Wirtschaftsphilosophie

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2.1.2.2 Die pseudoaristotelische Ökonomik und ihre Wirkungsgeschichte

Unter dem Namen des Stagiriten ist, wie erwähnt, auch noch ein anderes Buch zu den uns beschäftigenden Fragen, eine Ökonomik in drei Büchern, überliefert worden, die wohl dem 2. oder 1. vorchristlichen Jahrhundert entstammt108. Eduard Zeller hat es (nicht ohne Grund) als hauptsächlichste Besonderheit der Ökonomik angesehen, daß es in ihr zu einer – jetzt auch bibliographisch faßbaren – Ausgliederung der Ökonomik aus der Politik kommt109. Die Aufgabe der Ökonomik wird zu Beginn darin erkannt, »einen Haushalt sowohl zu erwerben als auch zu gebrauchen (cräsasqai)«110. Da sich die Polis nun aus Häusern zusammensetzt, kommt der »Ökonomik« sogar ein gewisses Prae gegenüber der Politik zu; innerhalb der Ökonomik ist aber auch das Verhältnis von Mann und Frau zu bestimmen, die primäre und auch »notwendige«111 soziale Beziehung, an der das Gedeihen des Hauswesens entscheidend hängt. Das erste Buch der Ökonomik behandelt dann weiter – wie auch sein Gegenstück in der Politik – den Besitz von Sklaven; gegen Ende kommt es indes auch kurz auf die Frage des Gebrauchs bzw. der Nutzung der Erträge zu sprechen. Generell bemerkenswert ist, daß bis in die Baulichkeiten hinein das Ziel der Ökonomik »die Gesundheit und das Wohlergehen der Bewohner« des Hauses ist; von einer Wirtschaft, um deretwillen der Mensch da wäre (und nicht umgekehrt), kann in aristotelisch-peripatetischer Perspektive keine Rede sein112. – Das zweite Buch sodann ist besonders wegen der in ihm enthaltenen Darstellung von 77 sogenannten »Schurkenstreichen« bekannt geworden, mit denen bereits in der Antike griechische und persische Regierungen die Staatsfinanzen zu sanieren versucht haben. Man kann die hier zusammengetragenen, mitunter recht amüsanten Anekdoten zum Thema Geldbeschaffung stets auch als indirekten Beleg für die aristotelische These lesen, daß es in der ökonomischen Dynamik als solcher liegt, sich aus dem Umkreis des Ethischen zu »emanzipieren« und sich als bloße Klugheitskunst darzustellen; auf der anderen Seite aber geht es durchaus um echte finanzwirtschaftliche Optionen in fiskalischen Notlagen113. Im übrigen verfährt dieses Buch schon in der Einteilung der Wirtschaftsarten – die einem König, einem Satrapen, einer Polis und einem Privatmann gemäße – »technischer«, als es bei Aristoteles in Sachen der Chrematistik der Fall war; die Beispielgeschichten können ebenfalls als Lehrbuchwissen aufgefaßt werden, das für den Unterricht in diesem Fach, hier zu verstehen als politische Kunst des Gelderwerbs, bestimmt war114. Das (nur in lateinischer Übersetzung erhaltene) dritte Buch kommt schließlich noch einmal auf das Eheleben zurück, jetzt aber im Sinne einer Paränese, also mehr im Sinne einer »moralischen« und weniger im Sinne einer poltisch-soziologischen Betrachtung, wie sie im ersten Buch und der Politik vorherrscht.

Insgesamt kann man zuletzt auch der der aristotelischen Schule entstammenden Ökonomik, trotz ihrer »technischen« Einschläge, die ethische Lehre entnehmen, daß es in aller Wirtschaft zuletzt um ein Handeln um willen des Menschen, nicht um ein anonymes Geschehen um willen abstrakter Zwecke geht. Die Tradition, die bis zum Beginn der Neuzeit hier anschloß, hat entsprechend einen auch in aller Ausdifferenzierung klaren Primat der Politik gegenüber der Ökonomie gelehrt. Die alteuropäischen Wirtschaftsordnungen kannten in aller Regel die Grundunterscheidung zwischen der Ökonomie (im älteren, engeren Sinne) als dem Felde der Selbstversorgung der Häuser und dem Handwerk und den Märkten (der Chrematistik), die jeweils der (stände-)staatlichen Zulassung bedurften und zuletzt unter der Oberaufsicht der »Selbstversorger« standen. In die Neuzeit reicht dieses Grundmodell noch mit der sogenannten »Hausväterliteratur« des 18. Jahrhunderts hinein115: sie reicht damit bis an die Schwelle jenseits des Umbruchs hinan, für die der Titel der »industriellen Revolution« steht, die endgültig andere als aristotelische Kategorien notwendig machen wird.

2.1.3 Die stoische Stellung zu Eigentum, Armut und Reichtum

Platons und Aristoteles’ politisches Ideal ist noch ganz an den klassischen griechischen Stadtstaat, die Polis, gebunden; eine Ausweiterung der politischen Herrschaft auf größere Gebilde, als sie an den Beispielen Spartas, Thebens oder Athens in ihrer besten Zeit ablesbar waren, wird als verderblich ausdrücklich abgelehnt. Allerdings änderten sich die Verhältnisse schneller, als beide Denker gedacht haben werden: mit dem Alexanderreich trat ein universales, verschiedene Völker und Kulturen umspannendes Modell politischer Organisation in Erscheinung, das mit den überkommenen Kategorien griechischen politischen Denkens nicht mehr wirklich gefaßt werden konnte. Mit dem Reich Alexanders bzw. den Reichen seiner Erben lassen wir in der Regel den »Hellenismus«, also jene kulturgeschichtliche Epoche beginnen, die auf der einen Seite für den Verlust der ursprünglichen Schöpferkraft des Griechentums, auf der anderen für eine Art »Globalisierung« des griechischen Erbes über die ganze damals bekannte Welt hin steht. Die wichtigste Philosophenschule, die in dieser neuen geistigen Situation entstand, ist die der Stoa, eine Schule, die in einem ganz bestimmten Sinne von sich aus auch »Weltphilosophie« sein wollte und so etwa auch den Begriff des »Kosmopoliten« geprägt hat116. Wenn wir auch in der Stoa bestimmten Idealstaatvorstellungen begegnen, so fügen auch diese sich der neuen Situation ein. Bereits bei dem Gründer der Schule, bei Zenon von Kition (ca. 335 – 263 v. Chr.), treffen wir auf das (gemessen an den Sokratikern Platon und Aristoteles ganz unklassische) Ideal der einen Menschheitsfamilie, die, jenseits von bloß menschlichen Satzungen und Traditionen, eine allgemeine Vernunftgemeinschaft und -verehrung lebt. In der Politeia, die Zenon verfaßt hat, wird das Bild eines Urzustandes gezeichnet, in dem die Menschen weder Staaten noch andere Formen der politischen Abschließung gegeneinander kannten; vielmehr ist das Verhältnis aller zu allen durch den Gott der Liebe, den Eros, bestimmt. Es gibt im einzelnen keine Tempel und Götterbilder, keine geschriebenen Gesetze und keine Gerichtshäuser, keine Ehen und statt dessen eine völlige Gleichheit von Mann und Frau bis in die Kleidung hinein; es gibt schließlich keinen Privatbesitz mehr, auch kein Geld oder anderes Tauschmittel, da dergleichen auch für den Handel oder das Reisen nicht nötig sei117. Zenon schließt mit seiner Utopie, wie man immer wieder gerne unterstrichen hat, außer bei Platon vor allem bei der Kulturkritik der Sophistik (wir können etwa an die Kritik der Rechtsinstitutionen bei Antiphon denken), der Kyrenaiker und vor allem auch Kyniker (Diogenes von Sinope) an118. Auch Zenon ging es um ein »autarkes«, ein sich von keinem äußeren Gegenstand wirklich abhängig machendes, aus dem Inneren heraus bestimmtes und insoweit dann auch – um einen dann auch in der neueren Kulturkritik wiederkehrenden, wenn auch immer problematischen Begriff hier aufzugreifen – »authentisches« Leben. Die »Autarkie« war hier jedoch nicht mehr die in einen naturhaften Kontext hineingestellte und zugleich auf eine konkrete Gemeinschaft (das Haus) bezogene wie bei Aristoteles. Es handelt sich um die »Autarkie« des Individuums, das gleichsam unmittelbar zur Welt und der Gemeinschaft der Individuen gedacht ist und das (als Weiser) zugleich der Repräsentant der Weltvernunft zu sein vermag. Auf alle nur äußeren Relationen – vertragliche, eigentumsrechtliche und auch monetäre – fällt dagegen pauschal der Verdacht des »Inauthentischen«, des »Entfremdeten«. Insofern greift hier – wenn auch zunächst nur unter dem Vorbehalt der Utopie – ein grundsätzlicher moralischer Vorbehalt gegen die Institutionen und auch Voraussetzungen des Wirtschaftens, der, anders als bei Platon und Aristoteles, nicht mit einem konstruktiven Gegenentwurf, einem konkreten politischen Projekt verknüpft ist119. »Konstruktiv« war allenfalls eine individualethische Anwendung im Sinne einer distanzierten Haltung gegenüber allem äußeren Hab und Gut, wie wir sie auch in der späteren Stoa immer wieder antreffen. Die Stoa, die aus der gleichen Vernunftbegabtheit aller Menschen stets auch deren Wesensgleichheit unabhängig von Stand und Herkunft abgeleitet hat120, lehrt entsprechend auch die Gleichgültigkeit des äußeren Besitzes bezüglich von Rang und Würde von Individuen. Im Gegenteil wird sich der Wert eines Individuums allenfalls daran bemessen, wieweit es den äußeren Reichtum tatsächlich geringschätzt: »Nemo alius est deo dignus quam qui opes contempsit« – »Niemand anders ist Gottes würdig, als wer den Reichtum verachtet«, lesen wir als Konzentrat seiner diesbezüglichen Lehren bei Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.)121. Daß eher schon als äußerer Wohlstand die Armut ein Gut ist, ergibt sich schon daraus, daß ein Armer für die Philosophie viel geeigneter ist als jemand, der in Versuchung steht, durch Faulheit und Verschwendung zu verweichlichen122. Epiktet (ca. 55-135 n. Chr.) unterstreicht, daß der Reichtum Unlust und Sorgen hervorbringt, Dion von Prusa (ca. 40 – 115 n. Chr.), daß zumindest ein größerer Wohlstand die Vorteile eines bescheidenen Besitzstandes schnell durch neue und überflüssige Sorgen und Mühen überwiegt. Klassisch zu nennen ist dann auch der 87. Lucilius-Brief Senecas, in dem wir lesen, daß der Reichtum, den auch Kuppler und Gladiatoren erringen können, aus Habgier entsteht und nur zu mancherlei Übeln reizt123, weder seelische Größe noch Vertrauen oder gar Freiheit von Sorgen bewirkt, sondern statt dessen Anmaßung, Aufgeblasenheit und Übermut, also zu allerlei Lastern verführt. An anderer Stelle heißt es bei dem gleichen Autor: »Seit … das Geld zu Ehren zu kommen begann, ist die wahre Ehre der Dinge verfallen, wir sind wechselweise Verkäufer und Gekaufte und fragen nicht nach Beschaffenheit und Wesen der Dinge, sondern nach ihrem Preis: gegen Bezahlung sind wir treu, gegen Bezahlung auch untreu, und wir folgen der Ethik, solange wir hoffen, daß es sich lohnen könnte, sind aber bereit, sofort davon zu lassen, wenn durch Unrecht mehr zu gewinnen zu sein scheint«124. Besonders beliebt war bei den Stoikern der Hinweis auf die Flüchtigkeit allen Reichtums, der gerade in dieser Hinsicht gegen den unvergänglichen Besitz der wahren Weisheit erheblich abfallen muß. Der Weise aber wird die zeitlichen Güter, so er sie denn hat und gebraucht, stets als Leihgabe behandeln, ja, besser noch, als wandelbare Kulisse der Lebensbühne125. Das, was der Mensch wirklich besitzt – seine Seele –, kann ihm niemand rauben; das, was er nicht besitzt – äußere Güter –, kann ihm ebenfalls niemand rauben, und dem Schicksal wird er jederzeit willig zurückerstatten, was er vielleicht für einen begrenzten Zweck erhielt. Das Entscheidende ist die innere Distanz, die in allen Verwicklungen mit dem äußeren Gut gewahrt wird und die es dem Philosophen gestattet, auf diese Verwicklungen jederzeit herabzusehen statt von ihnen aufgerieben zu werden126. Einer der bekanntesten Stoiker, der Kaiser Mark Aurel (121-180 n. Chr.), hat es in diesem Sinne denn auch als eine besondere Gunst des Schicksals aufgefaßt, daß ihm Wohltätigkeit niemals versagt war, weil seine Mittel dafür zu beschränkt gewesen wären127. Der Moralismus der Stoiker ist hier dabei, einen – dem Moralismus übrigens öfters begegnenden – dialektischen Sprung aus der Verneinung zur Bejahung des (individuellen) Wohlstands zu machen. Wir werden sehen, daß eine ähnliche Dialektik auch den Umschwung von den mittelalterlichen asketischen Idealen zur neuzeitlichen Hingabe an den Erwerb begleitet hat.

 

2.2 Das Mittelalter und der Umbruch zur Neuzeit

Über das »Mittelalter« zu reden, setzt eine klare, zweiseitige Abgrenzung voraus: eine gegen eine »erste« (und womöglich Maßstäbe setzende), eine andere gegen eine »dritte« (und womöglich sich selbst zum Maßstab nehmende) Zeit. Wenn die Philosophiegeschichte sich daran gewöhnt hat, den auch bei Historikern und im allgemeinen Bewußtsein fest verwurzelten Dreischritt ihrerseits zu verwenden, folgt sie damit einerseits einem Schema, das wir dem Hallenser Humanisten Christoph Cellarius (1638-1707) verdanken, das also erst relativ spät in die Welt gekommen ist und in dem sich immer wieder auch das Selbstbewußtsein der Neuzeit, nicht nur die Restitution einer »besseren« alten Zeit, sondern zugleich überhaupt so etwas wie die innergeschichtliche »Heilszeit« zu sein, spiegeln konnte. Wir verfolgen das Problem, das damit eben auch über eine mögliche Selbstüberschätzung, um nicht zu sagen Selbstüberhebung auch unserer eigenen Gegenwart verbunden sein könnte (die noch immer gerne das Mittelalter in demselben Sinne für »dunkel« hält, als sie dasselbe so sehr wie ihre eigenen dunklen Seiten ignoriert), hier nicht weiter und halten für unsere Zwecke allein dieses fest: daß wir als konstitutiv für das »Mittelalter« die Wirksamkeit einer christlich-antiken Synthese ansehen, die zu Beginn der Neuzeit im Zeichen eines bestimmten Typs von »Rationalisierung«, in dessen Umkreis auch ein neuer Begriff vom Wirtschaften fällt, wieder aufgelöst wurde. Das »Mittelalter« füllt insofern die 1200 Jahre, die zwischen Konstantin dem Großen (ca. 280 – 337 n. Chr.) und der Auflösung der christlich-antiken Lebenswelt im Zeitalter der italienischen Renaissance und der Kolumbus, Kopernikus und Luther liegen128. Im Mittelalter selbst finden wir entsprechend auch in Sachen Wirtschaftsphilosophie auf der einen Seite die Konsequenzen aus jener Problemexposition gezogen, wie Platon und Aristoteles sie gegeben haben; dies ist insofern auch noch problemlos möglich, als die wesentlichen Wirtschaftsformen immer noch die der überschaubaren kleinen Einheiten und nicht die eines Welthandels sind und auch die Grenzen der Geldwirtschaft, die weitgehend an das römische System angelehnt bleibt, eher eng gezogen bleiben. Auf der anderen Seite treffen wir im Mittelalter aber auch nochmals radikalere Vorbehalte gegen den »Wert« und das Gewicht der Wirtschaftstätigkeit, als sie uns etwa auch in der Stoa begegnet sind: Vorbehalte, die aus dem Geist des Christentums stammen und auf verschiedener Ebene Einzug in die wirtschaftsethischen Überlegungen auch der mittelalterlichen Klassiker gefunden haben. Wir verschaffen uns zunächst einen wenn auch knappen Überblick über die Positionen, die das Mittelalter zunächst in der christlichen Lehre und ihrer systematischen Entfaltung in der Lehre der Kirchenväter vorgefunden hat.

2.2.1 Die Rezeption der Kirchenväter seit dem Frühmittelalter: Eschatologische Vorbehalte, Relativierung des Privateigentums, Wucher- und Zinsverbote
2.2.1.1 Eigentumsethik des älteren Christentums

Von den verschiedenen idealstaatlichen bzw. utopischen Modellen, von denen bereits die Rede war, unterscheidet sich das Christentum, was die Frage des Ideals des Verzichts auf das Privateigentum betrifft, in einem entscheidenden Punkt: das Christentum hat in Gestalt nicht nur der Jerusalemer Urgemeinde, sondern auch späterhin in Gestalt des Mönchtums die Gütergemeinschaft bzw. die persönliche Besitzlosigkeit praktisch und, was das Mönchtum betrifft, auch dauerhaft realisiert. Es nimmt damit Forderungen einer Vollkommenheitsethik auf, die auf seinen Stifter selbst zurückgehen, nicht zuletzt in der für Jesu Botschaft so zentralen Bergpredigt bzw. ihren Paralleltexten gefunden werden können und beispielsweise in der Seligpreisung der Armut (Lukas 6, 20) oder in der Aufforderung an den reichen Jüngling, alles zu verkaufen, was er hat (Markus 10, 17-27), dokumentiert ist. Aber auch sonst begegnen Warnungen vor den Gefahren des Reichtums bei Jesus – die Ermahnung, sich Schätze zu verschaffen, die, anders als das irdische Gold, nicht vergänglich sind (Matthäus 6, 19-21), gehört ebenso dazu wie die Warnung, es nicht so zu machen wie der reiche Kornbauer, der noch in der Nacht, in der er sich am Ziel seiner Wünsche sah, sterben mußte (Lukas 12, 16-21). An anderen Stellen wiederum finden sich Erinnerungen daran, daß ein Reicher seinen Lohn schon im Diesseits hat, während auf den Armen ein Ausgleich im Jenseits wartet (Lukas 16, 19-31; vgl. 6, 24) wie dann auch – gleichfalls im Sondergut des Lukasevangeliums – das »Lob des ungetreuen Haushalters« (Lukas 16, 1-9), eine merkwürdige Gleichnisrede, in der Jesus auf eine »Dialektik« des »ungerechten Mammons« aufmerksam macht, die darin besteht, daß man die offenbar schon in diesem selbst bestehende, »strukturelle« Ungerechtigkeit des Geldes dadurch kompensieren kann, daß man das Geld tatsächlich für Zwecke einsetzt, bei denen es nicht um die Mehrung des Geldes, sondern um das Heil und dessen Mehrung geht; in diesem Sinne hat etwa die arme Witwe, die alles, was sie besaß, in den »Gotteskasten« gab, in einem außerökonomischen Sinne ausgesprochen »klug« gehandelt, auch wenn sie sich scheinbar um ihre irdische Subsistenzgrundlage gebracht hat (Markus 12, 41-44). Daß Jesus auch sonst auf eine Sprengung der Perspektive der »wirtschaftlichen« Rationalitäten und Proportionen zielt, wird am Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg deutlich, die für ungleiche Leistung gleichwohl gleichen Lohn empfangen – was als Modell des göttlichen Begriffs von Gerechtigkeit genommen wird (Matthäus 20, 1-16)129. Vergessen sei außerdem nicht, daß das Neue Testament in den Evangelien wie auch in den apostolischen Briefen die Gerichtsdrohung an die Adresse der Reichen kennt, die teilweise eng an entsprechende Scheltworte aus dem Alten Testament anknüpft (vgl. etwa Amos 4, 1-3; 5, 11f.): verwiesen sei hier auf Jakobus 5, 1-6, einen Passus, in dem der Apostel nicht nur wiederum die Vergänglichkeit des Reichtums herausstreicht, sondern auch an das Unrecht in seinem Erwerb erinnert: dem Arbeiter wurde sein Lohn vorenthalten, ja der Gerechte wurde getötet – ein Hinweis darauf, daß in der Logik des sich selbst steigernden Besitzes implizit immer die Gefahr der Aushebelung der Gerechtigkeitsnormen liegt. Der Jakobusbrief verurteilt im übrigen auch eine Vorzugsstellung der Reichen in der Gemeinde und fordert dazu auf, kein Ansehen der Person nach Gesichtspunkten des äußeren Besitzes zu üben – und zwar um so weniger, als, wenn irgend jemand, dann die Armen bei Gott erwählt sind (Jakobus 2, 1-6). In der urchristlichen Gemeinde wurden im übrigen – über den anfänglichen »Güterkommunismus« hinaus – karitative Dienste etabliert (Apostelgeschichte 6, 1-7), ja es wurden Sammlungen auch unter den griechischen Gemeinden zugunsten der notleidenden Jerusalemer Urgemeinde organisiert (2. Korinther 8-9), die unter dem »genossenschaftlichen« Motto standen: »Euer Überfluß diene ihrem Mangel in der gegenwärtigen Zeit, damit auch ihr Überfluß hernach diene eurem Mangel und so ein Ausgleich geschehe« (2. Korinther 8, 14).

Man versteht freilich die frühe christliche Eigentums- und, damit zusammenhängend, auch Wirtschaftsethik nicht, wenn man sie von der christlichen Parousieerwartung – der Erwartung des nahenden Weltendes, der Wiederkunft Christi und des Gerichtes ablöst. Angesichts dieser Perspektive verlieren alle endlichen Größen und Bindungen allen wirklichen Wert, sie werden zu etwas nicht nur Vergänglichem, sondern sogar für das ewige Heil Abträglichem, weil die Aufmerksamkeit von ihm Ablenkendem herabgestuft. Die radikale Vergegenwärtigung des Absoluten in der Erwartung der Parousie läßt das Relative gleichsam »verdampfen«, und jede Neigung, sich an es zu hängen, muß dem Vorwurf verfallen, die wahre Ordnung der Dinge zu verkehren.

Gleichwohl hatte sich das Christentum recht bald dem Problem der sogenannten »Parousieverzögerung«, des Ausbleibens der Wiederkunft Jesu, zu stellen und sich in diesem Zusammenhang auch mit den Notwendigkeiten einer echten Produktivwirtschaft und gesellschaftlichen Besitz- und Eigentumsordnung zu arrangieren. Auch dazu gab es bereits Grunddirektiven, die teilweise sogar auf Jesus selbst zurückgingen, so vor allem die Anweisung, »dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist« (Markus 12, 17), also sich der Steuerpflicht nicht etwa mit religiös verbrämter Begründung zu entziehen130. Bei Paulus findet sich dann das »Ethos des Vorbehalts«, wie es der Parousieerwartung entspricht, konkret auf das Eigentum und das Wirtschaften angewandt: da »die Zeit kurz ist«, sollen alle, »die da kaufen«, es so tun, »als besäßen sie nicht«, sollen die, »die diese Welt gebrauchen«, sie so gebrauchen, »als gebrauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht« (1. Korinther 7, 30f.). Es wird also nicht die Teilnahme an Kauf und Verkauf sowie am Nutzen, am »Gebrauch« der weltlichen Dinge untersagt. Aber es wird eine innere Distanz gefordert, die alle entsprechenden Vorgänge jederzeit auch als nicht zur eigentlichen Wirklichkeit gehörend beiseite setzen und sich von ihnen absetzen kann. Ähnlich wie in einigen der zitierten Jesusworte wird dabei darauf hingewiesen, daß die weltlichen Obligationen und Obliegenheiten, so auch der Reichtum, Sorgen entstehen lassen, von denen der Apostel befreien will. Dennoch wird ein für die täglichen Bedürfnisse des diesseitigen Lebens gangbarer Weg gezeigt: der Christ soll nicht einfach Weltabstinenz üben, sondern auch hier das Weltliche in seinem Gebrauch relativieren.

Auch als eine Reaktion auf eine steigende »Verbürgerlichung« des Christentums im Zeichen seiner zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz und schließlichen Erhebung zur Staatsreligion kann man das Entstehen und die immer enorme Ausbreitung des christlichen Mönchtums vom 3. Jahrhundert an verstehen. Der christliche Mönch versucht die radikalen Anweisungen Jesu auch in bezug auf den Mammon und allen Besitz wieder ganz wörtlich zu nehmen, also auf beides grundsätzlich und konsequent zu verzichten. Die Mönchsviten berichten immer wieder gerade von wohlhabenden Personen beiderlei Geschlechts, die ihren oftmals ererbten Besitz zugunsten der Askese oder der Befolgung der Armutsregel verlassen haben131. Von einem der wichtigsten Ahnherrn des ägyptischen Mönchtums, Antonius, meldet Athanasius, daß der aus begüterten Verhältnissen stammende junge Mann im 18. oder 20. Lebensjahr in dem Moment den Entschluß faßte, seine Besitzungen zu verschenken, als in der Kirche die Geschichte vom reichen Jüngling verlesen wurde – »denn er wollte nicht«, wie wir lesen, »daß sie, die Besitzungen, auch nur im geringsten ihm und seiner Schwester (die seiner Obhut anvertraut war) lästig fielen«132. Als er dann bei einem weiteren Kirchenbesuch das Jesuswort hörte: »Sorget euch nicht um das Morgen!« (Matthäus 6, 34), gab er auch sein übriges Hab und Gut den Bedürftigen und wurde Asket, der in äußerster Bedürfnislosigkeit zu leben verstand133. Persönliche Besitzlosigkeit wurde aber keineswegs nur von den Eremiten der ersten Stunde gepflegt: in Gestalt der monastischen Armutsregel ging sie vielmehr ebenso in die Praxis der Klöster ein, die insofern, wenn auch in der Hauptsache ohne diesbezügliche Absicht, einen wesentlichen Aspekt des Lebens des platonischen Wächterstandes dauerhaft und in größerem Stile praktiziert haben. In der wichtigsten Mönchsregel des Abendlands, der Regel Benedikts von Nursia (ca. 480 – 560), lesen wir im 33. Kapitel folgendes: »Keiner darf sich erlauben, ohne Gutheißung des Abtes etwas zu verschenken oder anzunehmen oder etwas zu eigen zu haben, durchaus nichts, kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel, überhaupt gar nichts; denn die Mönche können nicht einmal über ihren eigenen Leib und ihren Willen frei verfügen; dagegen sollen sie alles, was sie brauchen, vom Vater des Klosters erwarten, nur soll es nicht erlaubt sein, etwas zu besitzen, was der Abt nicht gegeben oder zugestanden hat«. In der Begründung findet sich dann eine ausdrückliche Anknüpfung an die Gütergemeinschaft der Urgemeinde: »Allen sei alles gemeinsam, wie geschrieben steht, und keiner nenne etwas sein eigen oder beanspruche etwas. Stellt es sich heraus, daß einer an diesem sehr schlimmen Laster seine Freude hätte, so soll er einmal und noch ein zweites Mal gemahnt werden; bessert er sich nicht, dann werde er gestraft«134. Freilich liegt in diesem monastischen Ideal eben nicht sogleich eine – sei es auch indirekte – Verpflichtung für alle. Denn zum einen handelt das Mönchtum »stellvertretend« für die Christenheit als ganze, wenn es über die göttlichen Gebote (praecepta) hinaus auch die »evangelischen Räte« (consilia evangelica) der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams erfüllt und damit dafür sorgt, daß der strenge sittliche Anspruch des ursprünglichen Christentums nicht einfach verloren geht; dadurch ist zugleich die »Menge« in gewisser Weise entlastet und dazu befugt, ein ganz anders strukturiertes Leben zu führen. Zum anderen aber hatte bereits die christliche Theologie der Väterzeit überraschend differenzierte Sichtweisen auf die Eigentumsfrage entwickelt, mit denen ein Leben in »bürgerlichen« Bahnen dann doch vereinbar war. So lehrt etwa der berühmte Ambrosius von Mailand (339-397) zwar auf der einen Seite, daß erst menschliche »Anmaßung« das Privateigentum geschaffen habe, während von Natur aus allen alles gemein sei135. Auf der anderen Seite aber stellt er ebenso fest, daß Gott nicht verlange, daß man sein Vermögen auf einmal hingebe, sondern nur, daß man es überhaupt mit dem Bedürftigen, insbesondere dem persönlich bekannten Bedürftigen, zu teilen bereit sei136. Gerade in der »mandatarischen« Verwaltung des Eigentums zugunsten der Allgemeinheit oder auch speziell der Armen sehen auch andere Theologen die sozialethische Verpflichtung, die auf allem Eigentum liegt und besonders den Reichen bindet. Johannes Chrysostomus (344/54-407) etwa erinnert den Besitzenden: »Auch du bist nur Verwalter deines Geldes … Magst du auch dein gesamtes Hab und Gut vom Vater geerbt haben und rechtmäßig besitzen, so ist dennoch alles Gottes Eigentum. … Eben deshalb hat er dir sein Vermögen überlassen, damit du den Armen zur rechten Zeit Nahrung gebest. Was heißt zur rechten Zeit? Dann, wenn jemand bedürftig ist, wenn er hungert. … Er hätte es dir nehmen können, aber er hat es dir gelassen, damit du einen Antrieb hättest, die Tugend zu üben, damit die gegenseitige Liebe mehr entfacht werde, wenn die einen in ihren Bedürfnissen auf die anderen angewiesen sind«137. Und im Westen weist ganz ähnlich Leo der Große (ca. 400 – 461) darauf hin, daß Gott uns die irdischen Güter nicht zum Besitzen (als possidenda), sondern zur rechten Verwaltung (als dispensanda) übergeben habe – übrigens nicht ohne dabei zu unterstreichen, daß der Reichtum (divitiae) seiner Natur nach etwas Gutes und auch für die menschliche Gesellschaft (humanae societati) höchst Nützliches sei, jedenfalls solange er sich in den Händen wohlwollender und gebefreudiger Menschen befinde und nicht in denen des Verschwenders oder Geizhalses138. Noch einen Schritt weiter war hier übrigens der »christliche Cicero« Laktanz (ca. 250 – 325) gegangen, der den platonischen Güterkommunismus deshalb getadelt hatte, weil er die »Ungerechtigkeit« enthielt, daß es jemandem »zum Nachteil gereicht, wenn er auf Grund eigener Rührigkeit mehr besitzt als andere«, während andere »einen Vorteil davon haben, daß sie auf Grund eigenen Versäumnisses weniger besitzen«139. Beide Stellen zeigen, daß die christliche Ethik, abgesehen vom »Ausnahmeethos«, das in den Klöstern und allenfalls von den Eremiten gelebt wurde, die zeitlichen Güter keineswegs unter einen Pauschalverdacht stellt und auch keineswegs einfach eine generelle Besitzlosigkeit oder auch nur -gleichheit fordert. Vielmehr gilt: das äußere Gut ist insofern in der Tat ein Gut, als es dem Notwendigen wie auch der Not des anderen dient, gerade darin aber jederzeit »zur Disposition« steht – zur Disposition steht, weil es um klarer Pflichtgebote willen wieder preisgegeben werden kann, aber eben auch zur Disposition steht, das heißt von uns zu verwalten und zu verteilen ist, wie es unseren Pflichten entspricht. Das äußere Gut ist durch das Christentum insofern, ähnlich wie schon im Platonismus, aus der Unmittelbarkeit des Ein-Gut-Seins herausgetreten, es ist relativiert und gebrochen an dem wahren Gut, das für den christlichen Glauben in der Sorge um das ewige Heil besteht. Man kann nicht Christ sein und den Besitz sowie das Wirtschaften um willen des Besitzes naiv für »an sich« gut und gerechtfertigt halten. Wir werden sehen, daß dieser Vorbehalt in der europäischen Wirtschaftsgeschichte seine Bedeutung erst noch gewinnen wird.