Short Stories Sammelband

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Thomas Noll

Short Stories Sammelband

"...Fläche hängt..." & Abwesenheitsagent

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhalt

INTRO „…Fläche hängt“

Die Hölle sind wir

Familienfeier

Hausgemachte Frikadellen

Campingausstellung

Die Gurke

Heidi

Der Mann im Salz

PROLOG ABWESENHEITSAGENT

Wehe, wenn sie losgelassen

„Guten Morgen, Ihr Luschen!“

Die Hummel – eine deutsche Religion

Die Lederstadt

Den Letzten beißen die Hunde...

Denkwürdigkeiten aus Ostwestfalen

Im Ashram

Zwei Zeichen

Impressum neobooks

Inhalt

Thomas Noll

Short Stories

Sammelband

„…Fläche hängt…“

Abwesenheitsagent

Zum Autor:

Thomas Noll, Jahrgang 1968, Abiturient, Bundeswehrsoldat, Student, 13 Jahre Banker im Prozess- und Qualitätsmanagement, Aus- und Weiterbildung neuer Mitarbeiter.

Aussteiger, Sevaka (Angehöriger) in einem Yoga- und Meditationskloster, heute Texter und Autor.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

INTRO „…Fläche hängt“

Die Lead-Geschichte dieses Bandes stammt aus dem Jahr 2003. Stilistisch ist sie voll an Charles Bukowski angelehnt, und wer mich bereits kennt wird sehen, dass ich einiges heute anders betrachte als kurz nach der Jahrtausendwende.

Der Leser wird aber auch einige Parallelen finden zwischen meinem neueren Buch „Propellerheim“ von 2014…

Die Stories sind nach ihrer Entstehung geordnet, entstanden also zwischen 2003 und 2013 (Der Mann im Salz und Heidi.)

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!

Heusweiler, im Frühjahr 2015

Überarbeitete 3. Auflage im Frühjahr 2017

Die Hölle sind wir

Jörg gewidmet, meinem Krankenpfleger, dem einzigen Menschen, dem ich im Krankenhaus vertrauen konnte.

Vorwort

Ich danke Charles Bukowski posthum, dass er mir die Kraft gab, diese Geschichte aufzuschreiben. Er hat mich nach der Lektüre der Kurzgeschichte „Alle Arschlöcher auf der Welt und meines“ dazu inspiriert, ja, nahezu gezwungen, es zu tun.

Kritiker mögen sagen, ich habe bei Bukowski abgeschrieben.

Ich wollte, das wäre so.

Wenn sich unsere Geschichten in vieler Hinsicht gleichen, dann deshalb, weil wir dasselbe erlebt haben. Dies ist allerdings umso erstaunlicher, da die Geschichte Bukowski´s bereits 1966 erschien, und meine 2003, also 37 Jahre später. Man spricht immer von den großen Fortschritten in der Medizin.

Davon konnte ich leider nichts spüren...

Welches Motto stellt Charles Bukowski an den Anfang seiner Geschichte?

„Kein Mensch braucht mehr zu leiden, als die Natur für ihn vorgesehen hat.“

Ich habe dem nichts hinzuzufügen.

Vielleicht gehe ich bei meiner nächsten Krankheit nicht zum Arzt, sondern in den Wald, und warte wie die alten Indianer auf den Tod...

Es handelt sich nicht um einen Bericht in chronologischer Reihenfolge, sondern um lose zusammengestellte Szenen, Überlegungen und Empfindungen eines Menschen, der von heute auf morgen aus seinem normalen künstlerischen und arbeitsamen Leben gerissen wurde, und sich als Arrestant in einer Klinik wiederfand.

Homburg, im April 2003

Aus dem Leben gerissen

So geht die Welt unter, dachte ich;

nicht mit einer Atombombe,

sondern mit Scheiße, Scheiße, Scheiße.

C. B.

Es ist Samstag. Seit Mittwochabend liege ich hier. Und habe Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. Egal, was sie in mich reinpumpen. Es ist ein Abszess im Arsch.

Ich wusste gar nicht, dass man die Gesäßmuskeln zum Stehen, zum Sitzen und zum Liegen benötigt. Das alles kann ich nämlich nicht mehr.

„Haben sie Stuhlgang gehabt, Herr Noll?“ „Nein, wie denn? Ich habe ja schon 3 Tage nichts mehr gegessen, außerdem kann ich bei den Schmerzen kaum Wasser lassen, geschweige denn Stuhlgang!“

Da ist es: das Blitzen in den Augen der Schwester! - Kein Wasserlassen? Blasenkatheder!!! Aber ich hab´s gesehen, und schieße sofort nach: „Naja, einigermaßen geht´s Wasserlassen ja!“ Und komme davon.

Aber mir geht´s dennoch verdammt beschissen. Ich gucke „Wetten Dass“, kann mich aber wegen der Schmerzen kaum konzentrieren. Während der gesamten Sendung schreit ein Mensch in einem anderen Stockwerk wie von Sinnen seine Schmerzen heraus.

Sagte ich „Mensch“? Bin ich nicht schon lange genug hier, um zu wissen, dass es hier keine Menschen gibt, sondern nur noch rechtlose, ent-individualisierte Fleischstücke, sobald man als Patient diesen Ort der Hölle betritt? Worte wie „Schmerz“ und „Ekel“ verlieren hier ihre Bedeutung. Man ist Gefangener einer anderen Welt, mit völlig anderen Regeln als denen da draußen. Wo sonst läuft man denn unter völlig fremden Leuten im Schlafanzug rum? Im Albtraum vielleicht, in dem man sich ohne Hosen oder Schuhe in der Stadt wiederfindet, und voller Scham versucht, der Situation zu entfliehen.

Man kennt niemanden, fragt sich, wem man vertrauen kann. Ständig kommen neue Figuren, und jeder erzählt einem etwas anders. Einmal wäre ich aus Versehen fast entlassen worden, wenn ich nicht interveniert hätte. Beinahe hätten sie alle Untersuchungen doppelt durchgeführt, bis ich sagte, dass das alles schon geschehen sei, sie sollen sich doch auf der Station XY die Ergebnisse holen. Termine wurden nicht eingehalten. Es gab Informationsfluss-Probleme ohne Ende.

Man sagte mir, das hat daran gelegen, dass ich als Notfall reingekommen bin. Termin-Patienten haben ihren Arzt, ihren OP-Termin, und ihre lange vorher durchgeführten Voruntersuchungen. Notfälle werden immer irgendwo zwischengeschoben, Verantwortliche müssen gesucht werden, die Akten der rasch durchgeführten Voruntersuchungen in den verschiedenen Kliniken müssen gesucht und zusammengeheftet werden. Das sei bei regulären Patienten alles schon getan.

Zum Schluss haben sie das alles auch bei mir geschafft. Zum Schluss wusste ich auch, wer das Sagen hatte, mit wem ich über was sprechen konnte, wer etwas schusselig war, wessen Anordnungen wichtig waren, und wen man quasseln lassen konnte.

Samstags abends bei „Wetten Dass“ war ich aber noch nicht so weit. Ich hatte ein Einzelzimmer, der Bettnachbar war entlassen worden, und ich fühlte mich, als sei ich in der Twilight Zone. Ich fragte mich, wer denn diese Regeln des Wahnsinns aufstellt? Die Alten? Wegen dem Mehrheitsrecht? Im Krankenhaus liegen ja fast nur Alte. Mit den Arbeitszeiten der Schwestern kann´s ja nichts zu tun haben, die sind ja eh immer rund um die Uhr da.

 

Um 19.00 Uhr heißt´s „Gute Nacht“. Die ganz Coolen, die Punker, die Aussteiger unter den Alten gucken dann noch die Tagesschau, aber das sind dann wirklich die Nachteulen.

BEI GOTT! Um 19.00 Uhr sitze ich normalerweise noch an meinem Schreibtisch! Da rotiere ich noch! Was ist das hier für ein Irrenhaus? Wie soll man sich hier denn erholen, wenn alles gegen einen läuft? Über die „Nachtruhe“ berichte ich in einem späteren Kapitel noch mehr...

Die Nacht im Krankenhaus ist der blanke Horror...

Die ehernen Regeln

Die Krankenhausregeln sind eigentlich ungeschriebene Gesetze, aber ich versuche trotzdem einmal, sie in Worte zu fassen:

1 Um 06.30 muss aufgestanden werden.

2 Dann muss man frühstücken, man muss dazu Kaffee trinken, und Marmeladenbrötchen essen. In Abwandlung ist auch Tee möglich. Aus Gewohnheit nicht zu frühstücken ist nicht möglich. Ein Kaltgetränk zu trinken ist beim Frühstück generell nicht möglich (z.B. aus Gewohnheit eine Multivitamin-Tablette zum Auflösen.)

3 Um 12.00 Uhr muss man Mittagessen. Es muss warm sein.

4 Um 18.00 Uhr muss man Abendessen. Es muss kalt sein. Es muss Brot mit Wurst sein, und es muss eine riesige Essiggurke dabei sein – ungeachtet, ob der Patient Magenprobleme hat oder nicht.

5 Es müssen im Krankenhaus grundsätzlich karierte Filzpantoffeln und Schlafanzüge getragen werden. T-Shirts und kurze Hosen werden nicht gerne gesehen.

6 Alle Fenster müssen geschlossen sein, weil man sonst friert. Diese Regel gilt ungeachtet aktueller Innen- oder auch Außentemperaturen.

7 Die Heizung muss voll aufgedreht sein, weil man sonst friert. Diese Regel gilt ungeachtet aktueller Innen- oder auch Außentemperaturen.

8 Wenn man schlafen geht, muss man sich mit einer dicken, alten, tonnenschweren Decke zudecken, weil man sonst friert. Diese Regel gilt ungeachtet aktueller Innen- oder auch Außentemperaturen. Ungeachtet auch der Tatsache, dass man vorher beim rumlaufen im Pyjama ohne Decke ja auch nicht gefroren hat.

9 Man muss ganz allgemein immer frieren. Das ist die Pflicht eines jeden Patienten. Es ist im Zimmer nie warm genug, auch dann nicht, wenn orkanartige, feuersturm-ähnliche, ganze Servierwagen mit-sich-reißende Sturmspitzen auf den Flur schießen, sobald man die Zimmertür öffnet.

10 Ein Fernseher darf generell nur dann eingeschaltet werden, wenn man aktiv eine Sendung schaut. Das Nebenherlaufenlassen im Hintergrund zum Verdrängen der Einsamkeit und der Langeweile ist nicht möglich.

11 Es darf entweder nur ferngeschaut, oder gelesen werden. Beides zusammen ist nicht möglich.

12 Das Einschlafen ist ein Akt des aktiven Willens, spätestens um 20.15 Uhr. Man kündigt an – dies darf auch leise geschehen – „so, ich schlafe jetzt“. Dabei darf nach dem Satz kein Licht mehr brennen, kein Radio oder TV mehr laufen. Man muss innerhalb von 5 Minuten eingeschlafen sein. Rücksichtnahme gegenüber Personen, die NICHT nach diesem Schema leben können, ist grundsätzlich nicht vonnöten. Solche Subjekte sollen sich im dunklen Raum ohne Lese- oder Fernseh-Möglichkeit 8 Stunden lang geistig zerfleischen, in ihrem Unvermögen, so früh schon Schlafen zu können.

13 Generell ist Lesen und Fernsehen nicht erwünscht. Eher sollte ein 18-Stunden-Gespräch mit dem Nachbarn angestrebt werden, und zwar ausschließlich über die jeweiligen eigenen Krankheiten, beziehungsweise über die Krankheiten von Bekannten, Verwandten und letztendlich über die Krankheiten von Prominenten. Alternativ dazu kann aber auch nur an die Decke gestarrt werden. Dabei sollte man jedoch ab und zu ein Stöhnen über die Lippen kommen lassen, so dass sich lesende oder fernsehende Elemente im Zimmer ein schlechtes Gewissen machen, weil sie nicht über Krankheiten reden wollen, beziehungsweise die ehernen Krankenhaus-Regeln stören durch ihre unbedachten Handlungen wie Lesen oder Fernsehen.

14 Das Bett muss so eingestellt sein, dass der Kranke ausschließlich auf dem Rücken schlafen kann. Dazu ist – im Gegensatz zu jedem normalen Bett auf der Welt – das Rückenteil so hochzustellen, dass ein Schlafen auf der Seite oder dem Bauch ausgeschlossen ist. Nur so ist durch diese unnatürliche Haltung ein exzessives Schnarchen gewährleistet, auch bei Personen, die vorher nie geschnarcht haben. Positiver Nebeneffekt: Man schläft allgemein sehr schlecht (normalerweise dreht sich ein Schläfer in der Nacht mehrmals rum), und bekommt eventuell zu seiner Krankheit auch noch Rückenschmerzen.

Naja. Wenn ich das Frühstück absolut nicht abbestellen kann, geht´s halt unangetastet zurück. Den Kaffee schütte ich aus, damit sich keiner daran verbrennt. Aber es tut mir irgendwo weh: es sind erstklassige Lebensmittel, die weggeschmissen werden. Bei den Brötchen will ich nichts sagen, die will keiner mehr essen, ich könnte ja daran rumgefingert haben. Aber ich weiß: auch die unangetasteten, eingepackten Marmeladen, Käseaufstriche, die Kaffee-Milch, ja sogar die ungeöffneten Joghurts werden gnadenlos weggeschmissen. Warum: Hygiene-Vorschriften! Wir haben ja auch Seuchen-Zimmer auf der Station. Wer oder was dort liegt, sagt einem keiner. Auf jeden Fall geht dort keiner rein ohne Mundschutz, Handschuhe und Überschuhe, die alle sofort nach Verlassen des Zimmers in einem bestimmten Plastik-Sack entsorgt werden. Rauskommen darf von diesen Patienten niemand. Auf den Türen sind komische gelbe Seuchen-Zeichen... Unheimlich.

Außerdem gibt es ja auch andere ansteckende Krankheiten. Letztendlich weiß man also in der Küche nicht mehr, welche Seuchen-Finger das eingepackte Nutella nun schon in den Händen hatten, also wird´s vernichtet, ähnlich wie es auch die Fluglinien tun. Das ist billiger als alles, was geschlossen zurückkommt, zu desinfizieren. Daher sammle ich alles Eingepackte, und verschenke es an Leute, die mich besuchen – so, wie´s fast alle tun.

Die Regeln 1 – 5 kann man noch verschmerzen, aber dann beginnt es massiv an die Substanz zu gehen. Gewährleisten solche Regeln ein Erholen von einer Krankheit?

Des Menschen Körperöffnungen

WIESO wird eigentlich in Krankenhäusern die natürlichste Körperöffnung des Menschen nicht genutzt, der MUND?

Wieso wird immer und für alles und wirklich absolut alles der Arsch benutzt? Und wenn sie den nicht benutzen, stechen sie künstliche Öffnungen in den Körper! Ich denke, es liegt daran, dass eine Tablette schlucken ihnen einfach nicht WEH genug tut. Auch wenn man eine große, trockene Tablette nimmt, ist der Quälfaktor lange nicht so hoch wie die Einführung eines Zäpfchens in den Enddarm.

Hier habe ich mich ein einziges Mal durchgesetzt: Ich habe ihnen gesagt, dass ich mich aus dem Fenster stürze, sollte mir bei diesem Aufenthalt noch mal IRGENDETWAS in den Darm eingeführt werden. Und damit war es mir verdammt ernst, nachdem, was sie mir angetan haben, als sie nach der Ursache meiner Schmerzen gesucht haben. Ich habe ihnen x-mal gesagt, es liegt nicht innerhalb des Darms, weil ich noch schmerzfrei scheißen konnte. Hat´s mir jemand geglaubt? Nein!

Über die Untersuchungen meines Darms soll für immer das Mäntelchen des Schweigens gedeckt werden. Nur so viel:

Die Ärztin hatte die längsten Finger aller Zeiten. Was sie mir an Geräten reingeschoben hat, weiß ich nicht mehr. Ich habe es verdrängt. Während dieser Untersuchung war ich wie derjenige, der während „Wetten Dass“ um sein Leben schrie...

Und letztendlich war alles umsonst, innerhalb des Darms war alles in Ordnung.

Danke, liebe Ärzte!

Auf jeden Fall hat meine Drohung gewirkt: alles, was sie mir an Zäpfchen geben wollten, ging plötzlich auch als Tropfen, Temperatur maßen wir an den Lenden, und bis zur OP hat mich keiner mehr angefasst. Ansehen durften sie, aber nicht mehr draufdrücken. Das Ding war ja auch so groß wie ein Hühnerei, warum sollte man da noch draufdrücken und dumm fragen, ob´s wehtut??? Obwohl, es war ja schon eine große Versuchung... Nur zwei-, dreimal drücken, um sicher zu gehen...

„Bitte, setzen Sie sich noch“

Wie oft habe ich diese Aufforderung gehört? Und höre sie noch immer, wenn ich zur Nachuntersuchung muss.

„Ich kann mich nicht setzen, deshalb bin ich ja hier!“

Lesen die nicht die Krankenakten? Kurz mal überfliegen, was hat der Patient, warum ist er hier?

Ein Taxi brachte mich an den Eingang für die Liegend-Kranken. Dort, wo die Rettungswagen ankommen. Ich habe trotzdem eine Stunde gewartet. Auf Stahlsesseln, verkrümmt wie ein Wurm dort gesessen. Während dieser Zeit gab´s natürlich keinen Notfall.

Bei der Verlegung in eine andere Station habe ich zwei Stunden gesessen.

Als sie nicht weiterkamen mit der Diagnose (im Darm hatten sie ja nichts gefunden, auch das tausendfache Draufdrücken auf die schmerzende Stelle brachte keine Gewissheit, was es denn ist – egal, wie STARK man auch draufdrückte...) wurde ich für eine Kern-Spin-Tomographie angemeldet. Wieder mal ohne Termin, ich werde irgendwann „zwischengeschoben“. Soll mich bereit halten.

Es ist Freitagmorgen, 7.30, nach drei Tagen ist es endlich soweit. Drei Tage voller Ungewissheit, ob ich hier eventuell mit einem Darmausgang vorne rausgehe. Drei Tage literweise Schmerzmittel.

Ich soll SOFORT kommen. Alles stehen und liegen lassen. Ob sie mir einen Rollstuhl besorgen sollen. „Um Gottes willen, ich kann doch nicht sitzen!“ Also lässt man mich selbst laufen. Keine Zeit mehr für die morgendliche Dosis Schmerzmittel. Ich humpele los, bin 7.40 im anderen Gebäude. Halbnackt durch den arschkalten Campus gerannt, keine Zeit zum Anziehen.

Klar: „Bitte, setzen Sie sich noch!“ Da ich keine Mittel bekommen habe, sind die Schmerzen unerträglich.

Außer mir wartet noch ein Mann, vielleicht vierzig. Im Trainingsanzug. Stinkt furchtbar nach Zigaretten-Rauch. Ich liege seitlich auf einem Stuhl und fluche “Verdammt noch mal! Eben ging´s nicht schnell genug, jetzt muss man hier warten!“ „Och“, sagt der Mann, „vor Acht, viertel nach Acht fängt hier keiner an!“, und geht raus, eine Zigarette rauchen. Macht er alle 5 Minuten. Ohne Humpeln, oder äußere Anzeichen von Narben, ohne Verbände oder ähnliches.

Zweimal dürft Ihr raten, wer als erstes reingerufen wurde...

Aber ich kam auch an die Reihe: der Kern-Spin-Arzt spricht mit mir: „Kernspin hat einen Vorteil: keine Röntgenbelastung, und man kann jede einzelne Faser eines menschlichen Körpers sichtbar machen. Es hat aber auch einen Nachteil: es dauert ziemlich lang und man darf sich nicht bewegen!“

Na klasse!

„Wie lange denn?“

„Bei ihnen ca. 45 Minuten!“

Von mir aus. Vielleicht schlafe ich ja ein. Habe ja seit drei Tagen nicht geschlafen.

Dann das nächste Problem: ich soll mich auf den Rücken legen. Geht natürlich nicht. Hätte man auch vorher wissen können, und das Problem irgendwie lösen. Auf dem Bauch ist grundsätzlich auch möglich, aber durch das heben und senken der Bauchdecke beim Atmen bewegt sich natürlich auch der ganze Körper mit - vor allem das Gesäß.

Geht aber nicht anders.

Also versuchen wir´s.

Sie schließen mich über einen Zugang an Kontrastmittel an, und schieben mich in die enge Röhre. Ich muss meinen Kopf seitlich halten, aufrecht würde er nicht durchpassen. Einen Vorteil habe ich: da mein Arsch tomographiert wird, liege ich sehr weit in der Röhre drin, und sie hat zwei Öffnungen, so dass mein Kopf am anderen Ende fast wieder herausschaut. Hilft gegen die Platzangst. Hatte vorher nie welche, aber diese Lage ist für Körper und Psyche so bedrohlich, dass man sich sehr unwohl fühlt. Hinzu kommt noch das sehr laute Hämmern der Magneten, welche die Aufzeichnungen machen. Hört sich an, als bearbeite jemand die Röhre mit einem Presslufthammer. Natürlich spanne ich die Muskeln an, und viele Aufnahmen müssen wiederholt werden. Nach einer Stunde ruhig liegen (man darf wirklich nicht mal mit dem kleinen Finger wackeln) werde ich aus dem Sarg befreit. Sie haben brauchbare Aufnahmen.

Immerhin war es nicht so schlimm wie die Darmspiegelung.

Es war völlig schmerzfrei, aber sehr unbequem und psychisch sehr belastend. Wer schon vorher Platzangst hat, für den kommt diese sanfte Methode nicht in Frage.

 

Eines machte mir allerdings Sorgen: sie haben vorher x-mal gefragt, ob ich mir ganz sicher bin, dass ich mir keinen Metallsplitter reingezogen habe. Vielleicht früher mal, ich könne mich eventuell nicht mehr daran erinnern, und das Ding wäre jetzt gewandert und entzündet?

Ich konnte mich nicht erinnern, also wagten wir es.

Der Grund: die Magnete sind sehr stark. Wirklich extremst stark. Wäre es ein Metallstück gewesen, hätten sie das ohne Probleme durch meinen Hintern hindurchgezogen und es wäre an die Decke des Gerätes geflogen. Bei unglücklicher Stellung auch durch einen Knochen. Es gibt da schreckliche Geschichten... Und man kann in der Röhre nicht vor Schmerzen um sich schlagen...

Aber dies blieb mir erspart.