Gott in mir

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Thomas Philipp

Gott in mir Geist, der Leben weckt

Ignatianische Impulse Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Martin Müller SJ Band 62

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien ge wählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – inter religiöser Dialog – moderne Kultur.

Thomas Philipp

Gott in mir

Geist, der Leben weckt


Für Stefanie

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund Druck und Bindung: fgb · freiburger graphische betriebe ISBN 978-3-429-03650-8 (Print) 978-3-429-04733-7 (PDF) 978-3-429-06147-0 (ePub)

Inhalt

Vorwort

1. Ignatius, Zeuge des Geistes?

Komm, Tröster Geist

2. Den Heiligen Geist erfahren

ruach und näfäsch

Der in uns betet

Die Geister scheiden

Psychologie der Geisterfahrung

Gewissen – Gehorsam – Empathie

Soziologie der Geisterfahrung

Freiheit und Verwandlung

3. Zwei Hände des Vaters

Des Vaters Hände formen den Menschen

Der Wille Gottes

Wille Gottes, Dialog, Konflikt

Gott – Kommunikation

4. Unsichtbare Gegenwart – sichtbare Lebensform

Geist, Wort, Institution

Kirche: Tochter des Geistes – Frucht des Wortes

Kirche – Kommunikation

Vertraut die Kirche dem Geist?

5. Spiritueller Meister der Neuzeit

Leere – und spirituelles Potential

Spüren und Beten

Gottunmittelbar – und kirchlich

Blinde Flecken

Neuzeitlicher Zeuge des Geistes

Abkürzungen

Anmerkungen

Vorwort

Gott in mir – das klingt esoterisch. Aber das scheint nur so. Esoterisch wäre: Gott nur in mir. Was draußen spielt, ist nicht wichtig. Christlich ist: Ja, Gott wohnt in jedem von uns, erfahrbar. Vollendung der Welt wird in der Schrift mit den Worten beschrieben: »Gott ist in allem« ( vgl. 1 Kor 15,28), und Paulus formuliert eine All-Gegenwärtigkeit Christi im Brief an die Kolosser mit den Worten: »Christus ist alles und in allen« (Kol 3,11). Der Mensch findet erst recht zu sich, indem er dieses – im Gottes-Geist – anwesende Geheimnis verehrt. Aber ebenso ist Gott im Mitmensch, in der Welt, die mir außen begegnet und ebenso verehrt werden möchte. Christen sagen und, innen und außen, sie lassen beides gelten. Das erfordert mehr Zuhören, mehr Spannungen, mehr Arbeit – aber es gibt auch mehr Raum in dieser Welt, in der – das ist der ursprüngliche Sinn des Wortes katholisch – alles Platz hat.

In der faktischen Kirche wird der Glaube an die Gegenwart des Heiligen Geistes in jedem Einzelnen nicht immer so sichtbar, wie es dem Glaubensbekenntnis entsprechen würde. Das hat damit zu tun, dass die Kirche, wie ein jeder Mensch, auch ernste Verletzungen tragen muss und manchmal mehr durch die Geschichte humpelt, als dass sie sie aufrecht durchschritte. Das ist ganz normal. Um hier weiterzukommen, bedarf es – für die Gemeinschaft wie für den Einzelnen – des Hörens auf die Heilige Schrift, der Reflexion und des offenen Gesprächs. Zu einem solchen Weiterkommen in einer komplizierten, eben menschlichen Situation möchte dieses Buch beitragen.

Sosehr dieses kleine Buch einen großen Bogen schlägt, der viele einzelne Erfahrungen in einen großen Zusammenhang stellt, so ist doch eines noch wichtiger: Es will gebetet sein. Es sucht Boden jenseits des bloßen Gedankens. Vermutlich kommt der Lesende besser mit ihm zurecht, indem er langsam voranschreitet, die einzelnen Schritte meditiert und, die eigene Erfahrung einbeziehend, bedenkt. Indem er betet.

Ein persönliches Wort: Mein Großvater Carl Hans Barz, Mitherausgeber von Publik, war mit den Frankfurter Jesuiten eng verbunden, besonders mit Johannes Hirschmann und Ludwig Bertsch. In den Neunzigerjahren fand ich in Franz-Josef Steinmetz, Herausgeber von Geist und Leben, einen freundschaftlich-kritischen Förderer; bis heute verbindet uns das Tasten nach einer zeitgemäßen Sprache für den Heiligen Geist. Die zehnjährige enge Zusammenarbeit mit den Berner Jesuiten – Franz-Xaver Hiestand, Werner Grätzer, Richard Brüchsel, Bruno Lautenschlager, Andreas Schalbetter und Alain Decorzant – im aki, der katholischen Universitätsseelsorge, hat mir ihre Spiritualität nahegebracht und meine berufliche Identität geprägt. Mit Nikolaus Klein, dessen Bestehen auf einer je nochmals vertieften Auseinandersetzung das ignatianische magis authentisch ausdrückt, wurden Beiträge in der Orientierung möglich, die seit ihrer Einstellung 2010 spürbar fehlt. Es schwingt viel Dankbarkeit und Freude mit, wenn ich nun selbst einen Beitrag zur ignatianischen Spiritualität leisten darf.

Für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts danke ich Franzisca Frania sehr herzlich. Das kleine Werk ist Stefanie Kaiser gewidmet, die in gemeinsamer Suche und Auseinandersetzung viel zu ihm beigetragen hat.


Bern, im Mai 2013 Thomas Philipp

1. Ignatius, Zeuge des Geistes?

Regalweise Fantasy und Esoterik, Drewermann und Grün die erfolgreichsten christlichen Autoren der letzten 25 Jahre: Da ist eine Suche in der inneren Welt nach – ja, nach was eigentlich? Nach Gehör? Nach Verstandenwerden? Nach ehrlichem Fühlen? Nach Begreifen? Nach Frieden mit sich selbst? Nach Heimat jenseits der Ambivalenzen?

Was sagen die Christen dazu? Ist es gut, sich auf die Welt der Wünsche und Empfindungen einzulassen? Führt da ein Weg zu Gott? Christen glauben an den Heiligen Geist, an Gott, der in armen Menschenherzen wohnt. Eine starke Aussage, eigentlich …, aber etwas abwesend in der Sprache der Pfarrer und Professoren. Wenn nicht gerade Pfingsten ist, sprechen sie lieber über Jesus, Kirche und Ethik. Man könnte den Eindruck haben, so wichtig sei der Geist nicht, nicht so wichtig wie Gott (natürlich, der Vater) und Jesus. Dann Maria, manche Heilige und irgendwann zwischen ihnen der Geist: So etwa würde eine Statistik aussehen, die unsere Gebete nach Adressaten auflistete. Aber so ganz stimmen kann das auch nicht, es gibt ja die Dreifaltigkeit, da gehört der Geist dazu, nicht Maria.

 

Wenn ein Zeuge des Geistes jemand ist, dessen Gebet und Sprache um den Heiligen Geist kreisen, dann ist Ignatius keiner. Gesellschaft Jesu nennt er seinen Orden. Seine Geistlichen Übungen folgen dem Leben Jesu, in Jesu Schicksal treten sie ein, Jesus stellen sie sich vor. Sie enden mit Himmelfahrt, Pfingsten kommt nicht vor. Vater unser, Anima Christi, Ave Maria, Salve Regina: ja, es sind drei Gegenüber des Betens, aber die Dritte ist Maria, die ideale Herrin, die barmherzige Mutter. Ein Gebet an den Geist findet sich nicht. Christus-Frömmigkeit, der Geist sprachlos!1

Doch langsam! Menschensprache kann über etwas schweigen, weil es zu weit hergeholt wäre. Über die Medizin der Marsmenschen reden wir nicht. Und über das, was ganz nah ist. Wann reden wir darüber, wie gut es tut, zu atmen? Dass Ignatius über den Geist schweigt, heißt noch nicht, dass er ihn nicht verehrte.

1492: Druckerpresse, Amerika, Humanismus. Und Renaissance – Wiedergeburt! Ignatius wird in die aufbrechende Neuzeit geboren. Das Individuum erwacht – der einheitliche, für alle gleiche Horizont zerbricht. Unter Schmerzen – und unerhörten Spannungen mit einer Kirchenleitung, die mehr auf höfische Macht und Pracht aus ist als auf den Dienst an den Gläubigen. Seit dem 13. Jahrhundert brannten Bewegungen, die sich auf den Heiligen Geist beriefen und so den Machtanspruch der Priester relativierten: Joachiten und visionäre Franziskaner, Katharer und Albigenser … Die Kirchenleitung wollte die Einheit bewahren, indem sie die abweichenden Lehren ausmerzte, oft auch jene, die sie vertraten. Die Inquisition hatte zu tun. Diese Gewaltgeschichte, die nicht hören, sondern herrschen wollte, hatte im kirchlichen Establishment ein giftiges Misstrauen gegen alle gezüchtet, die sich auf den Geist beriefen. Die Verbrennung des genial-unheimlichen Savonarola lag nicht lange zurück; unvergessen jene des tapferen Jan Hus, dem man freies Geleit versprochen hatte. Wycliff war rechtzeitig gestorben; die Inquisition grub seine Gebeine aus und verbrannte sie posthum. Und nun hörte man, selbst in der spanischen Provinz, von einem Flächenbrand! Den Namen Luther kannte in Europa jeder.

Es war lebensgefährlich, sich auf den Heiligen Geist zu berufen. Der Pilger von Manresa, wo der Kern der Exerzitien entstand, war kein gebildeter Mann. Er suchte einfach den Willen Gottes über sein Leben. Die Gegensätze der Epoche waren ihm nur oberflächlich bewusst. Aber bald bekam er sie zu spüren: beschuldigt, er sei einer von denen, die sich für erleuchtet hielten, ein Alumbrado. So hatte die Inquisition in Alcalá 1525 einige Grüppchen genannt, gegen die sie vorging. Eigenständige Bibellektüre; stilles Gebet; unmittelbare, nicht durch die Priester vermittelte Gotteserfahrung; Vorliebe für spektakuläre Erfahrungen: Ignatius musste Vorsicht walten lassen, denn alle diese Kennzeichen ließen sich auf seine Spiritualität anwenden.2 Ein Alumbrado: kein überdrehter Esoteriker, sondern jemand, der den Zusammenhalt des Ganzen bedroht, der scharfe Überwachung und strengste Bestrafung verdient, eine Art islamistischer Terrorist. Der Pilgerbericht (PB 59) lässt die drohende Gefahr unmittelbar spüren. Ignatius fragt am Ende einer Untersuchung vor der Inquisition, ob man eine Häresie bei ihm gefunden habe. Nein, antwortet der Inquisitor, »denn wenn man sie fände, würde man Euch verbrennen«. Ignatius, mutig und nicht auf den Mund gefallen: »Auch Euch würde man verbrennen, wenn man eine Häresie bei Euch fände.« Noch 1555 befiehlt Ignatius, die Schriften von Savonarola, die Novizen mitgebracht haben, aus dem Haus zu schaffen. Nicht weil der Autor schlecht sei, sondern wegen der möglichen Wirkung auf das Ansehen der Gemeinschaft (Me 244)! Erst im Rückblick gesteht er, dass er in Manresa jeden Tag unterschieden zu den drei göttlichen Personen betete, also auch ausdrücklich zum Geist (BP 28). Menschensprache ist widersprüchlich. Denn die Geschichte formt sie mehr als die Logik. Und stets kommt es auf den Kontext an. Ein Wimpernschlag entscheidet, ob ein Wort als bedrohlich empfunden wird. Natürlich bekannten sich die Christen auch damals zum Heiligen Geist; natürlich beteten sie zu ihm, namentlich an Pfingsten. In der Theologie gab Thomas von Aquin den Ton an, der ein Theologe des Geistes genannt zu werden verdient. Für ihn ist die Erfahrung des Geistes das Wichtigste und Stärkste des Neuen Bundes und Ursprung christlicher Identität. Nicht aus eigener Kraft, nicht durch ethische Anstrengung kann ein Mensch glauben, hoffen und lieben. Sondern nur indem der Geist ihn ergreift und innerlich erhebt. Gott gibt wohl dies und das (die geschaffene Gnade); vor allem aber gießt er seinen Geist (die ungeschaffene Gnade) in die Gläubigen. Eingießen: Thomas stellt sich das physisch vor, fast wie in einem chemischen Labor. Aber diese Theologie war von gestern, mehr als 250 Jahre hatte sie auf dem Buckel. Trocken fand Ignatius sie, erfahrungsfern, geradezu staubig …

Aber immerhin: Die thomistischen Formeln waren unverdächtige Gemeinplätze. Ignatius übernimmt sie als Chiffren für den Geist. Die Bitte um die Gnade, der Dank für sie ist in den Exerzitien allgegenwärtig. Die Betrachtung der Einwohnung Gottes in den Geschöpfen (GÜ 235) nennt den Geist nicht beim Namen, doch es geht klar um sein Werk: der Leben gibt, der wahrnehmen macht, verstehen lässt, beseelt, einen Tempel aus mir macht. Nur das Eine will Ignatius durch seine einsamen Lebensexperimente gewinnen: Liebe, Glaube und Hoffnung (PB 35). Im Klartext: Es geht ganz allein um das Wachstum des Geistes im Herzen des jungen Basken. Sold des Dienstes in der Gesellschaft Jesu, schreibt Ignatius den portugiesischen Jesuiten, seien »die unschätzbaren Güter seiner Herrlichkeit …: er teilt Euch alle Schätze seiner Glückseligkeit mit, damit ihr durch übersteigende Teilhabe an seiner göttlichen Vollkommenheit das seid, was er durch sein Wesen und seine Natur ist« (BU 169). Gott gibt nicht etwas, sondern sich selbst. So macht er den Menschen göttlich: Frömmigkeit zum Heiligen Geist, verpackt in die unverdächtigen Formeln der Thomisten.

Komm, Tröster Geist …

Doch Ignatius hat Mut. Mit gebührender Vorsicht bezieht er sich ausdrücklich auf den Gottesgeist. Trost nennt er ihn. Ganz am Anfang, auf dem Krankenbett in Loyola, beobachtet der zerbrochene Held, dass Ritterphantasien ihn gut unterhalten, aber leer und traurig zurücklassen; die lesende und träumerische Begegnung mit den Heiligenlegenden aber zufrieden, froh, getröstet. Das ist der Schlüssel! »Als er die Übungen verfasste, begann er von hieraus Licht bezüglich der Verschiedenheit der Geister zu gewinnen« (BP 8). Anfangs findet er Trost nur im Gedanken, Heldentaten wie die Heiligen zu vollbringen. Als Ignatius als Pilger mit einem Muslim auf den Glauben zu sprechen kommt und von jenem die Ehre der Jungfrau Maria geschmäht empfindet, überlegt er, ob er ihm nicht einige Dolchstiche versetzen sollte. Zurückblickend urteilt er, er habe damals noch keine Ahnung von Demut, Liebe, Geduld und Klugheit gehabt (PB 15). Die Erfahrung des Geistes vertieft sich erst mit der Zeit; nur langsam bringt sie Frucht. Im Rückblick beschreibt Ignatius den Trost als die Antwort auf sein Suchen, als Erfüllung und Gegenüber seines Lebens. Immer genauer lernt er ihn erkennen und mit ihm zu leben. Seine geistliche Geschichte beginnt, »nachdem er von Gott getröstet zu werden begonnen hatte« (BP 29); immer wieder berichtet er von großen Tröstungen.

Die größte erfährt er nicht im Kirchenraum, nicht im Sakrament, während seine Spiritualität in Manresa ihren grundlegenden Ausdruck fand. »Die größte Tröstung, die er empfing, war, den Himmel zu schauen und die Sterne. Dies tat er viele Male und für viel Zeit, denn dadurch verspürte er in sich einen sehr großen Eifer, Gott unserem Herrn zu dienen« (BP 11). Auch später, berichtet P. Ribadeneira, habe er immer wieder voller Andacht den Sternenhimmel betrachtet.3 Ein wertvoller Hinweis an unsere Kirche, die den Höhepunkt oft bloß in der Eucharistie, in der Liturgie, wie sie eben ist, finden will. Sie kann sich nicht vorstellen, dass der Geist eine junge Seele dort berührt, wo er will. Und dass es Aufgabe der Kirche ist, dieser Spur und Sprache zu folgen, nicht ihre eigene durchzusetzen.

Dem reifen Ignatius ist Trost die wunderbare Erfahrung, Gott aus ursprünglichem Empfinden zu lieben, ein Ergriffenwerden jenseits des aktiven Ergreifens (GÜ 254): »Ich nenne es ›Tröstung‹, wann in der Seele irgendeine innere Regung verursacht wird, mit welcher die Seele dazu gelangt, in Liebe zu ihrem Schöpfer und Herrn zu entbrennen. Ebenso, wann sie Tränen vergießt, die zu Liebe zu ihrem Herrn bewegen, sei es aus Schmerz über ihre Sünden oder über das Leiden Christi, unseres Herrn, oder über andere Dinge, die auf seinen Dienst und Lobpreis hingeordnet sind. Überhaupt nenne ich ›Tröstung‹ alle Zunahme an Hoffnung, Glaube und Liebe und alle innere Freudigkeit, die zu den himmlischen Dingen ruft und hinzieht und zum eigenen Heil seiner Seele, indem sie ihr Ruhe und Frieden in ihrem Schöpfer und Herrn gibt.« Dieser Trost besteht aus »innerem Frieden, geistlicher Freude, Hoffnung, Glaube, Liebe und Erhebung des Geistes. Sie alle sind Gaben des Heiligen Geistes.«4

Die Unterscheidung zwischen Trost und Misstrost macht den Unterschied, auf dem alles andere aufbaut. Das Unterscheiden der Geister und das Ringen mit jenen, denen ein Suchender zu widerstehen hat – also den Grundvollzug der Exerzitien –, kann sich Ignatius nur als Geistgeschehen vorstellen. Nur weil der Geist sich immer wieder zu erkennen gibt, nur weil er Erkenntnis und Auseinandersetzung nochmals schweigend trägt, kann es so etwas wie Exerzitien geben. Der die Übungen gibt, soll immer nach Erfahrungen von Trost und Trostlosigkeit fragen (GÜ 371. 377). Denn »bei jenen, die intensiv dabei sind, sich von ihren Sünden zu reinigen und vom Guten zum Besseren aufzusteigen, ist es dem guten Geist eigen, Mut und Kräfte, Tröstungen, Tränen, Eingebungen und Ruhe zu schenken« (GÜ 315). Als Seelsorger, wo er sich sicher fühlt, spricht Ignatius unbefangen vom Wirken des Geistes im Gegenüber (BU 466). Der Bericht über die Gründung der Gemeinschaft schreibt, dass der Herr »niemandem, der ihn in Demut und Einfachheit des Herzens bittet, den guten Geist verweigert, ihn vielmehr allen im Überfluss gibt.«5 P. Ribadeneira berichtet: »Er sagte einmal in meiner Gegenwart und in Anwesenheit zahlreicher Zuhörer, er könne seiner Ansicht nach nicht ohne Tröstung leben, das heißt, wenn er nicht etwas in sich entdeckte, was nicht sein Eigen sei und auch nicht sein könne, sondern ganz von Gott abhänge.«6 Werk und Ausstrahlung des Mannes aus Loyola erzählen den Zeitgenossen vom Geist. Ignatius, so P. Nadal, sei eben nicht vorangegangen, sondern dem Geist gefolgt, der ihn führte. »Hier ist der Finger Gottes!«, ruft Paul III. aus, als er die Grundlagen der Gemeinschaft studiert.7

Im Unterschied zu vielen, die sich vor ihm auf den Geist beriefen, hat Ignatius nie eine theologische Lehre mit seinem Trostgewissen begründet; von privaten Prophezeiungen wollte er nichts wissen, solange sie nicht von der Kirche gebilligt waren (Me 310, BU 686aF). Er unterschied zwischen seiner Wahrheit, dem Willen Gottes über sein Leben, und der objektiven Wahrheit. Er wollte nicht seine Wahrheit für alle verbindlich machen, es ging ihm nur darum, ihr in ihrer Begrenztheit Geltung zu verschaffen. Als Julius III. P. Borja 1552 zum Kardinal machen will, wird Ignatius gewiss, dass er sich dem mit aller Kraft entgegenstellen soll. Aber er weiß auch, dass keiner die ganze Wahrheit erfährt. Der Wille Gottes ist größer als die Erfahrung des Einzelnen. An Borja schreibt er: »Wenn es der Wille Gottes ist, dass ich mich darin einsetze und sich andere für das Gegenteil einsetzen und Euch diese Würde gegeben wird, so gäbe es keinen Widerspruch. Denn es kann sein, dass der gleiche göttliche Geist mich dazu aus den einen Gründen und andere aus anderen zum Gegenteil bewegt« (BU 2652).

Der erfahrene Seelenführer sieht keine Möglichkeit, aus der Erfahrung des Tröstergeistes auf das Gewissen eines anderen, gar auf den Plan Gottes zu schließen. Beides bleibt offen. Aber auch umgekehrt gilt: Die Begriffe der Theologen machen die Seele nicht satt. Die Botschaft soll sich in die Muttersprache der Seele übersetzen, ihre Worte sollen mit den Zuständen der inneren Welt Verbindung aufnehmen. Wie sollen Worte nach etwas schmecken, wenn sie nicht die Sehnsucht aufsuchen! Das braucht Platz, Zeit, Begleitung: die Exerzitien. Gewiss, es gibt Grenzen, wo ein offener Widerspruch zur kirchlichen Lehre oder eindeutig Sünde vorliegt. Aber selbst diese Kriterien sind nicht in Stein gehauen. Das Verbot des Bischofs von Salamanca, seine Erfahrungen im Umgang mit der Sünde weiterzugeben, befolgt Ignatius nur vorläufig. Sein Gewissen kann es nicht akzeptieren.

 

Also doch: ein Zeuge des Geistes! Eingebettet in einen ununterbrochenen, oft unterirdischen und stets widersprüchlichen Strom des christlichen Glaubens an Gott in mir. Diesen Glauben stellt dieses Buch vor8: beginnend bei der Schrift, an wichtigen Wegkreuzungen innehaltend. Eine von ihnen trägt das Gesicht eines kleinen Spaniers: etwas hinkend, mit fröhlichen Augen (Me 180).

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