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DIGITALE BILDKULTUREN

Durch die Digitalisierung haben Bilder einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Dass sie sich einfacher und variabler denn je herstellen und so schnell wie nie verbreiten und teilen lassen, führt nicht nur zur vielbeschworenen »Bilderflut«, sondern verleiht Bildern auch zusätzliche Funktionen. Erstmals können sich Menschen mit Bildern genauso selbstverständlich austauschen wie mit gesprochener oder geschriebener Sprache. Der schon vor Jahren proklamierte »Iconic Turn« ist Realität geworden.

Die Reihe DIGITALE BILDKULTUREN widmet sich den wichtigsten neuen Formen und Verwendungsweisen von Bildern und ordnet sie kulturgeschichtlich ein. Selfies, Meme, Fake-Bilder oder Bildproteste haben Vorläufer in der analogen Welt. Doch konnten sie nur aus der Logik und Infrastruktur der digitalen Medien heraus entstehen. Nun geht es darum, Kriterien für den Umgang mit diesen Bildphänomenen zu finden und ästhetische, kulturelle sowie soziopolitische Zusammenhänge herzustellen.

Die Bände der Reihe werden ergänzt durch die Website www.digitale-bildkulturen.de. Dort wird weiterführendes und jeweils aktualisiertes Material zu den einzelnen Bildphänomenen gesammelt und ein Glossar zu den Schlüsselbegriffen der DIGITALEN BILDKULTUREN bereitgestellt.

Herausgegeben von

Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich


Varianten des Hampsterdance (1998)

»Er ist tot und er wird sterben« Roland Barthes über Alexander Gardners Foto von Lewis Payne (1865)1

1 | Einleitung

1872 beauftragte der Unternehmer und ehemalige Gouverneur Kaliforniens Leland Stanford den Fotografen Eadweard Muybridge damit, ein galoppierendes Pferd zu fotografieren. Mit dem Bild sollte geklärt werden, ob ein Pferd im Galopp immer mindestens einen Huf am Boden hat oder ob sich zu einem Zeitpunkt alle vier Beine in der Luft befinden. Muybridges fotografische Experimente führten 1878 schließlich zum Bau der berühmten Anlage, in der ein vorbeireitendes Pferd nacheinander zwölf Kameras auslöste. So entstand eine Fotoserie, die alle Bewegungsphasen des Galopps festhielt. In ihr war bekanntlich deutlich zu erkennen, dass an einer Stelle des Laufs alle Hufe über dem Boden schwebten.2

Muybridge zeigte die folgenreiche Bilderserie (und Hunderte von weiteren chronofotografischen Bewegungsstudien, die in den nächsten Jahren folgen sollten) in Ausstellungen, Büchern und bei Vorträgen. Zwei Jahre später entwickelte er das sogenannte Zoopraxiskop: eine Laterna magica, die auf eine Glasscheibe gemalte Versionen seiner Fotos auf eine Leinwand projizierte. Die Bewegungsabläufe sollen dabei erstaunlich flüssig gewesen sein.

Wenn man diese zwölf Bilder heute als Animation sehen will, braucht man dafür kein Zoopraxiskop mehr. Auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite über Muybridge ist die historische Sequenz in Bewegung zu sehen – als GIF-Animation.3 Als »Remediation«4 enthält dieses neue Medium ein älteres Medium.

GIF ist ein digitales Bildformat, das 1987 von Mitarbeitern des Online-Dienstes CompuServe entwickelt wurde. Die Abkürzung GIF steht für »Graphics Interchange Format«, weil das Dateiformat es erlaubte, Bilder auf allen zu dieser Zeit gängigen Computertypen darzustellen.5 Aber GIF hatte noch eine zweite Eigenschaft, die ein zufälliger Beifang des neuen Formats war: Man konnte mehrere Bilder in einer Datei speichern. Diese Bilder konnten aufeinanderfolgend angezeigt werden – dadurch ließen sich mit GIF kurze Animationen herstellen.

Diese Besonderheit des GIF hatte man bei seiner Entwicklung noch nicht erkannt. So wie die Erfinder der Rohrpost nicht Franz Kafkas Kurznachrichten an Milena Jesenská und die Gründer von YouTube nicht PewDiePie oder »Unboxing«-Videos vorhersehen konnten, so ahnten auch die GIF-Schöpfer nicht, welche kulturelle Rolle ihre Erfindung dank dieser Eigenschaft spielen würde. Doch als der GIF-Standard knapp zwei Jahre später überarbeitet wurde, war diese unbeabsichtigte Begleiterscheinung auch den Schöpfern dieses Dateiformats aufgefallen: »Graphics Interchange Format ist nicht als Plattform für Animationen gedacht, auch wenn diese in begrenztem Umfang möglich sind«,6 heißt es in der zweiten technischen Beschreibung des Formats von 1989.

In begrenztem Umfang möglich? Es ist nicht das erste Mal, dass die Erfinder einer Technologie deren Potenzial vollkommen falsch einschätzen – man denke an die Gebrüder Lumière, die die Filmproduktion einstellten, weil sie dem Medium Film keine Chance einräumten, oder an Thomas Alva Edison, der versuchte, seinen Phonographen als Anrufbeantworter zu vermarkten. Heute ist die Eigenschaft der GIFs, kurze Animationen zeigen zu können, so prägend, dass der Begriff meist gleichbedeutend mit sehr kurzen Videoloops im Internet verwendet wird. Wer heute GIF sagt, meint in der Regel GIF-Animation. Und obwohl GIF-Animationen inzwischen ein technischer Anachronismus sind, haben sie bis heute im Netz überlebt. Aus einem eigentlich obsoleten Dateiformat ist ein Netzphänomen, ja, eine eigene »digitale Bildkultur« entstanden.

Die wenige Bildkader langen Animationen begründeten den Siegeszug von GIF, der Mitte der neunziger Jahre während der Entstehung des World Wide Web begann und bis heute nicht enden will. Zu einer Zeit, in der Internetverbindungen langsam und das Streaming von Online-Video ein Ding der Unmöglichkeit war, erlaubten sie es, ein bisschen Bewegung auf ansonsten statische Websites zu bringen. Eine Armee von Laien-Animateuren machte sich an die Arbeit und schuf in wenigen Jahren ein riesiges, unüberschaubares Repertoire an winzigen Wackelbildern. Diese oft cartoonhaften Computergrafiken, die Wanda Strauven als »GIF 1.0« bezeichnet,7 sind gleichsam die Höhlenzeichnungen des Webs. Sie gehörten zu den ersten künstlerischen Bildschöpfungen in dem neuen technischen Medium.

Nachdem ihre Popularität um das Jahr 2000 etwas nachgelassen hatte, da inzwischen andere Möglichkeiten entstanden waren, um im Netz bewegte Bilder zu zeigen, erlebte das Format ab Ende der Nullerjahre eine unerwartete Renaissance, die sich als Ära von »GIF 2.0« fassen lässt.8 In Webforen wie 4Chan, Tumblr oder Reddit erschienen als GIF geloopte Videograbs, also kurze Sequenzen aus Filmen, Fernsehserien und Amateurvideos. Diese endlos geloopten Videoschnipsel sind zu einer Art Lingua franca des Internets geworden. Von solchen Sites für »user-generated content« stammten und stammen bis heute viele der GIFs von den Grimassen Donald Trumps oder den Ausrastern Kanye Wests, die ihren Weg in den Mainstream der Sozialen Medien, zu Twitter, WhatsApp oder Instagram finden. Selbst Facebook, das GIF-Animationen lange wie eine Art digitale Graffiti zu unterdrücken versuchte, musste schließlich klein beigeben.

2012 nahm das Oxford English Dictionary »GIF« als Nomen und Verb als »Wort des Jahres« auf. GIF-Erfinder Steve Wilhite wurde im folgenden Jahr bei den Webbys, einer Art Internet-Oscar, mit einem Lifetime Achievement Award für seine Schöpfung ausgezeichnet. Die Kanonisierung der GIF-Animation hatte begonnen.

Heute sind GIF-Animationen ein zentrales Element der Netzkultur, genauso wie Emojis, Meme oder Hashtags. In den Sozialen Medien ersetzen sie häufig verbale Statements und Repliken. Statt einem Wort der Zustimmung kann man ein Bild von Orson Welles als »Citizen Kane« posten, der langsam und betont in die Hände klatscht. Statt mit einem LOL (kurz für »Laughing Out Loud«) antwortet man mit einem GIF von SpongeBob, der sich vor Lachen ausschüttet; Resignation wird nun durch einen geloopten Kurzclip mit dem Schauspieler Patrick Stewart signalisiert, der als Captain Jean-Luc Picard in Star Trek die »Facepalm«-Pose einnimmt, also sein Gesicht entnervt in seiner Handfläche vergräbt. (# 1) So wurden die GIFs zu einer Methode, sich im Netz mit Hilfe von Bildern zu verständigen. In einer Art visueller Stenografie werden Reaktionen, Ideen und Begriffe als GIF-Meme auf den Punkt gebracht. Der Internetlogik des Mashup folgend werden solche Kurzvideos von ihren Nutzern immer wieder neu bearbeitet; neue Sinnzuschreibungen und Umdeutungen inklusive.

# 1 Bekannte GIFs aus Citizen Kane und Star Trek: Next Generation

Inzwischen haben auch Medien-, Kunst- und Kulturwissenschaften das Thema für sich entdeckt: Es gibt nicht nur eine Geschichtsschreibung der GIF-Animation, sondern sogar schon miteinander rivalisierende Periodisierungen.9 Vor allem in der englischsprachigen Literatur ist die GIF-Animation mittlerweile aus den verschiedensten Perspektiven betrachtet worden.10 Akademische Konferenzen11 und Netzkulturveranstaltungen wie ROFLcon12 haben sich mit der GIF-Animation beschäftigt. Sogar eine neue interdisziplinäre Forschungsrichtung namens »Still/Moving Studies« hat bereits besondere Kompetenz für die Auseinandersetzung mit GIFs beansprucht.13

Ich selbst habe mich in meinem Buch Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops14 mit medialen Wiederholungsstrukturen beschäftigt. Mich interessierte dabei, wie Künstler und Komponisten mit Hilfe von Aufzeichnungsmedien aus variationsloser Repetition erstaunlich vielseitige und folgenreiche ästhetische Methoden entwickelt haben. Um die repetitiven Eigenschaften von Wiedergabemedien wie Filmprojektoren oder Tonbändern zu betonen und selbstreferentiell zu nutzen, richteten diese Künstler diese Medien selbst technisch so ein, dass sie kurze Sequenzen von aufgezeichnetem Bild oder Ton wiederholten. Wie bei GIFs musste man auch bei vielen frühen analogen Medien Bilder und Klänge aus technischen Gründen und/oder schlicht wegen des beschränkten Speicherplatzes wiederholen statt sie linear ablaufen zu lassen, wie beispielsweise im Fall des Phenakistiskops (auch Lebensrad genannt) oder des Zoetrops (beziehungsweise der Wundertrommel). Auch frühe Filmvorführgeräte wie Edisons Kinetoskop-Guckkasten und sein Vitaskop-Projektor, Ottomar Anschütz’ »Schnellseher« oder das Bioskop der Brüder Skladanowsky zeigten zunächst kurze Bildsequenzen als Dauerschleife, keine linear-narrativen Filme.15

 

Auch beim Computer war der häufige Gebrauch von rekursiven Strukturen in der Software eine Methode der Begrenzung. Komplexe Programmabläufe wurden dadurch in kleine, sich wiederholende Einheiten zerlegt, die vom Rechner leichter zu verarbeiten waren als lange Befehlsketten. Diese technische Vorgehensweise prägte wiederum die frühen digitalen Medien wie Sampler, frühe Videoprogramme wie MacroMind Director oder eben GIFs, die rekursive Verfahren nutzten, um mit wenigen Daten maximale Wirkung zu erzielen.

Wenn man das GIF in diesem historischen und technischen Rahmen betrachtet, fallen interessante Parallelen in Gestaltung, Sujets und Nutzungsweisen zu den Vorläufern des Films auf, die das GIF 2.0 der Gegenwart in einem anderen Licht erscheinen lassen. Im intermedialen Vergleich werden Motivreigen sichtbar, die sich über Jahrhunderte hinweg entfalten, und man entdeckt Methoden der selbstreflexiven Gestaltung, die die Eigenschaften und Einschränkungen der verschiedenen Formate thematisieren. Gleichzeitig wird deutlich, was das GIF von anderen Medienformen unterscheidet, die auf der Wiederholung kurzer Bildsequenzen beruhen. Das GIF erweist sich dann als genuin digitales Format, das für die Verbreitung in Netzwerken entstanden und von einer Reihe kultureller Praktiken geprägt ist, die – wie wir sehen werden – typisch für die Computerkultur als ganze sind: »Hacking«, »Bootstrapping« und eine Existenzweise, in der es nie abschließende Resultate gibt, sondern immer nur vorläufige Versionen, auf die immer neue Weiterentwicklungen, Metamorphosen und Mutationen folgen.

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