem Ort der Teilnahme (§ 9 Abs. 2 StGB).

1. Handlungs- und Unterlassungsort des Teilnehmers

Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 StGB ist die Teilnahme unter anderem sowohl an jedem Ort begangen, an dem der Teilnehmer gehandelt hat (Var. 2) oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen (Var. 3).

Soweit es sich bei dem Diensteanbieter des sozialen Netzwerks um einen solchen aus dem Ausland handelt, handelt er grundsätzlich nicht im Inland, sondern am ausländischen Sitz des Unternehmens.178 Eine Teilnahme gilt daher nicht gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 StGB als im Inland begangen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn es sich um einen inländischen Diensteanbieter handelt und die für ihn handelnde natürliche Person ihre Handlung im Inland vornimmt oder die für einen ausländischen Diensteanbieter handelnde Person ausnahmsweise im Inland handelt. Dann gilt die Teilnahme gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 StGB als im Inland begangen.179

Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für den Fall des Unterlassens (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 StGB). Denn der Ort, an dem der Teilnehmer, also der Diensteanbieter, hätte handeln müssen, bestimmt sich in erster Linie durch den Aufenthaltsort des Teilnehmers.180 Zudem wird vertreten, dass abweichend vom Aufenthaltsort auch der Ort als Anknüpfungsort in Betracht kommt, „an dem der Täter zur Abwendung des tatbestandsmäßigen Erfolges hätte handeln können“.181 Dies ist regelmäßig der Niederlassungsort des Diensteanbieters, an dem die handelnde bzw. unterlassende Person tätig ist.182 Bei einem ausländischen Diensteanbieter liegt der Niederlassungsort jedoch regelmäßig nicht im Inland. Ebenso halten sich die für den Diensteanbieter handelnden Personen regelmäßig nicht im Inland auf. Hält sich der Teilnehmer im Ausland auf und besteht ausnahmsweise eine Niederlassung im Inland, von welcher aus er hätte handeln können, ist von einer Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auszugehen. Hiervon ist auch auszugehen, wenn er eine Tochtergesellschaft im Inland hätte anweisen können, da er dann mit dieser im Inland hätte handeln können. Dies ist auch insofern konsequent, als dass er nach deutschem Strafrecht strafbar wäre, würde er zu einer Tat durch Mitarbeiter der inländischen Tochtergesellschaft anstiften oder diese fördern, da er dann an einer inländischen Haupttat teilnehmen würde. Die Anwendung deutschen Strafrechts auf den ausländischen Diensteanbieter wird sich aber in der Regel mangels solcher Handlungsmöglichkeiten nicht über den Unterlassungsort gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 StGB begründen lassen. Anders jedoch wiederum für inländische Diensteanbieter, die ihre Niederlassung im Inland haben und deren verantwortlich handelnde Personen sich regelmäßig im Inland aufhalten.

2. Ort der Haupttat

Für ausländische Diensteanbieter kommt ein inländischer Ort der Teilnahme daher grundsätzlich nur über den Ort der Haupttat in Betracht. Denn gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 StGB ist die Teilnahme – unabhängig vom Handlungsort des Teilnehmers – auch an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist. Der Ort, an dem die Tat begangen ist, richtet sich dabei wiederum nach § 9 Abs. 1 StGB.

a. Handlungsort des Täters, § 9 Abs. 1 Var. 1 StGB

In der weit überwiegenden Zahl der Fälle, gegen die sich die von § 1 Abs. 3 NetzDG in Bezug genommenen Normen richten, wird sich der inländische Begehungsort der Haupttat bereits aus dem Handlungsort des Täters ergeben (§ 9 Abs. 1 Var. 1 StGB). Hierbei handelt es sich um jeden Ort, an dem der Täter gehandelt hat, also „eine auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Tätigkeit entfaltet hat“.183 Ort der (Haupt-)Tat ist demnach dann das Inland, wenn der Täter den strafbaren Inhalt von Deutschland aus in das Internet bzw. soziale Netzwerk eingestellt hat.184 Das deutsche Strafrecht findet in diesem Fall auch auf den ausländischen Teilnehmer gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 StGB Anwendung.185

Aber nicht nur ein Handeln mit Aufenthalt im Inland soll nach einer Auffassung zu einem inländischen Handlungsort führen, sondern auch ein Handeln bei Aufenthalt im Ausland, wenn der Täter die strafbare Information vom Ausland aus zielgerichtet auf einem im Inland befindlichen Server speichert, da er dann auf dem inländischen Server und damit im Inland handelt.186

Soweit es sich bei dem sozialen Netzwerk um ein solches eines ausländischen Diensteanbieters handelt, werden sich die Server in aller Regel nicht im Inland befinden, sodass ein Handeln im Inland schon deshalb ausscheidet.187 Aber selbst dann, wenn der Diensteanbieter ausnahmsweise auch Server im Inland betreibt, kann der Nutzer den Speicherort nicht selbst bestimmen, sodass von einem zielgerichteten Speichern auf einem inländischen Server keine Rede sein kann.188

Darüber hinaus steht dieser Auffassung der Wortsinn des Handelns im Sinne eines positiven Tuns entgegen und geht über diesen hinaus.189 Soweit das Kammergericht Berlin im Hinblick auf eine Fernsehübertragung ausgeführt hat, dass „eine teilweise Verwirklichung der Handlung im Inland“ auch vorliegt, „wenn Wirkungen des Verhaltens, die nach der tatbestandlichen Handlungsbeschreibung als deren Bestandteil zu betrachten sind, dort eintreten“,190 ist dem entgegenzuhalten, dass derjenige, der „in Polen die Hand hebt, [...] nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ebenso wenig in Deutschland [‚handelt‘] wie derjenige, der auf polnischem Boden stehend einen Menschen in Deutschland erschießt“.191 Das Gleiche muss für denjenigen gelten, der vom Ausland aus – z.B. durch Tastatureingabe und/oder Mausbewegungen – eine rechtswidrige Information in ein soziales Netzwerk einstellt.192 Er handelt allein an seinem Aufenthaltsort im Ausland, wo sich seine Handlung durch körperliche Energie entfaltet. Kommt es dabei zu einer Speicherung der Information auf einem Server im Inland, handelt es sich allein um die bloße Folge der tatbestandlichen Handlung im Ausland.193

Auch scheidet eine Anknüpfung an ein Unterlassen des Täters und damit den Ort, an dem der Täter hätte handeln müssen (§ 9 Abs. 1 Var. 2 StGB), in aller Regel aus, da der Täter die rechtswidrige Information grundsätzlich aktiv, also durch positives Tun, in das soziale Netzwerk einstellt.

b. Erfolgsort

Bei einem Handeln des Täters im Ausland kommt es deshalb für die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts grundsätzlich darauf an, ob der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte (§ 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB). Ein solcher besteht „in einer von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbaren Außenweltsveränderung“.194 Ob eine solche zu bejahen ist und damit ein zum Tatbestand gehörender Erfolg vorliegt, bestimmt sich nach dem jeweiligen Deliktstyp des einschlägigen Straftat- bzw. Bußgeldtatbestands.

aa. Erfolgsdelikte in Form von Verletzungsdelikten

Bei sog. Erfolgsdelikten in Form der Verletzungsdelikte ist das Vorliegen eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs unproblematisch zu bejahen. Diese setzen nämlich einen tatbestandlichen Erfolg voraus, der nicht von der Handlung selbst umfasst ist und gerade über die bloße Handlung hinausgeht (z.B. der Tod des Tatopfers in § 212 Abs. 1 StGB).195