Buch lesen: «Der moderne Mann in unsicheren Zeiten»

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THOMAS TUMA

Der moderne Mann
in unsicheren Zeiten

50 neue Kolumnen



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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-86936-835-1

ISBN epub: 978-3-95623-707-2

Lektorat: Anja Hilgarth, Herzogenaurach

Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de

Titelzeichnung: Max Fiedler

Autorenfoto: Frank Beer

Satz und Layout: Das Herstellungsbüro, Hamburg |

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© 2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Das E-Book basiert auf dem 2018 erschienenen Buchtitel “Der moderne Mann in unsicheren Zeiten” von Thomas Tuma, ©2018 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

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INHALT

Wann ist der Mann ein Mann?

Ein Interview von Herrn K. mit Herrn T.

Neue gesammelte Kolumnen

1. Wie moderne Kunst das Büro erobert

2. In Hotline-Labyrinthen

3. Hört doch eh niemand zu

4. Weicheier auf »Wolke vier«

5. Angry Birds im Sales Funnel

6. Betriebsausflug in den Wiesn-Wahn

7. Wahrheiten in Wellness-Katakomben

8. Wer hat den miesesten Job?

9. Läuft bei dir, du Smombie!

10. Erst Gardasee, dann starb noch Opa Heinz

11. Weniger Motivations-Floskeln, bitte!

12. Wertegemeinschaft am Weihnachtsmarkt

13. Wenn Adventskalender lebendig werden

14. Schatt ab jor Maus plies!

15. Wie viel Feuerwerk ist erlaubt?

16. Das Geheimnis guter Vorsätze

17. Shitstorm – leicht gemacht

18. Auf dem Weg zum Halbmarathon (Sport 1)

19. Körper-Klaus im Dschihad-Camp (Sport 2)

20. Verblöden, aber glücklich (Sport 3)

21. Weshalb man »Bachelor« schauen darf

22. »BlumenTopf1« reagiert nicht mehr

23. Die Wahrheit über Bruno Schmidt

24. Wie die Midlife-Crisis weiblich wurde

25. Auf irgendetwas warten wir immer

26. Ehrenrettung für den deutschen Stammtisch

27. Schon Cicero wusste …

28. Das deutsche Dienstwagen-Geheimnis

29. Rock ’n’ Rollkoffer

30. Sophie-Antoinette soll’s mal besser haben

31. Wann kommt die Industrie 5.0?

32. Mission Nudelholz – im Reich der Faszien

33. Landluft macht high

34. Das Geheimnis des Billighotels

35. Begegnung in der Lounge

36. Alter weißer Mann, was nun?

37. Happy Purzeltag

38. Das Kreuz mit der Krawatte

39. Gucci-Glucke versus Kita-Schnepfe

40. Sie Dödel oder du Dödel?

41. Flug EW 1007 darf nicht pünktlich sein

42. Im Kosmos der Kapseln

43. Sein Home ist sein Castle

44. Sein Home ist sein Castle (2)

45. Sein Home ist sein Castle (3)

46. Flamenco in der Firmen-Kita

47. Die Lehre des Leerguts

48. Meyer macht das Licht aus

49. Man merkt, dass man älter wird, wenn …

50. Nachdenken über Hergenröther

Der Protagonist – Herr K.

Der Autor – Herr T.

WANN IST DER MANN
EIN MANN?


Was macht den modernen Mann aus? Soll er sich mit Kunst auskennen oder besser einen WLAN-Router installieren können? Reicht es, wenn er seine Faszien trainiert, oder muss er mehrfach pro Jahr an Halbmarathons in schwer zugänglichen Bergregionen melancholischer Schwellenländer teilnehmen? Welchen Rollkoffer / Dienstwagen / Internet-Provider braucht er? Soll er die westliche Wertegemeinschaft auch auf dem Stadtteil-Weihnachtsmarkt verteidigen? Und was sind die untrüglichsten Indizien dafür, dass er älter wird? Auf all diese Fragen finden Sie in diesem Buch Antworten.

Dies ist die zweite Sammlung mit Kolumnen rund um Herrn K., der seit gut drei Jahren jede Woche im Handelsblatt über das Dasein als Mann und Mensch und Mensch im Mann philosophiert. Die Zeit ist reif, dass die Kunstfigur ihren Schöpfer interviewt, Thomas Tuma.

— — —

Herr Tuma, Ihre Kolumnen drehen sich rund um meine Person, Herrn K. Wie kamen Sie ausgerechnet auf mich?

Sie sind verheiratet, haben zwei Kinder, leben in geordneten Verhältnissen und waren mir als gesellschaftlicher Durchschnitt diesseits von Neonazis, IS-Gefährdern oder Helene-Fischer-Fans auch menschlich nicht fremd.

Na danke!

Bitte! Und bitte nix gegen den Durchschnitt. Er liefert eine beruhigende Zuflucht in volatilen Zeiten wie heute, da man schon froh ist, morgens nichts über einen neuen Weltkrieg oder wenigstens Trump-Tweet lesen zu müssen.

Ihre Kolumne heißt »Der moderne Mann«. Wie geht’s dem Mann an sich?

Finanziell natürlich hervorragend angesichts einer schier endlos boomenden deutschen Volkswirtschaft. Die Generation U-40 weiß ja gar nicht mehr, was Arbeitslosigkeit bedeutet. Auch gesundheitlich war der moderne Mann in anderen Jahrzehnten deutlich schlechter gestellt. Früher gab’s ja noch Cognac auf der Kurzstrecke, und man ging zum Rauchen nicht in stickige Glaswaben, sondern in die Kantine. Wer damals Sport trieb, galt schnell als gesellschaftlicher Außenseiter. Heute geht es ohne regelmäßige Triathlons kaum noch. Andererseits ist der Mann an sich chronisch irritiert.

Von all den Geschlechter-Debatten?

Um dieses eher heikle Thema noch ein wenig zurückzustellen: Er ist heute mit vielerlei Fragen konfrontiert.

So in der Art: Wie ist Syrien zu befrieden? Oder: Welche Geldanlage hilft noch gegen die omnipräsente Nullzinspolitik?

Ach, das ist alles so weit weg. Es geht schon los bei: Bin ich der Weber-Grill-Typ, der »Beef« auswendig lernt und seinen Freunden abends eine komplette Rinderhälfte kredenzt? Oder doch der Mann für den Gemüseauflauf an Veggie-Fleischwurstscheibchen nach eigenem Rezept? Brauche ich einen Bart, einen Twitter-Account, eine stylische Lebensmittel-Allergie? Was mache ich in der obligatorisch gewordenen Elternzeit wirklich? Vielleicht ein Buch über Elternzeit-Papis schreiben? Das ist ja ein eigenes literarisches Genre geworden. Aber auch: Wie entschleunige ich richtig? Und vor allem natürlich: Wann macht die erste App mich und meinen Job überflüssig?

Das meiste davon fragen sich doch nicht nur Männer?

Aber da ich selbst einer bin, weiß ich da wenigstens einigermaßen, wovon ich spreche. Die weitaus komplexeren Frauen-Fragen überlasse ich gern anderen.

Es geht also quasi existenziell zu?

Es sind revolutionäre Zeiten. Insofern gibt auch dieses Buch Antworten auf die drei Grundfragen des 21. Jahrhunderts: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viele Bonusmeilen kriege ich bei der Lufthansa dafür?

Sie scherzen.

Leider nein.

Das sind doch keine wirklich wichtigen Fragen.

Doch, weil zugleich das Tempo der Veränderung enorm zugenommen hat und uns chronisch verunsichert. Es ist ja noch nicht sooo lange her, dass es kein Internet, Navi oder Smartphone gab, dafür Stadtpläne, Wählscheiben-Telefone und die DDR. Patchwork kannte man nur von Omas Flickenteppich, und Burn-out war noch nicht mal erfunden. Alte Sascha-Lobo-Anekdote: »Wie ging man denn früher online, Papi, als es noch keine Computer gab?«

Aha, Sie wünschen sich die gute alte Zeit zurück!

Um Gottes willen, keineswegs! In meiner Schulzeit waren die Informatik-Profis noch die Alukoffer-Außenseiter, die bei der Mannschafts-Aufstellung im Schulsport immer die Dreingaben waren. Heute regieren sie Hidden Champions im Bereich B-to-B-Solutions mit loft-ähnlichen Dependancen auf drei Kontinenten. Das ist doch toll.

IT ist nicht so Ihr Ding, was?

Zu meiner Schande muss ich gestehen: Ich könnte weder meine eigene Homepage programmieren noch im Darknet Anabolika oder Flammenwerfer kaufen. Mir fehlt es schon am nötigen Vokabular, um mich auch da zu verbessern, pardon: um meine Skills straight to the point zu leveragen. Früher hat man mit so einer IT-Ignoranz ja noch kokettiert. Heute ist sie nur noch peinlich. Und das meine ich völlig unironisch.

Aber Sie klingen leicht fortschrittsfeindlich …

… bin aber das totale Gegenteil: Ich finde all die skizzierten Entwicklungen spannend und beobachte mit großem Interesse, wie schnell alles geht … So schnell, dass wir mit unseren Verhaltensweisen nicht immer Schritt halten können.

Wir Männer bleiben Neandertaler?

Da hat sich meiner Ansicht nach doch nicht nur bei uns in Deutschland erfreulicherweise viel verändert. Ich kann nicht für jeden alleinreisenden Nachwuchs-Salafisten aus unsicheren Herkunftsländern sprechen. Aber schauen Sie sich nur mal die Männerfiguren in Film oder Literatur an! Wie Sean Connery als James Bond noch mit Frauen umsprang und wie sein Nachfolger Daniel Craig in den vergangenen Jahren agierte. Das ist ein Unterschied wie zwischen Steinkeule und Magnet-Resonanz-Tomograph. Und da sind nur wenige Jahrzehnte vergangen …

… womit wir endlich beim Gender-Thema wären.

Für manche ein echtes Schlachtfeld, auf dem ich mich schon deshalb alles andere als zu Hause fühle. Aber natürlich finden sich alle Verhaltenstipps zu Geschlechterfragen im Buch …

… Sie mogeln sich mit billiger Reklame um eine Antwort!

Wenn ich Reklame machen wollte, würde ich ja sagen: »Der moderne Mann« ist das ideale Geschenk nicht nur für Männer, sondern auch für deren Frauen, Mütter, Affären, Sozialtherapeutinnen und Bewährungshelferinnen.

Hören Sie auf!

Und hatte ich erwähnt, dass das Buch nicht nur Lebenshilfe bietet, sondern auch eine wunderbare Geschenkidee ist? Quasi für die ganze Familie. Ich kann auch deshalb hier so hemmungslos dafür werben, weil ich an den Milliardenumsätzen, Hollywood-Verfilmungen und Streaming-Drittverwertungsrechten gar nicht beteiligt bin.

Da sind wir ja schon zwei.

Sehen Sie, Herr K. Und wir »modernen Männer« werden immer mehr.

Beklagen Sie sich gerade?

Nichts liegt mir ferner. Es gibt ohnehin nichts Schlimmeres als jammernde Männer. Wenn ich hier überhaupt etwas empfehlen darf, dann: Mehr Haltung bitte! Wer rumheult, hat schon verloren.

Vielen Dank für das Interview, Herr Tuma.

NEUE GESAMMELTE KOLUMNEN


1.


WIE MODERNE KUNST DAS BÜRO
EROBERT

Mit der Kunst im Büro fing Frau Dr. Schwielow an. Irgendwann hing hinter ihrem Vorstands-Schreibtisch plötzlich eines dieser Nagelbilder von Günther Uecker. Gut, es waren mehr so Nagelabdrücke auf Papier. Und nummeriert war das Werk auch (147 205). Aber das machte nichts, seither konnte sie über Uecker oder seine pommerischen Ursprünge reden, als hätte sie dort ihre Unschuld an ihn verloren.

»Ostpommern, Westpommern, is’ mir alles so was von Latte«, murmelte Koslowski, der bei sich im Büro ein Star-Wars-Filmplakat (Episode IV) und den 2011-Jahreskalender eines mittelständischen Badezimmer-Armaturen-Herstellers aus dem Ostschwäbischen hängen hat. Im Gegensatz zu Koslowski hat Berger aus dem Marketing ein feines Gespür für Trends. Eine Woche später präsentierte er stolz ein hochgradig abstraktes Werk aus Elefanten-Dung und Handyplatinen: »Von einer blinden Berlinerin. Meisterschülerin von Schwarwelstedt, wenn euch das was sagt.«

Tat es nicht, provozierte aber dennoch ein geradezu tektonisches Beben, das schnell bis in den Vorstand zurückzitterte, wo Frau Dr. Schwielow und die anderen sich fortan mit Werken unterschiedlichster Provenienz überboten. Russische Neo-Dadaisten. Videokunst aus Island. Kadaver-Art einer Abspaltung der flämischen Op-Art-Gruppe »Flghngdh«, die »übrigens Breughel als ihren gedanklichen Vater begreift«, wie Dr. Schwielow bei einem abendlichen »Art-Workshop« vor elf Kolleginnen aus den unteren Rängen in der Kantine erklärte. Herr K. war der einzige Mann. Es gab Pinot Grigio und Zuchtlachs-Canapés.

Kunst ist der neue Weinkeller, verstand Herr K. Geldanlage mit Esprit. Wo man früher über die Kalkböden piemontesischer Südwest-Steilhanglagen fachsimpelte, kann man nun die Lebensläufe 22-jähriger Kunstakademie-Anfänger referieren, die vielleicht die nächsten Richters oder Gurskys werden – oder auch nur als verkrachte Bohemiens auf Flohmärkten enden. Man weiß es ja nie. Aber Geld ist zurzeit ja genug da.

Als Herr K. zwei Wochen später seinen neu erworbenen zwölfteiligen Aquarell-Zyklus »burningaleppo« vorstellte, wusste er, dass er damit auf lange Zeit die innerbetriebliche Benchmark gesetzt haben würde. »Die Künstlerin ist von Syrien zu Fuß bis Ruhpolding gelaufen«, erklärte er. »Die Bilder trug sie in einer mit Wachs abgedichteten Flak-Patronenhülse bei sich.« Selbst Koslowski erschauderte, bevor Frau Dr. Schwielow ihre Sprache wiederfand: »Wahnsinn, diese Farbintensität! Diese pastose Kraft!« Auch Berger aus dem Marketing flankierte: »Und diese abgründige Hoffnung.« »Aber auch in Neon gegossene Melancholie, irgendwie«, fand Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung.

An diesem Abend kam Herr K. sehr glücklich nach Hause. Nach dem Essen zog er seinen sechsjährigen Sohn beiseite: »Sag mal, kannst du mir noch ein paar so schöne Bilder zu unserem letzten Urlaub malen wie neulich? Darf ruhig ähnlich depri sein.«

2.


IN HOTLINE-LABYRINTHEN

Herr K. ist von der Kundenorientierung der deutschen Wirtschaft überzeugt – bis bei ihm zu Hause der Router kaputtgeht. Der was? »Das is’ das Ding, das dein WLAN am Laufen hält«, erklärt ihm seine augenrollende Tochter, was ja schon peinlich genug ist. Zur Strafe muss er bei der Hotline anrufen, die diese Router offenbar vertreibt.

»Herzlich willkommen bei Ihrem Anbieter für Internet, Telefon und TV«, begrüßt ihn eine Automatenstimme, die in solchen Fällen immer weiblich ist. »Sie interessieren sich für ein neues Produkt, dann wählen Sie bitte die Eins, bei technischen Fragen oder Störungen die Zwei und für unseren Kundenservice die Drei.« Herr K. kann sich schon an dieser Stelle nicht entscheiden – wer, wenn nicht der Kundenservice, ist denn wohl für Störungen zuständig?

»Um Sie mit dem richtigen Ansprechpartner verbinden zu können, geben Sie bitte Ihre 14-stellige Kundennummer ein.« Er legt wieder auf. Wählt erneut. »Um herauszufinden, ob Sie von einer Störung betroffen sind, geben Sie bitte jetzt Ihre Postleitzahl und das achtstellige Passwort Ihres …« Herr K. fängt an, sich sehr analoge Entscheidungsbäume auf ein DIN-A3-Blatt zu malen. Da heißt es auf einmal zur Abwechslung: »Das Gespräch kann zu Schulungszwecken aufgenommen werden. Wenn Sie damit einverstanden sind, drücken Sie die …«

Minuten, Stunden, Tage – alles verrinnt. »Für HDTV wählen Sie die Eins … für Fritzbox die Zwei … für alle sonstigen Themen legen Sie sich gehackt oder kalte Kompressen auf die Stirn …« Herr K. fängt offenkundig an zu halluzinieren. Er war schon froh, dass er den Begriff »Router« unfallfrei hätte stammeln können, aber es fragt ihn ja niemand.

»Um Ihre Smartcard zu aktivieren, wählen Sie bitte die Sechs, für die Selbstinstallation von Blutdruckmessgeräten und Herzschrittmachern …« Herr K. legt wieder auf, denn er hört mittlerweile schon Stimmen. Absurde Stimmen. »Wenn Sie in das vorherige Auswahlmenü zurückkehren wollen, wählen Sie …« Dann ist Herr K. plötzlich ganz nah dran, denn zu einer Großhirn-zerquirlenden Pausenmelodie-Variante von Helene Fischers »Atemlos« heißt es in den nächsten Stunden: »Sie werden mit unserem nächsten freien Service-Mitarbeiter verbunden.« Manchmal bringt ihm seine Frau Essen ans Telefon.

Irgendwann startet Herr K. einen allerletzten Anlauf und hört: »Sie rufen leider außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Für Informationen rund um unsere Kunden-Hotline drücken Sie bitte …« Aber das erreicht ihn schon nicht mehr. Er legt langsam auf und sieht seine Frau, deren Haar grau geworden ist.

Sie erzählt, wie er im Jahr 2017 einen Router bestellen wollte und dass ihre Tochter mittlerweile verheiratet sei und drei Kinder habe. Ihr Sohn studiere in München Maschinenbau. Er müsse jetzt nicht weiter anrufen. Zum einen sei er seit drei Monaten in Rente, zum anderen sei WLAN eine völlig veraltete Technologie. Herr K. umarmt sie müde, aber erleichtert.

3.


HÖRT DOCH EH
NIEMAND ZU

Neulich war Herr K. bei einem geschäftlichen Empfang, als ihm plötzlich ein alter Schulfreund gegenüberstand: »Möönsch, dich hab ich ja eeewig nicht gesehen!«, patschte ihm der andere auf die Schulter. Er war schon früher so ein Anfasser. Nicht bei Frauen, nur bei »Buddys«, was die Sache nicht besser macht.

Dann fragte der andere: »Wie geht’s dir denn?« Und weil Herr K. wusste, dass der Typ noch nie zuhören konnte, antwortete er: »Neulich hab ich mir zwei Finger abgerissen, und meine Tochter ist heroinsüchtig, aber sonst ist alles paletti.« »Mensch, super, du!« Und dann noch: »The best is yet to come, gell?!« Sein Schulfreund patschte ihm erneut auf die Schulter und war schon weitergezogen.

Diese Erfahrung moderner Kommunikationsdefizite war für Herrn K. so aufwühlend, dass er sie am nächsten Tag auch an seiner Sekretärin austesten musste, als die abends fragte: »Ich würd’ dann gern gehen. Kann ich noch was machen?« Er antwortete: »Können Sie bitte in der Kaffeeküche einen Scheiterhaufen anzünden und Schmitt-Scheckenbach aus dem Controlling auf kleiner Flamme rösten! Für mich reicht ein Strick.«

»Alles klar, dann noch ’n schönen Abend«, grüßte sie fröhlich und entschwand in die oktoberschwarze Nacht. Es erübrigt sich zu sagen, dass weder da noch an den darauffolgenden Tagen irgendwelche Feuerwehreinsätze in der Kaffeeküche zwingend geworden wären. Die Schlussfolgerung, dass man einander nicht mehr zuhört, lag für Herrn K. zu nahe. Eigentlich. Deshalb wollte er am nächsten Mittag in der Kantine noch mal sichergehen.

Dort ging es irgendwann um die Frage nach dem »Und-was-machen-Sie-so-am-nächsten-Wochenende?«. Als nach eintönigstem Allerlei die Reihe an ihn kam, sagte Herr K.: »Meine Frau kommt für zwei Tage aus der Entzugsklinik, um sich von mir zu verabschieden … ich hab ja nur noch zwei Wochen. Aber der künstliche Darmausgang ist schon praktisch!«

Koslowski murmelte abwesend: »Cool.« Berger stand bereits auf und wünschte »viel Spaß!«. Nur Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung sah ihn aschfahl an. Er hatte einige Mühe, ihr den experimentellen Charakter seiner Versuchsanordnung zu erklären.

Als er an jenem Abend nach Hause kam, fragte Herr K. seine Frau, was so war, und sie sagte: »Mit deinem Sohn musste ich zum Notarzt, weil er bei einer Schulhofschlägerei eine Gehirnerschütterung abbekommen hat. In der Zeit haben Diebe das Haus auf den Kopf gestellt und das Robbe-&-Berking-Silber mitgenommen. Und deine Mutter ist wegen einer Thrombose ins Krankenhaus eingeliefert worden.«

»Super, Schatz!«, sagte er. »Morgen muss ich dir mal erzählen, wie total aneinander vorbei man im Büro lebt.« Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und legte sich schlafen.

Was lernen wir daraus? Meine Güte, was soll man schon aus Kolumnen lernen! Vielleicht das: Wenigstens Sie, liebe Leser, hören noch genau zu. Print wirkt!

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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